Grenzsteinverhüllungen
Mit einer landesweiten „Nachdenkaktion“ hat die „Süd-Tiroler Freiheit“ am 10. Oktober 2022 an die Annexion Süd-Tirols durch Italien vor 100 Jahren gedacht. Am Brenner, in Winnebach, am Reschen, auf dem Staller Sattel, auf dem Pfitscherjoch und auf dem Timmelsjoch wurden die Grenzsteine mit einer Tiroler Fahne verhüllt. Gleichzeitig wurde an den Grenzsteinen eine Tafel angebracht, mit der die zukünftige italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni aufgefordert wird, Süd-Tirol zurückzugeben.
Auf einer Pressekonferenz am Brenner erklärten die Landtagsabgeordneten der Süd-Tiroler Freiheit, Sven Knoll und Myriam Atz-Tammerle sowie die langjährige Landtagsabgeordnete Dr. Eva Klotz vor den Medien:
„Wir nehmen der Unrechtsgrenze heute ganz bewusst ihre Sichtbarkeit und zeigen durch das Verhüllen des Grenzsteins mit der Tiroler Fahne auf, dass wir hier nicht an der Grenze, sondern in der Mitte von Tirol stehen. Italien hat am Brenner nichts verloren!
Angesichts der aktuellen politischen Entwicklungen in Italien und Europa ist es wichtig daran zu erinnern, dass derartige Unrechtsgrenzen und die Annexion fremder Territorien niemals akzeptiert werden dürfen. Unrecht wird nicht zur Recht, nur weil es lange genug dauert.“
Gedenkmarsch der Schützen – Erinnerung an den faschistischen „Marsch auf Bozen 1922“
Am 1. Oktober 2022 veranstaltete der Südtiroler Schützenbund in Bozen gemeinsam mit dem Südtiroler Heimatbund (SHB) eine Gedenkveranstaltung zu dem vor 100 Jahren durchgeführten faschistischen „Marsch auf Bozen“, bei dem faschistische Milizen aus dem oberitalienischen Raum in Bozen die Macht an sich gerissen, die Kaiserin-Elisabeth-Schule und das Rathaus besetzt und den Bürgermeister, Dr. Julius Perathoner abgesetzt hatten.
Die deutsche Schule war damals in „Scuola Regina Elena“ (Auf Deutsch: „Schule Königin Elena“) umbenannt und 700 deutschen Kindern war die Schule genommen worden.
An der diesjährigen Gedenkveranstaltung nahmen an die 2.000 Schützen, Marketenderinnen sowie Gäste aus nah und fern teil. Unter den Teilnehmern befanden sich unter anderem auch der Bozner Vize-Bürgermeister Luis Walcher (SVP), die Landtagsabgeordneten Myriam Atz Tammerle (STF), Sven Knoll (STF) und Andreas Leiter-Reber (Freiheitliche).
Der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher war leider nicht zu sehen, er besuchte eine Alpini-Versammlung in Bozen.
Nach einem Gedenkmarsch der Schützen durch die Stadt Bozen, wobei an der ehemaligen Kaiserin-Elisabeth-Schule eine Gedenktafel zur Erinnerung an die gewaltsame Besetzung und Umbenennung der Schule gezeigt wurde, folgte die Hauptveranstaltung auf dem Rathausplatz.
Die Begrüßung nahm der Obmann des Südtiroler Heimatbundes, Roland Lang, vor.
Roland Lang sagte unter anderem:
„Wenn ich mich umsehe, so zeigt dieser politische Trauertag, der mit der faschistischen Besetzung dieses Rathauses seinen Höhepunkt erreichte, doch auf, dass die Rechnung der Faschisten nicht aufgegangen ist!
Ein feiger, zaudernder italienischer König hatte auf Druck der Faschisten am 29. September 1922 die Bestätigung der Wahl von Julius Perathoner zum Bürgermeister widerrufen. Eine Bestätigung, die er als König von Italien vor einigen Monaten selbst unterschrieben hatte. Eine von vielen gesetzeswidrigen Schritten gegen die Südtiroler, denen viele weitere Vertragsbrüche und Schikanen folgen werden. …
100 Jahre nach dem Überfall der Faschisten bestätigt eure Anwesenheit, dass die Rechnung der schwarzen Diktatur nicht aufgegangen ist. Wir sind noch da! Das verdanken wir tapferen Familien und unerschrockenen Geistlichen, die in der Faschistenzeit unsere Sprache und Kultur verteidigt haben. Das verdanken wir aber auch den Freiheitskämpfern der 1960er Jahre, die sich gegen die Fortführung der faschistischen Entnationalisierungspolitik erhoben haben.“
Die Südtiroler Historikerin Margareth Lun, beleuchtete in einem Referat die tragischen Vorgänge des 1. und 2. Oktober 1922 präzise. Der Marsch auf Bozen sei inszeniert gewesen und als Staatsstreich zu werten, weil die Staatsbehörden mitspielten.
Die Hauptrede hielt der aus Rofreit (ital.: Rovereto) stammende Welschtiroler Rechtsanwalt Nicola Canestrini. Er sagte unter anderem:
„Dem Südtiroler Schützenbund und dem Heimatbund sollte die Gesellschaft dankbar sein. Damit meine ich nicht nur die deutsch- und italienischsprachigen Südtiroler, sondern auch Italiens Gemeinschaft.
Denn es ist Heimatbund und Schützen zu verdanken, dass wir heute ‚gezwungen‘ sind, uns mit dem 100.Jahrestag des Marsches der Faschisten auf Bozen auseinanderzusetzen.
Mit einigen wenigen löblichen Ausnahmen … bricht diese Initiative ein allgemeines Schweigen. Und ich sehe hier leider keine offiziellen Stellvertreter jenes Staates, der doch Gründe dafür hätte, hier mit uns am 1. Oktober am Ratshausplatz zu stehen.
Doch war der Marsch auf Bozen die Präambel zur Machtergreifung Mussolini’s in Italien, die Eingangstür für zwei Jahrzehnte verheerender Tyrannei des Faschismus und des Nationalsozialismus in ganz Europa.“
Wer zu dem Unrecht schweige, sagte Canestrini, mache sich mitschuldig. Man wisse heute, dass alle Menschen frei und gleich an Würde und Rechten geboren sind und dass wir alle einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen sollten. Dieses Zusammenkommen solle ein Bekenntnis zu den Grundwerten sein.
Die Veranstaltung wurde mit der Verlesung eines Manifest beschlossen, in welchem eine offene Debatte über faschistische Relikte und Geschichtsfälschungen in Südtirol gefordert und ein Bekenntnis zu dem Recht auf Selbstbestimmung abgelegt wurde.
Nachklänge
Ein besonderer Südtiroler Historiker als RAI-Kommentator
Die „Radiotelevisione Italiana“ (RAI) ist die öffentlich-rechtliche Rundfunk- und Fernsehanstalt Italiens. Sie ist als staatliche Aktiengesellschaft organisiert. Ein Schelm, wer denkt, dass Regierungsparteien Einfluss auf die objektive und faire Berichterstattung haben könnten.
Um diese Fairness auch hinsichtlich der Berichterstattung über den Schützenmarsch in Bozen sicherzustellen, ließ der Sender RAI Bozen am 1. und am 2. Oktober 2022 in der Tagesschau einen besonderen Südtiroler Historiker zu Wort kommen. Es war dies Dr. Hannes Obermair, der in den letzten Jahren für die italienisch regierte Gemeinde Bozen tätig gewesen war.
Beweise für die Ausgewogenheit und Objektivität von Hannes Obermair
Er ist ein Mann, dessen Objektivität schon 2018 öffentlich sichtbar geworden war, als er als Vertreter der Partei „Grüne Verdi Vërc“ auf der Liste „Liberi e Uguali“ (LeU) („Freie und Gleiche“) für den Senat kandidiert hatte, allerdings, ohne ein Mandat zu erlangen.
Südtiroler sozialdemokratische Zungen setzen bis heute die Unterstellung in die Welt, diese „Freien und Gleichen“ seien als eine kommunistisch orientierte Gruppierung anzusehen gewesen. Das kann natürlich nicht stimmen, da ja Hannes Obermair für sie kandidiert hat.
Als weiterer Beweis für die faire Ausgewogenheit des Hannes Obermair ist anzuführen, dass der im August 1961 Geborene heute als Vorstandsmitglied der Sektion Alto Adige der italienischen Partisanenorganisation des Zweiten Weltkrieges, der „Associazione Nazionale Partigiani d’Italia“ (ANPI) tätig ist. Wie war es jedoch möglich, dass ein nach dem Zweiten Weltkrieges geborener Deutschsüdtiroler ein italienischer „Partisan“ werden konnte?
Ganz einfach: Laut Statut dieser Organisation können ihr auch später geborene italienische „Patrioten“ beitreten, wenn sie und mit ihrer Unterschrift bezeugen, dass sie „Antifaschisten“ sind.
Was der italienische „Patriot“ und Nachkriegs-„Partisan“ Obermair über den Schützenmarsch zu sagen hatte
Am 1. Oktober 2022 kam Obermair in der deutschen „Tagesschau 10 nach 10“ des Senders RAI Südtirol erstmals zu Wort, um den Zusehern zu erklären, was es mit dem Marsch der Schützen eigentlich auf sich hatte:
„Ich empfinde den Marsch der Schützen etwas als schräg, weil er ja einerseits gegen den Faschismus sich richtet, andererseits für Tirol – also das ist ja das Schlagwort – und auch den letzten deutschen Bürgermeister Perathoner ins Schild hebt.
Es ist aber zugleich aus Ausdruck dessen, das es keinen etablierten Antifaschismus in Südtirol gibt, denn es müssten andere Kräfte aufstehen und andere Kräfte müssten gegen den Faschismus marschieren und andere Kräfte müssten in Erinnerung rufen, dass was vor einer Woche in den Wahlurnen geschah, durchaus bedenkliche Züge trägt.“
Jetzt wussten die Zuseher, dass der Marsch der Schützen „schräg“ gewesen sei, weil er auch „für Tirol“ durchgeführt wurde und weil er den Bürgermeister Perathoner „ins Schild“ gehoben habe. (Was auch immer das bedeuten mag.)
Obermair hatte auch gefordert, dass es „andere Kräfte“ als jene der Schützen sein müssten, die gegen den Faschismus zu marschieren hätten. Leider hatte er nicht erklärt, was ihn und seine rot-grünen Genossen eigentlich daran gehindert habe, als „andere Kräfte“ gegen den Faschismus zu demonstrieren?
Am 2. Oktober 2022 vertiefte Obermair in der italienischen „Tagesschau“ des Senders RAI Alto Adige (Südtirol) um 14 Uhr 15 seine Aussagen, indem er in italienischer Sprache erklärte: Der 1922 abgesetzte Bozner Bürgermeister Perathoner sei „Antifaschist“ („antifascista“) gewesen, „weil er vor allem Antiitaliener war.“ („perche era anzitutto antiitaliano“.)
Dafür lieferte er keine Belege. Es blieb nur bei diesem Satz. Vielleicht meinte er, dass bei einer Qualifizierung durch eine herausragende Fachkraft wie ihn sich die Anführung von Beweisen erübrige.
Ein weiterer besonderer Südtiroler Historiker als Leserbriefschreiber
Der Gedenkmarsch der Schützen rief auch den mittlerweile schon betagten Historiker und ehemaligen Altmarxisten und späteren „Grünen“ Leopold Steurer auf den Plan. Dieser war seinerzeit von dem kommunistischen Genickschuss-Regime des chinesischen Massenmörders Mao fasziniert gewesen, wie er in einem Interview selbst bekannt hatte (Südtiroler Wochenmagazin „FF“ vom 25. Jänner 2001). Unter Kollegen war der damalige Lehrer Steurer mit dem Beinamen „Roter Poldi“ bekannt.
In der Ausgabe des Südtiroler Wochenmagazins „FF“ vom 25. Jänner 2001 hatte Leopold Steurer ein Interview gegeben, in welchem er den toten Georg Klotz und andere Freiheitskämpfer beschimpfte:
„… Klotz und andere, wo es wirklich um Kriminelle geht und um Terroristen. Die wurden verharmlosend als ‚Aktivisten’, als ‚Südtirol-Aktivisten’, bezeichnet, das muss man sich vorstellen.“
Derlei Beschimpfungen der Südtiroler Freiheitskämpfer der 1960er Jahre hatte Steurer auch in der „Radiotelevisione Italiana“ (RAI) und bei anderen Gelegenheiten in Interviews von sich gegeben.
Eine besondere Glanzleistung hatte Steurer allerdings im Jahre 2009 hingelegt. In einem Buchbeitrag beschuldigte er den „Befreiungsausschuß Südtirol“ (BAS), ohne dafür irgendeinen Beweis vorzulegen, das Andreas-Hofer-Denkmal am Morgen des 1. Oktober 1961 auf dem Bergisel bei Innsbruck in provokatorischer Absicht gesprengt zu haben. Es sollte eine italienische Täterschaft vorgetäuscht werden, um eine „Welle nationaler Empörung“ gegen Italien zu erzeugen. (Leopold Steurer: „Nachwort- historische Hintergründe zur Feuernacht“, in: Manuel Fasser: „„Ein Tirol – zwei Welten. Das politische Erbe der Südtiroler Feuernacht von 1961“, Innsbruck-Wien-Bozen 2009, S. 184)
Leider war Leopold Steurer entgangen, dass bereits im Jahre 1965 der in Italien verhaftete Neofaschist Giorgio Massara gestanden hatte, zusammen mit den jungen Neofaschisten Tazio Sergio Poltronieri, Franco Panizza und Luciano Rolando aus Verona damalige Anschläge in Österreich verübt zu haben. Man hatte bei ihnen in den Wohnungen auch Beweise für ihre Täterschaft des Anschlags auf dem Bergisel gefunden. Am 25. Januar 1969 hatte das Gericht in Verona dann die Angeklagten zu lächerlich geringen Freiheitsstrafen verurteilt. Darüber berichteten damals „Corriere della Sera“, „Alto Adige“ sowie die Südtiroler „Dolomiten“.
Der Südtiroler Historiker Hans Karl Peterlini hat das zeitgeschichtliche Material einschließlich gerichtlicher Akten eingehend analysiert und ist zu dem eindeutigen Urteil gekommen: „Am Bergisel 1961 hat nicht der BAS zugeschlagen, es begann der italienische Gegenterror.“ (Hans Karl Peterlini: „Feuernacht – Südtirols Bombenjahre 1961 – 2011“, Bozen 2011, S. 257)
Trotz solcher Fehlleistung als Historiker sah sich Steurer nun veranlasst, am 11. Oktober 2022 in einem Leserbrief unter dem Titel „Antifaschismus? Sage mir, mit wem du gehst …“ in der Tageszeitung „Dolomiten“ den Schützen die antifaschistische Haltung abzusprechen.
Er warf den Schützen vor: Im Jahre 1991, vor 33 Jahren, sei bei dem ersten Schützenmarsch gegen das faschistische Siegesdenkmal in Bozen unter etwa 2.000 Teilnehmern doch tatsächlich ein Schütze „mit Nazi-Auszeichnungen des Zweiten Weltkrieges“ mitmarschiert.
Na, so etwas! Nach einer solchen, erst 33 Jahre zurückliegenden Handlung eines Schützen, wagen es die Schützen tatsächlich, wiederum gegen den Faschismus zu demonstrieren! Da ist man wirklich sprachlos!
Allerdings hat der antifaschistische Steurer nicht erklärt, warum nicht er mithilfe seinen roten oder grünen Genossen gegen den Faschismus demonstriert.
Am 12. Oktober 2022 erschien in den „Dolomiten“ die Antwort des ehemaligen freiheitlichen Südtiroler Landtagsabgeordneten Pius Leitner an Leopold Steurer: