Bild von Thomas Walch: „Die Heimatlosen“.
Eine traurige Erinnerung
Der Südtiroler Schützenbund (SSB) nimmt seine sozialen und kulturellen Aufgaben ernst und hat mit einer nachdenklich machenden Aktion daran erinnert, dass vor 80 Jahren – am 21. Oktober 1939 – Hitler und Mussolini ein Abkommen zur Umsiedlung der deutschsprachigen Südtiroler vereinbart hatten, das nach dem Willen der beiden Diktatoren die kulturelle Auslöschung der deutschen Volksgruppe hätte bewirken sollen.
In einer Aussendung schrieb der Schützenbund am 21. Oktober 2019:
Rund 274.000 Südtiroler waren gezwungen sich bis zum 31. Dezember 1939 zu entscheiden, ob sie deutsch bleiben und ins Deutsche Reich auswandern wollten, oder in der Heimat blieben und „walsch wählten“. Wer sich fürs „Gehen“ entschied, hatte die Heimat unwiderruflich zu verlassen.
Es wurde ihm eine Ansiedlung in teilweise noch zu erobernden Gebieten in Aussicht gestellt. Wer sich hingegen fürs „Bleiben“ entschied, ging ebenso einer ungewissen Zukunft entgegen.
Eine Zwangsumsiedlung in den Süden Italiens stand – vor allem zum Zwecke einer Mobilisierung für die Auswanderung im Raum, erinnert der Südtiroler Schützenbund.
„Die Option spaltete das Land, entzweite Familien. Dableiber wurden als Volksverräter, Optanten als Heimatverräter bezeichnet. Aufrufe und Stellungnahmen für das Verbleiben in der Heimat gab es ebenso wie Flugblätter und Kundgebungen für das Abwandern“, so der SSB-Landeskommandant Jürgen Wirth Anderlan.
Das Ergebnis: 86 Prozent der Südtiroler entschieden sich für das Gehen. Tatsächlich abgewandert sind rund 75.000. An die 20.000 Optanten kehrten nach Kriegsende zurück, 130.000 waren staatenlos, weil sie zwar für Deutschland gestimmt hatten, aber nicht ausgewandert sind.
Sie alle haben eines gemeinsam: ihre Geschichte, ihr Schicksal geprägt von der Entscheidung 1939. Der Entscheidung von Hitler und Mussolini. Ihrer eigenen Entscheidung.
160 rote Koffer im ganzen Land
Die Südtiroler Schützen erinnerten nun an diese schreckliche Zeit mit einer landesweiten Aktion.
Im ganzen Land wurden 160 rote Koffer mit der Aufschrift „schicksal39.com – Option, Gehen oder Bleiben“ an zentralen Stellen in allen Gemeinden aufgestellt.
An den roten Koffern waren Postkarten mit Gedichten und Liedern der Dableiber als auch der Optanten angebracht.
Weitere Informationen zu dieser Aktion und zu dem Thema Option finden sich im Internet unter: https://schicksal39.com/
Dokumentation zum Optionsabkommen:
Geschichtlicher Rückblick – Wie war es zu der Katastrophe von 1939 gekommen?
von Jürgen Fingeller
Hitlers Kurswechsel
Vor Mussolinis Machtantritt hatte Hitler in öffentlichen Reden durchaus noch die Rückgabe Südtirols gefordert gehabt. Das stand im Einklang mit dem Parteiprogramm der NSDAP vom 24. Februar 1920, in welchem es hieß:
„1. Wir fordern den Zusammenschluss aller Deutschen auf Grund des Selbstbestimmungsrechtes der Völker … “
In den parteiamtlichen Erläuterungen dazu hatte es geheißen: „Wir verzichten auf keinen Deutschen im Sudetenland, in Südtirol, in Polen, in der Völkerbundkolonie Österreich und in den Nachfolgestaaten des alten Österreich.“ (G. Feder: „Das Programm der NSDAP und seine weltanschaulichen Grundgedanken“, München 1933, S. 42)
Als Benito Mussolini jedoch Ende Oktober 1922 begann, Italien in eine Diktatur umzuwandeln, wurde er zum großen Vorbild Adolf Hitlers, der ein Bündnis mit ihm anstrebte. Hitler betonte ab nun die Freundschaft mit dem Faschismus und erklärte ab 1922 wiederholt in Reden und Zeitungsinterviews, dass er die Brennergrenze als endgültig betrachte.
Unter der Federführung des vor den Faschisten aus Südtirol geflüchteten Univ.-Prof. Dr. Eduard Reut-Nicolussi wurde damals von der „Arbeitsstelle für Südtirol“ in Innsbruck eine Zeitung mit dem Namen „Der Südtiroler“ herausgegeben. In einem Sonderdruck dieser Zeitung aus dem Jahr 1932 kritisierte Reut-Nicolussi das Verhalten Hitlers und zitierte aus dessen abfälligen Äußerungen über Südtirol.
Am 10. Oktober 1923 konnte die italienische Zeitung „Corriere Italiano“ ein Gespräch mit Hitler veröffentlichen, in welchem dieser erklärte: „Als Nationalist vermag ich mich durchaus in die italienischen Gedankengänge zu versetzen und verstehe sogar den italienischen Anspruch auf eine gesicherte Grenze.“ (Wiedergegeben in: Karl Heinz Ritschel: „Diplomatie um Südtirol“, Stuttgart 1966, S. 130)
Göring verkauft Südtirol gegen Geld
Am 8. November 1923 scheiterte der NS-Putsch in München und Hitler bezog für eine kurze Zeit eine Zelle in der Festung Landsberg. Der Führer der SA, Hermann Göring, ging 1924 für eine Zeit lang nach Italien ins Exil. Dort nahm er im Juni 1924 Kontakt mit dem Diplomaten Giuseppe Bastianini auf, welcher Mitglied des „Gran Consiglio del Fascismo“, des „Faschistischen Großrats“ und ein Vertrauter von Benito Mussolini war.
Göring erbat ein Zwei-Millionen-Lire-Darlehen für die NSDAP und verpflichtete in seiner Eigenschaft als „NS-Generalbevollmächtigter in Italien“ im August 1924 in einem Vertragsentwurf seine eigene Partei zu Folgendem:
„… klar zu machen, dass es für sie keine Alto-Adige-Frage gebe und dass sie absolut und ohne Umschweife den Status quo der italienischen Besitzungen anerkenne … Die NSDAP wird ab sofort alles tun, um revisionistischen Bestrebungen in Bezug auf Alto Adige in Deutschland entgegenzutreten …“ (Vertragsentwurf im Nachlass von Dott. Leo Negrelli von Mussolinis Regierungs-Presseamt. Wiedergegeben in: David Irving: „Göring – Eine Biographie“, Kiel 1986, S. 61f)
Görings erneutes Angebot, den „Südtiroler Irredentismus auszumerzen“
Am 9. März 2006 berichtete die Südtiroler Tageszeitung „Dolomiten“ über einen sensationellen Fund. Das Südtiroler Landesmuseum Schloss Tirol hatte soeben aus dem Nachlass eines früheren Göring-Freundes, des Hoteliers Rodolfo Walther in Venedig, ein Schriftstück erworben, aus dem die „Dolomiten“ nun zitierten.
Es handelt sich um ein weiteres Memorandum in italienischer Sprache, welches Göring im November 1924 in Venedig für seinen Gastgeber und Freund Rodolfo Walther verfasste, der dem „Duce“ nochmals das Projekt eines Abkommens zwischen der NSDAP und der Faschistischen Partei unterbreiten sollte.
Göring verwies in dem von ihm persönlich unterzeichneten Memorandum darauf, dass die Nationalsozialisten bereit seien, ein für alle Mal auf Südtirol offiziell zu verzichten. Wiederum erbat Göring auch finanzielle Hilfe. Dadurch würde man ermuntert sein, so berichteten die „Dolomiten“ über den Inhalt des Schriftstücks, „sich für eine Annäherung an das faschistische Italien weiterhin einzusetzen und jedwede Art des Südtiroler Irredentismus auszumerzen. Hermann Göring schließt mit ‚… della S. E. Ill.ma obbligatissimo Hermann Göring, rappresentante incaricato della Nationalsozialistischen Freiheitsbewegung Deutschlands.“ (Auf Deutsch: „ … der Ihrer hervorragendsten Exzellenz zutiefst ergebener Hermann Göring, beauftragter Repräsentant der Nationalsozialistischen Freiheitsbewegung Deutschlands.“)
Das italienische Geld fließt
Nun begann das italienische Geld für die NSDAP zu fließen. Der ehemalige Diplomat Pietro Quaroni berichtete dazu: „Die Hitler-Bewegung wurde von der italienischen Seite her mit Sympathie betrachtet. Sie wurde auch zumindest einige Male seitens Italiens mit bedeutenden Geldmitteln unterstützt“. (Zitiert in: Jens Petersen: „Hitler – Mussolini. Die Entstehung der Achse Berlin-Rom 1933 – 1936“, Tübingen 1973, S. 24f)
Hitler dankt und bezeugt seine Treue
Im 1926 veröffentlichte Adolf Hitler im Münchner Eher-Verlag, in welchem vor einem Jahr bereits der erste Band von „Mein Kampf“ erschienen war, eine Broschüre. Diese trug den Titel „Die Südtiroler Frage und das deutsche Bündnisproblem“, und stellte einen teilweisen Vorabdruck aus dem zweiten Band von „Mein Kampf“ dar, welcher im Dezember 1926 erscheinen sollte. Hitler hatte es aber eilig, seine unwandelbare Treue zu dem Faschismus und Mussolinis Italien zu betonen. Er veröffentlichte daher die Südtirol betreffenden Abschnitte vorweg als Sonderdruck.
In seinem Vorwort bezeichnete er Mussolini als „den Mann, der als überragendes Genie das nationale Gewissen Italiens verkörpert.“ Man müsse zu Opfern bereit sein. „Die Südtiroler Frage ist für uns ein Problem, das nur im Rahmen der für Deutschland möglichen europäischen Bündnispolitik die richtige Lösung finden kann.“ (Adolf Hitler: „Die Südtiroler Frage und das deutsche Bündnisproblem“, München 1926, S. 6f)
Hitler: „Der Jude“ reitet das Steckenpferd Südtirol
Die richtige Lösung, so führte Hitler weiter aus, sei das Bündnis mit dem faschistischen Italien.“ (Adolf Hitler: a. a. O., S. 43) Um aber solche Bündnisse mit Deutschland zu verhindern, reite „der Jude mit außerordentlicher Geschicklichkeit“ ein besonderes Steckenpferd: „Südtirol“. Er werde dabei unterstützt von „jenem allerverlogensten Pack, das, auf die Vergeßlichkeit und Dummheit unserer breiteren Schichten bauend, sich hier anmaßt, eine nationale Empörung zu mimen”. (Adolf Hitler: a. a. O., S. 30)
Hitler verkündet öffentlich den Verzicht auf Südtirol
Am 15. Juli 1928 unterstrich Hitler seine politische Linie in Bezug auf Südtirol und Italien in einer von der Parteileitung der NSDAP einberufenen Versammlung vor 3.000 geladenen Gästen. Er hielt eine Rede, über welche die Innsbrucker Tageszeitung „Tiroler Anzeiger“ einen Tag später berichtete:
„Hitler … trat für ein Bündnis mit Italien ein … Um zum Bündnis mit Italien gelangen zu können, will Hitler Südtirol preisgeben. Südtirol ist, wie er sagte, nicht von mir, sondern von jenen verraten worden, die Deutschland jahrzehntelang so geschwächt haben, daß es unfähig geworden ist, seine sämtlichen Brüder zu verteidigen. Außerdem ist in bindenden Staatsverträgen ein Verzicht auf Südtirol bereits niedergelegt.“
Im Gespräch mit Ettore Tolomei: Bekräftigung des Verzichts
Am 14. August 1928 traf sich Hitler über Vermittlung des italienischen Generalkonsulats in München mit dem faschistischen Senator Ettore Tolomei. Das Treffen mit dem Architekten der faschistischen Entnationalisierungspolitik in Südtirol, dem Erfinder der italienischen Ortsnamen in Südtirol und engen Vertrauten Benito Mussolinis fand in einer versteckt gelegenen Villa in Nymphenburg am Stadtrand von München statt.
Tolomei fertigte handschriftliche Notizen über sein Gespräch mit Hitler an und berichtete anschließend an Mussolini in Rom:
Hitler äußerte sich zu dem Thema der „italienischen Assimilierung des Alto Adige“ zur Freude Tolomeis eindeutig: „Er sprach sich sehr rüde in Worten, die ich geradezu als grob bezeichnen könnte, aus. („ganz wurst“, „ich pfeif darauf“); jene vier Älpler von Bozen und Meran dürfen Deutschland nicht hindern, das im Spiel seiner außenpolitischen Beziehungen frei sein will, für seine großen Interessen in der Welt … zu sorgen, … wobei man sich von der Behinderung durch kleine gefühlvolle Rückstände befreien muss, wie es gerade die irritierende Frage des Alto Adige ist. …
Er legt sich Rechenschaft ab, dass in einem kurzen Zeitraum die größeren Zentren des Alto Adige soweit italianisiert werden, dass sogar die Pangermanisten den Eindruck einer verlorenen Partie erhalten werden und dass folglich die Assimilierung der Hochtäler und der abgelegenen Täler nur eine Frage der Zeit sein wird.“ (Wiedergegeben in deutscher Übersetzung in: Karl Heinz Ritschel: „Diplomatie um Südtirol“, Stuttgart 1966, S. 134ff)
Ständige Bekundungen der Freundschaft
Nun kam es zu laufenden Freundschaftbekundungen von beiden Seiten, die bald den Protest der österreichischen Sozialdemokraten hervorriefen. Diese prangerten Anfang 1932 in einer Broschüre mit dem Titel „Südtirol verrecke!!“ die „restlose Preisgabe der Deutschen Südtirols durch die Nationalsozialisten“ an.
Nachstehend ein interessanter Auszug aus dieser Schrift:
Der 28. Oktober 1932 war der 10. Jahrestag des faschistischen „Marsches auf Rom“. Aus diesem Anlass begrüßte der Herzog von Pistoia, ein Vetter des italienischen Königs, auf dem „Siegesplatz“ vor dem „Siegesdenkmal“ in Bozen eine nationalsozialistische Delegation. Nach der Feier zur Erinnerung an die faschistische Machtergreifung posierten dann die Faschisten und Nationalsozialisten gemeinsam vor dem Siegesdenkmal für Erinnerungsfotos.
Am 30 Januar 1933 war Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt worden. Am 3. Februar 1933 versicherte er dem italienischen Generalkonsul in München, er könne „voll und ganz die strategischen Notwendigkeiten verstehen, die Italien die Aufrechterhaltung der Brennergrenze als unerlässlich erscheinen ließen.“
Jedenfalls dürfe das Schicksal einiger Tausend früherer österreichischer Bürger die Beziehungen zwischen Italien und Deutschland nicht beeinflussen. (Wiedergegeben in: Jens Petersen: „Hitler – Mussolini. Die Entstehung der Achse Berlin-Rom 1933 – 1936“, Tübingen 1973, S. 68)
Bei einem Staatsbesuch erklärte der preußische Ministerpräsident Göring am 7. November 1933 in Rom gegenüber Mussolini, er könne auch im Namen seines Kanzlers die feierliche Erklärung abgeben, dass die Südtirolfrage niemals von deutscher Seite aufgerollt werden würde. (Mario Toscano: „Storia diplomatica della questione dell’Alto Adige“, Bari 1968, S. 124f)
Die Achse Berlin – Rom
Nachdem Hitler Italien im Abessinien-Krieg unterstützt hatte, schlossen der italienische Außenminister Graf Ciano und der Reichaußenminister Von Neurath am 22. Oktober 1936 ein Abkommen über enge Zusammenarbeit beider Staaten und Regime. Der „Duce“ erklärte in einem Interview für den „Völkischen Beobachter“ vom 17. Januar 1937: „Wir haben die Achse Berlin-Rom geschmiedet.“
Hitler: Die unantastbare ewige Grenze!
Am 2. Mai 1938 traf Adolf Hitler zu seinem zweiten Staatsbesuch in Italien in einem Sonderzug am Brenner ein und wurde von dem Herzog von Pistoia, einem Vetter des italienischen Königs Vittorio Emanuele III. begrüßt. Bei der Weiterfahrt nach Rom ließ Hitler die Vorhänge vor den Fenstern seines Salonwagens während der Fahrt durch Südtiroler Gebiet zuziehen.
In Rom feierten der „Duce“ und der „Führer“ am 7. Mai 1938 nach einer Reihe von Veranstaltungen und Paraden bei einem Abendessen im Palazzo Venezia in Rom die deutsch-italienische Freundschaft.
Hitler sagte in einem Trinkspruch: „Es ist mein unerschütterlicher Wille und mein Vermächtnis an das deutsche Volk, dass es … die von der Natur zwischen uns beiden aufgerichtete Alpengrenze für immer als eine unantastbare ansieht, die die Vorsehung und Geschichte unseren beiden Völkern ersichtlich gezogen haben.“ (Zitiert nach: Paul Bruppacher: „Adolf Hitler und die Geschichte der NSDAP“, Teil 2: 1938 bis 1945“, 2. Auflage, Norderstedt 2013, S 39)
Der „Stahlpakt“ für den eigenen Untergang
Am 22. Mai 1929 schlossen das Deutsche Reich und das Königreich Italien zur Besiegelung ihrer unzerstörbaren Freundschaft einen militärischen Beistandspakt, der als „Stahl-Pakt“ in die Geschichte einging.
Mit diesem Abkommen verpflichteten sich beide Seiten, dem jeweiligen anderen Partner militärisch zu Hilfe zu kommen, wenn dieser „in kriegerische Verwicklungen mit einer anderen Macht oder anderen Mächten gerät“.
Der Bündnisfall war diesem Abkommen zufolge auch dann gegeben, wenn einer der Bündnispartner einen Angriffskrieg begann, ohne zuvor die Zustimmung des anderen Partners einzuholen. Das war der Weg in den Untergang.
Das letzte Kapitel: Option und Bevölkerungsaustausch als endgültige „Lösung“ der Südtirol-Frage
Nach wie vor war Südtirol ein Stolperstein auf dem gemeinsamen Weg der beiden Diktatoren in das Unglück ihrer Völker.
Der katholische Klerus Südtirols mit dem Brixener Fürstbischof Johannes Geisler an der Spitze hatte sich dabei als Fels in der Brandung erwiesen. In Südtirol sicherte die Kirche den deutschen Gottesdienst, den deutschen Religionsunterricht und einen Restbestand an deutschem Vereinsleben. Mit Unterstützung zahlreicher Priester förderte sie den heimlichen „Katakombenunterricht“ in deutscher Sprache und die kulturelle Tätigkeit katholischer Jugendgruppen.
Um dem ein Ende zu bereiten, vereinbarten am 23. Juni 1939 nationalsozialistische und faschistische Delegierte unter dem Vorsitz des Reichsführers-SS, Heinrich Himmler, bei einem geheimen Treffen im Hauptquartier der Geheimen Staatspolizei in Berlin die Umsiedlung der Südtiroler durch das sogenannte Optionsabkommen.
Dieses sollte in der Folge die Südtiroler vor die schreckliche Wahl stellen, entweder das Volkstum zu bewahren und dabei die Heimat aufzugeben oder in der Heimat zu bleiben und dabei der Italianisierung ausgeliefert zu werden.
Als das schändliche Abkommen Ende Juni 1939 in Südtirol bekannt wurde, wurde der Gedanke der Auswanderung in Südtirol von Vertretern deutscher Verbände, die sich bei Kanonikus Michael Gamper im Bozner Marieninternat zu einer Beratung getroffen hatten, entschieden abgelehnt. Man war sich einig, geschlossen für den Verbleib in der Heimat zu stimmen.
Faschistische Pläne und Drohungen – das NS-Regime will die „Dableiber“ dem nationalen Untergang überlassen
Am 1. August 1939 wurde im Verlautbarungsblatt der Staatsbahnen angekündigt, daß in nächster Zeit Transporte von Personen und Sachen aus Südtirol in südliche Provinzen abgehen sollten. Der Präfekt Mastromattei verkündete im Augustheft der Zeitschrift „Atesia Augusta“, daß nur jene, „die immer Treue zu Italien und zu den Einrichtungen des Regimes bewiesen haben“, im angestammten Lande bleiben dürften.
Dies bedeutete, daß die Mehrzahl der keineswegs faschistisch eingestellten Südtiroler von der Deportation in die südlichen Provinzen bedroht war.
Am 2. August 1939 hatten sich verzweifelte Südtiroler direkt an den Reichsführers-SS Heinrich Himmler gewandt, der ihnen nun bei einem Treffen unverblümt erklärte, daß das Deutsche Reich die Italienoptanten – die sogenannten „Dableiber“ – ihrem Schicksal, dem unabwendbaren nationalen Untergang, überlassen werde.
Ende August 1939 erklärte der faschistische Senator Ettore Tolomei, die Italienoptanten müssten ihre „ursprünglichen lateinischen Familiennamen wieder annehmen“ und die Regierung werde mit allen Mitteln die Abwanderung der „Fremdsprachigen“ betreiben, um sie durch Italiener zu ersetzen.
Man sah sich nun auf Gedeih und Verderb der römischen Willkür ausgeliefert.
Option und Rettung – warum das Volk bei dem Einmarsch deutscher Truppen jubelte
Die Geschlossenheit des Widerstandswillens zerbrach nun angesichts der um sich greifenden Überzeugung, daß Italien Mittel und Wege suchen und finden werde, die Italienoptanten aus dem Lande zu drängen. Es begann in Südtirol eine Werbung für eine möglichst geschlossene Option für das Deutsche Reich. So hoffte man, bei Verlust der Heimat zumindest das Volkstum zu retten.
Kanonikus Michael Gamper und sein Freundeskreis hingegen waren überzeugt, daß man im Lande bleiben und auf eine Änderung der Verhältnisse hoffen müsse.
Die emotionalen Auseinandersetzungen führten zu einer tiefgreifenden Spaltung der Bevölkerung, die durch die Dörfer und teilweise auch durch die Familien ging.
Das Optionsergebnis ist bekannt: Rund 86 Prozent optierten in ihrer Verzweiflung für Deutschland. Nach verlässlichen Statistiken hatten sich von den 246.036 Abstimmungsberechtigten in der damaligen Provinz Bozen sowie dem damals zur Provinz Trient gehörenden Unterland 211.799 für die deutsche Staatsbürgerschaft und damit zum Verlassen der Heimat entschieden. (Zahlen aus: Südtiroler Landesregierung (Hrsg.): „Südtirol Handbuch 2005)
Nun begann die Umsiedlung nach Norden über den Brenner. Etwa 75.000 Südtiroler verließen die Heimat.
Der Fortgang des Weltkrieges mit dem Kriegseintritt Italiens brachte dieses Unheil im Jahre 1940 zum Stehen, die Aussiedlung wurde gestoppt und die Fortführung auf die Nachkriegszeit vertagt.
Für die Südtiroler war das ein Glück. Für das deutsche Volk insgesamt und für eine Reihe anderer Völker bedeutete dieser Krieg jedoch die denkbar größte Katastrophe.
Der Abfall Italiens vom gemeinsamen Bündnis im Jahre 1943 und der Einmarsch der deutschen Truppen nach Südtirol befreiten das Land von dem Albtraum einer Vollendung der Aussiedlung.
Nur dadurch ist die Begeisterung zu erklären, mit welcher die einlangenden deutschen Truppen begrüßt wurden. Die katholischen Südtiroler jubelten mit wohl wenigen Ausnahmen nicht der nationalsozialistischen Ideologie zu. Die Freude galt der Hoffnung, nun als Tiroler mit eigener Sprache und Kultur endgültig in der angestammten Heimat bleiben zu dürfen.
Nur rund ein Drittel der Ausgesiedelten konnte zurückkehren
Nach 1945 versuchte der italienische Präfekt De Angelis, ein Mann mit faschistischer Vergangenheit, auch die Aussiedlung der noch im Lande verbliebenen Optanten zu erreichen. Die Alliierten erlaubten dies aber nicht und im „Pariser Vertrag“ von 1946 wurde das Rückkehrrecht der bereits Ausgesiedelten vereinbart.
Rom verzögerte jedoch mit allen Kniffen und Tricks die Durchführung, so daß schließlich nur etwa 21.000 bis 22.000 bis zum Jahre 1952 wieder in die Heimat zurück kehrten. Das war nur rund ein Drittel der Ausgesiedelten. (Zahlen aus: Adolf Leidlmair: „Bevölkerung und Wirtschaft seit 1945“, in: Franz Huter (Hrsg.): „Südtirol – eine Frage des europäischen Gewissens“, Wien-München 1965, S. 564)
Welche Methoden dabei angewandt wurden, zeigte im Jahre 1949 die Beschlagnahme des Vermögens jener Deutschlandoptanten, denen Italien die Wiederverleihung der Staatsbürgerschaft verweigerte. Damit hoffte man weitere Rückwanderungswillige abzuschrecken.
Erst im Jahre 1951 gelang es dem „Dableiber“, Gamper-Vertrauten, ehemaligen KZ-Häftling und nunmehrigen Südtiroler Parlamentsabgeordneten Dr. Friedl Volgger, mithilfe einer von ihm organisierten alliierten Unterstützung die römische Regierung dazu zu zwingen, die Vermögensbeschlagnahme wieder aufzuheben.
Das Versöhnungswerk Gampers und das endgültige Scheitern des faschistischen Vernichtungsplans – Südtirols Freiheitskämpfer verhinderten 1961 den letzten Anschlag auf ihre Volksgruppe
Der groß angelegte faschistische Plan der Zerstörung und Auflösung der deutschen und ladinischen Volksgruppe war so gut wie gescheitert.
Kanonikus Gamper leitete nun das Versöhnungswerk zwischen „Dableibern“ und Optanten ein. Durch sein leuchtendes Beispiel der Nächstenliebe und Toleranz führten er und seine Freunde die Südtiroler nach Kriegsende wieder zu einer entschlossenen und handlungsfähigen Schicksalsgemeinschaft zusammen. Ohne diese Versöhnung wäre das Land nach 1945 ein willenloser Spielball der Fortführung der faschistischen Spaltungs- und Entnationalisierungspolitik geworden.
Ein letzter bedrohlicher Anschlag auf den Bestand der Südtiroler Volksgruppe fand am 6. Februar 1961 statt, als italienische Senatoren ein Ausbürgerungsgesetz im Senat in Rom einbrachten, welches ehemaligen Optanten die willkürliche Ausbürgerung und damit die Vertreibung über die Grenze auf rein administrativem Wege bringen hätte sollen.
Eine Durchführung dieses perfiden Plans hätte mit einem Schlag die rasche Herbeiführung einer italienischen Mehrheit im Lande ermöglicht.
Am 27. April 1961 wurde das Gesetz im Senat beschlossen, nun fehlte nur noch die Bestätigung durch die römische Abgeordnetenkammer.
In dieser Situation entschlossen sich die Südtiroler Freiheitskämpfer zu dem großen Schlag der Feuernacht, welcher die Aufmerksamkeit der Welt auf das ungelöste Problem Südtirol lenkte und das verbrecherische Vorhaben der Fortsetzung der faschistischen Aussiedlungspolitik endgültig auf den Müllhaufen der Geschichte beförderte. Es kam nie zur Bestätigung des Schandgesetzes durch die Abgeordnetenkammer, sondern stattdessen zur Aufnahme von Autonomieverhandlungen mit der Südtiroler Volkspartei.
An der römischen Heuchelei hat sich nichts geändert
Am Wochenende des 23. und 24. November 2019 weilte der italienische Staatspräsident Mattarella in Bozen und wurde von lokalen Politikern untertänig bejubelt. Über die aufgezwungene Option von 1939 und deren politische Behandlung nach 1945 wusste er Erstaunliches zu vermelden.
Am 25. November 2019 stand in der Südtiroler Tageszeitung „Dolomiten“ zu lesen:
„Sergio Mattarella hat als erstes italienisches Staatsoberhaupt in seiner Rede offen gesagt, dass den Südtirolern in der Geschichte mehrmals Unrecht angetan wurde. Mattarella hat aber auch sachlich darauf verwiesen, dass Italien nach dem Zweiten Weltkrieg das einzige Land in Europa war, das Flüchtlingen (den Optanten, also italienischen Bürgern, die freiwillig auf die italienische Staatsbürgerschaft verzichtet und die deutsche angenommen hatten) die Rückkehr in die Heimat mit Gewährung aller Bürgerrechte zugestand.“
Es hat sich an der römischen Heuchelei nichts geändert. Kein Mensch kann uns erzählen, dass dem politischen Beraterstab rund um den italienischen Staatspräsidenten nicht bekannt sei, dass den Optanten die Rückkehr mit allen möglichen Schikanen erschwert worden war und daher nur rund ein Drittel der Optanten wieder in die Heimat hatte zurückkehren können.