Vor 100 Jahren: Landesteilung Tirols 1920 – der Weg in die Knechtschaft!
Die Unterdrückung von Freiheitsbekundungen und das Aufbegehren der Bevölkerung
Unmittelbar nach der Besetzung Südtirols durch italienische Truppen im November 1918 wurden alle Bestrebungen der Südtiroler Bevölkerung unterdrückt, ihren Willen zur Erhaltung der Landeseinheit kundzutun.
In Nordtirol konnte die Bevölkerung ihren Gefühlen und Forderungen noch Ausdruck verleihen. Im Juni 1919 versammelte sich eine unübersehbare Menschenmenge auf dem Bergisel oberhalb von Innsbruck vor dem Andreas-Hofer-Denkmal, um für die Landeseinheit Tirols zu demonstrieren.
Der Tiroler Landeshauptmann Schraffl appellierte in seiner Rede an die Siegermächte: „Gebt uns Gerechtigkeit, gebt uns das freie Selbstbestimmungsrecht, wir werden niemanden bedrohen und keinen Frieden stören. Die Vergewaltigung Tirols, die Knechtung einer Viertelmillion Deutscher und Ladiner wird niemals zu einem dauernden Frieden führen.“ (Aus: „Allgemeiner Tiroler Anzeiger“, Innsbruck, vom 14. Juni 1919)
Dann bewegte sich der Demonstrationszug hinunter nach Innsbruck und durch den Burggraben zur Hofkirche, die bei weitem nicht alle Teilnehmer fassen konnte. Vor dem Grabmal Andreas Hofers endete die Kundgebung mit einer Ansprache des Geistlichen und Dichters Msgr. Anton Müller („Bruder Willram“) und dem gemeinsamen Absingen des Andreas Hofer-Liedes.
Die damalige Stimmung im Lande gab ein Lied wieder, dessen Text die Innsbrucker Ärztin Dr. Ehrentraut Lanner verfasste und der am 3. Juli 1919 von der Tageszeitung „Allgemeiner Tiroler Anzeiger“ erstmals auf der Titelseite als „Südtiroler Trutzlied” veröffentlicht wurde. Dieses Lied wurde vielfach publiziert, erlangte rasch Berühmtheit und wurde zu einem Volkslied in ganz Tirol.
Südlich des Brenners herrschte bereits Unterdrückung. Zeitungen durften über das Thema Selbstbestimmung nicht schreiben, öffentliche Auftritte waren verboten und sogar in den Gaststuben der Wirtshäuser lauerten Spitzel, die Äußerungen mit Freiheitsbekundungen den Behörden meldeten.
Trotz dieser Repressionsmaßnahmen hatten Vertreter aller 172 Gemeinden Südtirols bis Ende März 1919 heimlich eine Denkschrift unterzeichnet, welche dem amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson übermittelt wurde.
In dieser Denkschrift hieß es: „Wir – alle Gemeinden Deutsch-Südtirols – wenden uns … mit diesem Hilferuf an die ganze Welt … zu jedem Opfer sind wir bereit – wenn es so sein muss – , nur unser heiliges Selbstbestimmungsrecht darf nicht verletzt werden, deutsche Tiroler müssen wir bleiben, wir werden für Italien sichere Nachbarn sein – wir wären ihm tief unglückliche, verbitterte Untertanen!“ (Zitiert aus: „Allgemeiner Tiroler Anzeiger“, Innsbruck, vom 18. Juni 1919)
Nichterfüllung der Autonomie-Forderungen
Nachdem aber 1919 auf der Friedenskonferenz in Paris die Abtrennung Südtirols beschlossen worden war und der österreichische Staatskanzler Dr. Karl Renner am 10. September 1919 den aufgezwungenen Schandvertrag unterzeichnen musste, forderten die deutschen Parteien Südtirols, dass dem Lande zumindest eine eigene Autonomie mit weitgehender Selbstverwaltung gewährt werden möge. Es kam zu großen Demonstrationen im Lande, die zu unterdrücken dir Behörden zunächst nicht wagten.
Trotz aller Repressionsmaßnahmen traten am 9. Mai 1920 in Meran vor dem Andreas-Hofer-Denkmal laut einem Bericht der deutschen „Reclams Universum Weltrundschau“ an die „15.000 Vertreter der Gemeinden des Burggrafenamtes Passeier, Ulten und Vinschgau zusammen, um der italienischen Regierung zu bekunden, dass die deutschen Südtiroler unbeugsam auf dem Rechte der Selbstbestimmung bestehen, und solange dieses nicht durchführbar ist, eine deutsche Selbstverwaltung fordern.“ („Reclams Universum Weltrundschau, 1920)
Die deutschen Parteien des Landes hatten sich zum „Deutschen Verband“ zusammengeschlossen, welcher in Rom vorstellig wurde und der Regierung einen fertigen Autonomieentwurf überreichte. Es wurde die Schaffung einer Provinz Südtirol unter Einschluss der Ladiner mit eigener Landesverwaltung und eigener Gesetzgebungskompetenz eines frei zu wählenden Landtages gefordert.
Dagegen liefen in der Folge die Trentiner mit Alcide Degasperi, dem späteren Ministerpräsidenten Italiens nach dem Zweiten Weltkrieg, erfolgreich Sturm. Die Regierung kam unter diesem Druck den Südtiroler Forderungen nicht nach.
Angesichts der bevorstehenden gesetzlichen Annexion Südtirols und angesichts der Vorenthaltung der verlangten Autonomieregelung war nun im Lande eine gespannte Stimmung entstanden.
Die römische Angst vor den Herz-Jesu-Feiern
Angesichts dieser Situation sahen die italienischen Behörden den bevorstehenden Feiern zum Herz-Jesu-Sonntag im Juni 1920 mit Spannung und mit Furcht entgegen.
Um dies erklären zu können, ist ein kurzer geschichtlicher Rückblick notwendig.
Die alljährlichen Herz-Jesu-Feiern Tirols gehen auf den Beschluss der Tiroler Landstände vom 1. Juni 1796 zurück, angesichts der drohenden Kriegsgefahr das Land mit einem Gelöbnis dem „Heiligsten Herzen Jesu“ anzuvertrauen und zu versprechen, in aller Zukunft das Fest des göttlichen Herzens Jesu als Festtag zu begehen. Dieses Gelöbnis rief damals einen großen Zustrom von Freiwilligen zu den Waffen hervor, die das Land erfolgreich verteidigten.
Andreas Hofer wiederholte 1809 vor der Bergisel-Schlacht dieses Gelöbnis.
Bis heute werden in Südtirol jedes Jahr am dritten Samstag oder Sonntag nach Pfingsten zur Bekräftigung des Bundes Tirols mit dem Herzen Jesu außer den Gottesdiensten auch Höhenfeuer entzündet und Prozessionen abgehalten. Die Höhenfeuer stehen in der Tradition der früheren „Kreidfeuer“, mit denen das Landesaufgebot zu den Waffen gerufen wurde.
Es entspricht dem geschichtlichen Ursprung dieses Brauchtums, dass es neben einem religiösen Bekenntnis auch eine Bekundung des Freiheitswillens des Landes ist.
Tausende von Flammen über den Tiroler Bergen
Aus diesem Grund sahen die italienischen Behörden den Herz-Jesu-Feiern, die nach dem Krieg nun im Jahre 1920 wiederum begangen werden sollten, mit äußerstem Argwohn entgegen.
Der Kaiserjägeroffizier des Ersten Weltkrieges, Träger der Goldenen Tapferkeitsmedaille, und kurzzeitige Tiroler Nationalratsabgeordnete der Republik Deutsch-Österreich, Dr. Eduard Reut-Nicolussi, schildert in seinem Buch „Tirol unterm Beil“, wie er die Herz-Jesu-Nacht des Jahres 1920 erlebte:
„Juninacht. Wie einen goldübersäten blausamtenen Mantel breitet sich das funkelnde Firmament über Tirol. Auch die Erde glimmt und leuchtet mit Tausenden von Flammen. Ist ein Sternenregen auf die Tiroler Berge niedergegangen? Sind unzählige Brände über Berg und Tal entzündet?
Ich stehe mit einer Gesellschaft auf dem Höhenweg von Lengmoos am Ritten. Wir schauen über das Land. Da ist keine Spitze, auf der nicht ein heller Schein aufblitzt, kein Hang, über den es nicht feurig sprüht. Ist es ein Gaukelspiel, eine Sinnestäuschung?
Nein, das ist eine Feier Tirols, Herz-Jesu-Sonntag, aus schwerer Kriegszeit her durch fromme Angelobung der Tiroler Stände geheiligt und alljährlich durch Feuer auf allen Höhen begangen. … Im alten Glanze flammt die Glut, auf Zinnen und Graten brennen Lichterreihen über Hänge und Felsabstürze. ….
In der Gesellschaft, die mit mir auf den Ritten gefahren ist, um dieses gewaltige Feuermeer tirolischer Begeisterung zu bewundern, befindet sich auch die Witwe eines österreichischen Offiziers, der auf dem Hochlande der sieben Gemeinden sein Grab hat. Sie gibt sich der Größe dieser sang- und feuererfüllten Juninacht hin. Nach einer Weile übermannt sie die Ergriffenheit und unter Tränen sagt sie mir: ‚Nun weiß ich wenigstens, wofür mein Mann sein Leben gelassen hat.‘“ (Eduard Reut-Nicolussi: „Tirol unterm Beil“, München 1930, S. 55f)
Die Italiener befürchten einen Volksaufstand
Reut-Nicolussi berichtet weiter: „Anders sahen die Italiener vom Tale herauf. Sie hatten schon vorher davon erfahren. Ein Rundschreiben der Tiroler Volkspartei war ihnen in die Hände gefallen, worin zur Wiederaufnahme des alten Brauches aufgefordert wurde. Der letzte Satz, der als poetischer Abschluss gedacht war, lautete: ‚Von Kufstein bis Salurn mögen die Flammenzeichen lodern, die Nacht unserer Knechtschaft erhellend.‘
Der Sekretär der Partei, ein jugendlich warm empfindender Mensch, hatte es geschrieben. Den Italienern flößten diese Worte große Besorgnisse ein: hier war etwas im Zuge, wahrscheinlich die Erhebung Tirols. Alle Karabinieristationen erhielten genaue Weisungen, dem Militär wurde Bereitschaft anbefohlen, und als der Herz-Jesu-Sonntag anbrach, standen vor der Bozener Pfarrkirche, im Hofe des Postgebäudes Maschinengewehre.“ (Eduard Reut-Nicolussi: „Tirol unterm Beil“, München 1930, S. 56)
„Marietta, du siehst mich nie wieder!“
Wie groß die Angst auf italienischer Seite war, schildert Reut-Nicolussi anhand eines Beispiels: „In der Familie eines italienischen Stabsoffiziers in Bozen wurde an diesem Tage ein freudiges Ereignis erwartet. Mitten in die Vorbereitungen platzte eine Ordonanz des Regimentskommandanten, der baldige Vater habe sich schleunigst in die Kaserne zu begeben, da strenge Bereitschaft angeordnet sei. In größter Bestürzung wirft sich der Offizier am Lager seiner Gattin nieder und nimmt herzzerreißenden Abschied: ‚Lebe wohl, Marietta, du siehst mich nie wieder!‘“ (Eduard Reut-Nicolussi: „Tirol unterm Beil“, München 1930, S. 62)
Wie auch die „Bozner Nachrichten“ später am 18. Juni 1920 berichteten, hatten italienische Militärpersonen „am Vorabend von ihren Angehörigen Abschied genommen …, als ob es in einen neuen Weltkrieg ginge; von 20.000 bis an die Zähne bewaffneten Bauern wurde gemunkelt“.
Infanterie und Maschinengewehre in Bozen
Wie die „Bozner Nachrichten“ vom 15. Juni 1920 berichteten, fand am 14. Juni 1920 in der Bozener Pfarrkirche ein feierlicher Gottesdienst statt. Die italienischen Behörden hatten den teilnehmenden Vereinen den Aufmarsch mit Fahnen verboten und „eine Infanteriekompanie mit Maschinengewehren aufgeboten, welche bei der Talferbrücke Aufstellung nahm.“
Die in Bozen erscheinende Tageszeitung „Der Tiroler“ berichtete am 15. Juni 1920 ebenfalls über die behördlichen Maßnahmen in Bozen: Aufgebot einer Kompanie mit Maschinengewehren, Carabinieri in voller Ausrüstung, Offiziere und Mannschaften mit schwerster Bewaffnung.
Die Bevölkerung in Bozen blieb friedlich
Die Bevölkerung Bozens blieb jedoch friedlich, wie die „Bozener Nachrichten“ vom 15. Juni 1920 weiter berichteten. „Anlässlich des Herz-Jesu-Festes war auch nach altem Brauch eine Bergbeleuchtung zu erwarten. Eine ungeheure Volksmenge zog hinaus zur Talferbrücke, zur Wassermauerpromenade und anderen Aussichtspunkten, um sie dieses seltene Schauspiel anzusehen. Gegen 10 Uhr abends leuchtete es auf in zauberischem Glanze. Herrlich schön lag sie da, die Bergwelt, die Bozens paradiesischen Kessel umschließt.
Mächtig lohende Feuer, feurige Herzen und Kreuze und dazwischen das Zischen der Raketen und der Böller. … Bis gegen Mitternacht leuchteten die Flammenzungen ins Etschtal herein, dann ward es wieder stille, jedoch beim Volke bleibt die süße Erinnerung im Herzen. Der Ehrentag Tirols war vorüber.“ („Bozener Nachrichten“ vom 15. Juni 1920)
Schikanen, willkürliche Verhaftungen – Aufbegehren des Volkes in Tramin
Wie die Bozener Tageszeitung „Der Tiroler“ am 17. Juni 1020 meldete, war es in mehreren Orten Südtirols zu behördlichen Schikanen gekommen. Die Behörden wagten angesichts der Stimmung im Lande nicht mehr, gegen die Veröffentlichungen mit der Zensur vorzugehen. So konnte die Zeitung berichten: „Verbot um Verbot wurde aus den Trientiner Kanzleien nach Südtirol herausgespien. Das Führen von Fahnen in den Landesfarben, Pöllerschießen, Musik, Prozessionen, ja an einem Ort sogar die Abhaltung des feierlichen Gottesdienstes – wurden von den Carabinieri untersagt.“ Die Carabinieri hätten vielfach gegenüber der Bevölkerung erklärt: „Wir sind Carabinieri und können tun, was wir wollen.“ Die Carabinieri nahmen zahlreiche willkürliche Verhaftungen vor.
In Tramin wurde am 12. Juni 1920 eine Reihe von Bürgern verhaftet. Dagegen gab es ein Aufbegehren des Volkes. „Der Tiroler“ berichtete am 17. Juni 1920, dass der Zeitung Folgendes schriftlich mitgeteilt worden sei: „Als der Fackelzug … auf dem Rathausplatze sein Ende fand, blieb die Menge beisammen, demonstrierte vor der im Rathause untergebrachten Wachstube der Carabinieri, indem unter starker Erregung die Freigabe der Verhafteten gefordert wurde. Es mochten ungefähr 2.000 Mann beisammen gewesen sein. Da begingen die Carabinieri die Unklugheit mit aufgepflanztem Bajonett die Wachstube zu verlassen und davor mit Gewehr fertig Aufstellung zu nehmen. Als der Kommandant nun die Menge aufforderte, sich augenblicklich zu zerstreuen, widrigenfalls das Feuer eröffnet werden würde, erreichte die Erregung der Menge ihren Höhepunkt. Die allgemeine Erbitterung über dieses unwillkürlich als Herausforderung aufgefasste Vorgehen der Carabinieri kam mit elementarer Gewalt zum Durchbruch. Es flogen Steine gegen die Carabinieri, die sich auf das hin wieder in ihre Wachstube zurückzogen und die Eingangstür abriegelten.“
Auf Intervention des Bürgermeisters wurde lediglich ein Häftling freigelassen. „Im Ganzen wurden am Sonntag 16 Verhaftungen vorgenommen. Um 1 Uhr nachts wurden die Verhafteten nach Neumarkt abtransportiert.“ Insgesamt wurden in Tramin an die 30 Personen verhaftet. („Der Tiroler“ vom 17. Juni 1920)
Die Verhafteten wurden zum Teil misshandelt, wie die „Bozener Nachrichten“ nach der Freilassung mehrerer Verhafteter am 23. Juni 1920 berichteten:
Branzoll: Schüsse auf Gäste im Gastgarten
In Branzoll wurden am Herz-Jesu-Sonntag der Gemeindevorsteher und fünf junge Männer verhaftet. In der Carabinieri-Kaserne wurden sie an eine Kette gehängt und mussten so die Nacht verbringen, bis sie am nächsten Tag in Ketten nach Trient abtransportiert wurden. Am Abend kam es zwischen einem Einheimischen und einem Leutnant namens Telaro zu einer Auseinandersetzung. Dieser zog seine Pistole und feuerte auf Gäste im Garten des Restaurants mehrere Schüsse ab, wobei er einen Gast verletzte. Daraufhin verdroschen einige junge Männer den Leutnant.
„Der Tiroler“ am berichtete 17. Juni 1920 darüber: „Abends gab es Schießerei mit Revolver und Gewehren. Den Anfang dazu hat der Leutnant gemacht, indem er mit seiner Pistole auf die Gäste in den Garten des Bahnhofsrestaurants einigemale hineingefeuert hat. Verwundeter wurde bisher einer gemeldet. Der Offizier wurde verprügelt.“
In Branzoll kam es daraufhin zu zahlreichen Verhaftungen
70 Verhaftete nach den Herz-Jesu-Feiern – Haft unter schlimmen Bedingungen
Am 18. Juni 1920 berichteten auch die „Bozener Nachrichten“ unter dem Titel „Unverantwortlichkeiten“ über Ausschreitungen der italienischen Behörden anlässlich der Herz-Jesu-Feiern. Es seien an die 70 Verhaftungen vorgenommen worden. Die Verhafteten seien in Ketten nach Trient verschleppt worden.
Ein Teil der Verhafteten wurde nach einigen Tagen wieder freigelassen. Andere verblieben jedoch in Haft und zwar unter unwürdigen Bedingungen, wie das „Tiroler Volksblatt“ vom 29. Juni 1920 berichten musste:
„Das Gesetz ist für Alle gleich“
In italienischen Gerichtssälen prangt üblicherweise über dem Richterstuhl die Inschrift „La Legge e uguale per tutti“ – „Das Gesetz ist für Alle gleich“.
Das stimmt natürlich auf dem Papier. Es gibt nur ein Strafgesetzbuch. Eine andere Frage ist freilich die Anwendung dieses Gesetzes. Und diese fällt manchmal ein wenig unterschiedlich aus. In diesem Fall ging es um die gerichtliche Rechtfertigung der italienischen Repressionsmaßnahmen und um die Schuldzuweisungen an die Südtiroler.
Am 3. September 1920 begann in Schwurgerichtssaal des Gerichtes in Trient die Hauptverhandlung gegen 18 Traminer „wegen des Verbrechens der öffentlichen Gewalttätigkeit“, wie die „Bozner Nachrichten“ am 5. September 1920 berichteten. Es ging vor allem um die Teilnahme an der Demonstration gegen die Carabinieri-Kaserne. Der Staatsanwalt sprach von einer „Revolte“, die vorbereitet worden sei.
Die Tageszeitung „Der Tiroler“ berichtete am 5. September 1920 über den Prozess: „Trotz aller Bemühungen des Vorsitzenden, die Angeklagten dahin zu bringen, weitere belastende Aussagen zu machen, gelingt ihm dies nicht. Die Angeklagten betonen immer wieder ihre völlige Unschuld. Sie erklären klipp und klar, dass sie an den Vorgängen in keiner Weise beteiligt waren. Sie haben zwar gesehen, wie Steine flogen, gehört, dass die Leute gegen die Carabinieri Schimpfworte ausstießen, seien aber nicht imstande, auch nur einen Namen zu nennen.“
Das Gericht verurteilte 10 Angeklagte zu Strafen zwischen 5 und 7 Monaten schweren Kerkers, „mit monatlicher einmaliger Abschließung“, wie „Der Tiroler“ vom 5. September 1920 zu berichten wussten. Ein Angeklagter wurde freigesprochen, die restlichen Angeklagten wurden zu jeweils ein bis zwei Wochen Haft verurteilt.
Am 7. Dezember 1920 kommentierte „Der Tiroler“ unter dem Titel „Gerechtigkeit“ das Urteil: „Nicht umsonst haben wir stets schärfsten Protest eingelegt, dass Leute aus unserem Lande als Gefangene durch die Straßen Trients geschleppt und vor trentinische Gerichtshöfe geschleift werden. Nicht umsonst haben wir darauf hingewiesen, dass wir nicht das mindeste Vertrauen in die Trentiner Justiz haben können.“ Der Staatsanwalt Grandi habe vor Gericht erklärt: „Er wolle die Herren vom Gerichtshofe nicht mit Einzelheiten über die Schuld jedes Angeklagten aufhalten.“
Der vorsitzende Richter namens Guido Emer sei „seinerzeit einer der geheimen irredentistischen Führer“ in Trient gewesen, schrieb die Zeitung.
„Als Hasser des Deutschtums stand er schon vor dem Kriege bei seinen Landsleuten in hohem Ruf. Während des Krieges wurde er in gerichtliche und ehrengerichtliche Untersuchung gezogen. Daher war er offenbar … der geeignetste Mann, um einem Prozess mit politischem Gepräge gegen die den Trentinern so verhassten Südtiroler vorzustehen. … Junge Burschen werden in das Verließ geworfen, obwohl die Aussagen der Entlastungszeugen dartaten, dass die Behauptungen, auf welche die Anklage sich gründete, auf durchaus schwachen Füßen standen. … Aber freilich, wozu bedarf es juristische Gründe: es ist ein Verbrechen, ein Südtiroler zu sein und sich als solcher zu fühlen.“
„Der Tiroler“ schloss mit den Worten: „Wir lassen uns aber dadurch nicht beugen. Wir widerstehen schmeichelnden Lockungen wie brutaler Gewalttätigkeit mit jener Ruhe und Kraft, die uns das Vertrauen auf unser gutes Recht verleiht.“
Am 2. Dezember 1920 wurden von dem Schwurgericht in Trient in einem weiteren Prozess vier Branzoller zu Strafen „schweren verschärften Kerkers“ zwischen 10 Monaten und 3 Jahren verurteilt. Wie die „Bozner Nachrichten“ am 4. Dezember 1920 berichteten, hatte der Staatsanwalt „die Demonstration als eine der Folgen der antiitalienischen Politik des alten Österreich sowie der Aufreizung durch die südtirolischen Pangermanisten“ bezeichnet.
Diese Ereignisse des Jahres 1920 waren der Beginn des Weges in eine schlimme Knechtschaft. Bald setzte auch die Zensur wieder ein. Die von der Zeitung „Der Tiroler“ beschworene Unbeugsamkeit der Südtiroler sollte in den kommenden Jahren des Faschismus auf die härtesten Proben gestellt werden – sich letztendlich aber bewähren.