Unter diesem Titel nahm der „Südtiroler Heimatbund“ (SHB), eine von ehemaligen Freiheitskämpfern und politischen Häftlingen gegründete Vereinigung, welche für die Selbstbestimmung Südtirols eintritt, Stellung gegen ein Vorhaben eines hohen Kirchenfürsten.
Es handelt sich um den niederösterreichischen St. Pöltener Diözesanbischof Dr. Alois Schwarz, welcher auf seiner Internetseite angekündigt hat, einen nicht unumstrittenen österreichischen Politiker als „Seligen“ kirchlich verehren zu lassen.
Diese Mitteilung wurde zunächst unkommentiert von zahlreichen Medien übernommen, darunter auch von der Südtiroler Tageszeitung „Dolomiten“.
Daraufhin veröffentlichte der „Südtiroler Heimatbund“ (SHB) nachstehenden Pressedienst, der hier vollständig wiedergegeben ist:
Laut Medienberichten und eigenen Äußerungen auf seiner Internetseite hat der St. Pöltener Diözesanbischof Dr. Alois Schwarz die Absicht, den ehemaligen österreichischen Bundeskanzler und Außenminister Leopold Figl in den Stand der „Seligen“ erheben zu lassen. Aus diesem Anlass hat der „Südtiroler Heimatbund“ einen „Offenen Brief“ an den Bischof gerichtet. Dieser lautet:
Sehr geehrter Herr Bischof!
Den Medien und der Internetseite Ihrer Diözese entnehmen wir, dass Sie den Seligsprechungsprozess für den ehemaligen österreichischen Bundeskanzler und Außenminister Leopold Figl eingeleitet haben.
Wir Südtiroler haben in mehreren Jahrzehnten unsere Erfahrungen mit Politikern gemacht und warnen davor, diese religiös verehren zu lassen.
Auch Leopold Figl hatte verschiedene Seiten, die nicht alle positiv zu werten sind.
In der Zeit des austrofaschistischen Ständestaates war der Direktor des „Reichsbauernbundes“ Leopold Figl zugleich Gauführer der „Ostmärkischen Sturmscharen“ in Niederösterreich.
Die „Sturmscharen“ waren eine schwer bewaffnete, christlichsoziale Bürgerkriegstruppe, die auch rassistisch antisemitisch ausgerichtet war.
Wie das österreichische Magazin „PROFIL“ vom 14. Mai 2015 berichtete, beschossen die „Ostmärkischen“ Sturmscharen im Bürgerkrieg des Jahres 1934 die Arbeiterwohnungen in den Gemeindebauten am Gaudenzdorfer Gürtel in Wien-Meidling. „Sturmschärler“ fungierten in der Folge auch als Bewacher im Anhaltelager Wöllersdorf. (Siehe: „Schuschniggs Sturmschar“, in: „Der Standard“ vom 23. April 2004)
Unter dem NS-Regime wurde Figl dann selbst ins Konzentrationslager eingesperrt, machte eine schlimme Zeit mit und wurde schwer misshandelt.
Nach dem Krieg begann seine neuerliche politische Karriere als Parteiobmann der ÖVP und Bundeskanzler der Republik Österreich.
Er blieb leider seinem alten Gedankengut treu. Das „PROFIL“ vom 14. Mai 2015 berichtete darüber: Er versammelte „am 25. Juli 1945 ehemalige Dollfuß-Mitarbeiter in seiner Wohnung, um an dessen elftem Todestag des Putsch-Kanzlers zu gedenken. ‚Wir bleiben treu‘, schreibt man danach ins Gästebuch.“
Über Figls Einstellung gegenüber jüdischen NS-Opfern berichtete das „PROFIL“: „Leopold Figl wird in seiner ersten Amtszeit als Kanzler immer wieder mit jüdischen Restitutionsforderungen konfrontiert, stets vorgetragen von der amerikanischen Besatzungsmacht. Figl ist selbst ein Opfer, vielleicht fehlt es ihm gerade deshalb an Empathie. Als etwa im Jänner 1947 wieder einmal eine Forderung im Ministerrat diskutiert wird, meint er: ‚Die Juden wollen halt rasch reiche Leute werden. Die Österreicher sind nicht so geschäftstüchtig.‘“
Zu Figls Verhalten in der Südtirol-Frage gibt es Einiges anzumerken: In der Zeit des Austrofaschismus hatte die Wiener Regierung Südtirol der Freundschaft mit dem faschistischen Regime in Rom geopfert.
Figl setzte diese Politik fort, die nun den Interessen der Westmächte diente, welche die Politik Roms unterstützten, um Italien rasch in das westliche Militärbündnis einbinden zu können.
Die aus ehemaligen KZ-Gefangenen und politischen Häftlingen gebildete ÖVP-Kameradschaft „Bund demokratischer Freiheitskämpfer Österreichs“ verfolgte eine andere Linie und übermittelte am 31. Mai 1946 dem Bundeskanzler eine Resolution, in welcher die „Wiedergutmachung des 1919 an Österreich verschuldeten Unrechts, begangen durch die Widerrechtliche und widernatürliche Lostrennung Südtirols und des Canaltales“ verlangt wurde.
Figl ignorierte diese Initiative seiner ehemaligen Schicksalsgenossen. Vielmehr ließ Figl den italienischen Ministerpräsidenten Degasperi durch einen Vertrauensmann insgeheim darüber informieren, dass die Regierung in Wien sich mit einer Autonomielösung zufrieden geben würde, während offiziell noch die Selbstbestimmung verlangt wurde. Es gab in der Folge mehrere Geheimtreffen Figl-Degasperi, auf denen diese Politik mit Übergehung der Volksvertretung und Regierungsinstanzen abgesprochen und vertieft wurde. Der Öffentlichkeit gegenüber betonte Figl jedoch immer wieder, dass ihm Südtirol ein Herzensanliegen sei.
Im Jahre 1956, als Italien seine Entnationalisierungspolitik in Südtirol hemmungslos auf die Spitze trieb, löste der Außenminister Figl eine Welle der Empörung in Österreich und Südtirol aus, als er bei einem Staatsbesuch in Rom erklärte, dass das was Österreich von Italien trenne „unendlich geringfügig“ sei „gegenüber dem, was uns eint.“ (Siehe: „Dolomiten“ vom 17. März 1956)
Sehr geehrter Herr Bischof! Wir wissen, dass Politiker auch oft unter Druck und Zwang gegen ihr eigenes Gewissen handeln. Bitte erheben Sie eine umstrittene Person wie Leopold Figl aber nicht auf das Verehrungspodest eines „Seligen“. Er war ein vielfach irrender Mensch mit guten und schlechten Seiten. Seine Verehrung würden zumindest hier bei uns in Tirol viele Gläubige nicht verstehen. Und bitte präsentieren Sie keine übernatürlichen „Wunder“, welcher dieser Mann bewirkt haben soll!
Mit vorzüglicher Hochachtung!
Roland Lang
Obmann des Südtiroler Heimatbundes (SHB)
Nachtrag der Redaktion des SID zu der Presseaussendung des „Südtiroler Heimatbundes“ (SHB):
Figl hatte nach der Machtübernahme Hitlers in Österreich Schweres zu erleiden. Die zeitgeschichtliche Forschung hat darüber berichtet:
Als führender Funktionär des Ständestaates wurde er am 12. März 1938 verhaftet und am 1. April in das KZ Dachau überstellt. Dort wurde er einer Prügelstrafe unterzogen. Er wurde über einen Prügelbock gelegt und mit einem mit Wasser getränkten Ochsenziemer 25mal auf den Rücken geschlagen. Als diese fürchterliche Tortur zu Ende war, lag er bewusstlos und zerschlagen auf dem Bock. An den Spätfolgen dieser Brutalität litt er ein Leben lang. Er erhielt zusätzlich 6 Monate Dunkelhaft in einer fensterlosen Zelle mit nur zweimal wöchentlich Wasser und Brot. 1945 entging er einer Anklage wegen Hochverrats Gott sei Dank durch den Zusammenbruch des NS-Systems.
Ihm gebührt angesichts dieses Leidens ehrendes Gedenken, so wie auch Millionen weiterer Opfer der NS-Diktatur und anderer totalitärer Regime, deren Erhebung in den Stand der kirchlich „Seligen“ nicht erwogen wird. Es ehrt Leopold Figl, dass er als Politiker nach dem Krieg nicht an Rache dachte, sondern den Weg der Aussöhnung beschritt. Es schmälert seine Verdienste nicht, wenn auch darauf hingewiesen wird, dass er als Kind turbulenter Zeiten sich als das erwiesen hat, was wir wohl alle sind: Als Mensch, der auch irren und mitunter falsche Wege einschlagen kann.
Politisches Handeln muss der freien Erörterung zugänglich sein und auch der Kritik unterliegen können. Das ist das Wesen der Demokratie. Es sollte daher auch nicht unter den Schutzschirm einer religiösen „Seligkeit“ gestellt werden.
Für die Redaktion des SID:
Georg Dattenböck
Wie Leopold Figl im Sinne der Westalliierten hinter dem Rücken seiner eigenen Landsleute eine Geheimdiplomatie mit Rom betrieb, die gegen die Südtiroler Selbstbestimmung gerichtet war und die auf die endgültige Zuerkennung Südtirols an Italien abzielte, ist in einem zeitgeschichtlichen Werk unter Wiedergabe bislang unbekannter Dokumente eingehend beschrieben:
Helmut Golowitsch:
„Südtirol – Opfer für das westliche Bündnis“
Schriftenreihe zur Südtiroler Zeitgeschichte, Band I
Leopold Stocker Verlag, Graz- Stuttgart 2017
ISBN 978-3-7020-1708-8