Bild Ortstafel: Südtiroler Schützenbund
Traurige Jubiläen als Anlass für eine repräsentative Meinungsumfrage mit Aufsehen erregendem Ergebnis
Vor 98 Jahren trat am 23. März 1923 das von dem faschistischen Diktator Benito Mussolini und dem italienischen König unterzeichnete Königliche Dekret Nr. 800 in Kraft, welches den Südtiroler Gemeinden amtliche italienische Namen verpasste, die zum Großteil von dem faschistischen Ortsnamensfälscher und pseudowissenschaftlichen Scharlatan Ettore Tolomei frei erfundenen worden waren. 1940 sollte ein Mussolini-Dekret diese Rechtslage nochmals bestätigen und an die 8.000 zum größten Teil erfundene italienische Orts- und Flurnamen als verbindlich und amtlich erklären.
Am 8. August 1923 wurden mit einem faschistischen Dekret die Bezeichnungen „Süd-Tirol“, „Deutschsüdtirol“, „Tirol“, „Tiroler“ und sämtliche übrige Ableitungen verboten. Dies geschah in Durchführung der vom Großrat des Faschismus am 12. März 1923 beschlossenen „Maßnahmen für das Hochetsch zum Zwecke einer geordneten, schnellen und wirksamen Aktion zur Assimilierung und Italianisierung“. Einzig und allein für zulässig erklärt wurden die Bezeichnungen „Alto Adige“ und „Atesino“ sowie die entsprechenden deutschen Rückübersetzungen „Oberetsch“ und „Etschländer“.
Roland Lang ist Obmann des „Südtiroler Heimatbundes“ (SHB), einer von ehemaligen Südtiroler Freiheitskämpfern und politischen Häftlingen gegründeten Vereinigung, welche für die Erhaltung der Identität und für das Recht Südtirols auf Selbstbestimmung eintritt.
Er und seine Mitstreiter wollten wissen, wie die Italiener von heute über die faschistische Ortsnamensgesetzgebung denken, die unverständliche Weise noch immer in Kraft ist. Der SHB beauftragte daher das renommierte italienische Meinungsforschungsinstitut „Demetra“ mit der Erstellung einer repräsentativen Umfrage in ganz Italien, mit Ausnahme der Region Trentino-Südtirol.
Ein sensationelles Ergebnis
FRAGE 1
Wären Sie damit einverstanden, wenn auch in der Autonomen Provinz Bozen die faschistischen Ortsnamendekrete abgeschafft würden, damit die ursprünglichen Namen wiederhergestellt werden?
FRAGE 2
Wären Sie damit einverstanden, wenn, anstelle des für die autonome Provinz Bozen verwendeten Namens „Alto Adige“, offiziell im Italienischen der authentische Name „Sudtirolo“ verwendet würde?
Die Antworten ergaben ein klares Bild. Erstens wären 65 Prozent der Befragten mit der Abschaffung der faschistischen Ortsnamendekrete und der folglich amtlichen Wiederherstellung der historisch fundierten Ortsnamen einverstanden. Ebenso einverstanden wären, zweitens, 60 Prozent mit dem amtlichen Gebrauch von „Sudtirolo“ anstelle von „Alto Adige“.
Nun ist die Landespolitik gefordert
In einer Pressemitteilung stellte der Heimatbundobmann Roland Lang fest, dass er in dem Ergebnis seine Vermutung bestätigt sieht, dass die Italiener, besonders jene außerhalb Südtirols, einer Lösung der Ortsnamenfrage im historischen und wissenschaftlichen Sinne durchaus offen gegenüberstehen. Die Meinung, dass die Italiener mehrheitlich an den faschistischen Dekreten und an den ebensolchen Ortsnamen festhalten wollen, sei mit dieser Umfrage klar widerlegt, freut sich Lang. Nun gehe es darum, dass auch die Landesregierung und insbesondere die Verantwortlichen im Tourismus Mut und Weitsicht zeigen, indem sie vermehrt auf die authentischen Ortsnamen inklusive „Sudtirolo“ setzen und auf die Faschismus-lastigen und nur scheinbar italienischen Ortsnamen, angefangen bei „Alto Adige“, verzichten.
Das Ergebnis liegt als Broschüre vor
Zu diesem Zweck hat der Heimatbund eine Broschüre herausgebracht, in der die exakte Fragestellung der Umfrage nachzulesen ist und deren Antworten nach Gebiet, Geschlecht, Alter und Bildungsgrad der Befragten aufgeschlüsselt sind. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass die Zustimmung zur Abschaffung der faschistischen Ortsnamendekrete und zur Wiederherstellung der authentischen Ortsnamen inklusive des Gebrauchs von „Sudtirolo“ mit steigendem Bildungsgrad der Befragten ebenso ansteigt. Auch enthält die Broschüre die wesentlichsten Hintergrundinformationen zur Thematik. Sie wurden vom Südtiroler Ortsnamenexperten Cristian Kollmann ausgearbeitet.
Der Südtiroler Heimatbund wird die Broschüre den politischen Verantwortlichen und den Tourismusverbänden zukommen lassen. „Die Broschüre möge den Entscheidungsträgern als Argumentationshilfe dienen und sie zur Überzeugung gelangen lassen, dass es auch im Bereich der Ortsnamengebung auf Authentizität und nicht auf Aufgesetztheit ankommt, und dass dies von den Italienern mehrheitlich begrüßt würde“, sagt Roland Lang.
Die vollständige Broschüre kann auf der Internetseite des Südtiroler Heimatbundes (SHB) eingesehen werden:
https://www.suedtiroler-freiheitskampf.net/mehrheit-der-italiener-gegen-faschistische-ortsnamendekrete-und-fuer-sudtirolo/
Ein Kommentar zum Ergebnis der Umfrage
Warum stellt die Ortsnamengebung in Südtirol überhaupt ein Problem dar, und wie könnte dieses Problem gelöst werden?
Der Südtiroler Ortsnamenexperte Dr. Cristian Kollmann versucht, auf diese Fragen Antworten zu finden.
Deutschland = Germania, Südtirol = Alto Adige?
Südtirol ist offiziell ein dreisprachiges Land. Daher ist es nur folgerichtig, wenn sich die Dreisprachigkeit auch in der Ortsnamengebung widerspiegelt. Dies ist landläufig die Meinung vieler Bürger – innerhalb und außerhalb Südtirols.
Auf den ersten Blick und ohne Kenntnis der historischen Hintergründe ist man sicher geneigt zuzustimmen. Südtirol heißt auf Italienisch „Alto Adige“, so wie z.B. Deutschland auf Italienisch „Germania“ heißt.
Doch so einfach ist die Sachlage dann doch nicht. „Germania“ ist seit alters der im Italienischen verwendete Name für Deutschland und geht direkt auf das Lateinische zurück.
„Alto Adige“ dagegen klingt zwar italienisch, hat aber einen ideologischen Hintergrund. Mit diesem Begriff sollte unter dem Faschismus und soll de facto bis heute aus italienischer Sicht die Existenz eines Tiroler Landesteiles auf italienischem Staatsgebiet in Abrede gestellt werden.
„Alto Adige“, das ins Deutsche rückübersetzt „Hochetsch“ oder „Oberetsch“ bedeutet, steht für das Konzept der irredentistischen Naturgrenztheorie: Die Etsch fließt vom Alpenhauptkamm gen Süden und mündet in die Adria. Das Gebiet der „hohen“ oder „oberen“ Etsch gehört somit naturgemäß zu Italien. Im italienischen Staatsgebiet darf es kein „Tirolo“ geben. Der Name „Südtirol“ hingegen entstand ursprünglich als Teilbezeichnung des Landes Tirol. Entsprechend wurde der südliche Tiroler Landesteil im Italienischen selbstverständlich als „Tirolo meridionale“ (ab der ersten Hälfte des 18. Jhs.), „Tirolo del Sud“ (ab der ersten Hälfte des 19. Jhs.) oder „Sudtirolo“ (ab der 2. Hälfte des 19. Jhs.) bezeichnet.
Tirol war nie einsprachig.
Ja, Südtirol ist offiziell ein dreisprachiges Land. Überhaupt war Tirol in seiner gesamten Geschichte, auch schon in vorrömischer Zeit, nie einsprachig. Aber ebenso ist es wahr, dass speziell das Gebiet des heutigen Südtirols, nie flächendeckend deutsch-italienisch besiedelt war. Dies ist es de facto bis heute nicht.
Die faschistischen Ortsnamendekrete.
Um eben den Eindruck zu erwecken, dass das Gebiet des heutigen Südtirols kontinuierlich seit der Römerzeit flächendeckend romanisch bzw. italienisch besiedelt sei, wurden während der Zeit des italienischen Faschismus Dekrete erlassen, mit denen für die neu eroberte Provinz „Alto Adige“ italienische Ortsnamen festgelegt wurden. So wurden beispielsweise am 8. August 1923 die Bezeichnungen Süd-Tirol, Deutschsüdtirol, Tirol, Tiroler und sämtliche übrige Ableitungen verboten. Dies geschah in Durchführung der vom Großrat des Faschismus am 12. März 1923 beschlossenen „Maßnahmen für das Hochetsch zum Zwecke einer geordneten, schnellen und wirksamen Aktion zur Assimilierung und Italianisierung“. Einzig und allein für zulässig erklärt wurden die Bezeichnungen Alto Adige und Atesino sowie die entsprechenden deutschen Rückübersetzungen Oberetsch und Etschländer. Mit drei weiteren Dekreten (1923, 1940, 1942) wurden insgesamt über 10.000 Orts- und Flurnamen in italienischer Sprache festgelegt, wobei diese Namen größtenteils Konstruktionen oder, auf der Grundlage alter, meist mittelhochdeutscher Belege, Rekonstruktionen darstellten. Die seit Jahrhunderten kontinuierlich überlieferten und historisch entwickelten deutschen und ladinischen Orts- und Flurnamen blieben außer Acht und wurden folglich amtlich nicht zugelassen.
Deutsche und ladinische Namen sind immer noch nicht amtlich.
An der Situation der Südtiroler Ortsnamengebung hat sich – trotz Pariser Vertrags und Südtiroler Autonomiestatuts – bis heute de iure nichts geändert. De facto dürfen die deutschen und ladinischen Ortsnamen auf Landesebene zwar verwendet werden, doch wurde deren Amtlichkeit nie mit einem Landesgesetz bestätigt. Umgekehrt wird die Existenz der deutschen und ladinischen Ortsnamen vom Staat Italien mittlerweile zwar nicht mehr bestritten, gleichzeitig wird jedoch signalisiert, dass die faschistischen Ortsnamendekrete und damit die größtenteils nur zum Schein italienischen Ortsnamen nicht in Frage gestellt werden dürfen.
Das Aostatal zeigt, wie es geht.
Dabei gibt es in Italien eine Region, die gezeigt hat, dass es auch anders geht: Die autonome Region Aostatal, die offiziell zweisprachig französisch-italienisch ist. Die aostanische Ortsnamengebung ist jedoch, bis auf den Namen der Hauptstadt Aoste/Aosta, ausschließlich Französisch und somit, im Gegensatz zur Ortsnamengebung in Südtirol, durchwegs authentisch.
Zwar wurden im Aostatal, ähnlich wie in Südtirol, im Jahr 1939 mit einem faschistischen Dekret die autochthonen Ortsnamen verboten und durch neue italienische ersetzt, doch unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg wurden die konstruierten italienischen Ortsnamen in mehreren Etappen abgeschafft und die historisch fundierten Namen wieder hergestellt. Seit 1987 ist dieser Prozess abgeschlossen. Dennoch bleibt das Aostatal offiziell eine zweisprachige Region, aber die offizielle Ortsnamengebung gibt es historisch bedingt nur auf Französisch und nur in wenigen Ausnahmen zusätzlich auf Italienisch.
Man sieht hier sehr deutlich: Mehrsprachigkeit der Bevölkerung oder eines Gebiets bedeutet nicht automatisch Mehrsprachigkeit in der Ortsnamengebung. Dasselbe gilt für das Gebiet des heutigen Südtirols. Doch die Ortsnamengebung harrt hier bis heute einer Lösung. Das Aostatal hat gezeigt, wie es geht. Für eine äquivalente Lösung in Südtirol bedarf es „nur“ historischen Wissens, kulturellen Bewusstseins, politischen Willens und Mutes. Das Ergebnis der Umfrage zeigt sehr deutlich: Die Italiener würden einer Lösung der Ortsnamenfrage klar mehrheitlich aufgeschlossen gegenüberstehen.
Dr. Cristian Kollmann