Letzter Abschied von Florian Weissteiner – dem Vorletzten der „Pfunderer Buam“

Am 10. April 2023 verstarb Florian Weissteiner in Obervintl im Pustertal im Alter von 86 Jahren. Er war der vorletzte noch Lebende der sieben „Pfunderer Buam“, die 1956 verhaftet, schwer misshandelt und 1957 und 1958 einem unglaublichen Justizverfahren unterworfen worden waren.

 

Roland Lang, der Obmann des „Südtiroler Heimatbundes“ (SHB), drückte in einem Schreiben der Familie sein Mitgefühl aus und veröffentlichte dann eine Dokumentation, die nachstehend wiedergegeben ist.

Dokumentation:

Politische Justiz im Nachkriegs-Italien – Was Florian Weissteiner und seine Freunde erleiden mussten

In der Nacht des 15. August 1956 waren 7 junge Bauernburschen in Pfunders, einem kleinen Gebirgsort in einem Seitental des Pustertals, vor einer Arbeiterkantine in eine Rauferei mit zwei italienischen Finanzern geraten, die wie sie vorher ausgiebig in der Kantine gezecht hatten. Einer der Finanzer, der schwer alkoholisierte Raimondo Falqui, war davon gerannt und in der Dunkelheit von einer Brücke ohne Geländer 3 Meter tief in den ausgetrockneten und mit Felsbrocken ausgestatteten Roanerbach gestürzt.

Von dieser Brücke ohne Geländer war der schwer alkoholisierte Raimondo Falqui in den ausgetrockneten Roanerbach gestürzt. (Bild aus der Illustrierten „DER STERN“.)
Von dieser Brücke ohne Geländer war der schwer alkoholisierte Raimondo Falqui in den ausgetrockneten Roanerbach gestürzt. (Bild aus der Illustrierten „DER STERN“.)

Bei seinem Sturz hatte sich Falqui offensichtlich an einem Stein die Stirne eingeschlagen. Die spätere Untersuchung ergab, dass Falqui 1,7 Promille Alkohol im Blut gehabt hatte, also schwer betrunken gewesen war.

Die vor der Kantine Zurückgebliebenen hatten Falquis Sturz nicht mitbekommen und gingen ebenso wie dessen Kollege nach Hause und schliefen ihren Rausch aus. Am nächsten Tag wurden die 7 Burschen als „Mörder“ verhaftet. Bereits die Ermittlungen wurden so geführt, dass sie eine Mordanklage stützen sollten.

* Die Voruntersuchung wurde durch keine Mordkommission durchgeführt, sondern nur durch einfache Carabinieri.

* Es wurden keine Spuren am „Tatort“ erhoben und dadurch auch der Stein, an dem sich Falqui bei seinem Sturz mutmaßlich den Schädel eingeschlagen hatte, nicht als Beweismittel gesucht und gesichert.

* Die Leiche wurde ohne jede Spurensicherung abtransportiert und es wurde nicht einmal der Fundort dokumentiert.

* Dadurch konnten später widersprüchliche Angaben über die Fundstelle der Leiche nicht abgeklärt werden.

* Der Gemeindearzt von Rasen-Olang, Dr. Karl Kofler, welcher den eingetretenen Tod des Falqui feststellte und als Erster dessen mutmaßlich durch den Sturz in das Geröll des Bachbetts verursachte Kopfverletzung sah, wurde trotz Antrags der Verteidigung in beiden Instanzen nicht als Zeuge vor Gericht zugelassen und nicht einvernommen. Die Begründung: Das Gericht wisse ohnehin, dass er nichts Sachdienliches auszusagen habe.

* Die Einvernahme einiger anderen wichtigen Zeugen wurde ebenfalls abgelehnt.

* Der Gerichtsmediziner Professor Franchini stellte in seinem Obduktionsbefund fest, dass Falqui bei der vorangegangenen Schlägerei nur geringfügige und oberflächliche Verletzungen wie Hautabschürfungen und Blutergüsse erlitten hatte. Lediglich eine einzige Verletzung am Schädel war die tödliche gewesen und so beschaffen gewesen, dass sie mutmaßlich von einem Sturz mit Aufschlag auf einen Stein herrührte. Professor Franchini kam daher in seiner Untersuchung zu dem Schluss, dass die wissenschaftlich annehmbarste Hypothese diejenige sei, dass Falqui in das Bachbett gestürzt sei und sich dabei an einem Stein die tödliche Schädelverletzung zugezogen habe.

* Professor Franchini stellte im Blut des Toten einen Alkoholgehalt von 1,7 Promillen fest und erklärte in seinem Befund, dass Falqui sich im Zustand einer „akuten alkoholischen Intoxikation“ befunden und zum Zeitpunkt seines Wegrennens in die Dunkelheit mit größter Wahrscheinlichkeit an Gleichgewichtsstörungen gelitten hatte.

Über dieses Untersuchungsergebnis des amtlich bestellten Gerichtsmediziners setzte sich das Gericht einfach hinweg.

Die „Pfunderer Buam“ waren Opfer – nicht Täter!

Die These der Vernehmenden und später des Gerichtes lautete, dass Falqui zu Tode geprügelt und dann in das Bachbett geworfen worden sei. Daher wurden die Burschen, wie sie später vor Gericht aussagten, so lange geschlagen, bis sie die italienischen Protokolle, deren Inhalt sie nicht verstanden, unterschrieben hatten. Diese Protokolle enthielten „Geständnisse“, die zur Grundlage der Verurteilung der Burschen wurden.

Der Prozess gegen die Pfunderer Burschen begann am 8. Juli 1957 und fand vor dem Schwurgericht in Bozen statt.

In Ketten wurden die Pfunderer Burschen in das Gefängnis nach Bozen gebracht.
In Ketten wurden die Pfunderer Burschen in das Gefängnis nach Bozen gebracht.

Den Angeklagten half es nichts, dass sie aussagten, bei den Verhören geschlagen und zur Unterschrift der in italienischer Sprache abgefassten Protokolle erpresst worden zu sein. Das Gericht verwarf ihren Widerruf im Gerichtssaal. Die Verhandlung wurde nur in italienischer Sprache geführt. Die angeklagten Bauerburschen konnten weder den Aussagen der Zeugen noch der Beweisführung der Ankläger folgen.

Der Staatsanwalt Dott. Mario Martin erklärte: „Ich verlange von euch Richtern eine Mutprobe! Euer Schuldspruch stimme überein mit dem Gefühl des Volkes, von dem ihr delegiert worden seid.“ (Zitiert nach dem Bericht in: „Justiz in Südtirol“, Hrsg. Österreichische Liga für Menschenrechte, Sektion Tirol, Innsbruck 1958, S. 19f)

Der Staatsanwalt Dott. Mario Martin war ein Mann mit faschistischer Vergangenheit, der offenbar seine Gesinnung nicht gewechselt hatte. Er sollte 1961 nach der „Feuernacht“ als Untersuchungsrichter die grausamen Folterungen Südtiroler Häftlinge decken, deren Klagen ignorieren und die Gefolterten mit zusätzlichen Verleumdungsklagen bedrohen.
Der Staatsanwalt Dott. Mario Martin war ein Mann mit faschistischer Vergangenheit, der offenbar seine Gesinnung nicht gewechselt hatte. Er sollte 1961 nach der „Feuernacht“ als Untersuchungsrichter die grausamen Folterungen Südtiroler Häftlinge decken, deren Klagen ignorieren und die Gefolterten mit zusätzlichen Verleumdungsklagen bedrohen.

Noch ungeheuerlicher äußerte sich die Vertretung der Privatanklage. Sie nannte die Angeklagten „Hyänen“, „Bestien“ und „hündische Meute“. Alle Bewohner des „finsteren und zurückgebliebenen Südtiroler Tales Pfunders“ hätten, politisch von der einheimischen Presse verhetzt, im sardischen Finanzer Falqui „den Bringer des Fortschritts und der Kultur“ gehasst und mit Mordlust verfolgt.

Der Nebenkläger Dott. Vigilio Dadea aus Mailand beschimpfte unter wohlwollender Duldung des Gerichtsvorsitzenden Dott. Leone Borzaga die Bauernburschen als „Ränkeschmiede mit dem finsteren Blick des Verbrechers, abgefeimte Delinquenten unter der Maske der Naivität, halbe Kannibalen, Wegelagerer und Mörder.“

Die Pfunderer Burschen vor Gericht.
Die Pfunderer Burschen vor Gericht.

Am 16. Juli 1957 wurden die 7 Pfunderer Burschen zu Strafen zwischen 24 und 10 Jahren verurteilt. Florian Weissteiner erhielt 16 Jahre Kerker.

Die „Liga für Menschenrechte“ veröffentlichte im Jahre 1958 eine Broschüre, in welcher der Skandalprozess gegen die Pfunderer Burschen eingehend untersucht und dargestellt wurde. Auf dem Umschlagbild ist der junge Pfunderer Alois Ebner zu sehen. (Österreichische Liga für Menschenrechte, Sektion Tirol (Hrsg.): „Justiz in Südtirol“, Innsbruck 1958)
Die „Liga für Menschenrechte“ veröffentlichte im Jahre 1958 eine Broschüre, in welcher der Skandalprozess gegen die Pfunderer Burschen eingehend untersucht und dargestellt wurde. Auf dem Umschlagbild ist der junge Pfunderer Alois Ebner zu sehen. (Österreichische Liga für Menschenrechte, Sektion Tirol (Hrsg.): „Justiz in Südtirol“, Innsbruck 1958)
Mit rasselnden Ketten wie Vieh aneinandergehängt, wurden die Pfunderer Buam zur zweiten Verhandlung nach Trient gebracht.
Mit rasselnden Ketten wie Vieh aneinandergehängt, wurden die Pfunderer Buam zur zweiten Verhandlung nach Trient gebracht.
Aus der Illustrierten „DER STERN“. Der Zweite von links: Florian Weissteiner.
Aus der Illustrierten „DER STERN“. Der Zweite von links: Florian Weissteiner.

Am 27. März 1958 wurde in der Berufungsverhandlung in Trient nach fünfstündiger Beratung neuerlich das Urteil gesprochen. Die Südtiroler Tagezeitung „Dolomiten“ berichtete, dass im Gerichtssaal Totenstille herrschte. Als das Wort „ergastolo“, „lebenslänglich“, als verkündete Strafe für Alois Ebner fiel, waren im Publikum „halberstickte Laute des Entsetzens“ zu hören.

Die jungen Burschen, die nur ihre Tiroler Mundart und kein Italienisch sprachen, hatten dem Gang der nur in italienischer Sprache geführten Verhandlung kaum folgen können. Fassungslos vernahmen sie nun das Urteil, mit welchem Florian Weissteiner 17 Jahre und 10 Monate Kerker erhielt. Die Angeklagten standen kreidebleich zwischen den Carabinieri. Den Schuldspruch zu übersetzen, hielt man nicht für nötig. Sie waren fassungslos, wie geistesabwesend, als ihnen die Carabinieri die Handschellen anlegten. Keiner sprach ein Wort, dann wurden sie mit Ketten aneinandergefesselt hinausgeführt.

Titelseite der „Dolomiten“ vom 28. März 1958
Titelseite der „Dolomiten“ vom 28. März 1958

Am 1. April 1958 veröffentlichten die „Dolomiten“ eine Entschließung der „Südtiroler Volkspartei“ (SVP), in welcher es hieß, dass „mit diesem Urteil nicht eine gerechte Strafe“ für eine begangene Tat gefunden worden sei, „sondern es wurde Rache geübt, die zur Beschaffenheit der Tat und den offenbaren Absichten der Täter in keinem Verhältnis steht und an die dunkelsten Zeiten unmenschlicher Strafjustiz erinnert.“

Zahlreiche österreichische und bundesdeutsche Zeitungen prangerten die Methoden der  italienischen Justiz an. Links im Bild auf der Titelseite des „Wiener Echo“ der zu lebenslanger Haft verurteilte Alois Ebner.
Zahlreiche österreichische und bundesdeutsche Zeitungen prangerten die Methoden der  italienischen Justiz an. Links im Bild auf der Titelseite des „Wiener Echo“ der zu lebenslanger Haft verurteilte Alois Ebner.

Das Urteil rief in ganz Tirol Entsetzen hervor. Am 1. April 1958 ruhte in ganz Nordtirol von 10 Uhr bis 10.05 Uhr alle Arbeit zu einem Gedenken an die unglücklichen Pfunderer Burschen.

Landeshauptmann Dr. Hans Tschiggfrey.
Landeshauptmann Dr. Hans Tschiggfrey.

Der Nordtiroler Landeshauptmann Dr. Hans Tschiggfrey erklärte während dieser Gedenkminuten über den Rundfunk:

„In diesen Augenblicken ruht die Arbeit in Stadt und Land. In Häusern und Fabrikshallen schweigt  der Lärm. Das Tiroler Volk denkt, von tiefstem Leid erfasst, an jene sechs jungen Bauernsöhne eines entlegenen Südtiroler Bergdorfes, deren Leben durch einen Richterspruch ganz oder teilweise vernichtet wird.“

Am 13. Mai 1960 wurden die Burschen auseinander gerissen und auf verschiedene Kerker im Süden Italiens verteilt. Auch die Brüderpaare Ebner und Unterkircher durften nicht zusammen bleiben.

Das Martyrium der Pfunderer Buam sollte 12 lange Jahre dauern. In Rom war man sich dessen bewusst, dass es sich bei dem Fall der Pfunderer Buam um einen politischen Fall gehandelt hatte. Im Zuge der abschließenden Verhandlungen zum Südtirol-Autonomiepaket kam Rom daher den Südtirolern entgegen. Am 18. Dezember 1968 begnadigte der italienische Staatspräsident Giuseppe Saragat die inhaftierten Burschen mit Ausnahme von Luis Ebner, der erst am 25. November 1969 begnadigt nach Hause zurückkehren konnte.

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