Tafel auf einem Gedenkkreuz für Peter Wieland in Niederolang.
Vor 55 Jahren wurde am 28. September 1966 der 18jährige Bauernsohn Peter Wieland vom Zischtlerhof in Niederolang zu Grabe getragen. Er war das Opfer einer schrecklichen Bluttat geworden. Roland Lang, der Obmann des Südtiroler Heimatbundes (SHB), hat dazu eine Dokumentation verfasst, die wir hier wiedergeben.
Der Befehl des Innenministers Taviani: „Sparare a vista“ – „Auf Sicht schießen“ – General Ciglieri: „Menschenjagd“
Im Kampf gegen die damaligen Südtiroler Freiheitskämpfer hatte der italienische Innenminister Taviani dem Militär und den staatlichen Sicherheitsdiensten außerordentliche Handlungsfreiheiten eingeräumt.
Am 12. September 1966 erklärte er vor der italienischen Abgeordnetenkammer in Rom:
„Ich kann dem Parlament und dem Lande versichern, dass präzise Anordnungen vorhanden sind, die keine Missverständnisse offen lassen, keine Beschränkungen, kein Zögern!“
Am 14. September erklärte der Carabinieri-General Ciglieri, daß Italien seine Wachsamkeit vervielfachen müsse.
„Jetzt haben wir den Punkt erreicht, wo es um Menschenjagd geht!“
(„Kurier“, Wien, l5.September 1966)
Am 15. September 1966 ergriff Innenminister Taviani vor der italienischen Abgeordnetenkammer erneut das Wort. Allen Einsatzkräften sei der Befehl erteilt worden, auf „bereits bekannte Terroristen – deren Fotos zu Tausenden an die Sicherheitsorgane verteilt worden seien, auf Sicht zu schießen (sparare a vista), sowie auch gegen jene Individuen von der Schusswaffe Gebrauch zu machen, welche sich in die Nähe von Kasernen und militärischen Einrichtungen begeben und auch dem Halteruf von Wachposten nicht Folge leisten.“ („Dolomiten“, 16. September 1966)
Der Tod des jungen Peter Wieland – laut einem Bericht der „Dolomiten“ war es eine regelrechte Hinrichtung gewesen
Am 24. September 1966 wurde der erst 18 Jahre alte Peter Wieland aus Niederolang im Pustertal Opfer des an die italienischen Sicherheitskräfte ergangenen verschärften Schießbefehls.
Peter Wieland befand sich auf dem Weg zu einer Musikprobe mit Freunden in dem Gasthof „Waldruh“ am Ortsrand von Olang. Er ging über eine Wiese darauf zu, da wurde er von einer Alpini-Patrouille angeschossen und blieb im Wiesengrund liegen.
Laut einem Bericht der Tageszeitung „Dolomiten“ vom 27. September 1966 war es sodann zu folgendem Geschehen gekommen:
Eine Desinformation: Es sei ein „unglücklicher Sturz“ gewesen
Unmittelbar nach dem Geschehen hatten die italienische Nachrichtenagentur ANSA sowie das von der italienischen Regierung finanziell unterstützte Bozener Nationalistenblatt „Alto Adige“ eine gezielte Desinformation über den Tathergang veröffentlicht: „Ein bei dem ENEL-Kraftwerk Wache stehender Alpino hatte einen im Buschwerk sich herumtreibenden Schatten gesehen: Er hat das vorgeschriebene „Halt dort!“ („alto la“) gerufen, worauf hin der Unbekannte die Flucht ergriff. Daraufhin hat der Alpino zwei Schüsse in die Luft abgefeuert und hat dann den Unbekannten verfolgt, welcher Hals über Kopf flüchtend stolperte, zu Boden stürzte und sich am Kopf verletzte.
Als man ihn erreichte, lag er leblos am Boden. Der Alpino und seine Kameraden, die auf die Schüsse hinauf herbei geeilt waren, sind ihm beigestanden und haben ihn nach Bruneck in das Spital gebracht, wo der junge Mann den Sanitätern übergeben wurde. Wenig später starb er, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben. Er wurde als der 18jährige Peter Wieland aus Olang identifiziert.“ („Alto Adige“ vom 25. September 1966)
Peinliche Fragen der „Dolomiten“
Der Bericht der „Dolomiten“ vom 27. September 1966 über die kaltblütige Erschießung Wielands hatte die Lügenblase aber platzen lassen. Tatsächlich gab es in der Nähe des Tatortes weder ein E-Werk noch eine militärische Anlage. Die Tageszeitung „Dolomiten“ stellte dann in einem Kommentar noch einige Fragen:
Die Antwort der italienischen Behörden auf diese unangenehmen Fragen war Schweigen. Man hat nie etwas von einer behördlichen Untersuchung gehört. Nichts über die Ausforschung der Zeugen, nichts über irgendwelche Einvernahmen. Das war mehr als seltsam. Immerhin hatten die „Dolomiten“ – ganz offenkundig auf Augenzeugenberichten beruhend – eine Tatversion geschildert, die als Mord aufgefasst werden konnte. Die Tageszeitung „Dolomiten“ wurde nie wegen ihres Berichtes geklagt. So kam es auch zu keiner öffentlichen gerichtlichen Aussage des Augenzeugen, welcher die „Dolomiten“ unterrichtet hatte. Der italienische Staat ließ einfach Gras über die unangenehme Sache wachsen.
Das Begräbnis
Am 28. September 1966 bewegte sich nach der Einsegnung des Sarges durch den Ortspfarrer Kritzinger und andere Priester der Trauerzug von Peter Wielands Heimathof zum Friedhof. Die traurigen Weisen zweier Musikkapellen klangen weithin über die Fluren. Den Sarg trugen junge Burschen des Sportvereins Olang, welchem an die 1200 Menschen folgten. Trauergäste waren aus vielen Orten Südtirols gekommen. Am Grab wurden viele Kränze und Blumen niedergelegt, die Südtiroler politischen Häftlinge hatten einen Kranz geschickt mit rot-weißen Nelken, welche die Landesfarben symbolisierten.
Bischof Gargitters „herzliches Verzeihen“ – Zurückhaltung der Südtiroler Politiker
Der damalige Diözesanbischof von Brixen, Josef Gargitter, rief nach dem Tode Peter Wielands in einem Aufruf an die „lieben Diözesanen“ dazu auf, endlich die „Gesinnungen der Zwietracht, Gefühle des Hasses“ hinter sich zu lassen, „unsere Herzen bereiten zu herzlichem Verzeihen und uns entschließen, der christlichen Liebe, dem ersten und Hauptgebot des Christentums, Raum zu geben in Wort und Tat.“ (Zitiert aus „Dolomiten“ vom 29. September 1966).
Es gab kein Drängen der SVP-Führung auf Untersuchung, keine Bitte um österreichische Unterstützung, keine Protestmaßnahmen – es gab nichts! Man stand in Verhandlungen um das künftige Autonomiepaket. Da durfte man Rom wohl nicht vor den Kopf stoßen.
Nur der SVP-Bezirk Pustertal hatte damals den Mut, in einer Todesanzeige Peter Wieland als Opfer „der unmöglichen Zustände in unserer Heimat“ zu bezeichnen.
Eine Mitteilung des Nordtiroler Landeshauptmannes Wallnöfer
Dem Nordtiroler Landeshauptmann Eduard Wallnöfer (ÖVP) lag der Tod Wielands trotz des Schweigens der Südtiroler Politiker auf der Seele und er wollte den toten Jungen nicht sofort in „herzlichem Verzeihen“ vergessen. Er brachte am 23. Oktober 1966 in einer Südtirol-Besprechung in Salzburg, an welcher Vertreter der Bundesregierung teilnahmen, den Fall zur Sprache. Er berichtete, er habe erfahren, dass drei italienische Soldaten gesagt hätten, „jetzt müsse einmal ein Südtiroler fallen“, woraufhin wenig später Peter Wieland von einer Alpinistreife erschossen worden sei, „möglicherweise auf kürzeste Entfernung.“ (Österreichisches Protokoll über die Südtirolbesprechung in Salzburg am 23. Oktober 1966, wiedergegeben in: Rolf Steininger: „Südtirol zwischen Diplomatie und Terror 1947-1969“, Band 3, Bozen 1999, S. 525)
Das, was den Nordtiroler Landeshauptmann hier bewegte, war aber für die damalige österreichische Regierung des Bundeskanzlers Dr. Josef Klaus (ÖVP) kein Thema. Das Schicksal Peter Wielands war damals für die hohe Politik ein Störfaktor, den man möglichst schnell vergaß.
Der Bruder des Getöteten im Rückblick: Es war kein Versehen!
Am 16. Juli 2011 veröffentlichte die Tageszeitung „Dolomiten“ ein Interview mit Johann Wieland, dem Bruder des Getöteten.
Heute ist nach mehr als einem halben Jahrhundert das damalige Geschehen kaum noch bekannt. Mit diesem Beitrag möchte der „Südtiroler Heimatbund“ (SHB) des getöteten Peter Wieland gedenken und sein tragisches Schicksal der Vergessenheit entreißen
Roland Lang
Obmann des „Südtiroler Heimatbundes“ (SHB
Hinweis für Besucher in Bozen:
In der Ausstellung „BAS Opfer für die Freiheit“ des „Südtiroler Geschichtsvereins“ in Bozen, Lauben 9, wird auch das Schicksal von Peter Wieland dokumentiert. Darüber hinaus bietet die Ausstellung wesentliche und hochinteressante Informationen über die dramatischen Ereignisse der damaligen Zeit.