50 Jahre Zweites Autonomiestatut: Eine entlarvende Jubelfeier

50 Jahre Zweites Autonomiestatut: Eine entlarvende Jubelfeier

Am 5. September 2022 wurde in Meran eine große offizielle Jubelfeier mit wohltönenden Lobpreisungen einer angeblich für ganz Europa oder gar die Welt vorbildhaften Autonomie abgehalten.

Im Vorfeld hatte der „Südtiroler Heimatbund“ (SHB), eine von ehemaligen politischen Häftlingen und Freiheitskämpfern gegründete Vereinigung, welche für die Selbstbestimmung Südtirols eintritt, nachstehende kritische Vorausschau als Pressemitteilung ausgesandt:

„Südtiroler Heimatbund“ (SHB) – Pressemitteilung

Steht uns eine Jubelfeier der Beerdigung des Südtiroler Problems bevor?

Wie Ankündigungen zu entnehmen ist, werden wir am 5. September eine Jubelfeier der Beerdigung des lästigen Südtiroler Problems erleben.

Dem „Südtiroler Heimatbund“ (SHB), der für die Selbstbestimmung Südtirols und die Loslösung von Italien eintritt, ist es deshalb ein Anliegen, auf Folgendes hinzuweisen:

  • Der aus lediglich 40 Textzeilen bestehende „Pariser Vertrag“, welcher als rechtliche Grundlage der Südtiroler Autonomie anzusehen ist, bietet nur unpräzise Absichtserklärungen. Er war 1946 von dem österreichischen Außenminister Karl Gruber im Sinne der Bestrebungen der Westmächte, Italien in ein westlichen Bündnis einzubinden, zusammen mit dem italienischen Außenminister Alcide Degasperi bei einem Treffen in Paris überfallsartig unterzeichnet worden.

Karl Gruber war im Zweiten Weltkrieg – und laut dem amerikanischen Historiker Professor Dr. Herzstein auch als Außenminister noch bis in die Fünfzigerjahre – als Geheimagent für das amerikanische „Counter Intelligence Corps“ tätig. (Robert Edwin Herzstein: „Waldheim – the missing years“, London 1988, S. 168 unter Berufung auf zitierte Geheimdokumente des „Office of Strategic Services“)

Außenminister Karl Gruber (rechts) und der US-„Political Adviser“ John G. Erhardt im Jahre 1946.
Außenminister Karl Gruber (rechts) und der US-„Political Adviser“ John G. Erhardt im Jahre 1946.

Er stand damit auch als Außenminister mutmaßlich noch unter der Führung durch die Amerikaner. Karl Gruber hatte bei der eigenmächtigen Unterschrift unter den „Pariser Vertrag“ seine eigene Regierung und auch den Nationalrat bedenkenlos übergangen. Der Außenpolitische Ausschuss des Nationalrates verabschiedete daher am 1. Oktober 1946 folgende rechtswahrende Erklärung, an die man sich erinnern sollte:

„Die mit Italien vereinbarte Regelung, von der nicht feststeht, ob sie die Zustimmung des gesamten Südtiroler Volkes gefunden hat, bedarf noch mancher Interpretation, um als Zwischenlösung angesehen werden zu können.

Die Haltung Österreichs bedeutet in keiner Weise einen Verzicht auf die unveräußerlichen Rechte unseres Staates auf Südtirol. Der Ausschuss gibt der bestimmten Hoffnung Ausdruck, dass eine geänderte Weltlage in Zukunft den Südtirolern die Möglichkeit der Selbstbestimmung über ihre staatliche Zugehörigkeit geben wird. Er ist der Meinung, dass dieses Prinzip der einzige Weg für eine dauernde Lösung der Südtirolfrage ist, die von Österreich als gerecht und befriedigend angenommen werden könnte.“

Notgedrungen fand man sich in Wien in der Folge mit dem Pariser Machwerk ab, welches sich nach den Worten des österreichischen Außenministers Kreisky als „furchtbare Hypothek“ für die österreichische Südtirolpolitik erweisen sollte.

Es darf vermutet werden, dass auf der kommenden Jubelfeier auch diese „furchtbare Hypothek“ als sogenannte „Magna Charta“ der Autonomie pflichtgemäß bejubelt werden wird.

  • Als Italien das faschistische Werk der Entnationalisierung und Unterdrückung in Südtirol fortsetzte und 1961 sogar ein bereits durch den Senat in Rom beschlossenes Vertreibungsgesetz in Kraft zu treten drohte, beförderten die Südtiroler Freiheitskämpfer dieses Vorhaben mit dem Donnerschlag der „Herz-Jesu-Nacht“ auf die Müllhalde der Geschichte.

Der SVP-Landeshauptmann Silvius Magnago hob später mehrfach öffentlich das Verdienst der Freiheitskämpfer für das Zustandekommen des verbesserten zweiten Autonomiestatut hervor.

So erklärte er beispielsweise 1991 in einem Interview in den „Dolomiten“ vom 7. August 1991:

„Und dann kam es zur Feuernacht. Ich muss hier ganz klar sagen, dass diese Sprengstoffanschläge zu friedlichen Verhandlungen geführt haben und letztendlich zum neuen Autonomiestatut. Hätte es diese Anschläge nicht gegeben, wäre keine 19er Kommission gebildet worden, die die Aufgabe bekommen hat, sich mit der ganzen Autonomieproblematik, sagen wir, zu befassen und der Regierung neue Vorschläge zu unterbreiten.“

Silvius Magnago auf der SVP-Landesversammlung von 1960.
Silvius Magnago auf der SVP-Landesversammlung von 1960.

Ähnliche Erklärungen haben unter anderen abgegeben:

LH Dr. Luis Durnwalder (SVP), LR Dr. Bruno Hosp (SVP), Botschafter Dr. Peter Jankowitsch, Univ. Prof. Dr. Andreas Khol (ÖVP), Univ. Prof. DDr. Franz Matscher, SVP-Obmann Elmar Pichler-Rolle, LH Günther Platter (ÖVP), SVP-Abg. Dr. Friedl Volgger, LH Eduard Wallnöfer, LH Dr. Wendelin Weingartner, SVP-Parteileitungsmitglied Franz Widmann.

Der österreichische Außenminister Bruno Kreisky war bereits vor der Herz-Jesu-Nacht über die bevorstehenden Anschläge auf Strommasten informiert worden und hatte sie in einem Gespräch mit Leuten des „Befreiungsausschusses Südtirol“ (BAS) gebilligt. (Der ehemalige Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime und BAS-Führungsmitglied Fritz Molden in seinem Buch: „Vielgeprüftes Österreich“, Wien 2007, S. 152)

Vermutlich wird all dies bei der offiziellen Jubelfeier nicht erwähnt werden.

Außenminister Bruno Kreisky, Landesamtsdirektor Rudolf Kathrein, LH Silvius Magnago Magnago.
Außenminister Bruno Kreisky, Landesamtsdirektor Rudolf Kathrein, LH Silvius Magnago Magnago.
  • Es ist leider zu vermuten, dass bei der bevorstehenden Feier auch nicht an die grauenvolle  Folterung zahlreicher politischer Häftlinge erinnert werden wird. Man wird wohl auch nicht des Todes der an den Folgen der Folter verstorbenen Gefangenen Franz Höfler und Anton Gostner gedenken.
Der an den Folgen der Folter verstorbene Franz Höfler in der Totenkammer und die Mutter Höflers an dem Grab ihres Sohnes.
Der an den Folgen der Folter verstorbene Franz Höfler in der Totenkammer und die Mutter Höflers an dem Grab ihres Sohnes.
Bild links: Die Verhaftung Anton Gostners (rechts im Bild) im Jahre 1961, der seine Folterung nicht überleben sollte. (Ausschnitt aus der Zeitung „Alto Adige“.) Bild rechts: Auch der SVP-Ortsobmann und Freiheitskämpfer Sepp Kerschbaumer aus Frangart sollte die Haft nicht überleben.
Bild links: Die Verhaftung Anton Gostners (rechts im Bild) im Jahre 1961, der seine Folterung nicht überleben sollte. (Ausschnitt aus der Zeitung „Alto Adige“.) Bild rechts: Auch der SVP-Ortsobmann und Freiheitskämpfer Sepp Kerschbaumer aus Frangart sollte die Haft nicht überleben.
  • Es ist weiters zu vermuten, dass auf der Jubelfeier auch nicht daran erinnert werden wird, dass die derzeitige Autonomie durch die Streitbeilegungserklärung von 1992 international-rechtlich nicht abgesichert ist und zum erheblichen Teil bereits ausgehöhlt wurde.

 

  • Es wäre längst an der Zeit gewesen, dass eine Kommission von Fachleuten eine Bewertung der Autonomieaushöhlungen vorgenommen hätte, die laut einer akademischen Forschungsarbeit immerhin mehr als die Hälfte des Autonomiebestandes betreffen. Man hätte sich von der Untersuchung einer solchen Fachleutekommission auch die Hinweise erwartet, welche Bestimmungen im Sinne einer funktionierenden Autonomie wiederhergestellt werden müssten. Bis heute hat die Südtiroler Landesregierung die Erstellung einer solchen Untersuchung entweder überhaupt nicht verfügt oder hat solche Ergebnisse zumindest der Öffentlichkeit vorenthalten.

Es darf vermutet werden, dass auch diese Dinge kein Thema auf der Jubelveranstaltung sein werden.

Sollte sich diese Voraussagen als nicht zutreffend erweisen, wird dies ein Grund zu aufrichtiger Freude sein. Wir befürchten aber, dass in Wahrheit eine Jubelfeier der Totengräber unserer Südtiroler Anliegen über die Bühne gehen wird.

Roland Lang
Obmann des „Südtiroler Heimatbundes“ (SHB)

 

Rückblick auf die Veranstaltung in Meran:

Sprechblasen und Selbstaufgabe

 

Die Südtiroler Tageszeitung „Dolomiten“ berichtete sachlich über die Feier in Meran.
Die Südtiroler Tageszeitung „Dolomiten“ berichtete sachlich über die Feier in Meran.

Sowohl aus Wien wie aus Rom war zu dieser Feier nur die zweite Garnitur von Politikern gekommen.

Die Festrede unter dem etwas rätselhaften Titel „Südtirol ist ein gelebtes Stück Europa“ hielt die österreichische Bundesministerin für EU und Verfassung, Karoline Edtstadler (ÖVP).

Sie wies auf das gute Verhältnis zwischen Österreich und Italien hin und erklärte, dass man aufeinander zugehen, miteinander kommunizieren müsse. Sie bezeichnete Südtirol als „Beispiel der europäischen Integration.“

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Die Tageszeitung „Dolomiten“ präsentierte Edtstadlers Botschaft mit einer Schlagzeile.

Der italienische Wirtschaftsminister Daniele Franco gab eine ähnliche Sprechblase von sich: Dank ständigem und konstruktiven Dialog zwischen Italien und Österreich sei „ein Existenzmodell für den Minderheitenschutz entstanden“.

Hohes Lob für die bestehende Autonomie spendete auch der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP). Das Zweite Autonomiestatut werde international als erfolgreiches Beispiel für die Überwindung nationaler ethnischer Konflikte betrachtet und gereiche den beiden Staaten Italien und Österreich zur Ehre. Südtirols Autonomie werde ständig weiterentwickelt und an neue Erfordernisse angepasst. Im gleichen Atemzug wies er jedoch auch tadelnd darauf hin, dass seit der Verfassungsreform des Staates von 2001 sowie mit Urteilen des Verfassungsgerichtshofes die Autonomie teilweise ausgehöhlt worden sei.

Eine Erklärung, was dagegen politisch von der „Schutzmacht Österreich“ unternommen werden müsse, hörte man aus dem Mund dieses im Lande vielfach als zu Italien-freundlich bezeichneten Politikers leider nicht.

Der Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP) hatte im Wahlkampf 2018 um italienische Stimmen geworben mit der plakatierten Erklärung: „Insieme verso il domani. Arno Kompatscher“ („Gemeinsam der morgigen Zukunft entgegen. Arno Kompatscher“.
Der Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP) hatte im Wahlkampf 2018 um italienische Stimmen geworben mit der plakatierten Erklärung: „Insieme verso il domani. Arno Kompatscher“ („Gemeinsam der morgigen Zukunft entgegen. Arno Kompatscher“.

Den Vogel in Bezug auf Inhaltslosigkeit schoss der in Bälde abtretende Nordtiroler Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) ab. Er verwies auf die „unglaublich vielen Möglichkeiten“, die Südtirol durch die Autonomie erhalten habe und ihn fasziniere, dass die Autonomie nie abgeschlossen sei.

So kann man die ständigen Autonomieaushöhlungen und das zumeist vergebliche Bemühen um Rückgängigmachung der Beschneidungen durch Rom freilich auch darstellen.

  • Nicht zur Sprache kamen die Verdienste der Südtiroler Freiheitskämpfer für das Zustandekommen des Zweiten Autonomiestatuts.
  • Nicht zur Sprache kamen die schrecklichen Folterungen politischer Häftlinge mit teilweiser Todesfolge und die anschließende Belobigung und Auszeichnung der Folterer durch den Staat.
  • Mit Ausnahme der knappen Erwähnung durch den Landeshauptmann Kompatscher waren die Autonomieaushöhlungen und die daraus zu ziehenden Folgerungen auch kein Thema auf der Veranstaltung.
  • Nicht zur Sprache kam, dass die angeblich weltbeste Vorbild-Autonomie durch die Streitbeilegungserklärung von 1992 international-rechtlich nicht abgesichert ist. Siehe: https://suedtirol-info.at/hintergruende-zur-aushoehlung-der-suedtirol-autonomie/#more-3373

Deutlich wurde, dass man aus der Sicht der Bundes-ÖVP und der Nordtiroler ÖVP das Südtirol-Problem als eine beerdigte Angelegenheit ansieht.

Deutlich wurde auch, dass die derzeitige SVP-Führung dagegen nicht aufbegehrt und nicht gewillt ist, die „Schutzmacht Österreich“ ernsthaft in die Pflicht zu nehmen. Da muss wohl die SVP Rücksicht auf die „Schwesterpartei“ ÖVP nehmen.

Man kann so etwas auch Selbstaufgabe nennen.

Die Südtiroler Schützen verweigerten Ehrensalve für den Vertreter des italienischen Staates

Wie die „Neue Südtiroler Tageszeitung“ am 11. September 2022 berichtete, hatte der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher den Südtiroler Schützenbund gebeten, am „Tag der Autonomie“ dem italienischen Minister Daniele Franco in Bozen den „Landesüblichen Empfang“ durch das Abfeuern einer Ehrensalve zu geben. Der Schützenbund lehnte dies ab.

Der Landeskommandant Roland Seppi sprach ein offenes Wort.
Der Landeskommandant Roland Seppi sprach ein offenes Wort.

Der Landeskommandant des Schützenbundes, Roland Seppi, erklärte gegenüber der TAGESZEITUNG:

„Wir haben in der Bundesleitung einstimmig beschlossen, dass wir da nicht hingehen. … Unser Nein hat nichts mit dem Landeshauptmann zu tun. Die Nichtabhaltung eines Landesüblichen Empfangs hat mit dem Vertreter des italienischen Staates zu tun. Im Landesüblichen Empfang ist eine Ehrensalve als höchste Ehrerbietung vorgesehen, die die Schützen geben können.

Eine Ehrensalve setzt also gegenseitigen Respekt voraus.

Wir verlangen von Italien seit jeher, endlich auf die faschistische Ortsnamenfälschung und auf faschistische Relikte zu verzichten. Für den Vertreter eines Staates, der auf diesen Sachen beharrt, können wir keine Ehrensalve abschießen, weil der Respekt gegenüber unserer Kultur und unserer Kulturgeschichte fehlt.“

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