Nachruf für Alois Ebner – ein Opfer politisierter Justiz

Nachruf Alois Ebner

Wie der „Südtiroler Heimatbund“ (SHB) mitteilt, ist Alois Ebner aus Pfunders in der Nacht vom 17. auf den 18. Juli 2020 im Alter von 85 Jahren verstorben. Er hatte in seiner Jugend Schweres erleben müssen.

Der nachstehende Beitrag, welchen der SHB den Medien zur Verfügung gestellt hat, zeigt das damalige Geschehen auf:

 „Justiz in Südtirol“

Die Titelseite einer in Österreich erschienenen Schrift „Schändung der Menschenwürde in Südtirol“, welche die Misshandlungen politischer Gefangener in Südtirol dokumentierte, zeigte den verhafteten und in Ketten abgeführten jungen Pfunderer Alois Ebner.

Die österreichische „Liga für Menschenrechte“ veröffentlichte im Jahre 1958 unter dem Titel „Justiz in Südtirol“ eine Broschüre, in welcher das Vorgehen der italienischen Justiz gegen die Pfunderer Burschen eingehend untersucht und dargestellt wurde. Auf dem Umschlagbild ist der junge Pfunderer Bernhard Ebner zu sehen, der Bruder des jetzt verstorbenen Alois Ebner.

Ein tragisches Geschehen im Jahre 1956

Der Südtiroler „Gemeindebote Vintl“ berichtete 50 Jahre später darüber, was sich am 15. August 1956 ereignet hatte:

In jenen Jahren befand sich in Pfunders im ‚Lettahaisl‘ ein kleines ‚ENAL-Gasthaus‘. Am Abend des 15. August 1956 waren mehrere Burschen und Männer aus dem Dorf dort, als plötzlich zwei ‚Finanzer‘ mit einer kleinen Gruppe Pfunderer -in Pfunders gab es in jenen Jahren eine Finanzstation- das Gasthaus betraten.

Es handelte sich hierbei um Raimondo Falqui aus Sardinien und Francesco Lombardi. Sie feierten gemeinsam (Anmerkung: Wie die Familie des Verstorbenen jetzt korrigierend mitteilt, waren die beiden Gruppen in dem Wirtshaus nicht zusammen, sondern getrennt), doch plötzlich kehrten die Italiener die Amtsperson hervor, obwohl sie nur Zivilkleidung trugen, und forderten die Pfunderer auf, sofort die Wirtschaft zu verlassen, da die Sperrstunde bereits herangerückt sei. Dies taten die Männer so lange nicht, bis die Italiener verschwanden und mit einem Messer zurückkamen. Daraufhin verließen die Pfunderer die Wirtschaft, verfolgt von den Finanzern. Nach einer kurzen Wegstrecke ließen sich die Pfunderer dies nicht mehr gefallen und drehten den Spieß um. Sie wehrten sich und verfolgten die Finanzer bis zu der einstigen ‚Kirchbrugge‘, die damals etwa 50 Meter weiter oberhalb lag. Dort -so erzählt Alois Ebner, einer der Pfunderer- fasste er Falqui nochmals am Hemd, doch der ‚Finanzer‘ riss aus und rannte in die Dunkelheit hinaus, in Richtung ‚Roanaboch-Brugge‘.

Diese Brücke gibt es auch heute noch, damals hatte sie jedoch kein Geländer und so besteht die Vermutung, dass der ‚Finanzer‘, nachdem er sich von Alois Ebner losgerissen hatte, die Brücke verfehlte und in das Bachbett stürzte.

Die jungen Pfunderer merkten davon nichts mehr, denn nachdem die ‚Finanzer‘ weggelaufen waren, gingen sie nach Hause bzw. zu dem jeweiligen Bauernhof, auf dem sie arbeiteten.“ („Gemeindebote Vintl“, 28. Februar 2007)

Der Finanzer wurde am nächsten Morgen tot unter der Brücke im ausgetrockneten Bachbett aufgefunden. Er hatte sich bei seinem Sturz einen Schädelbruch zugezogen.

Von dieser Brücke ohne Geländer war Falqui in das3 Meter tiefe trockene Bachbett hinunter gestürzt.

Bereits am 17. August 1956 meldete die Bozener italienische Tageszeitung „Alto Adige“ auf ihrer Titelseite, dass es sich um Mord gehandelt habe. Der Finanzer sei angegriffen und umgebracht worden („aggredita ed uccisa“).

Aus „Alto Adige“ vom 17. August 1956

In Rom gab das „Giornale d’Italia“, das Zeichen zur Hetzjagd: Es sei Mord gewesen und zwar ein „politischer Mord … Die Gründe sind noch nicht bekannt, aber sie sind zweifellos in dem Klima des Hasses zu suchen, den die Vertreter einer Partei seit Jahren säen …“ Gemeint war damit die „Südtiroler Volkspartei“.

Wenige Tage später wusste es die italienische Wochenillustrierte „Oggi“ ganz genau: „Dies ist ein grausames sinnloses Verbrechen, geboren aus dem Hassfeldzug, der von einigen Exponenten der örtlichen Minderheit geführt wurde. Der Mord an dem jungen Beamten stellt das letzte und blutige Glied in einer Kette von Übergriffen und Gewalttaten dar.“ (Zitiert in: Österreichische Liga für Menschenrechte, Sektion Tirol: „Justiz in Südtirol“, Innsbruck 1958, S. 10)

Ein politischer Mord also! Die gesamte Südtiroler Volksgruppe und ihre Führung als angebliche Anstifterin eines hinterhältigen und grausamen Verbrechens, zitiert vor die Schranken der italienischen Nation.

Verhaftung und Misshandlung – „Geständnisse“

Die verhafteten Burschen wurden in schwere Ketten gelegt dem Gericht vorgeführt.

Die sieben jungen Pfunderer Burschen wurden verhaftet und nach ihrer eigenen späteren Aussage vor Gericht so lange geschlagen, bis sie die auf Italienisch verfassten Protokolle unterschrieben hatten, deren Inhalt sie nicht verstanden. Diese Protokolle enthielten jedoch „Geständnisse“, die zur Grundlage der Verurteilung der Burschen wurde.

Im Prozess widerriefen die Burschen diese „Geständnisse“ und berichteten, dass diese durch Misshandlungen erzwungen worden waren. Alois Ebner erklärte:

„Vor den Carabinieri habe ich nicht mehr gewusst, was ich sage, so sehr haben sie mich geschlagen.“

Eine Untersuchung der von den Angeklagten berichteten Misshandlungen wurde nicht eingeleitet.

Staatsanwalt fordert Schuldspruch gemäß „dem Gefühl des Volkes“

Der Staatsanwalt Mario Martin forderte für sechs Angeklagte lebenslängliches Zuchthaus, ein Angeklagter solle aus „Mangel an Beweisen“ freigehen. Demnach hätten sechs Angeklagte gemeinsam Falqui den Schädel eingeschlagen. Falqui sei geradezu „gelyncht“ worden. Dieser Staatsanwalt, der sich auch 1961 noch durch die Duldung der Folterungen politischer Südtiroler Häftlinge einen traurigen Ruf erwerben sollte, rief den Geschworenen und den Richtern zu: „Ich verlange von euch Richtern eine Mutprobe! … Euer Schuldspruch stimme überein mit dem Gefühl des Volkes, von dem ihr delegiert worden seid.“

Die christlich-demokratisch orientierte Trentiner Zeitung „L’Adige“ lobte in einem Bericht diese mehr als seltsame Rechtsauffassung und schrieb, „dass gerade der Vertreter der öffentlichen Anklage die Pflicht hat, der öffentlichen Meinung Rechnung zu tragen.“

Noch ungeheuerlicher äußerten sich die Vertreter der Privatanklage. Sie nannten die Angeklagten „Hyänen“, „Bestien“, „hündische Meute“, „halbe Kannibalen, Wegelagerer und Mörder“. Alle Bewohner des finsteren und zurückgebliebenen Südtiroler Tales Pfunders hätten, politisch von der einheimischen Presse verhetzt, im sardischen Finanzer Falqui „den Bringer des Fortschritts und der Kultur“ gehasst und mit Mordlust verfolgt. (Zitiert aus: Österreichische Liga für Menschenrechte, Sektion Tirol: „Justiz in Südtirol“, Innsbruck 1958, S. 20 und 22)

Ein politisch geprägter Prozess mit schweren Fehlern

Der Richter duldete diese Sprache. Der Prozess wurde entgegen des im „Pariser Vertrag“ von 1946 festgelegten Gebrauches der Muttersprache im öffentlichen Leben und vor Gericht nur in italienischer Sprache geführt. Die Bauernburschen aus Pfunders konnten so weder den Aussagen von Zeugen noch den Beweisführungen der Anklage folgen.

Die Prozessführung war mehr als seltsam: Wichtige Entlastungszeugen wurden nicht angehört. Am „Tatort“ war keine Spurensicherung vorgenommen worden. In die Aufklärung des Geschehens war keine Morduntersuchungskommission mit Spezialisten eingeschaltet worden. Die Untersuchungen wurden nur durch gewöhnliche Carabinieri vorgenommen. All das wurde durch den Gerichtshof nicht einmal beanstandet.

In dem Verfahren blieb ein entlastendes Gutachten des Gerichtsmediziners Professor Aldo Franchini von der Universität Padua unberücksichtigt, der festgestellt hatte, dass Falchi’s Schädelbruch mutmaßlich durch den Sturz in das Bachbett verursacht worden sei.

So denkwürdig wie das Verfahren, war auch die erst Monate später ausgefertigte Begründung des Urteils durch das Gericht. Darin steht folgender bezeichnender Satz:

„Was den Zeitpunkt des Todes von Falqui angeht, tappen wir völlig im Dunkeln. Wir können nicht mit ruhigem Gewissen ein abschließendes Urteil abgeben, da die Voruntersuchungen uns nicht die notwendigen Beweise geliefert haben.“ (Zitiert aus: Österreichische Liga für Menschenrechte, Sektion Tirol: „Justiz in Südtirol“, Innsbruck 1958, S. 22)

Nicht einmal die Tatsache, daß Falqui vollkommen betrunken war, als das Unglück geschah, daß sich zehn Stunden nach dem Tod in seinem Blut 1,7 Promille Alkohol, ja in seinem Magen unverdauter Alkohol befand, hatte das Gericht in seiner Urteilsbildung auch nur im geringsten beeinflusst. Unglücksfall durch Sturz eines schwer betrunkenen italienischen Finanzbeamten in der Dunkelheit? Unmöglich! Das Gericht erklärte vielmehr: Die Behauptung, daß Falqui betrunken gewesen wäre, ist eine letzte Schmähung des Opfers. Es stimmt, daß das gerichtsärztliche Gutachten 1,7 Promille Alkohol im Blut festgestellt hat. Trotzdem nimmt das Gericht nicht an, daß Falqui betrunken gewesen ist. Denn wenn die ärztliche  Blutuntersuchung nicht gewesen wäre, dann würde kein Mensch es wagen, zu behaupten, daß das Opfer betrunken war.“ (Zitiert aus: Österreichische Liga für Menschenrechte, Sektion Tirol: „Justiz in Südtirol“, Innsbruck 1958, S. 23)

Fürwahr eine seltsame Logik!

Ein furchtbares Urteil

Das Urteil erster Instanz wurde am 16. Juli 1957 gesprochen. Als des Mordes schuldig gesprochen erhielten: Alois Ebner 24 Jahre Kerker, Florian Weissteiner 16 Jahre Kerker, Georg Knollseisen 16 Jahre Kerker, Paul Unterkircher l0 Jahre Kerker, Bernhard Ebner 16 Jahre Kerker, Isidor Unterkircher 16 Jahre Kerker, Johann Huber, der nachweislich nicht einmal am Raufhandel beteiligt war und für den selbst der Staatsanwalt Freispruch beantragt hatte: 13 Jahre Kerker.

Schlagzeile in einer österreichischen Tageszeitung vom 18. Juli 1957.

Ein „Urteil – würdig der vornehmen Traditionen der italienischen Justiz“

Das Urteil rief in ganz Tirol Entsetzen hervor. Bis jetzt hatte man der Korrektheit der italienischen Justiz vertraut. Österreichs Bundeskanzler Dr. Ing. Julius Raab bezeichnete am 4. August 1957 das Urteil als unverständlich.

Hierauf antwortete der italienische Justizminister Gonella: „Das Urteil muss als Akt klarer Gerechtigkeit bezeichnet werden, durchaus würdig der vornehmen Traditionen der italienischen Justiz …“ („Dolomiten“ vom 8. August 1957)

Verschärfung in der Berufungsinstanz

Die Illustrierte STERN veröffentlichte dieses Bild von den Pfunderer Burschen in der  Berufungsverhandlung in Trient. Ganz links im Bild: Alois Ebner.

In der Berufungsinstanz wurde das erstinstanzliche Urteil 1958 für 6 Angeklagte noch verschärft. Alois Ebner erhielt nun eine lebenslängliche Freiheitsstrafe. Lediglich Johann Huber wurde von der Mordanklage mangels an Beweisen freigesprochen und auf freien Fuß gesetzt.

Auch dieses Urteil rief wiederum in ganz Tirol Entsetzen hervor. In Südtirol fasste die „Südtiroler Volkspartei“ (SVP) am 31. März 1958 nachstehende Entschließung:

Aus „Dolomiten“ vom 1. April 1958.

Am 1. April 1958 ruhte in ganz Nordtirol von 10 Uhr bis 10.05 Uhr alle Arbeit zu einem Gedenken an die Pfunderer Burschen. Landeshauptmann Dr. Tschiggfrey, erklärte während dieser Gedenkminuten über den Rundfunk:

„In diesen Augenblicken ruht die Arbeit in Stadt und Land. In Häusern und Fabrikhallen schweigt  der Lärm. Das Tiroler Volk denkt, von tiefstem Leid erfasst, an jene sechs jungen Bauernsöhne eines entlegenen Südtiroler Bergdorfes, deren Leben durch einen Richterspruch ganz oder teilweise vernichtet wird.“

Zahlreiche österreichische und bundesdeutsche Zeitungen berichteten über das Schicksal der Pfunderer Burschen.

 Am 16. Januar 1960 änderte der italienische Kassationsgerichtshof das unglaubliche Urteil gegen die Pfunderer, nur unwesentlich ab. Alois Ebner erhielt nun 25 Jahre und 4 Monate Kerker statt lebenslanger Haft.

Europaweit hatte jedoch die Kritik an dieser politisch geprägten Justiz zugenommen.

In einem Gutachten hatte 1958 der international renommierte Kriminologe Prof. Dr. Armand Mergen, Universitätsprofessor für Kriminologie an der Universität Mainz, schwerste Unterlassungen der Erhebungsbehörden und des Gerichtes festgestellt und war zu dem Schluss gekommen, dass die Schuld der Verurteilten nicht bewiesen worden sei.

Dieses Gutachten wurde auch in gedruckter Form veröffentlicht und fand weites Echo in der europäischen Presse.

Die Menschenrechtskommission des Europarates empfahl am 23. Oktober 1963 eine Begnadigung. Die römische Regierung benützte nun diesen Ausweg aus dem Dilemma, in welches sich Italien selbst durch dieses Verfahren gebracht hatte. 1964 wurde Paul Unterkircher begnadigt, der seine Haftstrafe schon nahezu abgesessen hatte. Am 18. Dezember begnadigte der italienische Staatspräsident die vier Pfunderer Burschen Bernhard Ebner, Florian Weißsteiner, Isidor Unterkircher und Georg Knollseisen. Der letzte Begnadigte, Alois Ebner, wurde erst am 25. November 1969 begnadigt und kehrte am 27. November 1969 nach 13 Jahren ungerechtfertigter Haft nach Hause.

Ein italienisches Sprichwort sagt in Hinblick auf die Justiz: „Wo die Politik eintritt, entfernt sich die Gerechtigkeit!“ 

Am 21. Juli 2020 veröffentlichte die Südtiroler Tagezeitung „Dolomiten“ ausführlich den Bericht des „Südtiroler Heimatbundes“.
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