Zur Lage der Muttersprache in Südtirol
Sprache ist Heimat
von Georg Dattenböck
Nichts ist in Tirol und auch in unserem gesamten Sprachraum durch die gesellschaftliche Entwicklung gefährdeter als die Muttersprache!
Der historischen Wahrheit gemäß muss festgehalten werden, daß es im deutschen Sprachraum seit jeher die starke Neigung zur Nichtachtung, sogar zur Aufgabe der Muttersprache gab, wie man z. B. aus den ‚Gesichten Philanders von Sittewald‘ (1642), erkennt:
Fast jeder Schneider will jetzt und leider
der Sprach erfahren sein und redt Latein,
Welsch und Französisch, halb Japonesisch,
wann er ist toll und voll, der grobe Knoll.
Kaum mehr zum Lachen:
Die heutige, reale Lage der Sprache an einem einzigen Bild-Beispiel:
Die deutsche Sprache entwickelte sich auf Grund großer Entdeckungen und Leistungen auf vielen Gebieten bereits im 18./19. Jahrhundert zur führenden Wissenschaftssprache der gesamten Erde. Viele Wissenschaftler und Künstler aus aller Welt veröffentlichten deshalb ihre Forschungen und Werke in deutscher Sprache, bedeutende, wirksame politische Manifeste, u.a. von Karl Marx und Friedrich Engels, die Bibel Luthers usw. erschienen erstmals in Deutsch. Der große Einschnitt kam nach dem 1. Weltkrieg, als die deutsche Sprache aus niedrigen politischen Motiven, gerade in Süd-Tirol, verboten wurde. Hier sei auf die Monographie von Roswitha Reinbothe verwiesen: „Deutsch als internationale Wissenschaftssprache und der Boykott nach dem ersten Weltkrieg“ (2006).
Es ist festzuhalten:
- Die Muttersprache ist das wichtigste Kulturgut aller Völker der Welt! Sie widerspiegelt die Seele und bestimmt das Denken;
- die Überfremdung und/oder langsame Zerstörung einer Sprache ist nicht mehr hinnehmbar;
- ein europäisches Volksgruppengesetz und darin enthalten: ein Sprachschutzgesetz mit Augenmaß, wäre für den Erhalt der kulturellen Freiheit der Völker und Volksgruppen, aber auch zum Erhalt der kulturellen Vielfalt Europas und ebenso zur Sicherstellung der problemlosen Verständigung, in der EU unumgänglich!
Die Sprache der Mutter zu sprechen bedeutet: eine Heimat, Geborgenheit, Vergangenheit, Identität und vor allem auch eine gute Zukunft zu haben! Ein Südtiroler Freund stellte kürzlich sehr zutreffend fest:
„Identität zu haben ist eine Frage auf Leben und Tod“.
Mit dieser Aussage ist eine der Grundlagen unserer Identität, unserer Wesenheit und Kultur klar bestimmt: es ist unsere, vor allem in Süd-Tirol, gefährdete Muttersprache!
Die wahre Heimat ist eigentlich die Sprache.
Sie bestimmt die Sehnsucht danach,
und die Entfremdung vom Heimischen
geht immer durch die Sprache am schnellsten
und leichtesten, wenn auch am leisesten vor sich.
Wilhelm von Humboldt (1767 – 1835)
Die Sprache kann der letzte Hort der Freiheit sein
Lew Kopelew
Ignaz Vinzenz Zingerle, Edler v. Summersberg (* 6. Juni 1825 in Meran, † 17. September 1892 in Innsbruck,) war Literaturwissenschaftler, Germanist, Volkskundler und Schriftsteller und Neffe des katholischen Theologen und Orientalisten Pius Zingerle. Nach dem Studium in Trient trat er vorübergehend dem Benediktinerkloster Marienberg bei. 1848 wurde er Lehrer am Gymnasium in Innsbruck, 1858 Direktor der Universitäts-Bibliothek in Innsbruck. 1859 erhielt Zingerle die Professur für deutsche Sprache und Literatur an der Universität Innsbruck. Er war auch korrespondierendes Mitglied der Wiener Akademie der Wissenschaften.
Zingerle wies darauf hin, dass die deutsche Sprache gerade in Süd-Tirol mitentscheidend geprägt wurde und dies in engem Zusammenhang mit der geschichtlichen Entwicklung geschah.
Er machte dies an vielen Beispielen deutlich, unter anderem in Bezug auf die Bedeutung des Namens Hildebrand in Tirol. („Die Personennamen Tirols in Beziehung auf deutsche Sage und Literaturgeschichte“; in „Germania“, Hg. Franz Pfeiffer, 1856, Jg. 01). Einige wenige der von Zingerle gefundenen Beispiele verdeutlichen dies:
- Hildebrand v. Weineck 1194;
- Hildebrand v. Firmian 1242 (I + II);
- Hildebrand v. Helbling 1277;
- Hildebrand v. Krakofel 1266;
- Hildebrand v. Latsch 1161 und 1222;
- Hildebrand v. Liechtenberg 1292 und einen anderen 1330;
- Hildebrand v. Caldes 1390;
- Hildebrand v. Fuchs 1430 und 1519;
- Hildebrand Rasp 1370 und 1460;
- Hildebrand v. Greifenstein 1311;
- Hildebrand v. Niderthor 1186;
- Hildebrand v. Perchtingen 1267 und 1320;
- Hildebrand v. Mils 1288.
- In der Familie der Grafen v. Brandis allein sind mir sechs Hildebrande bekannt…
In diesem Zusammenhang sei auch auf die von Beda Weber in Schloß Obermontan im Vinschgau entdeckte Nibelungenhandschrift aus dem Jahr 1323 verwiesen. Dieses Unikat wird heute als „Nibelungen-Hs Codex I“ in der Berliner Staatsbibliothek verwahrt. Im Nibelungenlied tritt bekanntlich Hildebrand als Gefolgsmann des Dietrichs v. Bern auf (siehe dazu auch die am 8.4.2017 im SID veröffentlichte „Dokumentation: Tirol als Kernland deutscher Kultur“).
Verlust der Sprache – Verlust der Identität: „Bald hüllt Vergessenheit mich ein!“
Wie zeitlos und richtig der tiefe Gedanke über die Bewahrung der sprachlichen Identität ist, erkennt man unter tausenden Zeugnissen großer Denker durch alle Jahrhunderte hindurch, wie auch am erschütternden Gedicht „Bald hüllt Vergessenheit mich ein“ des 1902 in Dresden geborenen und 1933 wegen seiner jüdischen Abstammung in die Emigration geflüchteten und heute zu Unrecht weitgehend vergessenen Schriftstellers und Dichters Hans Sahl, der 1993 in Tübingen starb.
Sahl wuchs in einer großbürgerlichen Kaufmannsfamilie in Berlin auf, studierte Kunst- und Literaturgeschichte, Archäologie und Philosophie. Nach seiner Promotion (1924) über altdeutsche Malerei arbeitete er in Berlin von 1926 bis 1932 im Feuilleton verschiedener Zeitungen.
Kein deutsches Wort
Hab‘ ich so lang gesprochen.
Ich gehe schweigend
durch das fremde Land.
Vom Brot der Sprache
blieben nur die Brocken,
die ich verstreut
in meinen Taschen fand.Verstummt sind sie,
die mütterlichen Laute,
die staunend ich
von ihren Lippen las,
Milch, Baum und Bach,
die Katze, die miaute,
Mond und Gestirn,
das Einmaleins der Nacht.Es hat der Wald
noch nie so fremd gerochen.
Kein Märchen ruft mich,
keine gute Fee.
Kein deutsches Wort
hab‘ ich so lang gesprochen.
Bald hüllt Vergessenheit
mich ein wie Schnee.
Das Gedicht von Sahl dokumentiert, wie Menschen unter dem zunehmenden Verlust ihrer sprachlichen und kulturellen Beheimatung leiden können.
Dr. Johann Lauber, Leiter des „Institutes für Integrative Gestalttherapie“ in Wien, erklärte in einem ORF-Interview:
„Gut verwurzelt in der eigenen familiären und ethnischen Herkunft zu sein, gibt uns Menschen Halt. Wenn diese Verbindungen gestört oder unterbrochen sind, macht uns das in der Regel schwach. Ängste oder Depressionen sind dann häufig anzutreffen“.
Die Erkenntnis, die man daraus ziehen muss, lautet: Sprache ist Heimat! Der gewaltsam zugefügte Verlust und auch die schleichende Zerstörung der Muttersprache bedeutet immer Heimatlosigkeit, zusammengefasst im Begriff „Elend“, aus: althochdeutsch: „elilenti“, mittelhochdeutsch: „ellende“ in der Bedeutung von: „außer Landes, hilfloser Zustand, verbannt, vertrieben, unglücklich, jammervoll“ (Dr. F. Tetzner: “Deutsches Wörterbuch“, Reclam; s. auch: „Kluge, etymologische Wörterbuch“, S. 240).
In Österreich gibt es, erstaunlicherweise, im Gegensatz zu vielen Staaten der Erde, kein Verfassungsgesetz zum Schutz der Muttersprache. In nur einem Satz der österreichischen Bundesverfassung, im Artikel 8, heißt es:
„Die deutsche Sprache ist, unbeschadet der den sprachlichen Minderheiten bundesgesetzlich eingeräumten Rechte, die Staatssprache der Republik“.
Das Ziel war und ist die Zerstörung der Tiroler Identität in Südtirol
Was wurde bereits nicht alles seit der Annexion Südtirols 1918 vom italienischen Staat und den Faschisten versucht, um die Identität Südtirols und seiner Bewohner zu zerstören!
Angefangen beim Verbot der deutschen Sprache nach dem 1. Weltkrieg und der verzweifelten Tiroler Antwort der „Katakomben-Schulen“, weiter über die zwangsweise Italianisierung der Vor- und Familiennamen bis hin zur gezielten amtlichen Verfälschung aller Orts- und Flurnamen, die bis heute besteht.
Die historische Lächerlichkeit der Verfälschung der Ortsnamen macht auch vor den Wanderwegen und Flurnamen nicht Halt.
Sie macht bis heute auch vor Straßennamen nicht Halt. Hier wird aus dem Namen des berühmten Johannes Kepler ein italienisierter „Keplero“. Noch lächerlicher geht es kaum!
Die faschistischen Väter des Sprachraubs
Ein Blick zurück in die Geschichte: Die vor allem über den Sprachraub geplante Italianisierung Südtirols hat zwei geistige Väter: Den „Duce“ Benito Mussolini und seinen Handlanger Ettore Tolomei.
Der 1865 in Rovereto geborene Ettore Tolomei verband nicht nur ein persönliches Interesse mit dem italienischsprachigen Teil Tirols, dem „Tirolo Meridionale“, welches seit Tolomei nach der Stadt Trento/Trient offiziell als „Trentino“ – benannt wird. Tolomei war auch die Italianisierung des deutsch- und ladinischsprachigen Südtirols ein Anliegen, da seine Familie auch dort Grund und Boden besaß
Ab 1883 studierte Tolomei Geographie und Geschichte in Florenz. Schon in jungen Jahren nahm er Verbindungen zu nationalistischen Bewegungen wie der „Dante Alighiere Gesellschaft“ auf.
Mit seiner Forderung nach der Brennergrenze wollte Tolomei auch das deutschsprachige Südtirol an Italien anschließen. Die Umsetzung dieser Vorstellung wurde für ihn zur Lebensaufgabe und sollte sich in der Zeit des Faschismus besonders positiv auf seine Karriere auswirken. Er wurde zum engen Vertrauten des Diktators Benito Mussolini und wurde zum faschistischen Senator auf Lebenszeit ernannt.
Über das bis heute spürbare verderbliche Wirken des Kulturzerstörers Tolomei hat der Südtiroler Autor Andreas Raffeiner ein von dem „Südtiroler Heimatbund“ herausgegebenes bemerkenswertes Buch verfasst, mit dem Titel „Ettore Tolomei lebt“.
Andreas Raffeiner schreibt:
„Tolomei hatte 1886 mit seinen ersten Versuchen zur Italianisierung der Ortsnamen in Südtirol begonnen. Er wurde von mehreren Mitarbeitern unterstützt, insbesondere von Ettore de Toni. Mit ihm führte er zwei Jahrzehnte später diese Arbeit im „Archivio per l’Alto Adige“ (Anm.: einer von ihm gegründeten Zeitschrift) weiter. Als Italien in den Ersten Weltkrieg 1915 eintrat, betrieb Tolomei sein Bestreben nach Italianisierung noch intensiver, denn er wollte endgültige Tatsachen schaffen.
Sein Ziel war es, Italien und anderen Nationen zu beweisen, daß es sich bei Südtirol um ein italienisches Gebiet handeln würde, „dessen wahrer Charakter unter einer nur dünnen Tünche verborgen liege“.
Das Handbuch der Ortsnamen von Südtirol erschien 1916…Sein Werk beinhaltet eine Fülle an Thesen, die er als Tatsachen ausgibt, für die er aber keine Beweise hat. In seinem Bemühen als Propagandist – nicht etwa als Historiker – stellt er seine Behauptungen als tatsächliche Gegebenheiten hin oder auch als unbestreitbare und erwiesene Ziele….
Man kann sagen, er ordnete die Wirklichkeit seiner Idee unter, die Grenze am Brenner, genauer an der Wasserscheide am Alpenhauptkamm, zu ziehen. Die Einleitung zum Handbuch der Ortsnamen zeigt dessen propagandistischen Charakter…
In ca. 40 Tagen italianisierte er 12.000 Südtiroler Ortsbezeichnungen. Laut dem Südtiroler Sprachwissenschaftler, Historiker und Germanisten Dr. Egon Kühebacher kann dies keine seriöse wissenschaftliche Arbeit sein – die Zeit für wissenschaftliche Exaktheit fehlte…
Die tolomeische Fälschung war daher vermutlich auch ausschlaggebend, daß der US-Präsident entgegen seinem Punkt 9, nämliche eine Volkstumsgrenze zu ziehen, die Wasserscheidenlinie als endgültige Grenze und nicht die Grenzziehung bei der Salurner Klause akzeptierte. ( Andreas Raffeiner: „Ettore Tolomei lebt“;Terlan Süd-Tirol, S. 33ff )
Die faschistischen Namensdekrete, welche die Tolomei-Erfindungen zu amtlichen Namen erklärten, wurden in den Jahren 1923, 1940 und 1942 erlassen.
Der Sprachraub an den Kindern
Ein noch schlimmerer und vor allem unmenschlicherer Angriff auf die Identität der Südtiroler, war der an den Kindern begangene Sprachraub.
Bei der Verfolgung und Vernichtung deutschen Kulturgutes drangen die Carabinieri auch in die Privathäuser ein.
Bei dem Kaufmann Alois Schröder in Vilpian sahen die Carabinieri im November 1925 das damals sehr bekannte Bild mit der Mutter, die ihren kleinen Sohn unterrichtet. Dieses Bild war von dem Verlag „Tyrolia“ in Bozen geduckt worden, welcher sich allerdings mittlerweile in „Verlag Vogelweider“ hatte umbenennen müssen.
Die Carabinieri beschlagnahmten das Bild, weil der Text darunter „Muttersprache, Mutterlaut“ lautete und weil die Firmenunterschrift immer noch den verbotenen Namen „Tyrolia“ trug. Sowohl gegen Schröder, wie gegen den „Vogelweider-Verlag“, wurde Anzeige erstattet.
Solche Ereignisse demütigten zwar die Südtiroler, waren aber nur Nadelstiche im Vergleich dazu, was nun gegen die deutsche Schule unternommen wurde.
Das Programm des Faschisten Ettore Tolomei hatte, neben der Italianisierung der Ortsnamen, der öffentlichen Aufschriften und der Straßen- und Wegbezeichnungen auch die Italianisierung des Schulunterrichts vorgesehen.
In mehreren Stufen führte der faschistische Staat die völlige Italianisierung von Religions- und Schulunterricht bis zum Schuljahr 1929/30 durch.
Auf den Bauerhöfen wurde natürlich nach wie vor deutsch gesprochen und deutsch gebetet. Die Kinder lernten aber in der Schule keine deutsche Rechtschreibung mehr, wie diese kindliche Niederschrift des Gebets „Vater unser“ zeigt.
Gegen den staatlichen Sprachraub leistete ein erheblicher Teil der deutschen Lehrerschaft und des deutschen Klerus mit dem unvergesslichen Kanonikus Michael Gamper, welcher zeitweise ins Exil nach Florenz verbannt wurde, erbitterten Widerstand.
Es entstanden die geheimen sogenannten „Katakombenschulen“. In Hinterzimmern von Pfarrhäusern, in Kellern, Scheunen, Almhütten und im offenen Wald erteilten mutige Lehrer, Lehrerinnen und Priester den Kindern heimlich Deutschunterricht – immer in Gefahr, von den Carabinieri und der Geheimpolizei ausgehoben und verhaftet zu werden.
Darüber hat die Erziehungswissenschaftlerin und Historikerin Dr. Maria Villgrater ein wissenschaftlich herausragendes und inhaltlich sehr berührendes Werk geschaffen, welchem die Fakten, Bilder und Daten der nachfolgenden Darstellung entnommen sind.
Im Jahr 1935 mussten dreizehn Lehrerinnen und Lehrer wegen Verfolgung aus dem Schuldienst ausscheiden, wurden zum Teil inhaftiert, mit hohen Geldstrafen belegt oder sogar aus der jeweiligen Gemeinde verbannt.
So geschah es auch der Lehrerin Josefine Leitner aus Villnöß (linkes Bild), die mit Geldtrafen belegt und vorübergehend 2 Monate lang inhaftiert wurde. Ein schlimmeres Schicksal erlitt die Lehrerin Angela Nikoletti aus Margreid (rechts Bild), welche zuerst eingekerkert und dann in verschiedene Verbannungen geschickt wurde. Sie war den Strapazen nicht gewachsen und starb 1930 im Alter von 25 Jahren.
Die tapferen Lehrpersonen und Geistlichen wurden durch mutige Jugendgruppen unterstützt, welche in schweren Traglasten deutsche Schulbücher über die Jöcher des Alpenhauptkammes nach Südtirol trugen.
Die Situation heute
Die staatliche Missachtung der deutschen Sprache in Südtirol
Im seit 1918 von Italien annektierten Südtirol ist die Lage der Muttersprache nach wie vor äußerst schlecht und sehr unbefriedigend! Besucher und Urlauber werden diesbezüglich häufig getäuscht.
Nach dem 2. Weltkrieg mußte der Staat seit dem Abschluss des „Pariser Vertrages“ von 1946 wieder die deutschen Vornamen erlauben und es wurde auch wieder der deutsche Schulunterricht in Südtirol zugelassen.
Die vielen tausenden von Tolomei gefälschten Orts- und Flurnamen besitzen jedoch bis zum heutigen Tag amtliche Gültigkeit, die faschistischen Dekrete sind daher bis heute in Kraft. Deutsche Namen dürfen nur ergänzend daneben bestehen und besitzen keine amtliche Gültigkeit.
Und Südtirol heißt immer noch „Alto Adige“!
Das Dekret des Präsidenten der Republik Italien vom 15. Juli 1988, Nr. 574, veröffentlicht am 8. Mai 1989, schützt theoretisch ab diesem Tag den Gebrauch der Muttersprache der Süd-Tiroler:
Sämtliche Teile der öffentlichen Verwaltung, der Justiz und der Polizeikräfte in Südtirol müssten sich somit an die Gleichstellung der Sprachen in Süd-Tirol halten!
An zahlreichen Beispielen seit der Veröffentlichung des Dekretes kann jedoch dokumentiert werden, daß sich die Ämter, Behörden, Polizei und Justiz vielfach nicht an dieses Dekret halten.
Einige ausgewählte Beispiele aus letzter Zeit zeigen die Missachtung der Bestimmungen auf:
Im Juni 2016 forderte der „Südtiroler Heimatbund“ auf Grund eines sehr beschämenden Vorfalles, daß „die eklatante Missachtung der Muttersprache endlich ein Ende haben muss“. Anlaß war, daß im öffentlichen Busverkehr von Pfunders nach Vintl sich eine ältere Dame beim Fahrer über den Sommerfahrplan erkundigte. Der entgegnete schroff, daß sie Italienisch sprechen solle. Die Dame, so die Augen- und Ohrenzeugin, fragte höflich nach, ob sie nicht in Südtirol sei und Deutsch sprechen dürfe, worauf sie von einem zweiten Busfahrer scharf zurechtgewiesen wurde: „Siamo in Italia!“ – „Wir sind in Italien!“ – man sei hier in Italien und solange im Ausweis „italienische Staatsbürgerin“ und nicht „Sudtirolo“ stehe, müsse hier Italienisch gesprochen werden.
Auch die „Agentur für Einnahmen“ in Bozen hält die Zweisprachigkeitspflicht vielfach nicht ein und verschickte Steuernachzahlungsbescheide ausschließlich in italienischer Sprache. Diese Weigerung, amtliche Bescheide in der Muttersprache zuzustellen, stellt eine sehr grobe Rechtsverletzung dar!
Der Südtiroler Landtagsabgeordnete Sven Knoll von der „Süd-Tiroler Freiheit“ meldete im September 2016:
„Wieder wurden uns Beschwerden gemeldet, daß der Telefonservice nur unzureichend funktioniert und das Recht auf den Gebrauch der Muttersprache missachtet wird.“
Im November 2016 meldete die Landtagsfraktion „Süd-Tiroler Freiheit“ folgenden Tatbestand dem Regierungskommissariat: Die neuen Trenitalia Züge, welche u.a. auch auf der Bahnstrecke Bozen – Meran im Einsatz sind, verfügen über Bildschirme, auf denen nur italienische Ortsnamen angezeigt werden. Auch die Sicherheitshinweise in den Zügen sind nur in Italienisch und Englisch ausgeschildert.
Sogar der fehlende muttersprachliche Hinweis in einem Wahllokal in Gries/Bozen, mußte vom Obmann des „Heimatbundes“, Roland Lang, in einer Beschwerde gemeldet werden. Knapp 80 Prozent der Wähler von Gries sprechen Deutsch.
Die Landtagsabgeordnete Myriam Atz Tammerle von der „Süd-Tiroler Freiheit“ klagte im Februar 2017 im Landtag:
„Wie sollen sich Bürger verhalten und an wen sollen sie sich wenden, wenn sie mit Beamten am Schalter oder am Telefon nicht in ihrer Muttersprache reden dürfen, weil der Beamte nicht zweisprachig ist?“
Auch der „Verband der italienischen Handelskammern“ missachtet die Zweisprachigkeitspflicht, wie der freiheitliche Landtagsabg. Walter Blaas im Februar 2017 aufdeckte.
Im März 2017 reichte das Leitungsmitglied der „Süd-Tiroler Freiheit“, Werner Thaler, beim Regierungskommissariat in Bozen eine Beschwerde über die Verletzung von Zweisprachigkeitsbestimmungen ein. Diese betrafen unter anderem die Polizeidirektion, die Quästur Bozen (einsprachige Mitarbeiter), die „Messe Bozen“ (einsprachige Tickets) und das Land Südtirol (einsprachige Baustellenbeschilderung auf der Pustertaler Straße), nur einsprachige Parkscheine in der Gemeinde Martell, und eine Reihe anderer Beschwerdepunkte.
Es geht um Gesellschaft und Volk
Zum Abschluss meiner Untersuchung zur Lage der Muttersprache in Südtirol sei hier der europaweit anerkannte Völkerrechts-Experte, Univ.-Prof. Dr. Felix Ermacora zitiert, der in seinem Buch „Südtirol und das Vaterland Österreich“ Wien 1984, S. 217ff) schrieb:
„Es geht bei der Frage der Identität nicht um die menschlich existentielle Identität. Diese ist ein philosophisches Problem, um das die Denker des Abendlandes gerungen haben und ringen.
Es geht um die gesellschaftspolitische und volkliche Seite der Frage. Sie gilt nicht nur für das Südtirol-Problem, sondern für alle Volksgruppen- und Minderheitenprobleme, wo es um die Erhaltung der charakteristischen Eigenarten von Gruppen, ja von ganzen Völkern geht. …
Tolomei bemühte sich, die Italianita des Landes zu beweisen. Ebenso unermüdlich wie er sie vertrat, wurde sie bestritten. Ich erinnere mich der Worte des Tiroler Landeshauptmann-Stellvertreters Hans Gamper, die er im Tiroler Landtag am 9. Februar 1961 ausgerufen hatte: ‚Von jedem Turm kündet es, von jeder Kirche, von jeder Burg – es ist ein deutsches Land‘….
In die ‚deutsch-österreichische Identität des Landes sind heute erhebliche Einbrüche erzielt worden. Die italienischen Aufschriften, die italienisch formulierten Vorschriften, die einen nicht unerheblichen Einfluss auf das Rechtsdenken haben können, die italienisch sprechenden Organe der öffentlichen Verwaltung, die italienischen Geschäfte und Kaufhäuser. Sie gehören zwar noch immer zur ‚superstructure‘ im Lande, aber sie nagen an der hergebrachten Identität ohne Zweifel.
Die Identität hängt zu einem guten Teil vom Bewusstsein der Bevölkerung, von seinen Sitten und Gebräuchen und seiner Religion ab … Die Frage nach der Identität schließt auch die von Nord- und Osttirols mit ein.“