Südtiroler Schützen gegen den Jurassic Park des Faschismus

Südtirol besitzt einen Saurier-Jurassic Park. Dieser beherbergt im Gegensatz zu dem Science-Fiction-Horror- und Abenteuerfilm des Regisseurs Steven Spielberg keine wiedererschaffenen lebenden Saurier. Er beherbergt  alte abgestorbene Saurier, nämlich die faschistischen Denkmäler, welche Mussolini zur Verherrlichung seines Regimes in Südtirol hatte errichten lassen. Diese waren auch dazu bestimmt gewesen, der einheimischen Bevölkerung klar zu machen, wer hier in diesem Lande das Sagen hatte.

von Hans Santner

Südtiroler Schützenbund protestiert gegen Renovierung eines Völkermord-Verherrlichungsdenkmals

Vertreter des italienischen Staates und seiner angeblich so ruhmreichen Streitkräfte halten dort nach wie vor nationalistischen Feiern ab und legen beispielsweise vor dem steinernen Alpini-Denkmal in Bruneck – von der einheimischen Bevölkerung wegen seiner Kapuze spöttisch  „Kapuziner-Wastl“ genannt – Kränze zum Andenken an jene italienischen Krieger nieder, welche in Äthiopien eine weitgehend wehrlose Bevölkerung überfallen, gefoltert, massakriert und mittels Giftgas teilweise ausgerottet hatten. Zu diesen wenig ruhmreichen „Kriegern“ hatten die Soldaten der italienischen Alpini-„Divisione Pusteria“ gehört, zu deren „Ehren“ das Andenken errichtet worden war.

Alpini in Äthiopien
Diese in Äthiopien begangenen Verbrechen verdienen wahrlich nicht durch Denkmäler verherrlicht zu werden.

Am 28. August berichtete das Nachrichtenportal UnserTirol24, dass der „Kapuziner-Wastl“ in Bruneck seine Feder an seinem steinernen Hut verloren habe. Ein Unbekannter hatte sie abgebrochen.

Wastl Bruneck
Bild UT 24

In dem Artikel hieß es weiter:

„Es ist nicht die erste Attacke auf den sogenannten „Kapuziner Wastl“. Ursprünglich war das faschistische Denkmal eine überlebensgroße Alpini-Statue, zu deren Füßen, als Sinnbild der Unterjochung ,ein „Eingeborener“ lag. Südtirol-Aktivisten hatten das Monument in den 60ern Jahren mehrmals gesprengt.

Das umstrittene Denkmal wurde zu Ehren der Alpini-Soldaten errichtet, die in den italienischen Kolonialkriegen für die Eroberung und Unterwerfung von Äthiopien gekämpft haben. Bis heute finden dort Kranzniederlegungen statt, die für großen Unmut in der Bevölkerung sorgen.“

Alpini Wastl Bruneck
Das historische Bild links zeigt die Einweihung des den Abessinien-Krieg verherrlichenden Alpini-Denkmals in Bruneck am 2. Juli 1938 durch Mitglieder der königlichen Familie. Das Bild in der Mitte zeigt den „Wastl“ Anfang der 1960er Jahre vor der Sprengung durch Südtiroler Freiheitskämpfer. Das Bild rechts zeigt, was die Sprengung dann von dem „Wastl“ übrig gelassen hatte.

Umgehend meldete sich der italienische Vizebürgermeister der Stadt Bruneck, Renato Stancher, zu Wort und verkündete, dass das Denkmal auf Kosten der Gemeinde Bruneck restauriert würde.

Dagegen protestierte der „Südtiroler Schützenbund“ öffentlich. Der ehemalige Landeshauptmann Durnwalder (SVP) forderte dass möglichst alle faschistischen Denkmäler in Südtirol beseitigt werden sollten und auch der Bürgermeister von Bruneck, Roland Griessmair (SVP) lehnte zusammen mit der Gemeindevertretung die Restaurierung des Faschistendenkmals auf Kosten der Südtiroler ab.

Der Landeskommandant des „Südtiroler Schützenbundes“, Elmar Thaler, begrüßte diese Entscheidung. Das Nachrichtenportal „Unser Tirol 24“ berichtete über Thalers Stellungnahme:

Die Aktion des Vizebürgermeisters sei völlig daneben gewesen, nicht zuletzt auch, weil sich das Denkmal auf Staatsgrund befinde und die Rienzstadt keinen Anlass dazu hätte.

Erfreulich sei in diesem Zusammenhang die Aussage von Alt-Landeshauptmann Luis Durnwalder, wonach das Alpinidenkmal aus der unrühmlichen Zeit des Faschismus in eine Kaserne versetzt werden sollte. Wie richtig Durnwalder mit seiner Aussage liegt, zeigt die Tatsache, dass die winzigen erklärenden Täfelchen vor dem Faschistendenkmal ohne Wirkung geblieben sind. Ansonsten wäre wohl keinem Italiener mehr in den Sinn gekommen, ein menschenverachtendes Denkmal von Schmutz zu befreien und es wieder instand zu setzen – man hätte es dem Verfall preisgegeben, so der Schützenbund in einer Aussendung.

Laut Schützenbund zeigt Stanchers Vorpreschen, dass es in Südtirol immer noch Zeitgenossen gibt, welche sich von den faschistischen Denkmälern nicht trennen können. Somit sei der Kapuziner-Wastl das beste Bespiel dafür, dass eine Historisierung der Relikte aus vergangenen Tagen misslungen sei.

Dem Vorschlag von Ex-Landeshauptmann Luis Durnwalder schließt sich der Südtiroler Schützenbund an und fordert den Staat Italien und die Alpinivereinigung ANA auf, ihr faschistisches Denkmal in die Lugramani-Kaserne zu verlegen, wo es gereinigt und die abgeschlagene Alpinifeder wieder aufgeklebt werden könnte. Dort würden zudem auch die jährlichen Kranzniederlegungen für die Angriffskriege Italiens gegen Abessinien/Äthiopien und Russland die Öffentlichkeit nicht mehr stören.“ (UT24 31. August 2017)

Alpini Wastl Bruneck
Kranzniederlegung vor dem Kriegsverbrecher-Denkmal durch die Alpini-Vereinigung ANA am 26. Jänner 2016 – eine Provokation für die einheimische Bevölkeurng. (Bild UT 24)

Der Protest der Schützen hatte Erfolg gehabt

Auch in der Vergangenheit haben die Schützen wiederholt gegen die zahlreichen in Südtirol bestehenden und von der Staatsmacht behüteten und gepflegten faschistischen Denkmäler protestiert und damit die öffentliche Erörterung dieses für Rom unangenehmen Themas aufrecht erhalten.

Vielen Landsleuten ist noch die große Schützendemonstration von 2008 in Erinnerung.

Plakat Schützen Kundgebung 2008 in Bozen
Mit Flugblättern und Plakaten hatte der Südtiroler Schützenbund zu der großen antifaschistischen Kundgebung aufgerufen.

Am 8. November 2008 fand in Bozen eine denkwürdige Protestkundgebung „Gegen Faschismus für Tirol“, statt zu welcher der „Südtiroler Schützenbundes“ aufgerufen und eingeladen hatte.

Schützen Demo Bozen 2008

Schützen Demo Bozen 2008

Schützen Demo Bozen 2008

Schützen Demo Bozen 2008

Auf dem Bozener Waltherplatz hatte sich eine riesige Menge von etwa 4.000 Schützen und Zivilisten versammelt.

Der Landeskommandant der Südtiroler Schützen, Paul Bacher, erläuterte in seiner Rede, worum es ging – um die in Südtirol immer noch stehenden, zum Teil monumentalen  Denkmäler, die zur Verherrlichung des Faschismus errichtet worden waren:

„Wir haben die Nase voll von einem Staat, der diese Relikte duldet und von Politikern die nichts dagegen unternehmen“, rief Bacher aus. „Italien hat sich als einziges EU-Land nie vom Faschismus distanziert und sich nie für die Verbrechen bei uns Tirolern entschuldigt.“

Der Landeskommandant sprach dann die Schande der faschistischen Denkmäler in Südtirol an, welche alle Jahre wieder von den staatlichen Behörden liebevoll renoviert wurden. Er forderte deren Abriss.

Bozen: Alpini vor Relief
Noch immer ist auf einem riesigen steinernen Fries auf dem heutigen Finanzamt Bozen, dem früheren faschistischen Hauptquartier, der hoch zu Ross reitende „Duce“ Mussolini zu sehen. Zahlreiche Darstellungen auf dem Fries preisen die „Heldentaten“ und „Errungenschaften“ des Faschismus. Dieser Ort war und ist bei der italienischen Alpinitruppe für deren Heldengedenken beliebt.

Mussolini Fries Bozen

Nun protestierten die Schützen vor dem Mussolini-Relief gegen den Faschismus und forderten die Landeseinheit Tirols. Dann zogen die Schützen zu dem sogenannten „Siegesdenkmal“, welches mit faschistischen Liktorenbündeln geschmückt ist und forderten dessen Beseitigung.

Es gab in den letzten Jahren noch zahlreiche weitere öffentliche Aktionen der Schützen gegen den weiterbestehenden faschistischen „Jurassic Park“ in Südtirol.

Weitere Informationen zu den Schützen

Über diese und viele andere mutige Aktionen der Südtiroler Schützen berichtet der bekannte Historiker und Publizist Prof. Dr. Reinhard Olt in einem Dokumentarwerk. Darüber hat er dem Südtiroler Informationsdienst diesen Artikel Stachel im Fleisch der Politik“ zur Verfügung gestellt.

Weitere Informationen zum Alpini-Denkmal in Bruneck

Im Jahre 2009 veröffentlichte der Buchdienst Südtirol eine Dokumentation über das Alpini-Denkmal in Bruneck unter dem Titel „Denkmal der Schande“ und im gleichen Jahre veröffentlichte die Zeitschrift „Der Tiroler“ eine Dokumentation unter dem Titel „Weg mit dem Völkermord-Schandmal“. Beide Dokumentationen können hier als pdf-Dateien aufgerufen und auch abgespeichert werden:

Denkmal der Schande

Weg mit dem Völkermord-Denkmal




Stachel im Fleisch der Politik

Allen Widrigkeiten zum Trotz halten die Schützen im Süden des 1919 geteilten Landes an der Wiedervereinigung Tirols fest.

von Reinhard Olt

Wer sich mit historischen Publikationen zum Thema (Süd-)Tirol befasst und die mediale Berichterstattung der letzten Jahre verfolgt hat, konnte den Eindruck gewinnen, mit der 1969 zustande gekommenen und 1972 statutarisch verankerten Selbstverwaltung für die „Provincia autonoma di Bolzano – Alto Adige“  und dem unlängst in Meran, Bozen und Wien politisch-medial beweihräucherten Rückblick auf „25 Jahre  österreichisch-italienische Streitbeilegung“ von 1992 sei die seit Ende des Ersten Weltkriegs schwärende Wunde der Teilung Tirols ein für allemal geschlossen. Weit gefehlt. Demoskopische Erhebungen förderten zutage, dass  in Österreich – insbesondere im Bundesland Tirol – wie  im von Italien 1918 annektierten südlichen Teil Tirols das Empfinden historischen Unrechts sowie das Gefühl der Verbundenheit und Zusammengehörigkeit nach wie vor ausgeprägt sind.

Teilung Tirols
Nach wie vor wird die Teilung Tirols von vielen Österreichern als zu ändernder Unrechtszustand empfunden

Die große Mehrheit aller Befragten bekundete auch das Verlangen nach (einem Referendum zwischen Brenner und Salurner Klause über die) Ausübung des sowohl nach dem Ersten, als auch nach dem Zweiten Weltkrieg der dortigen Bevölkerung verweigerten Selbstbestimmungsrechts. Dafür sprachen sich sogar viele der befragten ethnischen Italiener in der benachbarten Provinz Trient aus, mit der Bozen-Südtirol in einer „Regione Autonoma Trentino-Alto Adige“ zwangsvereint ist.  In Südtirol selbst waren sich die Befragten – trotz unterschiedlicher Vorstellungen der maßgeblichen politischen Kräfte über die anzustrebende weitere Entwicklung des Landes (Vollautonomie; Freistaat; Rückgliederung an Österreich) –  mehrheitlich darüber einig, dass dessen Zukunft jedenfalls in der Unabhängigkeit von Italien, mithin im „Los von Rom“, zu suchen sei.

Österreicher für Südtirol

Österreicher für Selbstbestimmungsgrecht Südtirols
Im Jänner 2015 stellte der Vorstand des „Südtiroler Heimatbundes“, einer von ehemaligen Südtiroler politischen Häftlingen gegründete Vereinigung, zusammen mit Prof. Dr. Olt (2. von rechts), der Öffentlichkeit eine Aufsehen erregende Meinungsumfrage vor, wonach die überwiegende Mehrheit der Österreicher nach wie vor für die Selbstbestimmung Südtirols eintritt.

Dass Loslösung von Italien im öffentlichen Raum ein Diskussionsthema ist und bleibt, dafür sorgen – neben drei deutschtiroler Oppositionsparteien, die seit der Landtagswahl von 2013 im Parlament zu Bozen zusammen 10 von 35 Abgeordneten stellen – der Südtiroler Heimatbund (SHB), die Vereinigung ehemaliger Freiheitskämpfer, sowie vor allem der Südtiroler Schützenbund (SSB).

Dieser mitgliederstarke Traditionsverband, dessen Wurzeln ins frühe 16. Jahrhundert zurückreichen, tritt in Treue fest für die Bewahrung der Tirolität im fremdnationalen Staat sowie unerschütterlich für die Aufrechterhaltung des Ziels der Landeseinheit ein. Wiewohl politisch gänzlich unabhängig, bilden mehr als 6000 Mitglieder, von denen über 5000 in 140 Schützenkompanien sowie in 3 Schützen(musik)kapellen aktiv sind, mitsamt  Familienangehörigen ein ansehnliches gesellschaftliches Potential.

Wann und wo immer sie aufmarschieren in ihrer pittoresken Montur – sie sind eine Augenweide fürs Publikum. Im alpinen Tourismus würden ihre Farbtupfer fehlen, träten sie nicht in Kompaniestärke oder gar noch größeren Formationen auf, wenn es gilt, gelebte Tradition augen- und ohrenfällig werden zu lassen. Es kommt daher nicht von ungefähr, dass zwischen Oberbayern und Welschtirol (Trentino) beheimatete Schützenformationen an den meisten Urlaubsorten von Besuchern allzu gerne als folkloristische Draufgabe auf ihren wohlverdienten Ferienaufenthalt empfunden werden.

Wer indes einmal einen Blick in eine Ortschronik oder gar in ein Geschichtsbuch wirft, dem wird sich die historische Dimension des Schützenwesens alsbald erschließen. Dies gilt samt und sonders für jene Landstriche im Dreieck zwischen Konstanz, Kufstein und Ala am Gardasee, die einst die „Gefürstete Grafschaft“ respektive das „Land im Gebirg’“, wie es oft in Urkunden bezeichnet wird, mithin das alte Tirol ausmachten. Überall dort geht die Existenz der Schützen auf das sogenannte Landlibell Kaiser Maximilians I. (1459–1519) zurück.

Der „letzte Ritter“, wie man ihn auch nennt, erließ 1511 jenen urkundlich verbrieften Rechtsakt, in welchem er die Freiheiten der Tiroler Stände festlegte und damit zugleich das Wehrwesen und also die Organisation der Landesverteidigung durch Aufgebote städtischer und ländlicher Bewohner mitsamt einer Aufteilung der Mannschaftskontingente regelte. Das Landlibell legte fest, dass die Tiroler nicht verpflichtet waren, für einen Herrscher außerhalb der Landesgrenzen in den Krieg zu ziehen. Dafür sicherten die Stände zu, bei Feindeseinfall Tirol zu verteidigen.

Landlibell
Das „Landlibell“ von 1511 regelte für die kommenden Jahrhunderte die Landesverteidigung Tirols und war die entscheidene Grundlage der Landesverteidigung von 1809

Andreas Hofer

Weithin bekannt wurde das Tiroler Schützenwesen vor allem durch die Abwehrkämpfe während der kriegerischen Einfälle der Bayern 1703 sowie der Franzosen (nebst ihrer bayerischen Verbündeten) in den Jahren 1796/97 und 1809. Die Bergisel-Schlachten unter dem aus dem Südtiroler Passeiertal stammenden Kommandanten und Volkshelden Andreas Hofer – plastisch und drastisch nachzuverfolgen am „Riesenrundgemälde“ im Tirol-Panorama, einem eigens 2010 errichteten Museum am gleichnamigen Berg nahe Innsbruck – trugen wesentlich dazu bei, dass der Mythos vom wehrhaften Bergvolk, das selbst Napoleon trotzte, in ganz Europa bekannt wurde.

Das Landlibell galt im Kern bis zur Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, und selbst während des Ersten Weltkriegs wurden Tiroler Standschützen stets nur zur Verteidigung der Heimat und eben nicht auf außertirolischen Kriegsschauplätzen eingesetzt. Daran und an „500 Jahre Landlibell als Geburtsurkunde der Tiroler Schützen“ war  2011 in Innsbruck im Beisein von deren Abordnungen aus eben jenem historischen Tirol – des österreichischen Bundeslandes sowie der italienischen Provinzen Bozen-Südtirol und Trentino – feierlich erinnert worden.

Standschützen
Auch im Ersten Weltkrieg wurden die Standschützen nur zur Verteidigung der Grenzen Tirols eingesetzt

Nirgendwo dort fehlen Schützen bei einer größeren Festveranstaltung. Fast in jeder Gemeinde gibt es eine Kompanie, die bei festlichen Anlässen „ausrückt“ und mittels  Gewehrsalven eines  Schützen-Detachements den Festcharakter lautstark unterstreicht. Heutzutage haben diese Waffen tragenden Tiroler in ihren schmucken, regional und sogar lokal unterschiedlichen Uniformen feindliche Truppen nicht mehr abzuwehren, wenngleich Degen und Karabiner zu ihrer „Standardausrüstung“ gehören. Der wehrhafte Geist ist ihnen indes ganz und gar nicht abhandengekommen, wenn sie sich – im engeren wie im weiteren Sinne – um die „Heimat“ kümmern: Sie initiieren und beteiligen sich aktiv an Renovierungsaktionen für Bauwerke; dasselbe gilt für Reinigungsaktivitäten besonders dort, wo das Wegwerfgut des Massentourismus  zu beseitigen ist.

Vor allem aber engagieren sie sich in der sozialen Fürsorge für ältere Mitbürger. Trotz äußerlicher Verschiedenheit, wie sie an Gewand und Hüten, an Uniform-/Tracht- und Hutschmuck sowie an ihren Fahnen auszumachen ist, eint sie Tradition und Heimatverbundenheit, wie sie sich in den Grundsätzen des Schützenwesens manifestieren (dazu gehören „Treue zu Gott und dem Erbe der Väter“, „Schutz von Heimat und Vaterland“ sowie „Einheit des Landes“).

Letzteres führte mitunter zu  Auseinandersetzungen in und zwischen den drei maßgeblichen Schützenverbänden – sehr stark beeinflusst von den in den Tiroler Landesteilen dominanten politischen Kräften respektive regierenden Parteien, von denen im Bundesland Tirol die ÖVP und in der Provinz Bozen-Südtirol deren Pendant SVP seit dem Zweiten Weltkrieg ununterbrochen an der Macht sind.

Dass Streit über die Landeseinheit mittlerweile als „Schnee von gestern“ gelten darf, ist in erster Linie dem Betreiben des SSB und dessen Landeskommandanten Major Elmar Thaler sowie der Mitwirkung seines Pendants im Norden – Major Fritz Tiefenthaler, Kommandant des Bundes Tiroler Schützenkompanien (BTSK) – zuzuschreiben.

Hieß der übergreifende Grundsatz zwischen Nord und Süd in den 1990er  Jahren „geistige und kulturelle Landeseinheit“, so ist in den letzten Jahren, weitgehend inauguriert vom  SSB, immer stärker auch die „politische Einheit des Landes“ in den Mittelpunkt gemeinsamer Zielsetzungen gerückt. Und mit der  Neugründung eines (die ansonsten eigenständigen Schützenverbände Tirols, Südtirols und Welschtirols) vereinigenden „Verbandes Tiroler Schützen“ (VTS)  wurde  die „Landeseinheit Tirols“  in dessen Statut fixiert. Jedes Jahr übernimmt ein anderer Landeskommandant die Führung der darin vereinten mehr als 20.000 Schützen Gesamttirols.

Sichtbarster Ausdruck der Veränderung vom „unpolitischen“ – und von zeitgeistfrommen Zeitgenossen abschätzig „heimattümelnd“ genannten – Charakter zu einem durchaus ernstzunehmenden politischen Faktor in beiden Teilen Tirols war der  „Freiheitsmarsch“ der Schützen 2012 in Bozen. Damit war erstmals auch die personifizierte gesamttirolische Verbandseinheit dokumentiert worden, indem der Südtiroler Landeskommandant Elmar Thaler, der Nordtiroler Fritz Tiefenthaler und der Welschtiroler Giuseppe Corona an der Spitze den farbenprächtigen Zug von Tausenden ihrer Mannen nebst Marketenderinnen und Sympathisanten in gleichem Schritt und Tritt quer durch die Stadt auf den Platz vor das Landhaus (Landtag) zur Abschlusskundgebung führten.

Schützen Bozen 2012

(„Dolomiten“ vom 16. April 2012)

Am 14. April 2012 hatten die Südtiroler Schützen zu einem großen „Freiheitsmarsch – ohne Rom in die Zukunft“ durch Bozen aufgerufen. An die 6.000 Menschen waren gekommen, unter ihnen Abordnungen der Nordtiroler und der Welschtiroler Schützen. An der Spitze des Zuges marschierten die Landeskommandanten der Schützen. Von links nach rechts: Der Nordtiroler Landeskommandant Major Mag. Fritz Tiefenthaler ( „Bund der Tiroler Schützenkompanien“), Landeskommandant Elmar Thaler („Südtiroler Schützenbund“) und Vize-Landeskommandant Giuseppe Corona („Welschtiroler Schützenbund – Federazione Schützen del Welschtirol“).

Dort fassten sie zusammen, was die einzelnen Kompanien in griffige Parolen gekleidet auf Spruchbändern mit sich geführt hatten und was Ziel des demonstrativen, aber gänzlich unmartialisch verlaufenen Aufmarschs sein sollte: Der „Mut zum Bekenntnis und zur Tat“ gipfelte in dem wider Italien gerichteten Bekenntnis „Unser Staat ist das nicht“, respektive im Verlangen „Schluss mit der italienischen Verwaltung“.

In Anlehnung an den November 1989 in der damaligen DDR hieß es auch auf rotweißen Spruchbändern, die der Tiroler Adler zierte: „Wir sind das Volk“. Womit zugleich das Verlangen nach Wiedervereinigung des seit Ende des Ersten Weltkriegs geteilten Tirols Ausdruck fand. All das verdichtete sich in den beiden markanten Parolen von der „Ausübung des Selbstbestimmungsrechts“ und der „Verabschiedung aus Italien“, mithin dem „Los von Rom“. Es fehlte auch nicht an Schelte für „Politiker, die der Landeseinheit im Wege stehen“. Vom SSB initiierte und organisierte „Unabhängigkeitstag“ in Meran 2013 und in Bruneck 2016,  zu denen sich Vertreter zielgleicher nationaler Minderheiten aus EUropa einfanden, gerieten zu selbstbewussten Manifestationen wider assimilatorische Entnationalisierung sowie des unbedingten Willens zur Selbstbehauptung und des Verlangens nach Verwirklichung des in der UN-Charta verankerten Selbstbestimmungsrechts.

Unabhängigkeitstag in Meran 2013

Unabhängigkeitstag in Meran 2013
Unabhängigkeitstag in Meran 2013

Unabhängigkeitstag in Bruneck 2016

Unabhängigkeitstag in Bruneck 2016
Unabhängigkeitstag in Bruneck 2016

Die Schützen wissen, dass sie mit derartigen Aktivitäten mitunter auf Ablehnung stoßen: nicht allein in Rom (zur Gänze) sowie (weithin) in der politischen Klasse Wiens und Innsbrucks, sondern auch und vor allem bei der SVP. Die 1945 gegründete „Sammelpartei“ hat sich längst  mit den obwaltenden, weil  mitgestalteten Verhältnissen arrangiert. Dem Arrangement fiel das in ihren Parteistatuten als Gründungszweck und hehres Verwirklichungsziel verankerte Selbstbestimmungsbegehr „realpolitisch“ ebenso zum Opfer wie ihr die einst auch von ihr als höchsten Daseinszweck propagierte Landeseinheit faktisch obsolet geworden ist. Dies legte die seit der Streitbeilegung 1992 immer öfter ins Auge stechende, dem Machterhalt dienende und für Funktions- und Amtsträger sowie dem sozial und ökonomisch nutznießenden Teil der eigenen Wählerklientel einträgliche Maxime des „Kompromisses um jeden Preis“ offen. Man tritt der gegenwärtigen SVP-Führung  und dem Gros ihrer Parlamentarier gewiss nicht zu nahe, wenn man sie als italophil bezeichnet.

Dass dies zwangsläufig zu Konflikten mit dem Schützenbund führen muss(te), dessen Wiedergründung ohne Beistand und Rückhalt der SVP 1957 kaum denkbar gewesen wäre und zu dessen erstem Kommandanten infolgedessen der damalige Landeshauptmann Dr. Alois Pupp bestimmt worden war, ist in den letzten Jahren häufig zutage getreten. Das Wiederaufleben des im italienischen Faschismus verbotenen Schützenwesens geschah gegen den hartnäckigen Widerstand des „demokratischen Italiens“, das – in Südtirol übrigens bis heute –  zäh sein geistiges faschistisches Erbe verteidigt.  In Rom war und ist man sich der Bedeutung des Schützenwesens bewusst, dessen traditioneller Daseinszweck auf Bewahrung der Identität und Freiheit der Tiroler sowie auf Wiedererlangen der Landeseinheit gerichtet ist.

Von den 1950er bis zu den frühen 1980er  Jahren herrschte hinsichtlich dieser Ausrichtung weithin Übereinstimmung mit der SVP, zudem bestand  eine gewisse personelle Identität. Man tut wohl niemandem Unrecht, wenn man den SSB bis zur zäsuralen „Schützenrevolte“ auf der denkwürdigen Landesversammlung  (dem Parteitag) 1986 in Meran als eine der SVP-„Vorfeldorganisationen“ charakterisiert. Das hat sich seitdem fundamental geändert. Zwischen SVP und SSB, der sich von ihr emanzipierte und mehr und mehr zum Stachel im Fleische der Politik wurde, ist heute der Bruch unübersehbar.

Die Schützen haben wieder und wieder bewiesen, dass sie trotz (gesellschafts)politischen Gegenwinds an ihrem historisch begründeten und legitimierten Auftrag sowie an ihrem tradierten Wertegefüge festhalten und standfest bleiben. Daher ist es vornehmlich ihnen zu danken, dass das letzte Wort bezüglich der Zukunft (Süd-)Tirols wohl noch lange nicht gesprochen ist.

Standhaft im Gegenwind. Der Südtiroler Schützenbund und sein Wirken für Tirol als Ganzes
Olt, Reinhard: „Standhaft im Gegenwind. Der Südtiroler Schützenbund und sein Wirken für Tirol als Ganzes“ Neumarkt a.d. Etsch (Effekt GmbH) 2017, 364 Seiten, Hardcover, Format 260×235 mm, illustriert, ISBN 978-88-97053-39-2; Preis 25,- Euro

Mein soeben erschienenes Buch „Standhaft im Gegenwind“. Der Südtiroler Schützenbund und sein Wirken für Tirol als Ganzes“ legt all dies faktengesättigt offen. Wobei  eine Fülle exklusiver Informationen aufgeboten werden konnten, die man sowohl in  der journalistischen, als auch in der bisherigen wissenschaftlichen Publizistik vergeblich sucht. Diese facettenreiche Publikation über den Südtiroler Schützenbund stellt daher zugleich eine detaillierte Beschreibung  der  ins österreichisch-italienische Verhältnis eingebetteten politischen Handlungen beider Tirol dar. Mithin schließt die Darstellung auch eine Lücke in der Aufarbeitung der jüngeren Zeitgeschichte.

Reinhard Olt
Prof. Dr. Reinhard Olt bei der Vorstellung seines Buches am 2. Mai 2017 im Bozener Waltherhaus