Die Justiz in Italien als politische Waffe

Der „Codice Rocco“

Der italienische König Vittorio Emanuele III. saß in aufmerksamer Haltung hinter seinem Arbeitstisch. Man schrieb den 19. Oktober des Jahres 1930, des achten Jahres der faschistischen Machtergreifung.

Der „Guardasigilli“, der „Siegelbewahrer“, Justizminister Alfredo Rocco richtete das Wort an den König. „Sire“, begann der Minister, „in Eurem Königreich haben sich in der Tat in glücklicher Weise die Eroberungen der Waffen und die gesetzlichen Reformen vereinigt, um das Leben des Staates und des italienischen Volkes zu erneuern. Die Strafgesetzreform“, rief der Minister emphatisch aus, „wird als eines der hervorragendsten Denkmäler dieser Gesetzgebung und als eine imposante Demonstration der Kraft des italienischen Genius bestehen bleiben.“

Benito Mussolini und sein Justizminister Alfredo Rocco
Benito Mussolini und sein Justizminister Alfredo Rocco

Im Hintergrund hörte, in achtungsvoller Haltung stehend, ein untersetzter und gedrungener Mann aufmerksam dem Vortrag zu. Benito Mussolini, „Duce“ der Nation und geistiger Vater des neuen Strafgesetzes, hatte die Grundzüge des faschistischen „codice penale“ bereits 1925 durch die „camera dei deputati“ beschließen lassen. Dann hatte sein treuester Vasall, Justizminister Rocco, das Gesetz in allen Einzelheiten ausgefeilt. Nun sollte der König seine Unterschrift geben.

Der „Guardasigilli“ klappte seine Mappe zu. Vittorio Emanuele III. ergriff die Feder und unterzeichnete das vor ihm liegende Schriftstück. Mussolini trat zum Tisch und unterschrieb, nach ihm Justizminister Rocco. Damit trat der neue „Codice Penale“, nach seinem Schöpfer auch „Codice Rocco“ genannt, in Kraft.

Codice Penale

Engel mit Schwert
Auch heute erinnert noch ein pompöses Wandgemälde im italienischen Parlament an die Einführung des faschistischen „Codice Rocco“. Die Justiz – wie in allen Diktaturen eine Dienerin der Politik – ist hier als Engel mit Schwert dargestellt.

Das Strafrecht und die faschistische Staatsauffassung

Ein Blick auf die Sprachenkarte

Wer die Frage stellt, warum der Mussolini-Staat Bedarf an den berüchtigten Artikeln des Strafgesetzbuches gehabt hatte, der ist eingeladen, einen Blick auf eine Sprachenkarte Italiens zu werfen. Auf der Halbinsel einschließlich der zu ihr gehörenden Inseln werden 14 Sprachen gesprochen. In 14 von insgesamt 20 italienischen Regionen sprechen etwa 2,8 Millionen Menschen eine andere Muttersprache als Italienisch, wobei die Sprachen Piemontesisch, Roma und Sinti noch nicht in dieser Aufstellung erfasst sind. Die Sprachgruppenzählung von 1971 führte neben Italienisch folgende Sprachgruppen auf: Albanisch, Deutsch, Dolomiten-Ladinisch, Franko-Provenzalisch, Friulanisch, Griechisch, Katalanisch, Kroatisch, Okzitanisch, Sardisch und Slowenisch.

Es hätte sich eine föderalistische Lösung angeboten

Natürlich war auch Mussolini bekannt, daß Italien über zahlreiche und zahlenmäßig starke Volksgruppen verfügt, die eine zentrifugale Entwicklung weg vom zentralistischen Einheitsstaat in Gang setzen konnten. Der italienische Staat wäre aufgrund seiner ethnischen Struktur dazu geschaffen gewesen, eine föderalistische Verfassung mit weitreichenden Autonomien der einzelnen Volksgruppen zu erhalten. Das Beispiel der Schweiz mit ihrer Kantonalverfassung hätte sich angeboten.

Die politische Zielrichtung des Faschismus war eine andere gewesen

Die politische Zielrichtung des Faschismus war jedoch eine andere gewesen. Mussolini schreibt in seinem Standardwerk „La dottrina des fascismo“: „Der italienische Staat ist Wille zur Macht und zum Imperium. Die römische Überlieferung ist hier ein Wunschbild von höchster Gewalt“. An anderer Stelle heißt es: „Wer Faschismus sagt, sagt Staat.“ Die Vorstellung vom zentralistisch gelenkten und straff organisierten Imperium verlangte aber auch die organisierte Einheitsnation, innerhalb derer es keinen Platz für Besonderheiten oder gar Gewaltenteilung zwischen autonomen Gebieten und der Zentralregierung geben durfte. Folgerichtig sagte daher Benito Mussolini:

„Es ist ja nicht die Nation, die den Staat erzeugt, nach der verschimmelt naturalistischen Auffassung, die der Schriftstellerei in den Nationalstaaten des neunzehnten Jahrhunderts zugrunde lag. Vielmehr wird die Nation durch den Staat geschaffen.“

In diesen Worten des „Duce“ ist bereits das gesamte Entnationalisierungsprogramm enthalten, welches die Südtiroler in eine gemeinsame italienische Einheitsnation einschmelzen sollte, ohne daß eine Spur ihrer deutschen und ladinischen Nationalität und Kultur erhalten bleiben durfte.

Daß dieses Programm Widerstand auslösen mußte, lag auf der Hand. Mussolini legte deshalb das Strafgesetz als eiserne Klammer des Staates um die ihrer Identität beraubten Volksgruppen.

Die faschistische Repression

Für Südtirol sollte das faschistische Strafgesetz zu einer unbarmherzigen Geißel werden, die von einer willfährigen Justiz über dem geknechteten Volk geschwungen wurde.

In seinem zweiten Hauptteil („Dei delitti contro la personalita dello stato“) zählte der Codex jene „Delikte gegen die Persönlichkeit des Staates“ auf, die ab nun mit langjährigen Kerkerstrafen, mit dem Tod oder lebenslangem Zuchthaus zu ahnden waren: Beleidigung der italienischen Nation; Beleidigung der italienischen Fahne; antinationale Aktivität; politischer Defaitismus; Beleidigung des Staatsoberhauptes; subversive und antinationale Propaganda; Bildung von geheimen Gesellschaften. Wer die bewaffneten Streitkräfte oder den faschistischen Großrat beleidigte (Artikel 290), konnte bis zu 6 Jahren Zuchthaus erhalten, auf die Beleidigung der italienischen Nation oder der italienischen Fahne standen 3 Jahre Kerker. Wer aber versuchen sollte, eine Kolonie oder ein anderes Territorium vom italienischen „Mutterland“ loszulösen, verfiel nach Artikel 241 der Todesstrafe.

Kritik an der Staatsführung führte ab nun wegen „antinationaler Aktivität“ oder „Beleidigung der italienischen Nation“ in die Kerker der römischen Regierung oder in die Verbannung auf Gefängnisinseln.

Politische Häftlinge Südtirol
Politische Häftlinge wurden in die Kerker von Gefängnisinseln im Mittelmeer deportiert

Gefängnisinsel
Die damals ständig von Malaria heimgesuchte Gefängnisinsel Lipari im MIttelmeer

Hunderte von Südtirolern wanderten aus nichtigen Anlässen für lange Jahre hinter Kerkermauern oder in die Verbannung auf Gefängnisinseln. An den Folgen der Verbannung starben der Rechtsanwalt Josef Noldin und das junge Mädchen Angela Nikoletti, die heimlich im „Katakombenunterricht“ den Kindern Lesen und Schreiben in deutscher Sprache beigebracht hatten.

Nikoletti und Noldin
Sie starben an den Folgen der Verbannung: Angela Nikoletti und Josef Noldin.

Einer der Überlebenden, Wilhelm Eppacher aus Brixen, hat vor einem österreichischen Gericht, im 3. Grazer Südtirolprozess, als Zeuge der Verteidigung die Leidensgeschichte der Eingekerkerten und Verbannten erzählt:

„Monatelang war das Gefängnis in Bozen mit jungen Südtirolern vollgepfropft. Manche saßen wegen angeblicher Schmähung der italienischen Staatseinrichtung oder weil sie beim Spielen der Faschistenhymne nicht den Hut vom Kopf genommen hatten hinter Gefängnismauern. Anderen warf man sogenanntes ‘antinationales Verhalten’ vor. Gefoltert wurde damals so wie heute. Einem Sepp Pilser aus Meran riß man die Haare mit ganzen Fetzen der Kopfhaut aus. Andere Gefangene stellte man in heißes Wasser und schlug sie, bis sie bewußtlos waren. Ich selbst wurde nach kurzer Gefängnishaft auf die Felseninsel Tremiti verbannt, wo ich fünf Jahre lang zusammen mit 500 anderen Südtirolern in einem Konzentrationslager eingesperrt war.“ (Wiedergeben in: Otto Scrinzi (Hrsg.): „Chronik Südtirol 1959 – 1969“, Graz 1996, S. 68)

 

Rudolf Riedl
Der Lehrer Rudolf Riedl aus Tramin, welcher heimlich Kinder in der deutschen Sprache unterrichtet hatte, berichtete später über seine schlimmen Erlebnisse in der Verbannung

1945: Die faschistischen Staatsschutzbestimmungen blieben aufrecht

Nach 1945 hielt die italienische Regierung es für angebracht, das faschistische Strafrecht nahezu unverändert in Kraft zu lassen und es in der Folge bei politischen Prozessen weiter anzuwenden.

Seine politischen Paragraphen dienten der allerchristlichsten Regierungspartei „Democrazia Cristiana“ ebenso zum Niederzwingen der kommunistischen Opposition wie zur Niederhaltung aufmüpfiger Südtiroler.

Forderungen nach dem Selbstbestimmungsrecht oder Bestrebungen für eine eigene Landesautonomie wurden mit der Einleitung von Strafverfahren wegen „Angriff auf die Einheit des Staates“ oder „Anschlag auf die Verfassung“ beantwortet.

Nach 1945 kehrten auch viele ehemals faschistische Richter und Verwaltungsbeamte nach Südtirol zurück und die Südtiroler mussten sich wieder vor denselben Richtern nach demselben Gesetz wie in der Faschistenzeit verantworten.

Die neuerliche Repression

Der Fall Egon Mayr

Im Jahre 1956 demonstrierte die Bozner Staatsanwaltschaft ihr faschistisches Rechtsverständnis an einem Österreicher.

Der 26jährige Egon Mayr aus Linz hatte einige Urlaubstage bei seiner Verlobten im Fassatal verbracht und fuhr nun am 26. Dezember 1955 mit dem Zug Richtung Brenner nach Hause. Er hatte in einer Aktentasche einige vervielfältigte Blätter mit sich, die einen Zeitungsartikel der New Yorker Monatsschrift „Austria“, einer Zeitung für Exilösterreicher, wiedergaben. In diesem Artikel wurde verlangt, die Südtiroler Frage vor die UNO zu bringen, mit dem Ziel, das Recht auf Selbstbestimmung durchzusetzen.

Im Bahnhof  von Brixen warf Egon Mayr unbeobachtet in der Dunkelheit einige dieser Blätter aus dem Zug. Ein Carabiniere fand sie. Umgehend wurde eine große Staatsaktion eingeleitet. Am Brenner wurde der Zug angehalten und von Carabinieri und Finanzern durchsucht. In Egon Mayrs Aktentasche fand man noch einige übrig gebliebene Blätter.

Alto Adige“ vom 28. Dezember 1955

Der „Staatsverbrecher“ wurde gefesselt und nach Bozen gebracht. Die Anklage lautete unter Verwendung politischer Paragraphen des faschistischen Strafgesetzbuches („Codice Rocco“) auf „antinationale Propaganda“ (Strafe: 1-5 Jahre) und auf „Anschlag auf die Einheit des Staates“ nach Artikel 241, der eine Strafandrohung bis Lebenslänglich vorsah. (Dieser faschistische Paragraph ist immer noch in Geltung und sieht heute nach einer parlamentarischen Modifikation vom 24. Februar 2006 immerhin immer noch eine Strafe nicht unter 12 Jahren vor.)

Dell’Antonio (rechts) und Egon Mayr (links)
Der Staatsanwalt Dell’Antonio (rechts) und sein Opfer Egon Mayr (links)

Am 17. September 1956 begann in Bozen die Verhandlung. Der Staatsanwalt Dell’Antonio, ein Exfaschist, forderte „unter Einräumung mildernder Umstände“ 14 Jahre und 8 Monate Gefängnis für Mayr, um „gewissen Leuten, die glauben, hier in Italien gelten nicht mehr die italienischen Gesetze, sondern die österreichischen“, die Situation klar zu machen. Mayr erhielt am 22. September 3 Jahre Haft, das Revisionsverfahren setzte die Strafe auf 10 Monate herab. Am 22. Dezember 1956 wurde Mayr über den Brenner abgeschoben.

Egon Mayr
„Dolomiten“ vom 18. September 1956

Der Fall Sepp Kerschbaumer

Sepp Kerschbaumer
Sepp Kerschbaumer hatte sich durch das Hissen von Tiroler Fahnen „strafbar“ gemacht. Der Staatsanwalt Mario Martin hatte die Tiroler Fahnen als „Fetzen“ bezeichnet.

Am 5. Juli 1957 war der spätere Freiheitskämpfer Sepp Kerschbaumer aus Frangart in Bozen vor Gericht gestanden. Der Staatsanwalt Mario Martin hatte ihn angeklagt, durch das Hissen von Tiroler Fahnen am 20. Februar, dem Todestag Andreas Hofers, eine „aufhetzende Kundgebung“ gegen den italienischen Staat veranstaltet zu haben. Die Tiroler Fahnen hatte der treffliche Staatsanwalt Mario Martin, ein Exfaschist, als „stracci“, als „Fetzen“,  bezeichnet. Kerschbaumer wurde zu 10 Tagen Arrest verurteilt. („Volksbote“, Bozen, 20. 07. 1957)

Das Schicksal der „Pfunderer Buam“

Besonders tragisch war das Schicksal der Pfunderer Burschen. In der Nacht des 15. August 1956 waren 7 junge Bauernburschen in Pfunders, einem kleinen Gebirgsort in einem Seitental des Pustertales, nach einer ausgiebigen Zecherei in eine Wirtshausrauferei mit ebenfalls dort zechenden italienischen Finanzern geraten. Einer der Finanzer, Raimondo Falqui, nahm Reißaus, rannte davon und stürzte von einer Brücke ohne Geländer 3 Meter tief in den ausgetrockneten Roanerbach, wo er sich an einem Stein die Stirne einschlug. Niemand hatte dies bemerkt. Die Burschen gingen nach Hause und schliefen ihren Rausch aus. Nun wurden die Bauernburschen als „Mörder“ verhaftet.

 Der publizistische Hassfeldzug

 Zwei Tage nach dem Leichenfund im Roanerbach gab eine römische Zeitung mit neofaschistischer Schlagseite, das „Giornale d’Italia“, das Zeichen zur Hetzjagd: Es sei Mord gewesen und zwar ein „politischer Mord … Die Gründe sind noch nicht bekannt, aber sie sind zweifellos in dem Klima des Hasses zu suchen, den die Vertreter einer Partei seit Jahren säen …“ Gemeint war damit die „Südtiroler Volkspartei“.

Wenige Tage später wusste es die italienische Wochenillustrierte „Oggi“ ganz genau:

„Dies ist ein grausames sinnloses Verbrechen, geboren aus dem Hassfeldzug, der von einigen Exponenten der örtlichen Minderheit geführt wurde. Der Mord an dem jungen Beamten stellt das letzte und blutige Glied in einer Kette von Übergriffen und Gewalttaten dar.“

Ein politischer Mord also! Die gesamte Südtiroler Volksgruppe und ihre Führung als angebliche Anstifterin eines hinterhältigen und grausamen Verbrechens, zitiert vor die Schranken der italienischen Nation.

Die Pfunderer Burschen
Die Pfunderer Burschen wurden in Ketten zum Prozess gebracht.

Bereits die ersten Ermittlungen wurden so geführt, daß sie eine spätere Mordanklage rechtfertigen sollten. Daher wurden die Burschen so lange geschlagen, bis sie die von dem Staatsanwalt Dell’Antonio gefertigten Protokolle, deren Inhalt sie nicht verstanden, unterschrieben hatten. Diese Protokolle enthielten jedoch „Geständnisse“, die zur Grundlage der Verurteilung der Burschen wurde.

Schwere Misshandlungen bei den Verhören

Den Angeklagten half es gar nichts, daß sie aussagten, bei den Verhören geschlagen und zur Unterschrift der Protokolle erpresst worden zu sein. Die des Italienischen nicht mächtigen Angeklagten konnten zudem den Aussagen der Zeugen und der Beweisführung der Ankläger nicht folgen.

Luis Ebner erklärte, von dem Gerichtsvorsitzenden auf Widersprüche zu seinen Aussagen vor den Carabinieri aufmerksam gemacht:

„Vor den Carabinieri habe ich nicht mehr gewusst, was ich sage, so sehr haben sie mich geschlagen.“
(„Dolomiten“, 14. 9. 1957)

Schuldspruch als „Mutprobe“ der Geschworenen

Mario Martin
Der Staatsanwalt Mario Martin, ein Ex-Faschist.

Der Staatsanwalt Mario Martin forderte für sechs Angeklagte lebenslängliches Zuchthaus, für einen Angeklagten 20 Jahre und nur ein Angeklagter solle aus „Mangel an Beweisen“ freigehen. Falqui sei geradezu „gelyncht“ worden. Dieser Staatsanwalt rief den Geschworenen und den Richtern zu: „Ich verlange von euch Richtern eine Mutprobe! Euer Schuldspruch stimme überein mit dem Gefühl des Volkes, von dem ihr delegiert worden seid.“

Noch ungeheuerlicher äußerten sich die Vertreter der Privatanklage. Sie nannten die Angeklagten „Hyänen“, „Bestien“ und „hündische Meute“. Alle Bewohner des „finsteren und zurückgebliebenen Südtiroler Tales Pfunders“ hätten, politisch von der einheimischen Presse verhetzt, im sardischen Finanzer Falqui „den Bringer des Fortschritts und der Kultur“ gehasst und mit Mordlust verfolgt.

„Lumpen, Verbrecher, Hyänen“

Der Nebenkläger Dr. Dadea nannte die Bauernburschen „Ränkeschmiede mit dem finsteren Blick des Verbrechers, abgefeimte Delinquenten unter der Maske der Naivität, halbe Kannibalen, Wegelagerer und Mörder … Acht Lumpen, acht Verbrecher, acht Hyänen haben barbarisch gemordet!“, rief er in den Gerichtssaal.

Das Urteil erster Instanz wurde am 16. Juli 1957 gesprochen. Es lautete: 

Als des Mordes schuldig erhielten:  Alois Ebner 24 Jahre Kerker, Florian Weissteiner 16 Jahre Kerker, Georg Knollseisen 16 Jahre Kerker, Paul Unterkircher l0 Jahre Kerker, Bernhard Ebner 16 Jahre Kerker, Isidor Unterkircher 16 Jahre Kerker, Johann Huber, der nachweislich nicht einmal am Raufhandel beteiligt war und für den selbst der Staatsanwalt Freispruch beantragt hatte: 13 Jahre Kerker. Insgesamt 113 Jahre Kerker.

Urteil Pfunderer
Schlagzeile in den „Oberösterreichischen Nachrichten“ vom 18. Juli 1957

Pfunderer Alois Ebner
Die „Liga für Menschenrechte“ veröffentlichte im Jahre 1958 eine Broschüre, in welcher der Skandalprozess gegen die Pfunderer Burschen eingehend untersucht und dargestellt wurde. Auf dem Umschlagbild ist der junge Pfunderer Alois Ebner zu sehen.

Entsetzen in Tirol

Das Urteil rief in ganz Tirol Entsetzen hervor. Am 1. April 1958 ruhte in ganz Nordtirol von 10 Uhr bis 10.05 Uhr alle Arbeit zu einem Gedenken an die Pfunderer Burschen. Landeshauptmann Dr. Tschiggfrey, erklärte während dieser Gedenkminuten über den Rundfunk:

„In diesen Augenblicken ruht die Arbeit in Stadt und Land. In Häusern und Fabrikhallen schweigt  der Lärm. Das Tiroler Volk denkt, von tiefstem Leid erfasst, an jene sechs jungen Bauernsöhne eines entlegenen Südtiroler Bergdorfes, deren Leben durch einen Richterspruch ganz oder teilweise vernichtet wird.“

Zahlreiche österreichische und bundesdeutsche Zeitungen prangerten die Methoden der italienischen Justiz an

 Staatsanwalt Mario Martin: „Ich würde es heute wieder tun!“

Der Gründer des BAS, Sepp Kerschbaumer, begab sich nach Pfunders und hielt in dem dortigen Pfarrhof einen 15tägigen Hungerstreik ab. In einem Flugblatt erklärte er: „In ihrem blinden Nationalismus haben sich die Welschen gerade durch dieses Hassurteil selbst den größten Schaden zugefügt.“ (Zitiert nach: Josef Fontana / Hans Mayr: „Sepp Kerschbaumer“, Bozen 2000, S. 75)

Am 16. Januar 1960 bestätigte der italienische Kassationsgerichtshof das unglaubliche Urteil gegen die Pfunderer. (Über den gesamten Prozess siehe: Armand Mergen: „Der Pfunderer Prozess“, Schriften des Bergisel-Bundes Nr. 1, Innsbruck 1958; sowie N.N.: Justiz in Südtirol“, Sonderdruck der Österreichischen Liga für Menschenrechte, Sektion Tirol, Innsbruck 1958)

In ohnmächtigem Zorn schrieb Sepp Kerschbaumer in einem neuerlichen Flugblatt:

„Wir waren solche Justizverbrechen bei allen Gewaltsystemen, beim Kommunismus, beim Faschismus und Nationalsozialismus und bei den Kolonialmächten gewohnt. Aber daß wir diese Schande auch unter einer sogenannten christlichen Regierung erleben müssen, verschlägt einem die Stimme.“ (Zitiert nach: Josef Fontana / Hans Mayr: a. a. O., S. 77)

Der Staatsanwalt Mario Martin blieb auch späterhin stolz auf seine damalige Rolle. Als er im Jahre 1961 den BAS-Chef Sepp Kerschbaumer aus Frangart verhörte und dieser auf die Rolle des Staatsanwaltes im Pfunderer Prozess zu sprechen kam, fuhr Martin auf und rief: „Das war ich. Ich habe lebenslänglich verlangt. Und ich würde es heute wieder tun.“ (Zitiert nach: Josef Fontana / Hans Mayr: „Sepp Kerschbaumer“, Bozen 2000, S. 75)

Der Fall Pupp

Am 20. November 1961 stand der 22jährige Sohn des Südtiroler Landtagsabgeordneten Ferdinand Pupp vor dem 1. Bozner Schwurgericht. Er erhielt eine Kerkerstrafe von 10 Monaten, weil er in angeheitertem Zustand in einem Bozner Gasthaus unvorsichtigerweise ausgerufen hatte:

„Wir sind hier nicht in Italien, sondern in Südtirol – Österreich!“

Unzählig waren die laufenden Verurteilungen in den Fünfziger- und Sechzigerjahren wegen Schmähung der Fahne, der Streitkräfte, der Nation usw., usw….

Für einen Leserbrief ins Gefängnis

Am 3. September 1962 hatte die Wiener Tageszeitung „Die Presse“ einen Leserbrief von Frau Rosa Ebner aus Mühlen, der Schwester eines inhaftierten und schwer gefolterten Südtiroler Freiheitskämpfers, veröffentlicht, in welchem es hieß:

Denn bei Gott, wir selber haben keinen Grund zur Zuversicht. Es sei denn, wir freuten uns an dem, was sich nach den Sprengstoffanschlägen in den Gefängnissen von Bozen und Eppan abgespielt hat: an den Folterungen und daß zwei daran gestorben sind, an den zu Krüppeln Geschlagenen …“  

 Rosa Ebner
Rosa Ebner

Der Untersuchungsrichter Mario Martin vernahm Rosa Ebner und fragte sie, ob sie bereit sei, den Inhalt des Leserbriefes zurück zu nehmen. Sie verneinte. Mario Martin steckte die Frau dafür in Untersuchungshaft und klagte sie nach einem alten Politparagraphen aus dem faschistischen „Codice Rocco“ wegen „antinationaler Tätigkeit im Ausland“ an. Die Strafandrohung sah Kerker „nicht unter 5 Jahren“ dafür vor. Das Gericht sprach sie jedoch frei. (Der Schandparagraph wurde erst im Jahre 2006 abgeschafft!)

Die italienische Justiz und die Südtiroler Freiheitskämpfer – Es ging um die Vernichtung der „Staatsfeinde“

Auf dem Justizpalast in Bozen ist bis heute eine aus der Faschistenzeit stammende Aufschrift zu lesen, die das ungebrochene Selbstverständnis der Bozner politischen Justiz bis heute getreu wiedergibt:
„Für das italische Imperium mit Mut, der Justiz, der Hierarchie, mit Zähnen und Klauen“.

In diesem Geist handelte auch der ehemalige Faschist Mario Martin, dem von der Justiz die Aufgabe anvertraut worden, als Untersuchungsrichter die Prozesse gegen die Südtiroler Freiheitskämpfer vorzubereiten. Am 2. Februar 1963 lief er zu seiner Höchstform auf, als er das Untersuchungsurteil zum ersten großen Mailänder Südtirolprozess vorlegte, der 1964 dann in Mailand über die Bühne gehen sollte.

Insgesamt handelte es sich um 94 Angeklagte – 87 Südtiroler, 6 Österreicher und 1 Deutschen. Davon befanden sich 68 in Haft, die anderen galten als „flüchtig“ und wurden in Anwesenheit angeklagt.

Die konzipierte Vernichtung der Angeklagten

Eine Besonderheit des in den Sechzigerjahren noch gültigen faschistischen Strafrechtes war, dass die Strafen einfach addiert wurden, wenn ein- und dieselbe Tathandlungen gegen mehrere Paragraphen des Strafgesetzbuches verstieß. Der faschistische „Codice Rocco“ verfügte über eine ganze Reihe von politischen Gummi-Paragraphen, die jeweils auf einen Tatbestand gleichzeitig angewendet werden konnten. Das ergab entsetzlich hohe Strafandrohungen, aber schließlich war der „Codice Rocco“ ja dazu konzipiert worden, die Feinde des faschistischen Staates vor Gericht vernichten zu können.

Der Untersuchungsrichter Mario Martin war zur völligen Vernichtung der Angeklagten im Mailänder Südtirolprozess entschlossen.

In seinem Untersuchungsurteil verfügte er, dass gegen 84 der 94 Angeklagten vor Gericht wegen Mordes vorgegangen werde. Anlass zu dieser Ungeheuerlichkeit war der Unfalltod des italienischen Straßenwärters Giovanni Postal in der Feuernacht des 11. Juni 1961 gewesen, der tragischer Weise als unerfahrener Laie versucht hatte, eine nicht detonierte Sprengladung in der Salurner Klause eigenmächtig zu entschärfen, statt die Carabinieri zu alarmieren und auf das professionelle Entschärfungskommando zu warten.

Nun sollten für die Unüberlegtheit und den Leichtsinn des Strassenwärters Postal nahezu alle Angeklagten wegen „Mordes“ jeweils zu einer Haftstrafe zwischen 21 Jahren und Lebenslänglich verurteilt werden.

Ein Menschenrecht wurde zum Staatsverbrechen erklärt

Doch damit noch nicht genug: Mario Martin wollte sicher gehen, dass so gut wie alle Angeklagten tatsächlich eine lebenslange Haftstrafe erhielten und verfügte in seinem Untersuchungsurteil, dass gegen 85 von ihnen wegen Artikel 241 des Hochverratsparagraphen des faschistischen „Codice Penale“ („Anschlag auf die Unversehrtheit, Unabhängigkeit oder Einheit des Staates“) vorgegangen werde. Strafmaß: Lebenslänglich.

Er begründete dies damit, dass die Angeklagten die Selbstbestimmung für Südtirol hätten herbeiführen wollen. Mario Martin stellte damit etwas unter lebenslängliche Strafandrohung, was seit dem Beitritt Italiens zu den Vereinten Nationen zu dem auch von Italien anerkannten menschenrechtlichen Bestand des Völkerrechtes gehört.

Dazu kamen noch weitere Paragraphen wie jener der „politischen Verschwörung“, des Sprengstoffbesitzes, und dann natürlich jene, die sich auf die Anschläge selbst bezogen.

Untersuchungsrichter Mario Martin und Staatsanwalt Mauro Gresti: Erfolterte Geständnisse sind gültig!

Keinesfalls sollte die gnadenlose Verurteilung der Angeklagten daran scheitern, dass ihre Geständnisse unter der Folter zustande gekommen waren. Deshalb schrieb Mario Martin in sein Untersuchungsurteil folgende Ungeheuerlichkeit hinein:

Die Geständnisse vor der Polizei dürfen nicht annulliert werden, nur weil behauptet wird, sie seien durch Folter abgenötigt wordenauf jeden Fall hat der Untersuchungsrichter persönlich keinerlei Anzeichen von eventuellen Misshandlungen an den Häftlingen bemerkt.

(Dr. Sandro Canestrini: „Die Herz-Jesu-Nacht 1961 – Justiz und öffentliche Meinung in Italien“, in: Schützenkompanie „Sepp Kerschbaumer“ Eppan (Hrsg.): „…grüß mir die Heimat, die ich mehr als mein Leben geliebt“ Erinnerungsschrift zum 30. Todestag von Sepp Kerschbaumer und Luis Amplatz, Eppan 1994, S. 29)

Gresti
Staatsanwalt Gresti: „Man kann trotz Misshandlungen die Wahrheit sagen!“

Im Mailänder Prozess vertrat dann der Staatsanwalt Mauro Gresti ebenfalls den Standpunkt, dass selbst unter Folter erpresste  Geständnisse durchaus inhaltlich richtig und daher auch gültig sein könnten. Man könne „trotz Misshandlungen die Wahrheit sagen“, argumentierte er und verwies darauf, dass sich in der gültigen Strafprozessordung (Anm.: die ebenso wie der „Codice Penale“ aus der Faschistenzeit stammte) keine Bestimmung finde, solche erzwungenen Geständnisse nicht als Beweismittel würdigen zu können.

Ein politischer Wandel rettete die Südtiroler Häftlinge vor einem juristischen Massaker

Blick auf einen Teil der Anklagebank in Mailand. Der schwer gefolterte Sepp Kerschbaumer aus Frangart (x) sollte die höchste Haftstrafe bekommen. Er starb dann auch im Gefängnis, sein Herz hatte den Belastungen von Folter und Haft nicht standgehalten. Der Untersuchungsrichters Mario Martin wollte so gut wie alle Angeklagten bis zu ihrem Tod einkerkern.

Nach dem Willen des Untersuchungsrichters Mario Martin hätte der Mailänder Prozess zu einem wahren juristischen Massaker mit der Verhängung nahezu durchwegs lebenslanger und zusätzlicher jahrelanger Haftstrafen werden sollen.

Was die Angeklagten vor diesem Schicksal rettete, war der politische Umschwung im Dezember 1963, als der Christdemokrat Aldo Moro eine politisch gemäßigte Mitte-Links-Koalitionsregierung mit dem Sozialdemokraten Giuseppe Saragat als Außenminister bildete. Dieses Kabinett war an einer Verhandlungslösung in der Südtirolfrage interessiert.

Das hatte eine direkte Auswirkung auf das Verfahren in Mailand. Der Historiker Hans Karl Peterlini berichtet:

„Von Saragat ergeht ein gezielter Wink an Richter Simonetti, die Verhandlung möglichst fair und entschärfend zu führen. So teilt Saragats Kabinettschef, der Gesandte Franco Maria Malfatti, dem österreichischen Botschafter Max Löwenthal mit, man habe Simonetti wissen lassen, ‚dass die Regierung an milden Urteilen politisch interessiert sei.‘

(Hans Karl Peterlini: „Südtiroler Bombenjahre“, Bozen 2005, S. 216)

Das von Mario Martin vorbereitete juristische Massaker an den Angeklagten war in Rom nun nicht mehr erwünscht.

Simonetti
Dem Vorsitzenden Simonetti wurde aus Rom bedeutet, dass ein juristisches Massaker an den Angeklagten unerwünscht sei.

Während des Prozesses verzichtete schließlich der Staatsanwalt Mauro Gresti auf den Hochverratsparagraphen Art. 241 und auf die Mordanklage.

Am 16. Juli 1964 wurden die Urteile verkündet. Sie waren immer noch hart genug und ergaben zusammengezählt rund ein halbes Jahrtausend an Haftjahren. Der Hauptangeklagte Sepp Kerschbaumer erhielt 15 Jahre und 11 Monate. Erst die Verhandlungen über das Autonomiepaket des Jahres 1969 führten zur Entlassung der letzten Gefangenen.

 

Wie Vertreter des Staates in den Südtirol-Prozessen argumentierten

Stellvertretend für zahlreiche weitere Äußerungen von Staatsadvokaten und Staatsanwälten sei hier wiedergegeben, wie der italienische Staatsadvokat Paolo Di Tarsia am 15. März 1966 im 2. Mailänder Südtirol-Prozess in seinem Schlussplädoyer argumentiert hatte. Darüber berichteten die „Südtiroler Nachrichten“ wie folgt:

Volksgruppen haben kein Recht

Aus „Südtiroler Nachrichten“ vom 4. April 1966

„Das Verlangen der Südtiroler nach einer Autonomie bezeichnete Di Tarsia z. B. als ‚irrtümliche Interpretation der Position einer Minderheit‘. Nach der Menschenrechtskonvention gebe es nur einen Schutz für Individuen, das Verlangen nach einem Schutz der Minoritätengruppe sei weder durch das italienische, noch durch das internationale Recht gedeckt, behauptete er.

Es sei undenkbar, dass Italien im ‚Alto Adige‘ (Südtirol) eine teutonische nationale Reservation errichte. Als ebenso undenkbar bezeichnete er die Forderungen der Südtiroler nach einem Stopp der italienischen Unterwanderung. Diese Forderung zu erheben, sei ‚illegal‘.“

Ein berühmter Strafrechtslehrer stellte die italienische Rechtsordnung an den Pranger

Pietro Nuvolone
Der italienische Strafrechtslehrer und Verteidiger Pietro Nuvolone

Gegen derartige Positionen nahm der berühmte italienische Strafrechtslehrer, Universitätsprofessor Pietro Nuvolone, klar und deutlich Stellung. Im Januar 1966 fand er in einem weiteren Mailänder Schwurgerichtsprozess, vor dem sich 58 angeklagte Südtiroler verantworten mußten, in seiner Eigenschaft als Verteidiger offene und mutige Worte. Prof. Nuvolone sagte, daß die Anklage nach einem Gesetz, welches nach Herkunft und Inhalt als faschistisch zu klassifizieren ist, und welches in Widerspruch zu den nach 1945 in internationalen Verträgen verankerten Menschenrechten steht, verfassungswidrig sei. Das Gericht schloß sich dieser Ansicht jedoch nicht an und urteilte nach den alten Mussolini-Paragraphen.

Noch 1987: Handschellen und Haft für die Forderung nach Selbstbestimmung

Der faschistische Kodex blieb weiterhin in Kraft und eifrige Staatsanwälte in Bozen, Mailand und Rom legen ihn als Meßlatte für die Strafbarkeit öffentlicher Äußerungen über Fragen der Selbstbestimmung und der Föderalisierung des Staates an. Am 7. August 1987 berichtete die Bozener Tageszeitung „Alto Adige“ über die Verhaftung von 15 Mitgliedern des Südtiroler Heimatbundes, die anläßlich der KSZE-Konferenz in Wien öffentlich für die Selbstbestimmung demonstriert hatten: „Handschellen für 15 Heimatbund-Mitglieder“. Das italienische Nationalistenblatt hatte damals eine kurze liberale Phase und befand: „Die politische Konfrontation braucht keine faschistischen Normen“. Der Haftbefehl war nämlich wegen „antinationaler Aktivitäten im Ausland“ ergangen, einem guten, alten faschistischen Paragraphen aus dem Rocco-Kodex.

Wenngleich das Verfahren in der Folge eingestellt werden mußte, blieb der faschistische „codice penale“ doch weiter in Geltung und wurde erst im Jahre 2005 teilweise entschärft.




Das schwierige Gedenken an Andreas Hofer

Die Offenbarung der Gesinnungen auf den Andreas Hofer-Feiern

Wie kann man des Freiheitshelden Andreas Hofer gedenken, ohne sich zu Freiheit, Selbstbestimmung und Landeseinheit in der heutigen Zeit zu bekennen?

Einige Politiker haben sich in diesem Jahr anlässlich der Gedenkfeiern mit dieser Frage auseinander gesetzt und sind zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangt.

Gesamttirol einschließlich Welschtirols (des heutigen „Trentino“)
Gesamttirol einschließlich Welschtirols (des heutigen „Trentino“)

Um den 20. Februar werden in Tirol bis heute Gedenkveranstaltungen abgehalten. Zu den Südtiroler Andreas Hofer-Feiern des Jahres 2017 hatte der Südtiroler Schützenbund Vertreter verschiedener politischer Richtungen als Redner eingeladen und damit eine die Parteien überspannende Öffentlichkeit mit der Tiroler Landesgeschichte und dem Thema der Landesteilung konfrontiert.

Die Ansprachen waren interessant, denn hier wurde offenbar, welche Kenntnisse über die Landesgeschichte und welche Betrachtungsweisen  gegeben waren.

Hier können nur einige Beispiele aus der Vielzahl der Feiern angeführt werden.

Die Landesgedenkfeier in Meran

Der Zug zum Festplatz
Der Zug zum Festplatz

Der Landeskommandant des Südtiroler Schützenbundes, Elmar Thaler, erinnerte am 19. Februar 2017 in seiner Ansprache bei der Andreas-Hofer-Landesgedenkfeier in Meran sowohl an Andreas Hofer als auch an den Dichter Julius Mosen.

Thaler hob hervor, dass Andreas Hofer sich immer wieder gegen die Fremdherrschaft aufgelehnt habe. Auch die Schützen würden dies tun, indem sie versuchen, die Zukunft des Landes als einfache Bürger mitzugestalten. Der Europäischen Union würde es derzeit jedoch nicht gelingen, die Vorzüge der Regionalität mit dem Gedanken der europäischen Einigung zu verknüpfen. Nichts sei aber endgültig geregelt, was nicht gerecht geregelt sei. Das galt zu Hofers Zeiten und gelte auch heute.

Auf die von den politischen „Grünen“ vom Zaun gebrochene öffentliche Debatte über den Verbleib der christlichen Kreuze in den Schul-Klassenzimmern eingehend, sagte Thaler: „In der Diskussion der vergangenen Wochen, um Identität, um Symbole, die uns wichtig sind, passt es nun ganz gut, wenn wir, anstatt darüber zu sinnieren, was wir in Zukunft alles ändern könnten, welche Zeichen wir in den Klassenzimmern auf- und abhängen, ganz einfach Taten folgen lassen. Und die Gedenkfeier mit einem Wortgottesdienst beginnen.“

Der Schützen-Landeskurat Pater Christoph Waldner rief in diesem Gottesdienst dazu auf, für das Land und all die Frauen und Männer zu beten, die ihr Leben für den Glauben, ihr Land und das Volk eingesetzt hatten. Der Kurat ging dann auf Julius Mosen, den Dichter der Tiroler Landeshymne, ein und sagte: Die Hymne „beschreibt mit dem Sterben unseres Sandwirtes auch seinen besonderen Mut, die Treue zu seinem Volk und sein Gottvertrauen.“

(Aus „Dolomiten vom 20. Februar 2017)

Dann trat der österreichische Ex-Nationalratsabgeordnete DDr. Erwin Niederwieser (SPÖ) aus Völs in Nordtirol an das Rednerpult und legte ein bemerkenswertes Bekenntnis ab:

„Die Forderung nach Selbstbestimmung gibt es seit 1918, seit Südtirol von Österreich getrennt und Tirol geteilt wurde.“ Es könne in Zukunft auch eine Situation eintreten, in welcher eine Region Tirol vorstellbar wäre oder es zu einer Weiterentwicklung zu einem Europa komme, in dem neue Verwaltungseinheiten und politische Einheiten entstehen könnten. „Sollte Südtirol die Schutzmacht Österreich brauchen, wir werden immer dazu bereit sein“, versprach der SPÖ-Politiker.

Das waren Äußerungen, die in der staatsmännischen Tradition eines Dr. Bruno Kreisky standen und von den Anwesenden mit Freude gehört wurden.

Weitere Höhepunkte der von der Kapelle St. Pankraz musikalisch umrahmten Feier waren die Ehrensalven und die Kranzniederlegung vor dem Andreas Hofer-Denkmal in Meran.

DDr. Erwin Niederwieser am Rednerpult in Meran, neben ihm der Schützen-Landeskommandant Elmar Thaler
DDr. Erwin Niederwieser am Rednerpult in Meran, neben ihm der Schützen-Landeskommandant Elmar Thaler

Andreas Hofer Denkmal
Anschließend fanden im „Alten Meraner Kurmittelhaus“ Ehrungen für verdiente Mitglieder und Persönlichkeiten statt.

Roland Lang mit Elmar Thaler
Unter den geehrten Persönlichkeiten befand sich auch Roland Lang (Zweiter von links), Obmann des von ehemaligen politischen Häftlingen und Freiheitskämpfern gegründeten Südtiroler Heimatdienstes (SHB). Ihm wurde der Ehrenkranz des Südtiroler Schützenbundes verliehen.

Kompatschers Rede und sein Schneckenhaus

Eine ganz andere Rede hielt der Südtiroler Landeshauptmann Dr. Arno Kompatscher (SVP) am 19. Februar 2017 bei der Andreas-Hofer-Feier in dem 400 Seelen-Dorf Penon, an der Südtiroler Weinstraße des Unterlandes.

Er sagte: „Bei der Andreas-Hofer-Feier in Meran sind genügend andere Leute. Außerdem hat man mich nach Penon eingeladen – mit dem Auftrag, die Festrede zu halten.“

Statt auf Hofers Einsatz für Freiheit und Selbstbestimmung des Volkes einzugehen, kritisierte ihn Kompatscher: Der Freiheitskämpfer und Volksheld Andreas Hofer stehe vor allem für Konservatives, „für ein Sich-Verschließen gegenüber Neuerungen.“

Landeshauptmann Arno Kompatscher
Die Tageszeitung „Dolomiten“ berichtete am 20. Februar 2017 unter diesem Titel über Kompatschers Rede in Penon

Und dann kamen unverbindliche Allgemeinplätze wie diese: „Wir dürfen uns nicht in ein Schneckenhaus zurückziehen, denn im Schneckenhaus gibt es keine Freiheit. Dort gibt es keinen Platz für Freiheit.“ Die Südtiroler seien verwurzelt in Tradition und Heimat. Sie könnten „dadurch gefestigt und mit Selbstbewusstsein können Neuem offen und tolerant begegnen. Das heißt aber nicht, tolerant mit Intoleranten zu sein“, und so fort und so weiter. (Zitiert nach „Dolomiten“ vom 20. Februar 2017)

Die Penoner und vor allem die versammelten SVP-Funktionäre dankten mit verhaltenem Applaus. Dass der stets auf Entgegenkommen gegenüber Rom bedachte Landeshauptmann Kompatscher, der auch nicht gerade als Befürworter der Südtiroler Selbstbestimmung bekannt ist, nur vor einer relativ kleinen statt auf der großen Versammlung in Meran sprechen konnte, hatte für ihn als Redner wahrscheinlich seine Vorteile gehabt. In Meran hätte es womöglich andere Reaktionen gegeben.

Zwei SVP-Bezirksobmänner: Selbstbestimmung und der Wille zur Einheit Tirols

Dass es in der SVP zu den Fragen der Selbstbestimmung und der Freiheit auch andere Positionen als die des Landeshauptmannes Arno Kompatscher gibt, stellten bei den Andreas-Hofer-Feiern zwei SVP-Bezirksobmänner unter Beweis.

In Sarnthein hielt der SVP-Bezirksobmann Christoph Perathoner am 19. Februar 2017 die Festrede auf der Andreas-Hofer-Gedenkfeier und sprach dabei das Thema der Selbstbestimmung für Südtirol an. Die Selbstbestimmung, führte der Redner aus, sei „das Recht eines Volkes, sein Schicksal selbst zu gestalten.“

In Neumarkt im Unterland erklärte der Landtagsabgeordnete und SVP-Bezirksobmann Oswald Schiefer in seiner Gedenkrede: „Durch diese Gedenkfeiern beweisen wir in unserer Gemeinde und den einzelnen Ortschaften den Willen zur Einheit und Geschlossenheit Tirols.“

EX-SPD-Bürgermeister Christian Ude: Hofer nicht verklären!

In Gries bei Bozen hielt der ehemalige Münchner Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) die Festrede.

Der ehemalige Münchner Oberbürgermeister oblag Christian Ude nach der Gedenkveranstaltung im Kreise der Schützen.

Wie es einem vermeintlich fortschrittlichen Politiker seines Zuschnittes zukommt, demonstrierte er seine kritische Einstellung gegenüber vaterländischen Themen.

Er sei „kein Freund von Heldengedenken“. Man müsse dem Bestreben von „Deutschnationalen“, Hofer zu vereinnahmen, „unbedingt entgegentreten“, denn „das ist ein völliger Schmarrn“. Bei Andreas Hofer stehe die Liebe zur Heimat im Vordergrund, „aber wir sollen ihn nicht verklären, sondern gemäß unserer realistischen Zeit betrachten“, schloss Ude seine Gedenkrede, in welcher er das Thema der Selbstbestimmung für Südtirol sorgsam vermieden hatte. (Zitiert nach „Dolomiten“ vom 20. Februar 2017)

Warum unsere jetzige Zeit eine „realistische Zeit“ sei im Gegensatz offenbar zu anderen nicht realistischen Zeiten und was diese Formulierung überhaupt bedeuten solle, hatte Ude nicht erklärt.

Ein junger Schütze in Bozen: Gegen Fremdbestimmung, für Einheit und Freiheit!

Matthias Hofer
Matthias Hofer

Für die Zuhörer besser verständlich war das, was der junge Schützen-Oberleutnant Mathias Hofer von der Olanger Schützenkompanie Peter Sigmayr am 19. Februar 2017 bei der großen Feier vor dem Dom in Bozen in seiner Festrede vermittelte:

„Für uns ist vielfach alles selbstverständlich, daher ist es wichtig, dass wir uns immer wieder bewusst werden, dass wir das, was wir haben, diese wunderschöne Heimat und das Recht auf Muttersprache, nicht geschenkt bekommen haben. Dass es Menschen gab, die wie Andreas Hofer den Mut hatten, für unsere Rechte einzustehen, dafür zu kämpfen und sogar mit dem Leben dafür zu bezahlen.“

Der junge Schütze sagte weiter:

„Viele gedenken heute der Freiheitskämpfe und wissen oft gar nicht mehr, warum wir stolz auf unsere Vorfahren sein können. Wir müssen deshalb so stolz darauf sein, weil unsere Vorfahren in schwierigen Zeiten viel an persönlicher Verantwortung auf sich genommen haben, um die Fremdbestimmung zu verhindern, die Einheit und die Freiheit unseres Landes zu retten und so dem Land eine Zukunft zu geben. Ihr Erbe muss uns Auftrag und Verpflichtung sein.

Deshalb brauche es auch heute Menschen, die mutig sind und für das Allgemeinwohl, die Gerechtigkeit, die Freiheit und die Heimat eintreten. (Zitiert nach „Dolomiten“ vom 20. Februar 2017)

FPÖ-Südtirolsprecher und Nationalratsabgeordneter Werner Neubauer in Klausen:
Das Ziel ist die Zusammenführung der Tiroler Landesteile

Am 20.Februar 2017 hielt der österreichische Nationalratsabgeordnete und FPÖ-Südtirolsprecher Werner Neubauer die Festrede auf der Andreas Hofer Gedenkfeier der Schützenkompanie Klausen im Schützenbezirk Brixen.

Der österreichische Nationalratsabgeordnete Werner Neubauer ist Mitglied der Schützenkompanie Gries. Hier steht er zusammen mit dem Schützenhauptmann Fabian Baumgartner nach der Kranzniederlegung vor dem Denkmal des Paters Haspinger in Klausen.
Der österreichische Nationalratsabgeordnete Werner Neubauer ist Mitglied der Schützenkompanie Gries. Hier steht er zusammen mit dem Schützenhauptmann Fabian Baumgartner nach der Kranzniederlegung vor dem Denkmal des Paters Haspinger in Klausen.

Der Abgeordnete Neubauer sprach offen an, was die Gestalt Andreas Hofers für die heutige Zeit bedeutsam macht. Es seien dies die Fragen der Landeseinheit und des Selbstbestimmungsrechts.

Sinn eines solchen Gedenkjahres“, sagte Neubauer, „muss es sein, die Vergangenheit zu respektieren und gerade in der Person Hofers jene Tugenden zu erkennen, die sich im ausgewiesenen Mut, seiner Geradlinigkeit und Tapferkeit, aber auch in der Religion und Liebe zur eigenen Tradition und der Heimat, in besonders hervorragender Weise widerspiegeln.

Das diesjährige Gedenken müssen wir aber vor allem auch zum Anlass nehmen, um über den zukünftigen Weg, der nach der schmerzlichen  Abtrennung der österreichischen Minderheit im südlichen Tirol im Jahre 1919 durch den Vertrag von Paris-Saint Germain, eingeleitet wurde, ernsthafte Gedanken zu fassen.

Das Ziel muss es sein, die drei Tiroler Landesteile wieder zusammenzuführen.“

 Der Abgeordnete Neubauer erinnerte an die Verdienste der Freiheitskämpfer der 1960er Jahre. Bild links: Von links nach rechts: Georg Klotz, Luis Amplatz und Kurt Welser. Bild rechts: Anton Gostner
Der Abgeordnete Neubauer erinnerte an die Verdienste der Freiheitskämpfer der 1960er Jahre. Bild links: Von links nach rechts: Georg Klotz, Luis Amplatz und Kurt Welser. Bild rechts: Anton Gostner

Bild links: Der Freiheitskämpfer Sepp Kerschbaumer. Bild rechts: Der Freiheitskämpfer Franz Höfler
Bild links: Der Freiheitskämpfer Sepp Kerschbaumer. Bild rechts: Der Freiheitskämpfer Franz Höfler

Männern wie Luis Amplatz, Jörg Klotz, Franz Höfler, Anton Gostner und Sepp Kerschbaumer, um nur einige zu nennen, sei es letztlich zu verdanken gewesen, dass der staatlich gesteuerten Unterwanderung Einhalt geboten werden konnte und dass der Abschluss zum Autonomiepaket erreicht wurde. Das sei aber noch nicht das Ende des Weges.

Es geht um das Selbstbestimmungsrecht

„Das Selbstbestimmungsrecht der Völker“, führte Neubauer weiter aus, „ist für uns unteilbar und unverzichtbar. Bis zur Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechtes der Südtiroler ist es die historische Aufgabe Österreichs, den Bestand der deutschen und ladinischen Volksgruppen in Südtirol so wie den rechtlichen Status mit allen verfügbaren friedlichen Mitteln zu sichern.“

Die Schützenkompanie Klausen, sagte Neubauer, habe sich den berühmten Tiroler Freiheitskämpfer und Landesverteidiger, den Kapuzinerpater Joachim Haspinger, als Namenspaten gewählt.

Dieses Bild Franz von Defreggers zeigt die Tiroler Freiheitskämpfer Josef Speckbacher, Andreas Hofer und Pater Joachim Haspinger im Jahre 1809 beim Kriegsrat. Vor ihnen sitzt Andeas Hofers Sekretär Kajetan Sweth.
Dieses Bild Franz von Defreggers zeigt die Tiroler Freiheitskämpfer Josef Speckbacher, Andreas Hofer und Pater Joachim Haspinger im Jahre 1809 beim Kriegsrat. Vor ihnen sitzt Andeas Hofers Sekretär Kajetan Sweth.

Dieser habe mehrfach in den Landesaufgeboten die Grenzen Tirols verteidigen geholfen und habe sich als bereits geweihter Priester 1809 am Tiroler Volksaufstand beteiligt.

„Haspinger nahm in der Folge auch an den Bergisel-Schlachten an vorderster Front teil. Er hielt in schwierigsten Situationen durch, führte seinen Kreuzstab als Banner voran. … Er wurde zum Volksführer, später zum Kommandanten. Pater Joachim war von nun an einer der feurigsten Arme des Aufstandes.“

Das im Innsbrucker Landesmuseum Ferdinandeum befindliche Gemälde von J. Koch zeigt Andreas Hofer, Josef Speckbacher und Pater Joachim Haspinger im Tiroler Freiheitskampf von 1809.
Das im Innsbrucker Landesmuseum Ferdinandeum befindliche Gemälde von J. Koch zeigt Andreas Hofer, Josef Speckbacher und Pater Joachim Haspinger im Tiroler Freiheitskampf von 1809.

Pater Haspinger, berichtete Neubauer, habe nach der endgültigen Niederlage der Tiroler Tirol verlassen und 1858 fern seiner Heimat in Salzburg sterben müssen.

Es sei ein Signal der Hoffnung, dass die Schützenkompanie Klausen mit dieser Feier an die ebenso tragische wie heldenhafte Vergangenheit Tirols erinnere und das Andenken an Andreas Hofer begehe.

„Am Grabe Hofers, Speckbachers und Haspingers in der Innsbrucker Hofkirche befindet sich folgender Schwur Tirols:

Ein Volk, dem man die Heimat nahm,
gräbt knirschend seinen Zorn und Gram hier in den Stein der Heldengruft
Und schwört bei Hofers Staub und ruft:
Wir werden rasten und ruhen nicht
bis unsrer Knechtschaft Fessel bricht und Nord und Süd die Bruderhand
sich reichen im deutschen Hofer Land

Es lebe Tirol!“

Weitere Artikel zum Thema:

Das Leben und Sterben Andreas Hofers

Dokumentation: Erinnerung an den Dichter der Tiroler Landeshymne




Gedenken an Sepp Kerschbaumer und seine Kameraden im Südtiroler Freiheitskampf

Am 8. Dezember 2016, fand in Südtirol auf dem Friedhof in St. Pauls eine Feier zum Gedenken an die Tiroler Freiheitskämpfer der 1950er und 1960er Jahre statt.

Der Südtiroler Schützenbund und der Südtiroler Heimatbund brachten mit dieser Gedenkfeier ihren Respekt, ihre Achtung sowie ihren Dank für den selbstlosen und uneigennützigen Einsatz der Freiheitskämpfer für Volk und Heimat zum Ausdruck.

Der Gedenkgottesdienst wurde von Pater Reinald Romaner OFM in der Pfarrkirche von St. Pauls zelebriert. Die Pfarrkirche war bis auf den letzten Platz gefüllt.

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In seiner Predigt blickte Pater Reinald Romaner zurück auf Sepp Kerschbaumer. „Von ihm wissen wir, dass er ein tiefgläubiger Mensch gewesen ist. Ohne Wenn und Aber. Er ist es auch im Kerker geblieben. Sein Herz hat für das Land und den Glauben geschlagen.“ Heimatliebe und Glaubensliebe seien für Sepp Kerschbaumer unbedingt eins gewesen.

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Anschließend ging es zum Friedhof, wo die Gedenkfeier stattfand. Es hatten sich mehr als 2000 Teilnehmer, darunter zahlreiche Schützen, eingefunden. Darunter befanden sich auch Abordnungen aus Welschtirol.

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Die Begrüßung durch Roland Lang

Roland Lang, der Obmann des „Südtiroler Heimatbundes“ (SHB), einer von ehemaligen Freiheitskämpfern und politischen Häftlingen gegründeten Vereinigung, die für die Selbstbestimmung Südtirols eintritt, begrüßte die Erschienenen.

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„Jedes Jahr kommen wir zu diesem ernsten, würdigen Gedenken an Sepp Kerschbaumer und seine Mitstreiter zusammen. Wir gedenken beispielhafter Frauen und Männer, die ihr Leben selbstlos in den Dienst der Heimat stellten und Opfer der Staatsgewalt wurden.

 Die Freiheitskämpfer konnten nicht mit ansehen, wie Jahr für Jahr die Italianisierung voranschritt und die Staatsgewalt nur das eine Ziel kannte: Die Südtiroler in ihrer angestammten Heimat in die Minderheit zu drängen. Sie handelten in einer Notsituation, die keinen anderen Ausweg mehr ließ. Dies hat auch Silvius Magnago in seiner Rede vor der SVP-Landesversammlung von 1976 dann ausdrücklich anerkannt.

Das Recht eines jeden Volkes, seine Existenz zu sichern, ist ein Naturrecht aller Völker, auch wenn sie nur als Minderheit in einem fremden Staat leben, der sich noch dazu das Territorium imperialistisch angeeignet hat.

Die Annexion von 1919 bleibt ein Unrecht, wie auch der Südtiroler Landtag vor Jahren in einem Beschluss festgestellt hat. Den Aktionen der Feuernacht, die sich heuer zum 55. Mal jährt, ging das staatliche Ausbürgerungsgesetz voraus. Das Parteiorgan der Democrazia Cristiana, der L’ADIGE, hatte von der Regierung gefordert, sie solle gegen unbequeme, patriotische Südtiroler vorgehen, ihnen die Staatsbürgerschaft entziehen und sie ausweisen. Der von der DC beherrschte Senat verabschiedete am 27. April 1961 das Ausbürgerungsgesetz. Kreisky warnte. Und heimattreue Tiroler handelten!

Umso schwerer wiegt die damalige Reaktion des Machtstaates gegen die Südtirol-Aktivisten. Umso unentschuldbarer bleibt die grauenhafte Folter- und Mörderpraxis jener staatlichen Institution, die sich bei ihren Untaten durch die zuständigen Minister und den kollektiven Geist der Regierung speziell gedeckt fühlte. Und Rom versucht bis heute, aus Südtirol eine italienische Provinz zu machen.“

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Dann kam Lang auf die Gegenwart zu sprechen und warnte die Politiker davor, in der Volkstumspolitik Grundsätze aufzugeben.

„Die jetzige Generation erfährt heute die Segnungen der Zwischenlösung Autonomie. Daran hat der damalige Widerstand des BAS entscheidenden Anteil. Heute sind Deutsche, Ladiner und mit ihnen 130.000 Italiener in Südtirol gemeinsame Nutznießer.

Und es liegt an uns, gemeinsam diese kleine Region im Herzen Europas, in eine freie, selbstbestimmte Zukunft zu führen.

Anschließend an Roland Lang sprach Oskar Niedermair.

Die Gedenkrede des damals jüngsten politischen Häftlings

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Oskar Niedermair, aus Kortsch, der seit vielen Jahren auf dem Ritten lebt, war damals mit 17 Jahren der jüngste politische Häftling der 1960er Jahre. Schon als Oberschüler hatte er sich im Umkreis des damaligen „Befreiungsausschusses für Südtirol“ (BAS) bewegt.

Da er an Versammlungen des „Bergisel-Bundes“ teilgenommen hatte, wurde er von der italienischen Polizei beschattet und schließlich im Sommer 1961 verhaftet. Damals noch minderjährig, wurde er wegen „Hochverrat, Bandenbildung und Anbahnung eines Blutbades“ angeklagt und musste 2 Jahre und 11 Monate in Untersuchungshaft verbringen. Da absolut nichts gegen ihn vorlag, musste das Schwurgericht in Mailand ihn am 16. Juli 1964 freisprechen.

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Oskar Niedermair hielt nun die Gedenkrede zu Ehren von Sepp Kerschbaumer und seiner verstorbenen Mitstreiter:

„Wie alle Jahre stehen wir auch heuer wieder hier am Friedhof von St. Pauls, um eines der Besten zu gedenken, der das vergangene Jahrhundert unseres Landes in markanter Weise mitgeprägt hat. Mit dem Namen von Sepp Kerschbaumer ist die jüngere Geschichte unseres Landes verwoben, mit ihm und seinen Mitstreitern, die eingetreten sind für Freiheit und Gerechtigkeit in unserem Lande.“

52 Jahre sei es nun her, dass Sepp Kerschbaumer im Kerker von Verona mit nur 51 Jahren starb. Schon im Alter von 23 Jahren habe ihm sein Widerstand gegen die Italianisierung eine Verbannung nach Süditalien eingebracht. In den 1950er und 1960er Jahren sei er der Mitbegründer und nachher der Chef des Befreiungsausschusses Südtirol gewesen, als es um den Kampf für die Freiheit Südtirols ging.

Niedermair erklärte den Anwesenden, wofür Sepp Kerschbaumer eingetreten war:

„Sepp ging den Weg des Widerstandes gegen das Unrecht, unter dem unser Land litt. Zuerst in einer Form, die mich an den passiven Widerstand und die Sturheit eines Mahatma Gandhi erinnert. Und später, als all das Rufen nach Gerechtigkeit, nach Einhaltung der Versprechen und Vereinbarungen nichts nützte, verlor er die Geduld, scharte Gleichgesinnte um sich und beschritt den Weg des aktiven Widerstandes.“

Niedermair meinte, Kerschbaumer würde die Südtiroler heute auffordern, etwas zu unternehmen, um die Rückkehr der Pusterer Buam als freie Menschen in ihre Heimat zu erwirken.

„Es ist an der Zeit, dass Rom endlich Einsicht zeigt und einen Schlussstrich zieht. Politiker, ganz egal welcher Partei oder Strömung, sind aufgefordert, sich für die Rückkehr einzusetzen.“

Das Schlusswort des Landeskommandanten des Südtiroler Schützenbundes

20161208-sepp-kerschbaumer-gedenkfeier-redner-oskar-niedermair-25Elmar Thaler, der der Landeskommandant des Südtiroler Schützenbundes hielt ein kurzes Schlusswort: „Nehmen wir die Worte des Gedenkredners mit nach Hause. Sie sollen uns in der Arbeit für unsere Heimat begleiten, denn das Werk und Ansinnen, das die Freiheitskämpfer von damals begonnen haben, ist nie zu Ende. Es heißt immer wachsam zu sein und für die Heimat einzustehen.“

 Danach folgte die Ehrensalve durch die Schützenkompanie „Sepp Kerschbaumer“ Eppan. Mit der Weise des „Guten Kameraden“, einer Kranzniederlegung sowie der Tiroler Landeshymne und der österreichischen Bundeshymne endete die Feier.

Musikalisch umrahmt worden war die Feier auf sehr würdige Weise durch die Musikkapelle Girlan.

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Vorgestrige Denkschablone im Gehirn

Dass heute noch in den Köpfen mancher italienischer Politiker Denkschablonen eingebaut sind, die an die Mussolini-Zeit erinnern, zeigte die Reaktion von Giorgia Meloni auf die Kerschbaumer-Gedenkfeier.

Die Meloni ist Journalistin und Politikerin der Partei „Fratelli d’Italia“. In Silvio Berlusconis viertem Kabinett war sie von Mai 2008 bis November 2011 italienische Jugend- und Sportministerin.

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Auf facebook verkündete diese Dame nun am 10. Dezember 2016, dass es sich bei der Kerschbaumer-Gedenkfeier in „San Paolo di Appiano“ um eine „Manifestation“ gehandelt habe, deren Zweck „die Wiedererweckung des antiitalienischen Hasses im Alto Adige“ gewesen sei.

Ein weiterer Kommentar dazu erübrigt sich.