Stachel im Fleisch der Politik

Allen Widrigkeiten zum Trotz halten die Schützen im Süden des 1919 geteilten Landes an der Wiedervereinigung Tirols fest.

von Reinhard Olt

Wer sich mit historischen Publikationen zum Thema (Süd-)Tirol befasst und die mediale Berichterstattung der letzten Jahre verfolgt hat, konnte den Eindruck gewinnen, mit der 1969 zustande gekommenen und 1972 statutarisch verankerten Selbstverwaltung für die „Provincia autonoma di Bolzano – Alto Adige“  und dem unlängst in Meran, Bozen und Wien politisch-medial beweihräucherten Rückblick auf „25 Jahre  österreichisch-italienische Streitbeilegung“ von 1992 sei die seit Ende des Ersten Weltkriegs schwärende Wunde der Teilung Tirols ein für allemal geschlossen. Weit gefehlt. Demoskopische Erhebungen förderten zutage, dass  in Österreich – insbesondere im Bundesland Tirol – wie  im von Italien 1918 annektierten südlichen Teil Tirols das Empfinden historischen Unrechts sowie das Gefühl der Verbundenheit und Zusammengehörigkeit nach wie vor ausgeprägt sind.

Teilung Tirols
Nach wie vor wird die Teilung Tirols von vielen Österreichern als zu ändernder Unrechtszustand empfunden

Die große Mehrheit aller Befragten bekundete auch das Verlangen nach (einem Referendum zwischen Brenner und Salurner Klause über die) Ausübung des sowohl nach dem Ersten, als auch nach dem Zweiten Weltkrieg der dortigen Bevölkerung verweigerten Selbstbestimmungsrechts. Dafür sprachen sich sogar viele der befragten ethnischen Italiener in der benachbarten Provinz Trient aus, mit der Bozen-Südtirol in einer „Regione Autonoma Trentino-Alto Adige“ zwangsvereint ist.  In Südtirol selbst waren sich die Befragten – trotz unterschiedlicher Vorstellungen der maßgeblichen politischen Kräfte über die anzustrebende weitere Entwicklung des Landes (Vollautonomie; Freistaat; Rückgliederung an Österreich) –  mehrheitlich darüber einig, dass dessen Zukunft jedenfalls in der Unabhängigkeit von Italien, mithin im „Los von Rom“, zu suchen sei.

Österreicher für Südtirol

Österreicher für Selbstbestimmungsgrecht Südtirols
Im Jänner 2015 stellte der Vorstand des „Südtiroler Heimatbundes“, einer von ehemaligen Südtiroler politischen Häftlingen gegründete Vereinigung, zusammen mit Prof. Dr. Olt (2. von rechts), der Öffentlichkeit eine Aufsehen erregende Meinungsumfrage vor, wonach die überwiegende Mehrheit der Österreicher nach wie vor für die Selbstbestimmung Südtirols eintritt.

Dass Loslösung von Italien im öffentlichen Raum ein Diskussionsthema ist und bleibt, dafür sorgen – neben drei deutschtiroler Oppositionsparteien, die seit der Landtagswahl von 2013 im Parlament zu Bozen zusammen 10 von 35 Abgeordneten stellen – der Südtiroler Heimatbund (SHB), die Vereinigung ehemaliger Freiheitskämpfer, sowie vor allem der Südtiroler Schützenbund (SSB).

Dieser mitgliederstarke Traditionsverband, dessen Wurzeln ins frühe 16. Jahrhundert zurückreichen, tritt in Treue fest für die Bewahrung der Tirolität im fremdnationalen Staat sowie unerschütterlich für die Aufrechterhaltung des Ziels der Landeseinheit ein. Wiewohl politisch gänzlich unabhängig, bilden mehr als 6000 Mitglieder, von denen über 5000 in 140 Schützenkompanien sowie in 3 Schützen(musik)kapellen aktiv sind, mitsamt  Familienangehörigen ein ansehnliches gesellschaftliches Potential.

Wann und wo immer sie aufmarschieren in ihrer pittoresken Montur – sie sind eine Augenweide fürs Publikum. Im alpinen Tourismus würden ihre Farbtupfer fehlen, träten sie nicht in Kompaniestärke oder gar noch größeren Formationen auf, wenn es gilt, gelebte Tradition augen- und ohrenfällig werden zu lassen. Es kommt daher nicht von ungefähr, dass zwischen Oberbayern und Welschtirol (Trentino) beheimatete Schützenformationen an den meisten Urlaubsorten von Besuchern allzu gerne als folkloristische Draufgabe auf ihren wohlverdienten Ferienaufenthalt empfunden werden.

Wer indes einmal einen Blick in eine Ortschronik oder gar in ein Geschichtsbuch wirft, dem wird sich die historische Dimension des Schützenwesens alsbald erschließen. Dies gilt samt und sonders für jene Landstriche im Dreieck zwischen Konstanz, Kufstein und Ala am Gardasee, die einst die „Gefürstete Grafschaft“ respektive das „Land im Gebirg’“, wie es oft in Urkunden bezeichnet wird, mithin das alte Tirol ausmachten. Überall dort geht die Existenz der Schützen auf das sogenannte Landlibell Kaiser Maximilians I. (1459–1519) zurück.

Der „letzte Ritter“, wie man ihn auch nennt, erließ 1511 jenen urkundlich verbrieften Rechtsakt, in welchem er die Freiheiten der Tiroler Stände festlegte und damit zugleich das Wehrwesen und also die Organisation der Landesverteidigung durch Aufgebote städtischer und ländlicher Bewohner mitsamt einer Aufteilung der Mannschaftskontingente regelte. Das Landlibell legte fest, dass die Tiroler nicht verpflichtet waren, für einen Herrscher außerhalb der Landesgrenzen in den Krieg zu ziehen. Dafür sicherten die Stände zu, bei Feindeseinfall Tirol zu verteidigen.

Landlibell
Das „Landlibell“ von 1511 regelte für die kommenden Jahrhunderte die Landesverteidigung Tirols und war die entscheidene Grundlage der Landesverteidigung von 1809

Andreas Hofer

Weithin bekannt wurde das Tiroler Schützenwesen vor allem durch die Abwehrkämpfe während der kriegerischen Einfälle der Bayern 1703 sowie der Franzosen (nebst ihrer bayerischen Verbündeten) in den Jahren 1796/97 und 1809. Die Bergisel-Schlachten unter dem aus dem Südtiroler Passeiertal stammenden Kommandanten und Volkshelden Andreas Hofer – plastisch und drastisch nachzuverfolgen am „Riesenrundgemälde“ im Tirol-Panorama, einem eigens 2010 errichteten Museum am gleichnamigen Berg nahe Innsbruck – trugen wesentlich dazu bei, dass der Mythos vom wehrhaften Bergvolk, das selbst Napoleon trotzte, in ganz Europa bekannt wurde.

Das Landlibell galt im Kern bis zur Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, und selbst während des Ersten Weltkriegs wurden Tiroler Standschützen stets nur zur Verteidigung der Heimat und eben nicht auf außertirolischen Kriegsschauplätzen eingesetzt. Daran und an „500 Jahre Landlibell als Geburtsurkunde der Tiroler Schützen“ war  2011 in Innsbruck im Beisein von deren Abordnungen aus eben jenem historischen Tirol – des österreichischen Bundeslandes sowie der italienischen Provinzen Bozen-Südtirol und Trentino – feierlich erinnert worden.

Standschützen
Auch im Ersten Weltkrieg wurden die Standschützen nur zur Verteidigung der Grenzen Tirols eingesetzt

Nirgendwo dort fehlen Schützen bei einer größeren Festveranstaltung. Fast in jeder Gemeinde gibt es eine Kompanie, die bei festlichen Anlässen „ausrückt“ und mittels  Gewehrsalven eines  Schützen-Detachements den Festcharakter lautstark unterstreicht. Heutzutage haben diese Waffen tragenden Tiroler in ihren schmucken, regional und sogar lokal unterschiedlichen Uniformen feindliche Truppen nicht mehr abzuwehren, wenngleich Degen und Karabiner zu ihrer „Standardausrüstung“ gehören. Der wehrhafte Geist ist ihnen indes ganz und gar nicht abhandengekommen, wenn sie sich – im engeren wie im weiteren Sinne – um die „Heimat“ kümmern: Sie initiieren und beteiligen sich aktiv an Renovierungsaktionen für Bauwerke; dasselbe gilt für Reinigungsaktivitäten besonders dort, wo das Wegwerfgut des Massentourismus  zu beseitigen ist.

Vor allem aber engagieren sie sich in der sozialen Fürsorge für ältere Mitbürger. Trotz äußerlicher Verschiedenheit, wie sie an Gewand und Hüten, an Uniform-/Tracht- und Hutschmuck sowie an ihren Fahnen auszumachen ist, eint sie Tradition und Heimatverbundenheit, wie sie sich in den Grundsätzen des Schützenwesens manifestieren (dazu gehören „Treue zu Gott und dem Erbe der Väter“, „Schutz von Heimat und Vaterland“ sowie „Einheit des Landes“).

Letzteres führte mitunter zu  Auseinandersetzungen in und zwischen den drei maßgeblichen Schützenverbänden – sehr stark beeinflusst von den in den Tiroler Landesteilen dominanten politischen Kräften respektive regierenden Parteien, von denen im Bundesland Tirol die ÖVP und in der Provinz Bozen-Südtirol deren Pendant SVP seit dem Zweiten Weltkrieg ununterbrochen an der Macht sind.

Dass Streit über die Landeseinheit mittlerweile als „Schnee von gestern“ gelten darf, ist in erster Linie dem Betreiben des SSB und dessen Landeskommandanten Major Elmar Thaler sowie der Mitwirkung seines Pendants im Norden – Major Fritz Tiefenthaler, Kommandant des Bundes Tiroler Schützenkompanien (BTSK) – zuzuschreiben.

Hieß der übergreifende Grundsatz zwischen Nord und Süd in den 1990er  Jahren „geistige und kulturelle Landeseinheit“, so ist in den letzten Jahren, weitgehend inauguriert vom  SSB, immer stärker auch die „politische Einheit des Landes“ in den Mittelpunkt gemeinsamer Zielsetzungen gerückt. Und mit der  Neugründung eines (die ansonsten eigenständigen Schützenverbände Tirols, Südtirols und Welschtirols) vereinigenden „Verbandes Tiroler Schützen“ (VTS)  wurde  die „Landeseinheit Tirols“  in dessen Statut fixiert. Jedes Jahr übernimmt ein anderer Landeskommandant die Führung der darin vereinten mehr als 20.000 Schützen Gesamttirols.

Sichtbarster Ausdruck der Veränderung vom „unpolitischen“ – und von zeitgeistfrommen Zeitgenossen abschätzig „heimattümelnd“ genannten – Charakter zu einem durchaus ernstzunehmenden politischen Faktor in beiden Teilen Tirols war der  „Freiheitsmarsch“ der Schützen 2012 in Bozen. Damit war erstmals auch die personifizierte gesamttirolische Verbandseinheit dokumentiert worden, indem der Südtiroler Landeskommandant Elmar Thaler, der Nordtiroler Fritz Tiefenthaler und der Welschtiroler Giuseppe Corona an der Spitze den farbenprächtigen Zug von Tausenden ihrer Mannen nebst Marketenderinnen und Sympathisanten in gleichem Schritt und Tritt quer durch die Stadt auf den Platz vor das Landhaus (Landtag) zur Abschlusskundgebung führten.

Schützen Bozen 2012

(„Dolomiten“ vom 16. April 2012)

Am 14. April 2012 hatten die Südtiroler Schützen zu einem großen „Freiheitsmarsch – ohne Rom in die Zukunft“ durch Bozen aufgerufen. An die 6.000 Menschen waren gekommen, unter ihnen Abordnungen der Nordtiroler und der Welschtiroler Schützen. An der Spitze des Zuges marschierten die Landeskommandanten der Schützen. Von links nach rechts: Der Nordtiroler Landeskommandant Major Mag. Fritz Tiefenthaler ( „Bund der Tiroler Schützenkompanien“), Landeskommandant Elmar Thaler („Südtiroler Schützenbund“) und Vize-Landeskommandant Giuseppe Corona („Welschtiroler Schützenbund – Federazione Schützen del Welschtirol“).

Dort fassten sie zusammen, was die einzelnen Kompanien in griffige Parolen gekleidet auf Spruchbändern mit sich geführt hatten und was Ziel des demonstrativen, aber gänzlich unmartialisch verlaufenen Aufmarschs sein sollte: Der „Mut zum Bekenntnis und zur Tat“ gipfelte in dem wider Italien gerichteten Bekenntnis „Unser Staat ist das nicht“, respektive im Verlangen „Schluss mit der italienischen Verwaltung“.

In Anlehnung an den November 1989 in der damaligen DDR hieß es auch auf rotweißen Spruchbändern, die der Tiroler Adler zierte: „Wir sind das Volk“. Womit zugleich das Verlangen nach Wiedervereinigung des seit Ende des Ersten Weltkriegs geteilten Tirols Ausdruck fand. All das verdichtete sich in den beiden markanten Parolen von der „Ausübung des Selbstbestimmungsrechts“ und der „Verabschiedung aus Italien“, mithin dem „Los von Rom“. Es fehlte auch nicht an Schelte für „Politiker, die der Landeseinheit im Wege stehen“. Vom SSB initiierte und organisierte „Unabhängigkeitstag“ in Meran 2013 und in Bruneck 2016,  zu denen sich Vertreter zielgleicher nationaler Minderheiten aus EUropa einfanden, gerieten zu selbstbewussten Manifestationen wider assimilatorische Entnationalisierung sowie des unbedingten Willens zur Selbstbehauptung und des Verlangens nach Verwirklichung des in der UN-Charta verankerten Selbstbestimmungsrechts.

Unabhängigkeitstag in Meran 2013

Unabhängigkeitstag in Meran 2013
Unabhängigkeitstag in Meran 2013

Unabhängigkeitstag in Bruneck 2016

Unabhängigkeitstag in Bruneck 2016
Unabhängigkeitstag in Bruneck 2016

Die Schützen wissen, dass sie mit derartigen Aktivitäten mitunter auf Ablehnung stoßen: nicht allein in Rom (zur Gänze) sowie (weithin) in der politischen Klasse Wiens und Innsbrucks, sondern auch und vor allem bei der SVP. Die 1945 gegründete „Sammelpartei“ hat sich längst  mit den obwaltenden, weil  mitgestalteten Verhältnissen arrangiert. Dem Arrangement fiel das in ihren Parteistatuten als Gründungszweck und hehres Verwirklichungsziel verankerte Selbstbestimmungsbegehr „realpolitisch“ ebenso zum Opfer wie ihr die einst auch von ihr als höchsten Daseinszweck propagierte Landeseinheit faktisch obsolet geworden ist. Dies legte die seit der Streitbeilegung 1992 immer öfter ins Auge stechende, dem Machterhalt dienende und für Funktions- und Amtsträger sowie dem sozial und ökonomisch nutznießenden Teil der eigenen Wählerklientel einträgliche Maxime des „Kompromisses um jeden Preis“ offen. Man tritt der gegenwärtigen SVP-Führung  und dem Gros ihrer Parlamentarier gewiss nicht zu nahe, wenn man sie als italophil bezeichnet.

Dass dies zwangsläufig zu Konflikten mit dem Schützenbund führen muss(te), dessen Wiedergründung ohne Beistand und Rückhalt der SVP 1957 kaum denkbar gewesen wäre und zu dessen erstem Kommandanten infolgedessen der damalige Landeshauptmann Dr. Alois Pupp bestimmt worden war, ist in den letzten Jahren häufig zutage getreten. Das Wiederaufleben des im italienischen Faschismus verbotenen Schützenwesens geschah gegen den hartnäckigen Widerstand des „demokratischen Italiens“, das – in Südtirol übrigens bis heute –  zäh sein geistiges faschistisches Erbe verteidigt.  In Rom war und ist man sich der Bedeutung des Schützenwesens bewusst, dessen traditioneller Daseinszweck auf Bewahrung der Identität und Freiheit der Tiroler sowie auf Wiedererlangen der Landeseinheit gerichtet ist.

Von den 1950er bis zu den frühen 1980er  Jahren herrschte hinsichtlich dieser Ausrichtung weithin Übereinstimmung mit der SVP, zudem bestand  eine gewisse personelle Identität. Man tut wohl niemandem Unrecht, wenn man den SSB bis zur zäsuralen „Schützenrevolte“ auf der denkwürdigen Landesversammlung  (dem Parteitag) 1986 in Meran als eine der SVP-„Vorfeldorganisationen“ charakterisiert. Das hat sich seitdem fundamental geändert. Zwischen SVP und SSB, der sich von ihr emanzipierte und mehr und mehr zum Stachel im Fleische der Politik wurde, ist heute der Bruch unübersehbar.

Die Schützen haben wieder und wieder bewiesen, dass sie trotz (gesellschafts)politischen Gegenwinds an ihrem historisch begründeten und legitimierten Auftrag sowie an ihrem tradierten Wertegefüge festhalten und standfest bleiben. Daher ist es vornehmlich ihnen zu danken, dass das letzte Wort bezüglich der Zukunft (Süd-)Tirols wohl noch lange nicht gesprochen ist.

Standhaft im Gegenwind. Der Südtiroler Schützenbund und sein Wirken für Tirol als Ganzes
Olt, Reinhard: „Standhaft im Gegenwind. Der Südtiroler Schützenbund und sein Wirken für Tirol als Ganzes“ Neumarkt a.d. Etsch (Effekt GmbH) 2017, 364 Seiten, Hardcover, Format 260×235 mm, illustriert, ISBN 978-88-97053-39-2; Preis 25,- Euro

Mein soeben erschienenes Buch „Standhaft im Gegenwind“. Der Südtiroler Schützenbund und sein Wirken für Tirol als Ganzes“ legt all dies faktengesättigt offen. Wobei  eine Fülle exklusiver Informationen aufgeboten werden konnten, die man sowohl in  der journalistischen, als auch in der bisherigen wissenschaftlichen Publizistik vergeblich sucht. Diese facettenreiche Publikation über den Südtiroler Schützenbund stellt daher zugleich eine detaillierte Beschreibung  der  ins österreichisch-italienische Verhältnis eingebetteten politischen Handlungen beider Tirol dar. Mithin schließt die Darstellung auch eine Lücke in der Aufarbeitung der jüngeren Zeitgeschichte.

Reinhard Olt
Prof. Dr. Reinhard Olt bei der Vorstellung seines Buches am 2. Mai 2017 im Bozener Waltherhaus




Die „Guten Hirten“ Tirols in Not und Bewährung

Bild: Kanonikus Michael Gamper – ein guter „Gute Hirte“ Tirols und ein Kämpfer für die Rechte seines Volkes

Die Weigerung des Nordtiroler Diözesanadministrators und möglichen Bischofs von Innsbruck, Monsignore Mag. Bürgler, eine Tafel zur Erinnerung an den selbstlosen christlichen Blutzeugen Franz Innerhofer christlich  segnen zu lassen, hat in Nord- und Südtirol große Bestürzung unter zahlreichen Gläubigen hervorgerufen.

Der Marlinger Lehrer Franz Innerhofer war 1921 in Bozen von tobenden, prügelnden und schießenden Faschisten ermordet worden, während er erfolgreich versucht hatte, einen 8jährigen Buben aus seiner Schule vor deren Wüten zu retten.

Auf noch größeres Unverständnis unter vielen Gläubigen ist die Empfehlung des Administrators gestoßen, anstelle der Gedenktafel die damaligen faschistischen Mörder zu segnen, weil die höchste Form des Segens die Segnung der Verfolger sei, die man nicht verurteilen oder schelten, sondern nur segnen solle.

Mit solchen Botschaften stellt sich Innsbrucker Diözesanadministrator in einen unübersehbaren Gegensatz zu jenem Tiroler Klerus, welcher bislang die fürsorgliche Hirtenrolle gegenüber der Gemeinschaft treu wahrgenommen hatte.

Siehe hier die Dokumentation aus dem letzten SID: weiterlesen

Die Aufgabe des „Guten Hirten“ – Naturrecht und Menschenrechte

In der Südtiroler Tageszeitung „Dolomiten“ vom 6. Mai 2017 hat Pater Olaf Wurm zeitlos Gültiges zur Rolle nicht nur des geistlichen „Guten Hirten“ in der Gemeinschaft der Mitmenschen ausgesprochen. Auszugsweise seien seine Worte hier wiedergegeben:

Es geht also nicht um die doktrinäre Leitung einer ziellosen „Herde“, sondern es geht um die Mitverantwortung gegenüber der Gemeinschaft und den Mitmenschen, um das stetige Bemühen, moralisches Vorbild zu sein, es geht um Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft.

Dies ist eine sittliche Forderung nicht nur an die Kleriker, sondern auch an uns alle.

Vorbild Kanonikus Michael Gamper

Als der geistliche Vorkämpfer für die Rechte seines Volkes und Herausgeber der „Dolomiten“, Kanonikus Michael Gamper, im Jahre 1956 starb, widmeten ihm die „Dolomiten“ einen Nachruf, den bestimmte hohe Geistliche heute wieder lesen sollten.

In diesem Nachruf hieß es über den Kanonikus:

Die von Kanonikus Gamper verkörperte sittliche Haltung hat der Tiroler Klerus in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, wenn es um die Belange des gegen alle Menschenrechte geteilten Landes Tirol und seiner Mitbürger ging.

In Zeiten äußerster Not während der Zeit des Faschismus, des Nationalsozialismus und der Fortführung der faschistischen Politik nach 1945 in Südtirol, waren diese Priester wahre Leuchtfeuer in düsterer Nacht.

Die katholische Soziallehre als Stütze

Dabei stützten sich diese Priester auf die katholische Soziallehre, welche davon ausgeht, dass die Schöpfung der Welt untrennbar mit einem natürlichen und universal gültigen Naturrecht verbunden ist, welches göttlichen Ursprungs und dem von Menschen gesetzten Recht übergeordnet ist.

Auch die österreichische Rechtsordnung anerkennt das Naturrecht. So hieß es schon in § 16 des 1812 geschaffenen österreichischen „Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs“ (ABGB) ausdrücklich: „Jeder Mensch hat angeborene, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte…“

Die Respektierung der Menschenrechte ist darüber hinaus in zahlreichen österreichischen Verfassungsgesetzen festgelegt. Die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ der Vereinten Nationen (UN-Menschenrechtscharta) unterstrich im Jahre 1948 die Bedeutung des Naturrechts, ohne welches es heute keine Verankerung der allgemeinen Menschenrechte in zahlreichen staatlichen Verfassungen geben würde.

Zu diesen Menschenrechten zählt auch das Recht der Völker und Volksgruppen auf Selbstbestimmung, auch wenn betroffene Staaten dies ständig zu relativieren und zu bestreiten versuchen.

Der Aufruf des „Andreas Hofer-Bundes“

In dem Wissen, dass man nicht die Haltung des gesamten Tiroler Klerus mit der des Innsbrucker Administrators und einiger Gesinnungsgenossen gleichsetzen darf, hat der „Andreas Hofer-Bund Tirol“ in einigen Aussendungen bereits solche herausragende Beispiele vorgestellt und darum gebeten, man möge weitere benennen.

Im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum und im Tiroler Landesarchiv in Innsbruck finden sich zu diesem Thema wahre Schätze, die von den Befürwortern der Landesteilung freilich gerne übergangen und verschwiegen werden.

Der SID mach sie hiermit öffentlich.

1945: Sämtliche SVP-Bezirke, der Fürstbischof von Brixen und alle Südtiroler Seelsorger fordern die Landeseinheit

In der zweiten Hälfte des Jahres 1945 war das weitere Schicksal Südtirols noch nicht entschieden.

Am 11. September 1945 sollte in London die erste alliierte Außenministerkonferenz zur Vorbereitung des italienischen Friedensvertrages beginnen. Um vor Beginn der Konferenz die Haltung Tirols darzulegen, entschlossen sich die politischen Parteien, am 4. September 1945 eine Großkundgebung in Innsbruck abzuhalten, zu der die den Tirolern gewogene französische Besatzungsmacht ihre Zustimmung erteilte.

Zur gleichen Zeit forderten alle Bezirksobleute der neu gegründeten „Südtiroler Volkspartei“ (SVP) sowie ausnahmslos alle Südtiroler Seelsorger von den Alliierten die Wiederherstellung der Tiroler Landeseinheit.  Im Sommer 1945 waren in Südtirol diese Unterschriftensammlungen für die Rückkehr Südtirols zu Österreich durchgeführt worden, die schon den Charakter einer schriftlichen Volksabstimmung gehabt hatten.

Diese Bitte des Südtiroler Geistlichkeit war begleitet von einem Memorandum des Fürstbischofs von Brixen, Johannes Geisler.

Über den Fürstbischof Johannes Geisler und seinen Einsatz für Heimat und Mitmenschen hat der anerkannte Kirchenhistoriker Josef Gelmi eine herausragende Biographie geschaffen. (Verlag A. Weger, Brixen 2003)

Die Erklärungen der SVP-Bezirks- und Ortsobmänner Südtirols, von denen eine hier wiedergegeben ist, liegen als Originale im Tiroler Landesarchiv auf. (Tiroler Landesarchiv Innsbruck, Amt der Tiroler Landesregierung, Referat Südtirol, Jahr ca. 1957-1990, Karton 26)

Bezüglich der Unterschriften der Südtiroler Seelsorger hieß es in der Landhauskorrespondenz und über die Petition des Fürstbischofs Geisler weiter:

In der „Landhauskorrespondenz“ vom Herbst 1945 informierte die Tiroler Landesregierung die Öffentlichkeit über die Forderung aller Bezirke der Südtiroler Volkspartei sowie der Südtiroler Geistlichen einschließlich des Fürstbischofs D. Johannes Geisler nach Selbstbestimmung. (LHK Landhauskorrespondenz, Sonderausgabe „Südtirol ruft Österreich“, Innsbruck undatiert.)

Die von Fürstbischof Johannes Geisler genannten Erklärungen der Südtiroler Priester, in denen sie bezeugten, dass es der einhellige Wunsch der gesamten Bevölkerung ihrer Pfarrgemeinde sei, wieder mit Nordtirol vereinigt zu werden, waren auf heimlichem Weg über die von den Italienern streng kontrollierte Grenze nach Nordtirol zur „Landesstelle für Südtirol“ bei der Tiroler Landesregierung gebracht worden. Von dort waren diese Dokumente in Kopien zusammen mit der Petition des Fürstbischofs von Brixen dem britischen Ministerpräsidenten Attlee sowie den anderen alliierten Regierungschefs übermittelt worden.

Die beeindruckende Sammlung der Originale befindet sich heute im Tiroler Landesarchiv. (Tiroler Landesarchiv Innsbruck, Amt der Tiroler Landesregierung, Referat Südtirol, Jahr ca. 1957-1990, Karton 26)

1945: Die Nordtiroler Geistlichkeit ist solidarisch

Die Nordtiroler Geistlichkeit hatte im Juli 1945 das Begehren der Südtiroler mit einer eigenen von hohen Klerikern unterzeichneten Petition an die alliierten Siegermächte unterstützt und gebeten, „einem friedlichen, braven, an Freiheit gewöhnten Volke seinen sehnlichsten Wunsch nach Widervereinigung mit den Brüdern in Nordtirol und Österreich nicht zu versagen.“

Aus der Denkschrift des Nordtiroler Klerus. (Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck. Bibliothek.)

Der bischöfliche Kanzler Kassian Lechleitner (Bild links) hatte die Denkschrift der Nordtiroler Geistlichkeit unterzeichnet. Der Verfasser war der katholische Priester Monsignore Franz Kolb (Bild rechts). Dieser hatte bereits im Ersten Weltkrieg als Feldkurat an der Südfront gestanden und war nach dem Krieg von den faschistischen Behörden wegen seiner tirolischen Gesinnung aus Brixen nach Österreich abgeschoben worden. Danach war er als Religionslehrer in Innsbruck und Volders tätig. Als Nationalratsabgeordneter in Wien hatte er am 23. Februar 1928 vor dem Parlament eine Rede gehalten, in der er die faschistische Politik angeprangert hatte. Kolb war Landeskurat der Nordtiroler Schützen und trat mit ganzer Kraft und aus vollem Herzen für die deutsche und ladinische Volksgruppe in Südtirol ein. Er starb im Jahre 1959, kurz vor der großen Landesfeier, an deren Vorbereitung er mit aller Kraft mitgewirkt hatte.

1946: „Gebetsstürme“, Volkswallfahrten und Bittprozessionen in Südtirol

Am 1. Mai 1946 in Paris beschlossen die alliierten Außenminister, die Wiederherstellung der Tiroler Landeseinheit abzulehnen. Damit kamen die Westmächte Italien entgegen, das sie in die westliche Bündnisgemeinschaft einbinden wollten. Daraufhin riefen Fürstbischof Johannes Geisler und der Klerus Südtirols zu „Gebetsstürmen“ und zu Volkswallfahrten für die Wiedervereinigung Tirols auf.

Am 5. Mai 1946 strömten zu dem Fest des Diözesanpatrons St. Kassian viele tausende Menschen aus allen Tälern des Eisack und der Rienz in die alte Bischofstadt Brixen, um die Fürbitte des Patrons zu erflehen und um der Welt den ungebrochenen Willen des Volkes zu zeigen.

Die Wallfahrer in der Hofburg in Brixen

Am gleichen Tag flehten tausende Gläubige in Meran den Himmel um Hilfe an. Die „Dolomiten“ berichteten darüber am 6. Mai 1946:

Am 30. Juni 1946 fand vor der durch Bombenangriffe halb zerstörten Stadtpfarrkirche in Bozen eine große und ergreifende Herz-Jesu-Feier statt.

Der Waltherplatz in Bozen konnte die riesige Menschenmenge kaum fassen

Am Abend kündeten rund um Bozen die Feuer von der religiösen Treue und der Sehnsucht des Landes nach Freiheit.

Viele weitere Bittprozessionen und Wallfahrten fanden in ganz Südtirol statt.

Aus „Dolomiten“ vom 15. April 1946

Aus „Volksbote“ vom 9. Mai 1946

Aus „Volksbote“ vom 9. Mai 1946

 

 

Aus „Dolomiten“ vom 16. April 1946

1946: Fürstbischof Geisler und die SVP fordern von den alliierten Mächten das Selbstbestimmungsrecht für Südtirol

Am 22. Mai 1946 richteten Fürstbischof Geisler und der junge SVP-Organisationsleiter Friedl Volgger einen letzten verzweifelten Appell an alle alliierten Außenminister. Sie trugen die Bitte vor, Gerechtigkeit walten zu lassen und Südtirol im Sinne der verkündeten „Atlantic Charter“ das Selbstbestimmungsrecht zuzugestehen.

Nachstehend das Faksimile des Schreibens, welches an den britischen Außenminister Ernest Bevin ergangen war:

Bericht der „Tiroler Nachrichten“ über den letzten verzweifelten Versuch Geislers, die Landeseinheit zu retten

Der geistliche Widerstand gegen die geplante kulturelle Auslöschung der Südtiroler

Die machtpolitischen Erwägungen der Alliierten waren stärker gewesen als die moralischen Appelle der Süd- und Nordtiroler Geistlichkeit.

Als es in der Folge darum ging, der von Rom im faschistischen Geist fortgeführten Entnationalisierung und Entrechtung entgegen zu treten, war die Tiroler Geistlichkeit Jahrzehnte lang eine unermüdliche Stütze des Tiroler Widerstandswillens.

Allen voran wirkte der Herausgeber der „Dolomiten“, der unvergessliche Kanonikus Michael Gamper, der wiederholt nicht nur seine Landsleute ermuntert und aufgerüttelt, sondern auch die Schutzmacht Österreich mit dem Hinweis auf den drohenden „Todesmarsch“ der Volksgruppe öffentlich in die Pflicht genommen hat.

Sein Werk dauert bis heute fort. Natürlich wurden auch die „Dolomiten“ im Laufe der Zeit in innenpolitische Auseinandersetzungen der deutsch-ladinischen Volksgruppe verwickelt. Selbstverständlich muss diese Zeitung heute auch einer gewissen gesellschaftspolitischen Breite offen stehen. Dabei hat sie aber eine wichtige Generallinie gewahrt.

Man kann im Rückblick sagen, dass ohne das jahrzehntelange Eintreten der „Dolomiten“ für die Rechte Südtirols die Geschichte des Landes anders, und zwar viel schlechter, verlaufen wäre.

Das fortgeführte Erbe und Vermächtnis Gampers wirken bis heute segensreich nach. Dieser Linie fühlen sich zwar heute nicht mehr alle Kirchenoberen verpflichtet, aber zahlreiche Priester im Lande wirken in ihren Predigten, in ihren Tätigkeiten in der Gemeinde und als Schützenkuraten weiter in diesem Sinne.

Sie sind die „Guten Hirten“ und das Herz der christlichen Gemeinde.




Ein scharfer nationalistischer Wind weht in Italien

Leifers: Amtliche Jubelfeier für die Zugehörigkeit Südtirols zu Italien

Die südlich von Bozen am linken Ufer der Etsch gelegene Gemeinde Leifers war ursprünglich ein kleines Dorf, in welchem im Jahre 1777 laut damaligem Steuerkataster noch kein einziger Italiener ansässig war. Der Steuerkataster aus der Zeit der Kaiserin Maria Theresia verzeichnete im Viertel Leifers 31 Höfe und Häuser, die alle deutsche Namen trugen.

1845 hatte das Dorf Leifers 790 Einwohner, unter denen sich bereits zahlreiche italienische Zuwanderer befanden, die vor allem in der kurzen Zeit zugezogen waren, in der auf Veranlassung Napoleons das südliche Etschtal einschließlich Bozens 1810 unter dem neu erfundenen Namen „Alto Adige“ dem Königreich Italien zugeschlagen worden war.

Der österreichische Vormarsch hatte sodann im Jahre 1813 dem Spuk eines „Alto Adige“ ein Ende gesetzt.

Auch in der Folge kam es jedoch zu einem weiteren Zuzug von Italienern, welche vor allem mit der in dieser Gegend verbreiteten Seidenraupenzucht vertraut waren. Zu einer verstärkten und staatlichen italienischen Zuwanderung kam es dann in der Faschistenzeit, sodass Leifers bereits in den frühen 1920er Jahren über eine italienische Mehrheit verfügte.

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg förderte der italienische Staat den Zuzug aus dem Süden. Große Militärkasernen und Wohnbauten für die Familien der ständig stationierten Militärs trugen dazu bei, dass Leifers zusammen mit bereits eingemeindeten Randgemeinden heute die viertgrößte Stadt Südtirols mit 17.700 Einwohnern darstellt.

Der zahlenmäßige Erfolg langfristiger Italianisierung

In Leifers stellt laut Volkszählung von 2011 die italienische Volksgruppe (ebenso wie in den weiteren 4 Gemeinden Bozen, Salurn, Branzoll und Pfatten) die Mehrheit der Bevölkerung:

71,50 % gehören der italienischen Volksgruppe an, und nur noch 27,99 % der deutschen und 0,51 % der ladinischen (Im Vergleich dazu die Zahlen für das gesamte Südtirol: Deutsch: 69,64 %, Italienisch 25,84 % und Ladinisch 4,52 %).

Weitere gezielte Aktionen

Dieser örtliche „Erfolg“ einer langfristig geplanten und durchgezogenen nationalistischen Siedlungspolitik übt seine Wirkung bis heute auf das politische Geschehen aus. Dazu kommt noch, dass heute in Leifers offenbar ganz gezielt und geplant Aktionen gesetzt werden, um die deutsche Volksgruppe weiter zu schwächen und womöglich zum Verschwinden zu bringen.

Am 16. März 2017 teilte der „Südtiroler Schützenbund“ auf seiner Internetseite mit:

„In diesem Ort, in dem italienische Eltern permanent ihre nicht der deutschen Sprache mächtigen Kinder in den deutschen Kindergarten und die deutsche Schule einschreiben und somit einen zielführenden Unterricht von vornherein unmöglich machen, steht der Fortbestand der deutschen Volksgruppe schon länger auf dem Spiel. Es ist kein Geheimnis und auch dem Landesrat für Schule schon längst bekannt, dass deutsche Eltern ihre Kinder in den Kindergärten der umliegenden Ortschaften einschreiben müssen.“

Siehe: https://www.schuetzen.com/

Deutsche Schulkinder zur Feier der Zugehörigkeit Südtirols zu Italien verpflichtet

Der zur italienischen Sprachgruppe zählende Leiferer Bürgermeister Christian Bianchi nahm die gesamtitalienischen Feiern anlässlich „156 Jahre Einigung Italiens“ zum Anlass, auch in Leifers begeistert an die im März 1861 in Turin erfolgte Ausrufung der italienischen Monarchie unter König Viktor Emanuel zu erinnern. In Leifers sollte dabei ein nationalistisches Spektakel besonderer Güte über die Bühne gezogen werden.

Hierbei wurde so getan, als ob es die selbstverständliche Sache der Welt sei, dass auch Südtirol die Zugehörigkeit zu Italien zu feiern habe. Auf die Gefühle der deutschen Volksgruppe wurde keine Rücksicht genommen.

Elmar Thaler
Der Landeskommandant des Südtiroler Schützenbundes, Elmar Thaler, nahm das Vorgehen des Bürgermeisters von Leifers nicht schweigend hin.

Am 17. März 2017 machte der Landeskommandant des Südtiroler Schützenbundes, Elmar Thaler, in einer Presseaussendung auf den Umstand aufmerksam, dass auch die Schüler der deutschen Schule in Leifers zu den Feierlichkeiten anlässlich der 156 Jahre Einigung Italiens verpflichtet wurden. Dies geschah laut Thaler in einer Weise, die an „an nordkoreanische Verhältnisse erinnert. … Nun aber den wenigen verblieben deutschen Kindern eine Feier aufzudrücken, die mit der Geschichte und Kultur ihrer Volksgruppe nichts gemein hat, ist schlichtweg eine Frechheit.“

In diesem Zusammenhang stelle sich für den Südtiroler Schützenbund auch die Frage, wer die Verantwortung dafür trage, „dass im Vorjahr die Schüler mit einer äußerst tendenziösen und vor nationalem Gehabe triefenden Broschüre ausgestattet worden sind.“

Daher fordere der Südtiroler Schützenbund den Schullandesrat Philipp Achammer (SVP) auf, unverzüglich tätig zu werden und die Schüler vor einer politischen Vereinnahmung zu schützen.

„Insgesamt dürfte klar sein“, erklärte Thaler, „dass die Südtiroler jeglichen moralischen Anspruch auf Autonomie verlieren, sobald sie sich mit dem italienischen Staat identifizieren.

Die nationalistische Feier

Um seine italienisch-patriotische Gesinnung zu dokumentieren, hatte Bürgermeister Bianchi bereits am 14. März 2017 ein Bild auf „Facebook“ gestellt, welches den Einzug des italienischen Freiheitshelden und Guerriglia-Kämpfers Giuseppe Garibaldi im Jahre 1860 in Neapel zeigt.

Dazu hatte Bürgermeister Bianchi folgenden Text verfasst, der natürlich nur in italienischer Sprache gehalten war und nur die von dem Faschisten Tolomei erfundenen italienischen Ortsnamen wiedergab. In deutscher Übersetzung lautete dieser Text:

„Freitag Vormittag um 9 Uhr werden wir auf dem Rathausplatz von Laives die Wiederkehr des 156 Jahres der Einigung Italiens feiern. Zugegen sein werden die Gemeinde Laives (Anm.: richtiger Name Leifers), jene von Bronzolo (Anm.: richtiger Name Branzoll) und von Vadena (Anm.: richtiger Name Pfatten), zivile und militärische Behörden, verschiedene Delegationen der bewaffneten Streitkräfte, alle kämpferischen Vereinigungen und als absolute Hauptdarsteller etwa 200 Kinder und Jugendliche der Elementar- und Mittelschulen. Ihr seid alle eingeladen.“

Diesem Geist entsprechend wurde die Feier gestaltet: Mit viel Trara, Tricolore-Fahnen und der Zurschaustellung militärischer Standarten, die altrömischen Standarten nachgeahmt sind. An dem Spektakel nahmen neben Alpini-Soldaten, Carabinieri und weiteren institutionellen Vertretern rund 200 Schulkinder teil, unter denen sich auch Schüler der deutschen Mittelschule in Begleitung ihrer Lehrpersonen befanden.

Protest deutscher Volksvertreter

Das Internet-Portal „Unser Tirol 24“ berichtete über die Reaktionen der politischen Vertreter der deutschen Volksgruppe:

Während der Rom-treue Landeshauptmann Kompatscher (SVP) sich bei diesem kritischen Thema in Schweigen hüllte, bezeichnete Oswald Schiefer, Landtagsabgeordneter der „Südtiroler Volkspartei“(SVP), die Feierlichkeiten zur „nationalen Einheit Italiens“ in Leifers als eine „ungute Sache“.

Besonders lobende Worte fand er für das geschlossene Fernbleiben der SVP-Ortsgruppe von Leifers: „Das freut mich sehr, wenn die Leiferer SVP Kante zeigt, weil ich so eine Veranstaltung sehr grenzwertig finde“, so Schiefer. Die Veranstaltung war für den Unterlandler SVP-Abgeordneten zudem „alles andere als förderlich für ein friedliches Zusammenleben zwischen den Volksgruppen“. „Besonders dann, wenn die deutschen Mittelschüler auch noch zur Teilnahme zwangsverpflichtet werden“.

Besonders scharfe Worte über die Teilnahme der deutschen Schulkinder fand der freiheitliche Landtagsabgeordnete Sigmar Stocker. Von Schullandesrat (und SVP-Landesparteiobmann) Philipp Achammer erwarte er sich unverzüglich eine klare Positionierung, sowie eine persönliche Vorladung der Verantwortlichen der deutschen Mittelschule von Leifers.

Das ist ein Missbrauch der deutschen Kinder, wenn sie an einer solchen Veranstaltung teilnehmen müssen. Wir haben unsere Autonomie bekommen, weil wir eben nicht Italiener sind.

Empört über die Feier zum Tag der nationalen Einheit, die von der Gemeinde Leifers organisiert wurde, zeigte sich auch die „Süd-Tiroler Freiheit“ (STF).

Gerade in einer sprachlich gefährdeten Gemeinde wie Leifers sei es fahrlässig, die Kinder für nationalistische Zwecke zu instrumentalisieren und sie derart zu beeinflussen, kritisierte Werner Thaler, rechtlicher Sprecher der Bewegung.

Was sich die Lehrpersonen dabei gedacht haben, sei völlig schleierhaft und zeige, dass ihnen jegliches Feingefühl abgehe. Die umstrittene Veranstaltung erweckt den Eindruck, als lebe man in Leifers noch in der Zeit des Faschismus“, so der STF-Vertreter.

Auch der Landtagsabgeordnete der „BürgerUnion“, Andreas Pöder, hielt es für absolut unverständlich, dass sich die Schulen überhaupt an einer solchen Feier beteiligten. „Das ist einfach unsensibel und ein Affront gegen die deutsche Schule in Südtirol“, kritisierte Pöder.

Siehe: http://www.unsertirol24.com/

Brescia: Gerichtsverfahren gegen Selbstbestimmungs-Anhänger

„Das Streben nach Unabhängigkeit bedeutet Umsturz“

Dass in Italien wieder ein schärferer nationalistischer Wind weht, zeigt ein Gerichtsverfahren in Brescia.

Am 17. März 2017 mussten sich im dortigen Tribunal 48 Selbstbestimmungs-Anhänger aus dem Veneto und der Lombardei einer ersten Vorverhandlung stellen. Der Staatsanwalt Carlo Nocerino wirft ihnen vor, einen „Anschlag auf die Einheit des Staates“ geplant zu haben und fordert für 34 von ihnen eine Verurteilung.

Das „Verbrechen“: Die Angeklagten hatten geplant, auf dem Markusplatz in Venedig medienwirksam mit einer blechernen Panzerattrappe aufzukreuzen und sodann in einer Kundgebung das Selbstbestimmungsrecht für das Veneto und die Lombardei zu fordern.

Die Carabinieri hatten dies gewaltsam verhindert und die Protagonisten angezeigt.

Der Staatsanwalt erklärte nun „Auspicare l’indipendenza è da considerarsi eversione!” – auf Deutsch: Das Streben nach Unabhängigkeit bedeutet Umsturz!” und verlangte eine strenge Bestrafung mittels einschlägiger Staatsschutzparagraphen.

Die Vorverhandlung wurde an diesem Tag nicht zu Ende geführt, sondern in den Mai 2017 vertagt. Zu dieser richterlichen Entscheidung hatte vielleicht auch ein massiver Protest vor dem Gerichtsgebäude beigetragen.

Der Protest

Bereits am 14. März 2017 hatte der venezianische Regionalratsabgeordnete Antonio Guadagnini mit einer Presseerklärung gegen diesen Prozess protestiert.

Er hatte darauf hingewiesen, dass

  • der Regionalrat des Veneto 2014 ein Gesetz (Nr. 16/2014) verabschiedet hat, welches die Durchführung einer Volksabstimmung über die Unabhängigkeit des Veneto ermöglicht;
  • bei den letzten Regionalratswahlen im Veneto am 31. Mai 2015 an die 100.000 Menschen ihre Stimmen für Kandidaten abgegeben haben, welche die Selbstbestimmung fordern;
  • der venezianische Regionalrat mehrmals Resolutionen verabschiedet hat, in welchen die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens unterstützt wurden und das Recht aller Völker auf Selbstbestimmung einschließlich des Venezianischen Volkes bekräftigt wurde;

Aus Venedig waren Demonstranten mit einem Autobus gekommen, der die Aufschrift „Indipendenza“ – „Unabhängigkeit“ trug.

Am 17. März 2017 versammelten sich an die 500 Demonstranten vor dem Gerichtsgebäude in Brescia und protestierten gegen das anachronistische Gerichtsverfahren.

Auf einer Spruchtafel stand zu lesen: „Siete uno Stato Nemico“ – „Ihr seid ein feindlicher Staat!“

Südtiroler Solidaritätsbekundung

Der Südtiroler Heimatbund (SHB), eine von ehemaligen Südtiroler Freiheitskämpfern und politischen Häftlingen geründete Vereinigung, welche das Selbstbestimmungsrecht für Südtirol fordert, erklärte sich solidarisch mit den venezianischen politisch Angeklagten.

Der SHB-Obmann Roland Lang und sein Stellvertreter Meinrad Berger nahmen daher am Protest vor dem Gericht in Brescia teil.

In einer Presseerklärung wies der SHB die Behauptung des Staatsanwaltes zurück, wonach bereits das Streben nach Unabhängigkeit eine Straftat darstelle.

Außerdem sei das hohe Gericht in Brescia an Art. 10 der italienischen Verfassung erinnert:

Art. 10 Die italienische Rechtsordnung passt sich den allgemein anerkannten Bestimmungen des Völkerrechtes an.

Der Staatsanwalt scheint sich im Völkerrecht nicht besonders gut auszukennen, stellte der SHB-Obmann fest. Denn die Menschenrechte, zu denen das Selbstbestimmungsrecht zählt, stünden über jeder Verfassung. Außerdem habe Italien im Jahre 1977 die Menschenrechtspakte mit Gesetz Nr. 881 ratifiziert. Auch laut diesem Dokument steht jedem Volk das Recht auf Unabhängigkeit und Selbstbestimmung explizit zu, schloss Lang.

Ist Brescia der Probegalopp für weitere Repressionen gegen Selbstbestimmungs-Bestrebungen?

In Südtirol verfolgt man den Prozess in Brescia zu Recht sehr aufmerksam. Es steht zu befürchten, dass Rom – so wie schon der Faschistenzeit und bis in die späten 1960er Jahre hinein – jedes Streben nach Selbstbestimmung mit den Instrumentarien der politischen Polizei und der Gerichte zu unterdrücken beabsichtigt. Dazu stehen einschlägige Gummiparagraphen aus der Faschistenzeit zur Verfügung, die seit einiger Zeit nicht mehr angewandt wurden, die Rom jedoch im Anschluss an das Brescia-Verfahren weiterhin aus der Mottenkiste ausgraben und anwenden könnte.

Es ist unwahrscheinlich, dass die Staatsanwaltschaft derzeit in Brescia gegen den Willen des römischen Justizministeriums handelt.

Man muss daher den Fortgang des Verfahrens aufmerksam verfolgen. Dieses Verfahren könnte bei einem entsprechend schlimmen Ausgang von Rom als Freibrief verstanden werden, in Zukunft gerichtlich gegen alle Anhänger der Selbstbestimmung – auch in Südtirol – vorzugehen.

Spätestens dann wird sich auch die Führungsspitze der „Südtiroler Volkspartei“, einer Partei, die einst zur Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts gegründet worden war, nicht mehr in untertäniges Schweigen hüllen können.

Und auch die Republik Österreich wird auf den Prüfstand gestellt werden und zeigen müssen, ob sie für die Menschenrechte im südlichen Tirol einzutreten bereit ist.




Die Umdeutung des Begriffes „Selbstbestimmungsrecht“ durch die österreichische Bundesregierung und ihre Organe

Das ergreifende Bild von der innigen Begrüßung („Dolomiten“ vom 19. November 2016)

Peinliche Jubelveranstaltung in Bozen: „70 Jahre Pariser Vertrag“

Am 18. November 2016 fand in Bozen eine ebenso sinnlose wie blamable Jubelveranstaltung „70 Jahre Pariser Vertrag“ statt, in welcher der von Außenminister Dr. Kreisky seinerzeit als „furchtbare Hypothek“ bezeichnete Kapitulationsvertrag von 1946 in höchsten SVP-Tönen gelobt wurde.

Es wurde auf dieser Veranstaltung viel leeres Stroh gedroschen. Der EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, der wie häufig etwas verkatert wirkte, hatte dem Vernehmen nach sein Redemanuskript im Flugzeug vergessen.

Er wurde bei seiner Ankunft in Bozen von Landeshauptmann Kompatscher geherzt und umarmt. Es war berührend!

Wie wunderbar: „Südtiroler, Italiener und Europäer!“

Juncker erwies sich beim Dreschen von Allgemeinplätzen aber auch ohne Vorlage als sehr tüchtig. „An Südtirol möge er ‚den Identitätsdreiklang‘“, berichtete die Tageszeitung „Dolomiten“. „Sie sind Südtiroler, Italiener und Europäer!“, rief Juncker dem Auditorium zu. Die zum Vortrag bestellten SVP-Funktionäre spendeten freudigen Beifall.

Der italienische Verfassungsexperte Antonio D’Atena verwies auf den „internationalen Modellcharakter“ der schlecht abgesicherten heute mehr denn je gefährdeten Südtirol-Autonomie.

Botschafter Tichy: Ihr habt „höchste Priorität“ – aber lasst uns bitte im Ruhe!

Der Leiter des Völkerrechtsbüros im österreichischen Außenministerium, Dr. Helmut Tichy, zeigte sich als Meister der inhaltlich unverbindlichen Wortgestaltung. Laut „Dolomiten“ gab Tichchy Folgendes von sich:

„Helmut Tichy berichtete, dass Südtirol-Fragen im österreichischen Völkerrechtsbüro immer mit höchster Priorität behandelt würden und stets Chefsache seien.

Nur als ‚ultima ratio‘ sieht Tichy die Möglichkeit für Südtirol, bei Auseinandersetzungen mit Rom den Internationalen Gerichtshof einzuschalten.

Befreundete EU-Staaten würden nie auf diese Möglichkeit zurückgreifen.“

Auf gut Deutsch: Bitte lasst Österreich in Frieden, wenn ihr Probleme mit Rom habt! Wir werden wegen euch kein Prozess-Risiko vor dem IGH auf uns nehmen!

Um den Südtirolern deutlich klar zu machen, dass der derzeitige österreichische Außenminister Kurz und sein ergebener Mitarbeiter Tichy der Meinung sind, die Südtiroler sollten sich alle Selbstbestimmungs-Flausen aus dem Kopf schlagen, gab Tichy der Tageszeitung „Dolomiten“ ein bemerkenswertes Interview:

86-27228583

Dieses Interview veranlasste Roland Lang, den Obmann des „Südtiroler Heimatbundes“ (SHB), einer von ehemaligen Südtiroler Freiheitskämpfern und politischen Häftlingen gegründeten Vereinigung, welche für die Selbstbestimmung eintritt, zu einem interessanten Meinungsaustausch mit dem Herrn Botschafter Dr. Tichy.

Das Internetportal unsertirol.com veröffentlichte diesen Schriftwechsel:

SHB: Die Umdeutung des Begriffes „Selbstbestimmungsrecht“

20. November 2016

Professor Dr. Helmut Tichy leitet seit 2007 das Völkerrechtsbüro im österreichischen Außenministerium, dessen Minister Sebastian Kurz am 24. Februar 2015 dem Obmann des Südtiroler Heimatbundes (SHB) in einem Brief mitgeteilt hatte: „… die Südtirol-Autonomie mit ihrem hohen Maß an Selbstgesetzgebung und Selbstverwaltung ist eine besonders gelungene Form der Selbstbestimmung.“

Roland Lang, Obmann des SHB
Roland Lang, Obmann des SHB

Anlässlich der Gedenkveranstaltung „70 Jahre Pariser Vertrag“ bestätigte Dr. Tichy vom 19. November 2016 die Auffassung seines Ministers. Er sagte dort, die Selbstbestimmung sei durch die Autonomie erfüllt.

Wie steht es um die Menschenrechtspakte?

Dies veranlasste SHB-Obmann Roland Lang dazu, Dr. Tichy am 19. November 2016 in einem Email daran zu erinnern, dass Italien am 25. Oktober 1977, mit Gesetz Nr. 881 die UNO- Menschenrechtspakte ratifiziert und damit zu geltendem staatlichem Recht erklärt hat. Lang schrieb, dass Art. 1 der Pakte besagt:

„Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechtes entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung.“

Tichy: Selbstbestimmung ist Autonomie

Daraufhin schrieb Dr. Tichy noch am gleichen Tag zurück an Lang:

„Nach österreichischer Auffassung kommt Südtirol jedenfalls das Selbstbestimmungsrecht zu, das aber nicht mit einem Sezessionsrecht verwechselt werden darf.

Dass die Autonomie, die Form, in der Südtirol sein Selbstbestimmungsrecht ausübt, auch verteidigt werden muss, gehört zu ihrem Wesen.“

„Kann dann Südtirol die Inhalte der Autonomie selbst bestimmen?“, fragt sich Lang.

Nun entspann sich noch am 19. November 2016 ein kurzer aber bemerkenswerter Email-Verkehr. Lang schrieb an Dr. Tichy zurück:

„Sie sagen, dass die ‚Autonomie die Form‘ ist, ‚in der Südtirol sein Selbstbestimmungsrecht ausübt‘ und dass dies ‚auch verteidigt werden muss.‘

Wenn nun der Artikel 1 der UNO- Menschenrechtspakte besagt: ‚Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechtes entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung‘,

dann kann das im Sinn ihrer Ausführungen nur bedeuten, dass in Bezug auf die Autonomie die Südtiroler ‚frei über ihren politischen Status‘ und ‚in Freiheit‘ über ‚ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung‘ entscheiden können.

Das bedeutet, dass die Südtiroler selbst festlegen können, wie im Rahmen der Autonomie der ‚politische Status‘ und die ‚wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung‘ gestaltet werden.

Das würde bedeuten, dass der Südtiroler Landtag die Inhalte der Autonomie vorgeben kann und Rom das Ergebnis in Übereinstimmung mit den UNO- Menschenrechtspakten zu akzeptieren hat.

Dieser Gesichtspunkt eröffnet der Südtiroler Politik ganz neue Möglichkeiten.

Sehr geehrter Herr Professor, ich bitte Sie um Ihre geschätzte Stellungnahme hierzu! Und vor allem um Ihre Beurteilung, ob die Republik Österreich auch diese menschenrechtskonforme Vorgangsweise unterstützen würde.“

Tichy: Sie haben mich „missverstanden“ und ich will nichts mehr sagen!

Daraufhin schrieb Dr. Tichy noch am gleichen Tag zurück an Lang:

„Leider haben Sie meine Ausführungen missverstanden. ‎Ich habe ihnen aber eigentlich nichts mehr hinzuzufügen. Südtirol übt sein Selbstbestimmungsrecht bereits aus, in Form weitgehender und von vielen Seiten als Vorbild gesehener Autonomie. Ihren darüber hinausgehenden Interpretationen kann ich mich nicht anschließen.

Mit freundlichen Grüßen

Helmut Tichy“

„Auch ich“, so erklärt Roland Lang abschließend, „habe diesen Worten nichts hinzuzufügen, außer dass deutlich wurde, welche tatsächliche Unterstützung Südtirol derzeit von bestimmten Leuten zu erwarten hat“.




FPÖ-Südtirolsprecher Neubauer: Botschafter Tichy brüskiert Südtirol – Autonomie ist nicht Selbstbestimmung!

© Parlamentsdirektion / PHOTO SIMONIS

„Autonomieregelungen haben sich an den Bedürfnissen der geschützten Minderheit – nicht jener des Staates – zu orientieren“

Als die Ausführungen des Botschafters Tichy öffentlich bekannt wurden, reagierten zahlreiche Kritiker aus den Bereichen der Wissenschaft und der Politik.

Der Abgeordnete zum Österreichischen Nationalrat und parlamentarische Südtirol-Sprecher der FPÖ, Werner Neubauer, sandte am 21. November 2016 nachstehende Presseaussendung aus:

Wien (OTS) – „Die Äußerungen des Leiters des Wiener Völkerrechtsbüros anlässlich einer Tagung am 17. November in Bozen lösen in Südtirol und in der Fachwelt allgemein Verwunderung aus und haben bereits zu heftiger Kritik geführt. Man muss sich fragen, wie es gelungen ist, in einen Satz so viele Fehler hineinzupacken. Botschafter Tichy hat mit seinen Ausführungen in Bozen die gesamte Südtirol-Politik der vergangenen Jahre brüskiert und sollte mit hanebüchener Uminterpretation des Begriffs Selbstbestimmung offenbar dafür sorgen, dass das unliebsame Thema ‚Südtirol‘ für das Außenministerium endlich ad acta gelegt wird. Anders ist es wohl nicht zu erklären, dass zum wiederholten Male durch einen willfährigen Beamten des Außenministeriums, die fälschliche Behauptung aufgestellt wurde, dass die Selbstbestimmung in Südtirol durch die Autonomie bereits erfüllt sei. Nach Minister Kurz ließ dies nun Professor Dr. Helmut Tichy anlässlich der Gedenkveranstaltung „70 Jahre Pariser Vertrag“ in Bozen verlauten, der das Völkerrechtsbüro im österreichischen Außenministerium leitet, aber ansonsten mit den Rechten der Völker offenbar nicht viel am Hut hat, zumindest nicht mit jenen in Südtirol“, kritisiert der freiheitliche Südtirolsprecher NAbg. Werner Neubauer.

„Wenn nun Tichy weiter behauptet, dass Selbstbestimmungsrecht nicht mit Sezessionsrecht verwechselt werden darf, dann darf ich den Herrn Professor aufklären, dass Selbstbestimmung in vielerlei Form ausgeübt werden kann. Eine davon ist auch die Sezession, sonst würde es beispielsweise den Kosovo, Slowenien oder Kroatien in der heutigen Form gar nicht geben“, sagte Neubauer.

Das müsste Botschafter Tichy, der immerhin in Graz über eine Praktiker-Professur im Völkerrecht verfügt, eigentlich wissen. Wenn die Haltung von Botschafter Tichy gegenüber einer Rückkehr Südtirols zu Österreich eine kritische sein sollte, dann muss er die Diskussion anders aufziehen und die Voraussetzungen für die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts in Form einer Sezession problematisieren. Dann wäre er vielleicht – so wie die Fachwelt – zum Ergebnis gelangt, dass die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts, die verschiedenen Ausübungsmöglichkeiten dieses Rechts, stets von den konkreten Umständen abhängt, wobei die Staatsgrenzen letzthin stark an Bedeutung verloren haben.

„Wie kann der Herr Botschafter aber weiters behaupten, ein Selbstbestimmungsanspruch sei ‚durch eine Autonomie bereits für Südtirol erfüllt‘“? Selbstbestimmung ist – und auch das müsste er wissen – ein fortlaufender Prozess und niemals „erfüllt“. Selbst souveräne Staaten verfügen noch über ein Selbstbestimmungsrecht! Das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist im Artikel 1 der UN-Menschenrechtspakte ganz klar definiert: „Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechtes entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung.“ Dies trifft auf Südtirol eindeutig nicht zu. Die Südtirol-Autonomie war von Anbeginn eine Übergangslösung auf dem Weg zur Selbstbestimmung. Jetzt soll diese plötzlich durch die Autonomie erfüllt sein? „Wer hat denn „selbstbestimmt über den Zustand in Südtirol jemals autonom darüber abgestimmt?“, fragte Neubauer.

„Autonomieregelungen sind von ihrer Natur her dynamisch zu interpretieren und haben sich an den Bedürfnissen der geschützten Minderheit, und nicht jener des Staates, zu orientieren und sind entsprechend zu entwickeln“, so Neubauer, der ergänzte, dass dieser Umstand im Übrigen auch für die anstehende Volksabstimmung zur Verfassungsreform Italiens gelte!

„Es ist ungeheuerlich, dass sich ein Beamter des Ministeriums hier offenbar erdreistet, die Außenpolitik Österreichs bestimmen zu wollen. Es stellt sich weiter die Frage, ob er den österreichischen Landsleuten südlich des Brenners damit einen guten Dienst für das bevorstehende Verfassungsreferendum am 4. Dezember 2016 erwiesen hat. Mit der italienischen Verfassungsreform ist die Autonomie Südtirols nämlich schwer gefährdet, was hierzulande Herrn Prof. Tichy offenkundig nicht zu interessieren scheint. In dieser Situation ist es wichtiger denn je, die doppelte Staatsbürgerschaft anzustreben und beim Verfassungsreferendum mit einem klaren „Nein“ ein deutliches Signal auf alle diese negativen Entwicklungen zu setzen. Insgesamt Fragen über Fragen, die der Vertreter Österreichs mit seinem Auftritt in Bozen provoziert hat. Nun ist der Minister mit einer Klarstellung gefordert. Und es bleibt zu hoffen, dass die Vertreter der Republik das nächste Mal besser vorbereitet zu einer Tagung nach Südtirol fahren“, so Neubauer abschließend.




Ignorierte nationale Minderheiten – Krux der EU

Zwischen Hebriden und Stiefelabsatz machen sich nach dem Brexit-Referendum weitere Fliehkräfte bemerkbar

 Von dem österreichisch-deutschen Publizisten Reynke de Vos

Seit sich Engländer und Waliser wider Schotten und Nordiren mehrheitlich für die Verabschiedung des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union (EU) entschieden, sind quer über den Kontinent Gründe und Folgen geradezu auf inflationäre Weise erörtert worden. Auffällig ist, dass dabei ein unterschätztes Thema gänzlich außer Acht geriet, nämlich Lage, Dasein und Bedürfnisse einer Gruppe von Minderheiten. Dies korreliert mit dem Stellenwert, den diese in EUropa einnehmen.

Es ist eine Krux, dass sich die EU nie auf eine eigentlich wünschenswerte, weil notwendige Minderheiten-Politik eingelassen hat.  Ich meine damit nicht „neue“, sondern „alte“ Minderheiten, nationale Minoritäten (in – aufgrund vielerlei historischer Gründe – fremdnationaler Umgebung). Es gibt deren viele, auch in EU-Europa, und einige, deren stete „Erfolglosigkeit“ im Ringen um mehr Autonomie/Selbstverwaltung Sprengstoff birgt.

Warum hat die EU keine substantiellen Volksgruppen-Schutzmaßnahmen ergriffen? Warum haben ihre Gremien und Institutionen stets auf den – vergleichsweise machtarmen – Europarat verwiesen, bei dem die nationalen Minderheiten angeblich gut aufgehoben sind?

Als der „Südtiroler Schützenbund“ (SSB) im Jahr 2013 unter der Teilnahme zahlreicher Vertreter europäischer Volksgruppen ein großes Freiheitsfest in Meran gestaltete, wiesen die Basken auf ihrem Informationsstand mit einer Volksgruppenkarte auf die vielfachen Identitäten Europas hin.
Als der „Südtiroler Schützenbund“ (SSB) im Jahr 2013 unter der Teilnahme zahlreicher Vertreter europäischer Volksgruppen ein großes Freiheitsfest in Meran gestaltete, wiesen die Basken auf ihrem Informationsstand mit einer Volksgruppenkarte auf die vielfachen Identitäten Europas hin.

Zentralstaaten als Verweigerer

Weil jene traditionell zentralistisch aufgebauten und organisierten Nationalstaaten – Frankreich, Italien, Spanien, Rumänien, um nur die ärgsten Bremser zu nennen – deren Begehr prinzipiell ablehnend gegenüberstehen. Hinsichtlich Rumänien ist beispielsweise darauf zu verweisen, dass das Verlangen der ungefähr 1,4 Millionen ethnischen Ungarn – und insbesondere der ca. 700.000 Szekler – nach Autonomie von der gesamten politischen Klasse des Staatsvolks sofort als Sezessionsbegehr (Stichwort: Trianon) gebrandmarkt wird. Ähnlich ergeht es den  ca. 500.000 Magyaren in der (Süd-)Slowakei.

Ein anderes Beispiel gefällig? Frankreich (am 7. Mai  1999) und Italien (27. Juni 2000) haben zwar die am 5. November 1992 vom Europarat verabschiedete und  – bezogen auf die realen Auswirkungen  für die jeweiligen Staatsnationen – relativ „harmlos“ bleibende „Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen“ unterzeichnet; ratifiziert und inkraft gesetzt wurde sie bis zur Stunde von beiden Staaten nicht.

Solange das Manko aufrecht ist, dass die „kleinen Völker“ respektive „kleinen Nationen“, als die sich nationale Minoritäten/Volksgruppen gerne nennen, weil sie sich als solche verstehen, in jenen Staaten, in denen sie daheim sind, der kollektiven Schutzrechte entbehren, so lange werden sie für diese ein nicht zu unterschätzender Unruhefaktor sein. Maßlos enttäuscht sind sie indes von der EU,  von der sie sich in gewisser Weise „Erlösung“ erhoff(t)en. Denn abgesehen vielleicht von dem vergleichsweise kompetenzarmen „Ausschuss der Regionen der EU“, der allenfalls als Feigenblatt taugt, hat sich just das „supranationale Gebilde“ EU gänzlich ihrer Bedürfnisse entschlagen.

Schotten und Iren

Just im Gefolge des Brexit dürften sie sich daher neuerlich und umso vernehmlicher Gehör verschaffen. Die Schotten erstreben die Unabhängigkeit und den Verbleib in der EU. Mit einem weiteren, höchstwahrscheinlich erfolgreicheren Referendum ist zu rechnen. Und für die Nordiren scheint die Gelegenheit günstig, sich mit der Republik Irland zu vereinen. Sollte sich das brexit-geschwächte London gegen die manifesten  Aufbegehrensmomente nördlich des Hadrianswalls und drüben in Ulster wehren, wogegen auch die Klammer United Kingdom (trotz großer Sympathie für die sie verkörpernde, aber nicht ewig lebende Königin) letztlich wenig Wirkung entfalten dürfte, so ist dort mit vernehmlichen Erschütterungen zu rechnen.

Schotten

Im Jahr2013 hatte der „Südtiroler Schützenbund“ (SHB) zu einem großen Freiheitsfest nach Meran eingeladen. Mehr als 13.000 Menschen waren gekommen, darunter Delegationen zahlreicher europäischer Volksgruppen. Auch die Schotten zeigten in Meran ihr Streben nach Eigenständigkeit und ihre Verbundenheit mit den nach Freiheit strebenden Südtirolern.
Im Jahr2013 hatte der „Südtiroler Schützenbund“ (SHB) zu einem großen Freiheitsfest nach Meran eingeladen. Mehr als 13.000 Menschen waren gekommen, darunter Delegationen zahlreicher europäischer Volksgruppen. Auch die Schotten zeigten in Meran ihr Streben nach Eigenständigkeit und ihre Verbundenheit mit den nach Freiheit strebenden Südtirolern.

Die genannten Zentralstaaten müssen eine derartige Entwicklung jenseits des Kanals fürchten wie der Teufel das Weihwasser. Denn sie hätte Signalwirkung für nationale Minderheiten auf ihrem Territorium und/oder im Grenzraum zu Nachbarstaaten. Weder von der EU-Kommission, noch vom Rat sind indes Initiativen zu erwarten, welche auf einen längst überfälligen „EUropäischen Rechtsrahmen für nationale Minderheiten“ hinauszulaufen hätte. Und im Europaparlament würden – gesetzt den Fall, es käme dort dazu – die jeweiligen nationalstaatlichen Bremser in den Reihen von Sozialisten/Sozialdemokraten und EVP dafür sorgen, dass darauf gerichtete Versuche ins Leere liefen.

Katalanen und Basken

Basken auf dem Freiheitsfest in Meran
Basken auf dem Freiheitsfest in Meran

Was für Schotten und Nordiren gilt, gilt umso mehr für Katalanen und Basken.  Nicht die Katalanen, die sich in – von Madrid nicht anerkannten – Referenden bisher am weitesten vorwagten, sondern die Basken waren die ersten, die – anfangs und über Jahre hin mit blutigen Anschlägen – die Trennung von Spanien und den eigenen Staat zu erreichen hofften. Davon wäre naturgemäß auch Frankreich betroffen, denn jenseits der Pyrenäen, im Pays Basque (in baskischer Sprache „Iparralde“ = „Nordseite“), bekennen sich gut 100.000 Menschen zum baskischen Volk. Im Baskenland stellte Regierungschef Íñigo Urkullu – „Wir müssen auf die Ereignisse in Katalonien reagieren“ – 2015 seinen Plan „Euskadi Nación Europea“ vor. Er enthält das Recht auf Selbstbestimmung und sieht ein bindendes Referendum vor.

 8757809297_e2f0d6f78d_h

Auch die Katalanen hatten auf dem Freiheitsfest in Meran ein Bekenntnis zur Eigenständigkeit abgelegt und einen eigenen Informationsstand gestaltet.
Auch die Katalanen hatten auf dem Freiheitsfest in Meran ein Bekenntnis zur Eigenständigkeit abgelegt und einen eigenen Informationsstand gestaltet.

Bretonen und Korsen

Die Medien der Grande Nation geben zwar vor, das Geschehen  auf den britischen Inseln habe auf Separatisten in Frankreich  keine Auswirkung. Dem steht der Augenschein entgegen. Insbesondere in der Bretagne verfolgt man die schottische Unabhängigkeitsbewegung sehr genau. Viele Bretonen  begleiten die Entwicklung dort mit Sympathie. Wenngleich  in der Bretagne das Verlangen nach Abspaltung von Frankreich wenig ausgeprägt ist, so hört man doch gar nicht so selten, das schottische Vorpreschen werde auch anderen Volksgruppen in Europa – nicht zuletzt den Bretonen selbst – mehr Gehör und politische Eigenständigkeit verschaffen. Immerhin und wohl nicht von ungefähr sind die aufmüpfigen Bretonen bei der von Präsident Hollande initiierten großen Gebietsreform – Reduktion der Zahl der (festländischen, nicht der überseeischen) Regionen von 22 auf 13 – ungeschoren davongekommen.

Dasselbe gilt  für die Korsen, wenngleich man auch die Insel Korsika, die nicht als Region, sondern als Gebietskörperschaft gilt, einer festländischen Verwaltungseinheit – etwa Provence-Alpes-Côte d’Azur – planerisch  hätte zuschlagen können. Die Nationalpartei PNC (Partitu di a Nazione Corsa) tritt nicht unbedingt für die Unabhängigkeit Korsikas ein, was das Ziel bisweilen bombender Extremisten war/ist, verlangt aber mehr Selbständigkeit anstatt  politischer Steuerung durch Paris. Im Elsass begnügt man sich hingegen offenbar mit einigen Zuständigkeiten in (sprach)kulturellen Angelegenheiten. Wenngleich nicht wenige Elsässer gegen die Verschmelzung ihrer Provinz mit Lothringen, der Champagne und den Ardennen zur Region Alsace-Champagne-Ardenne-Lorraine protestierten, welche vom 1. Oktober dieses Jahres an kurz „Région Grand Est“ heißen wird.

Flamen und Wallonen

In Brüssel, wo oft die am weitesten wirksam werdenden Entscheidungen für die EU getroffen werden, scheint der Staat, dessen Hauptstadt es ist, stets unmittelbar vor seiner Auflösung zu stehen.  Der Konflikt zwischen holländischsprachigen Flamen und französischsprachigen Wallonen in Belgien währt schon lange und ist seit zehn Jahren  deutlich stärker geworden. Von den Flamen, die sich ökonomisch gegen die Alimentierung der „ärmeren“ Wallonie wenden und zusehends für die Eigenstaatlichkeit eintreten, sprechen sich die wenigsten für den Erhalt des belgischen Zentralstaats aus. Die Deutschsprachige Gemeinschaft, ein von 80.000 Menschen bewohntes Gebilde mit politischer Selbstverwaltung, eigenem Parlament und Regierung, entstanden auf dem nach Ende des Ersten Weltkriegs abzutreten gewesenen Gebiet Eupen-Malmedy, gehört zwar territorial zur Wallonie, hält sich aber aus dem flämisch-wallonischen Konflikt weitgehend heraus.

SONY DSC

Flamen 2

Ebenso wie 2013 auf das Meraner Freiheitsfest waren die Vlamen auch 2016 auf das Brunecker Freiheitsfest des „Südtiroler Schützenbundes“ (SSB) gekommen, welches wiederum von mehr als 13.000 Menschen besucht wurde.
Ebenso wie 2013 auf das Meraner Freiheitsfest waren die Vlamen auch 2016 auf das Brunecker Freiheitsfest des „Südtiroler Schützenbundes“ (SSB) gekommen, welches wiederum von mehr als 13.000 Menschen besucht wurde.

Im Norden Italiens

Außerhalb des Landes werden die Unabhängigkeitsverlangen im Norden Italiens unterschätzt und medial weitgehend ausgeblendet. Die politische Klasse in Rom muss hingegen im Blick auf die möglichen Folgen des Brexit und angesichts wachsender regionaler Erosionserscheinungen eine Art „Domino-Effekt“ befürchten. Bestrebungen, sich von Italien zu lösen, gewannen letzthin besonders im Veneto an Boden. In einem Online-Referendum zum Thema Unabhängigkeit Venetiens, an dem sich seinerzeit 2,36 Millionen Wahlberechtigte (73 Prozent der Wählerschaft der Region) beteiligten,  antworteten 89 Prozent  auf die Frage „Willst Du, dass die Region Veneto eine unabhängige und souveräne Republik wird?“, mit einem klaren „Ja“.

SONY DSC

Die Veneter hatten 2013 auf dem Meraner Freiheitsfest mit einer Bürgergarde in historischen Uniformen für die Eigenständigkeit Venetiens demonstriert.
Die Veneter hatten 2013 auf dem Meraner Freiheitsfest mit einer Bürgergarde in historischen Uniformen für die Eigenständigkeit Venetiens demonstriert.

In unmittelbarer Nachbarschaft zum Veneto ergriff die Lega Nord in der Lombardei eine ähnliche Initiative. Die Schlacht um die Unabhängigkeit sei wieder aktuell, sagt daher Lega-Chef Matteo Salvini. Und fügte am Tag nach dem Brexit-Volksentscheid hinzu: „Es lebe der Mut der freien Briten. Herz, Verstand und Stolz besiegen die Lügen, Drohungen und Erpressungen. Danke UK, jetzt kommen wir dran“. Die Gegnerschaft zu seinen Bestrebungen sieht er in Rom und Brüssel. Rom macht er für hohe Steuern und Abgaben verantwortlich. Zudem spricht er sich für den Austritt Italiens aus der Euro-Zone aus.

Gegen Rom und Brüssel könne man nur gewinnen, wenn sich Lombardei, Piemont und Venetien zusammenschlössen, sagt Salvini. Die von seinem Stellvertreter Roberto Maroni geführte Mitte-Rechts-Koalition im lombardischen Regionalparlament verlangt die Umwandlung der Lombardei in eine Region mit Sonderautonomie, einen Status, den die Autonome Region Trentino-Alto Adige innehat, in welcher die Provinzen Trient und Bozen-Südtirol seit Ende des Zweiten Weltkriegs (zwangs)vereint sind.

Doch just diese „Privilegien“ sollen gemäß der (Staats- und Verfassungs-)Reform des italienischen Regierungschefs Matteo Renzi  beseitigt werden, womit die bestehenden (Sonder-)Autonomien zwangsläufig gekappt würden. Ob die „Schutzklausel“, die Renzi den Südtirolern zugesichert hat, das Papier wert ist, auf dem sie – nicht eindeutig auslegbar – fixiert ist, muss sich erst noch erweisen.

Auch in Triest gibt es eine Bewegung, die nach Unabhängigkeit strebt.
Auch in Triest gibt es eine Bewegung, die nach Unabhängigkeit strebt

Die römischen Parlamentarier der seit Ende des Zweiten Weltkriegs zwischen Brenner und Salurner Klause dominanten Südtiroler Volkspartei (SVP) haben alle Warnrufe – der deutschtiroler Oppositionsparteien und selbst jene von ehedem langjährigen politischen Verantwortungsträgern der eigenen Partei – in den Wind geschlagen und dem Reformvorhaben zugestimmt, über die Italiener das im Herbst abstimmen sollen. Die SVP  hat sich damit aus selbstgewähltem Koalitionszwang mit dem Südtiroler Ableger von Renzis Partito Democratico (PD) politisch eindeutig positioniert; eine Festlegung, die sie – als „Minderheiten-Partei“ – aus gutem Grund, nämlich der Äquidistanz zu allen italienischen Parteien, gut sechs Jahrzehnte nie traf.

Möglicherweise zeitigt das Experiment „Autonomiekonvent“, auf welches sich die SVP – wiederum, um ihrem Koalitionspartner PD in Bozen und dessen Vormann Renzi in Rom zu willfahren – eingelassen hat, noch fatalere Folgen. Dieser „Konvent“ soll die Vorgaben liefern, mit denen das Zweite Autonomiestatut des Jahres 1972, auf welchem die politischen, ökonomischen und sozialen Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen der selbstverwalteten Provinz Bozen-Südtirol fußen, den „veränderten Gegebenheiten“ angepasst werden soll.

 

Faktum ist indes, dass Italien die autonomen Befugnisse  des ihm nach dem Ersten Weltkrieg zugeschlagenen südlichen Tiroler Landesteils seit dem mit der österreichisch-italienischen Streitbeilegungserklärung  im völkerrechtlichen Sinne beendeten Südtirol-Konflikt 1992 mittels gesamtstaatlicher, d.h. römischer „Ausrichtungs- und Koordinierungsbefugnis“ und spürbarem Finanzmittelentzug, auf den sich die SVP einließ, sukzessive entwertete. Faktum ist zudem, dass die nicht zu leugnende, aber – wiederum wider Mahnungen von Opposition und „Altpolitikern“ der Partei – von der jetzigen SVP-Führung ignorierte Gefahr besteht, dass die Ergebnisse des „Konvents“ in ein „Drittes Autonomiestatut“ münden, dessen politischer und – vor allem rechtlicher – Rahmen bei weitem hinter jenem des Zweiten zurückbleiben dürfte.

„Los von …“

Plakat auf dem Freiheitsfest des „Südtiroler Schützenbundes“ (SSB) in Bruneck 2016.
Plakat auf dem Freiheitsfest des „Südtiroler Schützenbundes“ (SSB) in Bruneck 2016.

Angesichts dessen muss man sich nicht wundern, dass die Befürworter des „Los von Rom“ in Südtirol immer mehr Zulauf erhalten. Und sich, wie der in Bruneck veranstaltete „Unabhängigkeitstag“ erwies,  mit den politischen Kräften jener Bewegungen verbünden, welche das „Los von London, Madrid, Paris, Brüssel …..“ für sich beanspruchen sowie die Gewährung und Ausübung des Selbstbestimmungsrechts verlangen.

Hätte sich die EU beizeiten auf eine vernünftige Politik zum Schutz der „alten“ Minderheiten eingelassen und einen verlässlichen kollektiven Rechtsrahmen zum Schutz der „kleinen Nationen“ und Volksgruppen geschaffen, so wären die zwischen Hebriden und Stiefelabsatz dräuenden Fliehkräfte mutmaßlich nicht so stark angewachsen. Und erhielten auch nicht zusätzlichen Auftrieb vom britischen Exit.




Video: Mehr als 10.000 Südtiroler demonstrieren für Unabhängigkeit

 




Heimat in Bewegung – Unabhängigkeitstag in Bruneck

Der Südtiroler Schützenbund hatte gerufen und mehr als 10.000 Menschen waren am 15. Mai 2016 nach Bruneck gekommen, um das öffentliche Bekenntnis „Los von Rom!“ abzulegen.

Es legten jedoch nicht nur die Bürger ein demokratisches Bekenntnis ab. Auch die politischen Parteien offenbarten sich: Während Vertreter der Südtiroler Oppositionsparteien „Süd-Tiroler Freiheit“ und „Freiheitliche“ in Bruneck anwesend waren und Flagge zeigten, hatte die auf Einklang mit Rom eingestimmte „Südtiroler Volkspartei“ (SVP) sorgsam auf Distanz geachtet.

Von dem Angebot des Schützenbundes, so wie die anderen Parteien einen Informationsstand aufzustellen, hatte die SVP keinen Gebrauch gemacht. Wahrscheinlich hatte man damit unwillkommenen Debatten über den gegenwärtigen Kurs der einstigen „Sammelpartei der Südtiroler“ aus dem Weg gehen wollen.

In Rom hat jedenfalls niemand Anlass, ungehalten über die SVP zu sein. Und darauf scheint es einigen Leuten in erster Linie anzukommen.

SSB LogoSonntag, 15. Mai 2016

Bericht des Südtiroler Schützenbundes über den Unabhängigkeitstag in Bruneck:

BRUNECK – Mit weiß-roten Flaggen forderten tausende heimatliebende Menschen die Unabhängigkeit und die Freiheit ihres Landes. Die Devise lautete „Iatz“, so wie es die Tiroler im Volksmund ausdrücken. Die Südtiroler haben ein klares Ziel vor ihren Augen, sie fordern das lang ersehnte „Los von Rom“! Und diese Forderung hallte bei Sprechchören durch die Stadtgasse der Rienzstadt.

DSC00885

bruneck_u-tag-737x470

Es war ein Volksfest der besonderen Art, ein stimmungsvolles Fest für Jung und Alt und zugleich eine atemberaubende Willensbekundung mitten im Pusterer Hauptort.

Abgesehen davon, dass die Südtiroler kulturell und sprachlich überhaupt nicht zu Italien gehören, haben die Menschen erkannt, dass es auch ohne Italien geht. Und dass Italien die eigene Entwicklung bremst. Sie sind überzeugt, dass es der Weg der Unabhängigkeit ist, den es zu beschreiten gilt.

Auch andere nach Unabhängigkeit strebende Völker aus ganz Europa waren dabei: Vertreter aus Katalonien, Flandern, Schottland, Venetien, Bayern, Triest, der Lombardei und dem Baskenland. Eines haben diese Völker alle gemeinsam: Sie gehören alle einem Staat an, der nicht der ihre ist. Sie wollen selbst über ihre Zukunft bestimmen. Seite an Seite kämpfen sie mit den Südtirolern für eine echte Freiheit ohne Fremdbestimmung.

Zu Beginn der Veranstaltung sorgte die Pusterer Musikgruppe Volxrock für eine ausgelassene Stimmung.

bruneck_utag-737x470

Die deutschen Landtagsparteien stellten an Informationsständen ihre Zukunftsvisionen vor. Eine eigens herausgegebene Veranstaltungszeitung „iatz!“ informierte die Besucher über die Unabhängigkeitsbestrebungen und die verschiedenen Loslösungsmodelle. Der Gastgeber der Veranstaltung selbst, der Südtiroler Schützenbund, bekennt sich in seinen Statuten zur Selbstbestimmung und zur Einheit des Landes Tirol. Am Rathausplatz konnte man die Freiheitsgedanken der Besucher regelrecht spüren: „Es muss endlich etwas geschehen, so der breite Tenor. Die Südtiroler müssen selbst frei bestimmen können, wo und wie sie leben wollen. Wir schaffen es!“

DSC00033

Das Programm des Volksfestes war umfangreich. Besondere Farbe verliehen der Veranstaltung Tiroler Volks- und Brauchtumsgruppen. Volkstanzgruppen, Schuhplattlergruppen, Alphornbläser, Böhmische Musikgruppen, Schwegler, Trommler, viele Goaßlschnöller und Ziachorglspieler, Sänger und viele mehr stellten ihr Können unter Beweis. An einem Schießstand konnten die Besucher ihr Auge üben. Auch die Jüngsten wurden bestens unterhalten.

DSC00032

Beim Staffellauf kam auch der sportliche Aspekt nicht zu kurz. Aber nicht nur körperlich waren die Südtiroler in „Bewegung“, sie sind es besonders geistig, und sie sehen mit Zuversicht nach vorne.

Es folgten Grußworte der europäischen Völker. Der Baske Manu Gomez berichtete in seiner Muttersprache, dass das Referendum in Arrankudiaga zwar noch nicht die Unabhängigkeit des Baskenlandes gebracht hat, dass damit aber ein Schneeball ins Rollen gebracht wurde, der nicht mehr aufzuhalten ist.

Auch Shona McAlpine aus Schottland berichtete darüber, dass beim letzten Referendum nur ein kleiner Prozentsatz fehlte, um aus Schottland einen unabhängigen Staat zu machen, aber dass sich seither politisch viel getan habe. Gerade erst bei den Wahlen in der vergangenen Woche im Schottischen Parlament hätten die Unabhängigkeitsbefürworter die Mehrheit der Sitze gewonnen.

Anna Arqué aus Katalonien, die bereits im Februar in Meran anlässlich der Andreas-Hofer-Feier eine beeindruckende Rede gehalten hatte, bezeichnete Politiker, die vor den Nationalstaaten auf die Knie fallen und das internationale Recht auf Selbstbestimmung verneinen, als Gefahr für die Demokratie.

Bart De Valck, der Sprecher der flämischen Volksbewegung VVB, appellierte daran, dass die Wirtschaft zwar wichtig sei, die Eigenständigkeit stünde aber an erster Stelle. Ohne Eigenständigkeit gibt es keine Grundlage für Wohlstand und Wohlergehen“, so De Valck.

DSC00078
Eine starke Abordnung der Flamen bezeugte in Bruneck ihren Freiheitswillen

 

Unter dem Motto „Heimat in Bewegung – Los von Rom“ zogen am Nachmittag tausende Tiroler durch die Stadtgasse und dem Graben von Bruneck, wo sich dem Auge ein beeindruckendes Fahnenmeer zeigte. Der Menschenzug übertraf alle Erwartungen.

9

Immer wieder durch großen Beifall unterbrochen wurde anschließend die Rede des Landeskommandanten der Schützen Elmar Thaler, der mit Nachdruck kritisierte, wie sehr und in wie vielen Kernbereichen Südtirol immer noch vom guten Willen Roms abhängig sei. „Wir haben ein starkes Vaterland, und wir sind ja nach wie vor − zumindest kulturell − ein Teil Österreichs!“, betonte Thaler. Und genau da gelte es anzuknüpfen und weiterzudenken, denn es gebe sie nicht, die fertige Lösung, das perfekte Rezept für die Unabhängigkeit für unser Land. „Niemand weiß, was er kann, bevor er’s versucht, und niemand weiß, was er erreichen kann, wenn er nicht nach mehr strebt“, rief der Landeskommandant der Schützen in die begeisterte Menge und forderte von den Landleuten mehr Mut: „Wer etwas schaffen will, der muss zuversichtlich sein, der muss anpacken wollen, der muss etwas wagen!

Elmar Thaler
Landeskommandanten der Südtiroler Schützen: Elmar Thaler

Den offiziellen Abschluss des Unabhängigkeitstages 2016 machte die bekannte österreichische Musikgruppe „Die Seer“.

Dieser zweite Unabhängigkeitstag dieser Art übertraf alle Erwartungen. Über 10.000 Personen hatten im Laufe des Tages die Veranstaltung besucht. Es bleibt die Hoffnung, dass sich der „Ist-Zustand“ schon in absehbarer Zeit ändern wird. Unrechtsgrenzen können in Europa friedlich richtiggestellt werden, das hat die Geschichte bereits gelehrt. Auch Deutschland wurde 1989 unerwartet und entgegen aller Voraussagen wiedervereint. „Es braucht den Mut zum Bekenntnis, denn nichts ist für immer, und nichts ist für die Ewigkeit“, so das Fazit des Veranstalters des Unabhängigkeitstages, des Südtiroler Schützenbundes.

DSC00164