Anschluss 1938: Der Beginn einer Katastrophe – auch für Südtirol
Am 12. März 1938 marschierten deutsche Truppen zusammen mit starken Sondereinheiten von Polizeikräften in Österreich ein, die sofort Verhaftungen und Deportationen „reichsfeindlicher“ Personen einschließlich Menschen jüdischer Abstammung vorzunehmen begannen.
Am 13. März 1938 beschloss nach dem Rücktritt des bisherigen Bundeskanzlers Dr. Schuschnigg die neue österreichische „Anschluss-Regierung“ unter Seyß-Inquart die „Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“
Adolf Hitler war bereits am 12. März 1938 in Linz eingetroffen, und setzte unter dem Beifall riesiger Zuschauermengen seinen Triumphzug nach Wien fort.
Die seit der Weltwirtschaftskrise in Elend lebenden Österreicher wussten von dem Wirtschaftsaufschwung im deutschen Reich, welcher durch die antizyklische Wirtschafts- und Investitionspolitik des Reichsbankpräsidenten und Reichswirtschaftsministers Hjalmar-Schacht angekurbelt worden war. Nun erwarteten sich die Menschen auch für Österreich Vollbeschäftigung und ein Ende der Not.
Hätten die Menschen geahnt, in welche Katastrophe Hitler sie und ganz Europa führen würde, wäre die Stimmung wohl eine andere gewesen.
Die seltsame Rolle der Bischöfe und des Sozialdemokraten Dr. Karl Renner
Um den Anschluss vor der Weltöffentlichkeit zu legitimieren, ordnete Hitler für den 10. April 1938 eine Volksabstimmung über den „Anschluss“ an.
Es ist heute üblich, nahezu ausschließlich das damalige Fehlverhalten der Masse der Bevölkerung zu verurteilen, ohne die Rolle der damaligen Führungspersonen in den verschiedenen politischen Lagern zu werten. Diese mussten jedoch mehr Kenntnisse als der Durchschnittsbürger über das Wesen des NS-Reiches besessen haben. Trotzdem kam es von deren Seite zu massiven Unterstützungen des Anschlusses – nicht an ein demokratisches Deutschland, sondern an die NS-Diktatur.
Die freudige Zustimmung der Bischöfe zu dem Wirken der NSDAP und zu dem Anschluss
Am 18. März übersandte Kardinal Innitzer eine Proklamation der österreichischen Bischöfe an den NS-Gauleiter Bürckel und schrieb in einem Begleitbrief: „Sie werden aus ihr (der Proklamation) sehen, dass wir Bischöfe aus freiem Willen und nicht gezwungen unsere nationale Pflicht erfüllt haben. Ich weiß, dass dieser Erklärung eine gute Zusammenarbeit folgen wird.“ Der Brief schloss mit „Heil Hitler“, vom Kardinal eigenhändig über seinen Namen geschrieben.
Die übermittelte Erklärung der Bischöfe lautete:
„Aus innerster Überzeugung und mit freiem Willen erklären wir unterzeichneten Bischöfe der österreichischen Kirchenprovinz anlässlich der großen geschichtlichen Geschehnisse in Deutsch-Österreich:
Wir erkennen freudig an, dass die nationalsozialistische Bewegung auf dem Gebiet des völkischen und wirtschaftlichen Aufbaues sowie der Sozial-Politik für das Deutsche Reich und Volk und namentlich für die ärmsten Schichten des Volkes Hervorragendes geleistet hat und leistet. Wir sind auch der Überzeugung, dass durch das Wirken der nationalsozialistischen Bewegung die Gefahr des alles zerstörenden gottlosen Bolschewismus abgewehrt wurde.
Die Bischöfe begleiten dieses Wirken für die Zukunft mit ihren besten Segenswünschen und werden auch die Gläubigen in diesem Sinne ermahnen. Am Tage der Volksabstimmung ist es für uns Bischöfe selbstverständlich nationale Pflicht, uns als Deutsche zum Deutschen Reich zu bekennen, und wir erwarten auch von allen gläubigen Christen, dass sie wissen, was sie ihrem Volk schuldig sind.
Wien, am 18. März 1938.
Unterzeichnet von Innitzer und Bischöfen Österreichs.“
Selbstverständlich ließ es sich die NS-Propaganda nicht nehmen, den Innitzer-Brief und die Erklärung der Bischöfe auf großen Plakaten in ganz Österreich zu verbreiten.
Dr. Karl Renner: Öffentliches JA zum Anschluss!
Der in der Zeit des Ständestaates von der politischen Tätigkeit ausgeschlossene ehemalige sozialdemokratische Staatskanzler Dr. Karl Renner war immer noch eine bedeutende Persönlichkeit und eine politische Ikone seiner Genossen.
Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen ergriff Dr. Renner selbst die Initiative und bot von sich aus den neuen Machthabern die propagandistische Unterstützung des Anschluss-Projektes an. Am 3. April 1938 erschien in der Tageszeitung „Neues Wiener Tagblatt“ ein Interview mit Renner, welches nicht anders als eine Aufforderung verstanden werden konnte, bei der bevorstehenden Volksabstimmung mit „JA“ zu stimmen.
Renner erklärte unter anderem:
„Ich habe als erster Kanzler Deutschösterreichs am 12. November 1918 in der Nationalversammlung den Antrag gestellt und zur nahezu einstimmigen Annahme gebracht: ‚Deutschösterreich ist ein Bestandteil der Deutschen Republik.‘
Ich habe als Präsident der Friedensdelegation zu St-Germain durch viele Monate um den Anschluß gerungen … seit 1919 in zahllosen Schriften und ungezählten Versammlungen im Lande und im Reiche den Kampf um den Anschluß weitergeführt.
Obschon nicht mit jenen Methoden, zu denen ich mich bekenne, errungen, ist der Anschluß nunmehr doch vollzogen, ist geschichtliche Tatsache, und diese betrachte ich als wahrhafte Genugtuung für die Demütigungen von 1918 und 1919, für St-Germain und Versailles.
Ich müßte meine ganze Vergangenheit als theoretischer Vorkämpfer des Selbstbestimmungsrechtes der Nationen wie als deutschösterreichischer Staatsmann verleugnen, wenn ich die große geschichtliche Tat des Wiederzusammenschlusses der deutschen Nation nicht freudigen Herzens begrüßte. …
Als Sozialdemokrat und somit als Verfechter des Selbstbestimmungsrechtes der Nationen, als erster Kanzler der Republik Deutschösterreich und als gewesener Präsident ihrer Friedensdelegation zu St-Germain werde ich mit Ja stimmen.“
Karl Renner musste zu diesem Zeitpunkt gewusst haben, dass die Führungsebene der Sozialdemokratie im Reich bereits in den Konzentrationslagern saß. Er musste von den Judenverfolgungen gewusst haben. Ihm konnte insgesamt nicht entgangen sein, dass es sich 1938 nicht um einen Anschluss Österreichs an ein demokratisches und föderalistisches Deutschland handelte, sondern um den Anschluss an eine sich immer hemmungsloser entwickelnde Diktatur.
Für Renner selbst hatte seine Erklärung die angenehme Folge, dass er während des gesamten Krieges von der Gestapo unbehelligt blieb, in kein Konzentrationslager verschleppt wurde und somit nach Kriegsende wieder als sozialistischer Spitzenpolitiker zur Verfügung stehen konnte.
Renner nach dem Krieg: Das „JA“ zum Anschluss war eine sozialrevolutionäre Handlung gegen den Nationalsozialismus gewesen
Nach dem Zweiten Weltkrieg hat Dr. Karl Renner sein Verhalten auf skurrile Weise zu rechtfertigen versucht. In seinem Nachlasswerk „Österreich von der Ersten zur Zweiten Republik“ (Bd. II, Wien 1953, S. 202f) erklärte Renner, dass sein opportunistisches Verhalten eigentlich klassenkämpferisch-sozialrevolutionär motiviert gewesen sei. Man habe sich im engen Kreis beraten und sei zu folgender Schlussfolgerung gelangt: Die Arbeiterklasse müsse zuerst die NS-Herrschaft erleben, um dann von ihr enttäuscht zu werden. Dann würde sie entschlossen den Kampf aufnehmen. Durch „diese Beratungen im engen Kreis“ ermutigt, habe Renner dann seine Erklärung abgegeben.
Das Abstimmungsergebnis
Nach damaligen offiziellen Angaben hatten 4,45 Millionen Menschen abgestimmt und 99,7 Prozent hatten für den Anschluss gestimmt. An die 360.000 Menschen waren allerdings aus rassischen, politischen oder anderen Gründen von der Abstimmung ausgeschlossen gewesen. (Angaben aus: Arnberger – Garscha – Mitterrutzner: „Anschluß 1938“, Wien 1988, S. 523)
Das von den Bischöfen und von „politischen Vorbildern“ wie Dr. Karl Renner so tatkräftig geförderte Ergebnis war natürlich Wasser auf die Mühlen der NS-Propaganda gewesen.
Es verwundert nicht, dass in diesem Gedenkjahr die meisten Politiker und Publizisten die Rolle der damaligen Protagonisten verschwiegen haben und sich lieber über das Fehlverhalten des einfachen Volkes verbreitert haben. Eine rühmliche Ausnahme bildet hier allerdings der ehemalige Salzburger ÖVP-Landeshauptmann und Historiker Univ.-Prof. Dr. Franz Schausberger, welcher am 7. März 2018 in der „Wiener Zeitung“ einen Gastbeitrag über den Anschluss unter dem Titel „Deutschnational waren sie irgendwie alle – Die Rolle der österreichischen Parteien von dem ‚Anschluss‘ 1938“ veröffentlichte, in welchem er Renners Rolle nicht verschwieg: „Renner bot den Nazis sogar an, in einer Plakataktion und in Zeitungen Propaganda für ein ‚Ja‘ bei der ‚Anschluss‘-Abstimmung zu machen.“
Die große Täuschung und der Weg in die Katastrophe
Auch in Nordtirol und Südtirol wurde der Anschluss auch von zahlreichen Menschen begrüßt, welche selbst ideologisch mit dem Nationalsozialismus nichts gemein hatten.
In seinem Parteiprogramm hatte Hitler „den Zusammenschluss aller Deutschen auf Grund des Selbstbestimmungsrechtes der Völker“ gefordert gehabt.
Nun stand Deutschland am Brenner und daher war die Erwartungshaltung groß, dass bald auch die Rückkehr Südtirols in ein gemeinsames Vaterland zu erwarten sei. In Tirol verbreitete sich das möglicher Weise bewusst in Umlauf gesetzte Gerücht, Italien habe Südtirol bedingungslos an Deutschland abgetreten. Diese Mär gelangte bis nach Südtirol, wo auf den Bergen Freudenfeuer entfacht wurden.
Als nach wenigen Tagen der Gauleiter Hofer das Gerücht dementierte, schlug die Stimmung um. In Innsbruck bedrohten Menschenmengen das italienische Konsulat und mussten durch die Polizei zerstreut werden.
Hitler war Mussolini dankbar und ergeben
Was die Menschen bislang nicht gewusst hatten, war, dass Hitler sein großes Vorbild Mussolini abgöttisch bewunderte und diesem zutiefst ergeben war.
Hitler hatte sowohl ideologisch wie symbolisch den Faschismus komplett kopiert. Dies äußerte sich in der Übernahme der Bezeichnung „Duce“-„Führer“ ebenso, wie im Nachäffen der Äußerlichkeiten. Aus dem „Saluto Romano“, dem „Römischen Gruß“, wurde der „Deutsche Gruß“. Die SA trug nach faschistischem Vorbild „römische“ Standarten und das Braunhemd analog zu dem faschistischen Schwarzhemd.
Was die Menschen ferner nicht wussten, war, dass Hitler bereits seit Jahren immer wieder in Gesprächen mit italienischen Diplomaten und Politikern um eine enge Zusammenarbeit mit Mussolini geworben und dabei mehrfach versichert hatte, er verstehe es, dass die Aufrechterhaltung der Brennergrenze für Italien unerlässlich sei.
Was die Menschen nun bei Hitlers Einmarsch nicht wussten, war, dass zu diesem Zeitpunkt bereits ein Vertrauensmann Hitlers in Rom bei dem Diktator Benito Mussolini weilte. Es war dies Prinz Philipp von Hessen, ein Schwiegersohn des italienischen Königs und Gruppenführer der SA sowie Träger des Goldenen Parteiabzeichens der NSDAP.
Am 11. März 1938 überreichte der Prinz dem Duce Mussolini einen Brief Hitlers, in welchem Hitler mitteilte: „Ich ziehe jetzt eine klare Grenze gegenüber Italien. Es ist der Brenner. Diese Entscheidung wird niemals weder in Zweifel gezogen noch angetastet werden.“ (Aus den Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik, wiedergegeben in: Conrad F. Latour: „Südtirol und die Achse Berlin-Rom 1938-1945“, Stuttgart 1962, S. 21)
Gleichzeitig informierte der Prinz den italienischen Diktator darüber, dass Hitler nun in Österreich einmarschiert sei, um den Anschluss zu vollziehen. Mussolini reagierte freundschaftlich.
Umgehend ließ Prinz Philipp eine Telefonverbindung aus Rom zu Adolf Hitler in Linz herstellen, welcher hasardiert und bis zuletzt nicht gewusst hatte, ob Italien gegen seinen Einmarsch in Österreich nicht doch militärisch reagieren würde.
Prinz Philipp berichtete Hitler, er käme soeben zurück aus dem Palazzo Venezia, dem Regierungssitz Mussolinis. Der Duce habe die ganze Sache sehr freundlich aufgenommen und er lasse Hitler herzlich grüßen.
Hitler fiel ein Stein von der Brust. Er erwiderte: „Dann sagen Sie Mussolini bitte, ich werde ihm das nie vergessen. … Nie, nie, nie. Wenn die österreichische Sache jetzt aus dem Weg geräumt ist, bin ich bereit, mit ihm durch dick und dünn zu gehen, das ist mir alles gleichgültig. … ich mache jetzt auch jedes Abkommen -, ich fühle mich jetzt auch nicht mehr in der furchtbaren Lage, die wir doch eben militärisch hatten für den Fall, daß ich in den Konflikt gekommen wäre. Sie können ihm jetzt nur mal sagen, ich lasse ihm wirklich herzlich danken, ich werde ihm das nie, nie vergessen … Ich werde ihm das nie vergessen.“ (Das Gespräch ist als Niederschrift überliefert in den Akten des Internationalen Militärtribunals Nürnberg und wiedergegeben in: Arnberger – Garscha – Mitterrutzner: „Anschluß 1938“, Wien 1988, S. 280f)
Anfang Mai 1938 besuchte der dankbare Hitler seinen Freund Mussolini in Rom. Am 9. Mai 1938 berichtete das Parteiorgan „Völkischer Beobachter“, was Hitler am 7. Mai 1938 in einer Rede in Rom verkündet hatte:
„Belehrt durch die Erfahrung zweier Jahrtausende wollen wir beide, die wir nun unmittelbare Nachbarn geworden sind, jene natürliche Grenze anerkennen, die die Vorsehung und die Geschichte für unsere beiden Völker ersichtlich gezogen haben. Sie wird dann Italien und Deutschland, durch die klare Trennung der Lebensräume der beiden Nationen, nicht nur das Glück einer dauernden Zusammenarbeit ermöglichen, sondern auch als Brücke gegenseitiger Hilfe und Unterstützung dienen. Es ist mein unerschütterlicher Wille und mein Vermächtnis an das deutsche Volk, daß es deshalb die von der Natur zwischen uns beiden aufgerichtete Alpengrenze für immer als eine unantastbare ansieht.“ (Wiedergegeben in: Conrad F. Latour: „Südtirol und die Achse Berlin-Rom 1938-1945“, Stuttgart 1962, S. 26)
Das Raubgut als „Brücke“ der Verständigung
Bereits in dieser Äußerung Hitlers ist die auch heute so oft zu hörende Propagandaformel enthalten, wonach Raubgut als „Brücke“ der Verständigung zwischen Räuber und Beraubtem dienen solle.
Der Gott sei Dank unvollendet gebliebene Ethnozid
Hitler hatte den Weg freigegeben, eine „endgültige Lösung“ der Südtirol-Frage durch Ethnozid, einen kulturellen Völkermord ohne körperliche Vernichtung der Betroffenen, herbei zu führen.
Es war dies das Projekt der „Option“ mit anschließender Umsiedlung der „Geher“ in das Reich und Italianisierung der „Bleiber“.
Im Auftrag Hitlers begannen hochrangige NS-Funktionäre hinter den Kulissen mit Rom das kommende Optionsabkommen auszuhandeln. Mit dessen Vollzug sollten die Südtiroler 1939 dann vor eine schreckliche Entscheidung gestellt werden: Verlust der Heimat und Erhaltung des Volkstums oder Verbleib in der Heimat bei Verlust des Volkstums.
Die Option sollte unendliches Leid über die deutsch-ladinische Volksgruppe bringen und diese auch spalten.
Etwa 76 000 von etwa 211 000 Südtiroler, die für das Reich optiert hatten, wurden über den Brenner ausgesiedelt, dann stoppten die Kriegsereignisse diese schreckliche Aktion, an welche später eine Postkarte exilierter Südtiroler erinnerte.
Von den Ausgesiedelten konnte nach dem Krieg bis 1952 nur rund ein Drittel wieder in die Heimat zurückkehren.
Die Option 1939 und ihre Folgen
Nachdem im jüngsten SID der Beitrag „Hitler und Südtirol – Eine Dokumentation“ erschienen war, wurde von Lesern angefragt, ob wir nicht auch zum Thema der Option von 1939 nähere Informationen geben könnten.
Dankenswerter Weise hat sich Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhard Olt, der Germanistik, Osteuropäische Geschichte, Volkskunde und Politikwissenschaft studiert und 27 Jahre der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ angehört hatte, dazu bereit erklärt, einen solchen Beitrag zur Verfügung zu stellen.
Rund 78 Prozent der Berichterstattung über Südtirol gingen während seiner Tätigkeit in der FAZ auf seine Rechnung. Es war ihm stets ein Anliegen, die Interessen der Südtiroler und anderer ethnischer Minderheiten zu vertreten. Seit seinem Ausscheiden aus der FAZ lehrt er an österreichischen und ungarischen Hochschulen.
Im Jahr 2009 wurde Olt mit dem Verdienstorden des Landes Südtirol geehrt, und im Jahr 2013 zeichnete ihn die Republik Österreich mit dem Österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst aus. Der Nordtiroler Landeshauptmann Günther Platter verlieh ihm ebenfalls anno 2013 den Großen Tiroler Adler-Orden.
Es freut uns, den nachstehenden Beitrag von ihm veröffentlichen zu können. Die Bebilderung wurde durch uns vorgenommen.
Georg Dattenböck Schriftleiter
„Option“ – Hitlers und Mussolinis folgenreicher Schacher mit den Südtirolern.
Eine Rückblende von Reinhard Olt
Für Tiroler ist von den historischen Erinnerungsdaten – neben dem Beginn des Ersten Weltkriegs, an dessen Ende die waffenstillstandswidrige Annexion des südlichen Landesteils durch Italien 1918 und dessen friedensvertragliche Übereignung an den Stiefelstaat im Jahr darauf stand – der alljährliche 21. Oktober als besonders schmerzlicher Gedenktag zu „bewältigen“: An diesem Tag des Jahres 1939 gab der nationalsozialistische deutsche „Führer“ Adolf Hitler seinem faschistischen italienischen Pendant, dem „Duce“ Benito Mussolini, Südtirol preis.
Mit dem damals zwischen Berlin und Rom in Kraft getretenen „Optionsabkommen“ sollte gewährleistet werden, was nach der faschistischen Machtübernahme in Italien 1922 zwischen Brenner und Salurner Klause sowie zwischen Reschen-Pass und Dolomitenstock trotz brutaler Entnationalisierungspolitik nicht erreicht worden war, nämlich die „ewige Italianità“ dieses Landstrichs.
Für dessen Erwerb hatten chauvinistische Irredentisten gemäß der seit Mitte des 19. Jahrhunderts propagierten „Wasserscheiden-Theorie“ unablässig gefochten, und für dessen Einverleibung wechselte Italien 1915 die Seite und trat – gemäß dem Motto „Sacro egoismo“ („Heiliger Eigennutz“) – gegen den aus Deutschem Reich und Österreich-Ungarn bestehenden Zweibund, mit dem es ehedem im „Dreibund“ verbündet war, in den Krieg ein.
Schon in einer seiner weniger bekannten Schriften aus der „Kampfzeit“ – „Die Südtiroler Frage und das Deutsche Bündnisproblem“ (erschienen 1926 in München im NSDAP-Parteiverlag F. Eher) – hatte der „böhmische Gefreite“ Hitler zu erkennen gegeben, daß er die Südtiroler als ein Hindernis auf dem Weg zur Annäherung an den späteren Achsenpartner betrachtete.
Nach dem „Anschluss“ Österreichs im März 1938, womit die Wehrmacht am Brenner stand, zerstreute Hitler anlässlich seines Staatsbesuchs italienische Befürchtungen, wonach eine Rückgliederung Südtirols bevorstehen könnte, indem er am 7. Mai 1938 in Rom erklärte: „Es ist mein unerschütterlicher Wille und mein Vermächtnis an das deutsche Volk, daß es die von der Natur uns beiden aufgerichtete Alpengrenze immer als eine unantastbare ansieht.“
Diese Erklärung fand in dem am 22. Mai 1939 in Berlin im Beisein Hitlers von den Außenministern Joachim von Ribbentrop und Galeazzo Graf Ciano (Schwiegersohn Mussolinis) unterzeichneten „Stahlpakt“ ihre Bekräftigung. Denn in der Präambel dieses politisch-militärischen Bündnisses zwischen dem Deutschen Reich und Italien hieß es, dass mit den „für immer festgeschriebenen gemeinsamen Grenzen die sichere Grundlage für gegenseitige Hilfe und Unterstützung gegeben“ sei. Und um die in diesem Abkommen genannte „ewige Grenze“ auch „volkstumspolitisch“ zu untermauern, handelten besagter Graf Ciano und Reichsführer-SS Heinrich Himmler unter strikter Geheimhaltung das Optionsabkommen aus.
Es sah vor, daß sich Deutschsüdtiroler und Ladiner in der Provinz Alto Adige („Hochetsch“) sowie jene des zur Provinz Trient gehörenden Südtiroler Unterlandes, aber auch die Bewohner des bis 1918 zu Kärnten gehörenden Kanaltals – es erstreckt sich vom heutigen Grenzübergang Thörl-Maglern/Arnoldstein über Tarvis/Tarvisio bis Pontafel/Pontebba – sowie des Fersentals und Luserns (deutsche Sprachinseln im Trentino) für Italien oder für das Deutsche Reich zu entscheiden hatten: „Optierten“ sie bis zum 31. Dezember 1939 für die deutsche Staatsbürgerschaft, so war damit die Verpflichtung zur Aussiedlung verbunden; entschieden sie sich für die Beibehaltung der italienischen, somit für den Verbleib in der angestammten Heimat, so taten sie dies freilich in der Gewissheit, keinen Schutz mehr für ihre Volksgruppe in Anspruch nehmen zu können.
Schon im Juni 1939 war der Inhalt des schändlichen Abkommens in Südtirol bekannt geworden. Daraufhin traten Vertreter des (der Kirche nahestehenden) „Deutschen Verbandes“ (DV) wie Repräsentanten des (NS-nahen) „Völkischen Kampfrings Südtirols“(VKS), die sich im Bozner Marien-Internat bei Kanonikus Michael Gamper zu einer Beratung getroffen hatten, einhellig dafür ein, geschlossen für den Verbleib in der Heimat zu stimmen. Am 1. August 1939 wurde im Verlautbarungsblatt der Staatsbahnen angekündigt, dass „in nächster Zeit Transporte von Personen und Gütern aus Südtirol in südliche Provinzen abgehen“ sollten. Der römische Statthalter, Präfekt Giuseppe Mastromattei, verkündete in der Zeitschrift „Atesia Augusta“, dass, wer „immer Treue zu Italien und zu den Einrichtungen des Regimes bewiesen“ habe, bleiben dürfe. Dies bedeutete jedoch, dass die meisten der keineswegs faschistisch eingestellten Südtiroler von Deportation in die südlichen Provinzen bedroht waren. Dazu kam, dass laut Arbeitsvermittlungsgesetz nur Italiener als Ersatz für entlassene Deutschsüdtiroler eingestellt werden durften.
Den italienischen Privatbetrieben wurde die Einstellung von Südtirolern verboten, und auch die Obstgenossenschaften durften keine deutschtiroler Saisonarbeiter mehr beschäftigen. Höchste Repräsentanten des faschistischen Staates gaben in öffentlichen Äußerungen zu verstehen, dass die für Italien optierenden Südtiroler nach Sizilien umgesiedelt werden könnten, wo das Regime gerade eine Landreform in Gang gesetzt hatte, wodurch 20 000 neue Bauernstellen geschaffen werden sollten. Späteren Erklärungen der italienischen Behörden, wonach Italien-Optanten in Südtirol verbleiben könnten, wurde nicht mehr geglaubt, vor allem auch, weil eine von Bischof Geisler geführte Delegation, die diesbezüglich bei Mussolini vorsprechen wollte, nicht empfangen worden war. Man sah sich auf Gedeih und Verderb der römischen Willkür ausgeliefert.
In ihrer Verzweiflung hatten sich Vertreter des VKS direkt an Himmler gewandt. Dieser erklärte einer VKS-Abordnung anlässlich einer Begegnung am Tegernsee unverblümt, dass das Deutsche Reich die „Dableiber“, also die Optanten für Italien, ihrem Schicksal, mithin dem unabwendbaren nationalen Untergang, überlassen werde. Der VKS schwenkte nun um und begann, mit reichsdeutscher Unterstützung, für eine möglichst geschlossene Option für das Reich zu werben. Kanonikus Michael Gamper und sein Freundeskreis vom DV und dem Andreas Hofer-Bund (AHB) hingegen waren überzeugt, dass man im Lande bleiben und auf eine Änderung der Verhältnisse hoffen müsse. Die emotionalen Auseinandersetzungen führten zu einer tiefgreifenden Spaltung der Bevölkerung, die durch die Dörfer und teilweise auch durch die Familien ging. Es kam zu gegenseitigen Vorwürfen des „Verrats“, wobei die Deutschland-Optanten als „Heimatverräter“ und die „Dableiber“ als„Volksverräter“ beschimpft wurden.
Von den 246 036 dazu Berechtigten optierten 211 799 für die deutsche Staatsbürgerschaft und Aussiedeln, 34 237 votierten für die Beibehaltung der italienischen und Bleiben. Wer ging, ließ alle unbewegliche Habe zurück. Von den Optanten wurden schließlich etwa 76 000 ausgesiedelt. In ihre Häuser und Höfe, über deren Wert hastig Kommissionen befanden, zogen zumeist Süditaliener ein – der ganze Landstrich sollte ja seinen „deutschen Charakter“ verlieren.
Der Zweite Weltkrieg, an dessen Beginn vor 77 Jahren auch in diesem Zusammenhang zu erinnern ist, verhinderte die vollständige Ausführung der Umsiedlung, die bereits 1941 zum Erliegen kam, ins Deutsche Reich oder ihm angeschlossene respektive von ihm unterworfene Gebiete.
Die Entscheidung für Gehen oder Bleiben war schließlich schon mit der „Operationszone Alpenvorland“ gänzlich obsolet geworden, zu der Südtirol mit der Besetzung Norditaliens gehörte, nachdem Mussolini 1943 vom Faschistischen Großrat abgesetzt worden war und in der „Republik von Salò“ als Satrap Hitlers „regierte“. Berlin fragte fortan nicht mehr nach „Optanten“ oder „Dableibern“. Gestellungsbefehle an die Front erreichten Angehörige beider Lager.
Die Rückkehr der Deutschland-Optanten in ihre Heimat nach Kriegsende stieß auf enorme Schwierigkeiten. Es bedurfte trotz des zwischen dem italienischen Ministerpräsidenten Alcide De Gasperi und dem österreichischen Außenminister Karl Gruber am 5. September 1946 zu Paris geschlossenen Abkommens („Parier Vertrag“) über die (dann bis 1972 von Rom torpedierte) Autonomie Südtirols, welches auch die „Revision der Option“ zum Gegenstand hatte, zäher Verhandlungen, den zunächst Staatenlosen, überdies als Nazis Gebrandmarkten, die italienische Staatsbürgerschaft wieder zuzuerkennen. Die damals geschlagenen, tiefen seelischen Wunden sind auf beiden Seiten erst nach vielen Jahren wieder vernarbt.
Selbst der von Angehörigen beider Lager gegründeten Südtiroler Volkspartei (SVP), an deren Spitze nachmals für gut drei Jahrzehnte Silvius Magnago stand, ein Optant, fiel es nicht leicht, die Kluft allmählich zu überwinden. Kanonikus Gamper gebührt das Verdienst, durch sein leuchtendes Beispiel der Nächstenliebe und Toleranz die Südtiroler nach Kriegsende wieder zu einer handlungsfähigen Volksgruppe zusammengeführt zu haben.
Anfangs hatte der im Mai 1945 von den Alliierten in Bozen eingesetzte italienische Präfekt Bruno De Angelis sogar danach getrachtet, die Aussiedlung der verbliebenen Optanten in die amerikanischen, englischen und französischen Besatzungszonen in Österreich und Deutschland zu erreichen. Dies war an den alliierten Mächten gescheitert. Rom versuchte sodann, mit Kniffen und Tricks die Rückkehr der ausgesiedelten Optanten zu behindern. Welche Methoden dabei angewandt wurden, zeigte etwa die Beschlagnahme des Vermögens jener Deutschland-Optanten, denen Italien 1949 die Wiedererteilung seiner Staatsbürgerschaft unter der durch nichts zu rechtfertigenden Beschuldigung verweigerte, es handele sich durchweg um Nazis. Damit hoffte man, weitere Rückkehrwillige abzuschrecken.
Bis 1952 hatten nur deren 25 000 wieder in die Heimat zurückkehren können. Das war nur rund ein Drittel der Ausgesiedelten.
Erst dem „Dableiber“, Gamper-Vertrauten, ehemaligen KZ-Häftling, nunmehrigen Journalisten und SVP-Abgeordneten im italienischen Parlament Friedl Volgger gelang es mithilfe einer von ihm organisierten alliierten Unterstützung, die römische Regierung dazu zu bewegen, die Vermögensbeschlagnahme wieder aufzuheben.
Für lange Zeit auch stellte sich im deutsch-italienischen Nachkriegsverhältnis die vermögens- und versicherungsrechtliche sowie die technische Abgeltung von Leistungen für Optanten wie ein Sperrriegel in den Weg. Die Optanten hatten sämtliche Guthaben verloren. Die Ablösesummen für ihre zwischen 1939 und 1941 in Südtirol verlassenen Besitztümer waren auf Sperrkonten ohne Verfügungsberechtigung überwiesen worden. In Österreich, das 1938 dem Reich „angeschlossen“ worden war und wohin viele Südtiroler ausgesiedelt wurden, raffte die Geldentwertung die „freien Einlagen“ dahin.
Und in Ansiedlungsgebieten wie Böhmen und dem Elsass waren von Optanten erworbene Liegenschaften als „deutsches Eigentum“ entschädigungslos konfisziert worden.
In Südtirol bemühten sich Josef Zingerle, diözesaner Caritasdirektor von Brixen, Rudolf Freiherr Unterrichter von Rechtenthal, Johannes Schauff von der in Genf ansässigen „Internationalen Katholischen Wanderungskommission“, sowie die SVP-Senatoren Karl Tinzl und Karl Mitterdorfer um Rücksiedlungshilfen für heimkehrwillige Optanten aus der Bundesrepublik.
Erst Anfang der sechziger Jahre konnten ihre Bemühungen mit finanzieller Hilfe Bonns in geordnete Bahnen gelenkt werden, indem Finanzministerium und Bundesausgleichsamt eine „humanitäre Regelung“ entwickelten, in die später das Arbeits- und Sozialministerium eingebunden war. Grundlage dafür war das 14. Lastenausgleichsgesetz, welches 1963 auf „Umsiedlungsgeschädigte und Optanten“ angewandt wurde.
In Bozen wurde ein „Berufungsausschuss für Umsiedlungsgeschädigte“ eingerichtet, über den man das Verfahren zur individuellen Entschädigung nach dem deutschen Reparationsschädengesetz abwickelte, welches in einem 1969 in Kraft getretenen „Abkommen zur Regelung von Kriegsschäden italienischer Staatsangehöriger in der Bundesrepublik Deutschland und deutscher Staatsangehöriger in der Republik Italien“ seine Anwendung fand.
Letztendlich mündete es in das deutsch-italienische Rentenabkommen von 1976, in welchem eine über die Abgeltung von Vermögensschäden hinausreichende Zubilligung von Ausfallzeiten sowie Rentenleistungen geboten war und nach Beseitigung mancher Schwierigkeiten in Verhandlungsrunden 1983, 1986 und 1991 bis zur endgültigen Befriedung 1998 zum Tragen kommen konnte.
Zu Mitgliedern des Bozner Beratungsausschusses waren Vertreter der Optanten, der Sozialverbände, der Kirche und des öffentlichen Lebens berufen worden. Grundsätzlich wurden Leistungen nach dem Einzelantragsprinzip gewährt. Zahlungen zur Abgeltung von Vermögensansprüchen wurden an Geschädigte oder antragsberechtigte Erben geleistet, Rentenansprüche und -zahlungen im Zusammenwirken mit dem italienischen Rentenversicherungsträger NISF/INPS geregelt; der Berufungsausschuss stellte hierfür die amtlich anerkannten Bescheinigungen aus.
Nach dem Bonner Lastenausgleichsgesetz sind insgesamt 121,3 Millionen Mark bewilligt worden, die deutschen Aufwendungen im Rahmen des Rentenabkommens beliefen sich auf 262 Millionen Mark. Dreißigtausend Akten hatte der Berufungsausschuss angelegt, mehr als fünfzehntausend Anträge bearbeitet; nahezu zehntausend Begünstigte kamen in den Genuss von Zahlungen.
In einer separaten Regelung für Optanten aus dem Fersental und aus Lusern ermöglichte der Berufungsausschuss die Rückübertragung von 27 000 Grundparzellen im Trentino und 1971 den Umtausch von Vermögenswerten auf DM-Basis, die einst in Reichsmark festgesetzt worden waren.
Im Jahr 1999, 35 Jahre nach seiner Gründung und 60 Jahre nach dem unseligen Optionsabkommen, hatte der Berufungsausschuss seine gänzlich ehrenamtliche Tätigkeit beendet. Damit schloss sich ein beklemmendes Kapitel der jüngeren deutsch-italienischen Geschichte, damit war zugleich eine über Jahrzehnte belastende Hypothek auf den Beziehungen zwischen Bonn/Berlin und Rom sowie der beiden Hauptstädte zu Südtirol auf langwierige, aber humanitäre und pekuniäre Weise geräuschlos abgetragen worden.
Ein Beteiligter sah sich hingegen gegenüber den Ansprüchen von Optanten nicht in der Pflicht, wie der damalige Abschlußbericht des Ausschussvorsitzenden festhielt: „Die Verhandlungen um eine Entschädigung seitens der Republik Österreich für die Einbehaltung von cirka 11 000 Wohnungen, die mit Geldern der Südtiroler Umsiedler, gestützt auf Reichsbürgschaften, noch während des Zweiten Weltkrieges für diese errichtet wurden, führten zu keinem Erfolg.“
Weiter hieß es darin: „Es wäre sicherlich opportun, wenn die CA-Bank Innsbruck noch alle Konten der Optanten nach dem Vorbild der Schweizer Banken offenlegen würde.“
Mit in Jahrhunderten gefestigten Banden historisch legitimiert und mit der Jurisdiktion zweier UN-Deklarationen im Rücken gibt sich Wien zwar stets zu Recht als „Schutzmacht“ der Südtiroler aus. Wo es ihr als „Schutzmacht“ aber gut angestanden hätte, zusammen mit Deutschland Rückgrat zu zeigen, da zog sich die Republik Österreich in bewährter Weise auf den von ihr vertretenen, quasi staatsdoktrinären Standpunkt von der „Nichtexistenz als Völkerrechtssubjekt zwischen 1938 und 1945“ zurück – er kostet(e) nichts.
Hitler und Südtirol
Eine Dokumentation
Liebe Leser!
Wir erhalten gelegentlich Zuschriften, welche auf das Verhältnis Hitlers und des Nationalsozialismus zu Südtirol Bezug nehmen. Einige der Leser zeigen sich sehr gut informiert, andere wünschen mehr Information.
Gerade zu diesem Zeitpunkt erreicht uns eine skurrile Nachricht aus Italien: Die Paolo Berlusconi, dem Bruder des ehemaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi, gehörende italienische Tageszeitung „Il Giornale“, die in einer täglichen Auflage von 140.000 Stück erscheint, hat zu einer schrillen Werbemaßnahme gegriffen: Sie hat ihrer Wochenendausgabe vom 11. Juni 2016 Adolf Hitlers Buch „Mein Kampf“ beigelegt.
Der von ehemaligen politischen Häftlingen Südtirols gegründete „Südtiroler Heimatbund“ (SHB) hat diese Werbeaktion scharf verurteilt. Dessen Obmann Roland Lang erklärte gegenüber der Presse: „Das Ziel der Provokation wurde erreicht. Faschistische Denkweisen oder Weltbilder mit neofaschistischen Nuancen haben aber in einem geeinten und friedlichen Europa des 21. Jahrhunderts nichts verloren.“
Dass dieses, von „Il Giornale“ nun auch am Kiosk vertriebene Buch und sein Verfasser sich bis heute in nationalistischen Kreisen Italiens großer Beliebtheit erfreuen, ist verständlich. Man muss nur die Südtirol betreffenden Passagen in dem nur schwer genießbaren Bekenntniswerk Hitlers lesen. Italienische Neofaschisten und Super-Nationalisten haben wahrlich allen Grund, „Adolfo“ als ihren großen Freund zu feiern. Für uns ist dieses Ereignis jedoch der Anstoß, unseren Lesern nachstehende Dokumentation zu übermitteln.
Ich hoffe, dass wir kritischen Geistern damit dienlich sind.
Georg Dattenböck
Schriftleiter
Hitler und Südtirol Eine Dokumentation
von Jürgen Fingeller
Hitlers Kurswechsel
Vor Mussolinis Machtantritt hatte Hitler in öffentlichen Reden durchaus noch die Rückgabe Südtirols gefordert gehabt. Das stand im Einklang mit dem Parteiprogramm der NSDAP vom 24. Februar 1920, in welchem es hieß:
„1. Wir fordern den Zusammenschluss aller Deutschen auf Grund des Selbstbestimmungsrechtes der Völker zu einem Groß-Deutschland.“
In den parteiamtlichen Erläuterungen dazu hatte es geheißen: „Wir verzichten auf keinen Deutschen im Sudetenland, in Südtirol, in Polen, in der Völkerbundkolonie Österreich und in den Nachfolgestaaten des alten Österreich.“ (G. Feder: „Das Programm der NSDAP und seine weltanschaulichen Grundgedanken“, München 1933, S. 42)
Als Benito Mussolini jedoch Ende Oktober 1922 von dem italienischen König zum Ministerpräsidenten ernannt worden war und nun begann, den Staat langsam aber sicher in eine Diktatur zu transformieren, wurde er zum großen Vorbild Adolf Hitlers und der Bündnisgedanke mit Italien trat in den Vordergrund.
Hitler betonte ab nun die Freundschaft und ideologische Verbundenheit mit dem Faschismus und erklärte ab 1922 wiederholt in Reden und Zeitungsinterviews, dass er die Brennergrenze als endgültig betrachte.
Unter der Federführung des vor den Faschisten aus Südtirol geflüchteten Univ.-Prof. Dr. Eduard Reut-Nicolussi wurde von der „Arbeitsstelle für Südtirol“ in Innsbruck eine Zeitung mit dem Namen „Der Südtiroler“ herausgegeben. In einem Sonderdruck dieser Zeitung aus dem Jahr 1932 kritisierte Reut-Nicolussi das Verhalten Hitlers und zitierte aus dessen abfälligen Äußerungen über Südtirol.
Am 10. Oktober 1923 konnte die italienische Zeitung „Corriere Italiano“ ein Gespräch mit Hitler veröffentlichen, in welchem dieser erklärte: „Als Nationalist vermag ich mich durchaus in die italienischen Gedankengänge zu versetzen und verstehe sogar den italienischen Anspruch auf eine gesicherte Grenze.“ (Wiedergegeben in: Karl Heinz Ritschel: „Diplomatie um Südtirol“, Stuttgart 1966, S. 130)
Hitler ahmte Mussolini in allem nach
Hitler begann, die faschistische Bewegung auch äußerlich nachzuahmen, um die Gleichartigkeit der Bewegungen in Deutschland und Italien zu unterstreichen.
Aus dem faschistischen „Saluto Romano“, den hier Militärkaplane der Alpini in der Faschistenzeit vorzeigten, wurde nachahmend der „Deutsche Gruß“.
Die nationalsozialistischen „Sturm-Abteilungen“ (SA), eine Nachahmung der mit Schwarzhemden ausgestatteten Faschistischen Miliz, wurden einheitlich mit Braunhemden eingekleidet. Sie trugen keine Fahnen, sondern Standarten nach altrömischem beziehungsweise faschistischem Vorbild.
Aus dem „Duce“ wurde der „Führer“. Hitler schätzte an Mussolini auch dessen Betonung der angeblichen Überlegenheit der „italischen Rasse“ über die anderen Mittelmeervölker.
In der faschistischen Zeitschrift „Difesa della Razza“ („Verteidigung der Rasse“) wurde die Höherwertigkeit der „italischen Rasse“ über andere Populationen verkündet.
In dem Punkt 25 seines Parteiprogramms forderte Hitler, dem Vorbild Mussolinis folgend, einen berufsständischen Aufbau des Staates und „die Bildung von Stände- und Berufskammern.“
Im Sicherheitswesen sollte auch er auch eine terroristische Geheimpolizei und Konzentrationslager einrichten.
In bevölkerungspolitischer Hinsicht sollte Hitler von dem „Duce“ auch die Idee der Zwangsassimilierung sowie der Umsiedlung und Vertreibung ganzer Völkerschaften übernehmen.
Die von dem „Duce“ propagierte Forderung nach „neuem Lebensraum“ in Afrika wurde bei dem „Führer“ zur Forderung nach „neuem Lebensraum“ im Osten.
Görings Vorschlag: Verzicht auf Südtirol gegen Erhalt von Geld
Da die NSDAP unter ständigem Geldmangel litt, erhoffte Hitler von Mussolini auch eine finanzielle Unterstützung der deutschen Schwesterpartei.
Bereits im September 1923 reiste ein mit einem Bevollmächtigungsschreiben des Generals Ludendorff ausgestatteter Emissär der NSDAP namens Kurt Lüdecke nach Rom, um vergeblich finanzielle Unterstützung für die ständig unter Geldnot leidende NS-Bewegung zu erbitten. (Jens Petersen: „Hitler – Mussolini. Die Entstehung der Achse Berlin-Rom 1933 – 1936“, Tübingen 1973, S. 15)
Noch traute Mussolini den Freundschaftsangeboten der nationalsozialistischen Führung nicht so recht.
Am 8. November 1923 scheiterte der NS-Putsch in München und Hitler bezog für eine kurze Zeit eine Zelle in der Festung Landsberg. Der Führer der SA, Hermann Göring, ging 1924 für eine Zeit lang nach Italien ins Exil. Dort nahm er im Juni 1924 Kontakt mit dem Diplomaten Giuseppe Bastianini auf, welcher Mitglied des „Gran Consiglio del Fascismo“, des „Faschistischen Großrats“ und ein Vertrauter von Benito Mussolini war. Bastianini sollte später Staatssekretär im Außenministerium werden.
Göring trug diesem Mann und anderen hohen faschistischen Funktionären seine Bitte vor: Es ging wiederum um das Geld. Göring erbat ein Zwei-Millionen-Lire-Darlehen für Hitler und die NSDAP. Das war damals eine sehr hohe Geldsumme. Um der faschistischen Seite Sicherheiten über das künftige Verhalten der NSDAP geben zu können, verfasste Göring im August 1924 als „NS-Generalbevollmächtigter in Italien“ einen Entwurf für ein Abkommen zwischen der NSDAP und der Faschistischen Partei. In diesem Papier verpflichtete Göring seine Partei für den Fall, dass sie an die Macht käme oder bedeutende politische Macht in Deutschland erlangen sollte, zu Folgendem:
„… klar zu machen, dass es für sie keine Alto-Adige-Frage gebe und dass sie absolut und ohne Umschweife den Status quo der italienischen Besitzungen anerkenne … Die NSDAP wird ab sofort alles tun, um revisionistischen Bestrebungen in Bezug auf Alto Adige in Deutschland entgegenzutreten …“
Als Gegenleistung erbat Göring eine geheime Anleihe für die NSDAP in der Höhe von 2 Millionen Lire. Er versprach „äußerste Diskretion“. Diese Finanzierung werde „auf unserer Seite lediglich dem Führer unserer Bewegung, dem Vermögensverwalter unserer Partei und dem Unterzeichneten bekannt sein.“ (Vertragsentwurf im Nachlass von Dott. Leo Negrelli von Mussolinis Regierungs-Presseamt. Wiedergegeben in: David Irving: „Göring – Eine Biographie“, Kiel 1986, S. 61f)
Görings erneutes Angebot, den „Südtiroler Irredentismus auszumerzen“
Am 9. März 2006 berichtete die Südtiroler Tageszeitung „Dolomiten“ über einen sensationellen Fund. Das Südtiroler Landesmuseum Schloss Tirol hatte soeben aus dem Nachlass eines früheren Göring-Freundes, des Hoteliers Rodolfo Walther in Venedig, ein hochinteressantes Schriftstück erworben, aus dem die „Dolomiten“ nun zitierten.
Es handelt sich um ein weiteres Memorandum in italienischer Sprache, welches Göring im November 1924 in Venedig für seinen Gastgeber und Freund Rodolfo Walther verfasste, nachdem Mussolini auf das erste Göring-Memorandum nicht reagiert hatte.
Rodolfo Walther sollte anhand dieses Memorandums dem „Duce“ nochmals das Projekt des Abkommens zwischen der NSDAP und der Faschistischen Partei unterbreiten.
Göring verwies in dem von ihm persönlich unterzeichneten Memorandum darauf, dass Hitler sich von Beginn an jeder irredentistischen Haltung in der Südtirolfrage enthalten habe und dass die Nationalsozialisten bereit seien, ein für alle Mal auf Südtirol offiziell zu verzichten. Wiederum erbat Göring auch finanzielle Hilfe. Dadurch würde man ermuntert sein, so berichteten die „Dolomiten“ über den Inhalt des Schriftstücks, „sich für eine Annäherung an das faschistische Italien weiterhin einzusetzen und jedwede Art des Südtiroler Irredentismus auszumerzen. Hermann Göring schließt mit ‚… della S. E. Ill.ma obbligatissimo Hermann Göring, rappresentante incaricato della Nationalsozialistischen Freiheitsbewegung Deutschlands.“ (Auf Deutsch: „ … der Ihrer hervorragendsten Exzellenz zutiefst ergebener Hermann Göring, beauftragter Repräsentant der Nationalsozialistischen Freiheitsbewegung Deutschlands.“)
Unterdrückung der Südtiroler durch Deutschland: Was für ein Vorteil für Italien!
Am 19. September 1924 legte Göring in einem Brief an den faschistischen Journalisten und Mussolini-Vertrauten Dott. Leo Negrelli noch nach: „Denken Sie nur daran, welch ein Vorteil es wäre, wenn eine deutsche Regierung freiwillig jegliche Südtiroler Irredenta unterdrückt und freiwillig Italiens Nordgrenze garantiert?“
Zu einer Unterzeichnung des von Göring vorgeschlagenen Vertrages kam es offenbar aus Gründen der Vorsicht noch nicht, wenngleich Mussolini und seine Gefolgsleute ihn „inhaltlich akzeptierten“, wie Negrelli schriftlich festhielt. (David Irving: a. a. O., S. 63f)
Das italienische Geld fließt
Es begann aber nun das italienische Geld für die NSDAP zu fließen. Der damalige italienische Generalkonsul in München, Giuliano Cora, hat dies in seinen Erinnerungen aufgedeckt: „Wir waren die ersten, welche jene unterstützen, die uns so viel Verderben brachten. Diese Hilfeleistungen liefen nicht über mein Büro. Als ich aber aus einer bayerischen Regierungsquelle davon erfuhr, behinderte ich diese intriganten und unverantwortlichen diplomatischen Dilettanten nach Möglichkeit.“ Wie Cora weiter ausführte, sei er aber aufgrund seiner Opposition gegen die geheimen finanziellen Unterstützungen von München abberufen worden.
Auch der ehemalige Diplomat Pietro Quaroni hat die Geldflüsse zu Hitler bestätigt: „Die Hitler-Bewegung wurde von der italienischen Seite her mit Sympathie betrachtet. Sie wurde auch zumindest einige Male seitens Italiens mit bedeutenden Geldmitteln unterstützt“. (Giuliano Cora: „Un diplomatico durante l’era fascista“, in: Storia e Politica, Jg. 5, 1966, S 88-98. Sowie: Pietro Quaroni: „L’Italia dal 1914 al 1945“, in: „Nuove Questioni di Storia Contemporeanea, Bd. 2, Milano 1968, S. 1225. Diese Beiträge sind in italienischer Sprache wiedergegeben in: Jens Petersen: „Hitler – Mussolini. Die Entstehung der Achse Berlin-Rom 1933 – 1936“, Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom, Band XLIII, Tübingen 1973, S. 24f. Deutsche Übersetzung durch den Verf.)
Hitler dankt und bezeugt seine Treue
Auch wenn Hitlers Verzicht auf Südtirol vor allem durch künftige strategische Bündnisüberlegungen motiviert gewesen war, so durfte auch angesichts der materiellen Unterstützung aus Rom kein Zweifel an einer künftigen Bündnistreue Hitlers und der NSDAP aufkommen.
Im 1926 veröffentlichte Adolf Hitler im Münchner Eher-Verlag, in welchem vor einem Jahr bereits der erste Band von „Mein Kampf“ erschienen war, eine Broschüre. Diese trug den Titel „Die Südtiroler Frage und das deutsche Bündnisproblem“, und stellte einen teilweisen Vorabdruck aus dem zweiten Band von „Mein Kampf“ dar, welcher im Dezember 1926 erscheinen sollte. Hitler hatte es aber eilig, seine unwandelbare Treue zu dem Faschismus und Mussolinis Italien zu betonen. Er veröffentlichte daher die Südtirol betreffenden Abschnitte vorweg als Sonderdruck. In seinem Vorwort bezeichnete er Mussolini als „den Mann, der als überragendes Genie das nationale Gewissen Italiens verkörpert.“ Auch wenn es schmerzlich sein sollte, „Volksgenossen an irgend einer Stelle der Erde um das freie Selbstbestimmungsrecht gebracht zu sehen, so wenig dürfen wir das Schicksal von 60 Millionen Menschen schädigen lassen durch Gefühlsmomente“.
Man müsse hier zu Opfern bereit sein. „Die Südtiroler Frage ist für uns ein Problem, das nur im Rahmen der für Deutschland möglichen europäischen Bündnispolitik die richtige Lösung finden kann.“ (Adolf Hitler: „Die Südtiroler Frage und das deutsche Bündnisproblem“, München 1926, S. 6f)
Hitler: „Der Jude“ reitet das Steckenpferd Südtirol
Es gehe darum, das internationale Judentum zu besiegen. Die richtige Lösung, so führte Hitler weiter aus, sei das Bündnis mit dem faschistischen Italien.“ (Adolf Hitler: a. a. O., S. 43) Als weiterer Bündnispartner käme England in Frage, welches kein Interesse daran habe, dass Frankreich „als Wirtschafts- und Militärmacht zur unbedingten herrschenden Hegemonie-Stellung gelangt.“ (Adolf Hitler: a. a. O., S. 22f)
Um aber solche Bündnisse mit Deutschland zu verhindern, reite „der Jude mit außerordentlicher Geschicklichkeit“ ein besonderes Steckenpferd: „Südtirol“. Er werde dabei unterstützt von „jenem allerverlogensten Pack, das, auf die Vergeßlichkeit und Dummheit unserer breiteren Schichten bauend, sich hier anmaßt, eine nationale Empörung zu mimen”. (Adolf Hitler: a. a. O., S. 30)
Mit dieser „Führer“-Aussage wurde jeder innerhalb oder außerhalb der NSDAP, der für Südtirol einzutreten gedachte, entweder zum Dummkopf oder zum Handlanger finsterer Interessen des internationalen Judentums abgestempelt und damit zum Feind erklärt.
Es ließen sich jedoch nicht alle Parteigenossen überzeugen oder einschüchtern. Es kam zu Austritten aus der Partei. Hitler zweifelte aber nicht an der Richtigkeit seiner Linie, die er in der Folge noch bekräftigte.
Hitler verkündet öffentlich den Verzicht auf Südtirol
Am 15. Juli 1928 unterstrich Hitler seine politische Linie in Bezug auf Südtirol und Italien in einer von der Parteileitung der NSDAP einberufenen Versammlung vor 3.000 geladenen Gästen. Er hielt eine Rede, in welcher er die künftige nationalsozialistische Außenpolitik darlegte. Die Innsbrucker Tageszeitung „Tiroler Anzeiger“ berichtete einen Tag später darüber:
„Hitler … trat für ein Bündnis mit Italien ein … Um zum Bündnis mit Italien gelangen zu können, will Hitler Südtirol preisgeben. Südtirol ist, wie er sagte, nicht von mir, sondern von jenen verraten worden, die Deutschland jahrzehntelang so geschwächt haben, daß es unfähig geworden ist, seine sämtlichen Brüder zu verteidigen. Außerdem ist in bindenden Staatsverträgen ein Verzicht auf Südtirol bereits niedergelegt.“
Erstaunlich an dieser Aussage ist, dass Hitler sich bei seinem Verzicht auf Südtirol auf die Zwangsverträge von St. Germain und Versailles berief, deren Aufhebung er unter Punkt 2 seines Parteiprogrammes vom 24. Februar 1920 gefordert hatte: „Wir fordern die Gleichberechtigung des deutschen Volkes gegenüber den anderen Nationen, Aufhebung der Friedensverträge von Versailles und St. Germain.“
In Bezug auf Südtirol betonte Hitler jedoch die Notwendigkeit des Verzichts, da dieser in diesen „bindenden Staatsverträgen bereits niedergelegt“ sei.
Im Gespräch mit Ettore Tolomei: Bekräftigung des Verzichts
Am 14. August 1928 traf sich Hitler über Vermittlung des italienischen Generalkonsulats in München mit dem faschistischen Senator Ettore Tolomei. Das Treffen mit dem Architekten der faschistischen Entnationalisierungspolitik in Südtirol, dem Schöpfer der frei erfundenen italienischen Ortsnamen in Südtirol und engen Vertrauten Benito Mussolinis fand in einer versteckt gelegenen Villa in Nymphenburg am Stadtrand von München statt.
Tolomei fertigte handschriftliche Notizen über sein Gespräch mit Hitler an und berichtete anschließend an Mussolini in Rom:
Hitler wolle „sich eines Tages an der Spitze Deutschlands sehen, ihm sein Programm auferlegen“. Hinsichtlich des von Tolomei auf das Tapet gebrachten Themas der „italienischen Assimilierung des Alto Adige“ äußerte Hitler sich zur Freude Tolomeis eindeutig: „Er sprach sich sehr rüde in Worten, die ich geradezu als grob bezeichnen könnte, aus. („ganz wurst“, „ich pfeif darauf“); jene vier Älpler von Bozen und Meran dürfen Deutschland nicht hindern, das im Spiel seiner außenpolitischen Beziehungen frei sein will, für seine großen Interessen in der Welt … zu sorgen, … wobei man sich von der Behinderung durch kleine gefühlvolle Rückstände befreien muss, wie es gerade die irritierende Frage des Alto Adige ist. … Er legt sich Rechenschaft ab, dass in einem kurzen Zeitraum die größeren Zentren des Alto Adige soweit italianisiert werden, dass sogar die Pangermanisten den Eindruck einer verlorenen Partie erhalten werden und dass folglich die Assimilierung der Hochtäler und der abgelegenen Täler nur eine Frage der Zeit sein wird.“
Tolomei empfahl Mussolini abschließend, jenen Teil der außenpolitischen Konzeption Hitlers zu fördern, „der das absolute Desinteressement an der italienischen Assimilierung des Oberetsch enthält.“ (Wiedergegeben in deutscher Übersetzung in: Karl Heinz Ritschel: „Diplomatie um Südtirol“, Stuttgart 1966, S. 134ff)
Ständige Bekundungen der Freundschaft
Nun kam es zu laufenden Freundschaftbekundungen von beiden Seiten, die bald den Protest der österreichischen Sozialdemokraten hervorriefen. Diese prangerten Anfang 1932 in einer Broschüre mit dem Titel „Südtirol verrecke!!“ die „restlose Preisgabe der Deutschen Südtirols durch die Nationalsozialisten“ an.
Nachstehend ein interessanter Auszug aus dieser Schrift:
Der 28. Oktober 1932 war der 10. Jahrestag des faschistischen „Marsches auf Rom“. Aus diesem Anlass begrüßte der Herzog von Pistoia, ein Vetter des italienischen Königs, auf dem „Siegesplatz“ vor dem „Siegesdenkmal“ in Bozen eine nationalsozialistische Delegation. Nach der Feier zur Erinnerung an die faschistische Machtergreifung posierten dann die Faschisten und Nationalsozialisten gemeinsam vor dem Siegesdenkmal für Erinnerungsfotos.
Am 30 Januar 1933 war Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt worden. Am 3. Februar 1933 versicherte er dem italienischen Generalkonsul in München, er könne „voll und ganz die strategischen Notwendigkeiten verstehen, die Italien die Aufrechterhaltung der Brennergrenze als unerlässlich erscheinen ließen.“ Jedenfalls dürfe das Schicksal einiger Tausend früherer österreichischer Bürger die Beziehungen zwischen Italien und Deutschland nicht beeinflussen. (Renzo De Felice: „I rapporti tra fascismo e nazionalsocialismo fino all’andata al potere di Hitler (1922 – 1933). Appunt e documenti., Napoli 1971, S. 206f. Wiedergegeben in: Jens Petersen: „Hitler – Mussolini. Die Entstehung der Achse Berlin-Rom 1933 – 1936“, Tübingen 1973, S. 68)
Anfang April 1933 weilte der frischgebackene preußische Ministerpräsident Hermann Göring zusammen mit Vizekanzler Papen auf Staatsbesuch in Rom. Er versichert im Auftrag Hitlers Mussolini erneut, dass man in Berlin die Südtirolfrage für erledigt ansehe. (Jens Petersen: „a. a. O., S. 169)
Bei einem weiteren Staatsbesuch erklärte Göring am 7. November 1933 in Rom gegenüber Mussolini, er könne auch im Namen seines Kanzlers die feierliche Erklärung abgeben, dass die Südtirolfrage niemals von deutscher Seite aufgerollt werden würde. (Mario Toscano: „Storia diplomatica della questione dell’Alto Adige“, Bari 1968, S. 124f)
Am 14. und 15. Juni 1934 kam es in Venedig zu einer ersten persönlichen Aussprache Hitlers mit Mussolini. Bei diesem Treffen war die Südtirolfrage kein Thema, sie war nicht mehr existent.
1934 erschien zur Untermauerung der innigen Freundschaft ein Huldigungsbuch, in welchem die faschistischen Leitfiguren neben den nationalsozialistischen „Führern“ in den höchsten Tönen gepriesen wurden. Dem „vielfältigen Genie“ Benito Mussolini wurde die „ungewöhnliche Größe eines Zyklopen“ bescheinigt und es wurde seine „Genialität“ ebenso wie seine „Menschlichkeit“ hervorgehoben. (Dr. R. O. Stahn und Filippo Bojano (Hrsg.): „Wir haben’s gewagt! Weg und Wollen der Führer in Deutschland und Italien.“, Stuttgart-Berlin 1934, S. 161)
Besuch der Hitler-Jugend in Italien
Nun wurden die guten Beziehungen auch auf den unteren Ebenen ausgebaut. Es gab Treffen auf Parteiebene in Italien und man sah gemeinsame Aufmärsche und Paraden von Faschisten und Nationalsozialisten.
Auch die nationalsozialistische Parteijugend wurde von dem italienischen Staatsminister Ricci, welcher auch Chef der faschistischen Jugend „Balilla“ war, nach Italien eingeladen. Am 15. September 1936 trafen 450 Hitlerjungen in Padua ein, wo sie von den Spitzen der Behörden begrüßt wurden. Den Höhepunkt ihrer Rundreise durch Italien stellte am 20 September 1936 der feierliche Empfang in Rom dar, wo die „Giovani Hitleriani“ zusammen mit ihrem Reichsjugendführer Baldur von Schirach an dem „Duce“ vorbeimarschieren durften.
Die Achse Berlin – Rom
Nachdem Hitler Italien im Abessinien-Krieg unterstützt hatte, schlossen der italienische Außenminister Graf Ciano und der Reichaußenminister Von Neurath am 22. Oktober 1936 ein Abkommen über enge Zusammenarbeit beider Staaten und Regime. Der „Duce“ erklärte in einem Interview für den „Völkischen Beobachter“ vom 17. Januar 1937: „Wir haben die Achse Berlin-Rom geschmiedet.“
Die Freundschaft zwischen den beiden Regimen wurde auf Briefmarken propagandistisch unterstrichen. Der einfache Wehrmachtssoldat bekam die „Tornisterschrift“ von Benito Mussolini mit dem Titel „Der Geist des Faschismus“ eingepackt.
Mussolini: Freundschaft zwischen zwei Demokratien
Am 25. September 1937 traf der „Duce“ Benito Mussolini zu einem Gegenbesuch in München ein. Er wurde feierlich empfangen. Hitler war über den Besuch erfreut, denn er sah sich von dem faschistischen Regime und von Mussolini als ebenbürtig anerkannt. Die Bevölkerung „jubelte den beiden größten Staatsmännern der Gegenwart“ zu, wie das Münchner „8 Uhr-Blatt“ schrieb.
Mussolini ernannte daraufhin den „Führer“ zum „Ehrenkorporal der Faschistischen Miliz“ und „hat ihm damit die höchste Würde und Ehre verliehen, die die Faschistische Bewegung zu vergeben hat.“ („8 Uhr-Blatt“, München, 26. September 1937)
Den krönenden Abschluss fand der Staatsbesuch in Berlin, wo Mussolini am 28. September 1937 auf dem Maifeld eine Rede hielt, in welcher er der Welt versicherte, dass es sich bei Faschismus und Nationalsozialismus um demokratische Systeme handle.
Er betonte die Freundschaft zwischen Italien und Deutschland. Er erklärte: „Weder in Deutschland noch in Italien besteht eine Diktatur, sondern es bestehen Kräfte und Organisationen, die dem Volke dienen. Keine Regierung, in keinem Teil der Welt, hat die Zustimmung des Volkes in solchem Maße wie die Regierungen Deutschlands und Italiens. Die größten und echtesten Demokratien, die die Welt heute kennt, sind die deutsche und die italienische.“
Hitler: Die unantastbare ewige Grenze!
Am 2. Mai 1938 traf Adolf Hitler zu seinem zweiten Staatsbesuch in Italien in einem Sonderzug am Brenner ein und wurde von dem Herzog von Pistoia, einem Vetter des italienischen Königs Vittorio Emanuele III. begrüßt.
Bei der Weiterfahrt nach Rom ließ Hitler die Vorhänge vor den Fenstern seines Salonwagens während der Fahrt durch Südtiroler Gebiet zuziehen.
Da konnte er gar nicht sehen, wie schön die Faschisten die Bahnhöfe (hier im Bild der Bahnhof von Sterzing, das nun „Vipiteno hieß) für ihn geschmückt hatten.
Erst nach Verlassen des Südtiroler Bodens sah der „Führer“ in den Bahnstationen zum Fenster hinaus und ließ sich von den begeisterten Faschisten zujubeln.
In Rom feierten der „Duce“ und der „Führer“ am 7. Mai 1938 nach einer Reihe von Veranstaltungen und Paraden bei einem Abendessen im Palazzo Venezia in Rom die deutsch-italienische Freundschaft.
Hitler unterstrich in einem Trinkspruch die faschistische These von der naturgegebenen Alpengrenze. Er sagte: „Es ist mein unerschütterlicher Wille und mein Vermächtnis an das deutsche Volk, dass es … die von der Natur zwischen uns beiden aufgerichtete Alpengrenze für immer als eine unantastbare ansieht, die die Vorsehung und Geschichte unseren beiden Völkern ersichtlich gezogen haben.“ (Zitiert nach: Paul Bruppacher: „Adolf Hitler und die Geschichte der NSDAP“, Teil 2: 1938 bis 1945“, 2. Auflage, Norderstedt 2013, S 39)
Der „Stahlpakt“ für den Untergang
Am 22. Mai 1929 schlossen das Deutsche Reich und das Königreich Italien zur Besiegelung ihrer unzerstörbaren Freundschaft einen militärischen Beistandspakt, der als „Stahl-Pakt“ in die Geschichte einging.
Mit diesem Abkommen verpflichteten sich beide Seiten, dem jeweiligen anderen Partner militärisch zu Hilfe zu kommen, wenn dieser „in kriegerische Verwicklungen mit einer anderen Macht oder anderen Mächten gerät“.
Der Bündnisfall war diesem Abkommen zufolge auch dann gegeben, wenn einer der Bündnispartner einen Angriffskrieg begann, ohne zuvor die Zustimmung des anderen Partners einzuholen.
Dieser Vertrag bewirkte, dass Hitler keineswegs den Rücken im Süden frei bekam, sondern dass er ohne vorherige Konsultationen in die imperialistischen Eroberungsabenteuer Mussolinis in Albanien, Griechenland und Nordafrika mit verwickelt wurde. Für die Briten bedeutete der Vertrag eine verstärkte und unmittelbare Bedrohung ihrer Stellung im Mittelmeer, verbunden mit einer Gefährdung ihrer Nachschublinien zu nahezu allen Gebieten des Empire. Das trug nicht zur Stärkung der ohnedies schwachen Friedensliebe Londons bei, sondern gab den Kriegsbefürwortern Auftrieb.
Die Deutsche Wehrmacht musste nun im Mittelmeerraum einschließlich Nordafrikas überall dort eingreifen, wo der militärisch wenig taugliche italienische Bündnispartner Prügel bezog.
Wie die Tageszeitung „Dolomiten“ am 24. Mai 1939 berichtete, wurde die „Stählerne Schicksalsgemeinschaft“ mit einem großen Treffen faschistischer und nationalsozialistischer Jugendverbände am Brenner gefeiert.
Das letzte Kapitel: Option und Bevölkerungsaustausch als endgültige „Lösung“ der Südtirol-Frage
Nach wie vor war Südtirol ein Stolperstein auf dem gemeinsamen Weg der beiden Diktatoren in das Unglück ihrer Völker.
Die Bevölkerung Südtirols hatte sich als weitgehend resistent gegen alle „Umvolkungs“-Bestrebungen erwiesen.
Der katholische Klerus Südtirols mit dem Brixener Fürstbischof Johannes Geisler an der Spitze hatte sich dabei als Fels in der Brandung erwiesen.
In Südtirol sicherte die Kirche den deutschen Gottesdienst, den deutschen Religionsunterricht und einen Restbestand an deutschem Vereinsleben. Mit Unterstützung zahlreicher Priester förderte sie den heimlichen „Katakombenunterricht“ und die kulturelle Tätigkeit katholischer Jugendgruppen.
Um dem ein Ende zu bereiten, vereinbarten am 23. Juni 1939 nationalsozialistische und faschistische Delegierte unter dem Vorsitz des Reichsführers-SS, Heinrich Himmler, bei einem geheimen Treffen im Hauptquartier der Geheimen Staatspolizei in Berlin die Umsiedlung der Südtiroler.
Das Dokument ist zur Gänze wiedergegeben in: Benedikt Erhard (Hrsg.): „Option Heimat Opzioni – Eine Geschichte vom Gehen und vom Bleiben“, Wien 1989, S. 139
Die Umsiedlung sollte in noch nicht festgelegte, unter der Herrschaft des Deutschen Reiches stehende Gebiete erfolgen. Der Umsiedlung sollte eine Willenserklärung der Betroffenen vorausgehen, ob sie auswandern, oder im Lande verbleiben wollten.
Das bedeutete, dass die Südtiroler sich entscheiden mussten, entweder
in der Heimat zu bleiben und auf die Bewahrung von Sprache und Volkstum zu verzichten, oder
auszuwandern, die Heimat aufzugeben, dabei aber das Volkstum zu bewahren
Diese Frage sollte die Volksgruppe zutiefst spalten und zu heftigen Auseinandersetzungen führen, deren Vernarbungen heute noch erkennbar sind.
86 Prozent der Südtiroler sollten sich für die Bewahrung ihrer angestammten Sprache und Kultur entscheiden.
Dass in der Folge nur ein Teil der Optanten abwandern musste, war nicht auf die Großzügigkeit Roms zurückzuführen, sondern auf die Kriegsereignisse, die eine weitere Durchführung dieser Art von Vertreibung aus der eigenen Heimat beendeten.
Für die Südtiroler war das ein Glück. Für das deutsche Volk insgesamt und für eine Reihe anderer Völker bedeutete dieser Krieg die denkbar größte Katastrophe.
Dass nach 1945 ein großer Teil der Ausgesiedelten wieder zurückkehren konnte, war ebenfalls nicht der Großzügigkeit Roms zu verdanken, sondern dem Druck der Alliierten, die ansonsten eine Eskalation der Lage befürchteten.
Zum Abschluss sei auf eine Seltsamkeit hingewiesen:
Zu den Verteidigern der faschistisch-nationalsozialistischen „Lösung“ der Südtirol-Frage zählen heute auch einige Personen und Kräfte, die sich selbst bei jeder Gelegenheit als „antifaschistisch“ und „antinazistisch“ darstellen.
Hier endet die rationale Diskussion.
(Eine genauere Darstellung der „Option“ und Umsiedlung muss einer eigenen Dokumentation vorbehalten bleiben.)