Südtirol und der Faschismus
Vor 90 Jahren nahm das Unheil seinen Lauf
Ein Südtirol-Freund, Herr Wolfgang Schimank, hat aus Anlass dessen, dass sich im Jahr 2016 der Tod des letzten deutschen Bürgermeisters von Bozen zum 90. Mal jährte, nachstehenden Beitrag gesandt, den wir hier gerne veröffentlichen:
Der 90. Todestag des letzten deutschen Bürgermeisters in Bozen
Ich möchte an den letzten deutschen Bürgermeister von Bozen erinnern. Am 17. April 2016 jährt sich sein 90. Todestag.
Julius Perathoner, geboren am 28. Februar 1849 in Dietenheim bei Bruneck, war von 1894 bis 1922 Bürgermeister der Stadt Bozen.
Bis 1918 gehörten Welsch- und Südtirol zum Habsburger Reich. In Südtirol lebten laut einer Volkszählung im Jahre 1910 Italiener, die lediglich 3% der Bevölkerung ausmachten. Julius Perathoner setzte sich für ein friedliches Zusammenleben der deutschen, der ladinischen und der italienischen Volksgruppen ein.
Am 1. / 2. Oktober 1922 wurde Perathoner durch den Marsch auf Bozen durch italienische Faschisten gewaltsam aus seinem Amt entfernt. Seitdem bekleideten nur noch Italiener dieses Amt in Bozen.
Der „Marsch auf Bozen“ war die Blaupause für Mussolinis Marsch auf Rom. Durch die von den italienischen Faschisten betriebenen Bevölkerungsaustausch hat sich das Antlitz Bozens dramatisch verändert. Heutzutage sind 75% der Bozner italienischer Abstammung. Dieses erdrückende Übergewicht spürt man als Außenstehender nicht, da in Bozen die deutschsprachige Landesregierung mit ihren vielen Ämtern ansässig ist.
Perathoners Vermächtnis des friedlichen Zusammenlebens der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen hat sich bis heute nur ansatzweise verwirklicht.
Erinnert sei an das Siegesdenkmal, das Alpini-Treffen, an italienische Orts-, Flur- und Straßennamen. In den Geschäften bekommt man fast ausschließlich Produkte zu kaufen, die nur in italienischer Sprache etikettiert sind. Vielen italienischen Boznern sind die Befindlichkeiten der Südtiroler fremd. Immer wieder heißt es „Siamo in Italia!“ (Wir sind in Italien!) Es gibt zwar Gesetze zur Gleichstellung der verschiedenen Sprachen und Volksgruppen. Diese werden von italienischer bzw. von staatlicher Seite schlichtweg ignoriert…
Meiner Meinung nach würden die Rechte aller in Südtirol lebenden Volksgruppen besser berücksichtigt, wenn sich diese Region mit Österreich wieder vereinigt oder ein Freistaat Südtirol gegründet wird. Das wäre sicherlich auch im Sinne von Julius Perathoner.
Wolfgang Schimank
Berlin
Der SID hat sich erlaubt, die Ausführungen von Herrn Schimank noch durch einen historischen Rückblick zu ergänzen:
Es begann 1921 mit dem Bozner Blutsonntag:
Europas Weg in das faschistische Verderben – Deutschlands Weg in den Untergang
SID – Dokumentation: Mussolini und Hitler rissen gemeinsam Europa ins Verderben
Generalproben in Bozen – Machtübernahme in Rom
Der Überfall faschistischer Terrortrupps auf den Festzug der Bozner Messe am 24. April 1921, der einen Toten und an die 50 teils schwer verletzte Opfer forderte, zeigte die Ohnmacht des italienischen Staates, der vor der Gewalt kapitulierte und die Täter nicht zu verfolgen wagte.
Das ermutigte Mussolini, ein Jahr später, Anfang Oktober 1922, noch einmal die Probe auf das Exempel zu machen. Es folgte der zweite Marsch auf Bozen. Faschistenhorden aus der Lombardei, dem Veneto und der Emilia Romagna besetzten das Rathaus in Bozen. Die Regierung in Rom kam in panischer Eile den Forderungen der Faschisten nach, setzte den deutschen Bürgermeister Perathoner ab und stellte die Stadt unter die Leitung eines Regierungskommissars.
Der Staat war reif zur Machtübernahme durch die Faschisten. Am 28. Oktober 1922 kam es zum „Marsch auf Rom“. Es gab keinen Widerstand mehr. Der König betraute Mussolini mit der Bildung einer neuen Regierung, die am 30. Oktober erfolgte.
Ein gelehriger Schüler in Deutschland
In München beobachtete ein gelehriger Schüler die Erfolge seines bewunderten Vorbildes Mussolini. Adolf Hitler ließ – dem Beispiel Mussolinis folgend – im Oktober 1922 vorübergehend die Stadt Coburg von 800 SA-Leuten besetzen.
Am 1. November 1922 berichtete der „Völkische Beobachter“ bewundernd über den „Marsch auf Rom“. Am 9. November 1922 versuchte Hitler mit dem „Marsch zur Feldherrnhalle“ in München die Macht in Bayern an sich zu reißen. Diesem Putsch hätte der „Marsch auf Berlin“ folgen sollen. Die bayerische Polizei und das Militär vereitelten den Staatsstreich. Hitler musste nach kurzer Inhaftierung den längeren Weg der Machterringung durch Wahlen gehen.
Von Anfang an hatte Hitler in Mussolini und seiner faschistischen Bewegung das große Vorbild gesehen, sogar Italiens Bündnisverrat im 1. Weltkrieg gebilligt und die Preisgabe Südtirols als notwendiges Opfer für die Freundschaft und das Bündnis mit dem Faschismus betrachtet.
Der gelehrige Schüler übernahm alle Ideen seines bewunderten Lehrers – vom totalitären Staat bis hin zur Lebensraumpolitik zu Lasten anderer Völker.
Der Weg war vorgezeichnet, der Europa ins faschistische Verderben und Deutschland in den Untergang führen sollte.
Der Maestro und sein Schüler – der gelehrige Hitler kopierte sein Vorbild Mussolini
Die Partei-Armee
Mit der Bürgerkriegsarmee zur Macht
Das Original:
Sturmtruppen – faschistische Miliz 1919: Benito Mussolini gründet die in „Squadre“ gegliederten „Fasci di Combattimento“ („Kampfbünde“), denen zahlreiche ehemalige Soldaten, vor allem Mitglieder der „Arditi“ („Entflammten“, der Sturmtruppen des 1. Weltkrieges angehörten. Die mit Dolchen und Knüppeln bewaffneten „Squadre“ betätigten sich als Bürgerkriegsarmee und verübten Brandstiftungen, Morde, Massaker. 1921: Umwandlung der „Fasci“ in die „Nationale Faschistische Partei“ („Partito Nazionale Fascista“ – PNF). 1923: Überführung der „Squadre“ in die „Milizia Volontaria per la Sicurezza Nazionale“ (MVSN) („Freiwillige Miliz für die Nationale Sicherheit“) mit polizeilichen Befugnissen. Später auch militärischer Einsatz. Hemd als Uniformierung Das einheitliche Schwarzhemd diente als Uniformierung. Standarten Neben Fahnen wurden Standarten als Nachahmung der römischen Legionszeichen eingeführt. Historische Symbolik Das altrömische „Rutenbündel“ („Fasces“) als Zeichen römisch-imperialer Macht wird zum Symbol der faschistischen Bewegung und des faschistischen Staates | Die Kopie:
Die „Sturmabteilungen“ (SA)
Hemd als Uniformierung Das einheitliche Braunhemd diente bei der SA als Uniformierung. Standarten Neben Fahnen wurden die im deutschen Raum nie üblich gewesenen Standarten nach faschistischem Vorbild eingeführt. Historische Symbolik Das germanische Sonnensymbol des „Hakenkreuzes“ wird als Zeichen altgermanischer Größe zum Symbol der nationalsozialistischen Bewegung und des NS-Staates. |
Die Ideologie – der korporativ gegliederte Staat
Der Staat wird korporativ bzw. ständisch gegliedert – Absage an den Klassenkampf.
Hierarchische Führungsstruktur mit strikter Befehlskette von oben nach unten. |
Der Staat wird korporativ bzw. ständisch gegliedert – Absage an den Klassenkampf.
Hierarchische Führungsstruktur mit strikter Befehlskette von oben nach unten. |
Die „Führer“
Der „Duce“ („Führer“)
Mussolini fungierte von Anfang an als „Duce“ („Führer“) der „Fasci“, schließlich als „Duce“ der gesamten Nation und des „Impero“ („Imperium“). |
Der „Führer“
Hitler ist der „Führer“ der NSDAP, später des gesamten „Großdeutschen Reiches“. |
Die Gleichschaltung – die Einheitspartei
Die Abschaffung der politischen Konkurrenz
Verbot aller Parteien außer des PNF. Die Parteiformationen durchdringen das gesamte öffentliche Leben. |
Die Abschaffung der politischen Konkurrenz
Verbot aller Parteien außer der NSDAP. Die Parteiformationen durchdringen das gesamte öffentliche Leben. |
Die Staatsjugend
Uniformierte Parteijugend, die zur Staatsjugend umfunktioniert wurde. | Uniformierte Parteijugend (HJ und BdM), die zunehmend zur Staatsjugend umfunktioniert wurde. |
Der imperiale Gedanke
Nach dem Raub- und Eroberungskrieg gegen Abessinien verkündete Mussolini am 9. Mai 1936 die Annexion der besetzten afrikanischen Gebiete und den Beginn eines neuen „Impero“ nach römischem Vorbild. | Adolf Hitler verkündete am 1. September 1933 offiziell, dass der von ihm geführte Staat ein „Drittes Reich“ sei, das „tausend Jahre“ dauern werde. Damit wurde der Staat propagandistisch in die Nachfolgetradition des „Römischen Imperiums“ und des „Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation“ gestellt. |
Imperialistische „Lebensraum“-Ideologie
Neuer Lebensraum im nördlichen Afrika für italienische Siedler.
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Neuer Lebensraum in den eroberten und noch zu eroberten Ostgebieten für deutsche Siedler. |
Die Rassenideologie
Der Faschismus installierte in seinen afrikanischen Kolonien ein System strenger Rassentrennung und stellte „Rassenschande“ mit Einheimischen unter Strafe. Die Überlegenheit der weißen Rasse wurde propagiert und „Rassenmischung“ gesetzlich verboten. 1938 wurden zusätzliche diskriminierende Rassengesetze erlassen, welche sich direkt gegen die Juden in Italien richteten. | Hitler kopierte Mussolinis Ideen mit den „Nürnberger Rassegesetzen“, welche sich – mangels deutscher Kolonien – vor allem gegen Juden und Zigeuner in Deutschland richteten. |
Umsiedlung und Vertreibung
Option und teilweise Umsiedlung der Südtiroler (nur durch den Krieg gestoppt).
Umsiedlungen und Vertreibungen in Afrika, Istrien, Slowenien. |
Option und teilweise Umsiedlung der Südtiroler (nur durch den Krieg gestoppt).
Umsiedlungen und Vertreibungen in den Ostgebieten. |
Die Säuberung von Namen aus Geschichte und Geografie
Der Name „Tirol“ musste verschwinden. Aus dem südlichen Tirol wurde „Alto Adige“ („Hochetsch“).
Der Namenshinweis auf das Slawentum musste verschwinden. Aus dem italienisch besetzten südlichen Slowenien wurde die „Provincia di Lubiana“. |
Der Name „Österreich“ musste dem Namen „Ostmark“ weichen. Aus „Oberösterreich“ und „Niederösterreich“ wurden „Oberdonau“ und „Niederdonau“.
Der Name „Polen“ musste verschwinden. Aus dem deutsch besetzten Teil Polens wurde das „Generalgouvernement“. |
Konzentrationslager – Völkermord
Konzentrationslager in Afrika, Italien und auf Mittelmeerinseln.
Völkermord im nördlichen Afrika. |
Konzentrationslager in den besetzten Ostgebieten und auf Reichsgebiet.
Völkermord. |
Es ist bis heute in Italien guter Brauch, pauschal „die Deutschen“ als Quelle allen Übels in der Geschichte darzustellen. Dies geht einher mit einer Verharmlosung des italienischen Faschismus, die trotz einschlägiger Gesetze strafrechtlich so gut wie nie geahndet wird.
Ein Ministerpräsident Berlusconi konnte sich erlauben, zu behaupten, dass Mussolini seine politischen Gegner schließlich nur in den Urlaub geschickt habe. Gemeint waren die mit Kerkern bestückten und mit Fieberepidemien ausgestatteten Verbannungsinseln im Mittelmeer.
Der vergleichsweise harmlose Faschismus, so wird bis heute in einer Vielzahl italienischer Medien kolportiert, habe den Fehler des Bündnisses mit den Deutschen 1943 rechtzeitig durch den Bündniswechsel korrigiert und die italienische Nation habe sich damit kollektiv und entschlossen auf die Seite des Guten gestellt.
Die hier vorgelegte Dokumentation hat sich erlaubt, dieser wenig anständigen Interpretation zu widersprechen.
Deutschland hat seit 1945 in einem beispiellosen Ausmaß finanzielle Wiedergutmachung zu leisten versucht. Italien hat in Bezug auf die Völkermordverbrechen des Faschismus bis heute nichts getan.
In Deutschland wird der Nationalsozialismus als Unrechtsregime betrachtet, in Italien gibt es neofaschistische Gruppierungen und Parteien, die sich offen zum Faschismus bekennen.
Das ist der wahre Unterschied!