70 Jahre „Pariser Vertrag“

Titelbild einer Flugschrift der Tiroler Landesregierung aus dem Jahre 1945

 Zu diesem Thema dürfen wir einen Beitrag aus der Feder eines österreichisch-deutschen Publizisten veröffentlichen, der ein ausgezeichneter Fachmann auf dem Sachgebiet Südtirol ist.

 

„Magna Charta“ für oder „Verrat“ an Südtirol ?

 Wie es vor 70 Jahren in Paris zum Gruber-DeGasperi-Abkommen kam

Von Reynke de Vos

Ein für Tiroler vornehmlich südlich des Brenners mit Genugtuung und Freude, aber auch mit Leid, Schmerz und Verzicht verbundener Gedenktag hat seine Schatten voraus geworfen. Mit feierlichem Brimborium begeht man am 5. September den 70. Jahrestag des Gruber-DeGasperi-Abkommens. Schloß Sigmundskron, die festlich herausgeputzte Lokalität im Überetsch-Gebiet, auf der die im Gefolge des österreichischen Außenministers Sebastian Kurz und seines italienischen Pendants Paolo Gentiloni zusammenkommenden einschlägigen Vertreter der politischen Klasse aus Wien und Rom sowie Innsbruck, Bozen und Trient einander in gutnachbarlicher Beweihräucherung  übertreffen werden, könnte symbolträchtiger kaum sein.

DeGasperis Finte und „Los von Trient“

Wo Bergsteigerlegende Reinhold Messner unter tatkräftigem Mittun des vormaligen Südtiroler Landeshauptmanns Luis Durnwalder einen von insgesamt sechs Standorten seines zugegebenermaßen imposanten  „MMM“ (Messner Mountain Museum) einrichtete, damit die örtliche Firnis enthistorisierte und also ihrer Wirkkraft entkleidete, hatte weiland Silvius Magnago, der legendäre „Vater des Südtirol-Pakets“, im fernen Jahre 1957 vor 35 000 Kundgebungsteilnehmern das „Los von Trient“ propagiert. Warum „Los von Trient“? Weil der italienische Ministerpräsident Alcide DeGasperi die Gültigkeit jener zwischen ihm und dem österreichischen Außenminister Karl Gruber am 5. September 1946 in Paris im Rahmen der Friedenskonferenz unterzeichneten vertraglichen Autonomie-Regelung, welche eigentlich zum Schutz der Südtiroler bestimmt sein sollte, fintenreich der aus den Provinzen Bozen-Südtirol und Trient gebildeten Region zugeordnet hatte. In besagter Region Trentino-Alto Adige überwog das ethnische italienische Bevölkerungselement bei weitem, sodass die – vom „demokratischen Italien“ bis in die 1960er Jahre ohnedies wie ein Kolonialvolk behandelten Südtiroler österreichischer Volkszugehörigkeit und deutscher sowie ladinischer Ethnizität und Zunge politisch, gesellschaftlich, wirtschaftlich, sozial und kulturell majorisiert wurden.

Bei aller Wertschätzung für das von der damaligen Lage bestimmte besonnene Handeln des „Realpolitikers“ sei festgehalten: Magnagos „Los von Trient“ – und eben nicht das „Los von Rom“, was damals mutmaßlich Wille von 90 Prozent der Südtiroler Bevölkerung und annähernd 100 Prozent des altösterreichisch-deutschen Anteils gewesen sein dürfte – bedeutete faktisch das Einschlagen eines Weges, den die Südtiroler Volkspartei (SVP) unter seiner und seiner Nachfolger Führung fortan unbeirrt weiterbeschritt. Faktisch hat sie sich seitdem nämlich sukzessive von einer Festlegung verabschiedet, unter der sie am 8. Mai 1945 gegründet wurde. Im SVP-Parteistatut ist nämlich für die Südtiroler als Ziel die (Ausübung des) Selbstbestimmung(srechts) fixiert.

Dol 19 05 45 a

Dol 19 05 45 b
Zu dem Programm der neu gegründeten „Südtiroler Volkspartei“ (SVP) gehörte die Forderung nach Selbstbestimmung

Im Pariser Vorort Saint-Germain-en-Laye, wo man 1919 Österreich ein Friedensdiktat auferlegte, aufgrund dessen Südtirol an Italien fiel, war die Selbstbestimmung entgegen dem Vorhaben des amerikanischen Präsidenten Wilson ebenso verweigert worden wie von den alliierten Siegermächten aufs Neue nach Ende des Zweiten Weltkriegs, wofür das Abkommen vom 5. September 1946 als eine Art „Ersatzlösung“ galt.

Umstrittenes Abkommen

Das Abkommen und die Folgen, die es hervorrief, ist unter Parteien zwischen Wien, Innsbruck und Bozen je nach politischer Couleur respektive „regierender“ oder  „opponierender“ Stellung wie unter Historikern und deren jeweiligem „erkenntnisleitenden Interesse“ höchst umstritten. Die auf  Sigmundskron  Champagnisierenden werden Elogen auf diese angebliche „Magna Charta für Südtirol“ anstimmen. Eine unlängst der (SVP-nahen) Tageszeitung „Dolomiten“ beiliegende Broschüre des Titels „70 Jahre Pariser Vertrag“, welche die nicht zur  Jubelstimmung passenden, weil konterkarierenden „ewiggestrigen“ Kapitel des Südtiroler Freiheitskampfes gänzlich ausblendet, stimmte darauf bereits ein. Für andere war und ist der Vertrag – wie für Bruno Kreisky, der einst als Wiener Außenminister  die Südtirol-Frage vor die Vereinten Nationen (UN) trug – ein „einmaliges Dokument österreichischer Schwäche“; gleichwohl haben sie sich damit arrangiert. Wieder andere jedoch eracht(et)en neben Inhalt und  Folgen des Vertrags vor allem dessen Zustandekommen als „Verrat an den Südtirolern“.

Wie war es dazu gekommen? Laut einem Bericht der „Neuen Zürcher Zeitung“ ließ DeGasperis Büro am 24. August 1945 verlauten, man werde dem Aostatal und der dortigen mehrheitlich ethnischen französischen Bevölkerung „die vollständige sprachliche Gleichberechtigung“ sowie „eine großzügige, neuartige administrative Dezentralisierung in allen örtlichen Angelegenheiten gewähren“. Die italienische Regierung beabsichtige zudem, „Maßnahmen für die östlichen und nördlichen Grenzgebiete nach dem Vorbild der dem Aostatal gewährten Autonomie auszuarbeiten und zu diesem Zweck mit den Vertretern der Bevölkerung und der örtlichen Interessen Fühlung zu nehmen“.

„Wiederherstellung der Freiheit für Südtirol“

Das dürfte den Vertretern der alliierten Siegermächte im „Rat der Außenminister“ – einer aus der Konferenz von Potsdam hervorgegangenen Einrichtung – gerade rechtgekommen sein und bereits als Signal für die Londoner Außenministerkonferenz (11. September bis 2. Oktober 1945) genügt haben, um Grubers Ersuchen rundheraus abzulehnen. Der Tiroler Landeshauptmann und Außenamtsstaatssekretär in der provisorischen Regierung unter Staatskanzler Karl Renner hatte in  gleichlautenden Telegrammen an den amerikanischen Präsidenten Harry S. Truman und dessen Außenminister James F. Byrnes, an den britischen Außenminister Ernest Bevin, an Charles de Gaulle, Chef der provisorischen Regierung Frankreichs und dessen  Außenminister Georges Bidault sowie an den sowjetischen Generalissmus Iossif Stalin und dessen Außenminister Wjatscheslaw Molotow um „die Wiederherstellung der Freiheit für Südtirol“  sowie „Vorbereitung einer Volksabstimmung“ zwischen Brenner und Salurner Klause und um „Zulassung einer österreichischen Delegation zu den Verhandlungen“ ersucht.

IMGP1546
Mit solchen Plakaten wurde in Innsbruck zur Großkundgebung des 4. September 1945 aufgerufen

In Innsbruck sprachen Gruber und sein kurzzeitiges Regierungsmitglied Eduard Reut-Nicolussi auf einer Großkundgebung vor mehr als 40 000 Menschen am 4. September 1945; in der verabschiedeten Resolution wurde die Rückkehr des südlichen Landesteils zu Tirol und Österreich gefordert.  General Marie-Emil Béthouart, Kommandeur der französischen Besatzungstruppen, ließ seine Sympathie dafür offen erkennen. Am 28. September  erreichte ihn allerdings ein Exposé des Quai d’Orsay, worin es hieß, wegen „der ungewissen Zukunft Österreichs angesichts einer dauerhaften sowjetischen Besatzungszone“  sei „eine Rückgabe Südtirols aus strategischen Gründen sehr gefährlich“, denn damit drohe eine „Ausbreitung der sowjetischen Einflussnahme bis zur Po-Ebene.

 

Am 4. September 1945 sprach Dr. Gruber in Innsbruck zu mehr als 40.000 Menschen. Er verlangte die Rückkehr Südtirols zu Tirol und Österreich.
Am 4. September 1945 sprach Dr. Gruber in Innsbruck zu mehr als 40.000 Menschen. Er verlangte die Rückkehr Südtirols zu Tirol und Österreich.

Auf dem großen Platz zwischen Hofburg und Landestheater standen in Innsbruck mehr als 40.000 Menschen dicht gedrängt, als Landeshauptmann Dr. Gruber um 17 Uhr an das Mikrophon trat und die Selbstbestimmung für Südtirol forderte. Insgesamt hatten sich nach alliierten Schätzungen in Innsbruck an die 100.000 Menschen versammelt.
Auf dem großen Platz zwischen Hofburg und Landestheater standen in Innsbruck mehr als 40.000 Menschen dicht gedrängt, als Landeshauptmann Dr. Gruber um 17 Uhr an das Mikrophon trat und die Selbstbestimmung für Südtirol forderte. Insgesamt hatten sich nach alliierten Schätzungen in Innsbruck an die 100.000 Menschen versammelt.

Aussiedler Ibk 1945

Wien: Selbstbestimmung und Rückgliederung

Derweil legte sich die provisorische österreichische Regierung Renner am 5. September per Kabinettsratsbeschluss  auf die Forderung nach Selbstbestimmung für Südtirol fest. Sie richtete ein Memorandum an die Londoner Außenministerkonferenz, in welchem sie die „Rückgliederung Südtirols“ forderte.

/opt/apache-tomcat-7.0.53/webapps/mediaArchive/media/image/Page/

/opt/apache-tomcat-7.0.53/webapps/mediaArchive/media/image/Page/

In London, wo es seit 11. September primär um die Behandlung des Friedenschlusses mit Italien sowie um Friedensverträge mit Rumänien, Bulgarien, Ungarn und Finnland ging,  vereitelte der Brite Bevin den Vorschlag des Amerikaners Byrnes nach einschränkungsfreier Anhörung Wiens zur österreichisch-italienischen Grenze sowie Entsendung einer Untersuchungskommission. Schon am 14. September legten sich die Außenminister auf die Beibehaltung der Brennergrenze fest, wobei Byrnes eine Zusatzformel im Hinblick auf territoriale Regelungen einbrachte, in der es hieß: „Die Grenze mit Österreich wird unverändert bleiben, mit der Ausnahme, jeden Fall zu hören, den Österreich für kleinere  Grenzberichtigungen zu seinen Gunsten vorbringt“.

Von alldem wusste man jedoch weder in Wien und Innsbruck noch in Bozen etwas. In Wien überreichte die Regierung Renner am 12. September dem Alliierten Rat ein „Memorandum über die Rückgliederung Südtirols an Österreich“, worin sie darum ersuchte, es möge „eine über die Zugehörigkeit dieses Gebietes endgültig entscheidende, freie Volksabstimmung angeordnet“ werden. Auf zwei Kundgebungen in Anwesenheit Renners sowie führender Vertreter der von den Besatzungsmächten zugelassenen Parteien (ÖVP, SPÖ, KPÖ) wurden am 3. und am 14. Oktober Resolutionen für die Rückkehr Südtirols verabschiedet; am 5. November überreichte die Regierung dem Alliierten Rat zur Weiterleitung an die jeweiligen Regierungen ein weiteres Memorandums zur Südtirol-Frage.

Rom täuscht

Derweil bemühte sich Italien um die Forcierung seiner Interessen und Ziele. Dem auf Täuschung zielenden „Beweis guten Willens“ unter Hinweis DeGasperis auf das Aostatal diente das am 27. Oktober erlassene Gesetzesdekret 755, mit dem „deutsche Schulen in Südtirol genehmigt“ wurden. Am 4. November sprach er in Mailand von der „Notwendigkeit der Brennergrenze für die Entwicklung und Verteidigung Italiens“.

Zur österreichischen Forderung nach einer Volksabstimmung in Südtirol hieß es in einer von italienischen Presseorganen am 20. November wiedergegebenen Verlautbarung aus Rom: „Es gibt überhaupt keine Südtiroler Frage. Alles, was sich auf Südtirol bezieht, ist eine inneritalienische Angelegenheit, die Italien in versöhnlichem Geiste lösen will.“ Und in einem am 7. Dezember in der in Bozen erscheinenden Zeitung „Alto Adige“ veröffentlichten „Offenen Brief“ des Präfekten Bruno De Angelis, eines vormaligen Faschisten,  an die SVP-Führung hieß es, die italienische Regierung sei der Auffassung, dass die Südtirolfrage mittels Erlass eines Autonomiegesetztes gelöst werden sollte.

Gruber, nach der infolge Nationalratswahl vom 25. November (ÖVP 85, SPÖ 76, KPÖ 4 Sitze) gebildeten ersten regulären Regierung unter Kanzler Leopold Figl (ÖVP) nunmehr auch formell Außenminister schlug daraufhin vor, die offenen wirtschaftlichen Fragen bezüglich Südtirol „durch eine österreichisch-italienische Treuhandgesellschaft klären und lösen zu lassen“.

So ließ sich Degasperi gerne in der Presse abbilden: Betend in der Kirche, dem Volk ein Beispiel an Frömmigkeit gebend. Gegenüber den Südtirolern bewies er jedoch weder christliche Nächstenliebe, noch Ehrlichkeit. Er verleumdete sie als „Nazis“.
So ließ sich Degasperi gerne in der Presse abbilden: Betend in der Kirche, dem Volk ein Beispiel an Frömmigkeit gebend. Gegenüber den Südtirolern bewies er jedoch weder christliche Nächstenliebe, noch Ehrlichkeit. Er verleumdete sie als „Nazis“.

DeGasperi erklärte indes nach einer Kabinettssitzung am 14. Dezember, es  werde eine „Kommission zur Ausarbeitung einer Verwaltungsautonomie für Südtirol“ gebildet, „die aus Vertretern beider Nationalitäten zusammengesetzt sein“ solle. Zwei Wochen später ließ er verlauten, die Provinz Alto Adige gehöre zur „geographischen Einheit Italiens“. Und: „Die Grenzen eines Staates mit 45 Millionen Einwohnern können nicht durch unbedeutende Minderheiten entschieden werden, die noch dazu zum Großteil Nazi-Anhänger waren und vor und nach dem Kriege Hitler halfen.“  Sozusagen als Kontrapunkt zur österreichischen Note an den Alliierten Rat richtete er zu Jahresbeginn 1946 an die Botschafter der Alliierten in Rom eine Note, in welcher er am Verbleib Südtirols bei Italien festhielt, zumal  es  „unentbehrliches Hinterland für die Industrie der Po-Ebene“ sei.

Gruber ließ daraufhin am 21. Januar 1946 dem Alliierten Rat ein Memorandum zukommen, worin er für den Fall der Rückgliederung Südtirols anbot: Verbleib der Wasserkräfte bei Italien und deren Nutzung durch österreichisch-italienische Gesellschaften; freie Wahl der Staatsbürgerschaft für die in Südtirol lebenden Italiener bei privilegierten Sonderstatus hinsichtlich Sprache und Kultur; Unterstellung Südtirols unter UN-Schutz der Vereinten Nationen; Gewährung einer Freihafenzone für Italien an der Donau. Daraufhin bekundete William B. Mack, Vertreter des britischen Foreign Office in Wien – London hatte ihn zwei Wochen zuvor bereits  wissen lassen, es bestünden keine Einwände, die österreichische Regierung über die „provisorische Entscheidung“ zu informieren, dass Südtirol „mit Ausnahme kleinerer Grenzänderungen“ nicht zu Österreich zurückgelangen werde –  Grubers Memorandum  sei „ein großzügiger und staatsmännischer Beitrag zur Lösung des Problems“.

Bevin: Italien wichtiger als Österreich

Wiewohl im britischen Oberhaus Sympathie für eine Rückgliederung Südtirols an Österreich vorherrschte, ließ Außenminister Bevin  im Unterhaus keinen Zweifel daran, dass wegen der Entwicklung hin zum „Eisernen Vorhang“, der sich, wie Winston Churchill in einer Rede dargelegt hatte, „von der Ostsee bis Triest über Europa gelegt“ habe, Italien für den Westen wichtiger sei als Österreich.  Daher könne es bis auf kleinere Berichtigungen  keine Grenzänderungen geben. Weder die an Kanzler Leopold Figl am 22. April in Innsbruck während einer Großkundgebung  übergebenen und später nach Paris weitergereichten 155 000 Unterschriften von Südtirolern für die Wiedervereinigung Tirols noch die Forderung nach Gewährung der Selbstbestimmung, wie sie auf Kundgebungen – trotz diverser Behinderung durch italienische Stellen – in Innichen, Brixen, Bozen und Meran erhoben worden waren, konnten die Alliierten dazu bringen, wenigstens eine – selbst auch vom Amerikaner Byrnes ins Spiel gebrachte, aber von Molotow abgelehnte – Kommission zur Ergründung der Verhältnisse zu entsenden.

Der italienische Botschafter Nicolo Carandini versprach eine „liberale und demokratische Politik“
Der italienische Botschafter Nicolo Carandini versprach eine „liberale und demokratische Politik“

Auch Grubers im Auftrag Figls an die Alliierten gerichtete Bitte um Anhörung einer österreichischen Delegation blieb unbeantwortet. Derweil passte die von Nicolò Carandini, dem Botschafter in London, vorgebrachte Bekundung, wonach Italien eine „liberale und demokratische Politik betreiben“ und „lokale Autonomien“ wie im Falle Aosta installieren werde, eher zu den Plänen der Siegermächte, vornehmlich der westlichen.

Ablehnung der „Bozen-“ und der „Pustertal-Lösung“

Wiewohl er – ebenso wie die Regierung Figl – offiziell für Selbstbestimmung und Rückgliederung des ganzen südlichen Tiroler Landesteils eintrat, überreichte Gruber offenbar unter dem Eindruck, der Inhalt könne unter dem Rubrum „kleinere Grenzberichtigungen“ Wirkung entfalten, am 12. April ein geheimes, namentlich nicht gezeichnetes Memorandum an Mack. Im Wesentlichen sollte gemäß dem  darin enthaltenen Vorschlag Südtirol einschließlich der Stadt Bozen – aber ohne deren während des Faschismus aus dem Boden gestampfter Industriezone und erheblichen Teilen des Südtiroler Unterlands – zu Österreich kommen. Doch dies fand ebensowenig Gehör wie seine später – formell in eine Regierungsnote gekleidete –  angebotene „Pustertal-Lösung“. Sie sah dessen Rückgliederung vor, womit die direkte Verbindung Nordtirols mit (dem wegen des Grenzverlaufs abgetrennten) Osttirol möglich geworden wäre; wiewohl Mack bekundet hatte, Bevin sei bereit, Österreich zu unterstützen, sofern es Anspruch auf das Pustertal erhebe.

UNterschriften an Figl

Am 22. April 1946 hatte in Innsbruck eine Großkundgebung stattgefunden. Dem österreichischen Bundeskanzler Leopold Figl waren 155.000 Südtiroler Unterschriften mit der Forderung der Rückkehr Südtirols zu Österreich überreicht worden, welche an die Alliierten weitergeleitet wurden..
Am 22. April 1946 hatte in Innsbruck eine Großkundgebung stattgefunden. Dem österreichischen Bundeskanzler Leopold Figl waren 155.000 Südtiroler Unterschriften mit der Forderung der Rückkehr Südtirols zu Österreich überreicht worden, welche an die Alliierten weitergeleitet wurden..

Rernnweg 22 04 46

Am 11. Mai hatte Norbert Bischoff, Österreichs Gesandter in Paris,  im Auftrag der Bundesregierung eine an die tagende Vier-Mächte-Außenministerkonferenz gerichtete Note übergeben,  in der die Rückgliederung des Pustertals, des oberen Eisacktales und der Stadt Brixen als „kleinere Grenzberichtigung“ mit der Begründung der Wiederherstellung einer direkten Eisenbahnverbindung zwischen Nord- und Osttirol verlangt wurde. Am 30. April bestätigten Bidault, Byrnes, Bevin und Molotow jedoch den schon am 14. September 1945 gefassten Beschluss, „keine größeren Grenzveränderungen zwischen Österreich und Italien vorzunehmen“. Und am 1. Mai bekräftigten sie die damalige Festlegung, wonach Südtirol bei Italien bleibe und das von der Regierung in Wien sowie in mehreren auf Kundgebungen beschlossenen Resolutionen geforderte Plebiszit abgelehnt werde.

 Massive Vorbehalte gegen Grubers Politik

Die Bekanntgabe bewirkte in Tirol einen allgemeinen fünfstündigen Proteststreik sowie Demonstrationen,  auch in Bozen, Meran und Brixen kam es zu Protestkundgebungen. Sämtliche Glocken Tirols läuteten zum Zeichen der Trauer. In Wien demonstrierten mehr als 100 000 Menschen für die Selbstbestimmung der Südtiroler und die Rückkehr des Landesteils zu Österreich.

Ibk 02 05 46

In Innsbruck demonstrierten aufgebrachte Massen von Menschen gegen die Verweigerung des Selbstbestimmungsrechts für Südtirol. Auch in den anderen Bundesländern kam es zu Protestdemonstrationen.
In Innsbruck demonstrierten aufgebrachte Massen von Menschen gegen die Verweigerung des Selbstbestimmungsrechts für Südtirol. Auch in den anderen Bundesländern kam es zu Protestdemonstrationen.

Tagbl 20 5 46 Kundgeb Linz a

Derweil klammerte man sich in Südtirol an die auch von der Veröffentlichung einer Stellungnahme des Kanonikus Michael Gamper im „Volksboten“ (2. Mai) und in den „Dolomiten“ (3. Mai) genährte Hoffnung, wonach in der Festlegung der Außenministerkonferenz lediglich eine „Vorentscheidung“ zu sehen und „keineswegs das letzte Wort über Südtirol“ gesprochen sei. Auch die persönliche Vorsprache Grubers bei Bevin – aufgrund erstmaliger Einladung nach Paris und Weiterreise nach London – änderte daran kein Jota. Ins Leere ging auch sein unterdessen bekanntgewordener und von der gesamten österreichischen Regierung mittels formellen Verlangens gebilligter Vorstoß in Sachen Pustertal-Lösung – bei Aufrechterhaltung eines Rechtsvorbehalts auf Südtirol als Ganzes.

Woraufhin in einer Besprechung von Vertretern Nord- und Südtirols am 10. Juni in Innsbruck massive Vorbehalte gegen die Politik des Außenministers zum Ausdruck kamen und der stellvertretende Landesregierungschef Franz Hüttenberger (SPÖ) „den für Österreichs Außenpolitik verantwortlichen Männern“ vorwarf, sie hätten  „in der Behandlung des Problems Ungeschicklichkeiten begangen, welche die gerechte Sache Südtirols ungünstig beeinflussen“. In der zwischen 15. Juni und 12. Juli zu Paris fortgesetzten Vier Mächte-Außenministerkonferenz wurde Österreichs Anspruch auf Südtirol neuerdings abgelehnt.

Im Unterhaus Protest der Konservativen gegen Bevin

Im britischen Unterhaus protestierten derweil 150 Abgeordnete (vornehmlich der Konservativen) formell gegen die Entscheidung der Außenministerkonferenz in Paris über die Belassung Südtirols bei Italien. In der Erklärung hieß es, die Abtrennung Südtirols von Österreich im Friedensvertrag von Saint Germain sei „die ernsthafteste Verletzung des von Wilson aufgestellten Grundprinzips der Selbstbestimmung der Völker gewesen“. Labour-Premier Bevin antwortete auf die enthaltene Frage, ob „Großbritannien den schmutzigen Schacher, den der Berliner Pakt zwischen Hitler und Mussolini über Südtirol dargestellte, unterschreiben wolle“,  Österreich sei noch nicht frei, und man wisse nicht einmal, ob Ostösterreich nicht vom Westen ganz abgeschnitten werde. Die Entscheidung über Südtirol sei im September 1945 in London gefallen, und er habe sich einverstanden erklärt und trage dafür die Verantwortung.

Gruber kontaktiert DeGasperi

Wenngleich die SVP in einem Telegramm vom 17. Juli an das britische Oberhaus den Anspruch auf Selbstbestimmung erhob und bat, die Südtiroler dabei zu unterstützen, erklärten ihr Obmann Erich Amonn und ihr Generalsekretär Josef Raffeiner gegenüber dem Bozner Präfekten Silvio Innocenti zur Mitarbeit in der Autonomiefrage bereit. Beide dementierten allerdings später Vorhaltungen, wonach sie sich mit dessen – auf Anweisung DeGasperis – ausgearbeitetem (und letztlich zum Tragen gekommenem) Autonomieprojekt (Südtirol zusammen mit dem Trentino) einverstanden erklärt gehabt hätten, wie es Innocenti und De Gasperi in der Öffentlichkeit darstellten. Gruber ließ indes DeGasperi über den iatlienischen Botschaftssekretär Roberto Gaja wissen, er sei zu einem „Gespräch über freundschaftliche Beziehungen und der Zusammenarbeit“ bereit, woraufhin  DeGasperi am 20. Juli via Gaja mitteilen ließ, dass er dazu bereit sei, wenn territoriale Fragen nicht zur Diskussion stünden.

Die Pariser Friedenskonferenz

Im Pariser Palais Luxembourg begann am 15. Juli die Friedenskonferenz; sie dauerte bis 15. Oktober 1946.  Der Konferenz lagen die Entwürfe des Rates der Außenminister der Großen Vier respektive der von ihnen beauftragten Stellvertreter zu den Friedensverträgen mit Italien, Finnland, Bulgarien, Rumänien und Ungarn sowie noch nicht geklärte Fragen vor. Den insgesamt 21 Delegationen wurden vier Südtirol-Memoranden unterbreitet, in denen eine Volksabstimmung über dessen Zukunft verlangt wurde: von der österreichischen Bundesregierung; ein vom SVP-Obmann Ammon und dem Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Südtirols, Lorenz Unterkircher sowie vier Südtiroler Mitgliedern des letzten gewählten italienischen Parlaments und sieben Mitgliedern des letzten gewählten Südtiroler Landtags unterzeichnetes; ein drittes von Vertretern der Ladiner; schließlich das vierte vom Brixner Fürstbischof Johannes Geisler. Die SVP hatte einer – offiziell nicht zugelassenen – Südtiroler Delegation (Friedl Volgger, Otto von Guggenberg und Hans Schoefl) als Vorgabe aufgetragen: Falls kein Plebiszit durchsetzbar sei, möge man entweder auf eine „Liechtenstein-Lösung“ oder auf ein „Südtirol unter internationaler Kontrolle“ oder auf eine „Autonomie“ (allerdings nur unter den Bedingungen einer internationalen Garantie und ausschließlich für die Provinz Bozen) hinwirken.

Fürstbischof Geisler

Der Brixener Fürstbischof Johannes Geisler war zusammen mit Südtiroler Politikern immer wieder bei den Alliierten für die Selbstbestimmung Südtirols eingetreten und hatte auch vergeblich verlangt, dass eine Südtiroler Delegation von den Alliierten angehört werde.
Der Brixener Fürstbischof Johannes Geisler war zusammen mit Südtiroler Politikern immer wieder bei den Alliierten für die Selbstbestimmung Südtirols eingetreten und hatte auch vergeblich verlangt, dass eine Südtiroler Delegation von den Alliierten angehört werde.

Auftritte  DeGasperis und Grubers

De Gasperi trat am 10. August vor die Friedenskonferenz und erklärte, hinsichtlich des „Alto Adige“ werde eine „weitreichende Autonomie vorbereitet“, und die Vertreter Südtirols hätten einer „Regionalautonomie bereits zugestimmt.“ Nach dem Beschluss zur Anhörung Österreichs – wogegen die Sowjetunion, Weißrussland, die Ukraine, Polen, Jugoslawien  und die Tschechoslowakei stimmten – reiste Gruber nach Paris und vertrat am 21. August in seiner (zusammen mit Figl ausgearbeiteten) Rede vor der Vollversammlung der Konferenz den bekannten Standpunkt Wiens. Auch das am 25. August der Konferenz vorgelegte Südtirol-Memorandum Österreichs führte letztlich nicht zu einer Änderung der Alliierten-Position, Südtirol bei Italien zu belassen.

Es ging nurmehr um eine Autonomie-Lösung

Im weiteren Fortgang der Ereignisse stand infolgedessen nurmehr die Autonomie-Frage im Mittelpunkt aller Überlegungen. Nach einer Unterredung Grubers mit den Delegierten Belgiens, die ihm nahelegt hatten, sich um eine direkten Einigung mit Italien zu bemühen, sowie Gesprächen mit Nicolò Carandini (italienischer Botschafter In London und Sonderbeauftragter für Paris) sowie Frankreichs Außenminister Bidault verlangte Gruber von den Südtiroler Delegierten am 23. August, sie sollten ihm ihre Autonomie-Vorstellungen unterbreiten. Volgger, von Guggenberg und Schoefl brachten am 26. August ihr Missfallen zum Ausdruck, dass in dem von Gruber dem Generalsekretariat der Friedenskonferenz überreichten  neuen Memorandum der österreichischen Regierung lediglich  „eine Verwaltungsautonomie, wie sie Italien den Aostanern gewährt“,  verlangt worden sei. Damit  habe Gruber  „vorzeitig alle Karten aufgedeckt“, und es werde „offenkundig, wie weit nachzugeben die österreichische Regierung bereit“ sei. Das Heranziehen der Aostatal-Autonomie als Muster kritisierten sie als „verunglückt und gefährlich“.

Dessen ungeachtet deutete Gruber gegenüber Carandini die Bereitschaft an, Innocentis Vorschläge zur Grundlage für die  Autonomie zu machen; dies allerdings nur unter der Bedingung, dass sie in einigen Punkten modifiziert würden. Doch auf die von Österreich gewünschte „eindeutige territoriale Abgrenzung des autonomen Gebiets“ ließ sich DeGasperi gar nicht erst ein.

Als Carandini mit dessen unveränderlichen Instruktionen am 1. September nach Paris zurückgekehrt war, kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Gruber und der Südtiroler Delegation. Diese nannte den Vorschlag Carandinis (und somit DeGasperis) ungenügend und wies ihn glatt zurück.

Vertrag ohne klare Geltungsfestlegung

DeGasperi (links) konnte zufrieden sein. Er hatte einen Vertrag mit unpräzisen Formulierungen und ohne klare Festlegung der territorialen Autonomie-Grenzen erhalten, die es ihm später erleichterten, mit dem Autonomieabkommen von 1946 den Sinn des Vertrages zu unterlaufen und teilweise in sein Gegenteil zu verkehren.
DeGasperi (links) konnte zufrieden sein. Er hatte einen Vertrag mit unpräzisen Formulierungen und ohne klare Festlegung der territorialen Autonomie-Grenzen erhalten, die es ihm später erleichterten, mit dem Autonomieabkommen von 1946 den Sinn des Vertrages zu unterlaufen und teilweise in sein Gegenteil zu verkehren.

Nachdem Gruber die Bereitschaft bekundet hatte, die Frage der Nennung des territorialen Geltungsbereichs der Autonomie offenzulassen und keine Formel zu verlangen, die das autonome Gebiet unbedingt auf die Provinz Bozen beschränkte und Carandini sozusagen absichtsverschleiernd zusagte, nicht direkt auf die Vereinigung der beiden Provinzen hinzuweisen, war der Weg für die Unterzeichnung der Vereinbarung zwischen Alcide DeGasperi und Karl Gruber am 5. September 1946 in der italienischen Gesandtschaft zu Paris geebnet. Just die von ihm reklamierte und von Gruber zugestandene Unbestimmtheit der territorialen Geltung nutzte DeGasperi – wider sein Versprechen, die Südtiroler vor Änderungen zu hören – schamlos zugunsten der erst noch zu schaffenden Region Trentino-Alto Adige (Autonomiestatut vom 29. Januar; inkraftgetreten am 14. März 1948) aus. Weshalb das Abkommen in der Folge für fortdauerndes Misstrauen und absolut gerechtfertigte Auflehnung in Südtirol sorgte.

Ursprünglich hätte das autonome Gebiet nur Südtirol (Provinz Bozen) umfassen sollen. In dem Autonomiestatut von 1948 wurde die Autonomie jedoch einer „Region Trentino - Alto Adige“ verliehen, welche aus Südtirol und dem Trentino bestand. Hier waren die Südtiroler italienisch majorisiert. Hier wurde die Zielsetzung des Pariser Vertrags trickreich in ihr Gegenteil verkehrt.
Ursprünglich hätte das autonome Gebiet nur Südtirol (Provinz Bozen) umfassen sollen. In dem Autonomiestatut von 1948 wurde die Autonomie jedoch einer „Region Trentino – Alto Adige“ verliehen, welche aus Südtirol und dem Trentino bestand. Hier waren die Südtiroler italienisch majorisiert. Hier wurde die Zielsetzung des Pariser Vertrags trickreich in ihr Gegenteil verkehrt.

Erst nach zahlreichen Anschlägen, Kreiskys UN-Vorstoß 1960, welchem in den „Bomben-Jahren“ Leid und Tod, massive Vergeltungsmaßnahmen und Menschenrechtsverletzungen von Seiten Italiens folgten, kam es nach langwierigen, zähen Verhandlungen im Dreieck Wien-Bozen-Rom zum Autonomie-Paket von 1969, welches ins Zweite Statut von 1972 mündete. Und aufgrund römischen Finassierens sollte es schließlich weitere zwanzig Jahre dauern, bis am 11. Juni 1992 mit der österreichisch-italienischen Streitbeilegungserklärung vor den UN der Südtirol-Konflikt im völkerrechtlichen Sinne für beendet erachtet werden konnte. Das und die durchaus positive Entwicklung Südtirols – vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet – ändert nichts daran, dass die größte Ungerechtigkeit gegenüber den Südtirolern seit 1918/19 fortbesteht, solange ihnen nicht Gelegenheit zur Ausübung des Selbstbestimmungsrechts gegeben ist.

Der Historiker Univ.-Prof. Dr. Michael Gehler, ein herausragender Südtirol-Fachmann, bewertet die Rolle des damaligen österreichischen Außenministers Dr. Karl Gruber kritisch.
Der Historiker Univ.-Prof. Dr. Michael Gehler, ein herausragender Südtirol-Fachmann, bewertet die Rolle des damaligen österreichischen Außenministers Dr. Karl Gruber kritisch.

Unter Historikern ist man sich zwar weitgehend einig, dass die Selbstbestimmung 1946 aufgrund der damaligen Lage und den sich herausbildenden Interessengegensätzen nicht erreichbar war. Es darf aber auch durchaus als Opinio communis gelten, was Michael Gehler (Hildesheim, früher Innsbruck) aufgrund seiner Forschungsergebnisse gegenüber einer Zeitung einmal so ausdrückte: Es wäre mehr zu holen gewesen, „Gruber hat sich viel zu schnell auf Kompromisse eingelassen; bei einer besseren Verhandlungsführung wäre durch die unablässige Forderung nach einer Volksabstimmung eine echte Autonomie im Sinne einer inneren Selbstbestimmung möglich gewesen.“

Eine „echte Autonomie“ kann die existierende, von der Rom immer wieder Scheibchen abschnitt, kaum genannt werden. Und wenn die Südtiroler nicht aufpassen, führt der von der „ewigen Regierungspartei“ SVP auf Wunsch ihres italienischen Koalitionspartners PD (Partito Democratico) eingesetzte Autonomie-Konvent – sozusagen als „Erfüllungsgehilfe“ der von der Regierung Renzi (PD) vorangetriebenen, auf Stärkung des Zentralstaats hinauslaufende Verfassungsreform – hinter die mühsam erkämpften Errungenschaften des Zweiten Statuts von 1972 zurück. Horribile dictu!




Kulturhistorische Notizen aus gegebenem Anlass

von Georg Dattenböck

Der „Südtirol-Informationsdienst“ (SID) will nicht nur historische und politische Entwicklungen in Südtirol in Vergangenheit und Gegenwart dokumentieren, sondern auch das kulturhistorische Bewusstsein, daß Südtirol ein untrennbarer Teil des deutschen Sprach- und Kulturraumes ist, lebendig erhalten.

Die wahrheitsgemäße Darstellung der eigenen Geschichte stellt einen bedeutenden Teil kulturhistorischer Arbeit dar.

Wahrheit und Lüge – gestern und heute

Die Wahrheit kann durch Verdrehung wie auch durch Verschweigen wichtiger Tatsachen in Lüge umgewandelt werden. Diktaturen haben diese Verfälschungen noch relativ offen vorgenommen. Josef Goebbels, der „Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda“, hat auf täglichen Pressekonferenzen in seinem Ministerium in „Tagesbefehlen“ der Presse vorgegeben, was dem Volk wie mitgeteilt werden darf. Und in Bella Italia fascista  hat man Widerspenstige zum „Erholungsurlaub“ auf Malaria-Fieberinseln im Mittelmehr verschickt. Das mit dem „Erholungsurlaub“ für politische Gegner Mussolinis hat noch der italienische Premierminister Berlusconi allen Ernstes verkündet.

Heute, unter den Vorzeichen der Demokratie, gibt es nach wie vor Nachrichten-Manipulation zu politischen Zwecken. Sie erfolgt aber subtiler.

Es ist dem Obmann des Südtiroler Heimatbundes“ (SHB), Roland Lang, zu danken, dass er in diesen Tagen in einem Pressedienst aufgedeckt hat, wie die „Südtiroler Landesregierung“ unter Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP) in einer offiziellen Druckschrift das Südtiroler Geschichtsbild durch Verschweigen wesentlicher Geschehnisse manipulieren lässt.

Dem Land Südtirol und seinen ergebenen öffentlichen Dienern sei ein Wort von Johann Wolfgang von Goethe, dem letzten großen Dichterfürsten und Zeitenwender deutscher Zunge, in Erinnerung gerufen.

GoetheGoethe bemerkte treffend:

Wer nicht von dreitausend Jahren
sich weiß Rechenschaft zu geben,
bleib im Dunkeln unerfahren,
mag von Tag zu Tage leben.“

(Goethe Gedichte, West-östlicher Divan).

1953: Das offene Wort des Ministerpräsidenten Degasperi

Der allerchristlichste italienische Ministerpräsidenten Alcide Degasperi war ein Politiker der „Democrazia Cristiana“ (DC), der sich am seinen Landsleuten stets als guter Christ präsentieren ließ.

Dieser Mann scheute gleichzeitig nicht davor zurück, in aller Offenheit zu erklären, dass er die faschistische Politik gegenüber den Südtirolern fortzusetzen gewillt war.

de gasperiDegasperi bekundete das am 25. Mai 1953 in Trient in einer Rede:

„Einmal wenigstens stimme ich auch mit Mussolini überein, der im Jahre 1938 sagte, daß man, um Südtirol zu entdeutschen, die Südtiroler nicht isolieren dürfe…“

Gemeint war damit, dass die Südtiroler auf allen Gebieten der Politik, der Kultur und der Verwaltung fest an die Institutionen des italienischen Staates anbinden müsse und ihnen dabei so wenig eigenen Spielraum wie möglich geben dürfe.

Österreich betonte die Zusammengehörigkeit

Angesichts solcher Äußerungen und der damit verbundenen Politik des lockenden Zuckerbrots und der strafenden Peitsche gegenüber deutschen und der ladinischen Volksgruppe erkannte man in Österreich die existentielle Gefahr einer schleichenden Entfremdung und Abkapselung Südtirols vom deutschen Kulturraum.

Und man steuerte dagegen, indem man die Verbundenheit Südtirols mit Österreich und dem gesamten übrigen deutschen Kulturraum zu stärken versuchte.

 Einfügung des Bildes Aktionen Helmut Golowitsch Anlage 18:00 [Behält diese Nachricht oben im Posteingang.] An: Michael Scharfmüller Outlook.com Aktive Ansicht 1 Anlage (849,6 KB) Zum Anzeigen von Optionen klicken. Diaschau anzeigen (1) Als ZIP-Datei herunterladen Auf OneDrive speichern Artikel "Kulturpolitische Notizen ..." Österreich betonte die Zusammengehörigkeit Angesichts solcher Äußerungen und der damit verbundenen Politik des lockenden Zuckerbrots und der strafenden Peitsche gegenüber deutschen und der ladinischen Volksgruppe erkannte man in Österreich die existentielle Gefahr einer schleichenden Entfremdung und Abkapselung Südtirols vom deutschen Kulturraum. Und man steuerte dagegen, indem man die Verbundenheit Südtirols mit Österreich und dem gesamten übrigen deutschen Kulturraum zu stärken versuchte. Scannen0001 „Das Südtiroler Heimatbuch“, 5. erweiterte Auflage, Hrsg.: Austria Presse-Dienst (APD), Wien 1959
„Das Südtiroler Heimatbuch“, 5. erweiterte Auflage, Hrsg.: Austria Presse-Dienst (APD), Wien 1959
Eines der vielen Beispiele dafür ist ein von der österreichischen Regierung gefördertes „Südtiroler Heimatbuch“, welches weite Verbreitung in Österreich und Südtirol fand. Austria Presse-Dienst (APD), Wien 1959

Einunddreißig bedeutende Persönlichkeiten aus Tirol schrieben in diesem Buch Beiträge und es ist es wert, hier ihre Namen in unser Gedächtnis zu holen:

Die Gesamtredaktion hatte der 1928 in Sillian im Hochpustertal geborene Dr. Günther Goller, welcher später Klubobmann der „Österreichischen Volkspartei“ (ÖVP) im Wiener Landtag und Gemeinderat wurde. Er erhielt 1986 die Ehrenbürgerschaft und 1996 das Große Goldene Ehrenzeichen für Verdienst um das Land Wien.

 Dr. Günther Goller
Dr. Günther Goller

An dem Buch, welche die Verbundenheit Österreichs mit Südtirol stärken sollte, arbeiteten zahlreiche Patrioten aus allen Gebieten der Politik, Wissenschaft und Kultur mit.

Diese Mitarbeiter waren:

Univ.-Doz. Dr. Franz Aubele, Fritz Bieler, Bauernbunddirektor Dr. Anton Brugger, Dr. Franz Colleselli, Dr. Lois Ebner, Prof. Dr. Karl Finsterwalder, Friedrich Föger, Univ.-Prof. Dr. Helmut Gams, Univ.-Prof. DDr. Oswald Gschließer, Dr. Friedrich Haider, Dr. Helmut Heuberger, Dr. Hermann Holzmann, Dr. Annemarie Innerebner, Dipl.-Ing. Dr. Georg Innerebner, Univ.-Prof. Dr. Karl Kurt Klein, Dr. Heinrich Klier, Monsignore Prof. Dr. Franz Kolb, Kustos Prof. Dr. Franz Kollreider, Dr. Anton Leiter, Dr. Hans Matscher, Univ.-Doz. Dr. Georg Mutschlechner, Dr. Helmut Nabl, Landtagsabgeordneter Kammeramtsdirektor Dr. Albin Oberhofer, Chordirektor Prof. Rudolf Oberpertinger, Prof. Karl Paulin, Prof. Dr. Oswald Sailer, Dr. Josef Scheidle, Josef Friedrich Scheidle, Univ.-Prof. Dr. Herbert Seidler und Dr. Richard Staffler.

Die Bekenntnisse der Politiker

In kurzen Vorworten legten zwei bedeutende Politiker ein eindeutiges Bekenntnis zu Südtirol und zu den Rechten der Südtiroler ab.

Portraitaufnahme von Heinrich Drimmel

Vorwort DRimmelFranz GschnitzerVorwort GschnitzerWie deutsche Dichter ein Kernland deutscher Kultur sahen

Der Beitrag von Dr. Josef Scheidle: „Berühmte Dichter über Südtirol“, gehört zu den kulturgeschichtlich interessantesten Beiträgen in dem „Südtiroler Heimatbuch“ und soll hier nun folgend in Auszügen wiedergegeben werden.

Der Bericht von Dr. Scheidle beginnt mit

Johann Wolfgang von Goethe (*1749, †1832),

der dreimal nach Südtirol kam. Was Goethe bei seinem ersten Besuch und seiner ersten Fahrt im Jahre 1786 erlebte und empfand, schrieb er in seiner „Italienischen Reise“ ausführlich nieder:

Johann_Heinrich_Wilhelm_Tischbein_-_Goethe_in_der_roemischen_CampagnaAuf dem Brenner, den 8. September (1786) abends

 Hier gekommen, gleichsam gezwungen, endlich an einen Ruhepunkt, an einen stillen Ort, wie ich ihn mir nur hätte wünschen können ... Den Brenner herauf sah ich die ersten Lärchenbäume, bei Schönberg den ersten Zirbel ...

Vom Äußern des Menschengeschlechts habe ich so viel aufgefaßt. Die Nation ist wacker und gerade vor sich hin. Die Gestalten bleiben sich ziemlich gleich: braune, wohlgeöffnete Augen und sehr gut gezeichnete Augenbrauen bei den Weibern: dagegen blonde und breite Augenbrauen bei den Männern. Diesen geben die grünen Hüte zwischen den grauen Felsen ein fröhliches Ansehn

Jetzt sondere ich Iphigenien aus dem Paket und nehme sie mit in das schöne, warme Land als Begleiterin. Der Tag ist so lang, das Nachdenken ungestört und die herrlichen Bilder der Umwelt verdrängen keineswegs den poetischen Sinn, sie rufen ihn vielmehr, von Bewegung und freier Luft begleitet, nur desto schneller hervor.

„Die Nation ist wacker und gerade vor sich hin“
„Die Nation ist wacker und gerade vor sich hin“

Trient, den 11. September 1786 früh.

Nachdem ich völlig fünfzig Stunden am Leben und in steter Beschäftigung gewesen, kam ich gestern Abend um acht Uhr hier an, begab mich bald zur Ruhe und finde mich nun wieder imstande, in meiner Erzählung fortzufahren. Am Neunten abends, als ich das erste Stück meines Tagebuchs geschlossen hatte, wollte ich noch die Herberge, das Posthaus auf dem Brenner, in seiner Lage zeichnen, aber es gelang nicht, ich verfehlte den Charakter und ging halb verdrießlich nach Hause. Der Wirt fragte mich, ob ich nicht fort wollte: es sei Mondenschein und der beste Weg … Die Sonne ließ sich wieder blicken, die Luft war leidlich, ich packte ein, und um sieben Uhr fuhr ich weg. Die Atmosphäre ward über die Wolken Herr und der Abend gar schön ….

Mit Tagesanbruch erblickte ich die ersten Rebhügel. Eine Frau mit Birnen und Pfirsichen begegnete mir; und so ging es auf Teutschen los, wo ich um sieben Uhr ankam und gleich weiter befördert wurde.

 Schloss Tirol

 Nun erblickte ich endlich bei hohem Sonnenschein, nachdem ich wieder eine Weile nordwärts gefahren war, das Tal, worin Bozen liegt. Von steilen, bis auf eine ziemliche Höhe angebauten Bergen umgeben, ist es gegen Mittag offen, gegen Norden von den Tiroler Bergen gedeckt. Eine milde, sanfte Luft füllte die Gegend. Hier wendet sich die Etsch wieder gegen Mittag. Die Hügel am Fuße der Berge sind mit Wein bebaut. Oberlange, niedrige Lauben sind die Stöcke gezogen; die blauen Trauben hängen gar zierlich von der Decke herunter und reifen an der Wärme des nahen Bodens. Auch in der Fläche des Tals, wo sonst nur Wiesen sind, wird der Wein in solchen eng aneinander stehenden Reihen von Lauben gebaut, dazwischen das türkische Korn, das nun immer höhere Stengel treibt. …

Bei heiterem Sonnenschein kam ich nach Bozen. Die vielen Kaufmannsgesichter freuten mich beisammen. Ein absichtliches, wohlbehagliches Dasein drückt sich recht lebhaft aus. Auf dem Platze saßen Obstweiber mit runden, flachen Körben, über die vier Fuß im Durchmesser, worin die Pfirschen neben einander lagen, daß sie sich nicht drücken sollten. Ebenso die Birnen

BozenDie Bozner Messe bewirkt einen starken Seidenvertrieb; auch Tücher werden dahin gebracht, und was an Leder aus den gebirgigen Gegenden zusammengeschafft wird. Doch kommen mehrere Kaufleute hauptsächlich, um Gelder einzukassieren, Bestellungen anzunehmen und neuen Kredit zu geben, dahin. Ich hatte große Lust, alle die Produkte zu beleuchten, die hier auf einmal zusammengefunden werden; doch der Trieb, die Unruhe, die hinter mir ist, lässt mich nicht rasten und ich eile sogleich wieder fort. …

Roveredo, den 11. September abends.  Hier bin ich nun in Roveredo, wo die Sprache sich ab-schneidet.

Die zweite bedeutende Persönlichkeit, die Dr. Scheidle vorstellte, war

Johann Gottfried von Herder (*25. August 1744 in Mohrungen, Königreich Preußen; geadelt 1802, † 18. Dezember 1803 in Weimar)

herderjg

Herder war Dichter, Übersetzer, Theologe sowie Geschichts- und Kultur-Philosoph. Er war einer der einflussreichsten Schriftsteller und Denker deutscher Sprache im Zeitalter der Aufklärung und zählt mit Christoph Martin Wieland, Johann Wolfgang Goethe und Friedrich Schiller zu dem klassischen Viergestirn von Weimar.

Herder unternahm im Jahre 1788 eine Reise nach Italien. Am 1. September hielt er sich in Bozen auf. Von dort schrieb er an seine Frau und sodann an seine Kinder. Das siebenjährige Luischen und der fünf jährige Emil antworteten dem Vater.

 Alle meine lieben Kinder, Gottfried, August, Wilhelm, Adelbert, Luischen und Emil.

Ich bin jetzt nah an den Grenzen Deutschlands und habe die großen Tiroler Berge beinahe zurückgelegt. Es sind hohe Berge; auf einigen war viel Schnee ...

 Bozen b

Jetzt bin ich nun in Bozen, wo heute eine unsägliche Menge Volks ist, weil 19 000 Kinder gefirmelt werden sollen, da der Bischof in vielen Jahren nicht gefirmelt hat ...

Da ist nun vor unserem Wirtshaus ‚Zur Sonne‘ ein solcher Obstmarkt, als ihr in eurem Leben nicht gesehen habt, Birnen, Quetschen, Weintrauben, Nüsse, Feigen: denn hier wachsen schon Feigen, und bald werden wir auch dahin kommen, wo die Pomeranzen- und Zitronen-bäume wachsen. 0h daß ihr hier mit wäret ... Auf den Tiroler Bergen haben wir auch Gemsli springen sehen, auch eins in Innsbruck gegessen und ein zahmes gesehen, das gar niedlich war, seiner Nährerin, einer Bauersfrau, überallhin folgte und so geschlank war, als ich euch allen zu sein wünsche.

58_pala

Lieber Vater. Kommen Sie balt wieder denn wir haben Sie gar lieb und mögen nicht ohne Sie leben. Die Mutter hat uns auf der Landeharde Botzen gezeigt. Wo so Vile Kinder u. so viel Obst waren, da haben wir recht gewünscht bei Sie zu seyn. Jetzt lerne ich das Lied Jesus meine Zuversicht, u. mir beden alle Tage mit der Mutter.

Luise.

Lieber Vater.

Kommen Sie bald u. haben Sie mich lieb, und erzehlen mir von den Gemslis u. da will ich wieder an ihnen hinaufe klettern, u. ich will Sie auch lieb haben, u. wenn Sie kommen, bringen Sie von die schönen Abrilikosen mit.

Dein getreuer Bruder Emil.

Ein weiterer bedeutender Dichter, den Dr. Scheidle vorstellte, war

Johann Ludwig Tieck (* 31. Mai 1773 in Berlin; † 28. April 1853 ebenda)

tieck1773_n

Dieser erholte sich 1805 in Südtirol von einer schwerer Krankheit. Er pries in der Hymne „Bozen“ die Schönheit der Landschaft.

 

Blick von der Seiseralm nach Kastelruth und Bozen
Blick von der Seiseralm nach Kastelruth und Bozen

Welche Wonne!
Unten liegt ein Himmelstal
Im Glanz der reinen Sonne.
Wie der Weg sich senkt,
Rücken neue Hügel, Berge vor –
Rundum Glanz und Farbenpracht.
Am Wege hohe Hecken
Von blühenden Granaten,
Glut auf Glut gedrängt.
Wie voll, wie frisch, wie lachend
Hier Kuß an Kuß
Und Liebesgruß
In grünen Zweigen winkt.

 St Magdalena bei Bz

Die Gefährten wandeln jubelnd
Und werfen die roten Blüten
Lachend dem Kranken zu.
Plötzlich ertönt,
So scharf und voll
Betäubend fast
Ein Chor von grillenden, schrillenden Stimmen.
Das ist der Zikadengesang,
So oft von alten Dichtern gepriesen .
..
Doch ebenso plötzlich
Als es begann,
Verstummt es jetzt.
Und ein liebliches Schweigen
Dehnt sich wollüstig,
Liebesatmend.
Durch den Raum des blauen Himmels,
Durch das blühende Tal
Ober die lachenden Gebirge hin,
Und meine Seele
Strebt vergeblich
Worte zu finden,
Ihr stilles Entzücken
Sich und andern zu sagen.

Josef Viktor von Scheffel (* 16. Februar 1826 in Karlsruhe; † 9. April 1886 ebenda, geadelt 1876),

Scheffel

war ein im 19. Jahrhundert viel gelesener deutscher Schriftsteller und Dichter, Autor von Erzählungen und Versepen sowie mehrerer bekannter Liedtexte. Er war indirekter Schöpfer des Begriffes Biedermeier. Scheffel widmete Schloß Runkelstein bei Bozen im Jahre 1855 folgendes Gedicht, welches hier im „Südtiroler Heimatbuch“ wiedergegeben ist:

Noch heute freut’s mich, 0 Runkelstein,
Daß einstmals zu guter Stunden
In der Talfer felsenges Tal hinein
Zu dir den Weg ich gefunden.
Melodisch scholl aus der Tiefe empor
Des Wildbachs entströmendes Tosen,
Am Burgpfad erblühten im lustigen Chor
Glutnelken und wilde Rosen.
Des Runkelsteins verfallen Gebäu
Weiß nichts von Grämen und Trauern
Der Geist der Dichtung, fröhlich und frei,
Nistet in seinen Mauern.
Herr Konrad Vintler einst oben saß,
Dess‘ Kurzweil war, allerwegen
Beim Klang von Laute und Stengelglas
Der freien Künste zu pflegen.

Runkelstein Gries bei Bozen

Längst war des Minnelieds Glanz vorbei,
Und anderes wollt‘ sich gestalten,
Drum dacht‘ er, ein künstlerisch Konterfei
Entschwundener Pracht zu behalten.
Viel sinnige Maler malten ihm gern
Die Helden der altdeutschen Lieder;
Noch schauen Herr Hagen und Dietrich von Bern
Vom Söller zum Burghof hernieder.
Und Grau in Grau
dort den Saal entlang,
Wer deutet die Gruppen, die holden?
’s ist Gottfrieds von Straßburg minniger Sang
Von Tristan und Isolden,
Tristan und Isolde auf weitem Meer –
Isolde und Tristan im Walde-
Brangäne lächelt
betrüblich sehr
Steht König Marke der Alte .
..
Im Rittersaale am hohen Kamin,
Saß lang ich, in Sinnen versunken,
Und habe im feurigen Wein von Tramin
Des Vintlers Gedächtnis getrunken.
Wer immer ins sonnige Etschland fährt,
Halt‘ Einkehr in diesen Räumen.
Und ist ihm eine Isolde beschert,
Mag er von ihr hier träumen.

Paul Johann Ludwig von Heyse (* 15. März 1830 in Berlin; geadelt 1910; † 2. April 1914 in München)

Heyse

war ein deutscher Schriftsteller, Dramatiker und Übersetzer. Neben vielen Gedichten schuf Heyse rund 180 Novellen, acht Romane und 68 Dramen.

Heyse hielt sich in jüngeren Jahren mit einem kranken Verwandten in Meran auf. Aus diesem Aufenthalt erwuchsen seine „Meraner Novellen“. Nachstehende Schilderung stammt aus der Novelle „Die Unheilbare“:

Küchelberg Meran

Ich ging die engen Gäßchen entlang bis zu dem alten Tore, das unter einem verwitterten und von Franzosenkugeln genarbten Turme ins Passeiertal hinausführt. Wie aber da sich Nähe und Ferne vor einem auftut, das ist zum Erschrecken schön und groß und fremdartig. Ich saß wohl eine halbe Stunde auf einem Stein dicht neben dem Tor, wo der steile Pfad gerade hinaufführt auf den Küchelberg und zu dem alten Pulverturme droben, der jetzt ganz friedlich, wie ein ausgedienter Invalide, die Rebengärten bewacht.

Die Zenoburg bei Meran
Die Zenoburg bei Meran

Da sah ich, mir gegenüber auf einem Felsenvorsprunge, der aus dem Küchelberg ins Tal der Passer hinaustritt, die Trümmer der Zenoburg und überlegte, ob ich wohl die Kraft hätte, mich die breite Straße bis hinauf zu schleppen, oder mich begnügen sollte, über die steinerne Brücke ans andere Ufer zu kommen, wo man das freundliche Obermais herüberwinken sieht. Eine Frau kam gegangen, die Pfirsiche und Weintrauben im Korb auf dem Kopfe trug. Der kaufte ich einige ab, aß und fühlte mich sehr gestärkt. So machte ich mich auf den Weg, stand alle drei Schritt und sah zur Passer hinab, die so blau und dann wieder mit weißem Schaum tief unter dem Brückenbogen durchfließt.
Wie kühn und traulich zugleich hangen die Weingeländer an den schroffen Uferfelsen, wilde Feigenbäume mit zahllosen schwarzen Früchten, dazwischen das lebendige Wasser, in Rinnen herabgeleitet, kühlt das Laub und treibt hie und da im Vorbeigehen ein Rad, von der Tiefe herauf heben sich die hohen Stämme der Nußbäume und edlen Kastanien, eine unerschöpfliche Triebkraft und Freudigkeit der Natur, wohin man blicken mag.
Besonders auch weidete ich die Augen recht an der kräftigen, bald tiefbräunlichen, bald silbergrauen Farbe des Felsens; und wie malerisch es sich ausnahm, die Menschen in ihrer schönen Tracht den schroffen Küchelberg heruntersteigen oder einen Wagen, vielmehr eine zweirädrige Schleife, mit starken, weißgrauen Ochsen bespannt und mit Rebenlaub beladen, von der Zenoburg herabfahren zu sehen, das alles unter einem Himmel, den ich bisher immer nur für eine schöne Fabel der Maler und Dichter gehalten hatte.

Dies war nur eine Auswahl von Dichtern, die Südtirol geliebt und besungen haben und deren Stimmen uns Dr. Josef Scheidle im „Südtiroler Heimatbuch“ weiter vermittelt hat.

Die Forderungen der heutigen Zeit

Es stünde den heutigen regierenden Politikern der „Südtiroler Volkspartei“ (SVP) gut an, die Verbundenheit zu dem gesamten deutschen Kulturraum zu pflegen und vor allem zu dem Vaterland Österreich. Sie sollten auch von den österreichischen Politikern Solidarität einfordern. Der Hinweis auf das damalige so vorbildliche „Südtiroler Heimatbuch“ kann ihnen hier Anregung und Mahnung sein.

Vor allem sollte der Landeshauptmann Arno Kompatscher von seinen Parteifreunden diesbezüglich in die Pflicht genommen werden. Ein eigener Anstoß ist von ihm wohl kaum zu erwarten.

Es muss doch auch in der SVP noch Leute geben, die ihm klar machen können, dass man seinem Land nicht dient, indem man österreichische Unterstützer des Selbstbestimmungsrechts öffentlich beleidigt und ihnen politischen Misserfolg wünscht.

Es muss in der SVP doch noch Leute mit Tiroler Gesinnung geben, die Kompatscher sagen können, dass es falsch ist, ständig auf den Knien nach Rom zu rutschen und ausgerechnet die italienische Partisanen-Vereinigung zu beauftragen, federführend den Zeitgeschichtsunterricht an Südtirols Schulen mit zu gestalten.

Diese Leute werden nämlich der Südtiroler Jugend alles andere als die Verbundenheit mit dem Vaterland Österreich nahe bringen wollen!