Ein Fest der Freiheit
Rückblick auf den Unabhängigkeitstag in Bruneck
Der SID-Schriftleiter Georg Dattenböck und der deutsch-österreichische Publizist Reynke de Vos blicken in ihren Beiträgen auf ein Ereignis zurück, welches sie tief bewegt hat.
Ein SID-Videobericht liefert Eindrücke des am 14. Mai von mehr als 10.000 begeisterten Menschen besuchten Freiheitsfestes. Vor allem die Jugend hat das Treffen in der alten Stadt Bruneck zu einer Feier der Lebensfreude und fröhlichen Zuversicht gemacht.
Erlebnis Bruneck, Pfingsten 14. Mai 2016
von Georg Dattenböck
Nachdem ich bereits 2013 beim Unabhängigkeitstag in Meran dabei und vom damals Erlebten tief beeindruckt war, fuhr ich auch diesmal wieder, trotz aller unerfreulichen Vorwarnungen der Wetterfrösche wegen einer Schlechtwetterfront über Pfingsten, mit großer Vorfreude nach Bruneck.
Allein schon die herzliche Begrüßung in meinem Quartier durch ein junges Ehepaar mit ihren Kleinkindern im Arm steigerte meine schon immer vorhandene Sympathie für unsere Landsleute südlich des Brenners. Die stille Weite und grandiose Schönheit des Pustertales, die hoch an den Berghängen klebenden Bauernhöfe, die gelbgrünen, satten Wiesen und im schönen Kontrast dazu die dunklen Felder und Wälder, lassen immer wieder den Wunsch hochkommen, sich hier niederzulassen.
Beim aufmerksamen Betrachten der heimischen Gesichter in den Dörfern wird der Geschichtskundige immer wieder daran erinnert, daß sich erhebliche Teile der geschlagenen Goten, als sie am Beginn des 5. Jahrhunderts im Etsch- und Eisacktal nach Norden und weiter in das Pustertal zogen, sich hier für immer niederließen.
Der Unabhängigkeitstag begann mit einer Überraschung: die Wetterfrösche hatten sich alle geirrt, es sah so aus, als würde es nicht regnen und eher heiteres Wetter herrschen. Hoffentlich, so mein heimlicher Wunsch am frühen Morgen, lassen sich die Vinschgauer, die Passeirer, die Sarntaler und alle Anderen in den westlichen Landesteilen nicht von den Wettervorhersagen abschrecken – sie ließen sich nicht!
Der Platz vor dem Rathaus füllte sich immer mehr, vor allem mit jüngeren Tirolern und ihren Kindern, welche die Hüpfburg am Eingang des Platzes in großer Zahl lebhaft besetzten. Ein sicherlich zwanzig Meter langes Transparent, bereits beim Betreten des Platzes unübersehbar angebracht, verkündete die den Tag beherrschende Parole.
Die politischen Gruppierungen des Landes hatten ihre Info-Stände aufgestellt, bei näherer Betrachtung fehlte mir ein Stand, der in Meran noch zu sehen war: jener der SVP. Mir konnte niemand erklären, warum. Ich war ob dieser demonstrativ negativen Haltung gegenüber den Veranstaltern sehr verwundert.
Der Platz füllte sich immer mehr, vor allem fielen die vielen Flaggen aus Flandern sofort auf, auch jene von Venedig und vor allem, das war die Überraschung, die große Zahl der Welschtiroler mit ihren unübersehbaren Fahnen, die aber auch mit ihrer Bekleidung und den darauf zu lesenden Sprüchen eindeutige Bekenntnisse zu ihrer Tiroler Identität ablegten.
Ein gut deutschsprechender Mann aus Trient erklärte mir auf Befragen, daß das große Unrecht der gewaltsamen Zerreißung und Trennung von Tiroler Landesteilen ein baldiges Ende finden wird, denn auch bei ihm daheim beginnen immer mehr junge Menschen ihre kulturellen Wurzeln wieder zu entdecken und das historische Tirol von Kufstein bis zur Berner Klause wird wieder entstehen, davon seien er und alle hier Angereisten fest überzeugt!
Volkstanzgruppen, Aperschnalzer, Alphornbläser, böhmische Blasmusik und eine patriotische junge Rockband bereicherten mit ihren Auftritten das vielfältige kulturelle Programm und um die Mittagszeit fand auch noch ein Staffellauf statt, an dem auch zu meiner großen Überraschung der Freiheitliche Pius Leitner teilnahm, er erreichte mit seiner Gruppe den 14. Platz. Man sah viel Politprominenz am Platz u.v.a. sah man den Südtirol-Sprecher der Freiheitlichen Partei, Werner Neubauer, Eva Klotz, Sven Knoll, Heimatbundobmann Roland Lang und Andreas Pöder.
Die kurzen Reden von Sprechern aus Flandern, aus Schottland, dem Baskenland und Katalonien, die den Anwesenden das brüderliche Zusammenstehen der ethnischen Minderheiten bei ihrem Kampf für Freiheit und Unabhängigkeit nahebrachten, wurden von den vielen tausenden Zuhörern mit großem Beifall und Zurufen bedacht.
Der Höhepunkt des Tages war die hochpolitische Rede des Landeskommandanten der Schützen, Elmar Thaler. Er zeigte schonungslos das Versagen der politisch Verantwortlichen auf, er verwies eindringlich auf die gewaltigen Sorgen der Arbeitnehmer und der heimischen Wirtschaftstreibenden mit dieser italienischen Republik, die ein Fass ohne Boden ist und immer mehr wird, Thaler stellte auch die Heuchelei der EU an den Pranger, immer wieder unterbrochen durch den brausenden Beifall und Sprechchören! Italien sei nicht unser Staat und werde es auch nie werden, so der Kommandant der Schützen.
An diese mich sehr beeindruckende Rede folgte der Marsch zur Altstadt von Bruneck und von dort zurück zum Rathausplatz. Der vorsichtigen Schätzung nach zogen acht bis zehntausend Teilnehmer hinter einem breiten Transparent her, daß die Vertreter der einzelnen Volksgruppen und mit dem Schützenkommandanten und dem mit tausenden wehenden Fahnen nachmarschierendem Zug voran trugen. Immer wieder hörten die Brunecker den Ruf der Masse: „Los von Rom“ und die flandrischen Trommler unterstützen diese Parole sehr nachdrücklich.
Bei der Heimreise bewegte mich u.a. die Frage, ob diese große Willenskundgebung der Schützen auch ihren Niederschlag in der Berichterstattung der Massenmedien finden werde. Verschweigen und Totschweigen ist die heutige Methode der Zensur.
Der „Unabhängigkeitstag“ in Bruneck
Eine Nachbetrachtung von Reynke de Vos
„Das schönste deutsche Land liegt am Brennerhang. Uns genommen durch Kriegsrecht, uns geblieben durch Menschenrecht. Keiner kann es entfremden, keiner darf es enteignen. Dies deutsche Sprachland; dies deutsche Weinland; dies deutsche Blumenland; dies deutsche Lichtland. Der Ruf soll ergehn: ,Heraus damit!’ – solange noch unsereins Worte hat; und eine Feder; und eine Sehnsucht; und einen Willen.“ Was der Schriftsteller Alfred Kerr Ende der 1920er Jahre in Worte fasste, galt dem im schändlichen Friedensvertrag von Saint-Germain-en-Laye Italien zugesprochenen südlichen Teil Tirols. Im Gegensatz zu heute wusste man damals noch, dass des Dichters „deutsch“ Sprache und Kulturgemeinschaft meinte, nicht national(staatlich)es Terrain.
Und dass das Land unterm Brenner, als Teil des Habsburger Kronlandes Tirol, zu Österreich gehörte und Italien, das 1915 die Seiten gewechselt und es 1918 trotz Abschluss des Waffenstillstandes kurzerhand annektiert hatte, im Pariser Vorortvertrag vom 10. September 1919 als Kriegsbeute zugesprochen ward.
Dort verblieb es auch nach dem Zweiten Weltkrieg und firmiert seitdem als „Provincia Autonoma die Bolzano-Alto Adige“, wenngleich die gesamte Tiroler Bevölkerung in Unterschriftensammlungen Manifestationen des Zusammengehörigkeitswillens dokumentierte und jüngste demoskopische Befunde in Südtirol sowie in Österreich den Wunsch nach Abhaltung eines Referendums über die Zukunft untermauern. Nie wurde den zwischen Brenner und Salurner Klause, zwischen Reschen und Dolomiten lebenden Menschen die Möglichkeit zuteil, gemäß dem Selbstbestimmungsrecht über ihre territoriale Zugehörigkeit, mithin die Eigenständigkeit ihre Heimat zu befinden.
Maßgeblichen politischen Verantwortungs- und Entscheidungsträgern kam der Begriff Selbstbestimmung seinerzeit inflationär über die Lippen, als es ihnen um die gesetzliche Regelung der fallweisen Unterbrechung weiblicher Fertilität zu tun gewesen ist. In unserem Sinne bemüh(t)en sie sich tunlichst darum, die Erwähnung des Selbstbestimmungsrechts zu vermeiden.
Für die österreichische Außenpolitik und die Mehrheit des Nationalrats gilt die Autonomie Südtirols ausweislich einer parlamentarischen Resolution vom Juli 2015 sozusagen als eine Art bereits vollzogener besonderer Form der Selbstbestimmung. Und als „Ewiggestrige“ – laut Außenminister Sebastian Kurz, dem sich SPÖ, ÖVP, Grüne, Neos und deren Pendants in Innsbruck und Bozen beflissen anschließen – ,wer diesem völkerrechtlich verkürzten geistig-politischen Tiefflug nicht zu folgen bereit ist.
Das sind viele, wie sich stets erweist. Soeben legten in Bruneck mehrere tausend Menschen auf einer von der „Arbeitsgemeinschaft iatz!“ (iatz = jetzt) des Südtiroler Schützenbundes (SSB) organisierten, volksfestartigen Zusammenkunft ein Bekenntnis zum Beschreiten des Weges ab, der zur Unabhängigkeit ihrer Heimat führen soll. Wen wundert’s, dass sich unter der Parole „Los von Rom“ nicht nur Tiroler von diesseits und jenseits des Brenners, sondern auch Vertreter von Venetianern, Triestinern, Lombarden, Friulanern und Sizilianern im Pustertal einfanden, sondern auch Basken und Katalanen sowie Flamen und Schotten, deren „Los von …“ den Hauptstädten Madrid, Brüssel und London gilt.
Für Manu Gomez hat das Referendum von Arrankudiaga (November 2014) zwar nicht die Unabhängigkeit des Baskenlandes gebracht, zumal das spanische Verfassungsgericht bisher jede derartige Regung als verfassungswidrig verwarf. Dennoch sei damit ein Schneebrett losgetreten worden, welches zur Lawine anwachse.
Shona McAlpine von der 2012 gegründeten Bewegung „Frauen für die Unabhängigkeit“ aus Glasgow wies darauf hin, dass beim Referendum 2014 nur wenig fehlte, um aus Schottland einen unabhängigen Staat zu machen. Dennoch habe sich seitdem politisch einiges ereignet. So haben in der Wahl zum schottischen Regionalparlament unlängst die Unabhängigkeitsbefürworter abermals die Mehrheit der Sitze errungen. Die dominante Nationalpartei SNP will über das „Los von London“ sofort wieder eine neuerliche Volksabstimmung ansetzen, sollten sich die Briten am 23. Juni mehrheitlich gegen den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union (EU) aussprechen. In Edinburgh hingegen ist man klar gegen den „Brexit“.
Die Katalanin Anna Arqué, die schon auf dem ersten derartigen „Unabhängigkeitstag“ (Mai 2013) in Meran sowie anlässlich der dortigen Andreas-Hofer-Feier im Februar 2016 eine beeindruckende Rede gehalten hatte, bezeichnete jetzt in Bruneck Politiker, „die vor den Nationalstaaten auf die Knie fallen und das internationale Recht auf Selbstbestimmung verneinen“, als „Gefahr für die Demokratie“.
Und Bart De Valck, Vorsitzender der Vlaamse Volksbeweging (VVB; flämischen Volksbewegung) stellte die volklich-nationale Eigenständigkeit über den (dieser meist entgegengehaltenen) Primat der Wirtschaft: „Ohne Eigenständigkeit gibt es keine Grundlage für Wohlstand und Wohlergehen“.
Unter dem Motto „Heimat in Bewegung – Los von Rom“ zogen dann Tausende durch Bruneck, wo sich dem Auge ein beeindruckendes Fahnenmeer zeigte. Immer wieder von Beifall unterbrochen indes die Abschlussrede Elmar Thalers. Der Landeskommandant der Südtiroler Schützen und Hauptorganisator des „Unabhängigkeitstags“ wies eindrücklich darauf hin, wie sehr Südtirol von Rom abhängig sei, das in den letzten Jahren die in ganz Europa wider besseres Wissen als „Modell“ angepriesene Autonomie sukzessive entwerte. „Wir haben ein starkes Vaterland, und wir sind ja nach wie vor − zumindest kulturell − ein Teil Österreichs“, und genau da gelte es anzuknüpfen und weiterzudenken, denn „die fertige Lösung, das perfekte Rezept für die Unabhängigkeit für unser Land“ gebe es nicht.
„Niemand weiß, was er kann, bevor er’s versucht, und niemand weiß, was er erreichen kann, wenn er nicht nach mehr strebt“, rief Thaler in die begeisterte Menge und forderte von seinen Landsleuten mehr Mut: „Wer etwas schaffen will, der muss zuversichtlich sein, der muss anpacken wollen, der muss etwas wagen“. Unrechtsgrenzen könnten in Europa auf friedlichem Wege korrigiert werden, das habe die Geschichte bereits gelehrt. Auch Deutschland sei unerwartet und entgegen allen Voraussagen wieder vereinigt worden.
„Es braucht den Mut zum Bekenntnis, denn nichts ist für immer, und nichts ist für die Ewigkeit“, lautet(e) denn auch das Fazit des Veranstalters für den „Unabhängigkeitstag“, der trotz niedriger Temperaturen volksfestartigen Charakter trug. Für tolle Stimmung sorgten Volkstanz- und Schuhplattlergruppen, Alphornbläser, Schwegler, Trommler, Goaßlschnöller, Ziehorgl-Spieler und nicht zuletzt die Musikkgruppen „Volxrock“ sowie „Die Seer“.
Einen außergewöhnlichen Festbeitrag leistete der Südtiroler Heimatbund (SHB). Sein Heißluftballon trug den Schriftzug „Freiheit und Unabhängigkeit“ in die Lüfte. Der SHB wollte damit nach Aussage seines Obmanns (Vorsitzenden) Roland Lang „das Freiheitsstreben der Tiroler und aller anderen fremdbestimmten Volksgruppen unterstützen“.
Wenn sie, wie in Bruneck, ihren Weg mit Einsatz und Klugheit unerschrocken weiter beschreiten, dürfte sich ihre Hoffnung über das philosophische Prinzip des Ernst Bloch hinaus in ein erreichbares Ziel verwandeln lassen.