Sepp Kerschbaumer-Gedenken in St. Pauls
Bild: Südtiroler Schützenbund
Am Donnerstag, den 8. Dezember 2022, wurde in St. Pauls traditionsgemäß der verstorbenen und lebenden Tiroler Freiheitskämpfer der 1960er Jahre gedacht.
Rund 2.000 Marketenderinnen, Schützen und Tiroler Landsleute waren der gemeinsamen Einladung des Südtiroler Heimatbundes und des Südtiroler Schützenbundes gefolgt.
Sie gedachten des Gründers des „Befreiungsausschusses Südtirol“ (BAS), des Frangarter Kaufmannes Sepp Kerschbaumer, und seiner Kameraden wie Franz Höfler, Anton Gostner, Luis Amplatz, Jörg Klotz und Kurt Welser.
Die Feier begann mit der Frontabschreitung der Schützen durch den Bürgermeister von Eppan, Wilfried Trettl, den Landeskommandanten des Südtiroler Schützenbundes, Major Roland Seppi, den Obmann des Südtiroler Heimatbundes (SHB), Roland Lang und den Gedenkredner, Ehrenlandeskommandant Major Elmar Thaler.
Die Musikkapelle Frangart begleitete anschließend die Marketenderinnen und Schützen durch die Gassen von St. Pauls zum Kirchgang in die Pfarrkirche. Pater Reinald Romaner zelebrierte die Heilige Messe und würdigte die christliche Lebensführung Sepp Kerschbaumers.
Nach dem Kirchgang marschierten die Teilnehmer zum Friedhof, wo er SHB-Obmann Roland Lang die Anwesenden begrüßte. Neben den Schützen waren auch viele Teilnehmer aus der Zivilbevölkerung der Einladung gefolgt. Die starke Teilnahme breiter Bevölkerungsschichten unterstreicht, dass die Verdienste von Sepp Kerschbaumer und seine Mitstreiter für unser heutiges Südtirol breite Anerkennung finden und unbestritten sind.
Der Ehrenlandeskommandant und Gedenkredner Elmar Thaler unterstrich in seiner Rede die Bedeutung des Opfertodes Sepp Kerschbaumers für die Geschichte Südtirols. Es gehe nach wieder darum, Einsatz für die Heimat zu zeigen und sich Sepp Kerschbaumer zum Vorbild zu nehmen.
Auch der Landeskommandant des Südtiroler Schützenbundes, Schützenmajor Roland Seppi, würdigte Kerschbaumer und seine Kameraden.
Im Anschluss der Gedenkrede spielte die Musikkapelle Frangart das Lied vom „Guten Kameraden“.
Die Ehrensalve feuerte die Schützenkompanie Sepp Kerschbaumer Eppan ab. Abgeschlossen wurde die sehr würdige Gedenkfeier mit der Tiroler Landeshymne und der österreichischen Bundeshymne.
Ansprache von Roland Lang, Obmann des „Südtiroler Heimatbundes“ (SHB)
„Ich begrüße alle Tirolerinnen und Tiroler, Marketenderinnen und Schützen aus allen Teilen Tirols, Heimatbundmitglieder und Volksvertreter!
En salüde y benodü a düc i scizeri y la jont de dötes les vals dla Ladinia.
Un Benvenuto ai Tirolesi di madrelingua italiana, alle Marketenderinnen e ai Schützen! Anche a tutti gli altri amici! Grazie per la vostra partecipazione.
Liebe Landsleute!
Jedes Jahr kommen wir zu diesem würdigen Gedenken an Sepp Kerschbaumer zusammen. Wir erinnern uns eines beispielhaften Mannes, der sein Leben selbstlos in den Dienst der Heimat stellte und Opfer der Staatsgewalt wurde.
Wir verneigen uns vor Frauen und Männern, die alles für die Heimat opferten.
Einige Tage nach der Sepp-Kerschbaumer Gedenkfeier des vergangenen Jahres hat der italienische Staatspräsident den Pusterer Bua Heinrich Oberleiter begnadigt.
Willkommen Heinrich in der Heimat, für die Du so viele Opfer und Entbehrungen in Kauf genommen hast!
Aber Sepp Forer und Siegfried Steger dürfen noch immer nicht einreisen. Wo bleibt der Einsatz unserer Politiker für eine Generalamnestie?
In diesem Jahr jährte sich zum 100. Mal die Machtergreifung des Faschismus.
Dem Faschismus war jedes Mittel Recht, die Südtiroler zu schikanieren bzw. ihre Identität auszulöschen. Höhepunkt war das mit Hitler-Deutschland ausgehandelte Optionsabkommen.
Auch Sepp Kerschbaumer bekam die faschistische Unterdrückung am eigenen Leib zu spüren: Bei einem Wiesenfest 1934 in St. Pauls sang er mit anderen Jugendlichen Tiroler Lieder. Der faschistische Präfekt Mastromattei hatte ihn daraufhin nach Süditalien verbannt. Erst im Spätherbst 1935 kam der 22-jährige junge Kaufmann Sepp Kerschbaumer von seiner ersten Verurteilung wieder nach Hause.
Beinahe auf den Tag genau 100 Jahre später hat Italien wieder eine Rechtsregierung. Bedenklich waren bereits die ersten Personalentscheidungen der Wahlsiegerin Meloni. So unter anderem, dass Ignazio La Russa Senatspräsident geworden ist – ein Mann, der stolz darauf ist, dass in seinem Wohnzimmer eine Mussolini-Statue steht.
Der SHB hat im Juli 2022 in einer Italienweiten Umfrage zum hundertsten Jahr der Machtergreifung des Faschismus seine Befürchtungen bestätigt erhalten: Mehr als die Hälfte der Befragten, 55,8%, erklärten, dass der Faschismus in Italien immer noch nicht aufgearbeitet ist.
Einhellig mit mehr als 85% die Verurteilung einiger Verbrechen der Faschisten, wie Konzentrationslager, Rassengesetze und Giftgas. Auch die Unterdrückung der Minderheiten wird mit 87 % verurteilt.
Aber bei Südtirol und den faschistischen Relikten wackelt der zur Schau getragene Antifaschismus: Mehr als die Hälfte der Befragten sehen das Siegesdenkmal, Beinhäuser und die Relikte als Zeichen der italienischen Italianità, die die Südtiroler gefälligst zu respektieren haben.
Südtirols Schützen haben gemeinsam mit dem Heimatbund und vielen Demokraten am 1. Oktober in Bozen ein klares Zeichen gegen den Faschismus gesetzt. Vielen Dank dafür!
Vergessen wir nicht: Meloni trat als 15-Jährige in die Jugendorganisation des Movimento Sociale Italiano (MSI) ein, einer Partei, die nach dem zweiten Weltkrieg von Faschisten gegründet worden war. 2012 gründete sie dann die Partei Fratelli d’Italia, die in ihrem Symbol noch heute eine Flamme hat, welche an das Grab Mussolinis erinnert. Meloni betonte immer wieder, dass sie stolz auf das Wappen sei.
Italien hat vor 45 Jahren, am 25. Oktober 1977, mit Gesetz Nr. 881 die UNO-Menschenrechtspakte ratifiziert und damit zu geltendem staatlichem Recht erklärt.
Artikel 1 besagt: „Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechtes entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung.“
Außerdem erklärte damit Italien, die in diesem Pakt anerkannten Rechte zu achten und sie allen in seiner Herrschaftsgewalt unterstehenden Personen zu gewährleisten.
Wann will Italien diese Verpflichtung endlich einhalten? Wir werden Rom jedenfalls immer wieder daran erinnern und es immer wieder neu fordern! Das sind wir all jenen schuldig, die wie Kerschbaumer alles für die Heimat gegeben haben!
Ich ersuche nun den Ehrenlandeskommandant Elmar Thaler um die Gedenkrede
Ich möchte nun Pater Reinald Romaner um ein Gebet bitten.“
Zur Erinnerung:
Das Leben Sepp Kerschbaumers
Sepp Kerschbaumer wurde am 9. November 1913 in Frangart bei Bozen geboren. Am 10. September 1934 wurde der 22 Jahre alte Kaufmannsohn, wie damalige Zeitungsberichte belegen, mit weiteren 9 Burschen und zwei Mädchen von Geheimagenten und Carabinieri verhaftet und in Ketten in das Bozner Gefängnis eingeliefert. Die Jugendlichen wurden beschuldigt, am Tag vorher, am Sonntag, den 9. September, beim Wiesenfest der Musikkapelle St. Pauls verbotene deutsche Lieder gesungen zu haben.
Mitte Oktober 1934 wurden die Burschen und Mädchen ohne Verteidigung von der faschistischen Verbannungskommission einvernommen und verurteilt. Die beiden Mädchen wurden für fünf Jahre unter Polizeiaufsicht gestellt. Die zehn Burschen wurden zu mehreren Jahren Verbannung nach Süditalien verurteilt. Sepp Kerschbaumer war zu zwei Jahren Verbannung nach Lagonegro in Süditalien verurteilt worden.
Ab 1957 protestierte Kerschbaumer mit Flugzetteln gegen die fortgesetzte faschistische Politik der Unterdrückung und geförderten Massenzuwanderung aus dem Süden. Er hisste die verbotene Tiroler Fahne auf dem Kirchturm in Frangart und letztendlich gründete er zusammen mit verzweifelten Landsleuten, die keinen anderen Ausweg mehr sahen, den „Befreiungsausschuss Südtirol“ (BAS).
Es kam zu den Verzweiflungsanschlägen der Herz-Jesu-Nacht des Jahres 1961, die letztlich auf lange Sicht eine gewaltige Wende in der Politik einleiten sollten, zunächst aber zu Massenverhaftungen und schweren Folterungen führten.
Verhaftung und Folterung Sepp Kerschbaumers
Am 15. Juli 1961 wurde der Gründer und Kopf des Befreiungsausschusses Südtirol (BAS), der Frangarter Gemischtwarenhändler und Kleinbauer Sepp Kerschbaumer, verhaftet, in die Carabinieri-Kaserne von Eppan gebracht und schwerstens misshandelt.
Der ebenfalls verhaftete Josef Fontana aus Neumarkt im Unterland wurde Sepp Kerschbaumer am 17. Juli 1961 um 17 Uhr abends gegenübergestellt. Der Eindruck, den Kerschbaumer auf ihn machte, konnte er kaum in Worte fassen. Was er sah, war „ein Mensch in seiner tiefsten Erniedrigung.“ (Josef Fontana / Hans Mayr: „Sepp Kerschbaumer“, Bozen 2000, S. 146)
Sepp Kerschbaumer hat das, was mit ihm geschehen war, am 4. September 1961 in einem Schreiben geschildert, welches keinen Adressaten trug und aus dem Gefängnis hinaus geschmuggelt und der Südtiroler Volkspartei übergeben wurde.
Der Brief liegt heute im Südtiroler Landesarchiv in Bozen unter den Archivalien der Südtiroler Volkspartei.
Der Brief lautet:
„Gefängnis Bozen, 4. September 1961
Schildere hier die Mißhandlungen, die ich beim Verhör durch die Karabinieri von Eppan und dort selbst erleiden mußte. Sofort nach der Verhaftung am 15. Juli 1961 als ich in der Frühe um 6-7 Uhr in die Kaserne eingeliefert wurde, wurden an mich verschiedene Fragen gestellt die ich verneinte.
Daraufhin wurde ich in ein anderes Lokal geführt, wo ich sofort mit Hände hoch stehen mußte, in dieser Position mußte ich von 7 Uhr früh bis 2 Uhr Nachmittag, um welche Zeit ich dann bis 6 Uhr abends in die Zelle gesperrt wurde. Dann ging es wieder von 6 Uhr abends bis 3 Uhr in der Früh gleich wie zuvor.
So mußte ich im ganzen 16 Stunden mit erhobenen Händen stehen. Als ich die Arme nicht mehr ganz in die Höhe halten konnte, riß man sie mir wieder empor, zu alldem wurde ich in dieser Zeit immer wieder im Gesicht in der Brust und am Rücken mit der flachen Hand oder den Fäusten geschlagen, zudem wurde ich immer wieder auf das gemeinste verspottet, nicht nur ich, sondern besonders auch unser ganzes Volk samt Führung, in der letzten Zeit der Mißhandlung war ich so mit meinen Kräften darnieder, daß ich mich nur mehr mit der größten Mühe aufrecht erhalten konnte.
Ich schwitzte und zitterte am ganzen Leibe und war so erschöpft, daß ich nur mehr einen Wunsch hatte, nämlich zu sterben. Als ich den Karabinieri sagte, sie sollen mich frisch umbringen, wurden sie erst recht prutal.
Beim späteren Verhör wurde mir immer wieder mit der Streckbank gedroht.
Dies entspricht alles der reinen Wahrheit und ich kann es gar nicht so schrecklich schildern, wie es in Wirklichkeit sich alles zugetragen hat.
Sepp Kerschbaumer, geb. am 9. 11. 1913 in Frangart“
(Wörtliche Wiedergabe des Originalbriefes. SVP-Archivalien, Landesarchiv Bozen)
Mit ihm sein Land Tirol
Im Ersten Mailänder Südtirolprozeß im Jahre 1964 wuchs Sepp Kerschbaumer als Hauptangeklagter über sich hinaus.
Er verwandelte das Gerichtsverfahren in ein Tribunal über die römische Politik in Südtirol und er beeindruckte damit nicht nur die deutschen und österreichischen Medien, sondern auch die Weltpresse.
Sepp Kerschbaumer wurde in Mailand am 16. Juli 1964 zu 15 Jahren und 11 Monaten Haft verurteilt und nach dem Prozess in das Gefängnis von Verona verlegt. Dort starb er am 7. Dezember 1964 im Alter von 51 Jahren – viel zu früh – der Herztod, für den wohl auch die erlittene Folter mit ursächlich gewesen war.