Nicht auf den Knien nach Rom!

Eine Dokumentation

Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte das nunmehr „demokratische“ Italien ungeniert die alte faschistische Entnationalisierungspolitik weiter betrieben. Eine gesteuerte Masseneinwanderung von Italienern aus dem Süden sollte die Südtiroler im eigenen Land zur entrechteten Minderheit machen, welche durch polizeistaatliche Maßnahmen und durch Terror wehrlos gemacht werden sollte. In den 1960er Jahren hatten junge Südtiroler dagegen einen Widerstandskampf geführt.

Heinrich Oberleiter aus dem Ahrntal war einer dieser Widerstandskämpfer gewesen.

Die Widerstandsgruppe der „Pusterer Buam“, zu denen Heinrich Oberleiter gehörte, kleidete sich wie die altösterreichische Gebirgstruppe. Das rechte Bild zeigt Heinrich Oberleiter heute.
Die Widerstandsgruppe der „Pusterer Buam“, zu denen Heinrich Oberleiter gehörte, kleidete sich wie die altösterreichische Gebirgstruppe. Das rechte Bild zeigt Heinrich Oberleiter heute.

Er hatte aus der eigenen Heimat flüchten müssen. In einem menschenrechtswidrigen Abwesenheitsprozess aufgrund der beibehaltenen faschistischen Strafprozessordnung war er zuerst zu einer langjährigen Haftstrafe und dann in zweiter Instanz zu zweimal lebenslanger Haft verurteilt worden. Von seiner Verurteilung erfuhr er nur aus der Zeitung, ein Urteil hat er nie erhalten.

Er lebt heute in Deutschland und kann wahrscheinlich nur noch im Sarg in seine Heimat zurückkehren.

So beurteilte damals die Südtiroler Tageszeitung „Dolomiten“ das Verfahren gegen die „Pusterer“.
So beurteilte damals die Südtiroler Tageszeitung „Dolomiten“ das Verfahren gegen die „Pusterer“.

Abgelehnte Ehrenbürgerschaft

Ende des Jahres 2015 hatten die beiden Ahrntaler Gemeinderäte der „Süd-Tiroler Freiheit“ (STF), Erich Kaiser und Benjamin Rauchenbichler, den Beschlussantrag eingebracht, Heinrich Oberleiter die Ehrenbürgerschaft der Gemeinde zu verleihen. Am 21. Dezember 2015 lehnte die SVP-Mehrheit im Gemeinderat gegen die Stimmen der Ahrntaler Bürgerliste und der „Süd-Tiroler Freiheit“ diesen Antrag ab.

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In einer Presseaussendung hielt der Gemeinderat Benjamin Rauchenbichler von der „Süd-Tiroler Freiheit“ fest:

Es war dies ein Versuch, eine Persönlichkeit zu ehren, welche sich in aufopferungsvoller Weise für seine Heimat und Gemeinde eingesetzt hat und dabei seine persönlichen Bedürfnisse zurückgestellt hat. Daraus resultiert die bis heute andauernde Verurteilung durch den Staat Italien, welcher es Heinrich Oberleiter bis heute nicht ermöglicht, in seine Heimat einzureisen, ohne verhaftet zu werden.

Da die Gemeinde als öffentliches Organ gegen diesen Zustand nichts auszurichten vermag, wurde der Versuch gestartet, Heinrich Oberleiter wenigstens ein Zeichen der Anerkennung zu geben.

Nachdem bereits der Süd-Tiroler Landtag mittels Begehrensantrag beschlossen hat, den Staatspräsidenten und Justizminister um die Begnadigung der Freiheitskämpfer der 60er Jahre zu ersuchen, ist es umso verwunderlicher, dass dieser unser Schritt abgelehnt wurde.

Bereits im Vorfeld der Gemeinderatsitzung haben die 6 Gemeinderäte der Bürgerliste ihre Zustimmung für den Beschlussantrag öffentlich gemacht und mit beiligendem Schreiben begründet. Trotz dieser Stimmen und den Stimmen der Einbringer, wurde der Beschlussantrag jedoch mit 8 Ja Stimmen und 10 Nein Stimmen abgelehnt.

Es ist bedauerlich, dass es der Gemeinderat für nicht notwendig erachtet, eine verdiente Persönlichkeit zu ehren, welche sich für das Wohl der Gemeinde und des gesamten Landes Süd-Tirol eingesetzt hat.

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Gemeinderat Süd-Tiroler Freiheit Gemeinde Ahrntal“

Initiative für ein Gnadengesuch

Im Frühjahr 2016 forderten die STF-Gemeinderäte, dass die Gemeinde bei dem italienischen Staatspräsidenten ersuchen sollte, nach einem halben Jahrhundert durch einen Gnadenakt einen Schlussstrich unter die tragischen Ereignisse der 1960er Jahre zu setzen, damit Heinrich Oberleiter noch zu Lebzeiten und nicht erst als Toter wieder in seine Heimat kehren könne.

Ein liebedienerischer Brief

Daraufhin sagte der Bürgermeister Klammer zu, ein Gnadengesuch an den italienischen Staatspräsidenten zu richten, welches von allen Gemeinderäten unterzeichnet werden solle.

Die Gemeinderäte der Ahrntaler Bürgerliste und der „Süd-Tiroler Freiheit“ (STF) trauten ihren Augen kaum, als ihnen ein Briefentwurf zur Unterschrift vorgelegt wurde, welcher von Unterwürfigkeit gegenüber Rom gekennzeichnet war, herabsetzende Unwahrheiten über den zu Begnadigenden enthielt und einer italienischen nationalistischen Geschichtsverzerrung Recht gab. Mit dem Betroffenen, Heinrich Oberleiter, hatte der Bürgermeister keinen Kontakt aufgenommen, obwohl dessen Anschrift in Deutschland, seine Telefonnummer und seine Emailadresse in der Gemeinde bekannt waren.

Noch dazu war in dem Brief die Gemeinde Ahrntal nur mit dem von dem Faschisten Tolomei erfundenen Namen „Valle Aurina“ bezeichnet.

Nachstehend der Brief:

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Übersetzt lautet das Schreiben so:

„Gemeinde Ahrntal – Comune di Valle Aurina

An die Präsidentschaft der Republik

Quirinal-Palast

Rom

zu Handen des höchst geehrten Präsidenten der Republik, Dr. Sergio Mattarella

Steinhaus 06. 04. 2016

Gnadengesuch zugunsten Oberleiter Heinrich, geboren in S. Giovanni di Valle Aurina am 13. 01. 1941

Höchst geehrter Präsident der Republik, Dr. Sergio Mattarella,

wir bitten Sie hiermit, dass Sie in Ausübung Ihrer institutionellen Befugnisse die Möglichkeit in Betracht ziehen, dem Herrn Oberleiter Heinrich die Begnadigung zu gewähren.

Obwohl wir die Schwere der Taten begreifen, wegen derer Oberleiter Heinrich verurteilt wurde, wollen Sie uns gestatten, Ihnen Nachstehendes vorzutragen:

Der Herr Oberleiter Heinrich ist geboren und aufgewachsen im Valle Aurina. Seine Kindheit und die darauf folgende Pubertät fanden in der unmittelbaren Nachkriegszeit am Ende der zwanzigjährigen Zeit des Faschismus statt. Die Armut und der Mangel an Arbeit zwingen ihn dazu, vom zarten Kindesalter an als Bauernknecht bei anderen Familien im Tal zu arbeiten. Seine schulische Ausbildung war kärglich, wenn sie nicht geradezu gefehlt hat. Was aber diese Periode und den Stand der Landbevölkerung charakterisierte, ist vor allem die Hoffnung, dass nach dem Eintritt des Friedens in Europa dieser auch in Südtirol einkehren möge.

Höchst geehrter Präsident, betrachten Sie die damalige Situation: Es gab damals die modernen Kommunikationsmittel wie heute nicht, wo jede Nachricht einen jeden Menschen in wenigen Sekunden erreicht. Zum Zeitpunkt der Taten war die Information charakterisiert durch wenige Zeitungen, aus denen nur wenige Personen Nutzen zogen, weshalb es die konkreten und unmittelbar aufgenommenen Ereignisse waren, welche die Mentalität jener beeinflussten, die im Gebirge hart arbeiteten.

Gestatten Sie uns, nur einige davon aufzuzählen: Es stellte einen Straftatbestand dar, die Tiroler Fahne während traditioneller Festlichkeiten zu hissen und hatte als unmittelbare Folge das Eingreifen der Ordnungskräfte zur Folge. Die Gerichtsbarkeit wurde ausschließlich in italienischer Sprache administriert. Nicht gut Italienisch zu sprechen war ein Motiv für Verspottung. Nichts oder stattdessen wenig wusste der Herr Oberleiter Heinrich von den Verhandlungen zwischen Österreich und Italien am Sitz der Vereinten Nationen und von den Anstrengungen, eine friedliche Lösung zu finden. Zu Beginn der Sechzigerjahre hatte sich für ihn nichts geändert und so wie es von ihm in seiner Alltäglichkeit wahrgenommen wurde, war der Frieden in Südtirol nicht angekommen.

Höchst geehrter Präsident, wir wollen die Geschichte nicht erneut untersuchen und noch weniger die Prozesse: Die Tatsachen sind in den Akten. Es verbleibt aber auch die Tatsache, dass der Herr Oberleiter Heinrich nur Sachschaden verursacht und 1963 seinen Militärdienst für den italienischen Staat abgeleistet hat.

Was wir stattdessen mit diesem Gnadengesuch zugunsten des Herrn Oberleiter Heinrich übermitteln möchten, ist der historische Augenblick, jedoch isoliert und einzigartig, in welchem die Taten ausgeführt wurden. Er selbst erklärt, dass er bereits 1963 nicht mehr davon überzeugt gewesen sei, dass die Beschädigung der richtige Weg sei und dass er heute an die diplomatische Aktivität zur Lösung der Probleme glaube (zit. aus der Autobiographie des Herrn Oberleiter Heinrich, Seite 179).

Der Herr Oberleiter Heinrich ist heute eine alte Person und pflegt mit Hingabe seine kranke Frau. Er hat seine eigenen Kinder und viele andere während der Zeit seiner Pflegevaterschaft großgezogen. Seine lebenslange Strafe (es sind bereits mehr als 50 Jahre vergangen) ist jene, nicht in sein geliebtes Südtirol zurückkehren zu können: Wollen Sie, höchst geehrter Präsident, dieselbe als verbüßt betrachten und dem Herrn Oberleiter Heinrich ein letztes Mal die Möglichkeit gewähren, wieder nach S. Giovanni di Valle Aurina zurückzukehren und seine Familie zu umarmen.

Ein Gnadenakt von Ihnen würde auch jene Leute wie uns stärken, welche überzeugt sind, dass unser Modell des Zusammenlebens – Frucht zahlreicher internationaler diplomatischer Anstrengungen – funktioniert hat und funktioniert zum Ärger jener, welche hingegen trennen und teilen wollen. 

Indem wir Ihnen dafür danken, dass Sie dieses Gesuch von uns in Erwägung gezogen haben und indem wir auf Ihre wohlwollende Aufnahme desselben vertrauen, übermitteln wir Ihnen unsere hochachtungsvollen Grüße.

Der Bürgermeister Geometer Helmut Klammer

Der Gemeinderat:“

 

Protest der Ahrntaler Bürgerliste und der STF-Gemeinderäte

Sowohl die Ahrntaler Bürgerliste-Vertreter als auch die STF-Gemeinderäte verweigerten die Unterschrift. Der GR Benjamin Rauchenbichler stellte in einer Presseaussendung fest:

„Dieser Brief, der den Gemeinderäten zur Unterschrift vorgelegt wurde, war inakzeptabel.

Der rein italienische Text ist voller Rechtschreib- und Grammatikfehler, womit die Gemeinde beim Staatspräsidenten wohl kein gutes Bild machen würde. Außerdem sollte ein offizielles Schreiben einer mehrheitlich deutschsprachigen Gemeinde auf jeden Fall zweisprachig sein, meinen die STF-Gemeinderäte.

Inhaltlich ist der Brief unhaltbar. Oberleiter wird als ungebildeter, armer Mensch mit mangelhafter, teils komplett fehlender Schulbildung dargestellt, der keine Zeitung las und von den Verhandlungen zwischen Österreich und Italien nichts wusste, was nachweislich nicht stimmt. Die Taten Oberleiters werden als „schwerwiegend“ bezeichnet, was dem Gnadengesuch sicher nicht förderlich ist.

Erst kürzlich hatte Bürgermeister Klammer den Gemeinderäten der Süd-Tiroler Freiheit bei der Behandlung ihres Antrages auf Verleihung der Ehrenbürgerschaft an Heinrich Oberleiter vorgeworfen, sich nicht vorweg mit allen Fraktionen abgesprochen zu haben. Dies hat auch die SVP bei der Abfassung des Briefes an den Staatspräsidenten unterlassen. Selbst ein Versuch des Landtagsabgeordneten Zimmerhofer, den Bürgermeister zu einer Aussprache zu bewegen, scheiterte an seiner fehlenden Kompromissbereitschaft.

Aus diesen und weiteren Gründen haben die Gemeinderäte der Süd-Tiroler Freiheit beschlossen, das Schreiben der Gemeinde Ahrntal nicht mit zu unterzeichnen.

Benjamin Rauchenbichler

Gemeinderat der Süd-Tiroler Freiheit Ahrntal“

Diese Stellungnahme fand ein Echo in einer Reihe von Medien, darunter in der „Neuen Südtiroler Tageszeitung“:

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Der Protest der Vereinigung ehemaliger politischer Häftlinge: Nicht auf den Knien nach Rom rutschen!

Sehr deutlich fiel auch die Stellungnahme des Obmannes der Vereinigung ehemaliger Südtiroler politischer Häftlinge aus.

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Roland Lang schrieb:

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Internet-Portal:

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Oberleiter-Begnadigung: SHB kritisiert Ahrntaler Bürgermeister

April 20, 2016

In einem „offenen Brief“ an Herrn Manfred Klammer, Bürgermeister der Gemeinde Ahrntal, übt der Südtiroler Heimatbund scharfe Kritik am vorgeschlagenen Brief des Bürgermeisters (UT24 berichtete). Er soll als Gesuch um Begnadigung des ehemaligen Freiheitskämpfers Heinrich Oberleiter an den italienischen Staatspräsidenten geschickt werden.

Im Offenen Brief von SHB-Obmann Roland Lang heißt es wortwörtlich:

In ihrem Begnadigungsansuchen stellen Sie Heinrich Oberleiter dann als Unwissenden dar, dem es in der Abgeschiedenheit der Gebirgsgegend an Informationen über die Verhandlungen zwischen Österreich und Italien, die „zu einer friedlichen Lösung führen sollten“, gemangelt habe. Seiner Autobiographie „Es gibt immer einen Weg“ hätten Sie aber entnehmen können, dass Heinrich Oberleiter zu Beginn der 1960er Jahre viel in Österreich und in Deutschland arbeitete und über die politischen Verhältnisse innerhalb und außerhalb Südtirols informiert war.

Außerdem heißt darin:

Wenn es Unwissenheit gewesen wäre, die Menschen in den Widerstand gebracht habe, so müsste man dem Kreis solcher „Unwissender“ auch die Namen leitender Mitglieder, Unterstützer und Freunde des damaligen „Befreiungsausschusses Südtirol“ (BAS) hinzufügen: Die Professoren Dr. Helmut Heuberger, Dr. Wolfgang Pfaundler und Dr. Felix Ermacora, den Verleger Dr. Fritz Molden, den ORF-Intendanten Dr. Gerd Bacher, den Senator Dr. Peter Brugger, den Landesrat Dr. Bruno Hosp, den Nordtiroler Landeshauptmann Eduard Wallnöfer, den Nordtiroler Landesrat Rupert Zechtl und nicht zuletzt den Außenminister Dr. Bruno Kreisky.

Der SHB- Obmann schließt den Brief mit folgenden Sätzen:

Natürlich kann man ein Ansuchen um Begnadigung nicht als Anklageschrift gegen den italienischen Staat verfassen. Man hätte aber einen würdigen Text verfassen können, ohne auf den Knien nach Rom zu rutschen. Man hätte den Staatspräsidenten einfach bitten können, nach 50 Jahren einen versöhnlichen Schlussstrich unter die damaligen tragischen Ereignisse zu ziehen.

Es hätte sich auch gehört, den Text eines solchen Ansuchens mit dem Betroffenen abzusprechen.

Stellungnahme des ehemaligen politischen Häftlings Sepp Mitterhofer (28. April 2016 in den „Dolomiten“) und ergänzende Darstellung der Ahrntaler „Bürgerliste“ (3. Mai 2016 in den „Dolomiten“):

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