Der Wunsch der abgetrennten Ladiner: Zurück zu Tirol, zurück zu Österreich!

Der Wunsch der abgetrennten Ladiner: Zurück zu Tirol, zurück zu Österreich!

Dokumentation über die vergessenen Ladiner von Helmut Golowitsch

Die Zerreißung der Volksgruppe durch die Faschisten und die Aufrechterhaltung der Teilung

Das Identitätsbewusstsein der Ladiner

In der altösterreichischen Zeit erschienen ladinische Zeitungen teilweise zweisprachig. Bei Wahrung der eigenen Identität wurde hier die Nähe zur deutschen Volksgruppe gezeigt.
In der altösterreichischen Zeit erschienen ladinische Zeitungen teilweise zweisprachig. Bei Wahrung der eigenen Identität wurde hier die Nähe zur deutschen Volksgruppe gezeigt.

Diese Fahne der Schützenkompanie Enneberg – ladinisch: Mareo - stammt aus dem Jahre 1914. Die deutschen Aufschriften zeigen, dass sich die Ladiner schon damals gerne der deutschen Sprache bedienten, weil sie sich in enger Verbundenheit mit den Deutschtirolern fühlten.
Diese Fahne der Schützenkompanie Enneberg – ladinisch: Mareo – stammt aus dem Jahre 1914. Die deutschen Aufschriften zeigen, dass sich die Ladiner schon damals gerne der deutschen Sprache bedienten, weil sie sich in enger Verbundenheit mit den Deutschtirolern fühlten.

Die Ladiner sind die Nachkommen der sprachlich latinisierten rätisch-keltischen Urbevölkerung des südlichen Tirol, die mit den später eingewanderten Germanen ein friedliches Zusammenleben gefunden hatte. Aus der Sicht der italienischen Nationalisten und vor allem der Faschisten handle es sich bei den Ladinern jedoch um Italiener, die lediglich einen lokalen Dialekt sprächen.

Im Ersten Weltkrieg hatte das letzte Aufgebot Ladiniens in den Standschützeneinheiten mit unerhörtem Mut die Heimat verteidigt.

Die Ladiner hatten das gemeinsame Tirol gegen den italienischen Überfall verteidigt und viele von ihnen hatten dabei ihr Leben gelassen.
Die Ladiner hatten das gemeinsame Tirol gegen den italienischen Überfall verteidigt und viele von ihnen hatten dabei ihr Leben gelassen.

Schwere Verluste hatten die ladinischen Standschützen auch im Gebiet des heißumkämpften Col di Lana hinnehmen müssen. (Bild: Gemälde von Karl Ludwig Prinz, aus der „Zeitschrift des D. u. Ö. Alpenvereins“, 1916.)
Schwere Verluste hatten die ladinischen Standschützen auch im Gebiet des heißumkämpften Col di Lana hinnehmen müssen. (Bild: Gemälde von Karl Ludwig Prinz, aus der „Zeitschrift des D. u. Ö. Alpenvereins“, 1916.)

Bereits Ende Oktober 1918 hatten sich die Vertreter der ladinischen Gemeinden der Dolomiten in Sterzing versammelt und in einem Aufruf an die Deutschtiroler verkündet:

„Wir sind keine Italiener, wollten von jeher nicht zu ihnen gezählt werden und wollen auch in Zukunft keine Italiener sein! Ein selbständig Volk, das seine Geschicke selbst bestimmt!“

In ihrem Aufruf hatten die Ladiner erklärt: „Das Schicksal der Deutschtiroler sei auch unser Schicksal! Ihre Zukunft sei auch unsere Zukunft! Mit ihnen haben wir und unsere Väter von jeher in engstem Zusammenschluss und im besten Einvernehmen gelebt. So soll es auch fürderhin bleiben. Tiroler sind wir und Tiroler wollen wir bleiben!“ (Aus: Guido Iori Rocia: „Protest der Ladinischen Bevölkerung der Dolomiten – Dokumente des Kolonialismus von Trient“, Sonderdruck der Zeitschrift „Il Postiglione delle Dolomiti“, Canazei 1972, S. 8)

Bild links: Höfe im Grödental. (Aus: „Südtirol in Wort und Bild“.) Bild rechts: Grödnerinnen in ihrer Tracht. (Historische Postkarte aus altösterreichischer Zeit.) Die Ladiner, die seit Jahrhunderten in guter Gemeinschaft mit den Deutschtirolern lebten, fühlten sich keineswegs als Italiener.
Bild links: Höfe im Grödental. (Aus: „Südtirol in Wort und Bild“.) Bild rechts: Grödnerinnen in ihrer Tracht. (Historische Postkarte aus altösterreichischer Zeit.) Die Ladiner, die seit Jahrhunderten in guter Gemeinschaft mit den Deutschtirolern lebten, fühlten sich keineswegs als Italiener.

Die Dreiteilung des ladinischen Gebietes

In der Zeit des Faschismus waren die Ladiner dann für diese Einstellung bestraft worden, indem ab 1923 das Sprachgebiet der rund 30.000 Dolomiten-Ladiner dreigeteilt worden war: Das Gadertal und das Grödental verblieben bei Südtirol, das Fassa- und Fleimstal wurde Trient angegliedert, Ampezzo und Buchenstein wurden der Provinz Belluno zugeschlagen.

Durch die Zerstückelung ihres Gebietes und ihre Aufteilung auf verschiedene Provinzen sollten der Zusammenhalt dieser Volksgruppe, ihre Sprache und Kultur zerstört werden.

Diese Darstellung zeigt die Aufteilung der Ladiner auf die Provinzen Bozen (1 Gröden, 2 Gadertal), Trient (3 Fassa- und Fleimstal) und Belluno (4 Ampezzo, Buchenstein).
Diese Darstellung zeigt die Aufteilung der Ladiner auf die Provinzen Bozen (1 Gröden, 2 Gadertal), Trient (3 Fassa- und Fleimstal) und Belluno (4 Ampezzo, Buchenstein).

Wolkenstein im Grödner Tal konnte bei Südtirol verbleiben. (Historische Postkarte aus altösterreichischer Zeit.
Wolkenstein im Grödner Tal konnte bei Südtirol verbleiben. (Historische Postkarte aus altösterreichischer Zeit.

Bild links: Gries bei Canazei im Fassatal - im Hintergrund die Marmolata - wurde von Südtirol abgetrennt und der Provinz Trient zugeschlagen. (Historische Postkarte aus altösterreichischer Zeit.) Bild rechts: Um die „Italianität“ des ladinischen Gebietes zu betonen, hielt die faschistische Miliz dort Übungen mit Zeltlagern ab. Diese mit einem faschistischen Liktorenbündel geschmückte Postkarte wurde anlässlich eines solchen „campeggio“ bei Cortina d’Ampezzo im August 1929 herausgegeben.
Bild links: Gries bei Canazei im Fassatal – im Hintergrund die Marmolata – wurde von Südtirol abgetrennt und der Provinz Trient zugeschlagen. (Historische Postkarte aus altösterreichischer Zeit.) Bild rechts: Um die „Italianität“ des ladinischen Gebietes zu betonen, hielt die faschistische Miliz dort Übungen mit Zeltlagern ab. Diese mit einem faschistischen Liktorenbündel geschmückte Postkarte wurde anlässlich eines solchen „campeggio“ bei Cortina d’Ampezzo im August 1929 herausgegeben.

Nach der Niederlage des Faschismus erhofften die Ladiner nun, dass ihre abgetrennten Gebiete wieder zu Südtirols zurückkehren würden und dass sie zusammen mit ihren deutschen Landsleuten womöglich das Ziel der Wiedervereinigung Tirols durch eine Volksabstimmung erreichen könnten.

Vergebliche Bitte an die Alliierten – Fortführung faschistischer Politik

Bereits Anfang Dezember 1945 war eine von drei Viertel der erwachsenen Bevölkerung unterzeichnete Bittschrift der Ampezzaner und Buchensteiner den Alliierten überreicht worden, worin der Anschluss an Südtirol verlangt wurde. Das war eine Äußerung selbstbestimmten Willens gewesen.

Doch bereits zwei Tage nach ihrem Einmarsch hatten die Alliierten auf Wunsch ihrer nunmehrigen italienischen Verbündeten das Südtiroler Unterland wieder der der Provinz Trient und Ampezzo-Buchenstein wieder der Provinz Belluno zugeteilt.

Die italienischen Behörden sprangen wie in der Faschistenzeit weiterhin übel mit den Dolomitenladinern um. Das hatte seinen Grund darin, dass nach alter faschistischer Lesart den Ladinern ihr eigenes Volkstum abgesprochen wurde. Das selbstbestimmte Identitätsbewusstsein der Ladiner wurde daher auf allen Ebenen bekämpft.

Viele italienische Politiker betrachteten es als Vaterlandsverrat, dass die Ladiner sich als Tiroler fühlten und ihre Verbundenheit mit den deutschen Südtirolern immer wieder zum Ausdruck brachten. Aus römischer Sicht galt es, allen Selbstbestimmungsbestrebungen durch die Aufrechterhaltung der Teilung Ladiniens einen Riegel vorzuschieben.

Ohne schamrot zu werden, flunkerte Ministerpräsident Degasperi vor der provisorischen Nationalversammlung „Consulta“, dass die bei Südtirol verbliebenen ladinischen Täler den Wunsch hätten, italienischen Provinzen einverleibt zu werden.
Ohne schamrot zu werden, flunkerte Ministerpräsident Degasperi vor der provisorischen Nationalversammlung „Consulta“, dass die bei Südtirol verbliebenen ladinischen Täler den Wunsch hätten, italienischen Provinzen einverleibt zu werden.

Die Wünsche des italienischen Ministerpräsident Alcide Degasperi gingen sogar noch weiter. Er hatte die Stirn, vor der „Consulta Nazionale“, einer ernannten und nicht gewählten provisorischen beratenden Nationalversammlung, am 21. Jänner 1946 in Bezug auf die bei Südtirol verbliebenen ladinischen Gebiete lügnerisch zu erklären: „Und wenn diese Täler ihren Wunsch frei aussprechen können, dann wünschen sie, mit den anderen ladinischen Tälern vereinigt zu werden wie dem Fassa-Tal und Buchenstein, welche als italienisch anerkannt werden.“ (Aus „Dolomiten“ vom 22. Jänner 1946)

Mai 1946: Verbot einer Kundgebung in Cortina – Tiroler Fahnen und Bergfeuer

Diese historische Postkarte aus altösterreichischer Zeit zeigt Cortina d’Ampezzo (ladinisch: Anpëz oder Anpezo) wo die Volkskundgebung der Ladiner hätte stattfinden sollen.
Diese historische Postkarte aus altösterreichischer Zeit zeigt Cortina d’Ampezzo (ladinisch: Anpëz oder Anpezo) wo die Volkskundgebung der Ladiner hätte stattfinden sollen.

Eine für den 12. Mai 1946 ordnungsgemäß angemeldete und von der Quästur sogar genehmigte Kundgebung der Ampezzaner und Buchensteiner in Cortina d’Ampezzo wurde plötzlich am Vortag durch eine Verfügung der Präfektur Belluno, der Statthalterei Roms in der Provinz, verboten.

Schlagzeile in der Tageszeitung „Dolomiten“ vom 15. Mai 1946.
Schlagzeile in der Tageszeitung „Dolomiten“ vom 15. Mai 1946.

Die Kundgebung der ladinischen Bevölkerung von Cortina d’Ampezzo hätte laut Bericht der Südtiroler Tageszeitung „Dolomiten“ vom 15. Mai 1946 zum Ziel gehabt, „durch eine Großkundgebung ihrem einmütigen Willen Ausdruck zu geben, ihr Gebiet durch die Angliederung an die Provinz Bozen endlich wieder mit dem übrigen Südtirol vereinigt zu sehen.“

Der ladinische Historiker Anton Piccolruaz berichtet: „Dennoch wurden aber zahlreiche Tiroler Fahnen gehisst. Von den nahen Gipfeln der Dolomiten loderten Bergfeuer mit den entsprechenden Flammeninschriften.“ (Anton Piccolruaz: „Die Dolomitenladiner“, 3. Teil: „Die Ladiner sind Tiroler und keine Italiener“, in: „Südtirol in Wort und Bild“, , Nr. 4, Innsbruck 1980.)

Mai 1946: Die Ladiner erhoben ihre Stimme nun auf deutschen Kundgebungen

Ampezzaner, Buchensteiner und Gadertaler auf der Selbstbestimmungskundgebung in Toblach

Toblach wurde Schauplatz einer Großkundgebung für ein vereinigtes und freies Tirol. (Historische Postkarte.)
Toblach wurde Schauplatz einer Großkundgebung für ein vereinigtes und freies Tirol. (Historische Postkarte.)

Nun erhoben die Ladiner ihre Stimme auf deutschen Kundgebungen. An die 500 Ampezzaner, Buchensteiner und Gadertaler erschienen am 26. Mai 1946 auf der Selbstbestimmungskundgebung in Toblach. Die Versammlung habe unter folgendem Motto gestanden, schrieben die „Dolomiten“ am Montag, 27. Mai 1946: „Wir sind ein Volk, ob wir an der Rienz oder an der Etsch, am Eisack oder am Inn wohnen; wir wollen ein Tirol, wie es vordem war, von Kufstein bis Salurn. Auch die Ampezzaner, deren Stimme man vor 14 Tagen unterdrückt hat, schließen sich diesem Entschlusse an: Wir wollen Freiheit und Gerechtigkeit.“

Schlagzeile auf der Titelseite des SVP-Organs „Volksbote“ vom 30. Mai 1946.
Schlagzeile auf der Titelseite des SVP-Organs „Volksbote“ vom 30. Mai 1946.

90 Prozent der Ampezzaner und Buchensteiner forderten Rückkehr zu Südtirol

Wie die „Dolomiten“ vom 27. Mai 1946weiter berichteten, kam es am Abschluss der Kundgebung zu einer öffentlichen und inhaltlich bemerkenswerten Willensäußerung der Ladiner:

„Schon wollte man die Versammlung für abgeschlossen erklären, als sich plötzlich aus den Reihen der Ampezzaner der Ruf erhob: Sixtus de Bigontina soll reden! Immer lauter, von einem Mund zum anderen getragen, wurde er aufgefordert, an seine Landsleute einige Worte zu richten.

De Bigontina, ein junger, gerader, kerniger Ampezzaner, begrüßte seine Ladiner in ihrer Sprache, erinnerte dann daran, dass ein schwerer Kampf hatte geführt werden müssen, bis man ihre Stimme gehört. 90 Prozent aller Ampezzaner und Buchensteiner hätten sich durch eine Unterschriftensammlung zur Provinz Bozen bekannt und auch ihre Väter hätten immer und immer wieder in den Jahren 1919 und 20 die Belassung Ampezzos bei der Provinz gefordert; doch hätten schließlich einige wenige vom Faschismus unterstützte Elemente gesiegt.

Abschließend forderte De Bigontina die Ladiner auf, fest und treu zusammenzuhalten, und fragte dann die Ampezzaner und Buchensteiner, ob sie bereit seien, Leid und Freud, Glück und Unglück mit Südtirol zu teilen, worauf alle anwesenden – es waren an die 500 – mit lauten Ja-Rufen und Klatschen antworteten.“

Mai 1946: Ladiner auf der Volkskundgebung des Unterlandes

Am 30. Mai 1946 nahm eine Gruppe von Ladinern an der Kundgebung des Südtiroler Unterlandes auf Castelfeder bei Auer teil, weil sie, so schrieben die „Dolomiten“ am 1. Juni 1946, „mit den Unterländern zurück zu Südtirol, zu ihren anderen ladinischen Brüdern wollen.“

Juni 1946: Berichte über Übergriffe der Carabinieri – Terror in Buchenstein

Die Haltung der Ladiner hatte den Zorn der italienischen Behörden erregt, die in den Ladinern abtrünnige Italiener sahen.

Diese historische Postkarte zeigt den Hauptort Buchenstein (ladinisch: „La Plie‘ da Fodom).
Diese historische Postkarte zeigt den Hauptort Buchenstein (ladinisch: „La Plie‘ da Fodom).

Das Buchensteintal ist eines der fünf Dolomitentäler Ladiniens. Die Gemeinde Buchenstein (ladinisch: La Plie‘ da Fodom, italienisch: Livinallongo) besteht aus dem Hauptort und einer Reihe von kleineren Dörfern.

Im Tiroler Landesarchiv in Innsbruck findet sich ein aus Südtirol an die Tiroler Landesregierung in Innsbruck überbrachtes Schreiben vom 6. Juni 1946 mit dem Titel „Kurzberichte“. Darin wird geschildert, wie die Staatsmacht in jenen Tagen mit den Ladinern in Buchenstein umgesprungen war:

Ausschnitt aus dem Kurzbericht.
Ausschnitt aus dem Kurzbericht.

„In Buchenstein wurde ein Bauer, der einen Tirolerhut mit dem Tiroleradler darauf trug, aufgefordert, Hut und Adler zu entfernen. Als er sich weigerte, dies zu tun, wurde ihm der Hut von den Schutzengeln der öffentlichen Sicherheit vom Kopf geschlagen und in den Dreck getreten.

In Buchenstein wurden an zahlreichen Hausmauern Aufschriften und Tiroleradler angebracht. Die Carabinieri würdigten sich, alle Malereien eigenhändig aus den Mauern herauszumeisseln. Am anderen Morgen jedoch strahlte alles wieder in den frischesten Farben.

Das Tragen eines solchen Kappenabzeichens  konnte aus der Sicht der Carabinieri nicht geduldet werden.
Das Tragen eines solchen Kappenabzeichens  konnte aus der Sicht der Carabinieri nicht geduldet werden.

Letzten Meldungen zufolge wurde der obengenannte Bauer, dem der Hut vom Kopf geschlagen worden war, später noch in die Kaserne gebracht und dort, ohne dass er wüsste weshalb, verprügelt. Es wurde ihm angedroht, er werde an den Brenner gebracht und dort der österreichischen Polizei übergeben werden, wenn er nicht sage, wer die Aufschriften an den Häusern gemacht habe.

Zu einem wegen dieser Streichaktionen verhafteten Buchensteiner äußerte sich der Carabinierimaresciallo wie folgt: ‚Ihr seid Bastarden. Ihr lasst euch von den Dummköpfen in Bozen aufhetzen. Auch jene sind keine Deutschen. Die haben keine Kultur, sind Dickköpfe, dümmer als die Österreicher. Arabba soll abgebrannt und ihr alle aufgehängt werden!‘ Und er schloss mit der mächtigen Schlussfuge: ‚Porchi tedesconi. (Anmerkung: Arabba ist eine Fraktion der Gemeinde Buchenstein, „porchi“ sind Schweine und „tedesconi“ sind deutschfreundliche Menschen.)

Nach Ansicht des Unteroffiziers (maresciallo) der Carabinieri sollte der Ort Arabba abgebrannt werden. (Historische Postkarte aus altösterreichischer Zeit.)
Nach Ansicht des Unteroffiziers (maresciallo) der Carabinieri sollte der Ort Arabba abgebrannt werden. (Historische Postkarte aus altösterreichischer Zeit.)

Anderen Verhafteten in Buchenstein wurde von den Carabnieri ebenfalls die Abschiebung nach Österreich mit Prophezeiung des Hungertodes angedroht- – Laut bisherigen Meldungen sind wegen der Streichaktionen noch zwei Leute (ein Malerlehrling und ein anderer Bursche) verhaftet worden.“ („Kurzberichte“ vom 6. Juli 1946 „Ampezzo und Buchenstein zu Österreich“, Bozen 1. Juni 1946, Tiroler Landesarchiv, Amt der Tiroler Landesregierung VIII K, Pos. 5-12, Südtirol, Jahr 1945 – 47, Karton Nr. 3)

Juni 1946: Forderung nach Selbstbestimmung für Ladinien und ganz Südtirol

Aufschriften in Ladinien

Im Tiroler Landesarchiv in Innsbruck findet sich in den Akten des Amtes der Tiroler Landesregierung ein Dokument mit Kurzberichten aus Südtirol vom 14. Juni 1946. Darin wird Folgendes geschildert:

„In St. Vigil (Ladinien) wurden immer wieder in letzter Zeit Schriften angebracht, die Selbstbestimmung für ganz Ladinien und für ganz Südtirol fordern. Die Ladiner fordern nach wie vor geschlossen den Anschluss aller ladinischen Gebiete an Österreich.

In St. Vigil im Enneberger Tal wurde in Aufschriften die Selbstbestimmung gefordert. (Historische Postkarte aus altösterreichischer Zeit.)
In St. Vigil im Enneberger Tal wurde in Aufschriften die Selbstbestimmung gefordert. (Historische Postkarte aus altösterreichischer Zeit.)

Forderungen der Ladiner: Anerkennung der Volksgruppe – Wiedervereinigung mit Südtirol – Recht auf Selbstbestimmung – Volksabstimmung!

Am 15. Juni 1946 versammelten sich an die 3.000 Vertreter der sechs ladinischen Talschaften in Südtirol auf dem Grödner Joch und gründeten die politische Vereinigung „Zent Ladina Dolomites“ („Ladinisches Volk der Dolomiten“).

Blick vom Grödner Joch ins Abteital. Hier hatten sich 3.000 Vertreter der ladinischen Gebiete versammelt. (Historische Postkarte.)
Blick vom Grödner Joch ins Abteital. Hier hatten sich 3.000 Vertreter der ladinischen Gebiete versammelt. (Historische Postkarte.)

Der ladinische Historiker Anton Piccolruaz berichtet, dass auf dieser Versammlung ein Programm der „Zent Ladina Dolomites“ beschlossen worden sei, in welchem „die staatliche Anerkennung der Dolomitenladiner als ethnische und sprachliche Minderheit“ sowie die Rückgliederung der gegen den Willen der einheimischen Bevölkerung abgetrennten ladinischen Gebiete an Südtirol gefordert wurde.

Zudem sei in dem Programm aber noch folgende Forderung erhoben worden: „Gewährung des Selbstbestimmungsrechtes mit Zulassung einer Volksabstimmung im ganzen Dolomiten gebiet, die es den dort ansässigen Ladinern ermöglicht, über ihr Schicksal an der Seite der deutschsprachigen Südtiroler zu bestimmen.“ (Anton Piccolruaz: „Die Dolomitenladiner – Die Passion einer kleinen Minderheit“, 8. Teil: „Die Ladiner auf der Suche nach sich selbst“, in: „Südtirol in Wort und Bild“, , Nr. 2, Innsbruck 1982.)

Einige der Unterzeichner der Gründungsurkunde der Vereinigung „Zent Ladina Dolomites“. In dem Dokument folgen noch zahlreiche weitere Unterschriften. (Aus: Guido Iori Rocia: „Protest der Ladinischen Bevölkerung der Dolomiten – Dokumente des Kolonialismus von Trient“, Sonderdruck der Zeitschrift „Il Postiglione delle Dolomiti“, Canazei 1972, S. 13)

Juli 1946: Die Kundgebung auf dem Sellajoch: „Tiroler sind wir und Tiroler wollen wir bleiben!“

Am 14. Juli 1946 trafen auf dem Sellajoch Vertretungen der ladinischen Talschaften zur ersten Tagung der „Zent Ladina Dolomites“ zusammen.

Aus allen ladinischen Talschaften kamen die Teilnehmer auf das Sellajoch, vielfach in ihre alten schönen Trachten gekleidet.
Aus allen ladinischen Talschaften kamen die Teilnehmer auf das Sellajoch, vielfach in ihre alten schönen Trachten gekleidet.

Das SVP-Organ „Volksbote“ berichtete darüber am 18. Juli 1946 unter dem Titel

Es sei ein strahlender Tag gewesen, an dem sich Trachtengruppen und Musikkapellen unter flatternden Fahnen eingefunden hatten. „Die größte aller Gruppen hatte Cortina d’Ampezzo entsandt; trotzdem der Bürgermeister und der Kommissar der Pubblica Sicurezza (Anm.: Polizeikommissar für die öffentliche Sicherheit) den Ampezzanern verboten hatte, an der Kundgebung teilzunehmen, waren nicht weniger als 350 Ampezzaner erschienen, davon 180 in Tracht. …Spruchtafeln mit den Aufschriften ‚Das ladinische Ampezzo will zurück zu Bozen‘, ‚Das Volk will wieder unter Bozen vereint sein‘ usw. wurden mitgetragen.“ („Volksbote“ vom 18. Juli 1946)

 

Dieses Bild zeigt eine Teilnehmergruppe aus Vig/Vigo im Fassatal. Auf der von ihnen getragenen Tafel stand auf Ladinisch geschrieben: „Wir wollen wieder unter Bozen vereint sein.“
Dieses Bild zeigt eine Teilnehmergruppe aus Vig/Vigo im Fassatal. Auf der von ihnen getragenen Tafel stand auf Ladinisch geschrieben: „Wir wollen wieder unter Bozen vereint sein.“

Die Kundgebung auf dem Sellajoch.
Die Kundgebung auf dem Sellajoch.

Wie der „Volksbote“ weiter berichtete, betonte der Präsident der Vereinigung „Zent Ladina Dolomites“, Dr. Ghedina, in seiner Ansprache, „dass alle Ladiner, die heute noch von ihren übrigen Brüdern getrennt durch Willkürgrenzen leben müssen, wieder zurückverlangen zum alten Südtirol und unter Bozen ein geschlossenes, brüderliches Leben führen wollen, wie durch die vielen Jahrhunderte herauf bis zur Ankunft der Faschisten. Abschließend fragte der Redner die Ladiner, ob sie gewillt seien, mit ihren Brüdern in Bozen, mit den übrigen ladinischen und österreichischen Südtirolern jedes Schicksal zu teilen und erhielt darauf die einstimmige Antwort: ‚Wir wollen zurück zu Bozen.‘(„Volksbote“ vom 18. Juli 1946)

An der repressiven Haltung Roms gegenüber den Ladinern änderte sich auch nach dieser Willenskundgebung nichts.

Die Forderung nach Angliederung an Südtirol ist nach wie vor unerfüllt – und aufrecht

Die Dreiteilung der im Jahre 1968 etwa 23.500 Personen zählenden Ladiner hat zur Folge, dass sie in jeder der drei Provinzen eine verschwindende Minderheit sind. („Zahl aus „Südtiroler Nachrichten“, Bozen, 14. Juli 1968)

Es gibt bis heute keine gemeinsame parlamentarische Vertretung der Ladiner in Rom und es ist keine handhabbare kulturelle sowie kirchliche Einheit gegeben.

In der Provinz (Südtirol) genießen die Ladiner grundlegende Rechte in Bezug auf den Schutz der ladinischen Sprache und Kultur sowie auf den Unterricht in der Muttersprache. In den Provinzen Trient und Belluno besteht hier noch großer Nachholbedarf.

Als sich am 17. Juli 2016 zahlreiche Ladiner zu einer Gedenkveranstaltung wieder auf dem Sellajoch trafen, wurde erneut die Forderung nach einem vereinten Ladinien erhoben. Die SVP-Vertreter Florian Mussner und Daniel Alfreider enttäuschten die Zuhörer. Ein klares Bekenntnis zu einem geeinten Ladinien war von ihnen nicht zu vernehmen. Stattdessen wurde von einem Europa geplaudert, in dem die Grenzen immer weniger eine Rolle spielen würden. (Presseaussendung der Landtagsfraktion der „Süd-Tiroler Freiheit“ -STF.)

Am 28. Oktober 2007 fand eine Volksbefragung der Wahlberechtigten der drei ladinischen Gemeinden Cortina d’Ampezzo, Buchenstein und Colle S. Lucia statt. Nahezu 80 Prozent der Referendum-Teilnehmer äußerten den Wunsch, wieder an Südtirol angegliedert zu werden.

Titelseite der „Neue Südtiroler Tageszeitung“ vom 30. Oktober 2007. Das Referendum wurde von Rom ignoriert.
Titelseite der „Neue Südtiroler Tageszeitung“ vom 30. Oktober 2007. Das Referendum wurde von Rom ignoriert.

Zahlreiche Einwohner hatten auch öffentlich „Flagge gezeigt“. (Bilder „Südtiroler Heimatbund“)
Zahlreiche Einwohner hatten auch öffentlich „Flagge gezeigt“. (Bilder „Südtiroler Heimatbund“)

Wie es nicht anders zu erwarten gewesen war, missachtete der italienische Staat auch diesen Akt der Selbstbestimmung, welcher von den Bürgermeistern und Gemeinderäten der genannten Gemeinden initiiert worden war.

Am 31. Dezember 2010 berichtete die Tageszeitung „Dolomiten“: „In Sachen Referendum der drei Alttiroler Gemeinden tut sich … gar nichts, obwohl die Regierung in Rom mit ihrer Untätigkeit gegen die Gesetze verstößt: Innerhalb von 60 Tagen nach der Überprüfung der Rechtmäßigkeit solcher Referenden müsste das Innenministerium dem Parlament einen entsprechenden Gesetzentwurf zum Regionenwechsel vorlegen. Das ist nicht geschehen.“

Wie die „Dolomiten“ dann am 14. Jänner 2011 berichten mussten, hatte der traditionell zentralistisch orientierte italienische Verfassungsgerichtshof in Rom in der Folge eine Klage der Gemeinde Col/Colle S. Lucia gegen die Untätigkeit der Regierung hinsichtlich der Umsetzung des Referendumsergebnisses zur Angliederung der Gemeinde an die Region Trentino/Südtirol als unzulässig abgewiesen.

Wenn man mit den Leuten in den abgetrennten ladinischen Tälern spricht, so erfährt man, dass bis heute das Verlangen nach Rückkehr zu Südtirol besteht.

Auf dem Sellajoch weist diese große Darstellung die Vorbeifahrenden auf die immer noch bestehende Trennung der Ladiner hin. (Bild: „Süd-Tiroler Freiheit“)
Auf dem Sellajoch weist diese große Darstellung die Vorbeifahrenden auf die immer noch bestehende Trennung der Ladiner hin. (Bild: „Süd-Tiroler Freiheit“)