Vor 60 Jahren: Der Donnerschlag der Feuernacht

1953: Eine verzweifelte Warnung – Der „Todesmarsch“ der Deutschen und Ladiner Südtirols

Kanonikus Michael Gamper und sein Warnruf in den „Dolomiten“ vom 28. Oktober 1953.
 Kanonikus Michael Gamper und sein Warnruf in den „Dolomiten“ vom 28. Oktober 1953.

Am 28. Oktober 1953 sah sich Kanonikus Michael Gamper, der große Vorkämpfer für die Rechte seiner Volksgruppe, veranlasst, in den „Dolomiten“ zu schreiben: „Die gewollte Unterwanderung unseres Volkes geht unaufhaltsam weiter. … Viele Zehntausende sind nach 1945 und nach Abschluss des Pariser Vertrages aus den südlichen Provinzen in unser Land eingewandert, während zur gleichen Zeit die Rückkehr von einigen Zehntausenden unserer umgesiedelten Landsleute unterbunden wurde. Von Jahr zu Jahr sinkt so der Prozentsatz der einheimischen Bevölkerung steil ab gegenüber dem unheimlichen Anschwellen der Einwanderer.

Fast mit mathematischer Sicherheit können wir den Zeitpunkt errechnen, zu dem wir nicht bloß innerhalb der zu unserer Majorisierung geschaffenen Region, sondern auch innerhalb der engeren Landesgrenzen eine wehrlose Minderheit bilden werden. Dies in einem Raume, in dem noch vor kurzem die Italiener nur drei Prozent der Gesamtbevölkerung ausgemacht hatten.

Es ist ein Todesmarsch, auf dem wir Südtiroler seit 1945 uns befinden, wenn nicht noch in letzter Stunde Rettung kommt.

Am 24. November 1953 wies auch der Nordtiroler Landeshauptmann Alois Grauß, ein ehemaliger Kaiserjäger aus dem Ersten Weltkrieg, im Tiroler Landtag auf den  von Kanonikus Gamper aufgezeigten „Todesmarsch“ hin und mahnte das Selbstbestimmungsrecht für Südtirol ein.

Der Nordtiroler Landeshauptmann Alois Grauß mahnte auch das Selbstbestimmungsrecht für Südtirol ein.
Der Nordtiroler Landeshauptmann Alois Grauß mahnte auch das Selbstbestimmungsrecht für Südtirol ein.

Das Entstehen des „Befreiungsausschusses Südtirol“ BAS

Ab 1956 hatte sich unter der Leitung des Frangarter Kleinbauern und Gemischtwarenhändlers Sepp Kerschbaumer der „Befreiungsausschuß Südtirol“ (BAS) gebildet, der entschlossen war, notfalls durch demonstrative Anschläge die internationale Öffentlichkeit aufzurütteln. Die ersten demonstrativen Anschläge der Jahre 1956 und 1957 wurden allerdings nicht von BAS-Leuten verübt, sondern von einem Kreis von Widerständlern um den Druckereiangestellten Hans Stieler in Bozen.

Versuche mit friedlichen Mitteln

Der damalige SVP-Ortsobmann Sepp Kerschbaumer versuchte zunächst mit friedlichen Mitteln eine Wende herbeizuführen. Er hisste demonstrativ am 20. Februar 1957, dem Todestag von Andreas Hofer, zwei Tiroler Fahnen an und vor der Frangarter Ortskirche. Daraufhin erschienen die Carabinieri und beschlagnahmten die Fahnen. (Bericht in der Tageszeitung „Dolomiten“ am 23. Februar 1957)

Der Frangarter Kaufmann Josef Kerschbaumer und seine „aufrührerische“ Straftat: Eine Tiroler Fahne, die Kerschbaumer zu Andreas Hofers Gedenken an dem Kirchturm in Frangart gehisst hatte.
Der Frangarter Kaufmann Josef Kerschbaumer und seine „aufrührerische“ Straftat: Eine Tiroler Fahne, die Kerschbaumer zu Andreas Hofers Gedenken an dem Kirchturm in Frangart gehisst hatte.

Kerschbaumer hängte am Herz-Jesu-Sonntag erneut zwei Tiroler Fahnen aus. Nun wurde er wegen „aufrührerischer Kundgebung“ vor Gericht gestellt und zu 10 Tagen Haft verurteilt, wobei der Artikel 654 („Grida e manifestazioni sediziose“ – „Aufrührerische Schreie und Kundgebungen“) des alten und immer noch in Geltung befindlichen faschistischen Strafgesetzbuches angewandt wurde. Der Staatsanwalt Dott. Mario Martin bezeichnete in der Verhandlung die Tiroler Fahnen abfällig als „stracci“ – als „Fetzen“. (Bericht der SVP-Wochenzeitung „Der Volksbote“ am 20. Juli 1957)

Kerschbaumer versandte zahlreiche Briefe und Flugblätter und richtete beschwörende Briefe an Südtirols Politiker, verstärkt für die Rechte des Landes einzutreten.

Ein von Sepp Kerschbaumer verfasstes und auf der Großkundgebung von Sigmundskron 1957 verteiltes Flugblatt.
Ein von Sepp Kerschbaumer verfasstes und auf der Großkundgebung von Sigmundskron 1957 verteiltes Flugblatt.

Das Scheitern friedlicher Mittel – Kerschbaumer kündigt Magnago künftige Anschläge an

Kerschbaumer und sein Freundeskreis mussten das Scheitern friedlicher Mittel zur Kenntnis nehmen. Südtirol verfügte über keine großen unkontrollierbaren Ballungszentren, in denen eine Untergrundbewegung friedliche aber politisch wirksame Massenbewegungen hätte organisieren können. Das ganze Land wurde durch polizeilichen Terror faschistischen Zuschnittes geduckt gehalten. Die Justiz agiert mit der Hilfe immer gültiger Polit-Paragraphen des alten faschistischen Strafgesetzbuches – ein Unikum in Europa! Angezeigt und eingesperrt wurde bei jedem Anlass:

1958 sprach der SVP-Ortsobmann Kerschbaumer bei seinem Parteiobmann Silvius Magnago vor und beklagte die Ergebnislosigkeit der Verhandlungen mit den Italienern. Er erklärte, dass Anschläge „auf Objekte, nicht auf Menschen“ durchgeführt werden müssten. Magnago erklärte, dass er Kerschbaumer nicht die Hände zubinden könne, warnte aber vor der Gefahr einer Parteiauflösung, wenn dieser als SVP-Ortsobmann in illegale Tätigkeiten verwickelt werde. Kerschbaumer zog aus diesem Gespräch die Konsequenz, nicht mehr zur Wahl als SVP-Ortsobmann anzutreten, jedoch den aktiven Widerstand weiter vorzubereiten. (Siehe: Josef Fontana / Hans Mayr: „Sepp Kerschbaumer“, Bozen 2000, S. 102f)

Die Mitwisserschaft weiterer hoher Politiker

Der Landtagsabgeordnete Rupert Zechtl (SPÖ)
Der Landtagsabgeordnete Rupert Zechtl (SPÖ)

Sepp Kerschbaumer war mit dem Nordtiroler Landtagsabgeordneten und späteren Landesrat Rupert Zechtl (SPÖ) befreundet, der voll in die Pläne des BAS eingeweiht wurde und darüber brieflich an Außenminister Bruno Kreisky (SPÖ) nach Wien berichtete. Diese Briefe sind im Kreisky-Archiv in Wien erhalten und dokumentieren die Mitwisserschaft der „hohen Politik“.

Zwei Ausschnitte aus einem Berichts Zechtls an Kreisky aus dem Jahre 1959.
Zwei Ausschnitte aus einem Berichts Zechtls an Kreisky aus dem Jahre 1959.

In Nordtirol organisierten die ehemaligen Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime, der Schriftsteller Wolfgang Pfaundler und der Universitätsassistent Helmut Heuberger zusammen mit dem Landesrat Aloys Oberhammer (ÖVP), dem Innsbrucker Kaufmann Kurt Welser, dem Schriftsteller Heinrich Klier und dem Innsbrucker Universitätsassistenten Norbert Burger die Unterstützung des BAS mit Geld und Sprengstoff. Ihnen standen in Wien der mächtige Zeitungsverleger Fritz Molden, ebenfalls ein ehemaliger Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime, und der spätere ORF-Chef Gerd Bacher als Mitverschworene zur Seite.

Die Mitverschworenen Helmut Heuberger, Wolfgang Pfaundler sowie die Brüder Otto und Fritz Molden (hier im Gespräch mit Außenminister Dr. Kreisky).
Die Mitverschworenen Helmut Heuberger, Wolfgang Pfaundler sowie die Brüder Otto und Fritz Molden (hier im Gespräch mit Außenminister Dr. Kreisky).

Es gab auch direkte Kontakte des BAS mit Außenminister Kreisky. Besprechungen mit Sepp Kerschbaumer, Wolfgang Pfaundler, den Südtiroler Schützenoffizieren Georg Klotz und Jörg Pircher sowie dem BAS-Mann Karl Tietscher sind aktenmäßig dokumentiert. Bezeugt sind auch Äußerungen von Kreisky, wonach es „auf ein paar Masten mehr oder weniger“ nicht ankommen solle.

In Südtirol waren SVP-Politiker wie Peter Brugger, Friedl Volgger, Franz Widmann und Hans Dietl näher eingeweiht.

Das endgültige Scheitern aller Verhandlungen

Am 25. Mai 1961 brachte Außenminister Kreisky bei den Südtirol-Verhandlungen in Klagenfurt neben den Autonomie-Forderungen der Südtiroler auch das geplante Ausbürgerungs-Gesetz zur Sprache und sagt dem italienischen Außenminister Segni ins Gesicht: „Wenn dieses Gesetz beschlossen wird, entsteht eine sehr ernste Situation … Ich sage Ihnen aber allen Ernstes, wenn dieses Gesetz zustande kommt, gibt es kein Verhandeln mehr.“

Die Verhandlungen scheiterten noch am selben Tag, weil die italienische Seite insgesamt zu keinerlei Zugeständnissen bereit war.

Bei den Verhandlungen warnte der österreichische Außenminister Bruno Kreisky (rechts) die italienische Seite eindringlich. Der italienische Außenminister Segni (links) und seine Delegation waren aber unbelehrbar.
Bei den Verhandlungen warnte der österreichische Außenminister Bruno Kreisky (rechts) die italienische Seite eindringlich. Der italienische Außenminister Segni (links) und seine Delegation waren aber unbelehrbar.

Die Situation duldete keinen Aufschub mehr – Der große Schlag der Feuernacht

In dieser Situation beschloss der BAS in einer Beratung im schweizerischen Zernez am 1. Juni 1961den großen Schlag der „Feuernacht“, um die Weltöffentlichkeit auf das Unhaltbare der Situation aufmerksam zu machen.

Die „Feuernacht“, das war die Herz-Jesu-Nacht vom 11. auf den 12. Juni 1961. In dieser Nacht wurden zahlreiche Feuer zum Gedenken an die Freiheitskämpfe von 1796 und 1809 abgebrannt und es waren zahlreiche Menschen unterwegs. So fielen auch die Attentäter des BAS nicht auf, als sie im ganzen Land Hochspannungsmasten mit Zeitzünder-gesteuerten Sprengladungen versahen.

Der Gründer des BAS, Sepp Kerschbaumer, war alles andere als ein ideologischer Fanatiker. Der tiefgläubige Christ betete mit seiner Familie täglich den Rosenkranz.
Der Gründer des BAS, Sepp Kerschbaumer, war alles andere als ein ideologischer Fanatiker. Der tiefgläubige Christ betete mit seiner Familie täglich den Rosenkranz.

Wie man den späteren Verhaftungslisten entnehmen kann, handelte es sich bei den Südtiroler Attentätern nicht um verhetzte Ideologen oder gar um Irre, sondern um durchwegs christlich gesinnte Bauern, Handwerker und Gewerbetreibende, die mit beiden Beinen auf dem Boden standen und die aus Verzweiflung einfach keinen anderen Ausweg mehr sahen, um die Entrechtung und Vernichtung ihrer Volksgruppe zu verhindern.

Zwei Männer des BAS: Links der Obstbauer Luis Amplatz, rechts der Schmied und Schützenmajor Georg Klotz.
Zwei Männer des BAS: Links der Obstbauer Luis Amplatz, rechts der Schmied und Schützenmajor Georg Klotz.

Die Nordtiroler Teilnehmer an der Feuernacht kamen zumeist aus gutbürgerlichen und teilweise akademischen Kreisen. Eine Reihe von ihnen reiste im Rahmen eines von dem Innsbrucker Komponisten und Musikprofessor Günther Andergassen organisierten Kulturausfluges „Pro Arte et Musica“ nach Oberitalien.

Der prominente Musiker Günther Andergassen war einer der wesentlichen Unterstützer des BAS.
Der prominente Musiker Günther Andergassen war einer der wesentlichen Unterstützer des BAS.

Auf dem Rückweg hielt der Bus am Abend in Bozen. Die Insassen schwärmten in die Umgebung aus und „luden“ ebenso wie ihre Südtiroler Freunde ausgewählte und ihnen zugewiesene Hochspannungsmasten. „Kurz nach Mitternacht bebte das Gebiet um den Bozner Talkessel fast zwei Stunden lang unter heftigen Explosionen, die in kurzen Abständen erfolgten, schlagartig die Nacht erhellten, um darauf die Stadt umso tiefer in Dunkelheit zu stürzen. Fenster barsten, viele Stadtbewohner stürmten von Panik getrieben auf die Straßen. Dasselbe im ganzen Land …“ (Franz Widmann: „Es stand nicht gut um Südtirol“, Bozen 1998, S. 561)

Zu den österreichischen Helfern des BAS hatte auch die Innsbrucker Restauratorin und Kunsthistorikerin Herlinde Molling gehört, die später einen authentischen Bericht in Buchform veröffentlichte. (Herlinde Molling: „So planten wir die Feuernacht“, Bozen 2011, ISBN 978-88-7283-406-0)
Zu den österreichischen Helfern des BAS hatte auch die Innsbrucker Restauratorin und Kunsthistorikerin Herlinde Molling gehört, die später einen authentischen Bericht in Buchform veröffentlichte. (Herlinde Molling: „So planten wir die Feuernacht“, Bozen 2011, ISBN 978-88-7283-406-0)

In der Herz-Jesu-Nacht wurden an die 40 Hochspannungsmasten gesprengt, 37 Masten erlitten Totalschaden, die anderen waren beschädigt.

Der Donnerschlag der Herz-Jesu-Nacht und die nach darauf folgenden Anschläge der nächsten Tage rückten mit einem Schlag das ungelöste Südtirolproblem in den Mittelpunkt internationaler Aufmerksamkeit.

Heimlich gestreutes Flugblatt des BAS zur Feuernacht.
Heimlich gestreutes Flugblatt des BAS zur Feuernacht.

Am nächsten Tag kam tragischer Weise bei der Salurner Klause der Straßenwärter Giovanni Postal ums Leben, als er eigenmächtig eine nicht detonierte Sprengladung entschärfen wollte.

Die Auswirkungen der „Feuernacht“

Der große Schlag der Feuernacht löste eine Reihe von Ereignissen aus: Massenhaft wurden Carabinieri, Polizei und Militär ins Land gebracht und in Militärlagern, Kasernen, Feldlagern und in beschlagnahmten Hotels untergebracht. Anfänglich waren es etwa 15.000 Mann, ihre Zahl sollte laut Medienberichten jedoch bis auf 45.000 steigen.

Rom reagierte auf die Anschläge mit Härte und mit unglaublichen Methoden des Terrors und der Folter. Die Welt blickt geschockt auf Südtirol.

Parallel zu den Repressionsmaßnahmen machte Rom aber nun ein direktes Autonomie-Verhandlungsangebot an die Südtiroler Volkspartei.

Die Feuernacht warf das Vorhaben des Ausbürgerungsgesetzes – eines wahrhaft gigantischen Anschlages auf die deutsche und ladinische Volksgruppe – auf den Müllhaufen der Geschichte und zwang die römische Regierung, in Verhandlungen mit der SVP eine politische Lösung zu suchen. Der Preis, den zahlreiche Freiheitskämpfer bezahlten, war jedoch ein schrecklicher: Folter, Tod, Erniedrigung – in einem Ausmaß, welches man im zivilisierten Mitteleuropa nach Hitler und Mussolini nicht mehr für möglich gehalten hatte.

Darüber Näheres in der nächsten Dokumentation




Warum es 1961 zur „Feuernacht“ kam

Vor 60 Jahren leitete ein bewegendes Ereignis das Ende einer gegenüber Südtirol Jahrzehnte lang geübten Zuwanderungs- und Entnationalisierungspolitik Roms ein. Der von ehemaligen Freiheitskämpfern und politischen Häftlingen gegründete „Südtiroler Heimatbund“ (SHB), der für die Landeseinheit Tirols eintritt, hat nachstehende Dokumentation veröffentlicht:

Die Nacht des „Herz-Jesu-Sonntags“ vom 11. Juni auf den 12. Juni 1961, als an die 40 Hochspannungsmasten in Südtirol in die Luft flogen oder zumindest schwer beschädigt wurden, ging als „Feuernacht“ in die Geschichte ein.

Die italienische Regierung und der Großteil der italienischen Presse stellten die Situation so dar, als sei die Behandlung der deutschen und ladinischen Volksgruppe stets vorbildlich gewesen. Bei den Attentätern des „Befreiungsausschusses Südtirol“ (BAS) handle es sich daher offenbar um „nazisti“ oder um Leute, die über Nacht verrückt geworden seien. Auch in Österreich fanden sich einige Nachbeter dieser Thesen.

Die Wahrheit ist allerdings eine andere. Um verstehen zu können, warum im Juni 1961 der Druckkessel in Südtirol platzte, muss man die Geschichte der Unterdrückung der Südtiroler in den Jahrzehnten davor kennen.

Die nachstehende Dokumentation stammt von Roland Lang,
Obmann des „Südtiroler Heimatbundes“ (SHB), und soll über diese Vorgeschichte einen Überblick liefern

Die „Politik der 51 Prozent“

Die geförderte Massenzuwanderung aus dem Süden

Das Ziel des Faschismus war es gewesen, einen zentralistisch regierten Staat mit einer homogenen Einheitsnation zu schaffen. Für das Weiterbestehen anderer Volksgruppen war in diesem Konzept kein Platz vorgesehen gewesen.

Die kulturelle Umformung der Südtiroler zu Italienern war von einer staatlich gelenkten und geförderten Masseneinwanderung begleitet worden, um die nicht zur Assimilierung bereiten Landesbewohner zur rechtlosen Minderheit im eigenen Lande zu machen. Nach 1945 wurde diese Politik konsequent fortgesetzt. Bereits im April 1954 hatte der italienische Generalkonsul in Innsbruck, Mario Paulucci, in einer geheimen Denkschrift für seine Regierung den Weg zur endgültigen Italianisierung Südtirols durch eine „Politik der 51 Prozent“ –  „politica del 51 percento – aufgezeigt. Um die möglichst rasche Majorisierung der Südtiroler zu erreichen, sei eine weitere progressive Industrialisierung Südtirols mit Schaffung neuer Arbeitsplätze für zuwandernde Italiener notwendig. Die Regierung in Rom handelte genau nach diesem Fahrplan.

Die Zahlen der amtlichen Volkszählungen geben hierzu Aufschluss:

  • 1900 lebten in Südtirol 88,8 % Deutsche, 4 % Ladiner, 4 % Italiener. (Rest: Andere)
  • 1921 lebten in Südtirol 75,9 % Deutsche, 3,9 % Ladiner, 10,6 % Italiener. (Rest: Andere)
  • (Zwischen 1921 und 1961 hatten keine Volkszählungen mit Sprachgruppenfeststellung stattgefunden, um das Ausmaß der forcierten Zuwanderung zu verschleiern.)
  • 1961 lebten in Südtirol 62,2 % Deutsche, 3,4 % Ladiner, 34,3 % Italiener. (Rest: Andere)

(Aus: Autonome Provinz Bozen/Landesamt für Statistik – Astat (Hrsg.): „1991 Südtirol in Zahlen“, Bozen 1991, S. 10)

Bei linearem Fortlauf der Zuwanderung hätte der italienische Sprachgruppen-Anteil etwa 1970 bis 1971 die 50 %-Marke erreicht und überschritten.

Die „Feuernacht“ beendete diese Entwicklung. In der Folge sollte es sogar zu einer Trendumkehr und Abnahme des italienischen Bevölkerungsanteils kommen.

Sie kamen in Massen aus dem Süden und erhielten nach kurzem Aufenthalt in Notquartieren mit öffentlichen Geldern errichtete Wohnungen zugeteilt.
Sie kamen in Massen aus dem Süden und erhielten nach kurzem Aufenthalt in Notquartieren mit öffentlichen Geldern errichtete Wohnungen zugeteilt.

Die Umsetzung des Entnationalisierungs-Plans: Die Errichtung der Industriezone in Bozen

Die Zuwanderer benötigten natürlich  Arbeitsplätze. Diese wurden für sie vor allem in Bozen geschaffen.

In der zügig weiter ausgebauten Industriezone in Bozen erhielten die Neuzuwanderer Arbeitsplätze.
In der zügig weiter ausgebauten Industriezone in Bozen erhielten die Neuzuwanderer Arbeitsplätze.

„Volkswohnbau“ als Mittel der Majorisierung

Die Zuwanderer benötigten auch Wohnungen. Die meisten Zuwanderer wurden in Bozen angesiedelt, das ein zunehmend südländisches Erscheinungsbild annahm.

Laut einem Bericht in der Tageszeitung „Dolomiten“ vom 28. April 1954 erklärte der Südtiroler SVP-Politiker Dr. Alfons Benedikter: Das vom Faschismus im Jahre 1934 gegründete sogenannte Volkswohnhäuserinstitut besitze „in unserer Provinz derzeit 2.876 Wohnungen, wovon nur 60 (!) von Südtirolern bewohnt sind. … Vom Jahre 1949 bis November 1953 sind in der Provinz Bozen 633 Volkswohnungen (INA-Casa-Wohnungen) gebaut worden … Von diesen 633 Wohnungen sind nur 69 Südtirolern zugewiesen worden.“

Mit öffentlichen Mitteln wurden neue Wohnviertel für die Neuankömmlinge aus dem Süden gebaut.
Mit öffentlichen Mitteln wurden neue Wohnviertel für die Neuankömmlinge aus dem Süden gebaut.

Am 12. Juni 1958 teilte der italienische Bürgermeister der Stadt Bozen, Giorgio Pasquali, auf einer Pressekonferenz mit, dass ein neuer Bauleitplan vorsehe, die Einwohnerzahl der Stadt Bozen von derzeit 83.000 auf 150.000 Menschen in etwa 30 bis 35 Jahren zu erhöhen. Es sollte auch die Ausdehnung der Industriezone verdoppelt werden. (Siehe: Franz Widmann: „Es stand nicht gut um Südtirol“, Bozen 1998, S. 430)

Anstellung in öffentlichen Ämtern

In einem Memorandum der Österreichischen Bundesregierung aus dem Jahre 1956 wurde die Politik der Postenvergabe im öffentlichen Dienst aufgezeigt.

Dazu lieferte das Memorandum folgende Aufstellung:

Aus dem Memorandum der österreichischen Bundesregierung vom 8. Oktober 1956. (Veröffentlicht als Beilage 7 im „Memorandum der österreichischen Bundesregierung zur Südtirolfrage“ vom 5. September 1960, welches im Herbst 1960 der Vollversammlung der Vereinten Nationen überreicht wurde)

Die Verweigerung einer echten Autonomie

Anstelle einer im „Pariser Vertrag“ von 1946 zugesagten Autonomie für Südtirol wurde den Südtirolern im Jahre 1948 ein betrügerisches Autonomiestatut für eine gemeinsame Region „Trentino – Alto Adige“ aufgezwungen, in welcher die Südtiroler im Regionalrat einer italienischen Mehrheit ausgeliefert waren.

Wie zur Zeit des Faschismus: Die Ächtung der Tiroler Farben und Symbole

Gesetzwidriges Vorgehen der italienischen Behörden in den Jahren 1946 bis 1960 gegen Tiroler Fahnen und Symbole, deren öffentliches Zeigen als „aufrührerische Kundgebung“ eingestuft und gerichtlich verfolgt wurde. Darüber erschien eine Unzahl von Berichten in den „Dolomiten“.

Der römische Kulturkampf gegen die Südtiroler

Die deutsche Sprache nur „Hilfssprache“ im Verkehr mit Ämtern – Mangelnde Doppelsprachigkeit bei Gericht – Verbot einsprachig deutscher Aufschriften – Die sorgsame Bewahrung der erfundenen faschistischen Ortsnamen – Italianisierung der Kindergärten – Keine Zuständigkeit der Südtiroler für ihr eigenes Schulwesen – Missbrauch der Schule zum Zwecke der Italianisierung – Zensur von Theateraufführungen.

Über die faschistische und nachfaschistische Schulpolitik in Südtirol hat die Historikerin Margareth Lun eine fesselnd zu lesende Dokumentation erstellt. (Margareth Lun: „Die Schule in Südtirol vom Faschismus bis zum Kriegsende“, in: Margareth Lun (Hrsg.): „Die Deutschen brauchen keine Schulen“, Effekt-Verlag Neumarkt/Südtirol 2020)
Über die faschistische und nachfaschistische Schulpolitik in Südtirol hat die Historikerin Margareth Lun eine fesselnd zu lesende Dokumentation erstellt. (Margareth Lun: „Die Schule in Südtirol vom Faschismus bis zum Kriegsende“, in: Margareth Lun (Hrsg.): „Die Deutschen brauchen keine Schulen“, Effekt-Verlag Neumarkt/Südtirol 2020)

Die Justiz als politische Waffe

Zahlreiche politische Prozesse in Südtirol unter Einsatz ehemaliger Faschisten als Staatsanwälte.

Die fortgesetzte Anwendung der politischen Paragraphen des alten faschistischen Strafrechts mit unglaublich hohen Strafrahmen: Zerstörung oder Herabdrückung des Nationalgefühls – Zerstörung des nationalen Empfindens – „Vilipendio“: Schmähung der italienischen Nation, Schmähung der Fahne oder anderer staatlicher Symbole – Anschlag auf die Einheit des Staates.

Darüber gibt es zahlreiche Berichte der „Dolomiten“ von 1946 bis 1961.

Unterdrückung und Übergriffe

Eine detaillierte Darstellung der auch nach 1945 andauernden Unterdrückung der Südtiroler würde den Rahmen der Darstellung sprengen.

Nachstehend nur einige wenige Beispiele aus einer Unzahl damaliger Berichte:

Bespitzelung der Bevölkerung und Verprügeln von Südtirolern durch Carabinieri

Am 28. Februar 1946 berichtete das SVP-Parteiorgan „Volksbote“ unter dem Titel „Ist es besser geworden?“ über solche Vorfälle.

Misshandlungen durch Carabinieri und Drohung der Einäscherung einer Ortschaft

Bericht in: „Dolomiten“ vom 4. Juni 1946. Bericht des Obmannes der SVP Tramin, Kurt Mair, vom 1. Juni 1946, sowie Bericht von Helene Menapace vom 1. Juni 1946, Tiroler Landesarchiv, Amt der Tiroler Landesregierung VIII K, Pos. 5-12, Südtirol, Jahr 1945 – 47, Karton Nr. 3.

1949 und 1957: Verbote eines Kongresses der europäischen Volksgruppen und Regionen

Artikel „Südtirol – Besser rot als deutsch“, in: „Der Spiegel“ vom 29. April 1953. „Dolomiten“ vom 15. November 1957

1956 und 1957: Verbote von SVP-Kundgebungen mithilfe eines faschistischen Sicherheitsgesetzes

„Dolomiten“ vom 20. September 1956 und vom 13. November 1957.

1957, 1959, 1960: Berichte über schwere Übergriffe der Carabinieri – Anwendung von Folter – Verprügeln von Bürgern

Günther Obwegs: „Freund, der du die Sonne noch schaust …“, Bozen 2004, S. 30. Bericht aus 1959: Tiroler Landesarchiv, Amt der Tiroler Landesregierung, Referat Südtirol, Jahr ca. 1957-1990, Karton Nr. 14. „Dolomiten“ vom 22. Februar 1960.

Einprügeln auf Kirchenbesucher – „Knüppelsonntag“ im Jahr 1960 in Bozen.

1957: Neofaschistische Übergriffe unter den Augen der Behörden

„Dolomiten“ vom 20. November 1957.

1958: Strafe für das Singen deutscher Lieder

Bericht des Bürgermeisters Saxl vom 25. Juni 1958. (Tiroler Landesarchiv, Amt der Tiroler Landesregierung, Referat Südtirol, Jahr ca. 1957-1990, Karton Nr. 14)

Februar 1961: Drohung mit Erschießen, Gewaltanwendung, Festnahme und Verhöre wegen des Singens deutscher Lieder

„Dolomiten“ vom 9. Februar 1961.

1961: Ein Vertreibungsgesetz droht

Bericht in den „Dolomiten“ über das geplante Vertreibungsgesetz.
Bericht in den „Dolomiten“ über das geplante Vertreibungsgesetz.

Am 27. April 1961 wurde ein von den Senatoren der „Democrazia Cristiana“ (DC) eingebrachter Antrag zur Novellierung des italienischen Staatsbürgerschaftsgesetzes im Senat mit einer großen Mehrheit angenommen. Dieser Gesetzesentwurf trug den Titel „Zur Ausbürgerung italienischer Staatsbürger, die sich der Republik gegenüber untreu verhalten“.

Dieses Gesetz sollte den Entzug der Staatsbürgerschaft von ehemaligen Südtiroler Optanten auf dem Verwaltungsweg ermöglichen. Das betraf die überwiegende Mehrheit der erwachsenen Bevölkerung deutscher und ladinischer Sprache.

Es fehlte nur noch die Bestätigung durch die Abgeordnetenkammer.

Die „Feuernacht“ hat im Juni 1961 dieses schändliche Projekt auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen.

Rom hatte bis dahin die Unterdrückung immer weiter gesteigert und die langjährige Geduld der Südtiroler mit einer Bereitschaft zur Selbstaufgabe verwechselt gehabt. Das Volk, welches bereits 1809 seine Wesensart aller Welt gezeigt hatte, war aber auch 1961 trotz aller Verzweiflung nicht zur Selbstaufgabe bereit gewesen – wie die „Feuernacht“ zeigen sollte.




Ein Gewerkschafter und Arbeiterkammerfunktionär als bedeutender Zeithistoriker

Es ist nicht alltäglich, dass ein ehemaliger Gewerkschafter und Arbeiterkammerfunktionär als Zeithistoriker bedeutende wissenschaftliche Wegmarkierungen setzt. Der aus einer Bozner Arbeiterfamilie stammende Günther Rauch tut dies mit seinen Forschungsergebnissen.

Bereits 2018 war seine Dokumentation „Italiens vergessenes Konzentrationslager Campo d’Isarco“ erschienen, 1919 gefolgt von der Dokumentation „KZ Campo d’Isarco: Tagebuch eines Wachsoldaten“. (Herausgeber „Südtiroler Heimatbund“ und „Verein Südtiroler Geschichte“. 2020 erschien sein Werk „Lautlose Opfer“. In diesen Dokumentationen schilderte Rauch, wie gnadenlos Faschismus und Nationalsozialismus mit ihren Opfern umgegangen waren.

Ebenfalls 2020 veröffentlichte er zusammen mit Josef Perkmann das Werk „Vergessene Geschichte – Die Zerschlagung der Südtiroler Arbeiterbewegung nach dem Ersten Weltkrieg“.

Nun ist aus der Feder von Günther Rauch ein herausragendes Heimatbuch über Bozen erschienen, welches auf über 600 Seiten tiefe Einblicke in die Kulturgeschichte und in die politische Geschichte Südtirols vermittelt.

Günther Rauch:

Bozner Obstplatz

Historisches und Alltägliches

Verlagsanstalt Athesia Bozen 2021
ISBN 978-88-8266-877-8
www.athesia.com
buchverlag@athesia.it

Dieses sichtlich von Heimatliebe getragene Werk führt uns zunächst zurück in das mittelalterliche Bozen und zeigt uns Schätze an Dokumenten und Bebilderung einschließlich alter Fresken aus historischen Gebäuden.

Günther Rauch führt uns dann durch die Jahrhunderte, indem er die Entwicklung der Kultur, des wirtschaftlichen, sozialen und religiösen Lebens vor uns ausbreitet.

Ausschnitt aus dem Gemälde „Der Obstplatz“ von1830. (Kunstmuseum des Servitenklosters in Innsbruck)
Ausschnitt aus dem Gemälde „Der Obstplatz“ von 1830. (Kunstmuseum des Servitenklosters in Innsbruck)

Die Dokumente und Bilder, die er uns zeigt, stammen nicht nur aus dem alten Bozen, sondern teilweise auch aus anderen Orten Tirols. Dieses Werk ist somit über den Rahmen Bozens hinaus ein Tiroler Geschichtsbuch.

Wir sehen die Handelsmessen und Bauernmärkte, erleben reiches Brauchtum und lernen die Badekultur und Gesundheitspflege ebenso wie die Buschenschenken und Wirtshäuser kennen.

Bild links: Bozner Kaufmann mit Bügelbrille. Gemälde aus der alten Pfarrkirche in Gries-Bozen (etwa aus der Zeit 1435 - 1517) Bild rechts: Zwei deutsche Kaufleute, Deckenfresko Pfarrkirche Martell.
Bild links: Bozner Kaufmann mit Bügelbrille. Gemälde aus der alten Pfarrkirche in Gries-Bozen (etwa aus der Zeit 1435 – 1517) Bild rechts: Zwei deutsche Kaufleute, Deckenfresko Pfarrkirche Martell.

Wir begegnen in der zunehmend an Bedeutung gewinnenden Stadt Bozen nicht nur begüterten Adeligen und umtriebigen Kaufleuten aus dem deutschen Norden und dem italienischen Süden, sondern auch Kulturschaffenden wie Mozart, Goethe und Herder. Im Zuge des politischen Geschehens erfahren wir, dass Andreas Hofer zeitweise sein Quartier im Gasthaus „Zur Sonne“ auf dem Obstplatz aufschlug.

Westeingang Lauben in Bozen mit alten Adels- und Bürgerhäusern
Westeingang Lauben in Bozen mit alten Adels- und Bürgerhäusern

Rauch schildert auch die jüngere Zeitgeschichte anhand bislang wenig bekannter Vorkommnisse zu Ende des Ersten Weltkrieges und in der Zeit des beginnenden Faschismus.

Es kam zu Gewalttaten, Aufrufen zum Boykott deutscher Geschäfte und zu allerlei Schikanen gegen deutsche Gewerbetreibende.

Sehr ergreifend schildert Rauch den faschistischen Überfall auf einen Trachtenumzug anlässlich der Bozner Messe am 21. April 1921 und die Ermordung des Südtiroler Lehrers Franz Innerhofer, der einen kleinen Buben vor der Gewalt der Faschisten retten wollte. Anhand sorgsam ausgewerteter Quellen gibt uns Rauch hier eine ebenso spannende wie bedrückende Schilderung des Geschehens, wie sie in einer derart gründlichen Form bislang noch nicht vorgelegen hat.

Bozner Faschisten mit ihrer Standarte
Bozner Faschisten mit ihrer Standarte

Der Autor Rauch dokumentiert auch die folgenden Jahre der faschistischen Gewaltherrschaft mit ihrer staatlich geförderten Entnationalisierung der Südtiroler und lässt uns den unter großen Gefahren abgehaltenen deutschen Geheimunterricht mitten in Bozen erleben.

Am oberen Obstplatz mitten in Bozen befand sich eine deutsche Geheimschule
Am oberen Obstplatz mitten in Bozen befand sich eine deutsche Geheimschule

Dieser geheime Unterricht fand in dem Haus der Familie Kinsele statt. Dort wurden an die sechzig bis siebzig Kinder in deutscher Muttersprache unterrichtet. Günther Rauch berichtet:

„Fanny Kinsele hatte mehrere Wohnzimmer für den Unterricht eigens adaptiert. Mit wenigen Mitteln und unter schwierigsten Bedingungen brachten die angehenden Hilfslehrerinnen jeden Donnerstag und Sonntag den in kleinen Gruppen aufgeteilten Kindern durch gezielte Sprach- und Leseübungen die Muttersprache bei. Der gesamte Unterricht wurde von Fanny Kinsele geleitet.“

Die Lehrerin Hilde Nicolussi-Castellan auf einem späteren Bild aus dem Jahre 1971 zusammen mit Schülerinnen. Sie hatte als Katakombenlehrerin im Hause Kinsele geheim unterrichtet.
Die Lehrerin Hilde Nicolussi-Castellan auf einem späteren Bild aus dem Jahre 1971 zusammen mit Schülerinnen. Sie hatte als Katakombenlehrerin im Hause Kinsele geheim unterrichtet.

Am Ende dieses Geschichtswerkes führt uns Rauch in die Gegenwart des heutigen Bozen.

Er schließt mit den Worten: „Was anderswo kopiert wird, ist in Bozen in einer mehr als 700-jährigen Geschichte mit Freud und Leid gewachsen.“

Bozner Obstplatz um 1875. Gemälde von Ferdinand Petzl. (Kunstgalerie Morandell GmbH Bozen)
Bozner Obstplatz um 1875. Gemälde von Ferdinand Petzl. (Kunstgalerie Morandell GmbH Bozen)

Dieses Buch lässt uns die Heimatgeschichte Bozens und ganz Südtirols in einer wunderschönen Weise erleben. Dem Autor sei herzlicher Dank gesagt!




Die Nibelungenhandschrift I und die mittelalterliche Adelskultur im Vinschgau

Blatt Nr.- 17r der Nibelungenlied-Handschrift I – Die Handschrift war 1797 im Besitz des Karl Graf Mohr. Daß er sie auch gelesen hat, beweisen Einträge, die er ohne Scheu vor dem Wert und der Einzigartigkeit der alten Handschrift dort eigenhändig gemacht hat.

Vorwort des Herausgebers Georg Dattenböck:

Daß wir die hervorstechende Arbeit von Dr. Georg Mühlberger hier abdrucken dürfen, verdanken wir Herrn Hubert Giesriegl, Herausgeber des vierteljährlichen Periodikums „Südtirol in Wort und Bild“ (www.deleatur.com ), wo dieser Beitrag in der Ausgabe Nr. 4/2003 erstmals erschienen ist.

In drei Ausgaben des „Südtirol Informationsdienstes“ konnten wir bereits auf die überragende Bedeutung Südtirols für die Entwicklung der deutschen Sprache und Kultur hinweisen, wo auch das heutige Thema berührt wurde:

Einer der bekanntesten Südtiroler Kulturhistoriker, Dr. Egon Kühebacher, schrieb in „Deutsche Heldenepik in Tirol. König Laurin und Dietrich von Bern in der Dichtung des Mittelalters“ [Vorwort, S. 5, Athesia-Verlag 1979]:

„Tirol gehört zu jenen Gebieten des deutschen Sprachraumes, wo sich die Heldendichtung länger als anderswo der Gunst der literarisch Interessierten erfreute“.

„Die Nibelungenhandschrift I“

von Dr. Georg Mühlberger

Der Autor dieses Beitrages, Dr. Georg Mühlberger, war 4 Jahre lang Vorsitzender des „Südtiroler Kulturinstituts“ und war Direktor des Realgymnasiums in Bozen. Er studierte Germanistik und Geschichte an der Universität Innsbruck, ist u.a. auch Verfasser des Buches „Die Kartause Allerengelberg in Schnals.“
Der Autor dieses Beitrages, Dr. Georg Mühlberger, war 4 Jahre lang Vorsitzender des „Südtiroler Kulturinstituts“ und war Direktor des Realgymnasiums in Bozen. Er studierte Germanistik und Geschichte an der Universität Innsbruck, ist u.a. auch Verfasser des Buches „Die Kartause Allerengelberg in Schnals.“

Es war vor genau 170 Jahren, im Jahre 1833, als der Benediktinerpater Beda Weber, Professor an der Schule in Meran, wohl in einem der damals noch vorhandenen oberen Stockwerke der Burg Obermontani bei Latsch im Vinschgau in einer Ansammlung von Pergamenten herumstöberte.

Benediktinerpater Beda Weber, der im Jahr 1833 in der Burg Obermontani die wertvolle Handschrift gefunden hat.
Benediktinerpater Beda Weber, der im Jahr 1833 in der Burg Obermontani die wertvolle Handschrift gefunden hat.

Das ganze alte Schriftzeug war dazu bestimmt, als Makulatur an einen Krämer in Latsch verkauft zu werden.

Beda Weber fischte ein paar Schriftbündel heraus und erstand sie um geringes Geld. Was er gefunden hatte, war nicht mehr und nicht weniger als eine wertvolle Handschrift des Nibelungenliedes und eine Handschrift des Jüngeren Titurel.

Die Burg Obermontani, in beherrschender Lage am Eingang des Martelltales bei Morter im Vinschgau, beherbergte eine wertvolle Bibliothek. Diese wurde um 1833 aufgelöst, der Bestand an Handschriften und Büchern verkauft und unwiederbringlich zerstreut.
Die Burg Obermontani, in beherrschender Lage am Eingang des Martelltales bei Morter im Vinschgau, beherbergte eine wertvolle Bibliothek. Diese wurde um 1833 aufgelöst, der Bestand an Handschriften und Büchern verkauft und unwiederbringlich zerstreut.

 Es ist anzunehmen, daß der Gelehrte die Bedeutung seines Fundes erkannt hatte, dennoch hat er aus damaliger Sicht die historische Bedeutung des Ereignisses anders eingeschätzt, als wir es heute tun würden.

Er verkaufte die beiden Manuskripte um 200 fl an den Buchhändler Asher in Berlin, von dem sie die königlich-preußische Staatsbibliothek 1837 um angeblich 2000 fl – entspricht einem heutigen Wert von rund Euro 100.000,00 – erwarb.

Innenansicht der Ruine Obermontani mit den noch erkennbaren herrschaftlichen Räumen im 2. Obergeschoß, wo man den Aufbewahrungsort und Fundort der Handschrift vermuten darf. Die Burg war vom 17. bis zum frühen 19. Jahrhundert im Besitz der Grafen Mohr.
Innenansicht der Ruine Obermontani mit den noch erkennbaren herrschaftlichen Räumen im 2. Obergeschoß, wo man den Aufbewahrungsort und Fundort der Handschrift vermuten darf. Die Burg war vom 17. bis zum frühen 19. Jahrhundert im Besitz der Grafen Mohr.

Seither befindet sich, die hier auf Obermontani aufgefundene literaturhistorische Kostbarkeit, in Berlin unter der Signatur Ms germ. fol. 474. Die Nibelungenhandschrift, die in der Systematik die Bezeichnung mit dem Buchstaben I trägt, besteht aus 68 dicht beschriebenen Blättern im Format von 24 cm Höhe und 18 cm Breite.

Blatt Nr. 38v der Handschrift I – „Wie Gunther fur in Etzilen lant.“ Die auf dieser Seite wiedergegebenen Strophen beschrieben den von Warnungen begleiteten Aufbruch der Burgunden ins Hunnenland.
Blatt Nr. 38v der Handschrift I – „Wie Gunther fur in Etzilen lant.“ Die auf dieser Seite wiedergegebenen Strophen beschrieben den von Warnungen begleiteten Aufbruch der Burgunden ins Hunnenland.

 Fragezeichen bis heute

 Versetzen wir uns zurück in die Zeit um 1200. Es ist die Blütezeit der ritterlich höfischen Dichtung. Literatur wird in der höfischen Gesellschaft ein kulturelles Moment. Die Dichter treten aus ihrer Anonymität heraus, sie nehmen sich auch gegenseitig aufmerksam und kritisch zur Kenntnis. Es gibt eine Vielzahl von Anspielungen und wechselseitigen Bezugnahmen in den Werken der großen höfischen Epiker und Lyriker wie Hartmann von Aue, Wolfram von Eschenbach oder Walther von der Vogelweide. Gottfried von Straßburg stellt in seinem Epos Tristan und Isolde alle wichtigen Dichterpersönlichkeiten der Zeit vor.

Und dennoch: Unser Heldenepos hat es spätestens im Jahre 1204 bereits gegeben, da Wolfram von Eschenbach in seinem „Parzifal“ darauf anspielt. Das Nibelungenlied, ein „Bestseller“ über Jahrhunderte, hat doch das Geheimnis seiner Entstehung bis heute nicht preisgegeben.

Im Gegenteil: Der seit fast zweihundert Jahren anhaltende Gelehrtenstreit hat bis in die jüngste Zeit durch Funde von Handschriften-Fragmenten mehrfach neue Nahrung bekommen und geht erhitzt weiter.

 Mündliche Überlieferungstradition

Als sogenanntes Heldenepos steht das Nibelungenlied in einer mündlichen Überlieferungstradition. Der mündliche Erzähler trat als Sänger auf, nicht als Autor. Er erzählt die Geschichte ohne großen dichterischen Spielraum.

In 39 Abschnitten, Aventiuren genannt, beziehungsweise in insgesamt 2400 Strophen, erzählt das Nibelungenlied in einem ersten Teil die Geschichte von Kriemhild und Siegfried, die mit dessen Ermordung tragisch endet, und in einem zweiten Teil Kriemhilds Rache an den Burgundern.

Drei Sagenkreise sind ineinander verflochten. Das Nibelungenlied ist für den Gesangvortrag bestimmt. Die authentische Melodie ist nicht überliefert. Der mittelalterliche Sänger begleitet sich selbst auf der Harfe.

Handschriften entstehen

Der Literaturbetrieb, der gegen Ende des 12. Jahrhunderts an weltlichen Fürstenhöfen einsetzt, führt zu einer neuen Entwicklung. Erstmals wird auch die bis dahin mündlich tradierte Heldenepik in schriftliche Form gefasst; dennoch hat die mündliche Literaturüberlieferung, vor allem im Bereich der Heldenepik, noch lange Zeit weitergelebt und zur Entstehung der voneinander abweichenden Fassungen beigetragen. Die Abweichungen sind in den verschiedenen Handschriften zu beobachte. Die Tatsache, daß das Epos ab dem 13. Jahrhundert handschriftlich aufgezeichnet wurde, lässt den Schluss zu, daß seine mündliche Überlieferung erst ab diesem Zeitpunkt nicht mehr gewährleistet war.

Von Hand zu Hand überliefert

Die Entstehungszeit der in Obermontani aufgefundenen Handschrift dürfte um 1300 anzusetzen sein. Sie zählt zu den vier ältesten, in denen das um 1200 entstandene Nibelungenlied aufgezeichnet worden ist.

Nach dem heutigen Forschungsstand ist die Handschrift I wahrscheinlich in Tirol nach einer alamannischen Vorlage geschrieben worden. Sie fügt sich damit in die guten Produktionsbedingungen für literarische Handschriften, die es im süd- und südwestdeutschen Raum und besonders im südlichen Tirol gegeben zu haben scheint.

Ein Besitzeintrag aus dem 15. Jahrhundert weist sie als dem Anton Annenberger aus dem alten Vinschgauer Adelsgeschlecht gehörende aus.

Die Grafen Mohr beerbten im 17. Jahrhundert die ausgestorbenen Annenberger und verfügten damit auch über die bedeutende Bibliothek auf Schloss Annenberg.

Ein auf der Handschrift vermerkter Kommentar zeigt, daß Karl Graf Mohr noch 1797 in dieser Handschrift der Nibelungen gelesen hat. Er schrieb amüsiert unter anderem:

Wie Chubnig Gunther von Burgund Erstenacht Brunnhilden von Isenstain am Rheine beslafen wolt und si in hend und füsse band un ihn an ein nagel auf gehankht“ (fol. 16v/17r).

Gehobene Lebenskultur im Geiste der Spätgotik zeigt der mit Maßwerk, Blattranken und Wimpergen prachtvoll gestaltete dreisitzige Chorstuhl von Annenberg.
Gehobene Lebenskultur im Geiste der Spätgotik zeigt der mit Maßwerk, Blattranken und Wimpergen prachtvoll gestaltete dreisitzige Chorstuhl von Annenberg.

 Das Interesse des Grafen, der damals noch Herr auf Obermontani war, rückt den Fundort in den Vordergrund, wirft aber auch ein Licht auf den literarischen Geschmack des Adels. Wenn wir diesen weiter in die Geschichte bis ins Mittelalter zurückverfolgen, stellt sich uns die Frage: Was war das für eine Gesellschaft, die das Publikum für die fahrenden Sänger bildete und welche Bedürfnisse hatte sie?

Das neue Lebensgefühl der frühen Neuzeit spricht aus dem Renaissance-Altar von Annenberg.
Das neue Lebensgefühl der frühen Neuzeit spricht aus dem Renaissance-Altar von Annenberg.

Glanz und Luxus der höfischen Gesellschaft

Der Dichter, der im Donauraum den Stoff um 1200 zu unserem Nibelungenlied gestaltet hat, bearbeitete einen Stoff, den das Publikum seiner Zeit schon gut kannte. Es ist reizvoll zu beobachten, wie im Nibelungenlied, dessen stoffliche Quellen gut ein halbes Jahrtausend älter sind als die Niederschrift, alte germanisch-heidnische Wertvorstellungen mit der Fassade des höfischen Lebensstils kontrastieren.

Eine Vielzahl von Strophen sind der Schilderung von ritterlichen Kämpfen, Jagden Festen gewidmet, die Beschreibung der kostbaren Gewänder und der äußeren Schönheit will oft kein Ende nehmen. Umso tragischer wirkt der Absturz in die Tragödie.

Dieser Glanz der ritterlich-höfischen Gesellschaft, der ein Stück gestaltete, wenn auch alltagsferne Selbstdarstellung ist, wirkt nach, tief hinein ins 13. und ins 14. Jahrhundert, in eine Zeit, die durch Naturkatastrophen, durch politische und religiöse Verunsicherung und durch Erscheinungen eines allgemeinen Niedergangs einschneidende Veränderung des Lebensgefühls mit sich gebracht hat.

Höfische Selbstdarstellung in den Fresken von Lichtenberg

Um dieses Lebensgefühl an einem räumlich naheliegenden Beispiel zu betrachten, werfen wir einen Blick auf die Burg Lichtenberg, deren Fresken – heute im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum Innsbruck – ein besonders eindrucksvolles und seltenes Beispiel profaner Malerei darstellen.

Die Fresken verraten einen hohen Stand der Malkunst. Die Inhalte und Motive dieser Malerei weisen auf eine anspruchsvolle und souveräne Sicht der ritterlichen Kultur hin. Der rote Faden, der von der Erschaffung der Welt und des Menschen über die Vertreibung aus dem Paradies in die Welt und die Bilder des höfischen Lebens, des höfischen Epos und auch der Heldensage führt, scheint die Sehnsucht nach dem Glanz einer zu Ende gehenden Epoche auszudrücken; nach der Welt des Rittertums und ihren Mythen.

Das Glücksrad als Symbol für die Unbeständigkeit des irdischen Glücks. Die Szene mit dem Glücksrad stellt die anderen Bilder des Lichtenberger Freskenzyklus, die den Glanz des höfischen Lebens zeigen, in einen aussagekräftigen Zusammenhang. Die vor der Zerstörung bewahrten Fresken befinden sich im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum.
Das Glücksrad als Symbol für die Unbeständigkeit des irdischen Glücks. Die Szene mit dem Glücksrad stellt die anderen Bilder des Lichtenberger Freskenzyklus, die den Glanz des höfischen Lebens zeigen, in einen aussagekräftigen Zusammenhang. Die vor der Zerstörung bewahrten Fresken befinden sich im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum.

Die Sage von König Laurin und seinem Rosengarten ist eine räumlich gleichsam vor Ort festgemachte Szenerie für ritterliches Kämpfen und Handeln. Mit dem Auftritt Dietrichs von Bern, der auf den Fresken mit „der perner“ bezeichnet ist und der gegen den Zwergenkönig Laurin kämpft, schließt sich der Bogen zu großen Welt der Dietrichsage, zur Geschichte der Völkerwanderungszeit und zu jener Gestalt, die – als Inbegriff ritterlichen Edelmuts – am Ende des Nibelungenliedes tragisch und unfreiwillig in das blutige Rachegeschehen am Hunnenhof involviert wird.

Die in der Malerei wiedergegebenen Details, zum Beispiel bei Rüstungs- und Waffendarstellungen, bei der Darstellung der Kleidung mit ihren modischen Accessoires (Quasten, Schellen, Fransen, Schnabelschuhe…), der  Prunk der Turniere, das Lanzenstechen, Jagdszenen haben ihr Gegenstück in der Ausführlichkeit, mit der solche Dinge im Nibelungenlied beschrieben sind.

Auch die Fresken auf Schloss Runkelstein bei Bozen spiegeln diese Vorliebe wider. Die Nähe des landesfürstlichen Hofes in Meran hat das Selbstverständnis und den Kunstsinn der adeligen Gesellschaft im Vinschgau sicher nicht unwesentlich beeinflusst. Doch scheint sich diese gesellschaftliche Welt in einer Flucht nach rückwärts zu befinden, in der nochmals festgehalten werden soll, was verloren zu gehen droht.

Ausschnitt aus den Fresken von Runkelstein, die wie ein Bilderbuch des höfischen Lebens Einblick geben in das Lebensgefühl des späten Mittelalters.
Ausschnitt aus den Fresken von Runkelstein, die wie ein Bilderbuch des höfischen Lebens Einblick geben in das Lebensgefühl des späten Mittelalters.

Die alte Bibliothek auf Schloss Annenberg

Der schon erwähnte Besitzeintrag auf der Nibelungenhandschrift, der diese dem Anton von Annenberg zuschreibt, lenkt unseren Blick auf die der Ruine Obermontani gegenüberliegende Talseite, auf Schloss Annenberg.

Die mächtige Burganlage Annenberg, die in ihren Ursprüngen mittelalterlich ist, zeigt in ihren repräsentativen Erweiterungsbauten und Bastionen und auch in der Kapelle aus der Zeit um 1517 den Ausdruck der Zeit Maximilians I. Das Verhältnis Maximilian I. zur mittelalterlichen Heldenepik ist im Ambraser Heldenbuch dokumentiert.
Die mächtige Burganlage Annenberg, die in ihren Ursprüngen mittelalterlich ist, zeigt in ihren repräsentativen Erweiterungsbauten und Bastionen und auch in der Kapelle aus der Zeit um 1517 den Ausdruck der Zeit Maximilians I. Das Verhältnis Maximilian I. zur mittelalterlichen Heldenepik ist im Ambraser Heldenbuch dokumentiert.

Einige noch erhaltene Kunstgegenstände, wie der Annenberger Altar und der Annenberger Chorstuhl – beide im Museum Ferdinandeum Innsbruck – oder der gotische Waschkasten – im Museum für angewandte Kunst in Wien – zeugen von der gehobenen Lebenskultur auf Annenberg. Nach der Überlieferungslage war die Bibliothek der Annenberger im 15. Jahrhundert die bedeutendste in privatem, weltlichem Besitz im Vinschgau, wenn nicht überhaupt in Tirol.

Die Annenberger hatten sich als Dienstleute der Grafen von Tirol seit der Mitte des 13. Jahrhunderts zu einem einflussreichen Geschlecht entwickelt und waren im Beitz mehrerer Burgen im mittleren Vinschgau.

Die Blütezeit der Bibliothek auf Schloss Annenberg geht zurück auf Anton von Annnenberg (1420-1480), der sich nach Studium in Burgund und am Rhein auf seinem Schloss offensichtlich mit Hingabe seinen gelehrten Interessen widmete. Der Bestand der Annenberger Bibliothek, der einen reichen Bestand an Handschriften und Inkunabeln umfasste, lässt auf einen gehobenen Bildungsstand im Vinschgauer Adel schließen, der wohl auch aus Anton von Annenbergs Sammlertätigkeit Vorteile gezogen hat.

Es fällt auf, daß er mit besonderem Interesse deutsche Übersetzungen und überhaupt für die deutsche Literatur gesammelt hat, wofür die erst in späterer Zeit aufgespürten Handschriften bedeutender Werke mittelalterlicher Literatur beredtes Zeugnis geben.

Es ist wohl kein Zufall, daß sich im 15. Jahrhundert unter den Nachfahren Antons ein Mann mit Namen Parzival findet.

Daß in einem solchen Ambiente Kostbarkeiten wie die Handschrift I und auch andere ihren Platz hatten, versteht sich wohl von selbst. Ein glücklicher Zufall hat die Nibelungenhandschrift im 19. Jahrhundert gleichsam an Land gespült. Auch wenn sie unserem Land nicht erhalten geblieben ist, darf sie doch als geistiger Besitz mit diesen Ausführungen in Erinnerung gerufen werden.

Liebe, Betrug und Rache

Der Handlungsverlauf des Nibelungenliedes lässt sich, sehr verkürzt, etwa so zusammenfassen: Der strahlende Held Siegfried, der den Drachen getötet und den Schatz der Nibelungen, eines Zwergengeschlechtes, errungen hat, zieht nach Worms und wirbt um Kriemhild, die Schwester Burgunderkönigs Gunther.

Dieser will seinerseits die Königin Brünhilde vom Isenstein zur Frau gewinnen. Wer um sie wirbt, muss sie, die übermenschliche Körperkraft besitz, im Speerwerfen und Springen besiegen. Wer daran scheitert ist des Todes. Siegfried, der sich, dank seiner Tarnkappe, unsichtbar machen kann, verhilft Gunther im Zweikampf zum Sieg, muss Gunther allerdings in der zweiten Hochzeitsnacht noch ein weiteres Mal helfen, die Kraft Brünhilds zu brechen.

Siegfried, der für seine Dienste Kriemhild zur Frau bekommen hat, erzählt dieser vom Betrug.

Zehn Jahre später lädt Gunther die beiden anlässlich großer Festlichkeiten nach Worms. Kriemhild und Brünhilde geraten in Streit über die Vorzüge ihrer Gatten. Die erzürnte Kriemhild verrät, auf welche Weise seinerzeit Brünhilde überwunden worden war.

Brünhild sinnt auf Rache, zieht Hagen von Tronje ins Vertrauen und verlangt den Tod Siegfrieds. Widerwillig muss auch Gunther zustimmen. Hagen ermordet Siegfried auf einem Jagdausflug.

Mit Siegfrieds Tod scheint auch Kriemhilds Leben abgeschlossen. Aber sie sinnt auf Rache, und als, nach dreizehn Jahren, der Hunnenkönig Attila um ihre Hand anhält willigt sie ein. Als Attila nach weiteren dreizehn Jahren die Burgunderkönige zu einem großen Fest an seinen Hof lädt, treten diese trotz der Warnungen Hagens mit großem Gefolge die Fahrt an, von der sie nicht mehr zurückkehren sollten.

Auch die Warnungen Dietrichs von Bern, der sich mit seinem Waffenmeister Hildebrand am Hof des Hunnenkönigs aufhält, kommen zu spät. Kriemhild nimmt grausame Rache an ihren Verwandten. Schließlich ist nur noch Hagen am Leben, in Fesseln gelegt von Dietrich von Bern. Kriemhild verlangt vergebens, daß er ihr die Stelle am Rhein verrate, wo der Nibelungenschatz versenkt ist. Hagen fällt durch Kriemhilds Hand und nimmt das Geheimnis mit in den Tod.

Hildebrand tötet Kriemhild und beendet die blutige Tragödie.




Vor 100 Jahren: „Bozner Blutsonntag“ – schweres Unheil kündigte sich an

Der „Südtiroler Heimatbund“ (SHB), eine von ehemaligen Südtiroler Freiheitskämpfern und politischen Häftlingen gegründete, Vereinigung, die für die Selbstbestimmung Südtirols eintritt, hat mit nachstehender Presseaussendung an ein ebenso bedeutsames wie trauriges Ereignis in der Geschichte des Landes erinnert.

Dass es den Faschisten darum ging, Südtirol seiner Tiroler Identität zu berauben, wurde schon vor ihrer Machtergreifung klar. Als anlässlich der Abhaltung der ersten Bozner Messe nach dem Ersten Weltkrieg verlautete, dass als Rahmenveranstaltung am 24. April 1921 ein großer Trachtenumzug stattfinden sollte, hatte das die Faschisten auch außerhalb Südtirols alarmiert.

Diese betrachteten die Mehrheit der Südtiroler als „germanisierte“ ursprüngliche Italiener und die Ladiner waren in ihren Augen ohnedies nichts anderes als abtrünnige Italiener. Es galt aus der Sicht der Faschisten, der Bekundung Tiroler Identität entschieden entgegen zu treten.

Aufruf zur faschistischen „Strafexpedition“

Einer der vielen Aufrufe des Zentralkomitees der „Fasci“ in Mailand.
Einer der vielen Aufrufe des Zentralkomitees der „Fasci“ in Mailand.

Das Zentralkomitee der „Fasci di Combattimento“ („Faschistische Kampftruppen“) in Mailand richtete am 16. April 1821 ein Schreiben an die politischen Sekretäre der Fasci von Brescia und Verona, das zur Teilnahme an einer „Strafexpedition“ am 24. April in Bozen aufforderte. In dem Schreiben hieß es (in deutscher Übersetzung):

„Verehrte Freunde des Direktionskomitees der Fasci von Brescia und Verona – Der Fascio di combattimento von Bozen hat beschlossen, am Sonntag, den 24. des laufenden Monats, eine Kundgebung der Italianita zu veranstalten. Sie ist unbedingt nötig, da die Tiroler an diesem Tag in Massen in Tracht auftreten werden, um ihre Ansprüche auf die Stadt zu erheben, den äußersten Wachposten des Vaterlandes.

Obwohl der Wahlkampf die Faschisten mehr oder weniger überall in Anspruch nimmt, glaubt dieses Zentralkomitee diesen kühnen Manipel der treuen Italiener doch nicht im Stich lassen zu können; deshalb ersucht es Euch innig dafür zu sorgen, dass eine möglichst umfangreiche Squadra am kommenden Sonntagmorgen nach Bozen kommt. … Wir rechnen mit Eurer Solidarität und Eurem Opferwillen.“ (Wiedergegeben in: Stefan Lechner: „Die Eroberung der Fremdstämmigen – Provinzfaschismus in Südtirol 1921-1926“, Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs Band 20, Innsbruck 2005, S. 125)

Am Sonntag, den 24. April 1921, entstiegen mehrere hundert Faschisten, unter ihnen eine berüchtigte Veroneser Schlägertruppe, einem aus dem Süden kommenden Zug. Sie waren mit Totschlägern, Revolvern und sogar mit Handgranaten ausgerüstet. Die italienischen Behörden hatten sie nicht am Kommen gehindert, obwohl seit Freitag allgemein bekannt gewesen war, dass die Faschisten kommen würden.

Als sie nun unter Gebrüll von Hetzliedern hinter einer schwarzen Fahne durch die Stadt zogen, sprachen Vertretungen besorgter Südtiroler bei dem Regierungskommissär Credaro vor, um den Schutz des am Nachmittag stattfindenden Trachtenumzuges zu erbitten. Dieser Schutz wurde versprochen, in der Folge aber nicht gewährt. Den Faschisten wurden von den Carabinieri nicht einmal die Waffen abgenommen.

Die bewaffneten Faschisten mischten sich in den Festumzug
Die bewaffneten Faschisten mischten sich in den Festumzug

Als sich am Nachmittag unter dem Spiel zahlreicher Musikkapellen der Trachtenfestzug in Bewegung setzte, mischten sich die Faschisten gruppenweise in Viererreihen in den Umzug. Sie gingen dann mit Knüppeln, Pistolen und Handgranaten auf die Festteilnehmer los. Als der Schulleiter Franz Innerhofer aus Marling, der in der Marlinger Musikkapelle die Trommel geschlagen hatte, nun den 8jährigen Hans Theiner aus Marling in einen Hausflur in Sicherheit bringen wollte, schoss ein Faschist ihm in den Rücken und Innerhofer musste verbluten. Insgesamt gab es an die 50 Verwundete, von denen einer, der Sagschneider Johann Baptist Dapra vom Schloss Ried bei Bozen, einige Tage später ebenfalls verstarb. Die Sicherheitsorgane einschließlich des italienischen Militärs hatten den Faschisten freie Hand gelassen. Die italienische Presse hetzte mehrheitlich gegen die Südtiroler. Die Polizei und die Justizbehörden wollten offenbar die Täter nicht ermitteln.

<span style="color: #000000;">Innerhofer wurde erschossen, als er den kleinen Hans Theiner retten wollte.</span>
Innerhofer wurde erschossen, als er den kleinen Hans Theiner retten wollte.

Nach den Bluttaten setzten sich die Faschisten vor dem Hotel „Kaiserkrone“ an dort aufgestellten Tischen zusammen, „wo bereits Offiziere“ der italienischen Streitkräfte ihrer harrten, wie die die Zeitung „Der Tiroler“ am 26. April 1921 berichtete. „Ihre Waffen auf die Tische legend erzählten sie sich laut brüstend von ihren Verbrechen, und die Offiziere unterhielten sich aufs freundlichste mit den Kerlen.“

Aus „Der Tiroler“ vom 26. April 1921
Aus „Der Tiroler“ vom 26. April 1921

Über die Heimreise der faschistischen Horden berichtete „Der Tiroler“: „Als die Zeit gekommen war, dass die Faschistenbande wieder heimfahren wollte, zog sie unter dem ehrenden Geleite von Offizieren zum Bahnhofe, vor dem sie nochmals Aufstellung nahmen und Reden schwangen, die von nationalistischem Gehetz nur so sprühten. Endlich stiegen sie unter Geschrei in den Zug ein. Bei der Abfahrt ließen die Kerle noch einmal ihrem Deutschenhasse die Zügel schießen, indem sie mit ihren Revolvern herumfeuerten, als ob es mit den bereits verübten Bluttaten noch immer nicht genug wäre. Bei diesen Schießereien wurde denn auch noch ein Mann getroffen, und zwar ein in den Überetscher Zug eingestiegener Bauer, namens Fran Kofler aus Eppan. Die Kugel drang dem Manne durch den Hals. Es ist nur einem ganz besonderen Glück zuzuschreiben, dass das Projektil weder die Schlagader noch den Halswirbel traf.“

Dieses schlimme Geschehen ließ erahnen, was nach einer Machtergreifung des Faschismus noch auf die Südtiroler Bevölkerung zukommen sollte.

Einen Tag nach den Gewalttaten fand am Viehmarktplatz in Bozen eine große Südtiroler Protestkundgebung statt, an der auch empörte Italiener teilnahmen. Das italienische Militär hatte vorsichtshalber Geschütze und Maschinengewehre in Stellung gebracht, offenbar um einen  allfälligen Volksaufstand verhindern zu können.

Die Protestversammlung auf dem Viehmarktplatz in Bozen, auf welcher der Abgeordnete Dr. Reut-Nicolussi zu den Versammelten sprach.
Die Protestversammlung auf dem Viehmarktplatz in Bozen, auf welcher der Abgeordnete Dr. Reut-Nicolussi zu den Versammelten sprach.

Der Südtiroler Parlamentsabgeordnete Dr. Eduard Reut-Nicolussi erklärte unter tosendem Beifall der Bevölkerung: „Dieser Tote liegt da drüben, aber wenn die Faschisten geglaubt haben, dass mit dem Franz Innerhofer unsere deutsche Treue erschlagen sei, dann haben sie sich getäuscht, bei Gott!“ (Zitiert aus „Landeszeitung“ vom 26. April 1921)

Heute erinnert in Bozen am Ort der Ermordung Innerhofers am Ansitz Stillendorf in Bozen eine Gedenktafel an ihn.

Gedenken an Franz Innerhofer

Am 26. April 1931, dem 10. Jahrestag der Ermordung Innerhofers, fand am Rennweg in Innsbruck die Enthüllung einer von dem „Andreas Hofer-Bund – Tirol“ gestifteten Gedenktafel statt.

Die Enthüllung der Gedenktafel in Innsbruck in Gegenwart von Angehörigen des Ermordeten.
Die Enthüllung der Gedenktafel in Innsbruck in Gegenwart von Angehörigen des Ermordeten.

Diese Tafel wurde 1938 unter angesichts der nationalsozialistisch-faschistischen Freundschaft abgetragen und erst nach dem Krieg wieder im Volkskunstmuseum in Innsbruck entdeckt. Eine Neuanfertigung wurde von dem „Andreas Hofer-Bund – Tirol“ 2017 an einem Gedenkstein auf dem Tummelplatz in Innsbruck im Rahmen einer Feier enthüllt.

Bericht in der „Kronen-Zeitung“ über die Neuerrichtung des Denkmals.
Bericht in der „Kronen-Zeitung“ über die Neuerrichtung des Denkmals.

Anstelle des durch eine Krankheit in der Familie verhinderten Obmannes des „Südtiroler Heimatbundes“ (SHB) Roland Lang (Bild links), hatte der Südtiroler ehemalige politische Häftling Meinrad Berger (Bild rechts) dessen Grußworte mit einer Würdigung von Franz Innerhofer überbracht.

Im Jahr 1981 veröffentliche der Südtiroler Landesbeamte, Heimatpfleger, Publizist und Historiker Dr. Norbert Mumelter aus Anlass der 60. Wiederkehr des Todestages Innerhofers die Gedenkschrift „24. April 1921 – DER BOZNER BLUTSONNTAG und sein Todesopfer Franz Innerhofer“.

Eine ergänzte Neuauflage dieser Dokumentation wurde anlässlich des 90. Todestages von Franz Innerhofer 2011 durch den Effekt-Verlag in Neumarkt a. d. Etsch mit einem Beitrag des Landeskommandanten des Südtiroler Schützenbundes, Elmar Thaler, herausgebracht. Die Südtiroler Schützen hatten bereits 1996 anlässlich des 75. Todestages Innerhofers eine große Gedenkfeier in Bozen mit einem Marsch zum „Siegesdenkmal“abgehalten. Dort hatten sie die Umbenennung des Siegesplatzes in „Franz Innerhofer Platz“ gefordert und eine selbstgefertigte Tafel angebracht, die dann von empörten italienischen Nationalisten wieder entfernt wurde.

Diese und andere Initiativen hatten im Jahr 2011 endlich dazu geführt, dass in Bozen vor dem Universitätsgebäude nun offiziell ein Platz nach Franz Innerhofer benannt wurde.

Wir gedenken jetzt nach 100 Jahren dieses mutigen Landsmannes und werden auch in Zukunft dazu beitragen, dass sein Andenken nicht in der Vergessenheit versinkt.

 Roland Lang
Obmann des „Südtiroler Heimatbundes“ (SHB)

 Gedenkfeier in Marling

Zur 100. Wiederkehr des Todestages von Franz Innerhofer hat auch die Schützenkompanie Marling am Samstagnachmittag zusammen mit Abordnungen zahlreicher Schützenkompanien, der Musikkapelle Marling, der Gemeindeverwaltung sowie den Bürgern von Marling in einer gemeinsamen Feier Franz Innerhofer und der Ereignisse von 1921 gedacht.

Auf dieser Gedenkveranstaltung erzählte Reinhard Wetzel, ein Enkel Franz Innerhofers, vom Leben seines Großvaters.

In seiner Rede hob er den vielseitigen Einsatz Franz Innerhofers in seiner Heimatgemeinde Marling hervor: Dieser war nicht nur ein beliebter und ausgezeichneter Pädagoge, sondern hielt unter anderem Kurse für die bäuerliche Jugend, beriet Bauern speziell in bürokratischen Angelegenheiten, war Chorleiter sowie Organist und schlug die Trommel bei der Musikkapelle. „Er war ein aufrechter Tiroler, der seine Pflicht getan hat und sich seiner Verantwortung gestellt hat, und als solchen sollten wir ihn in Erinnerung behalten.“

Briefe, Ehrensalve und Kranzniederlegung

Neben den bewegenden Worten Wetzels wurden Briefe in Erinnerung an den „Bozner Blutsonntag“ von einer Marketenderin der Schützenkompanie Marling verlesen. Zusätzlich berichtete Rodolfo Weber, ein Welschtiroler Schütze, über den Tod von Giovanni Battista Daprà, der im Gemenge vom 24. April 1921 schwerverletzt wurde und seinen Verletzungen kurze Zeit später erlag. Die Gedenkfeier endete mit einer Ehrensalve durch die Schützenkompanie Marling und einer Kranzniederlegung. (Bilder und Textausschnitte: „Südtiroler Schützenbund“ https://schuetzen.com/)

Gedenkfeier in Bozen

 Am Samstag, den 24. April 2021 organisierte die Schützenkompanie Bozen gemeinsam mit der Schützenkompanie „Mjr. Eisenstecken“ Gries zum 100. Todestag des ersten italofaschistischen Opfers im italienisch besetzen Tirol – Franz Innerhofer – eine Gedenkfeier.

 Die Gedenkfeier in Bozen fand am Ort des Mordes an Franz Innerhofer statt. Dazu trafen sich die Schützen mit den zwei Fahnenrotten am Kirchplatz der Herz-Jesu-Kirche. Dort wurde eine kurze liturgische Feier mit Pater Klaus vom Eucharistinerkloster mit abschließender Segnung des Kranzes abgehalten.

Anschließend begab man sich zum nahen Ansitz Stillendorf, wo der Mordanschlag vor 100 Jahren geschah. Dort wurde um 12 Uhr die feierliche Kranzniederlegung durchgeführt. Der Hauptmann der Bozner Schützenkompanie gedachte im Anschluss mit einer kurzen Ansprache zum Thema Faschismus vor 100 Jahren und heute. Eine kurze Gedenkrede hielt auch Vizebürgermeister Luis Walcher.

(Bild und Bericht von: Schützenkompanie Bozen und Schützenkompanie „Mjr. Eisenstecken“ Gries)




Der „verworfene Rebellen-Chef“ Josef Speckbacher

Josef Speckbacher mit einem Steckbrief aus dem Jahre 1813 (Bildkomposition: SID)

Ein historischer Bericht von Georg Dattenböck anläßlich des Todestages von Josef Speckbacher am 28. März.

Steckbrief gegen Josef Speckbacher aus dem Jahre 1813:

„Der berüchtigte Insurgentenchef Speckbacher, der schon im Jahre 1809 zu dem Unglück des Landes so viel beigetragen, wagt einen neuerlichen Versuch, das Volk zu einem Aufstand zu bewegen, um den Oesterreichern in der Eroberung des Landes zuvorzukommen.

Welche furchtbaren Folgen ein Versuch dieser Art haben müßte, kann keinem Verständigen entgehen. Nicht nur die gerechte Strafe des Aufruhrs gegen den rechtmäßigen König und Herrn, sondern auch, wenn im Laufe des Krieges österreichische Truppen wirklich Tirol in Besitz nehmen sollten, die wohlverdiente, strenge Ahndung Oesterreichs über einen so frevelhaften Versuch müßten unvermeidlich das ganze Land mit dem Schuldigen treffen! –

Wackre Bürger, redliche Landleute! Ich rechne auf euch, daß ihr Aufforderungen dieser Art mit gerechtem Abscheu zurückweisen werdet, aber ich fordere euch zugleich auf, gegen die Uebelgesinnten, zum Umsturz der Ordnung in jedem Augenblicke Bereiteten, Plünderungslustigen, mit der höchsten Aufmerksamkeit zu wachen.

Vor allem aber ist die Ergreifung eines Mannes höchst wünschenswert, der verwegen genug seinen ehrgeizigen Absichten das Glück des ganzen Landes aufzuopfern versucht. Ich fordere daher alle Rechtschaffenen auf, sich dieses verworfenen Rebellen-Chefs zu bemächtigen, und sichre jedem der ihn todt oder lebendig einliefert die Prämie von Ein tausend Dukaten zu.

Innsbruck den 12ten September 1813.

 Der General-Commissär des Innkreises Freyherr von Lerchenfeld.“

Dr. Eva Klotz, ehemals Abgeordnete zum Südtiroler Landtag und Tochter des Schützenmajors Jörg Klotz aus St. Leonhard im Passeier, schrieb 2008 einleitend in der von Prof. Nerio de Carlo verfassten Broschüre „Andreas Hofer in der Deutschen Literatur“:

„Tradition ist nicht nur Vergangenheit. Sie ist eine Dimension der Gegenwart, von deren Berücksichtigung oder Ablehnung die Stärke der eigenen Person, der eigenen Freiheit und der eigenen Lebensgestaltung abhängen. Die Tradition lebt, wenn sie von einer Generation der nächsten überliefert wird. Wenn diese Überlieferung unterbrochen wird, verliert man mit der Tradition auch die Identität. In unserer Zeit wird die Kunst des Erzählens vernachlässigt. Wenn die Eltern nicht mehr erzählen, finden die Kinder auf viele Fragen keine Antwort mehr. Das entfremdet ein Volk seiner eigenen Geschichte, zerstört den Gemeinschaftssinn und trübt den Blick für die Zukunft“.

Aus diesen von Frau Klotz genannten Gründen sei hier die Lebensgeschichte eines Tiroler Patrioten wieder in Erinnerung gerufen, der in einer politisch/militärisch überaus explosiven Zeit, weit über sich hinauswuchs und zu einem vom Volk anerkannten, militärischen Führer der Aufständischen und zum totalen Schrecken aller französischen Generäle und Truppen in Tirol wurde!

 Josef Speckbachers Herkunft

Speckbacher wurde am 13.6.1767 in Gnadenwald (erwähnt 1313 als „gemain auf dem Wald“) geboren. „Die eigentliche Geburtsstätte des Helden ist urkundlich das Gut Nr. 16, genannt der Unterspöck im äußeren Gnadenwalde, anderthalb Stunden von Hall entfernt.

Sein Vater war Bau- und Brennholz-Lieferant für das Personal des Salzberges zu Hall. Schon Speckbacher’s Großvater soll sich bei der feindlichen Invasion im Jahre 1703 ausgezeichnet haben und dieser Umstand soll in dem Enkel das Verlangen, in gleicher Weise sich hervorzutun, geweckt haben.

Als der Vater unseres Speckbacher starb, war er 76 Jahre alt und hinterließ 8 Kinder am Leben. Sieben Jahre später folgte die Mutter dem Gatten ins Grab, und das ansehnliche Vermögen, welches vorhanden war, wurde für die zurückgelassenen, noch unmündigen Waisen von Vormündern ehrlich verwaltet.

Josef wuchs körperlich mächtig heran. Er liebte besonders die Jagd, und scheute vor keiner Gefahr zurück, auch nicht in Kämpfen mit Jägern und Wildschützen.

Um ihn von dieser Beschäftigung, bei welcher durch seine Waghalsigkeit selbst sein Leben bedroht war, einigermaßen abzuziehen, gelang es seinen Verwandten und älteren Brüdern, ihn in eine feste Anstellung beim Bergbau zu bringen.

Im Jahre 1794 verheiratete sich Speckbacher mit Maria Schmiederer von Rinn, einem braven Mädchen, das ein schönes Anwesen besaß. Von diesem Besitzthum rührt die ihm geschichtlich gewordene Bezeichnung: „Der Mann von Rinn“. Er erwarb sich bald allgemeine Achtung und wurde auch zum Mitgliede des Gerichts-Ausschusses gewählt. (Constantin von Wurzbach: Speckbacher, Joseph. In: Biographisches Lexikon des Kaiserthums Österreich; 36.Theil, Wien 1878, S. 119–130)

Der Hof in Rinn liegt auf 900 m Höhe, 10 km von Innsbruck entfernt. Der Name Rinn stammt aus dem althochdeutschen „runna“ (Wassergraben). Die erste urkundliche Erwähnung von „Runna“ erfolgte 981 (Zeitschrift des Ferdinandeums III H. 57).
Der Hof in Rinn liegt auf 900 m Höhe, 10 km von Innsbruck entfernt. Der Name Rinn stammt aus dem althochdeutschen „runna“ (Wassergraben). Die erste urkundliche Erwähnung von „Runna“ erfolgte 981 (Zeitschrift des Ferdinandeums III H. 57).

Im Zuge der bairischen Besiedelung und Landnahme im 5./6. Jahrhundert gehörte Hall zum Inntalgau. Die Vogteigewalt der späteren Grafschaft Tirol wurde von den Bischöfen von Brixen an die Grafen v. Andechs verliehen, die ihren Stammsitz am Ammersee in Oberbayern hatten, jedoch von Amras aus in Tirol herrschten. Die erste urkundliche Erwähnung der Andechser erfolgte 1070, 1248 starben sie aus. Albert III. (*1180, †1253), der letzte aus dem Geschlecht der Tiroler Grafen, Vogt v. Trient und ab 1210 auch von Brixen, erwarb den Tiroler Besitz der Andechser und der Grafen v. Eppan und vereinigte die Grafschaften im Gebirge zum Land Tirol. 1254 wurde dieses als „dominium“ oder „comecia Tyrolis“ bezeichnet. Durch die Ehe seiner Tochter Adelheid mit Meinhard III. v. Görz (Meinhard I. v. Tirol) ging das Erbe der Tiroler Grafen an die Görzer Grafen über. 1363 trat Margarethe Maultasch das Land Tirol an die Habsburger ab.

Als einfacher Schütze in dem Kampf um Spinges

Bereits beim Kampf um Springes war Josef Speckbacher 1797 als einfacher Schütze beteiligt gewesen. Springes liegt in der Gemeinde Mühlbach, am Übergang vom Puster- in das Eisacktal auf 1105 m Höhe.

Dieses Denkmal bei Springes nennt die Namen der damals gefallenen Tiroler. (Foto Judith Lechner)
Dieses Denkmal bei Springes nennt die Namen der damals gefallenen Tiroler. (Foto Judith Lechner)

 Unter dem Kommando des Generals Joubert waren im März 1797 französische Truppen über Trient und Bozen bis Brixen marschiert.

Am 2. April 1797 hatten österreichische Truppen, zusammen mit dem Tiroler Landsturm, die Franzosen angegriffen.

Es hatte sich der heroische Kampf um Springes entwickelt, bei dem sich besonders die Tiroler Landstürmer aus den Gerichten Sonnenburg und Rettenberg auszeichneten. Unter diesen auch Josef Speckbacher, der als einfacher Schütze unter dem Befehl von Major Dr. Philipp von Wörndle mitkämpfte. Die Tiroler hatten die ihnen zugeteilte Munition sehr rasch verschossen. Mit dem von Philipp von Wörndle ausgegebenen Losungswort: „Schlagen, schlagen!“ stürmten die Tiroler mit ihren primitiven Schlag- und Stichwaffen und mit umgedrehten Gewehren, auf die bestens ausgerüsteten französischen Truppen los.

Über die Magd Katharina Lanz (*1771 in St.Vigl, †1854), die als „Mädchen von Springes“ in die Geschichte einging, wird berichtet:

„Man sah hier unter anderen eine Bauernmagd aus Spinges, die mit zusammengegürtetem Unterkleide und fliegenden Haaren auf der Friedhofsmauer stehend die anstürmenden Feinde mit ihrer kräftig geführten Heugabel hinunterstieß.“

Andreas (Anderl) Speckbacher

Am 26. Februar 1798 wurde Josef Speckbacher der Sohn Andreas geboren. Der Bub erbte das feurige Wesen des Vaters: Am 29. Mai 1809, im größten Kartätschenfeuer der Franzosen bei der Innbrücke in Hall, erlebte Speckbacher, als Anführer der Bauernstreitmacht, einen gewaltigen Schreck. Im wildesten Kampfgetümmel sah er plötzlich seinen damals elfjährigen Buben neben sich, der es zu Hause nicht mehr aushielt und mitkämpfen wollte. Der Vater brachte den Sohn aus der Kampfzone und befahl ihm, daheim bei der Mutter zu bleiben und ihr im Hauswesen zu helfen.

Als Speckbacher am 22. September 1809 in seiner Befehlsstelle in St. Johann im Bärenwirt einen Kriegsrat abhielt, sah er durch das Fenster hinter einer Unterinntaler Kompanie einen bewaffneten Knaben: wiederum war es sein Sohn! Die Mutter hatte den Buben auf eine entlegene Alm geschickt, doch der Junge brannte durch und schloss sich einer Schützenkompanie an.

Josef Speckbacher und sein Sohn Anderl. (Gemälde von Franz von Defregger 1869) Das berührende Bild zeigt die Wirtsstube im Bärenwirt zu St. Johann, wo Speckbacher Kriegsrat hält. Sein bewaffneter Sohn Anderl tritt mit Schützen ein und überrascht den Vater.
Josef Speckbacher und sein Sohn Anderl. (Gemälde von Franz von Defregger 1869) Das berührende Bild zeigt die Wirtsstube im Bärenwirt zu St. Johann, wo Speckbacher Kriegsrat hält. Sein bewaffneter Sohn Anderl tritt mit Schützen ein und überrascht den Vater.

Dieses von seinem Sohn Andreas angefertigte Miniaturgemälde zeigt Josef Speckbacher mit der ihm vom Kaiser persönlich verliehenen Auszeichnung.
Dieses von seinem Sohn Andreas angefertigte Miniaturgemälde zeigt Josef Speckbacher mit der ihm vom Kaiser persönlich verliehenen Auszeichnung.

Man steckte den Buben in einen Schützenanzug und, da er barfuß war, erhielt er Schuhe und dazu einen Hut mit der dazugehörenden Schützenfeder.

Der Vater, schwankend zwischen Zorn und Freude, nahm seinen Jungen zu sich und dieser mußte ab nun all die Gefahren und großen Beschwerden der Märsche und wilden Gefechte an Vaters Seite bestehen.

In der Schlacht von Mellek am 17.10.1809 wurde Andreas von bayrischen Soldaten gefangen. Seinem Vater gelang die Flucht, obwohl er durch Kolbenstöße in die Nieren schwer verletzt wurde. Andreas wurde vom bayrischen König stark gefördert: er wurde in eine Schule gesteckt, lernte Latein, Italienisch und Französisch, hatte auch Musikunterricht und war siebenmal der Erste seiner Klasse. Nach sieben Jahren wurde er nach Hause entlassen.

Nur 36 Jahre alt, starb Andreas Speckbacher am 25.3.1834 als Jenbacher k.k. Bergwerks- und Hüttenverwalter und wurde am Friedhof in Hall beerdigt. Aus seiner Ehe mit Aloisia Mayr stammten die Töchter Luise (†1893) und Emilie (†1912).

Die „Innsbrucker Nachrichten“ berichteten am 20. September 1913:

 Der Todesmut der Tiroler

In allen überlieferten Berichten wurde das todesmutige Verhalten der aufständischen Tiroler hervorgehoben. Man muss nicht sehr tief graben, um die Ursache für die schweren Wunden in der Tiroler Seele und für deren Verhalten im Kampf mit den Besatzern zu finden: Es war die völlige Missachtung der menschlichen Würde, die sich in der bewussten Verletzung der religiösen Bräuche und Gefühle, der Missachtung von Jahrhunderte alten Freiheiten und Traditionen, sowie der sehr brutalen Behandlung durch die Eroberer äußerte.

Als ein anschauliches Beispiel unter vielen, sei hier ein Bericht des Aufstandsplaners und Zeitzeugen, Freiherr Josef von Hormayr, wiedergegeben. Hormayr berichtete über das schriftlich niedergelegte Entsetzen des bayerischen Generalleutnants Fürst Karl Philipp von Wrede, (*1767, †1838) über das keine Grenzen mehr kennende Rauben, Morden, Sengen und Brennen seiner eigenen Soldaten.

In einem Tagesbefehl an seine Soldaten, ausgegeben in seinem Tiroler Hauptquartier in Ellmau am 12. Mai 1809, schrieb sich der Generalleutnant Wrede seine totale Fassungslosigkeit von seiner Seele:

„Ich habe heute und gestern, wo ich Ursache hatte, über so manche tapfere That der Division zufrieden zu sein, Grausamkeiten, Mordthaten, Plünderungen, Mordbrennereien sehen müssen, die das Innerste meiner Seele angriffen und mir jeden frohen Augenblick, den ich bisher über die Thaten der Division hatte, verbittern.

Wahr ist es, Soldaten! Wir haben heute und gestern gegen rebellische, durch das Haus Oesterreich und dessen kraftlose Versprechungen irre geführte Unterthanen unseres allgeliebten Königs gekämpft: aber wer hat euch das Recht eingeräumt, selbst die Unbewaffneten zu morden, die Häuser und Hütten zu plündern und Feuer in Häusern und Dörfern anzulegen??

Soldaten! Ich frage euch, wie tief sind heute und gestern eure Gefühle von Menschlichkeit gesunken? Blicket zurück auf den Weg von Lofer hierher, auf die Brandstätten, auf die geplünderten Dörfer, auf jene Leichen, die ohne Waffen in der Hand gemordet worden sind.

Euer General, dessen einziger Stolz und Glückseligkeit es war, wann eure moralischen Handlungen, euere Disciplin eueren militairischen Thaten gleichblieben, spricht mit Thränen in den Augen zu euch und sagt euch, daß eure Gefühle von Menschlichkeit in Grausamkeit ausgeartet sind.

Ich fordere euch auf, von heute an wieder das zu sein, was ihr sein sollet und müsset, Soldaten und Menschen. Ich schmeichle mir, die Mehrheit unter euch wird meiner Stimme folgen; sollten gegen Erwarten Unwürdige unter euch sein, die von heute an noch einen Unbewaffneten morden, die Häuser plündern und anzünden, so bin ich gezwungen, Beispiele zu geben, die solchen schändlichen Handlungen angemessen sind. Einen solchen Plünderer, Mörder oder Brenner todt schießen zu lassen, würde zu ehrenvoll für ihn sein; ich erkläre daher, daß der Erste, der noch eine solche schimpfliche Handlung begeht, am ersten Baume aufgehangen wird.

Ich befehle, daß gegenwärtiger Tagesbefehl heute und morgen dreimal  bei der gesammten Mannschaft verlesen werden soll, ebenso, daß morgen früh um 3 Uhr die beiden Herren Brigadiers, das Artilleriecommando und das dritte Chevauxlegers-Regimentscommando alle Tornister, Mantelsäcke und Wägen, ebenso die Marquetenderwägen visitieren lassen sollen und daß ohne Unterschied alles geraubte Gut der Mannschaft abgenommen, dem hiesigen Pfarrer zur Übersendung nach St. Johann und Rückerstattung an die Eigenthümer gegen Schein übergeben werden soll. Der Herr Regiments-, Bataillons- oder Batterie-Commandant, von welchem noch ein Mann auf dem Marsche austritt und betreten wird, daß er in ein Haus gehet, oder den Biwak bei Tage oder bei Nacht verläßt, wird acht Tage lang durch Profosen zu Fuß auf dem Marsche geführt und wenn es zum zweiten Mal geschieht, seiner Majestät dem König gemeldet werden.

Wrede, Generallieutenant“.

(In: Josef Hormayr: „Das Land Tyrol und der Tyrolerkrieg von 1809. Zweiter Theil. Geschichte Andreas Hofer’s Sandwirths aus Passeyr, Oberanführer der Tyroler im Kriege von 1809“,  2. Auflage; Leipzig 1845, S. 112ff)

Die Tiroler wehrten sich in schier übermenschlichem Wagemut. Im Distrikt von Hall war Josef Speckbacher die Seele des Aufstandes. Ein Erlebnis- und Augenzeuge von 1809 berichtete über Speckbacher‘s Wesen:

„Bei Gefechten ihn anordnen oder befehlen zu sehen, war in der That etwas Ungewöhnliches (…)  In einer Minute war er hier und dort, allüberall; er hatte dann etwas Unnennbares, Unheimliches, ja Dämonisches, jeder Zoll wahrhaftiger Krieger, jeder Nerv ein Mann der That.“ (Zitiert aus: Kaufmännische Zeitschrift“, Wien, 1. Januar 1882)

In einer wertvollen, äußerst akribisch verfassten Diplomarbeit unter dem Titel: „Tote Tiroler“ (Universität Innsbruck 2009) mit vielen Tabellen und erforschten Namen der Gefallenen, dokumentierte Peter Andorfer die Zahl der im Jahre 1809 gefallenen deutschsprachigen Tiroler mit etwa 1.367. (https://totetiroler.acdh.oeaw.ac.at/static/webpage/pdf/Andorfer_Totetiroler_2009.pdf)

Dieses von seinem Sohn Andreas angefertigte Miniaturgemälde zeigt Josef Speckbacher mit der ihm vom Kaiser persönlich verliehenen Auszeichnung.
 

Vier solcher Standeslisten, auf denen die unter Josef Speckbacher kämpfenden Tulfer Schützen angeführt sind, werden im Pfarrarchiv Tulfes aufbewahrt. (Quelle: „Heimatkundliche Beiträge des Museums- und Kulturvereines St. Johann in Tirol“, Nr. 14, Herbst 2009)

 Steinlawinen als eine Waffe der Tiroler

Die Tiroler wehrten sich mit allen Mitteln und ließen sogar vorbereitete Steinlawinen auf die Besatzer niedergehen, wie der Historiker Meinrad Pizzinini berichtet:

„Schützen und Landsturmaufgebote unter der Führung von Joachim Haspinger, dem ‚Pater Rotbart‘, Josef Speckbacher und Peter Mayr hatten sich das Gelände zunutze gemacht und Steinlawinen vorbereitet, die auf die Soldaten niederbrausten. … Nicht nur die zielsicheren Stutzen taten ihre Wirkung, die von den Hängen herabdonnernden Steinlawinen verbreiteten besondere Schrecken und begruben viele Feinde unter sich.“ (Meinrad Pizzinini: „Andreas Hofer“, Wien 1984, S. 137 und S. 139)

Eine alte Postkarte: „Die Freiheitskriege - Aufstand in Tirol“.
Eine alte Postkarte: „Die Freiheitskriege – Aufstand in Tirol“.

Ein berühmter bayerischer Historiker rühmte Josef Speckbacher

Der 1897 durch den Prinzregent Luitpold mit dem Ritterkreuz des „Verdienstordens der Bayerischen Krone“ ausgezeichnete bayerische Historiker Karl Theodor Ritter von Heigel, Mitglied in der Abteilung für Wissenschaft des Maximiliansordens für Wissenschaft und Kunst, sowie korrespondierendes Mitglied in der Preußischen Akademie der Wissenschaften und Ehrenbürger der Stadt München, schrieb in der „Allgemeine Deutsche Biographie“ über Josef Speckbacher eine berührende Lebensgeschichte, die hier in Auszügen zitiert werden soll:

„Josef Speckbacher war sein Leben lang ein Draufgänger, er zeichnete sich durch Schlauheit und einen ans Tollkühne grenzenden Mut aus. Er wurde als ein Feuergeist, Feuerkopf, als tollkühner Unfried, Insurgent, Halunke, kühner Recke, unerschrockener Haudegen, Räuberhauptmann, Rebellenchef und als Held von Rinn bezeichnet.

Speckbacher hatte ausdruckvolle Gesichtszüge, ein ungemein scharfes Auge, eine hohe Gestalt, festen Körperbau und ungewöhnliche Muskelkraft. Auch seine Geisteseigenschaften erhoben ihn über Andere. Er vereinigte Scharfsinn und Kühnheit in seinen Plänen, volle Beharrlichkeit und unaufhaltsame Energie, oft Verwegenheit in der Ausführung, Muth und List in Noth und Gefahr. Immer thatkräftig und rasch entschlossen, schwankte er selten in der Wahl der Mittel. Dem Hause Oesterreich mit Leib und Seele zugethan, voll feuriger Liebe zu den heimathlichen Bergen, im Innthal überall gekannt und geachtet, war Niemand bereiter, der Volksbewaffnung sich anzuschließen, und Niemand geeigneter, eine wichtige Rolle dabei zu übernehmen.“

Vom österreichischen Feldmarschall Chasteler, schrieb Heigel, „ist schriftlich bezeugt, daß Joseph S. bei Beginn der Erhebung treffliche Dienste leistete, indem er allenthalben die Landsleute zu den Waffen rief und heimlich organisirte, die baierischen Munitionsvorräthe ausspähte und deren Aufhebung einleitete und nach Eröffnung der Feindseligkeiten mit seinen Rinnern und Tulfesern immer an den gefährlichsten Punkten scharmuzirte; auch wird von Chasteler mit Recht als Hauptverdienst Speckbacher’s hervorgehoben, daß er bei jeder Gelegenheit seine Landsleute zu Gehorsam und Achtung gegenüber den österreichischen Civil- und Militärbehörden anhielt.

Bei den Kämpfen am Berg Isel (29. Mai) befehligte ‚Herr Spöck‘, wie ihn Andreas Hofer in seinen Briefen titulirte, die erste Colonne, welche als äußerster rechter Flügel gegen Hall und Volders vorging und die Brücken, welche an beiden Punkten über den Inn führten, nach heißem Streit eroberte und sprengte. Nach dem Abzug der Baiern folgte ihnen S. bis Kufstein, doch blieben alle Bemühungen, auch diese Bergveste zur Uebergabe zu zwingen, erfolglos. Als nach Bekanntwerden des am 12. Juli zu Znaim abgeschlossenen Waffenstillstands die österreichischen Truppen Tirol räumten, schickte sich auch S. an, das Land zu verlassen; er fuhr mit einigen Officieren vom Corps Buol durchs Pusterthal.

Dort, wo einst die Bergisel-Schlacht tobte, informieren heute das 1.000 Quadratmeter große Tirol-Panorama und das Kaiserjägermuseum über den Freiheitskampf der Tiroler.
Dort, wo einst die Bergisel-Schlacht tobte, informieren heute das 1.000 Quadratmeter große Tirol-Panorama und das Kaiserjägermuseum über den Freiheitskampf der Tiroler.

Speckbacher-Denkmal in Hall von Ludwig Penz, 1908 (Foto: Twinkles - Eigenes Werk)
Speckbacher-Denkmal in Hall von Ludwig Penz, 1908 (Foto: Twinkles – Eigenes Werk)

Da, bei St. Nepomuck unfern Bruneck, kam das Gefährt des Weges, in welchem Hofer von Lienz zurückkehrte, wo er die officielle Botschaft des Waffenstillstands erfahren hatte. Kaum gewahrte er seinen Freund S. in solcher Gesellschaft, so rief er ihm zu: ‚Seppel, auch Du willst mich im Stich lassen? Sie führen Dich in die Schand’!‘ Der Vorwurf schnitt S. in die Seele; ohne sich weiter um die Oesterreicher zu bekümmern, ohne auch nur nach seinem Hut zu greifen, sprang er aus dem Wagen und kehrte mit Hofer wieder um.

In den folgenden Kämpfen mit Marschall Lefevbre zeigte er insbesondere bei Vertheidigung des Stilfserjochs neben persönlichem Muth auch eine natürliche taktische Begabung, die sogar die geschulten, kriegserfahrenen Officiere der französischen Armee in Erstaunen setzte. Dagegen scheint auch die für den Bauernaufstand so verderblich gewordene Ausdehnung des Kampfes auf baierisches Gebiet hauptsächlich auf Speckbacher’s und Haspinger’s Einfluß zurückzuführen zu sein. …

Am 16. August leitete S. den Angriff auf Lofer, dann streifte er bis Reichenhall und Berchtesgaden. In einem öffentlichen Aufruf mahnte ‚Joseph S., erster Postencommandant‘, die Bewohner des Salzkammerguts, sich den Tirolern anzuschließen; falls sie sich weigern würden, könne er‚ in seinem ferneren Kriegsplan keine Neutralität geben, und die Tiroler würden dann in diesem Fall die Gegenden auf ihrem Kriegszug mit Feuer und Schwert verwüsten.‘

Namentlich in diesen Tagen bewährte sich S. als ein Mann von seltener Thatkraft, Unerschrockenheit und Ausdauer, wie ihn Rückert besang: ‚Der Speckbacher! Der Speckbacher! Wenn der die Schützen rief! Der Tag und Nacht, und Nacht und Tag dem Feinde auf dem Rücken lag, und selbst des Nachts nicht schlief!‘

Speckbacher und Haspinger gaben sich der ausschweifenden Hoffnung hin, sie könnten auch die Kärthner und Steirer für sich gewinnen und dann jählings aus den Bergen hervorbrechend, die französische Armee an der Donau im Rücken angreifen. Als aber im October französische und baierische Truppen auf drei Linien zugleich durch Inn-, Puster- und Etschthal in Tirol eindrangen, konnten auch die wagehalsigsten Anstrengungen Speckbacher’s und anderer Anführer die überlegene Macht nicht mehr aufhalten.

Am 17. October erlitt S. bei Melegg unweit Unken, wahrscheinlich infolge eigener Unvorsichtigkeit, eine furchtbare Niederlage. Er selbst entrann nur mit Mühe der Gefangenschaft; schon hatten baierische Soldaten ihn zu Boden gestreckt und durch Stöße mit den Gewehrkolben fürchterlich zugerichtet, da raffte er sich nochmals auf und entkam, mit seiner Büchse wie ein Wahnsinniger um sich schlagend, auf das steile Gebirge. Sein Sohn Anderl aber und mehrere Hundert Genossen wurden gefangen genommen.

Gedenken an Josef Speckbacher: Aus Anlass des 200. Todestages von Josef Speckbacher wurde 2020 vom Bildhauer Josef Reindl am westlichen Ortseingang von Rinn in viermonatiger Arbeit eine lebensgroße Skulptur aus Zirbenholz errichtet. (Foto: Michael Kendlbacher) In Kufstein, im Innsbrucker Stadtteil Wilten, in St. Johann in Tirol und in Wien-Ottakring wurden Straßen nach Speckbacher benannt, ebenso eine Kaserne in Hall, die jedoch 1998 aufgelassen und verkauft wurde.
Gedenken an Josef Speckbacher: Aus Anlass des 200. Todestages von Josef Speckbacher wurde 2020 vom Bildhauer Josef Reindl am westlichen Ortseingang von Rinn in viermonatiger Arbeit eine lebensgroße Skulptur aus Zirbenholz errichtet. (Foto: Michael Kendlbacher) In Kufstein, im Innsbrucker Stadtteil Wilten, in St. Johann in Tirol und in Wien-Ottakring wurden Straßen nach Speckbacher benannt, ebenso eine Kaserne in Hall, die jedoch 1998 aufgelassen und verkauft wurde.

 Mit dem Tag von Melegg waren die Abtheilungen Speckbacher’s und Firler’s, die zu den besten des Landsturms gezählt hatten, theils vernichtet, theis zersprengt; die Tiroler hatten noch im ganzen Kriege keine so entscheidende Niederlage erlitten. Trotzdem ließ sich S. nicht abschrecken, er sammelte neuen Anhang und nochmals wurde das Innthal der Schauplatz kühner Thaten der Landesvertheidiger.

Doch auf die Dauer ließ sich gegen die erdrückende Uebermacht nicht ankämpfen; Verwirrung und Schrecken verbreiteten sich im Lande, und Eintracht fehlte gerade da, wo sie am nothwendigsten gewesen wäre, im Kriegsrath der Bauern. Von Mühlthal aus erließ S. am 5. November ‚an alle Gemeinden und treuen Tiroler‘ einen Aufruf, der Hofer’s Entschluß, den Brenner zu behaupten, bekannt gab, alle Tiroler zur Unterstützung mahnte und die Säumigen mit Confiscirung ihrer Habe, Ausschließung vom Gottesdienst, sogar mit Landesverweisung bedrohte. Doch solche Worte fanden nicht mehr den begeisterten Anklang, wie in der ‚Gnadenzeit‘ der unerhörten Erfolge. Kirchthurm-Interessen machten sich geltend, Hofer’s Plan wurde verworfen, der Landsturm vertheilte sich zur Vertheidigung der einzelnen Thäler.

Als endlich am Abschluß des Friedens, wodurch das Wiener Cabinet die Tiroler preisgab, nicht mehr zu zweifeln war und sich bei Prüfung der Lage jedem als Gewißheit aufdrängen mußte, daß die Fortführung des Kampfes nur den Ruin des Landes nach sich ziehen werde, beschloß auch S. sich von der Bewegung zurückzuziehen. Während er bei seiner Frau in einer Sennhütte zu Stallsinns verweilte, kam an ihn ein Brief des baierischen Generals Siebein, wodurch ihn dieser in Kenntniß setzte, daß

König Max Joseph den als Gefangenen nach München geschleppten Anderl aufs freundlichste aufgenommen habe und auf seine Kosten im kgl. Erziehungsinstitut studiren lasse; mit dieser erfreulichen Nachricht war die Aufforderung verbunden, S. möge sich unterwerfen und auch seine Landsleute bestimmen, daß sie die gefallene Entscheidung und den Frieden respectirten.

Königreich Baiern, Karte aus 1812 (Archiv des Verfassers)
Königreich Baiern, Karte aus 1812 (Archiv des Verfassers)

Zu gleicher Zeit kam aber auch Anzeige von Hofer, daß er den Kampf fortzusetzen gedenke, und S. griff wieder zur Büchse. Um nicht als Abtrünniger zu erscheinen, setzte er, wie Rapp naiv beklagt – es war doch nur die Aussicht auf Erfolg, nicht der Charakter der Bewegung verändert – ‚sein wahnsinniges, revolutionäres Treiben fort‘. Ein neuer Aufruf blieb aber fast gänzlich wirkungslos. Noch ein zweites Mal erbat und erhielt er einen Sicherheitspaß; als er aber trotzdem fortfuhr, das Landvolk aufzuwiegeln, wurde ein Steckbrief gegen ihn erlassen und demjenigen, der ihn todt oder lebendig einbrächte, eine namhafte Belohnung zugesichert.

Nun mußte er in der Flucht auf unwegsame Berge Rettung suchen. Nach entsetzlichen Strapazen gelangte er zu seinem Hof in Rinn; hier brachte er, im Düngerhaufen versteckt, in beständiger Furcht vor Entdeckung und Gefangennehmung zwei Monate zu; dann erst wagte er die Flucht nach Steiermark fortzusetzen. Er kam glücklich nach Wien, wo ihm Kaiser Franz ein Gnadengehalt von tausend Gulden auswarf.

In Wien lernte ihn der Berliner Diplomat Bartholdy kennen; aus diesen Beziehungen erklärt sich, daß S. in dem 1814 erschienenen Buch Bartholdy’s ‚Der Krieg der Tiroler Landsleute im Jahre 1809‘ unverhältnißmäßig bedeutsam in den Vordergrund der Ereignisse gerückt ist.

Hormayr macht sich deshalb über den Geschichtsschreiber, der sich von dem schlauen Tiroler ‚einseifen‘ ließ, weidlich lustig; andrerseits steht ebenso fest, daß der eifersüchtige Hormayr in seinen Schriften über den Tiroler Aufstand die Wirksamkeit Speckbachers wie auch die Andreas Hofers allzu gering anschlägt.

‚Der kecke, verschlagene Rinner Gebirgsschütze‘ sagt Josef Egger, ‚repräsentirte mit dem gutmüthigen, frommen Sandwirth ebenso treffend das tirolische Bauernthum, wie Achill und Odysseus das griechische Heroenthum.‘

Ein von S. in Scene gesetztes und von Kaiser Franz unterstütztes Unternehmen, in Ungarn eine Colonie von ausgewanderten Tirolern und Vorarlbergern anzulegen, endete mit entschiedenem Mißerfolg. Schon der Platz, den S. und Thalguter aussuchten, war in keiner Weise zur Ansiedlung geeignet und ebenso wenig waren die Colonisten von ‚Königsgnad‘ der Aufgabe gewachsen. Als 1813 nach dem Uebertritt Oesterreichs zu den Verbündeten eine neue Volkserhebung in Tirol geplant wurde, begab sich auch S. mit den kaiserlichen Truppen in seine Heimath und leistete bei den Kämpfen mit den Franzosen gute Dienste. (…)

Nachdem er am 17. Oktober 1809 bei Unken und Mellek geschlagen wurde, flüchtete Speckbacher nach Wien, wo er von Kaiser Franz persönlich belobigt und mit einer Medaille ausgezeichnet wurde. Dort wurde er auch im Mai 1810 damit beauftragt die geflüchteten Tiroler in Südungarn anzusiedeln und war so an der Gründung des Dorfes Tirol im heute rumänischen Teil des Banats beteiligt.

Speckbacher hielt sich bis 1814 in Wien auf und wohnte in dieser Zeit bei seinem Kampfgefährten Jacob Troggler. Erst als 1814 Tirol wieder mit Österreich vereinigt wurde, konnte Speckbacher sicher nach Hall zurückkehren, wo er als k.k. Major seinen Ruhestand verbrachte.“  („Allgemeine Deutsche Biographie“, Band 35, Leipzig 1893, S. 78–81)

Früher Tod und Grablegung in Hall und dann in Innsbruck

Im Alter von nur 53 Jahren, am 28. März 1820, starb Josef Speckbacher in Hall an Nierenversagen. „Die Verwundung von Melleck hatte jedoch seine Gesundheit so stark erschüttert, daß Speckbacher  das Gut in Rinn verkaufen mußte und sich in Hall ansiedelte, wo er vermutlich an den Folgen seiner Verletzung starb“, schrieb der Historiker Richard Schober. (In:„Speckbacher Josef, Landesverteidiger und Bauer“, in: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815-1830. Bd.13, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 2010)

Unter der Teilnahme vieler tausender Tiroler, darunter auch vieler Mitkämpfer von 1809, wurde Speckbacher am 30. März 1820 in Hall zu Grabe getragen. Zu seinen Ehren zogen mehrere Schützenkompanien vor seinem Sarg auf. In der Kirche St. Nikolaus in Hall findet sich die Grabinschrift mit folgendem Text:

„Im Kampfe wild doch menschlich auch im Frieden still und den Gesetzen treu war er als Krieger, Unterthan, und Mensch der Ehre wie der Liebe werth. Joseph Speckbacher, Tiroler Landesschützen Mayor, geboren zu Gnadenwald am 13. Juli 1767, gestorben zu Hall am 28. März 1820, am 28. Juni. 1858 wurden die Gebeine nach Innsbruck in die Hofkirche übertragen.“

Aufständische Tiroler mit primitiven Spießen und Schlagwerkzeug attackieren feindliche Reiter.
Aufständische Tiroler mit primitiven Spießen und Schlagwerkzeug attackieren feindliche Reiter.

Der Vertraute von Andreas Hofer, Kapuzinerpater Joachim Haspinger, genannt „Pater Rotbart“, starb am 12. Jänner 1858 in Salzburg. Am 27. Jänner wurde ein feierliches Requiem in der Innsbrucker Hofkirche zu seinen Ehren abgehalten und am 26. Februar ordnete der Kaiser die Überführung von Haspinger an die Seite von Andreas Hofer in die Hofkirche an, wo Haspinger dann am 16.3.1858 beigesetzt wurde.

Es war sicherlich kein Zufall, dass im gleichen Jahr 1858 durch ein Handschreiben vom 20. April von Kaiser Franz Josef I. die Anordnung für die Überführung der Gebeine von Speckbacher von Hall in die Innsbrucker Hofkirche getroffen wurde. Seither ruhen seine sterblichen Reste neben denen von Andreas Hofer und Pater Haspinger. Seit 1935 ruht hier ebenso der von Wien überführte Ausgräber des Sandwirts in Mantua, Leutnant Georg Hauger.

Das Andreas Hofer-Grabmal in der Hofkirche in Innsbruck.
Das Andreas Hofer-Grabmal in der Hofkirche in Innsbruck.

Der Gedenkstein in der Hofkirche enthält die Inschrift: „Josef Speckbacher k.k. Landesschützenmajor, geb. im Gnadenwalde 13. Juli 1767, gest. zu Hall 28. März 1820. Unter den getreuen Kämpfern des Jahres 1809 hervorragend durch seine rastlose Tapferkeit.“

 

Die „Bozner Zeitung“ Nr. 53 vom Samstag, 3. Juli 1858 berichtete über die endgültige Grablegung:




Österreichische Bundesregierung soll Farbe bekennen!

Bild Parlament: Thoodor (talk) via wikipedia.org, CC BY-SA 3.0 at, Link 

Am 24. Februar 2021 reichten der FPÖ-Südtirolsprecher Peter Wurm und weitere FPÖ-Nationalratsabgeordnete drei parlamentarische Anträge an die österreichische Bundesregierung ein, deren Inhalt in Wien für Kopfschmerzen sorgen wird:

I) Amnestie für die letzten Südtiroler Freiheitskämpfer

Zur Erläuterung:

Die nach Bayern und Österreich geflüchteten Südtiroler Freiheitskämpfer Heinrich Oberleiter, Sepp Forer und Siegfried Steger können bis heute nicht in ihre Heimat zurück. Sie sind gemäß der in Italien immer noch in Geltung befindlichen faschistischen Strafprozessordnung in menschenrechtswidrigen Abwesenheitsverfahren zu lebenslanger Haft verurteilt worden.

Von links nach rechts: Heinrich Oberleiter - Sepp Forer - Siegfried Steger
Von links nach rechts: Heinrich Oberleiter – Sepp Forer – Siegfried Steger

Auch der ehemalige Freiheitskämpfer und österreichische Staatsbürger Univ.-Prof. Dr. Erhard Hartung erlitt das gleiche Schicksal und kann bis heute Südtirol, das Land seiner Vorfahren, nicht betreten, will er nicht in einem düsteren süditalienischen Kerker enden. In Österreich wurde er in einem ordentlichen Gerichtsverfahren in Anwesenheit von den gegen ihn erhobenen italienischen Vorwürfen freigesprochen.

Der Historiker und Militärfachmann Oberst Mag. Dr. Hubert Speckner von der österreichischen Landesverteidigungsakademie hat 2013, lange Zeit nach der Verurteilung in Italien, anhand der bislang unter Verschluss gestandenen österreichischen sicherheitsdienstlichen Akten und aufgrund eigener fachlicher Untersuchungen akribisch nachgewiesen, dass Dr. Hartung sowie seine damaligen Mitangeklagten mit einem ihm von italienischer Seite vorgeworfenen angeblichen Sprengstoffanschlag auf der Porzescharte 1967 nichts zu tun gehabt haben konnten.

Der österreichische Historiker und Militärfachmann Oberst Mag. Dr. Hubert Speckner
Der österreichische Historiker und Militärfachmann Oberst Mag. Dr. Hubert Speckner

Er hat dies in einer Dokumentation in deutscher Sprache (2013) und in italienischer Sprache (2015) publiziert, die in Österreich in allen wichtigen Tageszeitungen besprochen und gewürdigt wurde und die auch in Südtirol großes Aufsehen erregt hat. Unter anderem hat die Tageszeitung „Dolomiten“ ausführlich und eindeutig berichtet.

Speckners Werk trägt den Hauptitel „Von der Feuernacht zur Porzescharte“ und den Untertitel „Das ‚Südtirolproblem‘ der 1960er Jahre in den österreichischen sicherheitsdienstlichen Akten“. Die italienische Ausgabe erschien unter dem Titel „La Strage del Passo di Cima Vallona“.
Speckners Werk trägt den Hauptitel „Von der Feuernacht zur Porzescharte“ und den Untertitel „Das ‚Südtirolproblem‘ der 1960er Jahre in den österreichischen sicherheitsdienstlichen Akten“. Die italienische Ausgabe erschien unter dem Titel „La Strage del Passo di Cima Vallona“.

Titel eines Berichtes in den „Dolomiten“ vom 2. August 2013.
Titel eines Berichtes in den „Dolomiten“ vom 2. August 2013.

Weiters liegen neueste Erkenntnisse und Gutachten gerichtlich beeideter und zertifizierter Sprengstoff-Sachverständiger wie Dr. Ing. Melzer, Mag. Ruspeckhofer und Ing. Hasler vor, welche die Erkenntnisse von Mag. Dr. Speckner ebenfalls nachweisen, dass Dr. Hartung in Italien zu Unrecht in Abwesenheit gerichtlich verfolgt und verurteilt worden ist.

Univ.-Prof. Dr. Erhard Hartung (rechts im Bild) zusammen mit dem österreichischen Justizminister Univ.-Prof. Dr. Hans Klecatsky
Univ.-Prof. Dr. Erhard Hartung (rechts im Bild) zusammen mit dem österreichischen Justizminister Univ.-Prof. Dr. Hans Klecatsky

Es war bereits lange zuvor bei dem Außenministertreffen vom Aldo Moro und Kurt Waldheim in Kopenhagen 1969 vereinbart worden, dass in jedem Einzelfall die Berechtigung der Strafverfolgung seitens Italiens überprüft werden sollte. Das ist in der Folge jedoch weder bei Oberleiter, Forer, Steger, noch bei Dr. Hartung erfolgt. Es blieb auf italienischer Seite bei den schönen Worten und auch die österreichischen Politiker engagierten sich leider nicht mehr.

Auch einige weitere Freiheitskämpfer mit österreichischer oder bundesdeutscher Staatsbürgerschaft wurden in Abwesenheit von italienischen Gerichten verurteilt und erfuhren zum Teil erst aus der Presse von ihren Prozessen und Verurteilungen.

Alle diese Betroffenen sind bis heute nicht bereit, Gnadengesuche mit Schuldbekenntnissen an den italienischen Staatspräsidenten zu richten, da sie der Auffassung sind, dass sie angesichts der schweren Menschenrechtsverletzungen durch Italien damals berechtigten Widerstand gegen Unrecht geleistet hatten. Ihrer Auffassung nach, die sie mehrfach öffentlich geäußert haben, sollte Italiens Staatsoberhaupt von sich aus mit einer Annullierung der menschenrechtswidrigen Abwesenheitsverurteilungen den gebotenen Schlussstrich ziehen.

Im Jahre 2019 hatte der österreichische Bundespräsident Van der Bellen versprochen, sich dafür einzusetzen. Seitdem hat man nichts mehr darüber gehört.

Man darf gespannt sein, wie sich die österreichische Bundesregierung nun zu dieser Frage stellen wird.

Ein aktueller Beitrag über das damalige Unrecht:

Am 4. März 2021 erschien in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ ein Bericht, in dem es hieß:

„… Der französische Präsident Emmanuel Macron hat am Dienstagabend (2.03.2021) vier Enkel des 1957 gestorbenen algerischen Unabhängigkeitskämpfer Ali Boumendjel im Elysée-Palast empfangen und ihnen eingestanden, was seine Vorgänger im Namen der Republik nicht auszusprechen wagten: Ihr Großvater beging nicht Selbstmord, wie offiziell behauptet worden war, sondern wurde auf Anweisung des französischen Generals Paul Aussaresses in Algier gefoltert und starb an den Folgen der Verletzungen. In einem am späten Abend versandten Kommuniqué betont Macron, dass er das Eingeständnis als „Geste der Anerkennung“ verstanden wissen wolle, die „kein Einzelfall“ bleiben solle. In der Verlautbarung fehlt indessen der Hinweis darauf, dass der Präsident die Enkel um Vergebung für das Verbrechen gebeten habe.“

Daraufhin schrieb Univ.-Prof. Dr. Erhard Hartung einen Leserbrief, der am 10. März 2021 in der FAZ veröffentlich wurde:

II) Selbstbestimmung

Zur Erläuterung: Selbstverwaltung ist nicht Selbstbestimmung!

Die Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes ist ein plebiszitärer Vorgang. Das Volk stimmt ab. Eine Volksabstimmung über die künftige staatliche Zugehörigkeit oder Eigenständigkeit ist nicht gleichzusetzen mit eingeschränkten gesetzgeberischen und verwaltungsmäßigen Befugnissen eines Landtages und einer Landesregierung im Rahmen von oben her auferlegten Bestimmungen.

Univ.-Prof. Dr. Franz Gschnitzer: „Selbstverwaltung ist nicht Selbstbestimmung!“
Univ.-Prof. Dr. Franz Gschnitzer: „Selbstverwaltung ist nicht Selbstbestimmung!“

Bereits am 9. September 1946 hatte der Innsbrucker Nationalratsabgeordnete, Universitätsprofessor, Richter und spätere Staatssekretär Dr. Franz Gschnitzer (ÖVP) in dem ÖVP-Organ „Tiroler Nachrichten“ in einem Artikel unter dem Titel „Selbstbestimmung nicht Selbstverwaltung“ klargestellt, dass „Selbstbestimmung zu den Grundrechten der Selbstherrschaft (Demokratie)“ gehört. Auf dieses Recht könne kein Volk verzichten. „Selbstverwaltung ist nicht Selbstbestimmung! So wenig ein Verwalter, der nicht verfügen kann, Eigentümer ist.“

III) Ortsnamen

Man darf gespannt sein, wie die österreichische Bundesregierung und die ihr parteipolitisch verbundenen Volksvertreter mit diesen Anträgen verfahren werden.

Es ist zu hoffen, dass nicht eine Politik des Auf-die-lange-Bank-Schiebens verfolgt werden wird.

Man wird sehen und der SID wird wieder berichten.




Gedenken an Peter Mayr

Jedes Jahr gedenken wir am 20. Februar des Todestages von Andreas Hofer im Jahr 1810. Am gleichen Tag und fast zur gleichen Stunde wurde, unweit der Talferbrücke in Bozen, Andreas Hofers enger Kampfgefährte Peter Mayr, der „Wirth an der Mahr“, ebenfalls erschossen. Diesem redlichen und unbeugsamen Mann, der zu Unrecht weitgehend in Vergessenheit geraten ist, ist die nachstehende Dokumentation gewidmet.

„Ich will mein Leben durch keine Lüge erkaufen!“

Ein historischer Bericht von Georg Dattenböck

„Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht, // Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden, // Wenn unerträglich wird die Last – greift er // Hinauf getrosten Muthes in den Himmel, // Und hohlt herunter seine ewgen Rechte, // Die droben hangen unveräusserlich // Und unzerbrechlich wie die Sterne selbst …“ (Friedrich Schiller, Drama Wilhelm Tell)

Peter Mayr und seinen Mitstreiter war es im Freiheitskampf von 1809 vor allem um Folgendes gegangen:

  • um die Bewahrung der verbrieften Freiheiten, niedergelegt im „Tiroler Freiheitsbrief“;
  • um den Erhalt der Wehrhoheit, niedergelegt im Landlibell von 1511;
  • um den Erhalt der kulturellen und damit auch religiösen Identität des Volkes;
  • um den Erhalt des von Napoleon erstmals 1808 abgeschafften Landesnamens Tirol.

Der „Tiroler Freiheitsbrief“ vom 28. Jänner 1342 ist ein einzigartiges historisches Dokument der frühen, demokratisch-fortschrittlichen Landesentwicklung unter Einbeziehung eines freien Bauernstandes.
Der „Tiroler Freiheitsbrief“ vom 28. Jänner 1342 ist ein einzigartiges historisches Dokument der frühen, demokratisch-fortschrittlichen Landesentwicklung unter Einbeziehung eines freien Bauernstandes.

Peter Mayrs Familiengeschichte wurde erforscht

Peter Mayr wurde am 15. August 1767 am Köhlhof in Siffian am Ritten (nördlich Bozens) als Sohn des Peter Mayr (1741–1806) und seiner Frau Maria Unterhofer (1743–1815) die vom Hof Doppelbauer in Oberbozen stammte, geboren.

In der von Königin Maria Theresia 1774 im Land eingeführten Grundschule lernte Peter das Lesen und Schreiben und erhielt eine religiöse Bildung.

Stammbaum der Mayr von Sulz (Staffler) am Ritten
Stammbaum der Mayr von Sulz (Staffler) am Ritten

Peter Mayr, „Wirth an der Mahr“
Peter Mayr, „Wirth an der Mahr“

Wie der Stammbaum der Familie zeigt, stammte Peter Mayr aus einem alten Tiroler Bauerngeschlecht. Das Wappen erhielt die Familie von Kaiser Karl V. im Jahre 1555 verliehen, als Dank für geleistete Dienste. Die Familie brachte immer wieder Männer hervor, die das Richteramt ausübten, so auch Peters Vater, der als letzter Blutbannrichter am Ritten wirkte.

 

Das Wirtshaus an der Mahr

Der von der rätischen Sprachwurzel „la’mara“ hergeleitete Name Mahr, in der Bedeutung „Erdrutsch, Überschwemmungsgebiet“, ist über ein mittelhochdeutsches „Mette“ in der tirolerischen Mundart zu „Mahr“ geworden. Das Gebiet um und das Wirtshaus an der Mahr weist eine lange Geschichte auf:

1173 schenkte Frau Gisela von Latzfons „in der Merre“ dem Kloster Neustift Leibeigene;

1212 wird eine Kirche zum hl. Jakob an der Mahr genannt;

1225 fand ein Ritterturnier in „ein velt din merre“ zwischen dem Minnesänger Ulrich von Lichtenstein und Udalschalk von Potzen statt; der Bozner verlor dabei einen Finger;

1396 wird ein Weingut des Niderchoflacher an der Maerre genannt;

1656 war Ulrich Rändl der „Wirt an der Märe“;

1780 war Claudia Peer Besitzerin des Mahrerwirt;

1803 waren Johann und Maria Öler die Wirtsleute an der Mahr;

1804 am 8. November, erwarb Peter Mayr, Kölensohn in Siffian Am Ritten, das Wirtshaus, nachdem er vorher das Wirtshaus „Zum Weißen Kreuz“ (genannt „beim Schober“) südlich von Klausen gelegen, besessen hatte.

Alte Ansicht vom Gasthaus Wirth an der Mahr
Alte Ansicht vom Gasthaus Wirth an der Mahr

Das uralte Wirtshaus an der Mahr wurde ein Treffpunkt all jener Tiroler, die sich über die französische Besatzung und deren maßlose Übergriffe: die zwangsweise Aushebung von Rekruten, über Diebstähle, Raub, Vergewaltigungen und Morde, über die verhasste Abschaffung alter Rechte, über die vielen neuen Steuern, über die Verbote religiösen Brauchtums und über das provokant-anmaßende Verhalten der neuen Obrigkeiten empörten.

Geheime Zusammenkünfte fanden im „Schmiedhäusl“ neben dem Mahrwirt statt, an denen auch Andreas Hofer teilnahm: so beim „Bauernkonvent“ am 25. November 1807, auf dem beschlossen wurde, Anordnungen der Besatzer betreffend kirchlicher Angelegenheiten nicht zu befolgen und „die Schänder der Gotteshäuser“ zum Schutze des Glaubens aus dem Lande zu vertreiben. Eine zunächst friedlich an den bayerischen König Max I. gerichtete Bittschrift wurde von den Behörden beschlagnahmt und die Unterzeichner wurden verwarnt.

Das blutige Drama des Tiroler Aufstandes war somit von den Franzosen selbst und deren willigen, bayerischen Vasallen vorprogrammiert.

Die historischen Grundlagen des Tiroler Schützenwesens

Die Adler-Fahne des Tiroler Aufgebotes von 1499 (Aus: „Deutsches Soldaten-Jahrbuch“, München 1987)
Die Adler-Fahne des Tiroler Aufgebotes von 1499 (Aus: „Deutsches Soldaten-Jahrbuch“, München 1987)

In einer Urkunde Kaiser Maximilians I. vom 23. Juni 1511 wurde, mit der Zustimmung der Tiroler Landstände bestimmt, daß die Tiroler, jedoch nur zur Verteidigung ihres Landes, Kriegsdienst zu leisten hatten. Dieses sogenannte Landlibell regelte die Aufstellung eines Schützenaufgebots und eines Landsturms und war bis zum Jahr 1918, im Lauf der Zeit mit einigen Änderungen, immer ein Teil der Tiroler Landesverfassung.

Die Schützenkompanie Ritten mit der Adler-Fahne im Jahr 1913. (Aus: „Deutsches Soldaten-Jahrbuch“, München 1987)
Die Schützenkompanie Ritten mit der Adler-Fahne im Jahr 1913. (Aus: „Deutsches Soldaten-Jahrbuch“, München 1987)

Erstmals trat Peter Mayr in das Licht der Öffentlichkeit, als er sich als Kommandant der Schützen am Ritten bewährte. Das Schützenaufgebot vom Ritten unter seinem Kommando wehrte bereits am 3. April 1797 die versuchte Besetzung des Ritten durch eine französische Einheit ab, die Franzosen mussten sich nach Bozen zurückziehen. Die damals entstandenen Kampflieder der Schützen sind provokant und mobilisierend, wie z. B. das „Lied im Franzosen-Rummel 1796“, dessen Text (hier folgend die ersten drei von acht Strophen) lautet:

Den Stutzen hear, beym Soggara.
Was wöll’n denn d’Franzosen?
Hö! moanen sie mit ihrem Gschroa,
Mier haben ’s Hearz in d’Hosen!
An schwanzigen Tyrolar Bua
Darfst du nit dreymal fragn;
Weard er dir wirsch, aft schau nur zue,
Er nimpt di glei bam Kragen.

Die Walschen! ja, daß Gott erbarm,
seyn freila pure Heiter,
Sihst afa den Tyrolar Arm?
Huj! nur koan Schritt mea weiter.
Ja, sproz nur einer Tuifelsboan,
Mier wöll’n dirs schon drahnen,
Was ’s Stutzl nit derthuet: der
thoan die Stoaner-Krafellahnen.

Für üns ists krad a Kirchtatanz.
Denn mier – mier halten zsamen,
und lieben Gott und Kaiser Franz
Und ünser Landl Amen.
A hab’n mier ünsrer Alten Lehr
Bey weiten nit vergessen,
Die haben sich mit Ruam und Ehr,
Mit zwean auf oamal gmessen.

(Aus: Sandra Hupfauf/Silvia Maria Ebner: „Liedgeschichten. Musik und Lied in Tiroler Politik und Gesellschaft 1796-1848“, Innsbruck 2013)

Der Aufstand 1809

Über die Erhebung der Tiroler im Jahre 1809 berichtete die „Innsbrucker Zeitung“ ausführlich.

Faksimile der „Innsbrucker Zeitung“ vom Freitag, 21. April 1809
Faksimile der „Innsbrucker Zeitung“ vom Freitag, 21. April 1809

Damals wurden 380 Schützenkompanien in den Standeslisten des Jahres 1809 aufgeführt. Das waren an die 36.000 Schützen mit Gewehren und rund 40.000 Stürmer, die jedoch nur mit Hacken, Sensen, Morgensternen und Picken sehr mangelhaft bewaffnet waren.

Die 1809 erfolgte Aufhebung des Landlibells durch die Franzosen bzw. deren bayrische Vasallen, sowie die Zwangsaushebung von Tiroler Rekruten in Axams für den Dienst in der französischen Armee, führte geradewegs in den Aufstand.

In der „Festschrift zur Wiedererrichtung des Peter Mayr Denkmals in Bozen 21. Februar 2010“ (Herausgeber: Schützenkompanie Bozen), die hier vom Verfasser zu den folgenden Zitierungen herangezogen wird, ist über das Schicksal von Peter Mayr u.a. zu lesen:

„Als dann Anfang April 1809 der Aufstand losbrach, war Peter Mayr an den beiden ersten Befreiungen des Landes im April und im Mai beteiligt. In den beiden Bergiselschlachten am 25. und 29. Mai befehligte er die Pfeffersberger. Ebenso bedeutend wie seine militärische Rolle war in dieser Zeit seine politische als gewählter Vertrauensmann der Stadt und Umgebung von Brixen.

Bei der dritten Befreiung Tirols, der eigentlichen Ruhmestat von 1809, wurde Peter Mayr dann zu einer entscheidenden Führerpersönlichkeit. Nach der Niederlage von Wagram hatte Erzherzog Karl im Waffenstillstand von Znaim (11. Juli 1809) Napoleon die militärische Räumung Tirols zusagen müssen. Nach dem Abzug der regulären österreichischen Truppen waren die Tiroler auf sich allein gestellt, viele verzagten und wollten den Kampf aufgeben. Nichts schien die französischen und bayerischen Truppen aufhalten zu können, die beinahe kampflos in Innsbruck einrückten und sich anschickten, auch den Süden des Landes zu besetzen. In dieser aussichtslosen Lage trafen sich am 2. August 1809 der Mahrwirt Peter Mayr und der Sternwirt Peter Kemenater von Schabs beim Kreuzwirt Martin Schenk in Brixen. In ihrem als „Schwur der Drei“ bekannten Treffen gelobten sie sich Treue im Kampf um die Freiheit Tirols und bereiteten den Widerstand in der Sachsenklemme vor, der die entscheidende Wende brachte.“

Bild von Albin Egger-Lienz: Der Schwur der Drei. In Hemdärmeln sieht man Peter Mayr, rechts Peter Kemenater, im Hintergrund, die Rechte zum Schwur erhoben, Martin Schenk. Auf dem Tisch liegt ein Säbel, die rechten Hände der Männer sind über der Waffe ineinandergelegt.
Bild von Albin Egger-Lienz: Der Schwur der Drei. In Hemdärmeln sieht man Peter Mayr, rechts Peter Kemenater, im Hintergrund, die Rechte zum Schwur erhoben, Martin Schenk. Auf dem Tisch liegt ein Säbel, die rechten Hände der Männer sind über der Waffe ineinandergelegt.

In der Festschrift heißt es weiter: „Die Tiroler konnten am 4. und 5. August unter der Führung von Peter Mayr, Pater Joachim Haspinger und Josef Speckbacher die vor allem aus Sachsen und Thüringern bestehende Division Rouyer, die von Innsbruck nach Süden durchstoßen wollte, nördlich von Franzensfeste zurückwerfen und ihr schwere Verluste zufügen. Von 2000 Soldaten waren 1000 gefallen oder, zumeist verwundet, in Gefangenschaft geraten. Die Tiroler hatten kaum 100 Mann verloren. Dieser beachtliche Erfolg (wie auch der ähnlich verlaufene Kampf bei der Pontlatzer Brücke im Oberinntal) rüttelte das ganze Land auf und ließ die Zahl der Kampfeswilligen rasch wieder ansteigen. Auch Marschall Lefebvre, der mit 7000 Mann den Durchbruch nach Süden doch noch erzwingen wollte, scheiterte nach erbitterten Kämpfen in der Gegend von Sterzing und zog sich schließlich nach Innsbruck zurück.

Der tagelang anhaltende Widerstand der Tiroler wäre nicht möglich gewesen, wenn Peter Mayr nicht den Nachschub bestens organisiert hätte. Der verfolgte Lefebvre musste sich am 13. August bei Innsbruck zum Kampf stellen. Diese dritte Bergiselschlacht, in der Peter Mayr mit Pater Haspinger das Zentrum kommandierte, endete mit einem Aufsehen erregenden Erfolg der zahlenmäßig unterlegenen Tiroler gegen die erfolgsgewohnten Franzosen und Bayern. Marschall Lefebvre mußte abziehen, Tirol war wieder frei.“

Gemälde von Defregger: Heimkehr der Sieger
Gemälde von Defregger: Heimkehr der Sieger

 In der Festschrift heißt es weiter: „Der zum Unterkommandanten ernannte Peter Mayr widmete sich in der folgenden Zeit der Regentschaft Hofers der Hilfe für die vom Krieg schwer getroffene Bevölkerung vor allem im Unterinntal. In Brixen betrieb er die Wiedererrichtung des Priesterseminars. Mit dem am 14. Oktober 1809 in Wien geschlossenen Frieden, der die Abtretung Tirols bestätigte, hatte Napoleon aber die Hände frei, um Tirol mit einem gewaltigen Truppenaufgebot endgültig zu unterwerfen.

Die vierte Bergisel-Schlacht am 1. November 1809 war angesichts der Übermacht der Feinde rasch verloren. Viele Landesverteidiger sahen die Sinnlosigkeit weiteren Widerstandes ein und gaben auf. Andreas Hofer selbst schwankte zwischen Aufgabe und Fortsetzung des Kampfes.“

Das dramatische Ende des Aufstandes

Nur mehr tief Verzweifelte konnten nach der letzten, verlorenen Bergisel-Schlacht noch ernsthaft an einen Sieg gegen eine übermächtige französische Armee denken. Ein Mann namens Johann Nepomuk Maria von Kolb (*1757 in Innsbruck, †Petra 1813), war einer Jener, die Andreas Hofer sogar unter Gewaltandrohung drängten, den bereits aussichtslosen Kampf fortzusetzen. Der Zeitzeuge, Freiherr von Hormayr, charakterisierte Kolb u.a. so:

„… Commandant von Lienz, Nepomuk von Kolb, aus einer guten Familie, ehehin ständischer Steuereinnehmer, aber um unordentlicher Verwaltung willen von diesem Amt entfernt, ein hirnverbrannter Anarchist von den tollsten Einfällen…“ (Joseph von Hormayr: „Geschichte Andreas Hofer’s, Sandwirths aus Passeyr, Oberanführer der Tyroler im Kriege 1809; 2. Theil, 2. Auflage Brockhaus Leipzig 1845, S. 361)

Hormayr berichtete schonungslos über die damalige Lage, wonach Hofer, auch auf Grund der Einwirkungen von Fanatikern, den Überblick verlor:

„Alle die nachfolgenden schwankenden und widersprechenden Schritte Hofer’s tragen das Gepräge seiner eigenthümlichen Unentschlossenheit, Leichtgläubigkeit und Kurzsichtigkeit, des heftigen Widerstreites der verschiedenen Parteien und Persönlichkeiten, die ihn hin und her rissen… Einige Verworfene, des Tyroler Namens unwürdig, wollten fortgesetzten Widerstand, um ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen und ihre Flucht zu decken…

Der Vicekönig (Eugen Napoleon) sendete den General Rusca ins Pusterthal. Am 3. November rücken diese in Sillian ein. Den Oberbefehl führt Baraguey d’Hilliers, der die Unruhen in Krain gestillt hatte. Kolb predigte noch immer und zwar unter Androhung der Todesstrafe den hartnäckigsten Widerstand gegen diese ‚letzte Anstrengung der ohnmächtigen Feinde‘. Die Mutter Gottes sei ihm erschienen, sie werde helfen. Der Commandant Stöger, der zur Niederlegung der Waffen ermahnt hatte, sei ein vom Feinde mit 20,000 Fl. erkaufter Verräther und vogelfrei. Wirklich mußte sich Stöger zu den Franzosen flüchten. Seine warnenden Briefe an Hofer fing Kolb auf und belog den guten Sandwirth: der Erzherzog Johann rücke schon gegen Sachsenburg heran, man höre schon im Pusterthale den Donner seines Geschützes. – Die Bauern zogen sich in die Mühlbacher Klause zurück und dieselben befehligte Peter Mayr, Wirth in der Mahr; Kolb tobte und brüllte… An Lebhaftigkeit, Gewandtheit und Keckheit, an volksthümlicher Beredsamkeit gebrach es ihm gar nicht, eben so wenig an einer ledernen Stirn, wenn er auf der Lüge ertappt war.“ (Joseph von Hormayr: „Geschichte Andreas Hofer’s, Sandwirths aus Passeyr, Oberanführer der Tyroler im Kriege 1809; 2. Theil, 2. Auflage Brockhaus Leipzig 1845, S. 495ff)

Andreas Hofer, aber auch Peter Mayr, durch lokale Siege in einigen Gefechten und durch Kolb und Andere ermutigt, erhofften sich ein nochmaliges Eingreifen der österreichischen Armee. Mayr wollte das Eisack- und Pustertal halten und die Aufrufe zum Widerstand fanden wieder Gehör. General Moreau wurde mit 2000 Mann in Brixen eingeschlossen und Peter Mayr versuchte, noch am 25. November, Brixen zu stürmen: es war vergeblich, Mayr gab den Kampf schließlich auf.

Kolb, der fanatisch noch weiterkämpfte, flüchtete, nachdem er die Aussichtslosigkeit begriff, nach Wien. Dort wurde er als politisch Unwillkommener von den Wiener Behörden nach Brünn abgeschoben und unter Polizeiaufsicht gestellt. Er ließ sich schließlich in Petra bei Konstantinopel nieder, wo er 1813 an der Cholera starb.

Die grausame Rache der Franzosen

Die Bozner Schützen berichten in ihrer Festschrift: „Die Rache von General Severoli war schrecklich. Er ließ rings um Brixen 150 Höfe und Ansitze in Brand stecken, die Bewohner mußten sämtliche Habseligkeiten in den Häusern lassen und zusehen wie sie verbrannten. In Vahrn wurde dabei das junge Besitzerehepaar des Gallhofes erschossen. Nun richtete sich die Verfolgung gegen alle, die in der zweiten Novemberhälfte und Anfang Dezember noch gekämpft hatten. Vizekönig Eugene Beauharnais hatte am 12. November verkündet, daß jeder, der fünf Tage nach dieser Kundmachung noch mit der Waffe in der Hand angetroffen werde, erschossen werde.

Mehrere Aufständische, die bei den letzten Gefechten um Brixen in Gefangenschaft geraten waren, wurden in Bozen erschossen, 30 von ihnen wurden zu lebenslänglicher Festungshaft verurteilt und starben meist in den Gefängnissen. Drei Führer der Aufständischen, Johann Kircher von St. Leonhard, Bartlmä Pichler von Milland und Ignaz Haller von Neustift wurden am Brixner Domplatz erschossen, auf Kolb und Mayr wurde ein Kopfgeld ausgesetzt.“

Auch Peter Mayr fiel, wie Andreas Hofer, dem Verrat zum Opfer

Der von den Franzosen gesuchte Mayr verbarg sich im Leitererhäusl in Feldthurns, nur ein wenig oberhalb seines Wirtshauses. Jedermann wußte in Feldthurns vom Versteck, es dauerte trotzdem Wochen, bis ein Verräter namens Johann Pichler ihn an die Franzosen um 50 Gulden Judaslohn verriet. Am 8. Februar 1810 wurde Mayr festgenommen und am nächsten Tag in die Fronfeste St. Afra nach Bozen verbracht, wo schon Hofer kurz inhaftiert war. Ein Kriegsgericht verurteilte Peter Mayr am 14. Februar zum Tod.

Seine schwangere Frau Maria, die mit den Kindern nach Bozen kam um Peter beizustehen, richtete an den kommandierenden General Louis Baraguey d’Hilliers ein Gnadengesuch.

General Louis Baraguey d’Hilliers wollte Peter Mayr retten

Als Randnotiz muss hier vom Verfasser auf die Rolle des General Baragueys, als damaliger Oberbefehlshaber der französischen Truppen in Südtirol, bei der erstmals durchgeführten Erhebung der Sprachen, Sprachgrenzen und Sprecherzahlen in Südtirol und im Norden Italiens, durch das „Büro für Statistik“ im französischen Innenministerium hingewiesen werden. Von diesem Pariser Ministerium aus wurde von 1806 bis 1812 an „einer umfassenden Erhebung von Daten über alle im Kaiserreich gesprochenen Sprachen und Dialekte“ gearbeitet. (siehe dazu: Sven Koedel „Die napoleonische Sprachenerhebung in Tirol und Oberitalien in den Jahren 1809 und 1810“, in der vom Ladinischen Institut „Micurá de Rü“ herausgegebenen Zeitschrift „Ladinia 2010“, S. 11-49)

Als Ziel wurde für Tirol die die Beschaffung von Informationen über die Sprachgrenzen und die deutschen Sprachinseln angegeben. „So berichtet Baraguey d’Hilliers in einem Brief v. 4. April 1810, in der Administration des Etschkreises einen lebhaften Eifer für die Nachforschungen über die Dialekte der Valsugana entfacht zu haben“. (Koedel, a. a. O., S. 30)

Jedenfalls gibt diese sehr wertvolle Arbeit von Koedel einen tiefen Einblick in die damaligen Verhältnisse!

General Louis Baraguey d’Hilliers
General Louis Baraguey d’Hilliers

General Louis Baraguey d’Hilliers (1764-1813) legte im Gegensatz zu anderen französischen Generälen den aufständischen Tirolern gegenüber ein anständiges Verhalten an den Tag. Im Dezember 1809 verzichtete er auf einen Einmarsch in den Vinschgau, nachdem eine Ergebenheitserklärung abgegeben wurde. Der Ehefrau und dem Sohn von Andreas Hofer schenkte er nach deren Festnahme bald wieder die Freiheit und er besuchte Andreas Hofer in der Haft in Bozen. 1810 wurde der General von Napoleon nach Katalonien versetzt, anschließend kämpfte er in Napoleons Angriffskrieg gegen Russland, er starb 1812 in Ungnade als Gouverneur in Berlin.

Die Gattin des Generals wollte helfen

Die Gattin des Generals Baraguey, eine deutsche Frau aus Mainz, befreundete sich mit Anna von Giovanelli aus Bozen. Anna war die Tochter des Johann von Vintler zu Platsch und Runkelstein und Gattin des Ritters Josef von Giovanelli zu Gerstburg und Hörtenberg, welcher dem Herren- und Ritterstand angehörte. Die lombardische Familie Giovanelli stammte ursprünglich aus Bergamo.

Während der Kriegsjahre von 1796 bis 1801 und 1805 hatte sich Josef von Giovanelli um die Landesverteidigung von Tirol verdient gemacht. Als der Aufstandsplaner Josef von Hormayr, dessen Großmutter eine Elise von Giovanelli war, mit den Spitzen der österreichischen Armee Bozen erreichte, nahm ihn Josef von Giovanelli in seinem Haus auf. Von dort aus koordinierte Hormayr den Aufstand und das Haus Giovanelli wurde eines der Zentren der Tiroler Patrioten um Andreas Hofer. (Joseph von Hormayr: „Geschichte Andreas Hofer’s, Sandwirths aus Passeyr, Oberanführer der Tyroler im Kriege 1809; 2. Theil, 2. Auflage Brockhaus Leipzig 1845)

Baragueys Frau wirkte auf Grund des Drängens ihrer Freundin Anna von Giovanelli stark auf ihren Gatten zu Gunsten von Peter Mayr ein. Dies zeigte Wirkung, denn der General selbst war bereits zweimal von französischen Revolutionären verhaftet worden und immer nur knapp Hinrichtungen entgangen. Er hatte wohl auch deshalb Verständnis für Mayrs triste Lage. Durch die Feldzüge und seine Ehefrau hatte er aber auch das redlich-offene Wesen der Mehrheit aller Deutschen sehr zu schätzen gelernt.

Die „Staats- und Gelehrtenzeitung des Hamburgischen unparteyischen Korrespondenten“ gehörte damals zu den größten und einflussreichsten Zeitungen (erschienen 1712 bis 1934). Sie vertrat Glaubhaftigkeit, Sachlichkeit und, soweit unter der Besatzung möglich, auch eine Unparteilichkeit. In Nr. 41 v. 13.3.1810 schrieb diese Zeitung über General Baragueys Gattin:

„Die edle Gemahlin von Baraguey d’Hilliers genießt hier allgemeine Liebe und Achtung. Diese durch Kopf und Herz vortreffliche Dame hilft, wo sie kann, tröstet und unterstützt die Unglücklichen – jedermann hat zu ihr freien Zutritt.“

Der General hob das Urteil auf – Peter Mayr wollte keine Lüge sagen

General Baraguey und seinen Offizieren war auch die meist sehr gute Behandlung französischer Verwundeter und Gefangener durch die Tiroler bestens bekannt.

Deshalb hob er unter dem Vorwand eines Formfehlers das bereits ergangene Urteil gegen Peter Mayr auf. Baraguey wollte damit auch die Tiroler Bevölkerung für sich gewinnen und die angespannte Lage beruhigen.

Mayr wurde über seinen Anwalt eine Erklärung nahegelegt, daß er vom Erlass des Vizekönigs Eugen Napoleon vom 12. November keine Kenntnis gehabt habe. Mayr, so der Gedanke von General Baraguey, sollte durch diese Notlüge vor Gericht sein Leben retten.

Das war der Originalbefehl des Vizekönigs von Italien an die Tiroler vom 12. November 1809, wonach das Tragen von Waffen bei Todesstrafe verboten ist.
Das war der Originalbefehl des Vizekönigs von Italien an die Tiroler vom 12. November 1809, wonach das Tragen von Waffen bei Todesstrafe verboten ist.

Wie auch andere Männer in der Geschichte in ähnlicher Lage, lehnte Peter Mayr dieses Ansinnen jedoch ab:

„Die Erfüllung der für meine Rettung gestellten Bedingung ist unmöglich. Ich habe von den Friedensbestimmungen gewußt und eben deshalb zu den Waffen gegriffen, um einen Verzweiflungskampf zu wagen; ich bin der Wahrheit und den Geboten Gottes treu geblieben mein Leben lang und werde nie durch eine Lüge mein Leben erkaufen…“. (Zitiert nach Johann Staffler: „Das deutsche Tirol und Vorarlberg, topographisch mit geschichtlichen Bemerkungen“ Bd.II, S. 104, Innsbruck 1847)

(Dazu eine Anmerkung des Verfassers: Der griechische Staatsmann Perikles (490 – 429 v. Chr.) sagte in einer Rede auf die Gefallenen: „Ich rede nicht dem Wahn das Wort, daß der Tod vor dem Feind köstlich sei. Ich rede einer Wahrheit das Wort, daß es zu allen Zeiten unentrinnbarer Zwang ist, das, was man liebt, verteidigen zu müssen. Auch mit dem Leben.“)

Peter Mayrs religiöser Glaube, der ihm vor dem Tod die Angst nahm, seine tiefe Liebe zum freien Land der Väter und – trotz aller erlebten bitteren Enttäuschungen – seine Treue zum Kaiserhaus in Wien sowie sein Beharren auf dem moralischen Recht zum Widerstand gegen die Vergewaltigung seines Landes, zwangen ihn wohl, im Angesicht des nahen Todes nicht zu lügen.

Die Hinrichtung des unbeugsam Wahrheitsliebenden

Der 43jährige Wirt an der Mahr wurde um die Mittagszeit des 20. Februar 1810, unweit der Talferbrücke in Bozen und fast zur gleichen Zeit wie Andreas Hofer in Mantua, von einem Exekutionskommando der Franzosen erschossen. Den überlieferten Berichten nach nahm Peter Mayr, wie auch sein Oberkommandant Hofer, das über ihn verhängte Todesurteil sehr gefasst entgegen. Gelassen ging Mayr auf den Richtplatz, mit einem Kreuz in der Hand und seinem Hut unter dem Arm. Der Tiroler Aufstandsplaner und Zeitzeuge Josef von Hormayr schrieb über diese Haltung in Bezug auf Hofers Ende:

„So wenig Hofer das Todeswort des Kriegsgerichts erwartet hatte, vernahm er dieses Urtheil doch ohne die Miene zu verändern mit erhebender, alle Anwesenden sichtbar überraschender Gelassenheit und religiöser Resignation“ (Joseph von Hormayr: „Geschichte Andreas Hofer’s, Sandwirths aus Passeyr, Oberanführer der Tyroler im Kriege 1809; 2. Auflage Brockhaus Leipzig 1845, S. 514)

Eine feindliche Zeitung berichtete über das Ende von Peter Mayr

Die dem bayrischen Königshaus und damit dem Bündnis mit Frankreich verpflichtete „Münchner politische Zeitung“ vom 5. März 1810 berichtete über die Exekution von Peter Mayr und das Schicksal von Tiroler Aufständischen:

„Der reiche Wirth von der Mahr unweit Brixen, bey der Talferbrücke, Namens Peter Mayer, welcher am 20. d. dieß nach dem Urtheilspruch eines Kriegsgerichts vor hiesiger Stadt erschossen wurde, war ein Vater von 5 lebendigen Kindern, und das 6te trägt sein trostloses Weib noch unter dem Herzen. Aus seinen Verhören ergab sich, daß er ein Gespann des verruchten Kolb war, der in der Gegend von Brixen so viel angerichtet hat. Peter Mayer gestand in den Verhören immer mehr, als man von ihm zu wissen verlangt, und erklärte wiederholt, daß er den Tod nicht fürchte. Wirklich ging er sehr entschlossen, mit einem Kruzifix in der Hand, und mit dem Hut unter dem Arm, von einer großen Menge Volks begleitet, auf den Richtplatz. Nachmittags wurde er auf dem Gottesacker begraben. Seinem Beichtvater gab er den Auftrag, die Gemeinden um Brixen herum wegen Allem, was er ihnen Leid gethan, um Verzeihung zu bitten: Sein Weib erhielt die Erlaubniß, mit ihren Kindern wieder auf die Wirthschaft zu ziehen; diese ist aber rein ausgeplündert. – Der Sohn des Sandwirths Hofer, der bisher als Gefangener im hiesigen Spital lag, und zu seinem Vater nach Mantua abgeführt werden sollte hat nunmehr auf vielseitige Fürbitte die Erlaubniß erhalten, zu seiner Mutter nach der Heimath zurückzukehren. – Die Insurgenten von Bozen und Gries, die im verflossenen September als Kriegsgefangene nach Mantua abgeführt wurden, sitzen noch daselbst. Mehrere derselben sind inzwischen bereits gestorben.“ 

Faksimile aus „Münchener Politische Zeitung“ vom Montag, 5. März 1810.
Faksimile aus „Münchener Politische Zeitung“ vom Montag, 5. März 1810.

Anmerkungen sind zu dieser Meldung nötig: Abgesehen von geographischer Unkenntnis des Schreibers über die Lage des Gasthofs Wirth an der Mahr ist der psychologisch ausgefeilte und suggestive Versuch bemerkenswert, dem Leser nahezubringen, daß Mayr der „reiche Wirth“ war, der seine in tiefe Not geratene Familie ganz offensichtlich ohne einen Funken von Gewissen kaltblütig im Stich gelassen hatte.

Die Schuld an dem Unheil, welches über das Land gekommen war, wurde in diesem Bericht den Aufständischen zugewiesen und es wurde auch verschwiegen, wer das Wirtshaus an der Mahr ausplünderte.

Es wurde auch verschwiegen, daß es die deutsche Gattin des Generals Baraguey war, die sich bei ihrem Gemahl für die Heimkehr von Hofers Sohn zu seiner Mutter stark gemacht hatte.

Die Benennung der Aufständischen als „Kriegsgefangene“ hingegen liest man sonst sehr selten und auch der letzte Satz berichtet eine Wahrheit: kerngesunde Männer, die noch kurz zuvor die Kraft hatten, die ungeheuren Strapazen der schweren Kämpfe durchzustehen, starben im Kerker wie die Fliegen. Der Hunger, die Kälte des Steinbodens auf dem sie schlafen mussten, die generell sehr harte Behandlung und die bangen Gedanken der Eingekerkerten an die ungewisse, düstere Zukunft ihrer Höfe und Familien, hatte sie schnell dahin gerafft. Hunderte waren eingekerkert, dutzende wurden erschossen und viele Tausende starben in den Kämpfen oder an den Folgen von schweren Verwundungen und Krankheiten.

Die Gedenkstätten für Peter Mayr

Gedenkstein vor dem Wirtshaus an der Mahr

Nach seinem Tod wurde Peter Mayr vom Tiroler Volk und den Patrioten des übrigen Österreich keinen Tag vergessen. An historischer Stelle, vor seinem Wirtshaus an der Mahr wurde, 100 Jahre nach seinem Tod, ein Gedenkstein für ihn errichtet, am Wirtshaus selbst und in Mayrs Geburthaus in Siffian am Ritten wurden Gedenktafeln enthüllt.

Historische Postkarte vom Gasthaus an der Mahr und dem davor stehenden Denkmal für Peter Mayr, welches am 25. September 1910 eingeweiht wurde.
Historische Postkarte vom Gasthaus an der Mahr und dem davor stehenden Denkmal für Peter Mayr, welches am 25. September 1910 eingeweiht wurde.

Blinder Hass: Ein Gedenk-Kranz muss in Stücke gehackt werden

Daß die Südtiroler Bevölkerung auch nach dem Zweiten Weltkrieg nicht bereit war, sich willenlos mit der Landesteilung abzufinden, wurde am Abend des 20. Februar 1946 sichtbar, als einem Bericht des SVP-Organs „Volksbote“ zufolge anlässlich des Gedenkens an den Tod Andreas Hofers im Lande „überall die Feuer zum Himmel“ loderten. Es „schien am 20. Februar abends das ganze Land in Brand gesteckt zu sein. Durch das Etschtal zwischen Bozen und Meran brannten zahllose Feuer im Tal herunten und an den Hängen. … Von Meran aus gesehen war es so, als wenn die Berge rings um die Stammburg Tirol zu brennen und zu lohen begännen …

Raketen und Feuer rund um Brixen. (Bild aus der Festschrift: Michael Gamper: „Südtirol im Jubeljahr seines Bundes 1976-1946“, Brixen 1946)
Raketen und Feuer rund um Brixen. (Bild aus der Festschrift: Michael Gamper: „Südtirol im Jubeljahr seines Bundes 1976-1946“, Brixen 1946)

Im Talkessel von Brixen brannten hunderte von Feuern in allen Berghöhen … Tausende von Raketen stiegen zum Himmel, da und dort Inschriften und Sinnbilder mit Feuer gezeichnet.

Das gleiche Schauspiel durch das ganze Pustertal. Von Mühlbach angefangen überall stiegen Raketen auf, vielfach sah man die tirolischen Symbole, ein flimmerndes Herz Jesu oder dergl. … Von St. Lorenzen her wetterleuchtete es förmlich und die Gegend von Bruneck war ein Feuerbecken. Auf einer Höhe über Bruneck standen in Flammenschrift der Landesnamen und darüber wiederum das Zeichen des Herzens Jesu. Im Hochpustertal war es nicht anders … Wiederum hat das Volk wie so oft in seiner Geschichte mit Feuerzeichen in den Himmel geschrieben was seine Seele zu tiefst bewegt.“ („Volksbote“ vom 28. Februar 1946)

Gegen diese landesweiten, feurigen Bekundungen hatten die italienischen Behörden nichts unternehmen können, denn diese Äußerungen des Volkswillens waren zu mächtig. Bei einer kleineren, lokalen Aktion wurden sie jedoch umgehend tätig. In der Nacht vom 20. auf den 21. Februar 1946 war von Unbekannten ein Kranz aus Nadelzweigen – auf Tirolerisch „Taxenkranz“ genannt – am Denkmal von Mayr niedergelegt worden.

Der Kranz trug eine Schleife in den Tiroler Farben und auf einem Stück Karton die Inschrift:

„Des Helden Vermächtnis an unser Geschlecht:
‚Für Glaube und Heimat, für Sitte und Recht!‘‘“

Wie das SVP-Organ „Volksbote“ am 28.2.1946 berichtete, erschienen am 21. Februar 1946 die Carabinieri und zwangen die Wirtsleute des Gasthauses an der Mahr, den Kranz in Stücke zu hacken.

Dies war einer der vielen täglichen Nadelstiche, Gemeinheiten und Tiefschläge, die damals von den Südtirolern zu ertragen waren und die dazu beitrugen, den überhitzten Dampfkessel Südtirol in der „Feuernacht“ des Jahres 1961 platzen zu lassen, mit einem Donnerschlag, welcher die internationale Öffentlichkeit auf die unerträglichen Verhältnisse in Südtirol aufmerksam machte.

Ein Denkmal in Bozen

Bereits am 30. September 1900 wurde, nach einem Entwurf des Architekten Ritter Georg von Hauberisser, am Pfarrplatz in Bozen, wo Peter Mayr bestattet worden war, ein Denkmal enthüllt, das unter einem neugotischen, mit einem Kruzifix geschmückten Oberbau ein Relief trug, das die Gefangennahme Mayrs durch die Franzosen darstellte. Die Einweihung des Denkmals am 30.9.1900 wurde, trotz Regens, zu einem großen patriotischen Fest, wobei besonders die Rede des Historikers Hirn beeindruckte.

Das 1900 errichtete und später restaurierte Peter Mayr-Denkmal in Bozen sowie Bericht aus der „Bozner Zeitung“ vom 1. Oktober 1900.
Das 1900 errichtete und später restaurierte Peter Mayr-Denkmal in Bozen sowie Bericht aus der „Bozner Zeitung“ vom 1. Oktober 1900.

Unter dem Relief war folgender Text angebracht:

„Hier ruht Peter Mayr, Wirth an der Mahr. Im Jahr 1809 Landsturm-Commandant, geboren zu Siffian am 15. August 1767. Von den Franzosen am 20. Februar 1810 auf der Holzreife zu Bozen standrechtlich erschossen, nachdem er es verschmäht hatte, Leben und Freiheit durch eine Lüge zu erkaufen. R.I.P.“

An den Seiten des Denkmals sind Weggefährten und Kampfgenossen Peter Mayrs angeführt, die ebenfalls in Bozen erschossen wurden: Am 17.12.1809 waren am Johannesplatz (heute Waltherplatz) die Anführer Georg Ganeider, Zellenwirt in Villnöß, und Simon Rieder, Plankelbauer in Feldthurns, hingerichtet worden.

Am 21.12.1809 hatten hier Franz Burger aus Österreich, Matthias Frener, Schmied aus Pardell, Heinrich Koch aus Württenberg und Josef Markreich aus Ungarn ihr Leben gelassen.

Diese ehemaligen Soldaten hatten als „Sandwirts-Dragoner“ vor allem berittene Kurierdienste für Andreas Hofer geleistet und hatten mit Peter Mayr am 8.11.1810 in der Mühlbacher Klause gekämpft und dort die Kanonen der Tiroler bedient und waren beim Gefecht am 5.12.1810 in Klausen den Franzosen in die Hände gefallen.

Verbot der Einweihungsfeier für das restaurierte Denkmal und eine Prügelorgie

Bei der Bombardierung Bozens im Zweiten Weltkrieg war 1943 der helmförmige Aufsatz zerstört und das Denkmal schwer beschädigt worden. Es wurde wieder restauriert. Die für Samstag, 20.2.1960 geplante Einweihungsfeier zum Abschluss des Gedenkjahres „150 Jahre Freiheitskrieg“ wurde vom Regierungskommissar im Auftrag Roms kurzfristig verboten!

Nicht verbieten konnte er den Gedenkgottesdienst am Sonntag, 21. Februar 1960, der mit über 2000 Teilnehmern gefeiert wurde. Als die Besucher aus der Kirche strömten, legten die Grieser Schützen, sowie Fahnenträger der Katholischen Jugend und Nachkommen von Peter Mayr am Denkmal einen Kranz nieder.

Siegfried Steger auf dem Landesfestzug 1984 in Innsbruck
Siegfried Steger auf dem Landesfestzug 1984 in Innsbruck

Über das, was dann geschah, berichtet der Südtiroler Freiheitskämpfer der 1960er Jahre Siegfried Steger in seinem Buch: „Die Puschtra Buibm“:

„Es folgte Provokation auf Provokation. Vereinzelte Anschläge sorgten nicht für ein Nachdenken der italienischen Politik, sondern ließ diese noch härter vorgehen. Nach einem Anschlag im Vinschgau im Februar 1960 wurden sämtliche Veranstaltungen im ganzen Land verboten, das war gezielt gegen die Andreas-Hofer-Feiern gerichtet. Für Bozen war dies besonders schlimm, weil für den Sonntag, 21. Februar, die Einweihung des neuen Peter-Mayr-Denkmals bei der Pfarrkirche vorgesehen war. Der Bozner Dom war an diesem Tag zum Bersten voll, auch ich hatte es mir nicht nehmen lassen, zu diesem Ereignis nach Bozen zu fahren. Als wir – an die 2000 Kirchgänger – nach der Messe aus dem Dom strömten, stimmten wir das Andreas-Hofer-Lied an, beim Peter-Mayr-Denkmal wurde ein Kranz niedergelegt.

Die Prügel-Carabinieri treten in Aktion
Die Prügel-Carabinieri treten in Aktion

Das genügte, um die Polizei zum Zuschlagen zu bewegen. Von allen Seiten kamen die ‚Celere‘, die schnellen Einsatzautos der Polizei, mit Sirenengeheul angefahren, die Polizisten sprangen herab und schlugen mit Gummiknüppeln auf die Leute ein. Fotoapparate wurden abgenommen, mehrere Kirchgänger verhaftet. Im darauffolgenden Strafverfahren wollte der Staatsanwalt die Verteidigung nicht einmal zu Wort kommen lassen, diese setzte sich aber durch. Drei der Festgenommenen wurden zu bedingten Strafen verurteilt, die anderen freigesprochen. Gegen das Fehlverhalten der Polizei wurde aber nie ermittelt.

Der als ‚Knüppelsonntag‘ in die Südtiroler Geschichte eingegangene Übergriff der Polizei hatte mich tief erschüttert. Mir selbst war nichts passiert, aber unmittelbar in meiner Nähe lag ein junger Bursch in Tracht auf dem Boden, während auf ihn eingeschlagen wurde. Diese Hilflosigkeit gegenüber der staatlichen Macht konnte ich fast nicht ertragen. Am Abend erzählte ich Heinrich Oberlechner davon, spontan rief er aus: ‚Diese Besatzer machen mit uns, was sie wollen!‘ Jetzt weihte ich ihn in alle meine Pläne ein: ‚Da mache ich gerne und sofort mit‘, antwortete er ohne Zögern. Heinrich war bei uns fast wie zu Hause, er war zu dieser Zeit mit meiner Schwester Anna befreundet.“ (Siegfried Steger: „Die Puschtra Buibm“, 2. Aufl., Bozen 2014, S. 56f)

Heinrich Oberlechner beteiligte sich in der Folge in sehr entschlossener Weise an dem Südtiroler Freiheitskampf der 1960er Jahre.

Auch die Tageszeitung „Dolomiten“ berichtete ausführlich über die Prügelorgie, welche als „Knüppelsonntag“ in die Geschichte eingegangen ist.
Auch die Tageszeitung „Dolomiten“ berichtete ausführlich über die Prügelorgie, welche als „Knüppelsonntag“ in die Geschichte eingegangen ist.

Aus Anlass der 200jährigen Wiederkehr des Todestages von Peter Mayr und seiner Mitstreiter im Jahre 2009 ließ die Schützenkompanie Bozen das Peter Mayr-Denkmal wiederum restaurieren und in seinen ursprünglichen Zustand versetzen.

Weitere Denkmäler

1909 wurde in Brixen eine „Jahrtausendsäule“ eingeweiht, an der ein Bronzerelief die Szene mit Mayrs Frau zeigt, die ihn im Kerker vergeblich zur Notlüge überreden will. 1959 wurde in Brixen, als Ersatz für eine von den Faschisten entfernte Gedenktafel für drei am Domplatz erschossene Anführer von 1809, eine neue Tafel enthüllt, die auch an Peter Mayr erinnert.

Im Gedenkjahr 1984 brachte die Brixner Schützenkompanie „Peter Mayr“ beim Loaterer, wo Mayr gefangen genommen wurde, eine Gedenktafel an.

Im Bozner Stadtteil Gries, im Meraner Stadtteil Untermais sowie im Innsbrucker Stadtteil Wilten wurden Straßen nach Peter Mayr benannt.

Gedenken und Mahnung

Das Gedenken an die Freiheitskämpfer von 1809 schärft auch den kritischen Blick auf die heutigen Verhältnisse und lässt den Gedanken an Selbstbestimmung und Freiheit nicht untergehen. Über die eigene Zukunft entscheiden letztendlich doch die Menschen, die in dem Lande leben.

Für alle Zeiten, auch für uns Heutige und unsere Nachkommen, ist nach wie vor gültig, was Indiens erfolgreicher Freiheitsheld Mahatma Gandhi aussprach:

„Kein Volk kann auf Dauer unterworfen werden, wenn es nicht irgendwann an seiner Unterjochung mitwirkt.“

Diese Schützenfahne sagt, worum es geht!
Diese Schützenfahne sagt, worum es geht!




„Ich Kerschbaumer“ – Erlebbare Geschichte im Internet

Josef Kerschbaumer, Landwirt und Kaufmann in Frangart, hatte angesichts der Entrechtung und Unterdrückung seiner Volksgruppe Ende der 1950er Jahre den „Befreiungsausschuss Südtirol“ (BAS) gegründet, welcher dann 1961in der „Feuernacht“ die Protestanschläge gegen Strommasten durchführte, nachdem Rom ein Vertreibungsgesetz gegen unbotmäßige Südtiroler im Parlament beschließen wollte.

Das Vertreibungsprojekt landete auf dem Müllhaufen der Geschichte und letztendlich konnte 1969 eine wesentlich verbesserte Autonomie für Südtirol erreicht werden. Sepp Kerschbaumer aber war mit vielen seiner Kameraden verhaftet und schrecklich gefoltert worden. Er verstarb am 7. Dezember 1964 im Kerker von Verona.

„Ich Kerschbaumer“

Das virtuelle „Haus der Tiroler Geschichte“ in Bozen www.hausdergeschichte.tirol hat jetzt folgende Pressemitteilung gemacht:

„Ich, Kerschbaumer“: neues Online-Projekt vom Haus der Tiroler Geschichte gibt Einblicke in die heißen 60er Jahre

Sepp Kerschbaumer aus Frangart war unbestritten eine der herausragenden Tiroler Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. In die Geschichte eingegangen ist er als Persönlichkeit, die nie müde geworden ist, für Recht und Gerechtigkeit in seiner Heimat zu kämpfen. Er war der Kopf des Widerstandes in Südtirol in den 50er und 60er Jahren – einer, der lange in seiner politischen Arbeit mit Leserbriefen und Gesprächen auf die damalige Rechtlosigkeit der Deutschen und Ladiner in Südtirol aufmerksam gemacht hat, bis er selbst zu Sprengstoff gegriffen hat. Aber auch als einer der vielen Widerstandskämpfer, die schwer gefoltert und im Mailänder Prozess zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt worden sind. Sepp Kerschbaumer starb mit nur 51 Jahren im Gefängnis von Verona.

Nun steht Kerschbaumer gewissermaßen als Pate für ein neues Online-Projekt. In „Ich, Kerschbaumer“, das vom Verein Südtiroler Geschichte bzw. vom Haus der Tiroler Geschichte initiiert wurde, „erzählt“ Sepp Kerschbaumer virtuell in einer Art Tagebucheinträge mehrmals wöchentlich in wenigen Sätzen, was vor genau 60 Jahren geschehen ist.

„So erfahren die User über WhatsApp, Facebook und Instagram, was in Südtirol in diesen besonders ereignisreichen und spannungsgeladenen 60er Jahren los war und warum es dazu kommen konnte“, erklärt die Historikerin Margareth Lun, Leiterin des virtuellen Hauses der Tiroler Geschichte und der BAS-Ausstellung „Opfer für die Freiheit“ über die 60er Jahre in den Bozner Lauben Nr. 9.

Die Historikerin Margareth Lun in der ständigen BAS-Ausstellung des „Vereins Südtiroler Geschichte“ in Bozen, Lauben 9.
Die Historikerin Margareth Lun in der ständigen BAS-Ausstellung des „Vereins Südtiroler Geschichte“ in Bozen, Lauben 9.

„Das Projektteam hat sich dafür entschieden, die Informationen in der „Ich-Form“ Sepp Kerschbaumers zu vermitteln. Dabei erheben diese Mitteilungen inhaltlich Anspruch auf den Wahrheitsgehalt, was genau an diesem Datum vor 60 Jahren passiert ist. Formal hingegen entsprechen sie einem fingierten Tagebuch“, so Lun.

Ausschnitte aus der  der Internetseite www.hausdergeschichte.tirol

Ausschnitte aus der  der Internetseite www.hausdergeschichte.tirol
Ausschnitte aus der  der Internetseite www.hausdergeschichte.tirol

„Ich, Kerschbaumer“ lehnt sich an ein sehr erfolgreiches und international ausgezeichnetes digitales Projekt des Bayrischen Rundfunks an („Ich, Eisner“). Es wurde vom Verein Südtiroler Geschichte bzw. vom Haus der Tiroler Geschichte umgesetzt. Wissenschaftlich betreut wird „Ich, Kerschbaumer“ von mehreren Südtiroler Historikern. Vor allem aber arbeiten auch Menschen, die in den 60er Jahren politisch aktiv waren und Informationen aus erster Hand beisteuern können, an diesem digitalen Projekt mit.

Die Aktion „Ich, Kerschbaumer“ läuft auf der Homepage www.hausdergeschichte.tirol, über WhatsApp und Instagram. Will man die Mitteilungen von „Sepp Kerschbaumer“ auf WhatsApp erhalten, so muss man die Nummer +39 0471 214 169 als „Ich, Kerschbaumer“ in den eigenen Kontakten am Handy speichern und an diese Nummer eine WhatsApp-Nachricht mit „Kerschbaumer abonnieren“ schicken.

Um Sepp Kerschbaumer auf Facebook zu folgen, likt man die Seite ichkerschbaumer. Dasselbe gilt für Instagram.

Soweit die Presseaussendung des virtuellen „Hauses der Tiroler Geschichte“

Medienspiegel

In den Medien hat das Projekt bereits Niederschlag gefunden. Die „Neue Südtiroler Tageszeitung“ veröffentlichte darüber einen Artikel:

Der Südtiroler Freiheitskampf der 1960er Jahre war damals von vielen Welschtirolern mit Sympathie und Anteilnahme verfolgt und von einigen sogar tatkräftig unterstützt worden.

Aus diesem Grunde hat das Internetportal „Unser Tirol24“ einen „link“ vorgesehen, über welchen man zur italienischsprachigen Version gelangt.

Ausschnitt aus dem italienischsprachigen Internet-Portal.
Ausschnitt aus dem italienischsprachigen Internet-Portal.




Gedenken an den Freiheitskämpfer Georg Klotz

Stefan Zelger, Mitglied der Landesleitung und Fraktionssekretär der Landtagspartei „Süd-Tiroler Freiheit“ im Landtag und Regionalrat hat dieser Tage einen berührenden Nachruf auf den Freiheitskämpfer Georg Klotz veröffentlicht.

Die „Süd-Tiroler Freiheit“ ist nicht nur eine wahlwerbende Partei, sondern auch eine ideelle Bewegung, welche im Herbst 1989 u.a. von Dr. Eva Klotz, der Tochter von Georg Klotz, und dem Landesrat Dr. Alfons Benedikter, gegründet um für die Unabhängigkeit Süd-Tirols von Italien einzustehen. Sie vertritt bis heute den Freiheitsgedanken, für den Georg Klotz vielfach das Leben aufs Spiel gesetzt hatte.

Wir bringen diesen Nachruf, ergänzt durch einige historische Bilder:

Stefan Zelger: 

In ehrendem Gedenken: Vor 45 Jahren starb Jörg Klotz

„Familienvater, Schützenmajor, Freiheitskämpfer, Staatsfeind: Vor 45 Jahren, am 24. Jänner 1976, starb Georg Klotz (von vielen Jörg genannt) im Nord-Tiroler Exil. Klotz war einer der wichtigsten Akteure des Freiheitskampfes der 1960er-Jahre. Die Süd-Tiroler Freiheit erinnert in Demut und Dankbarkeit an Jörg Klotz und seinen Kampf für die Freiheit Süd-Tirols.

Jörg Klotz wuchs im vom Faschismus geprägten und unterdrückten Süd-Tirol auf. Im Zweiten Weltkrieg kam Klotz als Unteroffizier der Wehrmacht in Norwegen, an der Eismeerfront und in Russland zum Einsatz.

Bild links: Jörg Klotz im Jahre 1941 als Gefreiter der Deutschen Wehrmacht in Norwegen. Bild rechts: Jörg Klotz als junger Schmied nach seiner Rückkehr in die Heimat. (Bilder aus: Eva Klotz: „Georg Klotz - Freiheitskämpfer für die Einheit Tirols“, Wien 2002)
Bild links: Jörg Klotz im Jahre 1941 als Gefreiter der Deutschen Wehrmacht in Norwegen. Bild rechts: Jörg Klotz als junger Schmied nach seiner Rückkehr in die Heimat. (Bilder aus: Eva Klotz: „Georg Klotz – Freiheitskämpfer für die Einheit Tirols“, Wien 2002)

Georg Klotz spielte eine maßgebliche Rolle bei dem Wiederaufbau des Schützenwesens in Südtirol. Dieses Bild zeigt ihn als Waltener Schützenhauptmann mit seinen Kameraden bei der Andreas-Hofer-Feier beim Sandwirt in St.Leonhard am 20.Februar 1958. Wenige Tage später, am 2.März, wurde er anlässlich der Gründungsversammlung des Südtiroler Schützenbundes zum Landeskommandanten-Stellvertreter gewählt. Von da an war er der Schützenmajor Klotz. (Bild: Dr. Bruno Hosp)
Georg Klotz spielte eine maßgebliche Rolle bei dem Wiederaufbau des Schützenwesens in Südtirol. Dieses Bild zeigt ihn als Waltener Schützenhauptmann mit seinen Kameraden bei der Andreas-Hofer-Feier beim Sandwirt in St.Leonhard am 20.Februar 1958. Wenige Tage später, am 2.März, wurde er anlässlich der Gründungsversammlung des Südtiroler Schützenbundes zum Landeskommandanten-Stellvertreter gewählt. Von da an war er der Schützenmajor Klotz. (Bild: Dr. Bruno Hosp)

Nach US-amerikanischer Kriegsgefangenschaft kehrte Klotz in die Heimat zurück und widmete sich mit voller Leidenschaft dem Wiederaufbau des Schützenwesens. Klotz schloss sich dem „Befreiungsausschuss Südtirol“ (BAS) unter Sepp Kerschbaumer an, denn Süd-Tirol wurde von Italien nach wie vor unterdrückt und majorisiert. Die faschistische Politik wurde im demokratischen Italien mit subtileren Mitteln fortgesetzt.

Bild links: Der Freiheitskämpfer Georg Klotz. Bild rechts: Georg Klotz (Bildmitte) zusammen mit Freunden vor seiner Köhlerhütte. (Bilder aus: Eva Klotz: „Georg Klotz - Freiheitskämpfer für die Einheit Tirols“, Wien 2002)
Bild links: Der Freiheitskämpfer Georg Klotz. Bild rechts: Georg Klotz (Bildmitte) zusammen mit Freunden vor seiner Köhlerhütte. (Bilder aus: Eva Klotz: „Georg Klotz – Freiheitskämpfer für die Einheit Tirols“, Wien 2002)

Um Verhaftung und Folter zu entgehen, floh Klotz nach der Feuernacht nach Österreich, um von jenseits der Unrechtsgrenze den Freiheitskampf fortführen zu können. Für Italien wurde Klotz zum Staatsfeind Nummer 1. Einen von Italien geplanten Mordanschlag auf einer Hütte im Passeiertal überlebte Klotz schwer verletzt. In Österreich stand Klotz unter der Beobachtung der Staatspolizei und wurde mehrere Male verhaftet. In Italien wurde er in Abwesenheit zu insgesamt 52 Jahren Haft verurteilt. Von der Politik im Stich gelassen, zog er sich als Köhler ins Ruetztal zurück. Am 24. Jänner 1976 ereilte ihn der frühe Tod. Tausende Landsleute erwiesen Klotz die letzte Ehre.

Ein unübersehbarer kilometerlanger Trauerzug von etwa 6.000 Menschen geleitete Georg Klotz zur letzten Ruhe. (Bilder: Gerald Danner)
Ein unübersehbarer kilometerlanger Trauerzug von etwa 6.000 Menschen geleitete Georg Klotz zur letzten Ruhe. (Bilder: Gerald Danner)

Die Süd-Tiroler Freiheit dankt Jörg Klotz und allen Freiheitskämpfern für die Opfer, die sie für die Heimat erbrachten. Auch wenn es nicht ihr Ziel war, so würde es die Autonomie in dieser Form ohne die Freiheitskämpfer heute nicht gegeben. Die Bewegung wird sich auch weiterhin mit voller Kraft für das Ziel einsetzen, das auch Klotz und seine Mitstreiter hatten: die Loslösung Süd-Tirols von Italien!“

Soweit der ehrende Nachruf der „Süd-Tiroler Freiheit“.

Wir dürfen zur Ergänzung einem seiner damaligen Mitkämpfer das Wort geben:

Peter Kienesberger war mehrfach mit Georg Klotz im Einsatz
Peter Kienesberger war mehrfach mit Georg Klotz im Einsatz

Peter Kienesberger aus Gmunden war in den Jahren des Freiheitskampfes mit Georg Klotz im bewaffneten Einsatz. Ihr Ziel war es nicht, italienische Soldaten zu verletzen oder zu töten. Sie hatten sich aber bewaffnet und waren gewillt, sich nicht widerstandslos festnehmen zu lassen, um dann Folterknechten übergeben zu werden.

 

Laut Kienesberger hatten Fritz Molden und Wolfgang Pfaundler, die bereits im antinazistischen Widerstand Erfahrungen gesammelt hatten, sowie Georg Klotz und die Gruppe der „Pusterer Buam“ dieses Konzept von Anfang an vertreten und in der Folge auch umgesetzt. Dem war damals von der Gruppe um Kerschbaumer entgegen gehalten worden, daß eine solche Kampfesweise im dicht besiedelten Mitteleuropa nicht möglich sei.

Aus späterer Sicht, sagt Kienesberger, müsse man jedoch sagen, dass Pfaundler und Molden die Situation richtig eingeschätzt hätten. Das Nichtobsiegen dieser Linie sei im Rückblick eine große Fehlentscheidung im BAS gewesen. Es sei mit den Verhaftungen nach der Herz-Jesu-Nacht dann alles so gekommen, wie Pfaundler, Molden und auch Klotz es befürchtet hätten: Einer nach dem anderen wurden die Attentäter ausgehoben und verhaftet. Zwei Einsätze, bei denen Kienesberger zusammen mit Georg Klotz im Sommer und Herbst 1961 dabei war, hätten nachträglich bewiesen, daß die von Pfaundler und Molden vorgeschlagene Kampfart durchaus möglich war.

Freiheitskämpfer im nächtlichen Einsatz
Freiheitskämpfer im nächtlichen Einsatz

Auch nach ihrem offiziellen Ausscheiden aus der Führungsebene des BAS hielten Molden, Pfaundler und Bacher weiterhin Kontakt zu tatkräftigen Einsatzgruppen und unterstützten diese.

Beispielsweise sei es 1961 zu einem denkwürdigen Treffen gekommen, das Kienesberger so schildert:

Im August und September 1961 hätten Klotz und er zwei militärisch geplante Einsätze im Passeier und Rabenstein durchgeführt, wobei es auch zu einem Feuerwechsel mit italienischen Truppen gekommen sei. Die Freiheitskämpfer hätten absichtlich über die Köpfe der italienischen Soldaten hinweg geschossen, diese dadurch aber in Deckung gezwungen und sich so ihren ungehinderten Abzug erkämpft.

 Bild link: Von Klotz und Kienesberger gesprengter Mast im Passeier. Bild rechts: Peter Kienesberger (links) mit einem Mitstreiter im nächtlichen Biwak in einer Almhütte.
Bild link: Von Klotz und Kienesberger gesprengter Mast im Passeier. Bild rechts: Peter Kienesberger (links) mit einem Mitstreiter im nächtlichen Biwak in einer Almhütte.

 Dann ging es wieder über die Grenze zurück. Kienesberger schildert:

„Klotz und ich wurden einige Zeit nachher nach Alpbach gebracht. Mit dabei waren Pfaundler, Schimpp, Schwarzenbacher (ein Zollbeamter; Anm. d. Red.) und Franz Sigmund. Pfaundler war schon in Alpbach, der Rest fuhr in den Autos von Schimpp und Sigmund. In Alpbach wurden wir Molden und Bacher (dem späteren ORF-Generalintendanten und Mitarbeiter Fritz Moldens; Anm. d. Red.) vorgestellt, bzw. ich. Klotz kannte beide schon.

Schon bei der Fahrt wurden wir über die Bedeutung des Treffens informiert. Es ging vor allem darum, ausführlich zu schildern, wie diese beiden Partisanenaktionen durchgeführt worden waren. … Molden begrüßte Klotz überschwänglich herzlich und auch mich. Er bedankte sich für meinen Mut, daß ich als Österreicher bereit war, solche gefährlichen Einsätze mitzumachen. Er ließ sich von Klotz ausführlich den gesamten Einsatz schildern, Ausrüstung, Grenzübergang, Verhalten der Bevölkerung, Verpflegung aus der Bevölkerung, Gegenmaßnahmen der Italiener. … Besonders imponierte Molden die Schilderung, daß wir oft tagelang unsere schweren Rucksäcke nicht tragen mußten, weil sich immer wieder Bauern fanden, die uns stückweise begleiteten und weiterreichten. Molden sagte auch immer wieder, dies sei der Beweis, daß seine (und Pfaundlers Ansichten) richtig waren. Molden bedankte sich am Ende nochmals, bot, dies auch an die anderen Teilnehmer weiterzusagen, und ließ sich von Klotz die geheime Anschrift geben. (Scheibenhof Mutters). Er sandte auch unmittelbar eine Kiste besonders guten Wein zu Klotz als Zeichen des persönlichen Dankes für diese Einsätze.“ (Gedächtnisprotokoll Peter Kienesberger vom 6. 8. 1996, in: Otto Scrinzi, Hrsg.: „Chronik Südtirol“, Graz – Stuttgart 1996, S. 170)

Die Tochter Dr. Eva Klotz schrieb die Biographie ihres Vaters

Im September 2002 stellte die Südtiroler Landtagsabgeordnete Dr. Eva Klotz auf dem Bergisel bei Innsbruck die von ihr verfasste Biographie ihres Vaters vor: Eva Klotz: „Georg Klotz – Freiheitskämpfer für die Einheit Tirols“.

Der Verleger war der ehemalige antinazistische Widerstandskämpfer Fritz Molden, der als Freund, Unterstützer und Mitstreiter ihres Vaters nun das Erinnerungsbuch in seiner Wiener „Molden Verlag GmbH“ herausbrachte.

Er saß bei der Buchpräsentation auch zusammen mit der Tochter und dem Innsbrucker Rechtsanwalt und Stadtrat Dr. Wilhelm Steidl am Präsidiumstisch.

Von links nach rechts: Dr. Wilhelm Steidl, Dr. Eva Klotz, Fritz Molden
Von links nach rechts: Dr. Wilhelm Steidl, Dr. Eva Klotz, Fritz Molden

Zur Buchvorstellung waren auch ehemalige Kampfgefährten von Georg Klotz gekommen: Peter Kienesberger und die „Pusterer Buam“ Siegfried Steger und Sepp Forer.

Von links nach rechts: Peter Kienesberger, Siegfried Steger, Sepp Forer.
Von links nach rechts: Peter Kienesberger, Siegfried Steger, Sepp Forer.

In ihrem Buch schreibt Dr. Eva abschließend über ihren Vater:

„Jörg Klotz ist heimgekehrt. Er hat nicht umsonst gekämpft, er hat dazu beigetragen, die tödliche Zuwanderung aus dem Süden zu stoppen. Er hat mit verhindert, daß die Südtiroler in ihrer Heimat zur bedeutungslosen Minderheit und völlig an den Rand gedrängt werden.

Die Freiheitskämpfer haben die Heimat gerettet, haben mit ihrem Opfer den Grundstein für eine bessere Zukunft gelegt.“

Die von seiner Tochter verfasste Lebensgeschichte von Georg Klotz bietet eine Fülle von zeitgeschichtlichem Material und ist fesselnd zu lesen.

Zu den Mitstreitern von Georg Klotz gehörte auch der Innsbrucker Universitätsassistent Dr. Norbert Burger, welcher dem Gründerkreis des Nordtiroler Zweiges des „Befreiungsausschusses Südtirol“ (BAS) angehört hatte und der den im Exil Lebenden finanziell unterstützte, wie seine Tochter Eva in der Lebensgeschichte ihres Vaters berichtet. (S. 335 in der Biographie)

Dr. Norbert Burger (links) und Georg Klotz
Dr. Norbert Burger (links) und Georg Klotz

Ein ehemaliger „Kurier“ von Georg Klotz berichtet

Der ehemalige Südtiroler Freiheitskämpfer Univ.-Prof. Dr. Erhard Hartung berichtet, dass er als damaliger Jungmediziner für Georg Klotz heimliche Kurierdienste nach Südtirol geleistet hatte. Er schrieb an unsere Redaktion:

„In der Zeit zwischen 1963 und 1967 habe ich Jörg wiederholt sowohl in Innsbruck und Umgebung als auch in Wien getroffen.

Georg Klotz war auch der österreichischen Regierungspolitik unbequem und wurde auf Drängen der Italiener einige Male nach Wien verbannt.1965 durfte er die Freude erleben, dass die zu einer Südtirol-Gedenkfeier nach Wien angereisten Amraser Schützen ihn baten, an der Spitze ihrer Kompanie im Festzug zu gehen.
Georg Klotz war auch der österreichischen Regierungspolitik unbequem und wurde auf Drängen der Italiener einige Male nach Wien verbannt.1965 durfte er die Freude erleben, dass die zu einer Südtirol-Gedenkfeier nach Wien angereisten Amraser Schützen ihn baten, an der Spitze ihrer Kompanie im Festzug zu gehen.

 Zumeist war ich im Auftrag von Jörg als Kurier tätig und habe verschiedene Unterlagen und auch „Pakete“ für ihn nach Südtirol transportiert. Da ich zu diesen Zeitpunkt weder den österreichischen noch italienischen Behörden als BAS-Aktivist bekannt war, konnte ich stets unbeschwert über den Brenner nach Südtirol fahren. Dort habe ich die mir von Jörg mitgegebene „Post“ entweder an vereinbarter Stelle deponiert oder bestimmten Personen persönlich übergeben.

Damals waren die Carabinieri allgegenwärtig
Damals waren die Carabinieri allgegenwärtig

Ein Beispiel: Laut meiner Erinnerung wurde ich 1966 im kleinen Ort Frauenfeld (liegt in der Nähe von Sterzing) von italienischen Militär beobachtet als ich einen Bauern (sein Hof liegt recht abseits) aufsuchte. Dieser Bauer stand in Kontakt zu Jörg und hatte zu dem total gesperrten Militärbereich zum Mähen Zutritt. In diesem Bereich unterhielt damals das italienische Militär ein Depot – dieses wollte Jörg mit anderen Freiheitskämpfern „entsorgen“. Diesbezüglich führte ich das Gespräch mit dem Bauern, der Zutritt hatte, wurde aber vom Militär beobachtet und letztlich angehalten und auf die lokale Carabinieri-Station gebracht. Wegen meiner mangelhaften italienischen Sprachkenntnisse und der Tatsache, dass niemand vom Militär gut deutsch sprach, forderte der lokale Carabiniere aus Bozen Unterstützung an. Es kam ein sehr gut deutsch sprechender Maresciallo mit zwei anderen Uniformierten. Sie befragten mich über etwa zwei Stunden zum Grund meines Aufenthaltes und verhielten sich mir gegenüber korrekt. Die Zeit von meiner Festnahme bis zum Kommen dieser Militärpersonen nutzte ich, um mir einen sehr plausiblen, nicht widerlegbaren Grund für mein Gespräch mit dem Bauern auszudenken. Das hat funktioniert und ich durfte wieder gehen.

Univ.-Prof. Dr. Erhard Hartung hatte als junger Medizinstudent im Auftrag von Georg Klotz als geheimer Kurier auch den Kontakt zu dessen Ehefrau Rosa gehalten.
Univ.-Prof. Dr. Erhard Hartung hatte als junger Medizinstudent im Auftrag von Georg Klotz als geheimer Kurier auch den Kontakt zu dessen Ehefrau Rosa gehalten.

Öfters habe ich in diesen Jahren im Auftrag von Jörg seine Frau in ihrem Haus in Walten im Passeier unbeobachtet zu Fuß aufgesucht. Später habe ich Eva als junges Mädchen in Deutschland, wo ich bis Mai 1975 im Exil lebte, kennen gelernt. Mit allen Mitgliedern der Familie Klotz hatte ich eine bis heute anhaltende gute, kameradschaftliche, ja sogar freundschaftliche Beziehung und wir freuten uns stets darüber. Wir treffen uns in größeren Abständen zu bestimmten Anlässen. In unseren Herzen tragen wir die Erinnerung an unseren Jörg.“