Mehrheit der Italiener für Abschaffung der faschistischen Ortsnamensgesetzgebung in Südtirol

Bild Ortstafel: Südtiroler Schützenbund

Traurige Jubiläen als Anlass für eine repräsentative Meinungsumfrage mit Aufsehen erregendem Ergebnis

Vor 98 Jahren trat am 23. März 1923 das von dem faschistischen Diktator Benito Mussolini und dem italienischen König unterzeichnete Königliche Dekret Nr. 800 in Kraft, welches den Südtiroler Gemeinden amtliche italienische Namen verpasste, die zum Großteil von dem faschistischen Ortsnamensfälscher und pseudowissenschaftlichen Scharlatan Ettore Tolomei frei erfundenen worden waren. 1940 sollte ein Mussolini-Dekret diese Rechtslage nochmals bestätigen und an die 8.000 zum größten Teil erfundene italienische Orts- und Flurnamen als verbindlich und amtlich erklären.

Veröffentlichung der aufgezwungenen faschistischen Ortsnamen in der Zeitung „Der Landsmann“ vom 24. Oktober 1925.
Veröffentlichung der aufgezwungenen faschistischen Ortsnamen in der Zeitung „Der Landsmann“ vom 24. Oktober 1925.

Am 8. August 1923 wurden mit einem faschistischen Dekret die Bezeichnungen „Süd-Tirol“, „Deutschsüdtirol“, „Tirol“, „Tiroler“ und sämtliche übrige Ableitungen verboten. Dies geschah in Durchführung der vom Großrat des Faschismus am 12. März 1923 beschlossenen „Maßnahmen für das Hochetsch zum Zwecke einer geordneten, schnellen und wirksamen Aktion zur Assimilierung und Italianisierung“. Einzig und allein für zulässig erklärt wurden die Bezeichnungen „Alto Adige“ und „Atesino“ sowie die entsprechenden deutschen Rückübersetzungen „Oberetsch“ und „Etschländer“.

Postkarten mussten überdruckt werden, damit der Name „Südtirol“ durch „Alto Adige“ ersetzt wurde.
Postkarten mussten überdruckt werden, damit der Name „Südtirol“ durch „Alto Adige“ ersetzt wurde.

Roland Lang ist Obmann des „Südtiroler Heimatbundes“ (SHB), einer von ehemaligen Südtiroler Freiheitskämpfern und politischen Häftlingen gegründeten Vereinigung, welche für die Erhaltung der Identität und für das Recht Südtirols auf Selbstbestimmung eintritt.

Er und seine Mitstreiter wollten wissen, wie die Italiener von heute über die faschistische Ortsnamensgesetzgebung denken, die unverständliche Weise noch immer in Kraft ist. Der SHB beauftragte daher das renommierte italienische Meinungsforschungsinstitut „Demetra“ mit der Erstellung einer repräsentativen Umfrage in ganz Italien, mit Ausnahme der Region Trentino-Südtirol.

Ein sensationelles Ergebnis

FRAGE 1

Wären Sie damit einverstanden, wenn auch in der Autonomen Provinz Bozen die faschistischen Ortsnamendekrete abgeschafft würden, damit die ursprünglichen Namen wiederhergestellt werden?

FRAGE 2

Wären Sie damit einverstanden, wenn, anstelle des für die autonome Provinz Bozen verwendeten Namens „Alto Adige“, offiziell im Italienischen der authentische Name „Sudtirolo“ verwendet würde?

Die Antworten ergaben ein klares Bild. Erstens wären 65 Prozent der Befragten mit der Abschaffung der faschistischen Ortsnamendekrete und der folglich amtlichen Wiederherstellung der historisch fundierten Ortsnamen einverstanden. Ebenso einverstanden wären, zweitens, 60 Prozent mit dem amtlichen Gebrauch von „Sudtirolo“ anstelle von „Alto Adige“.

Nun ist die Landespolitik gefordert

In einer Pressemitteilung stellte der Heimatbundobmann Roland Lang fest, dass er in dem Ergebnis seine Vermutung bestätigt sieht, dass die Italiener, besonders jene außerhalb Südtirols, einer Lösung der Ortsnamenfrage im historischen und wissenschaftlichen Sinne durchaus offen gegenüberstehen. Die Meinung, dass die Italiener mehrheitlich an den faschistischen Dekreten und an den ebensolchen Ortsnamen festhalten wollen, sei mit dieser Umfrage klar widerlegt, freut sich Lang. Nun gehe es darum, dass auch die Landesregierung und insbesondere die Verantwortlichen im Tourismus Mut und Weitsicht zeigen, indem sie vermehrt auf die authentischen Ortsnamen inklusive „Sudtirolo“ setzen und auf die Faschismus-lastigen und nur scheinbar italienischen Ortsnamen, angefangen bei „Alto Adige“, verzichten.

Das Ergebnis liegt als Broschüre vor

Zu diesem Zweck hat der Heimatbund eine Broschüre herausgebracht, in der die exakte Fragestellung der Umfrage nachzulesen ist und deren Antworten nach Gebiet, Geschlecht, Alter und Bildungsgrad der Befragten aufgeschlüsselt sind. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass die Zustimmung zur Abschaffung der faschistischen Ortsnamendekrete und zur Wiederherstellung der authentischen Ortsnamen inklusive des Gebrauchs von „Sudtirolo“ mit steigendem Bildungsgrad der Befragten ebenso ansteigt. Auch enthält die Broschüre die wesentlichsten Hintergrundinformationen zur Thematik. Sie wurden vom Südtiroler Ortsnamenexperten Cristian Kollmann ausgearbeitet.

Der Südtiroler Heimatbund wird die Broschüre den politischen Verantwortlichen und den Tourismusverbänden zukommen lassen. „Die Broschüre möge den Entscheidungsträgern als Argumentationshilfe dienen und sie zur Überzeugung gelangen lassen, dass es auch im Bereich der Ortsnamengebung auf Authentizität und nicht auf Aufgesetztheit ankommt, und dass dies von den Italienern mehrheitlich begrüßt würde“, sagt Roland Lang.

Die vollständige Broschüre kann auf der Internetseite des Südtiroler Heimatbundes (SHB) eingesehen werden:
https://www.suedtiroler-freiheitskampf.net/mehrheit-der-italiener-gegen-faschistische-ortsnamendekrete-und-fuer-sudtirolo/

Ein Kommentar zum Ergebnis der Umfrage

Warum stellt die Ortsnamengebung in Südtirol überhaupt ein Problem dar, und wie könnte dieses Problem gelöst werden?

Der Südtiroler Ortsnamenexperte Dr. Cristian Kollmann versucht, auf diese Fragen Antworten zu finden.

Deutschland = Germania, Südtirol = Alto Adige?

Südtirol ist offiziell ein dreisprachiges Land. Daher ist es nur folgerichtig, wenn sich die Dreisprachigkeit auch in der Ortsnamengebung widerspiegelt. Dies ist landläufig die Meinung vieler Bürger – innerhalb und außerhalb Südtirols.

Auf den ersten Blick und ohne Kenntnis der historischen Hintergründe ist man sicher geneigt zuzustimmen. Südtirol heißt auf Italienisch „Alto Adige“, so wie z.B. Deutschland auf Italienisch „Germania“ heißt.

Doch so einfach ist die Sachlage dann doch nicht. „Germania“ ist seit alters der im Italienischen verwendete Name für Deutschland und geht direkt auf das Lateinische zurück.

„Alto Adige“ dagegen klingt zwar italienisch, hat aber einen ideologischen Hintergrund. Mit diesem Begriff sollte unter dem Faschismus und soll de facto bis heute aus italienischer Sicht die Existenz eines Tiroler Landesteiles auf italienischem Staatsgebiet in Abrede gestellt werden.

„Alto Adige“, das ins Deutsche rückübersetzt „Hochetsch“ oder „Oberetsch“ bedeutet, steht für das Konzept der irredentistischen Naturgrenztheorie: Die Etsch fließt vom Alpenhauptkamm gen Süden und mündet in die Adria. Das Gebiet der „hohen“ oder „oberen“ Etsch gehört somit naturgemäß zu Italien. Im italienischen Staatsgebiet darf es kein „Tirolo“ geben. Der Name „Südtirol“ hingegen entstand ursprünglich als Teilbezeichnung des Landes Tirol. Entsprechend wurde der südliche Tiroler Landesteil im Italienischen selbstverständlich als „Tirolo meridionale“ (ab der ersten Hälfte des 18. Jhs.), „Tirolo del Sud“ (ab der ersten Hälfte des 19. Jhs.) oder „Sudtirolo“ (ab der 2. Hälfte des 19. Jhs.) bezeichnet.

Tirol war nie einsprachig.

Ja, Südtirol ist offiziell ein dreisprachiges Land. Überhaupt war Tirol in seiner gesamten Geschichte, auch schon in vorrömischer Zeit, nie einsprachig. Aber ebenso ist es wahr, dass speziell das Gebiet des heutigen Südtirols, nie flächendeckend deutsch-italienisch besiedelt war. Dies ist es de facto bis heute nicht.

Die faschistischen Ortsnamendekrete.

Um eben den Eindruck zu erwecken, dass das Gebiet des heutigen Südtirols kontinuierlich seit der Römerzeit flächendeckend romanisch bzw. italienisch besiedelt sei, wurden während der Zeit des italienischen Faschismus Dekrete erlassen, mit denen für die neu eroberte Provinz „Alto Adige“ italienische Ortsnamen festgelegt wurden. So wurden beispielsweise am 8. August 1923 die Bezeichnungen Süd-Tirol, Deutschsüdtirol, Tirol, Tiroler und sämtliche übrige Ableitungen verboten. Dies geschah in Durchführung der vom Großrat des Faschismus am 12. März 1923 beschlossenen „Maßnahmen für das Hochetsch zum Zwecke einer geordneten, schnellen und wirksamen Aktion zur Assimilierung und Italianisierung“. Einzig und allein für zulässig erklärt wurden die Bezeichnungen Alto Adige und Atesino sowie die entsprechenden deutschen Rückübersetzungen Oberetsch und Etschländer. Mit drei weiteren Dekreten (1923, 1940, 1942) wurden insgesamt über 10.000 Orts- und Flurnamen in italienischer Sprache festgelegt, wobei diese Namen größtenteils Konstruktionen oder, auf der Grundlage alter, meist mittelhochdeutscher Belege, Rekonstruktionen darstellten. Die seit Jahrhunderten kontinuierlich überlieferten und historisch entwickelten deutschen und ladinischen Orts- und Flurnamen blieben außer Acht und wurden folglich amtlich nicht zugelassen.

Deutsche und ladinische Namen sind immer noch nicht amtlich.

An der Situation der Südtiroler Ortsnamengebung hat sich – trotz Pariser Vertrags und Südtiroler Autonomiestatuts – bis heute de iure nichts geändert. De facto dürfen die deutschen und ladinischen Ortsnamen auf Landesebene zwar verwendet werden, doch wurde deren Amtlichkeit nie mit einem Landesgesetz bestätigt. Umgekehrt wird die Existenz der deutschen und ladinischen Ortsnamen vom Staat Italien mittlerweile zwar nicht mehr bestritten, gleichzeitig wird jedoch signalisiert, dass die faschistischen Ortsnamendekrete und damit die größtenteils nur zum Schein italienischen Ortsnamen nicht in Frage gestellt werden dürfen.

Das Aostatal zeigt, wie es geht.

Dabei gibt es in Italien eine Region, die gezeigt hat, dass es auch anders geht: Die autonome Region Aostatal, die offiziell zweisprachig französisch-italienisch ist. Die aostanische Ortsnamengebung ist jedoch, bis auf den Namen der Hauptstadt Aoste/Aosta, ausschließlich Französisch und somit, im Gegensatz zur Ortsnamengebung in Südtirol, durchwegs authentisch.

Zwar wurden im Aostatal, ähnlich wie in Südtirol, im Jahr 1939 mit einem faschistischen Dekret die autochthonen Ortsnamen verboten und durch neue italienische ersetzt, doch unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg wurden die konstruierten italienischen Ortsnamen in mehreren Etappen abgeschafft und die historisch fundierten Namen wieder hergestellt. Seit 1987 ist dieser Prozess abgeschlossen. Dennoch bleibt das Aostatal offiziell eine zweisprachige Region, aber die offizielle Ortsnamengebung gibt es historisch bedingt nur auf Französisch und nur in wenigen Ausnahmen zusätzlich auf Italienisch.

Man sieht hier sehr deutlich: Mehrsprachigkeit der Bevölkerung oder eines Gebiets bedeutet nicht automatisch Mehrsprachigkeit in der Ortsnamengebung. Dasselbe gilt für das Gebiet des heutigen Südtirols. Doch die Ortsnamengebung harrt hier bis heute einer Lösung. Das Aostatal hat gezeigt, wie es geht. Für eine äquivalente Lösung in Südtirol bedarf es „nur“ historischen Wissens, kulturellen Bewusstseins, politischen Willens und Mutes. Das Ergebnis der Umfrage zeigt sehr deutlich: Die Italiener würden einer Lösung der Ortsnamenfrage klar mehrheitlich aufgeschlossen gegenüberstehen.

Dr. Cristian Kollmann




Wolfgang Mozarts drei Reisen von Salzburg durch Tirol nach Italien

Wo ist Dein Grab? Wo duften die Cypressen?
Wo prangt der wappenstolze Marmorstein?
Hat denn die Welt den heil‘gen Ort vergessen,
der Deine Hülle schließt im Dunkel ein?

(Georg Nikolaus Nissen: „Biographie W. A. Mozart’s“, Anhang, Leipzig 1828. Georg Nikolaus Nissen, * 22. Januar 1761 in Haderslev, † 24. März 1826 in Salzburg, war ein dänischer Diplomat und früher Mozart-Forscher. Als Ehemann von Mozarts Witwe Constanze wurde er zu einem der ersten Mozart-Biographen.)

Einleitende Bemerkungen von Georg Dattenböck

Wolfgang Amadé Mozart fällt in die äußerst kleine Gruppe jener Menschen, der, mit genialer, schöpferischer Geisteskraft ausgestattet, am 27. Jänner 1756 in Salzburg den Menschen dieses Planeten für immer geschenkt wurde.

Der 14-jährige Mozart. Detail aus einem Ölgemälde von Saverio dalla Rosa (1745–1821) 1770 (Privatsammlung, Lausanne) https://rmc.library.cornell.edu/mozart/images/Mozart_Verona.htm

Dass Mozart, wie es sein Biograph Nissen traurig im Gedicht mitteilte, kein vorzeigbares Grab fand, ist angesichts der überragenden Liebe von vielen hunderten Millionen Menschen zu seiner Musik und seinem Wesen nicht das Entscheidende: Denn Mozart wird, solange die Welt sich dreht und Kulturwesen sich an seiner herrlichen Musik erfreuen, ewig leben.

Mozarts Mysterien- und Weihespiel „Die Zauberflöte“ gehört zu jenen unvergesslichen Erlebnissen, wo sich die menschliche Seele mit den Schwingungen dieser Musik vereint.

Unten folgt ein herausragender, kulturhistorischer Beitrag über „Mozart in Tirol“, den wir, mit Erlaubnis des Verfassers, Herrn Prof. Dr. Manfred Schneider, hier in Teilen abdrucken dürfen. (den vollständigen Beitrag findet der Leser hier.

Vorstellung des Autors:

Herr Prof. Dr. Manfred Schneider wurde 1948 in Baumkirchen/Tirol geboren und studierte an der Universität Innsbruck Musikwissenschaft, Kunstgeschichte und Philosophie. 1977 promovierte er, von 1971 bis 1981 arbeitete er als Studienassistent und von 1978 bis 1981 hielt er an der Universität Innsbruck Vorlesungen und Übungen zu Harmonielehre, Paläographie, sowie zu den Werken von J.S. Bach und Gustav Mahlers.

1982 gründete er das „Institut für Tiroler Musikforschung“ und auch, zusammen mit Frau Dr. Hildegard Herrmann-Schneider, den „Akademischen Musikverein für Tirol“, dessen Obmann er wurde. Unter seiner Leitung erbrachte dieses Institut bedeutende Leistungen für die Erforschung und Dokumentation der Musiktraditionen Tirols, die auch vielfache internationale Anerkennung gefunden haben!

Als Leiter der Musiksammlung wurde Prof. Dr. Schneider 1984 an das Tiroler Landesmuseum „Ferdinandeum“ berufen., wo er u.v.a. tausende musikalische Quellenbestände in Tiroler Dorfkirchen vor akutem Verlust bewahrte, viele Ausstellungen organisierte und ab 1986 als Leiter des Tiroler Volksliedarchivs umfangreiche Erhebungen im Bereich der Volksliedforschung in Südtirol leitete. Diese intensiv durchgeführte Forschungsaktion erbrachte den unglaublichen Bestand von über 6.000 Liedaufzeichnungen, 30.000 handschriftliche Lieddokumente wurden kopiert (näheres s.: www.volkslied.at)

Ab 1988 wurde von ihm das „Tiroler Weihnachtssingen“ organisiert, es wurde österreichweit übertragen. Es würde hier den Rahmen dieses Aufsatzes sprengen, seine Kultur erhaltende und Kultur schaffende, segensreiche Arbeit für Tirol und Österreich im Detail vorzustellen. Die vielen Ehrungen und Auszeichnungen, die Prof. Dr. Schneider im Laufe seines Lebens erhielt, sprechen allein für sich. (Mehr über sein Leben s. unter: https://portraits.musikland-tirol.at/content/portraets/drmanfredschneider/)

1991 wurde die Ausstellung „Mozart in Tirol“ im Tiroler Landesmuseum „Ferdinandeum“ in Innsbruck mit bildenden Künstlern, begleitendem Musikprogramm und anschaulichen Dokumentationen von Mozarts Aufenthalten und Reisen durch Tirol eröffnet, sie wurde vom Rundfunksender Ö1 zu den besten Ausstellungen im Mozartjahr 1991 gezählt.

 Prof. Dr. Manfred Schneider und Frau Dr. Hildegard Herrmann-Schneider, 2006.
Prof. Dr. Manfred Schneider und Frau Dr. Hildegard Herrmann-Schneider, 2006.

„Mozart in Tirol“

 (Begleittext zu der Mozart-Ausstellung im Mozart-Jahr 1991 – wiedergegeben mit wenigen kleinen Kürzungen)

 von Prof. Dr. Manfred Schneider

„Wolfgang Amadé Mozarts erste Begegnung mit Tirol ereignete sich in den Wintertagen 1769, als er mit seinem Vater zur ersten von drei Reisen nach Italien aufbrach und notwendigerweise das Alpenland durchqueren musste. Ziel der Reise war das „gelobte“ Land der Musik, wo Leopold Mozart sich nicht nur Kompositionsaufträge, sondern möglicherweise sogar eine ehrenvolle Anstellung für seinen begnadeten Sohn erhoffte.

Karte von Mozarts drei Reisen durch Tirol und seinen Aufenthalten.
Karte von Mozarts drei Reisen durch Tirol und seinen Aufenthalten.

Die Raststationen in Tirol waren demnach kurz bemessen und zumeist der üblichen Reiseroute entsprechend. Im Dezember 1769 traten die Mozarts ihre erste, vom 13. Dezember 1769 bis 28. März 1771 dauernde Reise nach Italien an.

Waidring war auf jeder Italienreise Leopold und Wolfgang Amadé Mozarts auf der Hinfahrt die erste, bei der Heimkehr die letzte Ortschaft in Tirol. Sie wurde von Salzburg aus erreicht über Bad Reichenhall und Lofer. Nach Waidring folgte als nächste bedeutende Tiroler Station, bevor man in das Inntal gelangte, St. Johann. In einem Brief berichtete Leopold Mozart seiner Frau über eine Mittagsrast in Waidring am 13. August 1771.
Waidring war auf jeder Italienreise Leopold und Wolfgang Amadé Mozarts auf der Hinfahrt die erste, bei der Heimkehr die letzte Ortschaft in Tirol. Sie wurde von Salzburg aus erreicht über Bad Reichenhall und Lofer. Nach Waidring folgte als nächste bedeutende Tiroler Station, bevor man in das Inntal gelangte, St. Johann. In einem Brief berichtete Leopold Mozart seiner Frau über eine Mittagsrast in Waidring am 13. August 1771.

Die erste Übernachtungsstation auf Tiroler Boden war am 14. Dezember Wörgl, nachdem sie mittags in St. Johann gespeist hatten. Am folgenden Tag trafen Wolfgang Amadé und Vater Leopold bereits gegen Abend in Innsbruck ein, nachdem sie mittags in Schwaz eine Rast eingelegt hatten.

Ansicht von St. Johann in Tirol, um 1795; Johann Zoller, Aquarell mit Federzeichnung, 295 x 395 mm. Auf ihrer ersten Italienreise erreichten die Mozarts St. Johann in Tirol am zweiten Tag zu Mittag. Auf ihrer zweiten und dritten Italienfahrt gelangten sie bereits am Abend ihres ersten Reisetages nach St. Johann und übernachteten hier.
Ansicht von St. Johann in Tirol, um 1795; Johann Zoller, Aquarell mit Federzeichnung, 295 x 395 mm. Auf ihrer ersten Italienreise erreichten die Mozarts St. Johann in Tirol am zweiten Tag zu Mittag. Auf ihrer zweiten und dritten Italienfahrt gelangten sie bereits am Abend ihres ersten Reisetages nach St. Johann und übernachteten hier.

Ansicht von Wörgl, um 1860; Adolf Obermüllner – Georg Michael Kurz, Stahlstich, 83 x 114 mm. Am 14. Dezember 1769, dem zweiten Abend auf ihrer ersten Italienreise, war Wörgl für die Mozarts die erste Übernachtungsstation auf Tiroler Boden.
Ansicht von Wörgl, um 1860; Adolf Obermüllner – Georg Michael Kurz, Stahlstich, 83 x 114 mm. Am 14. Dezember 1769, dem zweiten Abend auf ihrer ersten Italienreise, war Wörgl für die Mozarts die erste Übernachtungsstation auf Tiroler Boden.

Blick auf Schwaz und das Unterinntal, um 1750; Christoph Anton Mayr – Johann Sebastian & Johann Baptist Klauber, Radierung, 369 x 465 mm.
Blick auf Schwaz und das Unterinntal, um 1750; Christoph Anton Mayr – Johann Sebastian & Johann Baptist Klauber, Radierung, 369 x 465 mm.

 Der Mietwagen des fürsterzbischöflichen Vizekapellmeisters Leopold Mozart und seines vor kurzem zum Konzertmeister ernannten 13-jährigen Sohnes, hatte demnach von Salzburg bis Innsbruck zwei Tage benötigt. Die Gäste stiegen im Gasthof „Weißes Kreuz“ ab, dessen Besitzer Jakob Philipp Pichler ein angesehener Mann und Bürgermeister der Stadt Innsbruck war.

Ein Empfehlungsschreiben des Salzburger Domherrn Ignaz von Spaur (1724-1779), eines Bruders des angesehenen, in Innsbruck residierenden Reichsgrafen Johann Nepomuk Graf Spaur (1724-1793), öffnete den Mozarts den Zugang zum Innsbrucker Adel. Der Empfang war jedenfalls sehr herzlich, und schon am folgenden Tag debütierte der junge Mozart in einem Konzert, das im Palais des Grafen Leopold Franz Reichsgraf Künigl (1726-1813) stattfand. Diese Form eines kleinen „Hauskonzerts“ bzw. einer „Akademie“ in einem Adelshaus war das Höchste, was Innsbruck damals als Konzertveranstaltung anbieten konnte. Wenn davon die Rede ist, Wolfgang habe „ein sehr schönes conzert prima vista gespielt“, so bezieht sich dies auf ein Klavierkonzert, das, wie damals üblich, von einem kleinen Ensemble begleitet wurde. Die Musiker rekrutierten sich aus der Dienerschaft des Hauses, vielleicht ergänzt durch Dilettanten oder Berufsmusiker, die an Kirchenchören angestellt waren. Wolfgang Amadé vermerkte in seinen Reiseaufzeichnungen einige Personen, die er in Innsbruck kennengelernt hatte, die in den Briefen des Vaters nicht vorkommen:
Herrn Haindl Violinist [Franz Sebastian Haindl (1727-1812)],
Herrn Falk Organist [Georg Paul Falk (1713-1778)],
seine Frau und sein Sohn [Josef Benedikt Falk (1757-1828)],
Herrn Schauer, Waldhornist beym Regiment Bigazzi
[Franz Josef Schauer (1720-1790)].

Vermutlich haben alle drei Musiker beim Konzert Mozarts in Innsbruck mitgewirkt. Dieses Privatkonzert ist die einzige musikalische Vorstellung des Wunderkinds Mozart in Innsbruck geblieben.  […]

Ansicht von Innsbruck der Hauptstadt in Tyrol, 1786; Peter und Josef Schaffer, Kolorierte Radierung, 358 x 468 mm.
Ansicht von Innsbruck der Hauptstadt in Tyrol, 1786; Peter und Josef Schaffer, Kolorierte Radierung, 358 x 468 mm.

Ansicht der untern Innbrücke und des Guts Sillend ohnweit Innsbruck, um 1786; Josef Schaffer, Kolorierte Radierung, 276 x 363 mm. Auf ihren drei Italienreisen von Salzburg aus führte der Weg für Wolfgang Amadé und Leopold Mozart über Innsbruck. Jedes Mal machten sie hier in beiden Fahrtrichtungen Halt. Vom ersten Innsbrucker Aufenthalt 1769 notierte Wolfgang Amadé Mozart eigenhändig die Namen ehrenwerter Persönlichkeiten, denen er begegnet war.
Ansicht der untern Innbrücke und des Guts Sillend ohnweit Innsbruck, um 1786; Josef Schaffer, Kolorierte Radierung, 276 x 363 mm. Auf ihren drei Italienreisen von Salzburg aus führte der Weg für Wolfgang Amadé und Leopold Mozart über Innsbruck. Jedes Mal machten sie hier in beiden Fahrtrichtungen Halt. Vom ersten Innsbrucker Aufenthalt 1769 notierte Wolfgang Amadé Mozart eigenhändig die Namen ehrenwerter Persönlichkeiten, denen er begegnet war.

Ansicht von Steinach am Brenner, vor 1840; Anonymus, Kreidelithographie, 158 x 210 mm. Steinach am Brenner musste auf jedem Weg in den Süden passiert werden.  In Steinach war 1725 der Maler Martin Knoller geboren worden, der mit größter Wahrscheinlichkeit 1773 das Porträt Mozarts in Mailand bei Karl Josef Graf Firmian schuf.
Ansicht von Steinach am Brenner, vor 1840; Anonymus, Kreidelithographie, 158 x 210 mm. Steinach am Brenner musste auf jedem Weg in den Süden passiert werden.  In Steinach war 1725 der Maler Martin Knoller geboren worden, der mit größter Wahrscheinlichkeit 1773 das Porträt Mozarts in Mailand bei Karl Josef Graf Firmian schuf.

Am Dienstag, den 19. Dezember 1769, setzen Vater und Sohn Mozart nachmittags die Reise nach Italien fort; sie sollte zu einem Triumphzug Wolfgangs werden. Ehrungen und Auszeichnungen erwarteten den jungen Künstler, in Rom die päpstliche Ernennung zum „Ritter vom goldenen Sporn“, in Bologna die Aufnahme in die berühmte „Accademia Filarmonica“, in Verona die Ernennung zum Ehrenkapellmeister der Philharmonischen Akademie.

Das Sterzinger Moos, um 1797; Johann Zoller, Aquarell mit Federzeichnung, 298 x 398 mm.
Das Sterzinger Moos, um 1797; Johann Zoller, Aquarell mit Federzeichnung, 298 x 398 mm.

Am Abend des 21. Dezember 1769 langten die Mozarts glücklich in Bozen an, nachdem sie in Steinach und Brixen genächtigt hatten. Sie nahmen Quartier im Gasthof „Zur Sonne“, einer renommierten Herberge, in der später auch Johann Wolfgang von Goethe und Johann Gottfried Herder abstiegen.

Gesamt-Ansicht von Brixen, um 1830; Frédéric Martens – Friedrich Salathé, kolorierte Aquatinta, 406 x 523 mm. Brixen kommt unter den Aufenthaltsstätten der Mozarts in Tirol auf ihren Italienreisen ein besonderer Rang zu: In der Hofburg, der fürstbischöflichen Residenz, galten die Tage des 11. und 12. Dezember 1771 bei Musik- und Tafelfreuden mit Kanonikus Graf Ignaz von Spaur dem höfischen Divertissement.  Für jede der drei Mozart-Reisen nach Italien ist bei der Hinfahrt eine Nächtigung bezeugt. Eine Übernachtung auf der jeweiligen Rückreise ist für die erste und dritte Reise indiziert. Für die ausgiebige Unterbrechung der zweiten Rückreise in Brixen gab das augenblickliche Verweilen ihres Salzburger Gönners den Ausschlag.
Gesamt-Ansicht von Brixen, um 1830; Frédéric Martens – Friedrich Salathé, kolorierte Aquatinta, 406 x 523 mm. Brixen kommt unter den Aufenthaltsstätten der Mozarts in Tirol auf ihren Italienreisen ein besonderer Rang zu: In der Hofburg, der fürstbischöflichen Residenz, galten die Tage des 11. und 12. Dezember 1771 bei Musik- und Tafelfreuden mit Kanonikus Graf Ignaz von Spaur dem höfischen Divertissement.  Für jede der drei Mozart-Reisen nach Italien ist bei der Hinfahrt eine Nächtigung bezeugt. Eine Übernachtung auf der jeweiligen Rückreise ist für die erste und dritte Reise indiziert. Für die ausgiebige Unterbrechung der zweiten Rückreise in Brixen gab das augenblickliche Verweilen ihres Salzburger Gönners den Ausschlag.

Wie in Innsbruck suchte Vater Leopold den Kontakt zu führenden Kreisen der Stadt, doch blieb in Bozen der Aufenthalt kurz.

Ansicht Bozens, 1840; Frédéric Martens - Friedrich Salathé, Kolorierte Aquatinta, 390 x 500 mm. Jede Italienreise der Mozarts führte hin und zurück über Bozen. Auf der ersten Fahrt von Nord nach Süd 1769 hielten sich Vater und Sohn am längsten in Bozen auf, von Donnerstagabend bis zur Abreise am Samstag.
Ansicht Bozens, 1840; Frédéric Martens – Friedrich Salathé, Kolorierte Aquatinta, 390 x 500 mm. Jede Italienreise der Mozarts führte hin und zurück über Bozen. Auf der ersten Fahrt von Nord nach Süd 1769 hielten sich Vater und Sohn am längsten in Bozen auf, von Donnerstagabend bis zur Abreise am Samstag.

Ansicht von Trient, um 1830; Frédéric Martens, Kolorierte Aquatinta, 402 x 523 mm.
Ansicht von Trient, um 1830; Frédéric Martens, Kolorierte Aquatinta, 402 x 523 mm.

Die Weihnachtszeit verbrachten die Mozarts im gastlichen Rovereto, wo sie am Heiligen Abend ankamen und im Gasthof „Zur Rose“ (heute nicht mehr existent) am „Corso San Rocco“ Aufenthalt nahmen.

Panorama von Rovereto, 1829 (?); Pietro Andreis, Kreidelithographie, 336 x 568 mm. In Rovereto wurde Wolfgang Amadé und Leopold Mozart auf ihrer ersten Italienreise eine enthusiastische Aufnahme zuteil. Die Tage waren mit Gesellschaften und Auftritten wohl voll ausgefüllt, denn Leopold berichtete von den Ereignissen hier nicht gleich aus Rovereto nach Hause, sondern erst aus Verona am 7. Januar 1770.
Panorama von Rovereto, 1829 (?); Pietro Andreis, Kreidelithographie, 336 x 568 mm. In Rovereto wurde Wolfgang Amadé und Leopold Mozart auf ihrer ersten Italienreise eine enthusiastische Aufnahme zuteil. Die Tage waren mit Gesellschaften und Auftritten wohl voll ausgefüllt, denn Leopold berichtete von den Ereignissen hier nicht gleich aus Rovereto nach Hause, sondern erst aus Verona am 7. Januar 1770.

Am Weihnachtsfeiertag waren sie beim Kreishauptmann Nicol Cristani di Rallo (1731-1776) zum festlichen Mittagessen geladen. Die Tischgesellschaft erweiterte sich im Lauf des Nachmittags auf etwa zwanzig Personen, unter ihnen der Bürgermeister Baron Gianbattista Todeschi (1730-1799), Baron Gian Giulio Pizzini (1719-1779) und „Doktor Bridi“, wie Leopold Mozart in seiner Aufzählung der Gäste vermerkt.

Im Palazzo Todeschi, dem Haus des Bürgermeisters in der Via Mercerie 14, gaben Vater und Sohn Mozart ein Konzert; zur Erinnerung wurde 1931 an der Eingangsseite des Palazzo eine Gedenktafel angebracht. Der Seidenfabrikant Baron Pizzini bot dann während der zweiten und dritten Italienreise Gastfreundschaft in Ala. Ein weiteres Konzert spielte Wolfgang am Stephanitag auf der Orgel der Hauptkirche Roveretos, und obwohl nur 6 bis 8 Hauptpersonen gewust haben, dass wir dahin kommen werden, so fanden wir doch ganz Roveredo in der Kirche versammelt, und musten eigens Starke kerl voraus gehen, um uns den Weg auf das Chor zu bahnen: wo wir dann eine halbe viertlstunde zu thun hatten, um an die Orgel zu kommen, weil ieder der nächste seyn wollte: wir waren 4 Tag in Roveredo.

Ansicht von Ala, um 1800; Anonymus, Aquarell, 210 x 296 mm. Zwischen Rovereto und Verona war die Handelsstadt Ala eine reguläre Poststation. Bei jeder Italienreise verlängerte sich der Aufenthalt der Mozarts in Ala. Mehr und mehr faszinierte die künstlerische und freundschaftliche Atmosphäre im Hause Pizzini von Hochenbrunn.
Ansicht von Ala, um 1800; Anonymus, Aquarell, 210 x 296 mm. Zwischen Rovereto und Verona war die Handelsstadt Ala eine reguläre Poststation. Bei jeder Italienreise verlängerte sich der Aufenthalt der Mozarts in Ala. Mehr und mehr faszinierte die künstlerische und freundschaftliche Atmosphäre im Hause Pizzini von Hochenbrunn.

Auch nachdem die Mozarts das Land Tirol verlassen hatten, blieben sie mit ihm durch Persönlichkeiten aufs engste verbunden. Wichtigster Schutzpatron auf ihrer Weiterreise wurde Karl Leopold Graf Firmian. Graf Firmian, einem alten Tiroler Adelsgeschlecht entstammend, war zu dieser Zeit Generalgouverneur der Lombardei.

Karl Josef Graf Firmian (1716-1782); Stich von Jakob Frey nach Martin Knoller, 1781.
Karl Josef Graf Firmian (1716-1782); Stich von Jakob Frey nach Martin Knoller, 1781.

Am 7. Februar 1770 speisten Vater und Sohn Mozart bei ihm in seiner Mailänder Residenz. Am 18. Februar 1770 spielte Wolfgang Amadé Mozart wieder beim Grafen Firmian in Gegenwart des Herzogs Ercole IV Rainaldo d‘Este von Modena und dessen Tochter Ricciarda.

Zu einem besonderen Ereignis gestaltete sich Wolfgang Amadés Auftritt anlässlich einer Soirée des Grafen Firmian, zu der 150 Gäste aus dem Hochadel geladen waren. Vier neue Sopranarien Mozarts nach Texten von Metastasio (u.a. KV 77, 88) werden vorgetragen. Graf Firmian erteilt Mozart den Auftrag zur Komposition des Dramma per musica: Mitridate Rè di Ponto KV 87. Die Uraufführung erfolgt noch im selben Jahr in Mailand, am 26. Dezember 1770. Leopold Mozarts letzter Brief von der ersten italienischen Reise ist datiert mit Innsbruck, 25. März 1771.

Schon wenige Monate später brechen die Mozarts zu ihrer zweiten Italienreise auf. Über den Verlauf der Reise durch Tirol berichtet Leopold Mozart in einem Brief aus Verona vom 18. August 1771 an seine in Salzburg zurückgebliebene Frau: Meinen kleinen Brief aus Botzen wirst du richtig empfangen haben. Nun will ich dir ausführlicher schreiben, der erste tag unserer Abreise [13. August 1771] war ein artiges Mischmasch. Im Kalter lassen wir stehendes fusses ein paar Stückl Dällerfleisch unter der Zeit, als der Postillon den Pferden ein wenig Heu gab, und tranken ein mass recht guten Merzen-biers dazu. In Waidring assen wir eine Suppe und tranken ein gar nicht übles St: Johanser-bier dazu. In St: Johanns assen wir zu nacht, und den 14. [August 1771] speisten wir auf der Post zu Kundl und nachts in Innsprugg.

Kundl, Gasthof Post
Kundl, Gasthof Post

Den 15. mittags in Steinach, nachts in Brixen, den 16. mittags in Botzen, nachts in Trient. Den 17. um 9 uhr Vormittag langten wir in Roveredo an, in der Meinung nachts in Verona zu seyn und die zwei H[erren] Piccini in alla [Ala] auf Mittag zu überfallen. Wir wu[e]rden auch richtig um die Mittags Stunde alda eingetroffen seyn, wenn wir uns nicht erstens bei H[errn] Baron Pizzini in Roveredo /:da auch gleich H[err] Dr. Bridi kam:/ zu lange verweilt und erst um halbe 11 uhr abgereist, und dann auf dem Weeg nicht so viele Hindernisse gehabt hätten: da uns H[err] Lolli der berühmte Violinspieler entgegen kam, und folglich die Postillion die Pferde abwechselten, und überdaß die baurenfuhren und manche hindernisse in engen weegen verursachten. Wir langten demnach erst gegen 1 uhr nach Mittags bey den 2 H[erren] Piccini in Alla an; und ich entschloss mich, schon ehe ich dahin kam, dort zu verbleiben, weil ich es nicht wagen wollte, nach Verona zu gehen, indem sie alda um ave maria Zeit die thore sperren, überdaß die Hitze sehr groß war, und wir in unsern Reisekleidern heut bequemlicher in Alla als in Verona in die Kirche gehen kunnten. In alla unterhielten wir uns mit Musik, oder wir unterhielten vie[l]mehr sie […].
Wir haben ihm viel obligation
, also viel zu verdanken, schreibt Leopold Mozart im selben

Brief über Karl Josef Graf Firmian, den aus tirolischem Adel stammenden und in Mailand

residierenden Gouverneur der Lombardei. Wie bei der ersten Italienreise ist dieser großherzige und kunstliebende Edelmann der große Förderer der Mozarts.

Vater Leopold und Sohn Wolfgang kommen am Abend des 21. August 1771 in Mailand an. Das Hauptinteresse gilt der Auftragsoper „Ascanio in Alba“ KV 111, deren Uraufführung am 17. Oktober in Szene geht. Am 8. November 1771 sind die Mozarts zusammen mit weiteren berühmten Komponisten wie Johann Adolf Hasse und Josef Myslive beim Grafen Firmian zu Tisch geladen.

Nach den Mailänder Erfolgen brechen Vater und Sohn Mozart zu ihrer Rückreise auf und erreichen am 15. Dezember 1771 ihre Heimatstadt Salzburg. Tiroler Übernachtungsstationen waren Ala, Trient, Brixen, Innsbruck.

Aus Brixen berichtet Leopold Mozart seiner Frau in einem Brief vom 11. Dezember 1771: Wir werden erst am Montage eintreffen, weil S[eine] E[minenz] graf [Leopold Maria Josef] Spaur, der uns hier aufhält und euch 1000 Comp[limente] schicket, es nicht anders geschehen lässt.

Die dritte und letzte Italienreise der Mozarts dauerte vom 24. Oktober 1772 bis zum 13. März 1773. Abermals und letztmalig mussten sie das Passland Tirol durchreisen, sie taten es wiederum eilig, um erneut ihr Ziel Mailand zu erreichen. Der einzige kleine Umweg führte von Innsbruck aus ins Königliche Damenstift nach Hall. Darüber schreibt Vater Leopold am 28. Oktober 1772 aus Bozen seiner Frau nach Salzburg:

Sind wir nicht schon erstaunlich weit gereiset, da wir in botzen sind. Den ersten tag sind wir vor 8 uhr in St: Johanns angelangt. Da aber den Sontag darauf keine frühere Messe als das frühammt um 6 uhr war, so kamen wir erst um 7 uhr weg, folglich langten wir erst gegen 19 uhr in Insprugg an. Den Montag blieben wir in Insprugg, und wir fuhren nach Hall Nachmittag spazieren, um das könig[liche] Stift zu sehen, wo uns die frl: schwester der Oberhofmeisterin gra[e]fin Lodron überal herumführte. Der Wolg[ang] spielte in der Kirche die orgel. Den 27 sind wir in Brixen gekommen, und heute um 12 uhr Mittags sind wir hier angelangt. Wir sind hier geblieben, weil wir in der späthesten Nacht bey dem erstaunlichsten Regenwetter, so eben um Mittag angefangen, würden nach Trient gekommen seyn, unterwegs aber kein bequemes anderes Nachtquartier wäre. Morgen um 5 uhr frühe werden wir mit Gottes hilfe nach Trient reisen. In dem traurigen Botzen haben wir den H[errn] F[rater] Vincenz Ranftl im Dominicaner Closter heimgesucht. Er empf[i]ehlt sich ganz Salzb: und befindet sich sehr wohl […] Der Wofg[ang] befindet sich auch wohl; er schreibt eben für die lange Weile ein quadro. Er empfiehlt sich allen.

Hall in Tirol war auf allen Italienreisen der Mozarts ein Durchzugsort. Lediglich auf ihrer dritten Fahrt in den Süden machten sie von Innsbruck aus einen kurzen Abstecher nach Hall ins Königliche Damenstift.
Hall in Tirol war auf allen Italienreisen der Mozarts ein Durchzugsort. Lediglich auf ihrer dritten Fahrt in den Süden machten sie von Innsbruck aus einen kurzen Abstecher nach Hall ins Königliche Damenstift.

Und Wolfgang Amadé Mozart fügt in einer Nachschrift an seine Schwester Nannerl hinzu: Nun sind wir schon zu botzen. schon? erst! Mich hungert, mich durst, mich schläffert, ich bin faul, ich bin aber gesund. Zu Hall haben wir dass stift gesehen, ich habe dort auf der orgel gespielt […] lebe wohl. Schreibe mir was neues, botzen dieß Sauloch.
Die weiteren Tiroler Raststationen auf der Reise nach Mailand waren wie üblich Trient und Rovereto, wo die Mozarts am 29. Oktober 1772 übernachteten, sowie Ala, von wo sie am 1. November 1772 nach Verona weiterreisten und schließlich am 4. November an ihrem eigentlichen Ziel anlangten. Unter den neuen Mailänder Bekanntschaften wird besonders die Begegnung mit dem Tiroler Historien- und Porträtmaler Martin Knoller (1725-1804) bedeutsam.

Ansicht von Trient, um 1790; Adolf Sommer – J. Eder, Kolorierte Radierung, 191 x 301 mm.
Ansicht von Trient, um 1790; Adolf Sommer – J. Eder, Kolorierte Radierung, 191 x 301 mm.

Knoller, der gewissermaßen als Hofmaler beim Grafen Firmian tätig war und bis zu dessen Tod 1782 in Mailand lebte, hat wohl das ergreifendste und am meisten naturalistische Abbild Mozarts geschaffen. Die Miniatur aus Elfenbein zeigt den damals 16-jährigen Wolfgang nicht in der Lieblichkeit anderer Darstellungen, sondern in unglaublicher Realistik, als blassen, mageren, bereits gealterten Jüngling, dem man die allseitigen Strapazen ansieht. Diese überaus eindrucksvolle und berührende Miniatur war vermutlich in Besitz von Wolfgang Amadés Schwester Nannerl, denn am 2. Juli 1819 notierte sie auf die Rückseite dieses Porträts, dass es Wolfgang zur Zeit seiner dritten Italienreise darstelle. Da ihr Bruder von einer sehr schweren Krankheit aufgestanden sei, sehe er auf dem Bild kränklich und sehr gelb aus. Mozarts Unwohlsein mag auch die Ursache gewesen sein, dass die Instrumentalproben zur Aufführung seiner dritten Mailänder Auftragsoper „Lucio Silla“ KV 135 erst am 19. Dezember 1772 begannen. Die Uraufführung folgte dann rasch, wie üblich wenige Tage später am 26. Dezember. An den Abenden des 21., 22. und 23. Dezember 1772 waren die Mozarts in das Haus ihres Tiroler Gönners Karl Josef Graf Firmian geladen, und Wolfgang spielte allabendlich im Firmian‘schen Palazzo.
Nachdem die Mozarts den eigentlichen Zweck ihrer Reise erfüllt hatten, kehrten sie im März 1773 zurück nach Salzburg. Ihre letzten Tiroler Aufenthalte waren Übernachtungen am 11. März in Brixen und wohl am 12. März in Innsbruck. Danach haben Vater und Sohn Mozart Tirol nie mehr gesehen.

Mozarts Geist blieb jedoch lebendig.“

Mozart und Familie von Johann Nepomuk della Croce um 1780.
Mozart und Familie von Johann Nepomuk della Croce um 1780.




Die Reaktion des Staates auf die Feuernacht: Folter bei den Verhören

Als Abschluss einer vierteiligen Serie über die „Feuernacht“ des Jahres 1961 hat der „Südtiroler Heimatbund“ (SHB) eine Dokumentation über die Folterungen der damaligen politischen Häftlinge veröffentlicht. Der SHB ist eine von ehemaligen Südtiroler Freiheitskämpfern gegründete Vereinigung, die für die Wiedererlangung der Tiroler Landeseinheit eintritt. Gerne geben wir nachstehend seine Dokumentation an unsere Leser weiter.

Liebe Landsleute, liebe Freunde Südtirols!

Die nachstehende Dokumentation ist keine leichte Lektüre. Sie lässt aber begreifen, wieso sich die Situation in den folgenden Jahren auf tragische Weise verschärfte. Es sollte dabei Opfer auf beiden Seiten geben, deren Schicksal zutiefst zu bedauern ist. Wir gedenken ihrer in Trauer.

Geben wir der Hoffnung Ausdruck, dass solche schrecklichen Ereignisse niemals eine Wiederauferstehung erleben mögen und dass wir alle auch in Zukunft unser Verhältnis mit der staatlichen Obrigkeit auf dem Boden der Selbstbestimmung freier und mündiger Bürger in demokratischer und friedlicher Weise regeln können.

Mit Tiroler Gruß!

Roland Lang
Obmann des „Südtiroler Heimatbundes“ (SHB)

Ein geheimer Lehrgang auf dem Monte Bondone

Unmittelbar nach der Feuernacht berief Innenminister Mario Scelba am 14. Juni 1961 eine Sicherheitskonferenz mit den Spitzen der Polizei und der Militärbehörden in Rom ein.

Die italienische Bozener Tageszeitung „Alto Adige“ berichtete, dass Scelba anschließend gegenüber der Presse erklärt habe, dass die Organe der Polizei und der Justiz „perfekt wissen, wie sie vorgehen werden.“

Westlich von Trient führt eine alte österreichische Militärstraße hinauf auf die abgelegene Hochfläche des Monte Bondone mit ihren noch aus der österreichischen Zeit stammenden Kasernenbauten. Kurze Zeit nach der Feuernacht in Südtirol traf dort eine etwa 200 Mann starke Sondereinheit der Carabinieri ein.

Die Militäranlagen auf dem Monte Bondone. (Bild aus österreichischer Zeit)
Die Militäranlagen auf dem Monte Bondone. (Bild aus österreichischer Zeit)

Nach einem Monat zogen die Carabinieri wieder ab in das Bozner Unterland, nach Bozen, Meran und Eppan.

Die Gleichartigkeit der ab diesem Zeitpunkt in den verschiedenen Carabinierikasernen Südtirols angewandten Foltermethoden deutet darauf hin, dass auf dem Monte Bondone eine zentrale Ausbildung in Vernehmungsmethoden stattgefunden hat. Ab nun wurde in Südtirol das ganze aus der Faschistenzeit stammende Repertoire der „cassetta“, der Wasserfolter und anderer Gräuel gekonnt wieder angewendet. Bei der „cassetta“ wurde dem Opfer das Rückgrat überdehnt und es wurden ihm die Arme nahezu aus den Schultergelenken herausgedreht.

Auch zwangsweises Einflößen von Salzwasser oder verdünnter Säure mit den damit verbundenen Atemblockaden und Erstickungsängsten, Bestrahlungen mit höllisch heiß wirkenden Quarzlampen, schwere Prügeleien und tagelanger Schlafentzug und Aufrechtstehen taten ihre Wirkung.

In verschiedenen Kasernen haben Carabinieri unabhängig voneinander gegenüber den Gefolterten die gleiche Aussage gemacht: Innenminister Mario Scelba persönlich habe ihnen freie Hand – „carta bianca“ – gegeben.

Eine Verhaftungswelle brach wie eine Lawine los

Am 28. Juni 1961 veröffentlichte die italienische Bozener Tageszeitung „Alto Adige“ ein Bild über eine Zusammenkunft des Generals der Carabinieri, Giovanni Celi, mit dem Meraner Carabinierikommandanten Hauptmann Guido de Rosa, und dem Kommandanten der Carabinierilegion Bozen, Oberst Pietro Loretelli.

Bild links: Auf diesem Zeitungsbild sind von links nach rechts zu sehen: Oberst Loretelli, General Celi, Hauptmann De Rosa und ein weiterer Offizier. Bild rechts: Innenminister Mario Scelba gab den Carabinieri freie Hand – „carta bianca“.
Bild links: Auf diesem Zeitungsbild sind von links nach rechts zu sehen: Oberst Loretelli, General Celi, Hauptmann De Rosa und ein weiterer Offizier. Bild rechts: Innenminister Mario Scelba gab den Carabinieri freie Hand – „carta bianca“.

Der Carabinierigeneral Celi hatte Erfahrung im Umgang mit Aufständischen. Im italienischen Kolonialkrieg gegen Abessinien hatte er eine Einheit Carabinieri kommandiert. Damals waren Dörfer, Kirchen und ganze Landstriche niedergebrannt und ganze Bevölkerungsgruppen ausgerottet worden. Dieser Spezialist war nun nach Südtirol gekommen, um Anweisungen für das weitere Vorgehen gegenüber mutmaßlichen Attentätern zu erteilen.

Ab 10. Juli brach eine Verhaftungswelle wie eine Lawine los, wobei die Carabinieri aufgrund jahrelanger Beobachtungen und Bespitzelungen sehr genau wussten, auf welche Personen sie zugreifen sollten. An die 140 Südtiroler wurden festgenommen und auf die Carabinieristationen gebracht. Dann begannen die scheußlichen Misshandlungen. Die erzwungenen „Geständnisse“ sollten zur Folge haben, dass im Ersten Mailänder Südtirolprozess am 16. Juli 1964 über 91 Angeklagte insgesamt 431 Jahre Haft verhängt wurden. (Otto Scrinzi: „Chronik Südtirol 1959-1969“, Graz-Stuttgart 1996, S. 388)

Besonders berüchtigte Folterplätze waren die Carabinieristationen von Kurtatsch, Neumarkt und Eppan.
Besonders berüchtigte Folterplätze waren die Carabinieristationen von Kurtatsch, Neumarkt und Eppan.

Als zahlreiche Gefolterte nach Ablegung ihrer erzwungenen „Geständnisse“ in die Gefängnisse eingeliefert wurden, schmuggelten Priester, ihre Anwälte und ihre Angehörigen zum Teil auf Klopapier geschriebene Briefe mit Schilderungen der erlittenen Folterungen heraus. Einige spätere Berichte durchliefen sogar die Gefängniszensur und man wagte angesichts einer bereits losgebrochenen medialen Berichterstattung nicht mehr, solche Berichte zu beschlagnahmen. Diese Dokumente wurden zum Teil nach Nordtirol gebracht und von dem Landeshauptmann Dr. Hans Tschiggfrey Anfang September 1961 nach Wien an den Außenminister Dr. Bruno Kreisky geschickt. Heute befinden sich an die 70 dieser erschütternden Zeitdokumente im Österreichischen Staatsarchiv. Zahlreiche weitere Berichte finden sich auch im Südtiroler Landesarchiv in Bozen und im Tiroler Landesarchiv in Innsbruck.

Folterberichte aus den SVP-Archivalien im Südtiroler Landesarchiv in Bozen.
Folterberichte aus den SVP-Archivalien im Südtiroler Landesarchiv in Bozen.

In einem beiliegenden Aktenvermerk zu den an Dr. Kreisky übersandten Folterberichten wurden die angewandten Methoden kurz zusammenfassend dargestellt.
An Dr. Kreisky weitergeleitete Folterberichte der Häftlinge. (Österreichischen Staatsarchiv, ÖStA/AdR/BMfAA Pol Südtirol/Südtirol-Panzer 1967-1969, Karton 150)

In einem beiliegenden Aktenvermerk zu den an Dr. Kreisky übersandten Folterberichten wurden die angewandten Methoden kurz zusammenfassend dargestellt.

Am 22. Juli 1961 berichtete der österreichische Menschenrechtsexperte Univ.-Prof. Dr. Felix Ermacora, der mit Dr. Kreisky in sehr gutem Kontakt stand, in den „Salzburger Nachrichten“ anhand ihm zugekommener Folterberichte über das Geschehen in den italienischen Carabinieristationen.

Nun begannen auch andere Medien, darunter das Nachrichtenmagazin „DER SPIEGEL“, den Dingen nachzugehen.

Aus „DER SPIEGEL“ Nr. 34 /1961.
Aus „DER SPIEGEL“ Nr. 34 /1961.

Ein Beispiel von vielen: Der Folterbericht des Franz Muther

Die Wiedergabe aller Folterberichte würde ein ganzes Buch füllen. Hier können nur wenige Beispiele wiedergegeben werden, darunter auszugsweise der Folterbericht des am 10. Juli 1961 von den Carabinieri verhafteten 39jährigen Elektrikers Franz Muther aus Laas im Vinschgau, der an dem Wiederaufbau des Südtiroler Schützenbundes im Vinschgau als Bezirksmajor maßgeblich beteiligt war.

Bild links: Franz Muther. Bild rechts: Der Anfang seines Briefes an die SVP.
Bild links: Franz Muther. Bild rechts: Der Anfang seines Briefes an die SVP.

Was er in der Carabinieri-Kaserne in Meran erleben musste, hat er am 3. November 1961 in einem Brief an die Landesleitung der Südtiroler Volkspartei geschildert. (Die Rechtschreibfehler sind darauf zurückzuführen, dass Muther zu jener Generation gehörte, die in der Faschistenzeit keinen Deutschunterricht in der Schule bekommen hatte.)

Ausschnitt aus Muthers Brief an die SVP.
Ausschnitt aus Muthers Brief an die SVP.

Hier ein Auszug aus Muthers Leidensbericht:

„Ich mußte die Hände hochhalten, dann schlug er mir mit einem Eisenstäbchen mir auf den Finger. Garzolla rufte dann nach einem gewissen Lungo, dies war ein großer kräftiger Mann, und gab ihn den Befehl mich abzuführen zur, ‚cura speciale‘, wie er sich ausdrückte. Ich wurde wiederum in einem anderem Zimmer gebracht, mit dem Rücken gegen eine Wand gestellt, und von zwei kleine Scheinwerfern, welche auf Augenhöhe, 80 cm. vor mir aufgestellt wurden angestrahlt. Nach kurzer Zeit, als meine Augen genügend geblendet waren, wurde ich in die Mitte des Zimmers gezogen, um mich herum standen ungefähr 6 – 8 Mann in Zivilkleidung und einer in Uniform. Jener in Uniform ging auf mich zu, verhönte, beschimpfte und drohte mich auf das schärfste, dann auf einmal, fasste er mich an die Brust, riss mir das Hemd runter und zugleich Haare aus der Brust. Dann schlug er mit der Faust auf meine Schedeldeke los, zugleich schlug der Lungo an der Seite meines Kopfes, besonders aufs linke Ohr, wo ich heute noch immer Schmerzen habe, und auch schlecht höre. Von anderen erhielt ich Fußtritte im Unterleib, ich konnte nicht mehr sehen mir wurde schwarz vor den Augen. Nach einiger Zeit wurde ich wiederum mit dem Rücken gegen eine Wand gestellt. Diesmal brachten sie einen großen Scheinwerfer, welcher wieder auf Augenhöhe 60 – 80 cm vor mir aufgebaut wurde, ich mußte in die Mitte des Lichtkegel schauen. Jedesmal, wenn mir vor Schmerz die Augen zufielen, erhielt ich Stöße in alle Körperteile, besonders Fußtritte an den Schienbeinen, am rechten Bein sind heute noch die Narben zu sehen. Dieses Bein war längere Zeit angeschwollen und ganz gelb. Diese Tortur vor dem gr. Scheinwerfer dauerte 5 – 6 Stunden ununterbrochen, ich glaubte wahnsinnig zu werden.

Meine Bitte um Wasser wurde hönisch verneint. Als endlich der Scheinwerfer abgeschaltet wurde, glaubte ich, das Augenlicht verloren zu haben, da ich einige Zeit nicht mehr sehen konnte. Ich war am ganzen Körper nass von Schweiß, besonders im Kopf. …

Ich hatte auch ganz roten Urin, auch zwei 2 – 3 Tage noch im Bozner-Gefängnis, wo ich am Sonntag, den 17. Juni eingeliefert wurde.

Wegen Platzmangel möchte ich davon absehen, die Ausdrücke, welche man mir gegenüber, gegen, gegen unsere Volksvertreter und das ganze Deutsche Volk gebrauchte davon absehen. Jedoch sei eines erwehnt, daß jener in Uniform mich anschrie, voi tutti porchi Crucki di Detedescki si dofrebe impicare.“ (Sinngemäß: „Euch deutsche Schweine müsste man alle aufhängen“) …

Die hier angeführten Mißhandlungen entsprechen voll und ganz der Wahrheit. Ich möchte Sie aufrichtig bitten, das Sie alles daransetzen, um weitere solche an das Südtiroler-Volk zu vermeiden. Es wäre noch viel zu sagen aber ich habe kein Papier mehr.

Es zeichnet hochachtungsvoll

Franz Muther, Laas“

(Der Originalbrief liegt in den SVP-Archivalien, Landesarchiv Bozen)

Muthers Mitgefangener Luis Steinegger berichtete später: „Noch zwei Monate nach seiner Folterung floß Blut und Eiter aus seinen Ohren.“ (Schützenkompanie Laas (Hrsg.): „Laaser Schützenbuch“, Auer 2001, S 201)

Als Franz Muther 1964 in Ketten zur Mailänder Gerichtsverhandlung gebracht wurde, musste er wollene Ohrenschützer tragen. Noch immer tat ihm jeder Luftzug weh. In Mailand wurde er am 16. Juli 1964 zu 9 Jahren und 5 Monaten Kerker verurteilt.
Als Franz Muther 1964 in Ketten zur Mailänder Gerichtsverhandlung gebracht wurde, musste er wollene Ohrenschützer tragen. Noch immer tat ihm jeder Luftzug weh. In Mailand wurde er am 16. Juli 1964 zu 9 Jahren und 5 Monaten Kerker verurteilt.

Die Misshandlung von Sepp Mitterhofer – Schläge mit Gewehrkoben

Sepp Mitterhofer vom Unterhasler-Hof in Meran-Obermais war einer der engsten Freunde und Mitverschworenen um Sepp Kerschbaumer gewesen. Am 15. Juli 1961 wurde er von den Carabinieri abgeholt und mit Fußtritten in die Meraner Kaserne hineingestoßen. Was dann geschah, berichtete er am 8. September 1961in einem aus dem Gefängnis hinausgeschmuggelten Brief an den Landeshauptmann Dr. Silvius Magnago:

Sepp Mitterhofer in der Haft im Gefängnis von Trient und der Anfang seines Briefes an Dr. Magnago.
Sepp Mitterhofer in der Haft im Gefängnis von Trient und der Anfang seines Briefes an Dr. Magnago.

„Ich mußte im Gang des ersten Stockes bis in der Früh Habtachtstehen, wenn ich mich auch nur ein bißl bewegte wurde ich von einem Posten mit dem Gewehrkolben geschlagen. Arme, Füße und Rücken schmerzten so stark, daß es mir den kalten Schweiß hertrieb. In den Zimmern nebenan hörte ich dauernd Personen schreien und stöhnen vor Schmerz. Im Ganzen mußte ich zwei Tage und drei Nächte strammstehen ohne etwas zu Essen, Trinken und zu Schlafen. In dieser Zeit wurde ich ungefähr fünfzehnmal verhört und dabei mißhandelt. Mit Fußtritten wurde ich an den Füßen und am Hintern bearbeitet und auf den Zehen herumgetreten. Man drohte, mir Geschlechtshaare auszureißen und Gewichte am Geschlechtsteil anzuhängen. Am meisten geschlagen wurde mir ins Gesicht, daß ich so verschwollen wurde, daß ich später nicht mehr den Mund aufbrachte zum Essen. Die Arme wurden mir am Rücken hochgerissen, daß ich laut aufschrie vor Schmerz. Einmal mußte ich mich halbnackt ausziehen, dann wurde ich solange mit Fausthieben bearbeitet bis ich bewußtlos zusammenbrach. Wie lange ich bewußtlos war weiß ich nicht, als ich wieder zu mir kam war ich ganz naß weil man mich mit Wasser überschüttete. Öfters mußte ich stundenlang vor brennende Scheinwerfer stehen und hineinschauen bis mir der Schweiß herunterrann und die Augen furchtbar schmerzten.

Man zog mich an den Ohren und riß mir Haare büschelweiße vom Kopf. …

Der Rücken mußte glatt an der Mauer angehen, kaum, daß ich mich rührte oder mit den Zehenspitzen etwas herausrutschte, so schlug mich ein Karabiniere der vor mir stand, mit dem Gewehrkolben auf die Zehen oder auf den Körper. Einmal mußte ich so im Gang stehen und ein anderesmal stellte man mir noch eine Lampe vor die Nase. Die Füße wurden mir bis zu den Knien lahm, beidesmal wurde ich weggetragen.

(Auszug aus der wörtlichen Wiedergabe des Originalbriefes. SVP-Archivalien, Landesarchiv Bozen)

Der Tod des Franz Höfler

Am 15. Juli 1961 war der Bauernsohn Franz Höfler in Niederlana verhaftet und anschließend in der Meraner Carabinierikaserne schwer misshandelt worden.

Am 26. September 1961 wandte sich Franz Höfler in einem Brief an den Landeshauptmann Dr. Magnago, welcher – wie aus dem Fehlen des Zensurstempels hervorgeht – aus dem Bozener Gefängnis herausgeschmuggelt worden war. Dieser Brief, auch er ein einziger Hilferuf, hatte Magnago tatsächlich erreicht.

Der Anfang des Briefes an Dr. Magnago.
Der Anfang des Briefes an Dr. Magnago.

Der Brief liegt heute bei den SVP-Akten im Südtiroler Landesarchiv und lautet:

„Herr Dr. Silvius Magnago

Da ich hörte, daß Sie den Wunsch geäußert haben nähere Auskunft über die Mißhandlungen zu bekommen, möchte ich hiermit Ihnen folgendes mitteilen.

Bin am Samstag 15. Juli nachts verhaftet worden. Mußte vom Samstag bis Dienstag früh ununterbrochen in Habtachtstellung stehen ohne Essen und Trinken. Am Dienstag wurde ich dann verhört, wo man mir das Unglaublichste vorwarf. Als ich dies alles verneinte, wurde ich dann mit Fußtritten und Fausthieben ins Gesicht überdeckt. Ebenso wurde mir mit dem Gewehrschaft so stark auf die Zehen geschlagen sodaß ich heute noch, nach zwei Monaten, am großen Zehn nicht geheilt bin, und ärztliche Pflege bedarf. Bin dann noch 3 – 4 Stunden unter einer Lampe gestanden und habe daraus Schaden gezogen, da ich in den Augen empfindlich bin und jetzt viel weniger sehe.

Sie haben mir dann noch das linke Ohr losgerissen, wo ich sehr blutete. Am Mittwoch wurde ich dann nochmals zu Boden geschlagen, und ich war fast bewußtlos. Um diesen Mißhandlungen endlich zu entgehen, habe ich dann ein vorgelegtes Protokoll unterschrieben. Da ich schon vor dem Untersuchungsrichter war, habe ich aus den Karabinieriprotokollen entnommen, mit was für Lügendokumente die Polizei versucht hatte mich schuldig zu stempeln.

Ich glaube Sie haben eine kleine Vorstellung von den Art der Mißhandlungen der Polizei. Diese Art von Behandlung wird sicher keine Früchte bringen und keine Liebe den Anderen gegenüber zeitigen.

Mit vorzüglicher Hochachtung

grüßt Sie in vollen Vertrauen

Franz Höfler“

(Wörtliche Wiedergabe des Originalbriefes. SVP-Archivalien, Südtiroler Landesarchiv Bozen)

Bild links: Der lebende Franz Höfler - Oberjäger der Schützenkompanie Lana. Bild rechts: Der tote Franz Höfler in der Prosektur Bozen. Das Bild wurde heimlich aufgenommen.
Bild links: Der lebende Franz Höfler – Oberjäger der Schützenkompanie Lana. Bild rechts: Der tote Franz Höfler in der Prosektur Bozen. Das Bild wurde heimlich aufgenommen.

Franz Höfler hat sich von den erlittenen Misshandlungen nicht mehr erholt und starb am 22. November 1961 in der Haft an einer Herzblutung durch Einriss der Hauptschlagader.

Der Tod des Anton Gostner

Am 7. Jänner 1962 holte der Tod sein zweites Opfer unter den Südtiroler Häftlingen. Es war der Kleinbauer, Hotelportier und fünffache Familienvater Anton Gostner aus St. Leonhard bei Brixen, welcher in der Carabinierikaserne von Brixen trotz seines Herzleidens unmenschlich gefoltert worden war. Davon hatte er sich nicht mehr erholt. Er starb im Gefängnis an Herzversagen.

Anton Gostner (rechts im Bild) bei seiner Einlieferung in das Gefängnis. (Aus „Alto Adige“)
Anton Gostner (rechts im Bild) bei seiner Einlieferung in das Gefängnis. (Aus „Alto Adige“)

Der damals mit inhaftierte Sarner SVP-Obmann und spätere österreichische Bundesratspräsident Helmut Kritzinger berichtete nach seiner Entlassung und Flucht nach Österreich, welche Folterspuren an dem Körper Gostners er mit eigenen Augen gesehen hatte:

„Eingesperrt wurde Anton Gostner bereits im Mai 1961. Damals wegen eines ganz geringfügigen Verdachtes: angeblich soll er in Innsbruck an einer Versammlung teilgenommen haben usw. Als die große Verhaftungswelle im Juli vorüber war, wurde Gostner Ende August – ich glaube, mich nicht im Datum zu irren – von den Karabinieri aus dem Gefängnis herausgeholt und weggebracht. Wohin und was mit ihm geschah, erfuhren wir erst später … Ich sagte bereits, Gostner wurde weggebracht und nach zehn Tagen kam er wieder nach Bozen. Der Mann war abgemagert wie ein 12-jähriger Junge. An der Stirn hatte er einen großen roten Fleck, an beiden Nasenlöchern trug er Brandwunden. Die Karabinieri, erzählte Gostner, hätten ihm brennende Zigaretten in die Nasenlöcher gesteckt und ebenso die Stirne verbrannt. Er erzählte ausführlich über die Foltermethoden. Auch Salzsäure hatte man bei ihm angewandt. Einmal schob er das Hemd weg und zeigte mir eine Schwellung am Bauch. Diesen Bruch haben mir die Karabinieri aufgeschlagen, erzählte er.

(Bericht Kritzingers an das Referat „S“ des Amtes der Nordtiroler Landesregierung: „Wie Südtiroler von den Carabinieri gefoltert wurden“; Südtirolakten des Referates „S“ der Nordtiroler Landesregierung, Häftlingsakt 3/2, Tiroler Landesarchiv Innsbruck)

Anton Gostner hat am 16. August 1961 in einem Brief an seinen Rechtsanwalt Dr. Egger beschrieben, wie er in den Carabinierikasernen in Brixen und Eppan misshandelt worden war. (Die Rechtschreibfehler sind darauf zurückzuführen, dass Gostner zu jener Generation gehörte, die in der Faschistenzeit keinen Deutschunterricht in der Schule bekam.)

Letzte Seite des Briefes an Rechtsanwalt Dr. Egger. Der Brief liegt in den SVP-Archivalien, Landesarchiv Bozen.
Letzte Seite des Briefes an Rechtsanwalt Dr. Egger. Der Brief liegt in den SVP-Archivalien, Landesarchiv Bozen.

In dem Brief hieß es:

„Man gab mir abwechselnt immer mehr oder weniger Schläge. Man stellte mich an die Wand unter die quarz Lampe, mit den Händen immer hoch über den Kopf, nicht weniger als wenigstens 4 Stunden ununterbrochen, wobei ich 3 oder 4 mal ohnmächtig wurde.

Man ziehte mich bei den Haaren auf dem Boden. Man setzte mir Käfer an, auf dem Bauch, dessen Gattung ich nicht kenne, sie waren ziemlich groß. Ich denke, sie hatten die Eigenschaft, sich eine Vertiefung zu graben mit den Zangen, was sie auch taten.

Denn brachte man mich nach Eppan, woh es noch weitaus schlimmer wahr. Man schlug mich so heftig, das ich oft nicht mehr wusste, wo ich wahr.

Man hat mich nackt ausgezogen, über einen Tisch gelegt, mit dem Kopf nach unten, und schüttete mir 3 volle Stunden Salzwasser, vielleicht mit etwas Säure gemischt, in den Mund und Nase, das man fast jede Minute glaubte, ersticken zu müssen, und das immer solange, bis man ohnmächtig wahr.

Man schlug mich dann nieder, u. dan ging es immer wieder auf ein neues. Man hielt mir brennende Zigaretten in die Nasenlöcher u. auf die Stirn, woh man Heute noch die brand Wunde erkennen kann. Mann riß mier Hare beim Geschlechtsteil aus. So ging es mier, mehr oder weniger 10 Tage, bis man mich wieder ins Bozner Gefängnis brachte.“

(„Dolomiten“ vom 11. Jänner 1962, „Tiroler Nachrichten“, Innsbruck, vom 13. Jänner 1962)
(„Dolomiten“ vom 11. Jänner 1962, „Tiroler Nachrichten“, Innsbruck, vom 13. Jänner 1962)

Der Tod Höflers und Gostners rief Empörung südlich und nördlich des Brenners hervor. Der Südtiroler Landtag forderte eine parlamentarische Untersuchungskommission und die Tiroler Landesregierung in Innsbruck gab eine anklagende Regierungserklärung ab.

Es war alles vergebens. Die italienischen Verhörmethoden wurden auch in den nächsten Jahren bis zum Ende des Freiheitskampfes weiter beibehalten.

Sepp Kerschbaumer – Bericht aus dem Gefängnis und sein viel zu früher Tod

Am 15. Juli 1961 war auch der Kopf und Gründer des „Befreiungsausschusses Südtirol“, Sepp Kerschbaumer aus Frangart verhaftet worden.

Der verhaftete Gründer des „Befreiungsausschuss Südtirol“ (BAS), Sepp Kerschbaumer.
Der verhaftete Gründer des „Befreiungsausschuss Südtirol“ (BAS), Sepp Kerschbaumer.

Sepp Kerschbaumer hat das, was mit ihm geschehen war, am 4. September 1961 in einem Schreiben geschildert, welches aus dem Gefängnis hinausgeschmuggelt und der Südtiroler Volkspartei übergeben wurde.

Der Brief liegt heute im Südtiroler Landesarchiv in Bozen unter den Archivalien der Südtiroler Volkspartei.

Der Briefanfang
Der Briefanfang

Der Brief lautet:

„Gefängnis Bozen, 4. September 1961

Schildere hier die Mißhandlungen, die ich beim Verhör durch die Karabinieri von Eppan und dort selbst erleiden mußte. Sofort nach der Verhaftung am 15. Juli 1961 als ich in der Frühe um 6-7 Uhr in die Kaserne eingeliefert wurde, wurden an mich verschiedene Fragen gestellt die ich verneinte.

Daraufhin wurde ich in ein anderes Lokal geführt, wo ich sofort mit Hände hoch stehen mußte, in dieser Position mußte ich von 7 Uhr früh bis 2 Uhr Nachmittag, um welche Zeit ich dann bis 6 Uhr abends in die Zelle gesperrt wurde. Dann ging es wieder von 6 Uhr abends bis 3 Uhr in der Früh gleich wie zuvor.

So mußte ich im ganzen 16 Stunden mit erhobenen Händen stehen. Als ich die Arme nicht mehr ganz in die Höhe halten konnte, riß man sie mir wieder empor, zu alldem wurde ich in dieser Zeit immer wieder im Gesicht in der Brust und am Rücken mit der flachen Hand oder den Fäusten geschlagen, zudem wurde ich immer wieder auf das gemeinste verspottet, nicht nur ich, sondern besonders auch unser ganzes Volk samt Führung, in der letzten Zeit der Mißhandlung war ich so mit meinen Kräften darnieder, daß ich mich nur mehr mit der größten Mühe aufrecht erhalten konnte.

Ich schwitzte und zitterte am ganzen Leibe und war so erschöpft, daß ich nur mehr einen Wunsch hatte, nämlich zu sterben. Als ich den Karabinieri sagte, sie sollen mich frisch umbringen, wurden sie erst recht prutal.

Beim späteren Verhör wurde mir immer wieder mit der Streckbank gedroht.

Dies entspricht alles der reinen Wahrheit und ich kann es gar nicht so schrecklich schildern, wie es in Wirklichkeit sich alles zugetragen hat.

Sepp Kerschbaumer, geb. am 9. 11. 1913 in Frangart“

(Wörtliche Wiedergabe des Originalbriefes. SVP-Archivalien, Landesarchiv Bozen)

Ende des Briefes von Sepp Kerschbaumer.
Ende des Briefes von Sepp Kerschbaumer.

Sepp Kerschbaumer hat sich von den Folgen der Misshandlungen nicht mehr richtig erholt und erlag am 7. Dezember 1964 im Gefängnis von Verona einem Herzversagen.

Belobigungen und Belohnungen für den „Geist der Initiative, der Arbeitsamkeit und der Fähigkeit“

Mehr als 60 von den Häftlingen der Folter beschuldigte Carabinieri erhielten am 22. Jänner 1962 im Hauptquartier der Carabinieri-Legion in Bozen eine „feierliche Belobigungen“ durch den Carabinieri-General Giovanni Celi sowie Geldprämien, weil sie sich „durch ihren Geist der Initiative, der Arbeitsamkeit und der Fähigkeit ausgezeichnet haben.“ („L’Adige“, Trient, 23. Jänner 1962)

Nachdem zahlreiche Südtiroler Häftlinge Anzeigen erstattet hatten, wurden einige wenige Carabinieri in Trient vor Gericht angeklagt. Gegen 11 von ihnen wurde das Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt, sie hätten Häftlinge lediglich geschlagen. Gegen 10 Carabinieri wurde das Verfahren eröffnet. Sie wurden am 29. August 1963 freigesprochen oder als unter Amnestie fallend betrachtet, obwohl die in Ketten vorgeführten Südtiroler Häftlinge sie schwer belastet hatten. Die Verteidiger der Carabinieri hatten argumentiert, dass die Häftlinge sich ihre Verletzungen zufällig zugezogen oder selbst zugefügt hätten. (Aus dem Bericht „Der Prozess von Trient“ in: „SID – Südtirol Information Dokumentation“ Nr. 12, Schriftleitung Prof. Dr. Franz Gschnitzer, vom 12. September 1963)

Aus „Bunte Illustrierte“ Nr. 38 vom 18. September 1963.
Aus „Bunte Illustrierte“ Nr. 38 vom 18. September 1963.

Die derart „rehabilitierten“ Carabinieri wurden dann am 1. September 1963 von dem Oberbefehlshaber der Carabinieri, General De Lorenzo, in Rom feierlich empfangen und für ihr Verhalten belobigt.

(Aus „Dolomiten“ vom 7. September 1963)
(Aus „Dolomiten“ vom 7. September 1963)

Bis heute hat sich keine italienische Regierung für das damalige Geschehen entschuldigt.

Gedenken an das Leiden des Schützenoffiziers Franz Muther

In sehr schöner Weise gedachte am 26. Juni 2021, dem 35. Todestag von Franz Muther, seine Schützenkompanie in Laas des verstorbenen Freiheitskämpfers, der so viel Schweres durchgemacht hatte. Zahlreiche Schützenabordnungen aus dem Bezirk Vinschgau und viele Mitbürger waren gekommen.

Erfreulich war, dass die SVP-Bürgermeisterin Verena Tröger offen erklärte, dass Franz Muther ein „Freiheitskämpfer“ gewesen sei, „der sich für uns eingesetzt hat“.

Über die Gedenkfeier, die von den Schützen sehr würdig und schon gestaltet worden war, berichtete auch die Tageszeitung „Dolomiten“ am 29. Juni 2021.

In seiner Gedenkrede zitierte der Ehrenkommandant des Südtiroler Schützenbundes, Elmar Thaler“ ausführlich aus dem in der vorliegenden Dokumentation wiedergegebenen Folterbericht Muthers an Landeshauptmann Dr. Magnago. Die Anwesenden waren von dem Geschilderten tief ergriffen.

Ehrenkommandant Elmar Thaler.
Ehrenkommandant Elmar Thaler.

Über Franz Muther sagte Elmar Thaler: „Als Franz Muther am 22. Juni 1986 beerdigt wurde, trugen zwei Schützen und Mitstreiter dem Trauerzug einen Kranz aus Almrosen voran. Darauf hatten sie eine Dornenkrone angebracht. Wohl selten hat ein Kranz so viel über das Leben des Verstorbenen ausgesagt.

Ein Mann, der von allen die ihn gekannt haben, als redlicher und nobler Mensch beschrieben wird, der sich als begeisterter Gründer und Funktionär der Feuerwehr, des Alpenvereins und sogar des Schützenbundes für seine Mitmenschen und insbesondere auch in seiner politischen Tätigkeit für sein Land eingesetzt hatte.

Heimatliebend, schneidig und besonders freiheitsliebend war er, so beschreiben ihn seine Weggefährten– die Berge, die waren sein zu Haus.

Über dem mit Almrosen geschmückten Kranz hatten die Schützen ein Stacheldrahtgeflecht als Dornenkrone angebracht. (Aus „Laaser Schützenbuch“)
Über dem mit Almrosen geschmückten Kranz hatten die Schützen ein Stacheldrahtgeflecht als Dornenkrone angebracht. (Aus „Laaser Schützenbuch“)

 Aber es gab da auch neben all den Alpenrosen auch die Dornenkrone, die zwar nicht über allem stand, aber eben doch sein Leben mitbestimmte. Seine Kindheit, in der in der Schule jedes deutsche Wort verboten war, die Jahre im Krieg, und dann die Enttäuschung, dass das demokratische Nachkriegsitalien in Bezug auf die Behandlung unseres Volkes auch keinen Deut besser war jenes vor dem Krieg.

Das alles hat ihn veranlasst, zu ungewöhnlichen Mitteln zu greifen.

Es war nach Allerheiligen 1961, als Franz Muther zu Papier und Bleistift griff, um der Landesleitung der Südtiroler Volkspartei zu schreiben. Er war das letzte Mal im Sommer, am 10. Juli zu Hause gewesen – an diesem Tag hatten ihn die Carabinieri geholt. Und wenn er jetzt, ein halbes Jahr später endlich schreiben konnte, dann ist das zwei Umständen zu verdanken. Zum einen dem Umstand, dass er die letzten 4 Monate trotz Folter und Misshandlung überlebt hatte und zum zweiten dem Umstand, dass ihm seine engsten Verwandten Schreibzeug ins Gefängnis geschmuggelt hatten.

Jedenfalls schrieb er nun, wie er in den letzten Monaten für seinen Einsatz für die Heimat büßen hat müssen. Die erschütterndsten Passagen dieses Briefes, den wohl einige hier kennen, den sich aber ins Gedächtnis zu rufen von Zeit zu Zeit gut, sprechen auch heute noch Bände. Und sie rütteln uns wieder auf, wenn wir grad nicht mehr wissen, wo wir hingehören, wenn wir zu bequem zu werden drohen, wenn wir vergessen haben oder wir uns selbst wichtiger sind als es die Heimat uns ist.“

Elmar Thaler schloss seine Rede mit den Worten, dass Franz Muther heute keine Stimme mehr habe. „Aber sein Leben, seine Treue spricht auch so Bände. Sein Leben zwischen sprichwörtlichen Alpenrosen und Dornenkrone. Es ist uns heute Vorbild und wird Generationen von Tirolern Vorbild bleiben. Ehre seinem Andenken.“




Das Gedenken an die „Feuernacht“ des Jahres 1961

Liebe Landsleute, liebe Freunde Südtirols!

In der nachstehenden Dokumentation zeigen wir, wie in Südtirol das Gedenken an die ebenso tragischen wie wichtigen Ereignisse der „Feuernacht“ des Jahres 1961 stattgefunden hat.

In der Feuernacht hat sich die Verzweiflung einer Volksgruppe entladen, die Jahrzehnte lang staatlicher Unterdrückung ausgesetzt gewesen war und die den eigenen Untergang vor Augen hatte. Mit dem Schlag der „Feuernacht“ wollten der tief religiöse Frangarter Sepp Kerschbaumer und seine Mitverschworenen die Weltöffentlichkeit auf das Unrecht aufmerksam machen.

Tragischer Weise kam damals der bei dem Straßendienst ANAS beschäftigte Italiener Giovanni Postal ums Leben, als er bei der Salurner Klause eine an einem Baum angebrachte nicht detonierte Sprengladung entschärfen wollte und diese dabei detonierte. Mit der Fällung des Baumes hätte eine symbolische Grenzschranke an der Sprachgrenze dargestellt werden sollen.

Reinhard Gaiser (im Vordergrund) und Roland Lang bei dem Marterle für Giovanni Postal.
Reinhard Gaiser (im Vordergrund) und Roland Lang bei dem Marterle für Giovanni Postal.

Bevor die Gedenkveranstaltungen für die Feuernacht begannen, haben Reinhard Gaiser, Ehrenhauptmann der Schützenkompanie Sepp Kerschbaumer in Eppan sowie ich bei seinem Marterle mit dem Abbrennen einer Kerze und der Niederlegung eines Blumengesteckes auch seines tragischen Todes gedacht.

Zum Gedenken an den von einem italienischen Agenten ermordeten Freiheitskämpfer Luis Amplatz hat der Künstler Hannes Tribus ein Portrait von ihm als Ölgemälde erstellt, welches der Südtiroler Heimatbund nun auf einer Postkarte wiedergegeben hat.

Vorderseite und Rückseite der Postkarte mit dem Bild von Luis Amplatz.
Vorderseite und Rückseite der Postkarte mit dem Bild von Luis Amplatz.

Mit Tiroler Gruß!

Roland Lang
Obmann des „Südtiroler Heimatbundes“ (SHB)

Öffentlicher Dank an die Freiheitskämpfer

Hell strahlte in der Nacht der Dank an die Freiheitskämpfer von 1961.
Hell strahlte in der Nacht der Dank an die Freiheitskämpfer von 1961.

Am 8. Juni 2021 traten Vertreter der Landtagsfraktion „Süd-Tiroler Freiheit“ (STF), darunter Dr. Eva Klotz, die Tochter des verstorbenen Freiheitskämpfers Georg Klotz, mit großen Buchstaben vor den Südtiroler Landtag. In ihrer Presseerklärung hieß es dazu:

„Die Freiheitskämpfer der 60er Jahre haben ihre Gesundheit und ihr ganzes Leben dafür geopfert, dass wir Süd-Tiroler unsere Volksgruppenrechte erlangten. Ohne die Feuernacht, mit der die Weltöffentlichkeit auf das Süd-Tirol-Problem aufmerksam gemacht wurde, hätte Italien die Autonomieverhandlungen weiter verzögert und die Italianisierung ungehindert fortgeführt. Es ist uns daher ein besonderes Anliegen, den Süd-Tiroler Freiheitskämpfern vor dem Landtag auch offiziell für ihren Einsatz zu danken, so die Landtagsabgeordneten Sven Knoll und Myriam Atz-Tammerle. Das, was die Süd-Tiroler Freiheitskämpfer für unsere Heimat und unser Volk geleistet haben, ist keine Selbstverständlichkeit, ihnen gebührt dafür unser Dank und unsere Anerkennung!

Umso verwerflicher ist es daher, dass jene Freiheitskämpfer, die sich durch ihre Flucht nach Österreich vor Folter, Kerker und gezielter Ermordung retten konnten, noch immer im Exil leben müssen und nicht zu ihren Familien nach Süd-Tirol zurückkehren dürfen. Es ist höchst an der Zeit, endlich einen Schlussstrich unter dieses leidvolle Kapitel zu ziehen und dafür Sorge zu tragen, dass diese Helden unserer Heimat endlich heimkehren dürfen.“

Mit Plakaten und großen Buchstaben vor dem faschistischen „Siegesdenkmal“ in Bozen erinnerte die „Süd-Tiroler Freiheit“ an die Feuernacht.

Die Gedenkfeier in Bruneck

(Bild: Südtiroler Schützenbund)
(Bild: Südtiroler Schützenbund)

Am 11.Juni 2021 fand, veranstaltet von dem Bezirk Pustertal des Südtiroler Schützenbundes, auf dem Rathausplatz in Bruneck eine würdige Feier statt, zu der an die 400 Teilnehmer gekommen waren, um der Feuernacht zu gedenken die sich zum 60. Mal jährte.

Damals als sich Südtirol auf einem Todesmarsch befand, wie es Kanonikus Michael Gamper formuliert hatte, wurden in der Nacht vom 11. auf den 12. Juni, in ganz Südtirol an die 40 Strommasten gesprengt oder schwer beschädigt. Im Pustertal war die Gruppe der „Puschtra Buibm“ aktiv gewesen. Sie mussten nach Österreich flüchten und erhielten in einem Abwesenheitsprozess, von dem sie nur aus der Zeitung erführen, langjährige Haftstrafen. In einer Videobotschaft berichteten die drei noch lebenden Buibm Sepp Forer, Heinrich Oberleiter und Siegfried Steger über ihren Einsatz in den Sechziger Jahren.

Die ehemalige SVP-Landesrätin Martha Stocker hielt eine Gedenkrede und trat für die Begnadigung der immer zwangsweise aus der Heimat verbannten „Puschtra Buibm“ ein, ebenso wie der Bürgermeister Roland Grießmair, welcher die Grußworte der Stadtgemeinde Bruneck überbracht hatte.

Beleuchtete Strommasten

(Bild: Südtiroler Schützenbund)
(Bild: Südtiroler Schützenbund)

Der Südtiroler Schützenbund ließ im ganzen Land gut sichtbare Strommasten rot beleuchten und gab dazu bekannt: „Damit möchten wir Schützen Dank und Anerkennung für jene Männer und Frauen zum Ausdruck bringen, die für die Freiheit unseres Landes so große Opfer gebracht haben. Nicht zuletzt wurde durch die Feuernacht und den darauffolgenden Ereignissen der Großteil des heutigen Wohlstandes überhaupt erst ermöglicht.

Die rote Beleuchtung soll aber auch an die Polizeigewalt erinnern, der damals unser Volk ausgesetzt war. Durch die Polizeigewalt gab es Verletzte und Tote. Bis heute hat sich das offizielle Italien noch nie für diese Schandtaten entschuldigt. Die stille Beleuchtung steht für die demokratische Diskussion und die gewaltfreie Umsetzung unseres Strebens nach mehr Freiheit und Unabhängigkeit.“

Das Gedenken in Frangart

Mit Plakaten und Inseraten war die Gedenkfeier angekündigt worden. (Bilder: Südtiroler Schützenbund)
Mit Plakaten und Inseraten war die Gedenkfeier angekündigt worden. (Bilder: Südtiroler Schützenbund)

Am 12. Juni 2021 veranstaltete der „Südtiroler Schützenbund“ in Zusammenarbeit mit dem „Südtiroler Heimatbund“ (SHB), einer von ehemaligen politischen Häftlingen und Freiheitskämpfern gegründeten Vereinigung, die für die Selbstbestimmung Südtirols eintritt, in Frangart eine Gedenkfeier.

Frangart ist der Heimatort des von den Carabinieri 1961 verhafteten und schwer gefolterten Gründers des „Befreiungsausschusses Südtirol“ (BAS), Sepp Kerschbaumer. Dieser war in der Folge in italienischer Haft zu Tode gekommen.

Vor dem Kerschbaumer Gedenkstein versammelten sich mehr als 200 Schützen aus Südtirol, aber auch aus Welschtirol. Zahlreiche Zivilisten, darunter sehr viele Jugendliche, waren ebenfalls gekommen.

Roland Lang, Obmann des „Südtiroler Heimatbundes“, begrüßte alle Anwesenden und sagte: Heute gedenken wir der beispiellosen Frauen und Männer, die ihr Leben selbstlos in den Dienst der Heimat stellten und für den Erhalt der Tiroler Volksgruppe in ihrer Eigenart ihre Freiheit, Gesundheit und sogar das Leben hingaben.

Es ist heute allgemein anerkannt, dass diese Politik der rücksichtslosen Überfremdung nur durch die Südtirol-Aktivisten gestoppt werden konnte. Südtirol muss wieder auf den Weg der Sicherung der deutsch- und ladinisch- sprachigen Volksgruppe gebracht werden. Wir müssen uns wieder auf unser Tiroler Wurzeln und die positiven Werte unserer Identität, unseres Brauchtums und unserer Traditionen besinnen.

100 Jahre Zwangsehe mit Italien sind genug. Sie waren schwer genug zu ertragen. Schluss damit!“

Im Rahmen der Feier übergab Roland Lang den Schützen das von Hannes Tribus gemalte Portrait des Freiheitskämpfers Luis Amplatz.

Roland Lang bei seiner Ansprache und das Portrait von Luis Amplatz. (Bild: Südtiroler Schützenbund)
Roland Lang bei seiner Ansprache und das Portrait von Luis Amplatz. (Bild: Südtiroler Schützenbund)

Anschließend folgte ein Wortgottesdienst, der von Diakon Hermann Pirpamer gehalten wurde.

Bild links: Diakon Pirpamer und rechts der ehemalige österreichische Südtirolsprecher Werner Neubauer, der Mitglied der Schützenkompanie Gries ist. Bild rechts: Frau Dr Margareth Lun. (Bilder: Südtiroler Schützenbund)
Bild links: Diakon Pirpamer und rechts der ehemalige österreichische Südtirolsprecher Werner Neubauer, der Mitglied der Schützenkompanie Gries ist. Bild rechts: Frau Dr Margareth Lun. (Bilder: Südtiroler Schützenbund)

Die Historikerin und Leiterin des „Haus der Tiroler Geschichte“ in Bozen, Frau Dr. Margareth Lun sprach anschließend über „Die Frauen und Kinder der Freiheitskämpfer“. Sie berichtete über ihre Begegnungen mit Freiheitskämpfern und deren Frauen bzw. Witwen sowie über Gespräche mit Mitbürgern über den Freiheitskampf.

Elmar Thaler bei seiner Ansprache. (Bild: Südtiroler Schützenbund)
Elmar Thaler bei seiner Ansprache. (Bild: Südtiroler Schützenbund)

Der Ehrenlandeskommandant des Südtiroler Schützenbundes, Elmar Thaler, fragte in seiner Gedenkrede Brennt das Feuer in uns noch?“ und fuhr dann fort: „Seit ich denken kann beschäftigt mich die Frage was unsere Freiheitskämpfer den letztendlich angetrieben hat, diesen schon damals ungleichen Kampf David gegen Goliath zu riskieren. Einerseits scheint es ja verständlich. Nach zwei verwehrten Selbstbestimmungen 1919 und 1946, in einer Situation, in der die eigenen Leute haben auswandern müssen, weil sie keine Arbeit und keine Wohnung bekommen haben, und nachdem die eigenen Heimat vom Staat mit Italienern geflutet worden war – da wird das Feuer freilich gelodert haben.

Andererseits, um dieses Feuer sprichwörtlich in Energie zu verwandeln, braucht es dann doch noch ein wenig mehr. Kerschbaumer selbst hat es einmal in einem Flugblatt geschrieben: „Wir dürfen nicht auf fremde Hilfe hoffen, wenn wir nicht alles getan haben, was in unserer eigenen Kraft liegt.“

Es sei, sagte Thaler, „viel zu selten … ein offizielles Wort des Dankes gekommen, für jene die sich in ganz Tirol, in Österreich und in Deutschland für Südtirol eingesetzt haben und beispielsweise auch heute noch nicht nach Südtirol einreisen dürfen.

Mir läuft es jedes Mal eiskalt über den Rücken wenn ich nur daran denke – und ich habe höchste Hochachtung und Bewunderung vor jedem, der in jener schweren Zeit nicht einfach abgewartet hat, sondern mutig zur Tat geschritten ist und ein hohes Risiko auf sich genommen hat. Nicht nur des persönlichen Scheiterns, sondern auch das Risiko, damit nicht genügend Durchschlagskraft zu haben. Euch dafür zu tadeln ist leicht; deshalb versuchen sich so viele darin.“

Thaler schloss seine Rede mit folgenden Worten: Die Männer, die vor über 60 Jahren ihr Leben für die Heimat gaben, sie haben einen hohen Preis bezahlt. Und damit sie ihn nicht umsonst bezahlt haben, sollten wir einstehen, wofür sie ihr Leben gaben. Für die Freiheit unserer Heimat. So wie es andere Völker in Europa uns versucht haben vorzumachen, hingefallen sind und wieder aufstehen.

Wir dürfen nicht auf fremde Hilfe hoffen, wenn wir nicht alles getan haben, was in unserer eigenen Kraft liegt – mit diesem Bewusstsein gehen wir hinaus, entzünden morgen Bergfeuer und zugleich auch wieder die Feuer in unserem Herzen. Die Worte von Sepp Kerschbaumer sollen uns Vermächtnis bleiben.“

(Bild: Südtiroler Schützenbund)
(Bild: Südtiroler Schützenbund)

Die Gedenkfeier fand ihren Abschluss mit einer Heldenehrung und Kranzniederlegung. Die Ehrenkompanie „Sepp Kerschbaumer“ aus Eppan feuerte eine Ehrensalve ab und dann stimmte die Musikkapelle Frangart das Lied vom „Guten Kameraden“ und die Landeshymne an.

Skurrilitäten

Natürlich durfte bei dem Gedenken an „60 Jahre Feuernacht“ eine zu erwarten gewesene Begleitmusik nicht fehlen.

Das Bozner italienische Nationalistenblatt „Alto Adige“ berichtete mit großer Schlagzeile , dass in „Frangarto“ der „Heimatbund“ dem „Zusammenleben eine Ohrfeige“ verpasst hätte.

Eine ähnliche Meinung wurde von unbekannter Hand auf einem in Welschtirol (Trentino) in italienischer Sprache gehaltenen Plakat des Südtiroler und Welschtiroler Schützenbundes und des Heimatbundes angebracht.

Der handschriftliche Kommentar lautete auf Deutsch: „Die Akte des Terrorismus sind zu verdammen! Die Feuernacht? = Zur Kristallnacht !!!!! (Anm.: Die Nacht, in der in der NS-Zeit Juden grausam verfolgt wurden) Schützen = Nazi schämt euch!!!“

In der Südtiroler Tageszeitung „Dolomiten“ erklärte der aus Norddeutschland zu uns herab gekommene Historiker Dr. Rolf Steiniger in einem großen Artikel den Lesern, dass sie die Autonomie nicht wegen, sondern trotz der kontraproduktiven Feuernacht bekommen hätten. Dr. Steininger genießt das Wohlwollen der hohen Politik und darf an der landeseigenen „Freien Universität“ in Bozen lehren. Wenn man seiner Argumentation folgt, dann war Rom offenbar von bestem Willen erfüllt, den Südtirolern eine gute Autonomie zu geben und hat dies auch trotz der Feuernacht aus lauter Edelmut getan. Wie wunderschön!

Schade ist nur, dass der damalige Landeshauptmann und Parteiobmann der „Südtiroler Volkspartei“ (SVP) Dr. Silvius Magnago als Südtiroler Chefunterhändler und „Vater der Autonomie“ die Dinge völlig kurzsichtig anders gesehen hat:

Ohne diese Taten keine „19er Kommission“

„Ich gebe auch zu: Wenn diese Taten nicht passiert wären, hätte es keine 19er Kommission gegeben.“ (Magnago am 30. August 1994 in einer „Club 2“-Diskussion im ORF über das Entstehen der vom italienischen Innenminister Scelba ins Leben gerufenen „19er Kommission“, welche sich mit der Ausarbeitung des 2. Autonomiestatutes befasste.)

 Bedeutender Beitrag zur Erlangung der Autonomie

„Die Anschlage von damals und die darauffolgenden Prozesse gehören, genau, wie vieles andere, zur Nachkriegsgeschichte Südtirols und stellen einen bedeutenden Beitrag zu dieser Geschichte und zur Erreichung einer besseren Autonomie für Südtirol dar.“ (Dr. Silvius Magnago im Südtiroler SVP-Parteiorgan „Volksbote“ am 8. April 1976.

 Traurig, dass Staaten sich erst rühren, nachdem Gewalt angewendet wurde

„Die Einsetzung der 19er-Kommission ist sicher unter dem Eindruck des damals Geschehenen erfolgt; es ist nur traurig, feststellen zu müssen, wie so oft auf dieser Welt, Staaten sich erst dann rühren, nachdem Gewalt angewendet wurde, anstatt dass diese zeitgerecht und in Ausübung ihrer demokratischen Befugnisse und Pflichten zum Rechten sehen.“ (Dr. Silvius Magnago. am 24. März 1976 auf der Landesversammlung der SVP in Meran. Quelle: ,,30 Jahre Pariser Vertrag“, herausgegeben von der Parteileitung der Südtiroler Volkspartei (SVP)

 Attentate gaben wesentlichen Anstoß zu ernsthaften Verhandlungen

„Die Attentate der Feuernacht haben einen wesentlichen Anstoß zu ernsthaften Verhandlungen gegeben.“ (Dr. Silvius Magnago am 24. März 1976 auf der Landesversammlung der SVP in Meran. Quelle: FF-Illustrierte Nr. 23, 2011)

 Die 19er Kommission wurde aufgrund der Anschläge gegründet

„Diese Kommission wurde nicht infolge der Proteste Österreichs oder unseres Zutuns gegründet, sondern weil Gewalttaten in Südtirol passiert sind.“ (Magnago im Interview mit der Tageszeitung „KURIER“ vom 6. 12. 1990)

 Anschläge haben zu Verhandlungen und zu dem neuen Autonomiestatut geführt

„Und dann kam es zur Feuernacht. Ich muss hier ganz klar sagen, dass diese Sprengstoffanschläge zu friedlichen Verhandlungen geführt haben und letztendlich zum neuen Autonomiestatut. Hätte es diese Anschläge nicht gegeben, wäre keine 19er Kommission gebildet worden, die die Aufgabe bekommen hat, sich mit der ganzen Autonomieproblematik, sagen wir, zu befassen und der Regierung neue Vorschläge zu unterbreiten.“ (Magnago im Interview in „Dolomiten“ vom 7. August 1991)

Schade, dass Dr. Magnago nicht mehr lebt. Sonst hätte er sich diese falschen Ansichten von Dr. Steiniger korrigieren lassen können.




Vor 60 Jahren: Der Donnerschlag der Feuernacht

1953: Eine verzweifelte Warnung – Der „Todesmarsch“ der Deutschen und Ladiner Südtirols

Kanonikus Michael Gamper und sein Warnruf in den „Dolomiten“ vom 28. Oktober 1953.
 Kanonikus Michael Gamper und sein Warnruf in den „Dolomiten“ vom 28. Oktober 1953.

Am 28. Oktober 1953 sah sich Kanonikus Michael Gamper, der große Vorkämpfer für die Rechte seiner Volksgruppe, veranlasst, in den „Dolomiten“ zu schreiben: „Die gewollte Unterwanderung unseres Volkes geht unaufhaltsam weiter. … Viele Zehntausende sind nach 1945 und nach Abschluss des Pariser Vertrages aus den südlichen Provinzen in unser Land eingewandert, während zur gleichen Zeit die Rückkehr von einigen Zehntausenden unserer umgesiedelten Landsleute unterbunden wurde. Von Jahr zu Jahr sinkt so der Prozentsatz der einheimischen Bevölkerung steil ab gegenüber dem unheimlichen Anschwellen der Einwanderer.

Fast mit mathematischer Sicherheit können wir den Zeitpunkt errechnen, zu dem wir nicht bloß innerhalb der zu unserer Majorisierung geschaffenen Region, sondern auch innerhalb der engeren Landesgrenzen eine wehrlose Minderheit bilden werden. Dies in einem Raume, in dem noch vor kurzem die Italiener nur drei Prozent der Gesamtbevölkerung ausgemacht hatten.

Es ist ein Todesmarsch, auf dem wir Südtiroler seit 1945 uns befinden, wenn nicht noch in letzter Stunde Rettung kommt.

Am 24. November 1953 wies auch der Nordtiroler Landeshauptmann Alois Grauß, ein ehemaliger Kaiserjäger aus dem Ersten Weltkrieg, im Tiroler Landtag auf den  von Kanonikus Gamper aufgezeigten „Todesmarsch“ hin und mahnte das Selbstbestimmungsrecht für Südtirol ein.

Der Nordtiroler Landeshauptmann Alois Grauß mahnte auch das Selbstbestimmungsrecht für Südtirol ein.
Der Nordtiroler Landeshauptmann Alois Grauß mahnte auch das Selbstbestimmungsrecht für Südtirol ein.

Das Entstehen des „Befreiungsausschusses Südtirol“ BAS

Ab 1956 hatte sich unter der Leitung des Frangarter Kleinbauern und Gemischtwarenhändlers Sepp Kerschbaumer der „Befreiungsausschuß Südtirol“ (BAS) gebildet, der entschlossen war, notfalls durch demonstrative Anschläge die internationale Öffentlichkeit aufzurütteln. Die ersten demonstrativen Anschläge der Jahre 1956 und 1957 wurden allerdings nicht von BAS-Leuten verübt, sondern von einem Kreis von Widerständlern um den Druckereiangestellten Hans Stieler in Bozen.

Versuche mit friedlichen Mitteln

Der damalige SVP-Ortsobmann Sepp Kerschbaumer versuchte zunächst mit friedlichen Mitteln eine Wende herbeizuführen. Er hisste demonstrativ am 20. Februar 1957, dem Todestag von Andreas Hofer, zwei Tiroler Fahnen an und vor der Frangarter Ortskirche. Daraufhin erschienen die Carabinieri und beschlagnahmten die Fahnen. (Bericht in der Tageszeitung „Dolomiten“ am 23. Februar 1957)

Der Frangarter Kaufmann Josef Kerschbaumer und seine „aufrührerische“ Straftat: Eine Tiroler Fahne, die Kerschbaumer zu Andreas Hofers Gedenken an dem Kirchturm in Frangart gehisst hatte.
Der Frangarter Kaufmann Josef Kerschbaumer und seine „aufrührerische“ Straftat: Eine Tiroler Fahne, die Kerschbaumer zu Andreas Hofers Gedenken an dem Kirchturm in Frangart gehisst hatte.

Kerschbaumer hängte am Herz-Jesu-Sonntag erneut zwei Tiroler Fahnen aus. Nun wurde er wegen „aufrührerischer Kundgebung“ vor Gericht gestellt und zu 10 Tagen Haft verurteilt, wobei der Artikel 654 („Grida e manifestazioni sediziose“ – „Aufrührerische Schreie und Kundgebungen“) des alten und immer noch in Geltung befindlichen faschistischen Strafgesetzbuches angewandt wurde. Der Staatsanwalt Dott. Mario Martin bezeichnete in der Verhandlung die Tiroler Fahnen abfällig als „stracci“ – als „Fetzen“. (Bericht der SVP-Wochenzeitung „Der Volksbote“ am 20. Juli 1957)

Kerschbaumer versandte zahlreiche Briefe und Flugblätter und richtete beschwörende Briefe an Südtirols Politiker, verstärkt für die Rechte des Landes einzutreten.

Ein von Sepp Kerschbaumer verfasstes und auf der Großkundgebung von Sigmundskron 1957 verteiltes Flugblatt.
Ein von Sepp Kerschbaumer verfasstes und auf der Großkundgebung von Sigmundskron 1957 verteiltes Flugblatt.

Das Scheitern friedlicher Mittel – Kerschbaumer kündigt Magnago künftige Anschläge an

Kerschbaumer und sein Freundeskreis mussten das Scheitern friedlicher Mittel zur Kenntnis nehmen. Südtirol verfügte über keine großen unkontrollierbaren Ballungszentren, in denen eine Untergrundbewegung friedliche aber politisch wirksame Massenbewegungen hätte organisieren können. Das ganze Land wurde durch polizeilichen Terror faschistischen Zuschnittes geduckt gehalten. Die Justiz agiert mit der Hilfe immer gültiger Polit-Paragraphen des alten faschistischen Strafgesetzbuches – ein Unikum in Europa! Angezeigt und eingesperrt wurde bei jedem Anlass:

1958 sprach der SVP-Ortsobmann Kerschbaumer bei seinem Parteiobmann Silvius Magnago vor und beklagte die Ergebnislosigkeit der Verhandlungen mit den Italienern. Er erklärte, dass Anschläge „auf Objekte, nicht auf Menschen“ durchgeführt werden müssten. Magnago erklärte, dass er Kerschbaumer nicht die Hände zubinden könne, warnte aber vor der Gefahr einer Parteiauflösung, wenn dieser als SVP-Ortsobmann in illegale Tätigkeiten verwickelt werde. Kerschbaumer zog aus diesem Gespräch die Konsequenz, nicht mehr zur Wahl als SVP-Ortsobmann anzutreten, jedoch den aktiven Widerstand weiter vorzubereiten. (Siehe: Josef Fontana / Hans Mayr: „Sepp Kerschbaumer“, Bozen 2000, S. 102f)

Die Mitwisserschaft weiterer hoher Politiker

Der Landtagsabgeordnete Rupert Zechtl (SPÖ)
Der Landtagsabgeordnete Rupert Zechtl (SPÖ)

Sepp Kerschbaumer war mit dem Nordtiroler Landtagsabgeordneten und späteren Landesrat Rupert Zechtl (SPÖ) befreundet, der voll in die Pläne des BAS eingeweiht wurde und darüber brieflich an Außenminister Bruno Kreisky (SPÖ) nach Wien berichtete. Diese Briefe sind im Kreisky-Archiv in Wien erhalten und dokumentieren die Mitwisserschaft der „hohen Politik“.

Zwei Ausschnitte aus einem Berichts Zechtls an Kreisky aus dem Jahre 1959.
Zwei Ausschnitte aus einem Berichts Zechtls an Kreisky aus dem Jahre 1959.

In Nordtirol organisierten die ehemaligen Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime, der Schriftsteller Wolfgang Pfaundler und der Universitätsassistent Helmut Heuberger zusammen mit dem Landesrat Aloys Oberhammer (ÖVP), dem Innsbrucker Kaufmann Kurt Welser, dem Schriftsteller Heinrich Klier und dem Innsbrucker Universitätsassistenten Norbert Burger die Unterstützung des BAS mit Geld und Sprengstoff. Ihnen standen in Wien der mächtige Zeitungsverleger Fritz Molden, ebenfalls ein ehemaliger Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime, und der spätere ORF-Chef Gerd Bacher als Mitverschworene zur Seite.

Die Mitverschworenen Helmut Heuberger, Wolfgang Pfaundler sowie die Brüder Otto und Fritz Molden (hier im Gespräch mit Außenminister Dr. Kreisky).
Die Mitverschworenen Helmut Heuberger, Wolfgang Pfaundler sowie die Brüder Otto und Fritz Molden (hier im Gespräch mit Außenminister Dr. Kreisky).

Es gab auch direkte Kontakte des BAS mit Außenminister Kreisky. Besprechungen mit Sepp Kerschbaumer, Wolfgang Pfaundler, den Südtiroler Schützenoffizieren Georg Klotz und Jörg Pircher sowie dem BAS-Mann Karl Tietscher sind aktenmäßig dokumentiert. Bezeugt sind auch Äußerungen von Kreisky, wonach es „auf ein paar Masten mehr oder weniger“ nicht ankommen solle.

In Südtirol waren SVP-Politiker wie Peter Brugger, Friedl Volgger, Franz Widmann und Hans Dietl näher eingeweiht.

Das endgültige Scheitern aller Verhandlungen

Am 25. Mai 1961 brachte Außenminister Kreisky bei den Südtirol-Verhandlungen in Klagenfurt neben den Autonomie-Forderungen der Südtiroler auch das geplante Ausbürgerungs-Gesetz zur Sprache und sagt dem italienischen Außenminister Segni ins Gesicht: „Wenn dieses Gesetz beschlossen wird, entsteht eine sehr ernste Situation … Ich sage Ihnen aber allen Ernstes, wenn dieses Gesetz zustande kommt, gibt es kein Verhandeln mehr.“

Die Verhandlungen scheiterten noch am selben Tag, weil die italienische Seite insgesamt zu keinerlei Zugeständnissen bereit war.

Bei den Verhandlungen warnte der österreichische Außenminister Bruno Kreisky (rechts) die italienische Seite eindringlich. Der italienische Außenminister Segni (links) und seine Delegation waren aber unbelehrbar.
Bei den Verhandlungen warnte der österreichische Außenminister Bruno Kreisky (rechts) die italienische Seite eindringlich. Der italienische Außenminister Segni (links) und seine Delegation waren aber unbelehrbar.

Die Situation duldete keinen Aufschub mehr – Der große Schlag der Feuernacht

In dieser Situation beschloss der BAS in einer Beratung im schweizerischen Zernez am 1. Juni 1961den großen Schlag der „Feuernacht“, um die Weltöffentlichkeit auf das Unhaltbare der Situation aufmerksam zu machen.

Die „Feuernacht“, das war die Herz-Jesu-Nacht vom 11. auf den 12. Juni 1961. In dieser Nacht wurden zahlreiche Feuer zum Gedenken an die Freiheitskämpfe von 1796 und 1809 abgebrannt und es waren zahlreiche Menschen unterwegs. So fielen auch die Attentäter des BAS nicht auf, als sie im ganzen Land Hochspannungsmasten mit Zeitzünder-gesteuerten Sprengladungen versahen.

Der Gründer des BAS, Sepp Kerschbaumer, war alles andere als ein ideologischer Fanatiker. Der tiefgläubige Christ betete mit seiner Familie täglich den Rosenkranz.
Der Gründer des BAS, Sepp Kerschbaumer, war alles andere als ein ideologischer Fanatiker. Der tiefgläubige Christ betete mit seiner Familie täglich den Rosenkranz.

Wie man den späteren Verhaftungslisten entnehmen kann, handelte es sich bei den Südtiroler Attentätern nicht um verhetzte Ideologen oder gar um Irre, sondern um durchwegs christlich gesinnte Bauern, Handwerker und Gewerbetreibende, die mit beiden Beinen auf dem Boden standen und die aus Verzweiflung einfach keinen anderen Ausweg mehr sahen, um die Entrechtung und Vernichtung ihrer Volksgruppe zu verhindern.

Zwei Männer des BAS: Links der Obstbauer Luis Amplatz, rechts der Schmied und Schützenmajor Georg Klotz.
Zwei Männer des BAS: Links der Obstbauer Luis Amplatz, rechts der Schmied und Schützenmajor Georg Klotz.

Die Nordtiroler Teilnehmer an der Feuernacht kamen zumeist aus gutbürgerlichen und teilweise akademischen Kreisen. Eine Reihe von ihnen reiste im Rahmen eines von dem Innsbrucker Komponisten und Musikprofessor Günther Andergassen organisierten Kulturausfluges „Pro Arte et Musica“ nach Oberitalien.

Der prominente Musiker Günther Andergassen war einer der wesentlichen Unterstützer des BAS.
Der prominente Musiker Günther Andergassen war einer der wesentlichen Unterstützer des BAS.

Auf dem Rückweg hielt der Bus am Abend in Bozen. Die Insassen schwärmten in die Umgebung aus und „luden“ ebenso wie ihre Südtiroler Freunde ausgewählte und ihnen zugewiesene Hochspannungsmasten. „Kurz nach Mitternacht bebte das Gebiet um den Bozner Talkessel fast zwei Stunden lang unter heftigen Explosionen, die in kurzen Abständen erfolgten, schlagartig die Nacht erhellten, um darauf die Stadt umso tiefer in Dunkelheit zu stürzen. Fenster barsten, viele Stadtbewohner stürmten von Panik getrieben auf die Straßen. Dasselbe im ganzen Land …“ (Franz Widmann: „Es stand nicht gut um Südtirol“, Bozen 1998, S. 561)

Zu den österreichischen Helfern des BAS hatte auch die Innsbrucker Restauratorin und Kunsthistorikerin Herlinde Molling gehört, die später einen authentischen Bericht in Buchform veröffentlichte. (Herlinde Molling: „So planten wir die Feuernacht“, Bozen 2011, ISBN 978-88-7283-406-0)
Zu den österreichischen Helfern des BAS hatte auch die Innsbrucker Restauratorin und Kunsthistorikerin Herlinde Molling gehört, die später einen authentischen Bericht in Buchform veröffentlichte. (Herlinde Molling: „So planten wir die Feuernacht“, Bozen 2011, ISBN 978-88-7283-406-0)

In der Herz-Jesu-Nacht wurden an die 40 Hochspannungsmasten gesprengt, 37 Masten erlitten Totalschaden, die anderen waren beschädigt.

Der Donnerschlag der Herz-Jesu-Nacht und die nach darauf folgenden Anschläge der nächsten Tage rückten mit einem Schlag das ungelöste Südtirolproblem in den Mittelpunkt internationaler Aufmerksamkeit.

Heimlich gestreutes Flugblatt des BAS zur Feuernacht.
Heimlich gestreutes Flugblatt des BAS zur Feuernacht.

Am nächsten Tag kam tragischer Weise bei der Salurner Klause der Straßenwärter Giovanni Postal ums Leben, als er eigenmächtig eine nicht detonierte Sprengladung entschärfen wollte.

Die Auswirkungen der „Feuernacht“

Der große Schlag der Feuernacht löste eine Reihe von Ereignissen aus: Massenhaft wurden Carabinieri, Polizei und Militär ins Land gebracht und in Militärlagern, Kasernen, Feldlagern und in beschlagnahmten Hotels untergebracht. Anfänglich waren es etwa 15.000 Mann, ihre Zahl sollte laut Medienberichten jedoch bis auf 45.000 steigen.

Rom reagierte auf die Anschläge mit Härte und mit unglaublichen Methoden des Terrors und der Folter. Die Welt blickt geschockt auf Südtirol.

Parallel zu den Repressionsmaßnahmen machte Rom aber nun ein direktes Autonomie-Verhandlungsangebot an die Südtiroler Volkspartei.

Die Feuernacht warf das Vorhaben des Ausbürgerungsgesetzes – eines wahrhaft gigantischen Anschlages auf die deutsche und ladinische Volksgruppe – auf den Müllhaufen der Geschichte und zwang die römische Regierung, in Verhandlungen mit der SVP eine politische Lösung zu suchen. Der Preis, den zahlreiche Freiheitskämpfer bezahlten, war jedoch ein schrecklicher: Folter, Tod, Erniedrigung – in einem Ausmaß, welches man im zivilisierten Mitteleuropa nach Hitler und Mussolini nicht mehr für möglich gehalten hatte.

Darüber Näheres in der nächsten Dokumentation




Warum es 1961 zur „Feuernacht“ kam

Vor 60 Jahren leitete ein bewegendes Ereignis das Ende einer gegenüber Südtirol Jahrzehnte lang geübten Zuwanderungs- und Entnationalisierungspolitik Roms ein. Der von ehemaligen Freiheitskämpfern und politischen Häftlingen gegründete „Südtiroler Heimatbund“ (SHB), der für die Landeseinheit Tirols eintritt, hat nachstehende Dokumentation veröffentlicht:

Die Nacht des „Herz-Jesu-Sonntags“ vom 11. Juni auf den 12. Juni 1961, als an die 40 Hochspannungsmasten in Südtirol in die Luft flogen oder zumindest schwer beschädigt wurden, ging als „Feuernacht“ in die Geschichte ein.

Die italienische Regierung und der Großteil der italienischen Presse stellten die Situation so dar, als sei die Behandlung der deutschen und ladinischen Volksgruppe stets vorbildlich gewesen. Bei den Attentätern des „Befreiungsausschusses Südtirol“ (BAS) handle es sich daher offenbar um „nazisti“ oder um Leute, die über Nacht verrückt geworden seien. Auch in Österreich fanden sich einige Nachbeter dieser Thesen.

Die Wahrheit ist allerdings eine andere. Um verstehen zu können, warum im Juni 1961 der Druckkessel in Südtirol platzte, muss man die Geschichte der Unterdrückung der Südtiroler in den Jahrzehnten davor kennen.

Die nachstehende Dokumentation stammt von Roland Lang,
Obmann des „Südtiroler Heimatbundes“ (SHB), und soll über diese Vorgeschichte einen Überblick liefern

Die „Politik der 51 Prozent“

Die geförderte Massenzuwanderung aus dem Süden

Das Ziel des Faschismus war es gewesen, einen zentralistisch regierten Staat mit einer homogenen Einheitsnation zu schaffen. Für das Weiterbestehen anderer Volksgruppen war in diesem Konzept kein Platz vorgesehen gewesen.

Die kulturelle Umformung der Südtiroler zu Italienern war von einer staatlich gelenkten und geförderten Masseneinwanderung begleitet worden, um die nicht zur Assimilierung bereiten Landesbewohner zur rechtlosen Minderheit im eigenen Lande zu machen. Nach 1945 wurde diese Politik konsequent fortgesetzt. Bereits im April 1954 hatte der italienische Generalkonsul in Innsbruck, Mario Paulucci, in einer geheimen Denkschrift für seine Regierung den Weg zur endgültigen Italianisierung Südtirols durch eine „Politik der 51 Prozent“ –  „politica del 51 percento – aufgezeigt. Um die möglichst rasche Majorisierung der Südtiroler zu erreichen, sei eine weitere progressive Industrialisierung Südtirols mit Schaffung neuer Arbeitsplätze für zuwandernde Italiener notwendig. Die Regierung in Rom handelte genau nach diesem Fahrplan.

Die Zahlen der amtlichen Volkszählungen geben hierzu Aufschluss:

  • 1900 lebten in Südtirol 88,8 % Deutsche, 4 % Ladiner, 4 % Italiener. (Rest: Andere)
  • 1921 lebten in Südtirol 75,9 % Deutsche, 3,9 % Ladiner, 10,6 % Italiener. (Rest: Andere)
  • (Zwischen 1921 und 1961 hatten keine Volkszählungen mit Sprachgruppenfeststellung stattgefunden, um das Ausmaß der forcierten Zuwanderung zu verschleiern.)
  • 1961 lebten in Südtirol 62,2 % Deutsche, 3,4 % Ladiner, 34,3 % Italiener. (Rest: Andere)

(Aus: Autonome Provinz Bozen/Landesamt für Statistik – Astat (Hrsg.): „1991 Südtirol in Zahlen“, Bozen 1991, S. 10)

Bei linearem Fortlauf der Zuwanderung hätte der italienische Sprachgruppen-Anteil etwa 1970 bis 1971 die 50 %-Marke erreicht und überschritten.

Die „Feuernacht“ beendete diese Entwicklung. In der Folge sollte es sogar zu einer Trendumkehr und Abnahme des italienischen Bevölkerungsanteils kommen.

Sie kamen in Massen aus dem Süden und erhielten nach kurzem Aufenthalt in Notquartieren mit öffentlichen Geldern errichtete Wohnungen zugeteilt.
Sie kamen in Massen aus dem Süden und erhielten nach kurzem Aufenthalt in Notquartieren mit öffentlichen Geldern errichtete Wohnungen zugeteilt.

Die Umsetzung des Entnationalisierungs-Plans: Die Errichtung der Industriezone in Bozen

Die Zuwanderer benötigten natürlich  Arbeitsplätze. Diese wurden für sie vor allem in Bozen geschaffen.

In der zügig weiter ausgebauten Industriezone in Bozen erhielten die Neuzuwanderer Arbeitsplätze.
In der zügig weiter ausgebauten Industriezone in Bozen erhielten die Neuzuwanderer Arbeitsplätze.

„Volkswohnbau“ als Mittel der Majorisierung

Die Zuwanderer benötigten auch Wohnungen. Die meisten Zuwanderer wurden in Bozen angesiedelt, das ein zunehmend südländisches Erscheinungsbild annahm.

Laut einem Bericht in der Tageszeitung „Dolomiten“ vom 28. April 1954 erklärte der Südtiroler SVP-Politiker Dr. Alfons Benedikter: Das vom Faschismus im Jahre 1934 gegründete sogenannte Volkswohnhäuserinstitut besitze „in unserer Provinz derzeit 2.876 Wohnungen, wovon nur 60 (!) von Südtirolern bewohnt sind. … Vom Jahre 1949 bis November 1953 sind in der Provinz Bozen 633 Volkswohnungen (INA-Casa-Wohnungen) gebaut worden … Von diesen 633 Wohnungen sind nur 69 Südtirolern zugewiesen worden.“

Mit öffentlichen Mitteln wurden neue Wohnviertel für die Neuankömmlinge aus dem Süden gebaut.
Mit öffentlichen Mitteln wurden neue Wohnviertel für die Neuankömmlinge aus dem Süden gebaut.

Am 12. Juni 1958 teilte der italienische Bürgermeister der Stadt Bozen, Giorgio Pasquali, auf einer Pressekonferenz mit, dass ein neuer Bauleitplan vorsehe, die Einwohnerzahl der Stadt Bozen von derzeit 83.000 auf 150.000 Menschen in etwa 30 bis 35 Jahren zu erhöhen. Es sollte auch die Ausdehnung der Industriezone verdoppelt werden. (Siehe: Franz Widmann: „Es stand nicht gut um Südtirol“, Bozen 1998, S. 430)

Anstellung in öffentlichen Ämtern

In einem Memorandum der Österreichischen Bundesregierung aus dem Jahre 1956 wurde die Politik der Postenvergabe im öffentlichen Dienst aufgezeigt.

Dazu lieferte das Memorandum folgende Aufstellung:

Aus dem Memorandum der österreichischen Bundesregierung vom 8. Oktober 1956. (Veröffentlicht als Beilage 7 im „Memorandum der österreichischen Bundesregierung zur Südtirolfrage“ vom 5. September 1960, welches im Herbst 1960 der Vollversammlung der Vereinten Nationen überreicht wurde)

Die Verweigerung einer echten Autonomie

Anstelle einer im „Pariser Vertrag“ von 1946 zugesagten Autonomie für Südtirol wurde den Südtirolern im Jahre 1948 ein betrügerisches Autonomiestatut für eine gemeinsame Region „Trentino – Alto Adige“ aufgezwungen, in welcher die Südtiroler im Regionalrat einer italienischen Mehrheit ausgeliefert waren.

Wie zur Zeit des Faschismus: Die Ächtung der Tiroler Farben und Symbole

Gesetzwidriges Vorgehen der italienischen Behörden in den Jahren 1946 bis 1960 gegen Tiroler Fahnen und Symbole, deren öffentliches Zeigen als „aufrührerische Kundgebung“ eingestuft und gerichtlich verfolgt wurde. Darüber erschien eine Unzahl von Berichten in den „Dolomiten“.

Der römische Kulturkampf gegen die Südtiroler

Die deutsche Sprache nur „Hilfssprache“ im Verkehr mit Ämtern – Mangelnde Doppelsprachigkeit bei Gericht – Verbot einsprachig deutscher Aufschriften – Die sorgsame Bewahrung der erfundenen faschistischen Ortsnamen – Italianisierung der Kindergärten – Keine Zuständigkeit der Südtiroler für ihr eigenes Schulwesen – Missbrauch der Schule zum Zwecke der Italianisierung – Zensur von Theateraufführungen.

Über die faschistische und nachfaschistische Schulpolitik in Südtirol hat die Historikerin Margareth Lun eine fesselnd zu lesende Dokumentation erstellt. (Margareth Lun: „Die Schule in Südtirol vom Faschismus bis zum Kriegsende“, in: Margareth Lun (Hrsg.): „Die Deutschen brauchen keine Schulen“, Effekt-Verlag Neumarkt/Südtirol 2020)
Über die faschistische und nachfaschistische Schulpolitik in Südtirol hat die Historikerin Margareth Lun eine fesselnd zu lesende Dokumentation erstellt. (Margareth Lun: „Die Schule in Südtirol vom Faschismus bis zum Kriegsende“, in: Margareth Lun (Hrsg.): „Die Deutschen brauchen keine Schulen“, Effekt-Verlag Neumarkt/Südtirol 2020)

Die Justiz als politische Waffe

Zahlreiche politische Prozesse in Südtirol unter Einsatz ehemaliger Faschisten als Staatsanwälte.

Die fortgesetzte Anwendung der politischen Paragraphen des alten faschistischen Strafrechts mit unglaublich hohen Strafrahmen: Zerstörung oder Herabdrückung des Nationalgefühls – Zerstörung des nationalen Empfindens – „Vilipendio“: Schmähung der italienischen Nation, Schmähung der Fahne oder anderer staatlicher Symbole – Anschlag auf die Einheit des Staates.

Darüber gibt es zahlreiche Berichte der „Dolomiten“ von 1946 bis 1961.

Unterdrückung und Übergriffe

Eine detaillierte Darstellung der auch nach 1945 andauernden Unterdrückung der Südtiroler würde den Rahmen der Darstellung sprengen.

Nachstehend nur einige wenige Beispiele aus einer Unzahl damaliger Berichte:

Bespitzelung der Bevölkerung und Verprügeln von Südtirolern durch Carabinieri

Am 28. Februar 1946 berichtete das SVP-Parteiorgan „Volksbote“ unter dem Titel „Ist es besser geworden?“ über solche Vorfälle.

Misshandlungen durch Carabinieri und Drohung der Einäscherung einer Ortschaft

Bericht in: „Dolomiten“ vom 4. Juni 1946. Bericht des Obmannes der SVP Tramin, Kurt Mair, vom 1. Juni 1946, sowie Bericht von Helene Menapace vom 1. Juni 1946, Tiroler Landesarchiv, Amt der Tiroler Landesregierung VIII K, Pos. 5-12, Südtirol, Jahr 1945 – 47, Karton Nr. 3.

1949 und 1957: Verbote eines Kongresses der europäischen Volksgruppen und Regionen

Artikel „Südtirol – Besser rot als deutsch“, in: „Der Spiegel“ vom 29. April 1953. „Dolomiten“ vom 15. November 1957

1956 und 1957: Verbote von SVP-Kundgebungen mithilfe eines faschistischen Sicherheitsgesetzes

„Dolomiten“ vom 20. September 1956 und vom 13. November 1957.

1957, 1959, 1960: Berichte über schwere Übergriffe der Carabinieri – Anwendung von Folter – Verprügeln von Bürgern

Günther Obwegs: „Freund, der du die Sonne noch schaust …“, Bozen 2004, S. 30. Bericht aus 1959: Tiroler Landesarchiv, Amt der Tiroler Landesregierung, Referat Südtirol, Jahr ca. 1957-1990, Karton Nr. 14. „Dolomiten“ vom 22. Februar 1960.

Einprügeln auf Kirchenbesucher – „Knüppelsonntag“ im Jahr 1960 in Bozen.

1957: Neofaschistische Übergriffe unter den Augen der Behörden

„Dolomiten“ vom 20. November 1957.

1958: Strafe für das Singen deutscher Lieder

Bericht des Bürgermeisters Saxl vom 25. Juni 1958. (Tiroler Landesarchiv, Amt der Tiroler Landesregierung, Referat Südtirol, Jahr ca. 1957-1990, Karton Nr. 14)

Februar 1961: Drohung mit Erschießen, Gewaltanwendung, Festnahme und Verhöre wegen des Singens deutscher Lieder

„Dolomiten“ vom 9. Februar 1961.

1961: Ein Vertreibungsgesetz droht

Bericht in den „Dolomiten“ über das geplante Vertreibungsgesetz.
Bericht in den „Dolomiten“ über das geplante Vertreibungsgesetz.

Am 27. April 1961 wurde ein von den Senatoren der „Democrazia Cristiana“ (DC) eingebrachter Antrag zur Novellierung des italienischen Staatsbürgerschaftsgesetzes im Senat mit einer großen Mehrheit angenommen. Dieser Gesetzesentwurf trug den Titel „Zur Ausbürgerung italienischer Staatsbürger, die sich der Republik gegenüber untreu verhalten“.

Dieses Gesetz sollte den Entzug der Staatsbürgerschaft von ehemaligen Südtiroler Optanten auf dem Verwaltungsweg ermöglichen. Das betraf die überwiegende Mehrheit der erwachsenen Bevölkerung deutscher und ladinischer Sprache.

Es fehlte nur noch die Bestätigung durch die Abgeordnetenkammer.

Die „Feuernacht“ hat im Juni 1961 dieses schändliche Projekt auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen.

Rom hatte bis dahin die Unterdrückung immer weiter gesteigert und die langjährige Geduld der Südtiroler mit einer Bereitschaft zur Selbstaufgabe verwechselt gehabt. Das Volk, welches bereits 1809 seine Wesensart aller Welt gezeigt hatte, war aber auch 1961 trotz aller Verzweiflung nicht zur Selbstaufgabe bereit gewesen – wie die „Feuernacht“ zeigen sollte.




Ein Gewerkschafter und Arbeiterkammerfunktionär als bedeutender Zeithistoriker

Es ist nicht alltäglich, dass ein ehemaliger Gewerkschafter und Arbeiterkammerfunktionär als Zeithistoriker bedeutende wissenschaftliche Wegmarkierungen setzt. Der aus einer Bozner Arbeiterfamilie stammende Günther Rauch tut dies mit seinen Forschungsergebnissen.

Bereits 2018 war seine Dokumentation „Italiens vergessenes Konzentrationslager Campo d’Isarco“ erschienen, 1919 gefolgt von der Dokumentation „KZ Campo d’Isarco: Tagebuch eines Wachsoldaten“. (Herausgeber „Südtiroler Heimatbund“ und „Verein Südtiroler Geschichte“. 2020 erschien sein Werk „Lautlose Opfer“. In diesen Dokumentationen schilderte Rauch, wie gnadenlos Faschismus und Nationalsozialismus mit ihren Opfern umgegangen waren.

Ebenfalls 2020 veröffentlichte er zusammen mit Josef Perkmann das Werk „Vergessene Geschichte – Die Zerschlagung der Südtiroler Arbeiterbewegung nach dem Ersten Weltkrieg“.

Nun ist aus der Feder von Günther Rauch ein herausragendes Heimatbuch über Bozen erschienen, welches auf über 600 Seiten tiefe Einblicke in die Kulturgeschichte und in die politische Geschichte Südtirols vermittelt.

Günther Rauch:

Bozner Obstplatz

Historisches und Alltägliches

Verlagsanstalt Athesia Bozen 2021
ISBN 978-88-8266-877-8
www.athesia.com
buchverlag@athesia.it

Dieses sichtlich von Heimatliebe getragene Werk führt uns zunächst zurück in das mittelalterliche Bozen und zeigt uns Schätze an Dokumenten und Bebilderung einschließlich alter Fresken aus historischen Gebäuden.

Günther Rauch führt uns dann durch die Jahrhunderte, indem er die Entwicklung der Kultur, des wirtschaftlichen, sozialen und religiösen Lebens vor uns ausbreitet.

Ausschnitt aus dem Gemälde „Der Obstplatz“ von1830. (Kunstmuseum des Servitenklosters in Innsbruck)
Ausschnitt aus dem Gemälde „Der Obstplatz“ von 1830. (Kunstmuseum des Servitenklosters in Innsbruck)

Die Dokumente und Bilder, die er uns zeigt, stammen nicht nur aus dem alten Bozen, sondern teilweise auch aus anderen Orten Tirols. Dieses Werk ist somit über den Rahmen Bozens hinaus ein Tiroler Geschichtsbuch.

Wir sehen die Handelsmessen und Bauernmärkte, erleben reiches Brauchtum und lernen die Badekultur und Gesundheitspflege ebenso wie die Buschenschenken und Wirtshäuser kennen.

Bild links: Bozner Kaufmann mit Bügelbrille. Gemälde aus der alten Pfarrkirche in Gries-Bozen (etwa aus der Zeit 1435 - 1517) Bild rechts: Zwei deutsche Kaufleute, Deckenfresko Pfarrkirche Martell.
Bild links: Bozner Kaufmann mit Bügelbrille. Gemälde aus der alten Pfarrkirche in Gries-Bozen (etwa aus der Zeit 1435 – 1517) Bild rechts: Zwei deutsche Kaufleute, Deckenfresko Pfarrkirche Martell.

Wir begegnen in der zunehmend an Bedeutung gewinnenden Stadt Bozen nicht nur begüterten Adeligen und umtriebigen Kaufleuten aus dem deutschen Norden und dem italienischen Süden, sondern auch Kulturschaffenden wie Mozart, Goethe und Herder. Im Zuge des politischen Geschehens erfahren wir, dass Andreas Hofer zeitweise sein Quartier im Gasthaus „Zur Sonne“ auf dem Obstplatz aufschlug.

Westeingang Lauben in Bozen mit alten Adels- und Bürgerhäusern
Westeingang Lauben in Bozen mit alten Adels- und Bürgerhäusern

Rauch schildert auch die jüngere Zeitgeschichte anhand bislang wenig bekannter Vorkommnisse zu Ende des Ersten Weltkrieges und in der Zeit des beginnenden Faschismus.

Es kam zu Gewalttaten, Aufrufen zum Boykott deutscher Geschäfte und zu allerlei Schikanen gegen deutsche Gewerbetreibende.

Sehr ergreifend schildert Rauch den faschistischen Überfall auf einen Trachtenumzug anlässlich der Bozner Messe am 21. April 1921 und die Ermordung des Südtiroler Lehrers Franz Innerhofer, der einen kleinen Buben vor der Gewalt der Faschisten retten wollte. Anhand sorgsam ausgewerteter Quellen gibt uns Rauch hier eine ebenso spannende wie bedrückende Schilderung des Geschehens, wie sie in einer derart gründlichen Form bislang noch nicht vorgelegen hat.

Bozner Faschisten mit ihrer Standarte
Bozner Faschisten mit ihrer Standarte

Der Autor Rauch dokumentiert auch die folgenden Jahre der faschistischen Gewaltherrschaft mit ihrer staatlich geförderten Entnationalisierung der Südtiroler und lässt uns den unter großen Gefahren abgehaltenen deutschen Geheimunterricht mitten in Bozen erleben.

Am oberen Obstplatz mitten in Bozen befand sich eine deutsche Geheimschule
Am oberen Obstplatz mitten in Bozen befand sich eine deutsche Geheimschule

Dieser geheime Unterricht fand in dem Haus der Familie Kinsele statt. Dort wurden an die sechzig bis siebzig Kinder in deutscher Muttersprache unterrichtet. Günther Rauch berichtet:

„Fanny Kinsele hatte mehrere Wohnzimmer für den Unterricht eigens adaptiert. Mit wenigen Mitteln und unter schwierigsten Bedingungen brachten die angehenden Hilfslehrerinnen jeden Donnerstag und Sonntag den in kleinen Gruppen aufgeteilten Kindern durch gezielte Sprach- und Leseübungen die Muttersprache bei. Der gesamte Unterricht wurde von Fanny Kinsele geleitet.“

Die Lehrerin Hilde Nicolussi-Castellan auf einem späteren Bild aus dem Jahre 1971 zusammen mit Schülerinnen. Sie hatte als Katakombenlehrerin im Hause Kinsele geheim unterrichtet.
Die Lehrerin Hilde Nicolussi-Castellan auf einem späteren Bild aus dem Jahre 1971 zusammen mit Schülerinnen. Sie hatte als Katakombenlehrerin im Hause Kinsele geheim unterrichtet.

Am Ende dieses Geschichtswerkes führt uns Rauch in die Gegenwart des heutigen Bozen.

Er schließt mit den Worten: „Was anderswo kopiert wird, ist in Bozen in einer mehr als 700-jährigen Geschichte mit Freud und Leid gewachsen.“

Bozner Obstplatz um 1875. Gemälde von Ferdinand Petzl. (Kunstgalerie Morandell GmbH Bozen)
Bozner Obstplatz um 1875. Gemälde von Ferdinand Petzl. (Kunstgalerie Morandell GmbH Bozen)

Dieses Buch lässt uns die Heimatgeschichte Bozens und ganz Südtirols in einer wunderschönen Weise erleben. Dem Autor sei herzlicher Dank gesagt!




Die Nibelungenhandschrift I und die mittelalterliche Adelskultur im Vinschgau

Blatt Nr.- 17r der Nibelungenlied-Handschrift I – Die Handschrift war 1797 im Besitz des Karl Graf Mohr. Daß er sie auch gelesen hat, beweisen Einträge, die er ohne Scheu vor dem Wert und der Einzigartigkeit der alten Handschrift dort eigenhändig gemacht hat.

Vorwort des Herausgebers Georg Dattenböck:

Daß wir die hervorstechende Arbeit von Dr. Georg Mühlberger hier abdrucken dürfen, verdanken wir Herrn Hubert Giesriegl, Herausgeber des vierteljährlichen Periodikums „Südtirol in Wort und Bild“ (www.deleatur.com ), wo dieser Beitrag in der Ausgabe Nr. 4/2003 erstmals erschienen ist.

In drei Ausgaben des „Südtirol Informationsdienstes“ konnten wir bereits auf die überragende Bedeutung Südtirols für die Entwicklung der deutschen Sprache und Kultur hinweisen, wo auch das heutige Thema berührt wurde:

Einer der bekanntesten Südtiroler Kulturhistoriker, Dr. Egon Kühebacher, schrieb in „Deutsche Heldenepik in Tirol. König Laurin und Dietrich von Bern in der Dichtung des Mittelalters“ [Vorwort, S. 5, Athesia-Verlag 1979]:

„Tirol gehört zu jenen Gebieten des deutschen Sprachraumes, wo sich die Heldendichtung länger als anderswo der Gunst der literarisch Interessierten erfreute“.

„Die Nibelungenhandschrift I“

von Dr. Georg Mühlberger

Der Autor dieses Beitrages, Dr. Georg Mühlberger, war 4 Jahre lang Vorsitzender des „Südtiroler Kulturinstituts“ und war Direktor des Realgymnasiums in Bozen. Er studierte Germanistik und Geschichte an der Universität Innsbruck, ist u.a. auch Verfasser des Buches „Die Kartause Allerengelberg in Schnals.“
Der Autor dieses Beitrages, Dr. Georg Mühlberger, war 4 Jahre lang Vorsitzender des „Südtiroler Kulturinstituts“ und war Direktor des Realgymnasiums in Bozen. Er studierte Germanistik und Geschichte an der Universität Innsbruck, ist u.a. auch Verfasser des Buches „Die Kartause Allerengelberg in Schnals.“

Es war vor genau 170 Jahren, im Jahre 1833, als der Benediktinerpater Beda Weber, Professor an der Schule in Meran, wohl in einem der damals noch vorhandenen oberen Stockwerke der Burg Obermontani bei Latsch im Vinschgau in einer Ansammlung von Pergamenten herumstöberte.

Benediktinerpater Beda Weber, der im Jahr 1833 in der Burg Obermontani die wertvolle Handschrift gefunden hat.
Benediktinerpater Beda Weber, der im Jahr 1833 in der Burg Obermontani die wertvolle Handschrift gefunden hat.

Das ganze alte Schriftzeug war dazu bestimmt, als Makulatur an einen Krämer in Latsch verkauft zu werden.

Beda Weber fischte ein paar Schriftbündel heraus und erstand sie um geringes Geld. Was er gefunden hatte, war nicht mehr und nicht weniger als eine wertvolle Handschrift des Nibelungenliedes und eine Handschrift des Jüngeren Titurel.

Die Burg Obermontani, in beherrschender Lage am Eingang des Martelltales bei Morter im Vinschgau, beherbergte eine wertvolle Bibliothek. Diese wurde um 1833 aufgelöst, der Bestand an Handschriften und Büchern verkauft und unwiederbringlich zerstreut.
Die Burg Obermontani, in beherrschender Lage am Eingang des Martelltales bei Morter im Vinschgau, beherbergte eine wertvolle Bibliothek. Diese wurde um 1833 aufgelöst, der Bestand an Handschriften und Büchern verkauft und unwiederbringlich zerstreut.

 Es ist anzunehmen, daß der Gelehrte die Bedeutung seines Fundes erkannt hatte, dennoch hat er aus damaliger Sicht die historische Bedeutung des Ereignisses anders eingeschätzt, als wir es heute tun würden.

Er verkaufte die beiden Manuskripte um 200 fl an den Buchhändler Asher in Berlin, von dem sie die königlich-preußische Staatsbibliothek 1837 um angeblich 2000 fl – entspricht einem heutigen Wert von rund Euro 100.000,00 – erwarb.

Innenansicht der Ruine Obermontani mit den noch erkennbaren herrschaftlichen Räumen im 2. Obergeschoß, wo man den Aufbewahrungsort und Fundort der Handschrift vermuten darf. Die Burg war vom 17. bis zum frühen 19. Jahrhundert im Besitz der Grafen Mohr.
Innenansicht der Ruine Obermontani mit den noch erkennbaren herrschaftlichen Räumen im 2. Obergeschoß, wo man den Aufbewahrungsort und Fundort der Handschrift vermuten darf. Die Burg war vom 17. bis zum frühen 19. Jahrhundert im Besitz der Grafen Mohr.

Seither befindet sich, die hier auf Obermontani aufgefundene literaturhistorische Kostbarkeit, in Berlin unter der Signatur Ms germ. fol. 474. Die Nibelungenhandschrift, die in der Systematik die Bezeichnung mit dem Buchstaben I trägt, besteht aus 68 dicht beschriebenen Blättern im Format von 24 cm Höhe und 18 cm Breite.

Blatt Nr. 38v der Handschrift I – „Wie Gunther fur in Etzilen lant.“ Die auf dieser Seite wiedergegebenen Strophen beschrieben den von Warnungen begleiteten Aufbruch der Burgunden ins Hunnenland.
Blatt Nr. 38v der Handschrift I – „Wie Gunther fur in Etzilen lant.“ Die auf dieser Seite wiedergegebenen Strophen beschrieben den von Warnungen begleiteten Aufbruch der Burgunden ins Hunnenland.

 Fragezeichen bis heute

 Versetzen wir uns zurück in die Zeit um 1200. Es ist die Blütezeit der ritterlich höfischen Dichtung. Literatur wird in der höfischen Gesellschaft ein kulturelles Moment. Die Dichter treten aus ihrer Anonymität heraus, sie nehmen sich auch gegenseitig aufmerksam und kritisch zur Kenntnis. Es gibt eine Vielzahl von Anspielungen und wechselseitigen Bezugnahmen in den Werken der großen höfischen Epiker und Lyriker wie Hartmann von Aue, Wolfram von Eschenbach oder Walther von der Vogelweide. Gottfried von Straßburg stellt in seinem Epos Tristan und Isolde alle wichtigen Dichterpersönlichkeiten der Zeit vor.

Und dennoch: Unser Heldenepos hat es spätestens im Jahre 1204 bereits gegeben, da Wolfram von Eschenbach in seinem „Parzifal“ darauf anspielt. Das Nibelungenlied, ein „Bestseller“ über Jahrhunderte, hat doch das Geheimnis seiner Entstehung bis heute nicht preisgegeben.

Im Gegenteil: Der seit fast zweihundert Jahren anhaltende Gelehrtenstreit hat bis in die jüngste Zeit durch Funde von Handschriften-Fragmenten mehrfach neue Nahrung bekommen und geht erhitzt weiter.

 Mündliche Überlieferungstradition

Als sogenanntes Heldenepos steht das Nibelungenlied in einer mündlichen Überlieferungstradition. Der mündliche Erzähler trat als Sänger auf, nicht als Autor. Er erzählt die Geschichte ohne großen dichterischen Spielraum.

In 39 Abschnitten, Aventiuren genannt, beziehungsweise in insgesamt 2400 Strophen, erzählt das Nibelungenlied in einem ersten Teil die Geschichte von Kriemhild und Siegfried, die mit dessen Ermordung tragisch endet, und in einem zweiten Teil Kriemhilds Rache an den Burgundern.

Drei Sagenkreise sind ineinander verflochten. Das Nibelungenlied ist für den Gesangvortrag bestimmt. Die authentische Melodie ist nicht überliefert. Der mittelalterliche Sänger begleitet sich selbst auf der Harfe.

Handschriften entstehen

Der Literaturbetrieb, der gegen Ende des 12. Jahrhunderts an weltlichen Fürstenhöfen einsetzt, führt zu einer neuen Entwicklung. Erstmals wird auch die bis dahin mündlich tradierte Heldenepik in schriftliche Form gefasst; dennoch hat die mündliche Literaturüberlieferung, vor allem im Bereich der Heldenepik, noch lange Zeit weitergelebt und zur Entstehung der voneinander abweichenden Fassungen beigetragen. Die Abweichungen sind in den verschiedenen Handschriften zu beobachte. Die Tatsache, daß das Epos ab dem 13. Jahrhundert handschriftlich aufgezeichnet wurde, lässt den Schluss zu, daß seine mündliche Überlieferung erst ab diesem Zeitpunkt nicht mehr gewährleistet war.

Von Hand zu Hand überliefert

Die Entstehungszeit der in Obermontani aufgefundenen Handschrift dürfte um 1300 anzusetzen sein. Sie zählt zu den vier ältesten, in denen das um 1200 entstandene Nibelungenlied aufgezeichnet worden ist.

Nach dem heutigen Forschungsstand ist die Handschrift I wahrscheinlich in Tirol nach einer alamannischen Vorlage geschrieben worden. Sie fügt sich damit in die guten Produktionsbedingungen für literarische Handschriften, die es im süd- und südwestdeutschen Raum und besonders im südlichen Tirol gegeben zu haben scheint.

Ein Besitzeintrag aus dem 15. Jahrhundert weist sie als dem Anton Annenberger aus dem alten Vinschgauer Adelsgeschlecht gehörende aus.

Die Grafen Mohr beerbten im 17. Jahrhundert die ausgestorbenen Annenberger und verfügten damit auch über die bedeutende Bibliothek auf Schloss Annenberg.

Ein auf der Handschrift vermerkter Kommentar zeigt, daß Karl Graf Mohr noch 1797 in dieser Handschrift der Nibelungen gelesen hat. Er schrieb amüsiert unter anderem:

Wie Chubnig Gunther von Burgund Erstenacht Brunnhilden von Isenstain am Rheine beslafen wolt und si in hend und füsse band un ihn an ein nagel auf gehankht“ (fol. 16v/17r).

Gehobene Lebenskultur im Geiste der Spätgotik zeigt der mit Maßwerk, Blattranken und Wimpergen prachtvoll gestaltete dreisitzige Chorstuhl von Annenberg.
Gehobene Lebenskultur im Geiste der Spätgotik zeigt der mit Maßwerk, Blattranken und Wimpergen prachtvoll gestaltete dreisitzige Chorstuhl von Annenberg.

 Das Interesse des Grafen, der damals noch Herr auf Obermontani war, rückt den Fundort in den Vordergrund, wirft aber auch ein Licht auf den literarischen Geschmack des Adels. Wenn wir diesen weiter in die Geschichte bis ins Mittelalter zurückverfolgen, stellt sich uns die Frage: Was war das für eine Gesellschaft, die das Publikum für die fahrenden Sänger bildete und welche Bedürfnisse hatte sie?

Das neue Lebensgefühl der frühen Neuzeit spricht aus dem Renaissance-Altar von Annenberg.
Das neue Lebensgefühl der frühen Neuzeit spricht aus dem Renaissance-Altar von Annenberg.

Glanz und Luxus der höfischen Gesellschaft

Der Dichter, der im Donauraum den Stoff um 1200 zu unserem Nibelungenlied gestaltet hat, bearbeitete einen Stoff, den das Publikum seiner Zeit schon gut kannte. Es ist reizvoll zu beobachten, wie im Nibelungenlied, dessen stoffliche Quellen gut ein halbes Jahrtausend älter sind als die Niederschrift, alte germanisch-heidnische Wertvorstellungen mit der Fassade des höfischen Lebensstils kontrastieren.

Eine Vielzahl von Strophen sind der Schilderung von ritterlichen Kämpfen, Jagden Festen gewidmet, die Beschreibung der kostbaren Gewänder und der äußeren Schönheit will oft kein Ende nehmen. Umso tragischer wirkt der Absturz in die Tragödie.

Dieser Glanz der ritterlich-höfischen Gesellschaft, der ein Stück gestaltete, wenn auch alltagsferne Selbstdarstellung ist, wirkt nach, tief hinein ins 13. und ins 14. Jahrhundert, in eine Zeit, die durch Naturkatastrophen, durch politische und religiöse Verunsicherung und durch Erscheinungen eines allgemeinen Niedergangs einschneidende Veränderung des Lebensgefühls mit sich gebracht hat.

Höfische Selbstdarstellung in den Fresken von Lichtenberg

Um dieses Lebensgefühl an einem räumlich naheliegenden Beispiel zu betrachten, werfen wir einen Blick auf die Burg Lichtenberg, deren Fresken – heute im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum Innsbruck – ein besonders eindrucksvolles und seltenes Beispiel profaner Malerei darstellen.

Die Fresken verraten einen hohen Stand der Malkunst. Die Inhalte und Motive dieser Malerei weisen auf eine anspruchsvolle und souveräne Sicht der ritterlichen Kultur hin. Der rote Faden, der von der Erschaffung der Welt und des Menschen über die Vertreibung aus dem Paradies in die Welt und die Bilder des höfischen Lebens, des höfischen Epos und auch der Heldensage führt, scheint die Sehnsucht nach dem Glanz einer zu Ende gehenden Epoche auszudrücken; nach der Welt des Rittertums und ihren Mythen.

Das Glücksrad als Symbol für die Unbeständigkeit des irdischen Glücks. Die Szene mit dem Glücksrad stellt die anderen Bilder des Lichtenberger Freskenzyklus, die den Glanz des höfischen Lebens zeigen, in einen aussagekräftigen Zusammenhang. Die vor der Zerstörung bewahrten Fresken befinden sich im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum.
Das Glücksrad als Symbol für die Unbeständigkeit des irdischen Glücks. Die Szene mit dem Glücksrad stellt die anderen Bilder des Lichtenberger Freskenzyklus, die den Glanz des höfischen Lebens zeigen, in einen aussagekräftigen Zusammenhang. Die vor der Zerstörung bewahrten Fresken befinden sich im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum.

Die Sage von König Laurin und seinem Rosengarten ist eine räumlich gleichsam vor Ort festgemachte Szenerie für ritterliches Kämpfen und Handeln. Mit dem Auftritt Dietrichs von Bern, der auf den Fresken mit „der perner“ bezeichnet ist und der gegen den Zwergenkönig Laurin kämpft, schließt sich der Bogen zu großen Welt der Dietrichsage, zur Geschichte der Völkerwanderungszeit und zu jener Gestalt, die – als Inbegriff ritterlichen Edelmuts – am Ende des Nibelungenliedes tragisch und unfreiwillig in das blutige Rachegeschehen am Hunnenhof involviert wird.

Die in der Malerei wiedergegebenen Details, zum Beispiel bei Rüstungs- und Waffendarstellungen, bei der Darstellung der Kleidung mit ihren modischen Accessoires (Quasten, Schellen, Fransen, Schnabelschuhe…), der  Prunk der Turniere, das Lanzenstechen, Jagdszenen haben ihr Gegenstück in der Ausführlichkeit, mit der solche Dinge im Nibelungenlied beschrieben sind.

Auch die Fresken auf Schloss Runkelstein bei Bozen spiegeln diese Vorliebe wider. Die Nähe des landesfürstlichen Hofes in Meran hat das Selbstverständnis und den Kunstsinn der adeligen Gesellschaft im Vinschgau sicher nicht unwesentlich beeinflusst. Doch scheint sich diese gesellschaftliche Welt in einer Flucht nach rückwärts zu befinden, in der nochmals festgehalten werden soll, was verloren zu gehen droht.

Ausschnitt aus den Fresken von Runkelstein, die wie ein Bilderbuch des höfischen Lebens Einblick geben in das Lebensgefühl des späten Mittelalters.
Ausschnitt aus den Fresken von Runkelstein, die wie ein Bilderbuch des höfischen Lebens Einblick geben in das Lebensgefühl des späten Mittelalters.

Die alte Bibliothek auf Schloss Annenberg

Der schon erwähnte Besitzeintrag auf der Nibelungenhandschrift, der diese dem Anton von Annenberg zuschreibt, lenkt unseren Blick auf die der Ruine Obermontani gegenüberliegende Talseite, auf Schloss Annenberg.

Die mächtige Burganlage Annenberg, die in ihren Ursprüngen mittelalterlich ist, zeigt in ihren repräsentativen Erweiterungsbauten und Bastionen und auch in der Kapelle aus der Zeit um 1517 den Ausdruck der Zeit Maximilians I. Das Verhältnis Maximilian I. zur mittelalterlichen Heldenepik ist im Ambraser Heldenbuch dokumentiert.
Die mächtige Burganlage Annenberg, die in ihren Ursprüngen mittelalterlich ist, zeigt in ihren repräsentativen Erweiterungsbauten und Bastionen und auch in der Kapelle aus der Zeit um 1517 den Ausdruck der Zeit Maximilians I. Das Verhältnis Maximilian I. zur mittelalterlichen Heldenepik ist im Ambraser Heldenbuch dokumentiert.

Einige noch erhaltene Kunstgegenstände, wie der Annenberger Altar und der Annenberger Chorstuhl – beide im Museum Ferdinandeum Innsbruck – oder der gotische Waschkasten – im Museum für angewandte Kunst in Wien – zeugen von der gehobenen Lebenskultur auf Annenberg. Nach der Überlieferungslage war die Bibliothek der Annenberger im 15. Jahrhundert die bedeutendste in privatem, weltlichem Besitz im Vinschgau, wenn nicht überhaupt in Tirol.

Die Annenberger hatten sich als Dienstleute der Grafen von Tirol seit der Mitte des 13. Jahrhunderts zu einem einflussreichen Geschlecht entwickelt und waren im Beitz mehrerer Burgen im mittleren Vinschgau.

Die Blütezeit der Bibliothek auf Schloss Annenberg geht zurück auf Anton von Annnenberg (1420-1480), der sich nach Studium in Burgund und am Rhein auf seinem Schloss offensichtlich mit Hingabe seinen gelehrten Interessen widmete. Der Bestand der Annenberger Bibliothek, der einen reichen Bestand an Handschriften und Inkunabeln umfasste, lässt auf einen gehobenen Bildungsstand im Vinschgauer Adel schließen, der wohl auch aus Anton von Annenbergs Sammlertätigkeit Vorteile gezogen hat.

Es fällt auf, daß er mit besonderem Interesse deutsche Übersetzungen und überhaupt für die deutsche Literatur gesammelt hat, wofür die erst in späterer Zeit aufgespürten Handschriften bedeutender Werke mittelalterlicher Literatur beredtes Zeugnis geben.

Es ist wohl kein Zufall, daß sich im 15. Jahrhundert unter den Nachfahren Antons ein Mann mit Namen Parzival findet.

Daß in einem solchen Ambiente Kostbarkeiten wie die Handschrift I und auch andere ihren Platz hatten, versteht sich wohl von selbst. Ein glücklicher Zufall hat die Nibelungenhandschrift im 19. Jahrhundert gleichsam an Land gespült. Auch wenn sie unserem Land nicht erhalten geblieben ist, darf sie doch als geistiger Besitz mit diesen Ausführungen in Erinnerung gerufen werden.

Liebe, Betrug und Rache

Der Handlungsverlauf des Nibelungenliedes lässt sich, sehr verkürzt, etwa so zusammenfassen: Der strahlende Held Siegfried, der den Drachen getötet und den Schatz der Nibelungen, eines Zwergengeschlechtes, errungen hat, zieht nach Worms und wirbt um Kriemhild, die Schwester Burgunderkönigs Gunther.

Dieser will seinerseits die Königin Brünhilde vom Isenstein zur Frau gewinnen. Wer um sie wirbt, muss sie, die übermenschliche Körperkraft besitz, im Speerwerfen und Springen besiegen. Wer daran scheitert ist des Todes. Siegfried, der sich, dank seiner Tarnkappe, unsichtbar machen kann, verhilft Gunther im Zweikampf zum Sieg, muss Gunther allerdings in der zweiten Hochzeitsnacht noch ein weiteres Mal helfen, die Kraft Brünhilds zu brechen.

Siegfried, der für seine Dienste Kriemhild zur Frau bekommen hat, erzählt dieser vom Betrug.

Zehn Jahre später lädt Gunther die beiden anlässlich großer Festlichkeiten nach Worms. Kriemhild und Brünhilde geraten in Streit über die Vorzüge ihrer Gatten. Die erzürnte Kriemhild verrät, auf welche Weise seinerzeit Brünhilde überwunden worden war.

Brünhild sinnt auf Rache, zieht Hagen von Tronje ins Vertrauen und verlangt den Tod Siegfrieds. Widerwillig muss auch Gunther zustimmen. Hagen ermordet Siegfried auf einem Jagdausflug.

Mit Siegfrieds Tod scheint auch Kriemhilds Leben abgeschlossen. Aber sie sinnt auf Rache, und als, nach dreizehn Jahren, der Hunnenkönig Attila um ihre Hand anhält willigt sie ein. Als Attila nach weiteren dreizehn Jahren die Burgunderkönige zu einem großen Fest an seinen Hof lädt, treten diese trotz der Warnungen Hagens mit großem Gefolge die Fahrt an, von der sie nicht mehr zurückkehren sollten.

Auch die Warnungen Dietrichs von Bern, der sich mit seinem Waffenmeister Hildebrand am Hof des Hunnenkönigs aufhält, kommen zu spät. Kriemhild nimmt grausame Rache an ihren Verwandten. Schließlich ist nur noch Hagen am Leben, in Fesseln gelegt von Dietrich von Bern. Kriemhild verlangt vergebens, daß er ihr die Stelle am Rhein verrate, wo der Nibelungenschatz versenkt ist. Hagen fällt durch Kriemhilds Hand und nimmt das Geheimnis mit in den Tod.

Hildebrand tötet Kriemhild und beendet die blutige Tragödie.




Vor 100 Jahren: „Bozner Blutsonntag“ – schweres Unheil kündigte sich an

Der „Südtiroler Heimatbund“ (SHB), eine von ehemaligen Südtiroler Freiheitskämpfern und politischen Häftlingen gegründete, Vereinigung, die für die Selbstbestimmung Südtirols eintritt, hat mit nachstehender Presseaussendung an ein ebenso bedeutsames wie trauriges Ereignis in der Geschichte des Landes erinnert.

Dass es den Faschisten darum ging, Südtirol seiner Tiroler Identität zu berauben, wurde schon vor ihrer Machtergreifung klar. Als anlässlich der Abhaltung der ersten Bozner Messe nach dem Ersten Weltkrieg verlautete, dass als Rahmenveranstaltung am 24. April 1921 ein großer Trachtenumzug stattfinden sollte, hatte das die Faschisten auch außerhalb Südtirols alarmiert.

Diese betrachteten die Mehrheit der Südtiroler als „germanisierte“ ursprüngliche Italiener und die Ladiner waren in ihren Augen ohnedies nichts anderes als abtrünnige Italiener. Es galt aus der Sicht der Faschisten, der Bekundung Tiroler Identität entschieden entgegen zu treten.

Aufruf zur faschistischen „Strafexpedition“

Einer der vielen Aufrufe des Zentralkomitees der „Fasci“ in Mailand.
Einer der vielen Aufrufe des Zentralkomitees der „Fasci“ in Mailand.

Das Zentralkomitee der „Fasci di Combattimento“ („Faschistische Kampftruppen“) in Mailand richtete am 16. April 1821 ein Schreiben an die politischen Sekretäre der Fasci von Brescia und Verona, das zur Teilnahme an einer „Strafexpedition“ am 24. April in Bozen aufforderte. In dem Schreiben hieß es (in deutscher Übersetzung):

„Verehrte Freunde des Direktionskomitees der Fasci von Brescia und Verona – Der Fascio di combattimento von Bozen hat beschlossen, am Sonntag, den 24. des laufenden Monats, eine Kundgebung der Italianita zu veranstalten. Sie ist unbedingt nötig, da die Tiroler an diesem Tag in Massen in Tracht auftreten werden, um ihre Ansprüche auf die Stadt zu erheben, den äußersten Wachposten des Vaterlandes.

Obwohl der Wahlkampf die Faschisten mehr oder weniger überall in Anspruch nimmt, glaubt dieses Zentralkomitee diesen kühnen Manipel der treuen Italiener doch nicht im Stich lassen zu können; deshalb ersucht es Euch innig dafür zu sorgen, dass eine möglichst umfangreiche Squadra am kommenden Sonntagmorgen nach Bozen kommt. … Wir rechnen mit Eurer Solidarität und Eurem Opferwillen.“ (Wiedergegeben in: Stefan Lechner: „Die Eroberung der Fremdstämmigen – Provinzfaschismus in Südtirol 1921-1926“, Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs Band 20, Innsbruck 2005, S. 125)

Am Sonntag, den 24. April 1921, entstiegen mehrere hundert Faschisten, unter ihnen eine berüchtigte Veroneser Schlägertruppe, einem aus dem Süden kommenden Zug. Sie waren mit Totschlägern, Revolvern und sogar mit Handgranaten ausgerüstet. Die italienischen Behörden hatten sie nicht am Kommen gehindert, obwohl seit Freitag allgemein bekannt gewesen war, dass die Faschisten kommen würden.

Als sie nun unter Gebrüll von Hetzliedern hinter einer schwarzen Fahne durch die Stadt zogen, sprachen Vertretungen besorgter Südtiroler bei dem Regierungskommissär Credaro vor, um den Schutz des am Nachmittag stattfindenden Trachtenumzuges zu erbitten. Dieser Schutz wurde versprochen, in der Folge aber nicht gewährt. Den Faschisten wurden von den Carabinieri nicht einmal die Waffen abgenommen.

Die bewaffneten Faschisten mischten sich in den Festumzug
Die bewaffneten Faschisten mischten sich in den Festumzug

Als sich am Nachmittag unter dem Spiel zahlreicher Musikkapellen der Trachtenfestzug in Bewegung setzte, mischten sich die Faschisten gruppenweise in Viererreihen in den Umzug. Sie gingen dann mit Knüppeln, Pistolen und Handgranaten auf die Festteilnehmer los. Als der Schulleiter Franz Innerhofer aus Marling, der in der Marlinger Musikkapelle die Trommel geschlagen hatte, nun den 8jährigen Hans Theiner aus Marling in einen Hausflur in Sicherheit bringen wollte, schoss ein Faschist ihm in den Rücken und Innerhofer musste verbluten. Insgesamt gab es an die 50 Verwundete, von denen einer, der Sagschneider Johann Baptist Dapra vom Schloss Ried bei Bozen, einige Tage später ebenfalls verstarb. Die Sicherheitsorgane einschließlich des italienischen Militärs hatten den Faschisten freie Hand gelassen. Die italienische Presse hetzte mehrheitlich gegen die Südtiroler. Die Polizei und die Justizbehörden wollten offenbar die Täter nicht ermitteln.

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Innerhofer wurde erschossen, als er den kleinen Hans Theiner retten wollte.

Nach den Bluttaten setzten sich die Faschisten vor dem Hotel „Kaiserkrone“ an dort aufgestellten Tischen zusammen, „wo bereits Offiziere“ der italienischen Streitkräfte ihrer harrten, wie die die Zeitung „Der Tiroler“ am 26. April 1921 berichtete. „Ihre Waffen auf die Tische legend erzählten sie sich laut brüstend von ihren Verbrechen, und die Offiziere unterhielten sich aufs freundlichste mit den Kerlen.“

Aus „Der Tiroler“ vom 26. April 1921
Aus „Der Tiroler“ vom 26. April 1921

Über die Heimreise der faschistischen Horden berichtete „Der Tiroler“: „Als die Zeit gekommen war, dass die Faschistenbande wieder heimfahren wollte, zog sie unter dem ehrenden Geleite von Offizieren zum Bahnhofe, vor dem sie nochmals Aufstellung nahmen und Reden schwangen, die von nationalistischem Gehetz nur so sprühten. Endlich stiegen sie unter Geschrei in den Zug ein. Bei der Abfahrt ließen die Kerle noch einmal ihrem Deutschenhasse die Zügel schießen, indem sie mit ihren Revolvern herumfeuerten, als ob es mit den bereits verübten Bluttaten noch immer nicht genug wäre. Bei diesen Schießereien wurde denn auch noch ein Mann getroffen, und zwar ein in den Überetscher Zug eingestiegener Bauer, namens Fran Kofler aus Eppan. Die Kugel drang dem Manne durch den Hals. Es ist nur einem ganz besonderen Glück zuzuschreiben, dass das Projektil weder die Schlagader noch den Halswirbel traf.“

Dieses schlimme Geschehen ließ erahnen, was nach einer Machtergreifung des Faschismus noch auf die Südtiroler Bevölkerung zukommen sollte.

Einen Tag nach den Gewalttaten fand am Viehmarktplatz in Bozen eine große Südtiroler Protestkundgebung statt, an der auch empörte Italiener teilnahmen. Das italienische Militär hatte vorsichtshalber Geschütze und Maschinengewehre in Stellung gebracht, offenbar um einen  allfälligen Volksaufstand verhindern zu können.

Die Protestversammlung auf dem Viehmarktplatz in Bozen, auf welcher der Abgeordnete Dr. Reut-Nicolussi zu den Versammelten sprach.
Die Protestversammlung auf dem Viehmarktplatz in Bozen, auf welcher der Abgeordnete Dr. Reut-Nicolussi zu den Versammelten sprach.

Der Südtiroler Parlamentsabgeordnete Dr. Eduard Reut-Nicolussi erklärte unter tosendem Beifall der Bevölkerung: „Dieser Tote liegt da drüben, aber wenn die Faschisten geglaubt haben, dass mit dem Franz Innerhofer unsere deutsche Treue erschlagen sei, dann haben sie sich getäuscht, bei Gott!“ (Zitiert aus „Landeszeitung“ vom 26. April 1921)

Heute erinnert in Bozen am Ort der Ermordung Innerhofers am Ansitz Stillendorf in Bozen eine Gedenktafel an ihn.

Gedenken an Franz Innerhofer

Am 26. April 1931, dem 10. Jahrestag der Ermordung Innerhofers, fand am Rennweg in Innsbruck die Enthüllung einer von dem „Andreas Hofer-Bund – Tirol“ gestifteten Gedenktafel statt.

Die Enthüllung der Gedenktafel in Innsbruck in Gegenwart von Angehörigen des Ermordeten.
Die Enthüllung der Gedenktafel in Innsbruck in Gegenwart von Angehörigen des Ermordeten.

Diese Tafel wurde 1938 unter angesichts der nationalsozialistisch-faschistischen Freundschaft abgetragen und erst nach dem Krieg wieder im Volkskunstmuseum in Innsbruck entdeckt. Eine Neuanfertigung wurde von dem „Andreas Hofer-Bund – Tirol“ 2017 an einem Gedenkstein auf dem Tummelplatz in Innsbruck im Rahmen einer Feier enthüllt.

Bericht in der „Kronen-Zeitung“ über die Neuerrichtung des Denkmals.
Bericht in der „Kronen-Zeitung“ über die Neuerrichtung des Denkmals.

Anstelle des durch eine Krankheit in der Familie verhinderten Obmannes des „Südtiroler Heimatbundes“ (SHB) Roland Lang (Bild links), hatte der Südtiroler ehemalige politische Häftling Meinrad Berger (Bild rechts) dessen Grußworte mit einer Würdigung von Franz Innerhofer überbracht.

Im Jahr 1981 veröffentliche der Südtiroler Landesbeamte, Heimatpfleger, Publizist und Historiker Dr. Norbert Mumelter aus Anlass der 60. Wiederkehr des Todestages Innerhofers die Gedenkschrift „24. April 1921 – DER BOZNER BLUTSONNTAG und sein Todesopfer Franz Innerhofer“.

Eine ergänzte Neuauflage dieser Dokumentation wurde anlässlich des 90. Todestages von Franz Innerhofer 2011 durch den Effekt-Verlag in Neumarkt a. d. Etsch mit einem Beitrag des Landeskommandanten des Südtiroler Schützenbundes, Elmar Thaler, herausgebracht. Die Südtiroler Schützen hatten bereits 1996 anlässlich des 75. Todestages Innerhofers eine große Gedenkfeier in Bozen mit einem Marsch zum „Siegesdenkmal“abgehalten. Dort hatten sie die Umbenennung des Siegesplatzes in „Franz Innerhofer Platz“ gefordert und eine selbstgefertigte Tafel angebracht, die dann von empörten italienischen Nationalisten wieder entfernt wurde.

Diese und andere Initiativen hatten im Jahr 2011 endlich dazu geführt, dass in Bozen vor dem Universitätsgebäude nun offiziell ein Platz nach Franz Innerhofer benannt wurde.

Wir gedenken jetzt nach 100 Jahren dieses mutigen Landsmannes und werden auch in Zukunft dazu beitragen, dass sein Andenken nicht in der Vergessenheit versinkt.

 Roland Lang
Obmann des „Südtiroler Heimatbundes“ (SHB)

 Gedenkfeier in Marling

Zur 100. Wiederkehr des Todestages von Franz Innerhofer hat auch die Schützenkompanie Marling am Samstagnachmittag zusammen mit Abordnungen zahlreicher Schützenkompanien, der Musikkapelle Marling, der Gemeindeverwaltung sowie den Bürgern von Marling in einer gemeinsamen Feier Franz Innerhofer und der Ereignisse von 1921 gedacht.

Auf dieser Gedenkveranstaltung erzählte Reinhard Wetzel, ein Enkel Franz Innerhofers, vom Leben seines Großvaters.

In seiner Rede hob er den vielseitigen Einsatz Franz Innerhofers in seiner Heimatgemeinde Marling hervor: Dieser war nicht nur ein beliebter und ausgezeichneter Pädagoge, sondern hielt unter anderem Kurse für die bäuerliche Jugend, beriet Bauern speziell in bürokratischen Angelegenheiten, war Chorleiter sowie Organist und schlug die Trommel bei der Musikkapelle. „Er war ein aufrechter Tiroler, der seine Pflicht getan hat und sich seiner Verantwortung gestellt hat, und als solchen sollten wir ihn in Erinnerung behalten.“

Briefe, Ehrensalve und Kranzniederlegung

Neben den bewegenden Worten Wetzels wurden Briefe in Erinnerung an den „Bozner Blutsonntag“ von einer Marketenderin der Schützenkompanie Marling verlesen. Zusätzlich berichtete Rodolfo Weber, ein Welschtiroler Schütze, über den Tod von Giovanni Battista Daprà, der im Gemenge vom 24. April 1921 schwerverletzt wurde und seinen Verletzungen kurze Zeit später erlag. Die Gedenkfeier endete mit einer Ehrensalve durch die Schützenkompanie Marling und einer Kranzniederlegung. (Bilder und Textausschnitte: „Südtiroler Schützenbund“ https://schuetzen.com/)

Gedenkfeier in Bozen

 Am Samstag, den 24. April 2021 organisierte die Schützenkompanie Bozen gemeinsam mit der Schützenkompanie „Mjr. Eisenstecken“ Gries zum 100. Todestag des ersten italofaschistischen Opfers im italienisch besetzen Tirol – Franz Innerhofer – eine Gedenkfeier.

 Die Gedenkfeier in Bozen fand am Ort des Mordes an Franz Innerhofer statt. Dazu trafen sich die Schützen mit den zwei Fahnenrotten am Kirchplatz der Herz-Jesu-Kirche. Dort wurde eine kurze liturgische Feier mit Pater Klaus vom Eucharistinerkloster mit abschließender Segnung des Kranzes abgehalten.

Anschließend begab man sich zum nahen Ansitz Stillendorf, wo der Mordanschlag vor 100 Jahren geschah. Dort wurde um 12 Uhr die feierliche Kranzniederlegung durchgeführt. Der Hauptmann der Bozner Schützenkompanie gedachte im Anschluss mit einer kurzen Ansprache zum Thema Faschismus vor 100 Jahren und heute. Eine kurze Gedenkrede hielt auch Vizebürgermeister Luis Walcher.

(Bild und Bericht von: Schützenkompanie Bozen und Schützenkompanie „Mjr. Eisenstecken“ Gries)




Der „verworfene Rebellen-Chef“ Josef Speckbacher

Josef Speckbacher mit einem Steckbrief aus dem Jahre 1813 (Bildkomposition: SID)

Ein historischer Bericht von Georg Dattenböck anläßlich des Todestages von Josef Speckbacher am 28. März.

Steckbrief gegen Josef Speckbacher aus dem Jahre 1813:

„Der berüchtigte Insurgentenchef Speckbacher, der schon im Jahre 1809 zu dem Unglück des Landes so viel beigetragen, wagt einen neuerlichen Versuch, das Volk zu einem Aufstand zu bewegen, um den Oesterreichern in der Eroberung des Landes zuvorzukommen.

Welche furchtbaren Folgen ein Versuch dieser Art haben müßte, kann keinem Verständigen entgehen. Nicht nur die gerechte Strafe des Aufruhrs gegen den rechtmäßigen König und Herrn, sondern auch, wenn im Laufe des Krieges österreichische Truppen wirklich Tirol in Besitz nehmen sollten, die wohlverdiente, strenge Ahndung Oesterreichs über einen so frevelhaften Versuch müßten unvermeidlich das ganze Land mit dem Schuldigen treffen! –

Wackre Bürger, redliche Landleute! Ich rechne auf euch, daß ihr Aufforderungen dieser Art mit gerechtem Abscheu zurückweisen werdet, aber ich fordere euch zugleich auf, gegen die Uebelgesinnten, zum Umsturz der Ordnung in jedem Augenblicke Bereiteten, Plünderungslustigen, mit der höchsten Aufmerksamkeit zu wachen.

Vor allem aber ist die Ergreifung eines Mannes höchst wünschenswert, der verwegen genug seinen ehrgeizigen Absichten das Glück des ganzen Landes aufzuopfern versucht. Ich fordere daher alle Rechtschaffenen auf, sich dieses verworfenen Rebellen-Chefs zu bemächtigen, und sichre jedem der ihn todt oder lebendig einliefert die Prämie von Ein tausend Dukaten zu.

Innsbruck den 12ten September 1813.

 Der General-Commissär des Innkreises Freyherr von Lerchenfeld.“

Dr. Eva Klotz, ehemals Abgeordnete zum Südtiroler Landtag und Tochter des Schützenmajors Jörg Klotz aus St. Leonhard im Passeier, schrieb 2008 einleitend in der von Prof. Nerio de Carlo verfassten Broschüre „Andreas Hofer in der Deutschen Literatur“:

„Tradition ist nicht nur Vergangenheit. Sie ist eine Dimension der Gegenwart, von deren Berücksichtigung oder Ablehnung die Stärke der eigenen Person, der eigenen Freiheit und der eigenen Lebensgestaltung abhängen. Die Tradition lebt, wenn sie von einer Generation der nächsten überliefert wird. Wenn diese Überlieferung unterbrochen wird, verliert man mit der Tradition auch die Identität. In unserer Zeit wird die Kunst des Erzählens vernachlässigt. Wenn die Eltern nicht mehr erzählen, finden die Kinder auf viele Fragen keine Antwort mehr. Das entfremdet ein Volk seiner eigenen Geschichte, zerstört den Gemeinschaftssinn und trübt den Blick für die Zukunft“.

Aus diesen von Frau Klotz genannten Gründen sei hier die Lebensgeschichte eines Tiroler Patrioten wieder in Erinnerung gerufen, der in einer politisch/militärisch überaus explosiven Zeit, weit über sich hinauswuchs und zu einem vom Volk anerkannten, militärischen Führer der Aufständischen und zum totalen Schrecken aller französischen Generäle und Truppen in Tirol wurde!

 Josef Speckbachers Herkunft

Speckbacher wurde am 13.6.1767 in Gnadenwald (erwähnt 1313 als „gemain auf dem Wald“) geboren. „Die eigentliche Geburtsstätte des Helden ist urkundlich das Gut Nr. 16, genannt der Unterspöck im äußeren Gnadenwalde, anderthalb Stunden von Hall entfernt.

Sein Vater war Bau- und Brennholz-Lieferant für das Personal des Salzberges zu Hall. Schon Speckbacher’s Großvater soll sich bei der feindlichen Invasion im Jahre 1703 ausgezeichnet haben und dieser Umstand soll in dem Enkel das Verlangen, in gleicher Weise sich hervorzutun, geweckt haben.

Als der Vater unseres Speckbacher starb, war er 76 Jahre alt und hinterließ 8 Kinder am Leben. Sieben Jahre später folgte die Mutter dem Gatten ins Grab, und das ansehnliche Vermögen, welches vorhanden war, wurde für die zurückgelassenen, noch unmündigen Waisen von Vormündern ehrlich verwaltet.

Josef wuchs körperlich mächtig heran. Er liebte besonders die Jagd, und scheute vor keiner Gefahr zurück, auch nicht in Kämpfen mit Jägern und Wildschützen.

Um ihn von dieser Beschäftigung, bei welcher durch seine Waghalsigkeit selbst sein Leben bedroht war, einigermaßen abzuziehen, gelang es seinen Verwandten und älteren Brüdern, ihn in eine feste Anstellung beim Bergbau zu bringen.

Im Jahre 1794 verheiratete sich Speckbacher mit Maria Schmiederer von Rinn, einem braven Mädchen, das ein schönes Anwesen besaß. Von diesem Besitzthum rührt die ihm geschichtlich gewordene Bezeichnung: „Der Mann von Rinn“. Er erwarb sich bald allgemeine Achtung und wurde auch zum Mitgliede des Gerichts-Ausschusses gewählt. (Constantin von Wurzbach: Speckbacher, Joseph. In: Biographisches Lexikon des Kaiserthums Österreich; 36.Theil, Wien 1878, S. 119–130)

Der Hof in Rinn liegt auf 900 m Höhe, 10 km von Innsbruck entfernt. Der Name Rinn stammt aus dem althochdeutschen „runna“ (Wassergraben). Die erste urkundliche Erwähnung von „Runna“ erfolgte 981 (Zeitschrift des Ferdinandeums III H. 57).
Der Hof in Rinn liegt auf 900 m Höhe, 10 km von Innsbruck entfernt. Der Name Rinn stammt aus dem althochdeutschen „runna“ (Wassergraben). Die erste urkundliche Erwähnung von „Runna“ erfolgte 981 (Zeitschrift des Ferdinandeums III H. 57).

Im Zuge der bairischen Besiedelung und Landnahme im 5./6. Jahrhundert gehörte Hall zum Inntalgau. Die Vogteigewalt der späteren Grafschaft Tirol wurde von den Bischöfen von Brixen an die Grafen v. Andechs verliehen, die ihren Stammsitz am Ammersee in Oberbayern hatten, jedoch von Amras aus in Tirol herrschten. Die erste urkundliche Erwähnung der Andechser erfolgte 1070, 1248 starben sie aus. Albert III. (*1180, †1253), der letzte aus dem Geschlecht der Tiroler Grafen, Vogt v. Trient und ab 1210 auch von Brixen, erwarb den Tiroler Besitz der Andechser und der Grafen v. Eppan und vereinigte die Grafschaften im Gebirge zum Land Tirol. 1254 wurde dieses als „dominium“ oder „comecia Tyrolis“ bezeichnet. Durch die Ehe seiner Tochter Adelheid mit Meinhard III. v. Görz (Meinhard I. v. Tirol) ging das Erbe der Tiroler Grafen an die Görzer Grafen über. 1363 trat Margarethe Maultasch das Land Tirol an die Habsburger ab.

Als einfacher Schütze in dem Kampf um Spinges

Bereits beim Kampf um Springes war Josef Speckbacher 1797 als einfacher Schütze beteiligt gewesen. Springes liegt in der Gemeinde Mühlbach, am Übergang vom Puster- in das Eisacktal auf 1105 m Höhe.

Dieses Denkmal bei Springes nennt die Namen der damals gefallenen Tiroler. (Foto Judith Lechner)
Dieses Denkmal bei Springes nennt die Namen der damals gefallenen Tiroler. (Foto Judith Lechner)

 Unter dem Kommando des Generals Joubert waren im März 1797 französische Truppen über Trient und Bozen bis Brixen marschiert.

Am 2. April 1797 hatten österreichische Truppen, zusammen mit dem Tiroler Landsturm, die Franzosen angegriffen.

Es hatte sich der heroische Kampf um Springes entwickelt, bei dem sich besonders die Tiroler Landstürmer aus den Gerichten Sonnenburg und Rettenberg auszeichneten. Unter diesen auch Josef Speckbacher, der als einfacher Schütze unter dem Befehl von Major Dr. Philipp von Wörndle mitkämpfte. Die Tiroler hatten die ihnen zugeteilte Munition sehr rasch verschossen. Mit dem von Philipp von Wörndle ausgegebenen Losungswort: „Schlagen, schlagen!“ stürmten die Tiroler mit ihren primitiven Schlag- und Stichwaffen und mit umgedrehten Gewehren, auf die bestens ausgerüsteten französischen Truppen los.

Über die Magd Katharina Lanz (*1771 in St.Vigl, †1854), die als „Mädchen von Springes“ in die Geschichte einging, wird berichtet:

„Man sah hier unter anderen eine Bauernmagd aus Spinges, die mit zusammengegürtetem Unterkleide und fliegenden Haaren auf der Friedhofsmauer stehend die anstürmenden Feinde mit ihrer kräftig geführten Heugabel hinunterstieß.“

Andreas (Anderl) Speckbacher

Am 26. Februar 1798 wurde Josef Speckbacher der Sohn Andreas geboren. Der Bub erbte das feurige Wesen des Vaters: Am 29. Mai 1809, im größten Kartätschenfeuer der Franzosen bei der Innbrücke in Hall, erlebte Speckbacher, als Anführer der Bauernstreitmacht, einen gewaltigen Schreck. Im wildesten Kampfgetümmel sah er plötzlich seinen damals elfjährigen Buben neben sich, der es zu Hause nicht mehr aushielt und mitkämpfen wollte. Der Vater brachte den Sohn aus der Kampfzone und befahl ihm, daheim bei der Mutter zu bleiben und ihr im Hauswesen zu helfen.

Als Speckbacher am 22. September 1809 in seiner Befehlsstelle in St. Johann im Bärenwirt einen Kriegsrat abhielt, sah er durch das Fenster hinter einer Unterinntaler Kompanie einen bewaffneten Knaben: wiederum war es sein Sohn! Die Mutter hatte den Buben auf eine entlegene Alm geschickt, doch der Junge brannte durch und schloss sich einer Schützenkompanie an.

Josef Speckbacher und sein Sohn Anderl. (Gemälde von Franz von Defregger 1869) Das berührende Bild zeigt die Wirtsstube im Bärenwirt zu St. Johann, wo Speckbacher Kriegsrat hält. Sein bewaffneter Sohn Anderl tritt mit Schützen ein und überrascht den Vater.
Josef Speckbacher und sein Sohn Anderl. (Gemälde von Franz von Defregger 1869) Das berührende Bild zeigt die Wirtsstube im Bärenwirt zu St. Johann, wo Speckbacher Kriegsrat hält. Sein bewaffneter Sohn Anderl tritt mit Schützen ein und überrascht den Vater.

Dieses von seinem Sohn Andreas angefertigte Miniaturgemälde zeigt Josef Speckbacher mit der ihm vom Kaiser persönlich verliehenen Auszeichnung.
Dieses von seinem Sohn Andreas angefertigte Miniaturgemälde zeigt Josef Speckbacher mit der ihm vom Kaiser persönlich verliehenen Auszeichnung.

Man steckte den Buben in einen Schützenanzug und, da er barfuß war, erhielt er Schuhe und dazu einen Hut mit der dazugehörenden Schützenfeder.

Der Vater, schwankend zwischen Zorn und Freude, nahm seinen Jungen zu sich und dieser mußte ab nun all die Gefahren und großen Beschwerden der Märsche und wilden Gefechte an Vaters Seite bestehen.

In der Schlacht von Mellek am 17.10.1809 wurde Andreas von bayrischen Soldaten gefangen. Seinem Vater gelang die Flucht, obwohl er durch Kolbenstöße in die Nieren schwer verletzt wurde. Andreas wurde vom bayrischen König stark gefördert: er wurde in eine Schule gesteckt, lernte Latein, Italienisch und Französisch, hatte auch Musikunterricht und war siebenmal der Erste seiner Klasse. Nach sieben Jahren wurde er nach Hause entlassen.

Nur 36 Jahre alt, starb Andreas Speckbacher am 25.3.1834 als Jenbacher k.k. Bergwerks- und Hüttenverwalter und wurde am Friedhof in Hall beerdigt. Aus seiner Ehe mit Aloisia Mayr stammten die Töchter Luise (†1893) und Emilie (†1912).

Die „Innsbrucker Nachrichten“ berichteten am 20. September 1913:

 Der Todesmut der Tiroler

In allen überlieferten Berichten wurde das todesmutige Verhalten der aufständischen Tiroler hervorgehoben. Man muss nicht sehr tief graben, um die Ursache für die schweren Wunden in der Tiroler Seele und für deren Verhalten im Kampf mit den Besatzern zu finden: Es war die völlige Missachtung der menschlichen Würde, die sich in der bewussten Verletzung der religiösen Bräuche und Gefühle, der Missachtung von Jahrhunderte alten Freiheiten und Traditionen, sowie der sehr brutalen Behandlung durch die Eroberer äußerte.

Als ein anschauliches Beispiel unter vielen, sei hier ein Bericht des Aufstandsplaners und Zeitzeugen, Freiherr Josef von Hormayr, wiedergegeben. Hormayr berichtete über das schriftlich niedergelegte Entsetzen des bayerischen Generalleutnants Fürst Karl Philipp von Wrede, (*1767, †1838) über das keine Grenzen mehr kennende Rauben, Morden, Sengen und Brennen seiner eigenen Soldaten.

In einem Tagesbefehl an seine Soldaten, ausgegeben in seinem Tiroler Hauptquartier in Ellmau am 12. Mai 1809, schrieb sich der Generalleutnant Wrede seine totale Fassungslosigkeit von seiner Seele:

„Ich habe heute und gestern, wo ich Ursache hatte, über so manche tapfere That der Division zufrieden zu sein, Grausamkeiten, Mordthaten, Plünderungen, Mordbrennereien sehen müssen, die das Innerste meiner Seele angriffen und mir jeden frohen Augenblick, den ich bisher über die Thaten der Division hatte, verbittern.

Wahr ist es, Soldaten! Wir haben heute und gestern gegen rebellische, durch das Haus Oesterreich und dessen kraftlose Versprechungen irre geführte Unterthanen unseres allgeliebten Königs gekämpft: aber wer hat euch das Recht eingeräumt, selbst die Unbewaffneten zu morden, die Häuser und Hütten zu plündern und Feuer in Häusern und Dörfern anzulegen??

Soldaten! Ich frage euch, wie tief sind heute und gestern eure Gefühle von Menschlichkeit gesunken? Blicket zurück auf den Weg von Lofer hierher, auf die Brandstätten, auf die geplünderten Dörfer, auf jene Leichen, die ohne Waffen in der Hand gemordet worden sind.

Euer General, dessen einziger Stolz und Glückseligkeit es war, wann eure moralischen Handlungen, euere Disciplin eueren militairischen Thaten gleichblieben, spricht mit Thränen in den Augen zu euch und sagt euch, daß eure Gefühle von Menschlichkeit in Grausamkeit ausgeartet sind.

Ich fordere euch auf, von heute an wieder das zu sein, was ihr sein sollet und müsset, Soldaten und Menschen. Ich schmeichle mir, die Mehrheit unter euch wird meiner Stimme folgen; sollten gegen Erwarten Unwürdige unter euch sein, die von heute an noch einen Unbewaffneten morden, die Häuser plündern und anzünden, so bin ich gezwungen, Beispiele zu geben, die solchen schändlichen Handlungen angemessen sind. Einen solchen Plünderer, Mörder oder Brenner todt schießen zu lassen, würde zu ehrenvoll für ihn sein; ich erkläre daher, daß der Erste, der noch eine solche schimpfliche Handlung begeht, am ersten Baume aufgehangen wird.

Ich befehle, daß gegenwärtiger Tagesbefehl heute und morgen dreimal  bei der gesammten Mannschaft verlesen werden soll, ebenso, daß morgen früh um 3 Uhr die beiden Herren Brigadiers, das Artilleriecommando und das dritte Chevauxlegers-Regimentscommando alle Tornister, Mantelsäcke und Wägen, ebenso die Marquetenderwägen visitieren lassen sollen und daß ohne Unterschied alles geraubte Gut der Mannschaft abgenommen, dem hiesigen Pfarrer zur Übersendung nach St. Johann und Rückerstattung an die Eigenthümer gegen Schein übergeben werden soll. Der Herr Regiments-, Bataillons- oder Batterie-Commandant, von welchem noch ein Mann auf dem Marsche austritt und betreten wird, daß er in ein Haus gehet, oder den Biwak bei Tage oder bei Nacht verläßt, wird acht Tage lang durch Profosen zu Fuß auf dem Marsche geführt und wenn es zum zweiten Mal geschieht, seiner Majestät dem König gemeldet werden.

Wrede, Generallieutenant“.

(In: Josef Hormayr: „Das Land Tyrol und der Tyrolerkrieg von 1809. Zweiter Theil. Geschichte Andreas Hofer’s Sandwirths aus Passeyr, Oberanführer der Tyroler im Kriege von 1809“,  2. Auflage; Leipzig 1845, S. 112ff)

Die Tiroler wehrten sich in schier übermenschlichem Wagemut. Im Distrikt von Hall war Josef Speckbacher die Seele des Aufstandes. Ein Erlebnis- und Augenzeuge von 1809 berichtete über Speckbacher‘s Wesen:

„Bei Gefechten ihn anordnen oder befehlen zu sehen, war in der That etwas Ungewöhnliches (…)  In einer Minute war er hier und dort, allüberall; er hatte dann etwas Unnennbares, Unheimliches, ja Dämonisches, jeder Zoll wahrhaftiger Krieger, jeder Nerv ein Mann der That.“ (Zitiert aus: Kaufmännische Zeitschrift“, Wien, 1. Januar 1882)

In einer wertvollen, äußerst akribisch verfassten Diplomarbeit unter dem Titel: „Tote Tiroler“ (Universität Innsbruck 2009) mit vielen Tabellen und erforschten Namen der Gefallenen, dokumentierte Peter Andorfer die Zahl der im Jahre 1809 gefallenen deutschsprachigen Tiroler mit etwa 1.367. (https://totetiroler.acdh.oeaw.ac.at/static/webpage/pdf/Andorfer_Totetiroler_2009.pdf)

Dieses von seinem Sohn Andreas angefertigte Miniaturgemälde zeigt Josef Speckbacher mit der ihm vom Kaiser persönlich verliehenen Auszeichnung.
 

Vier solcher Standeslisten, auf denen die unter Josef Speckbacher kämpfenden Tulfer Schützen angeführt sind, werden im Pfarrarchiv Tulfes aufbewahrt. (Quelle: „Heimatkundliche Beiträge des Museums- und Kulturvereines St. Johann in Tirol“, Nr. 14, Herbst 2009)

 Steinlawinen als eine Waffe der Tiroler

Die Tiroler wehrten sich mit allen Mitteln und ließen sogar vorbereitete Steinlawinen auf die Besatzer niedergehen, wie der Historiker Meinrad Pizzinini berichtet:

„Schützen und Landsturmaufgebote unter der Führung von Joachim Haspinger, dem ‚Pater Rotbart‘, Josef Speckbacher und Peter Mayr hatten sich das Gelände zunutze gemacht und Steinlawinen vorbereitet, die auf die Soldaten niederbrausten. … Nicht nur die zielsicheren Stutzen taten ihre Wirkung, die von den Hängen herabdonnernden Steinlawinen verbreiteten besondere Schrecken und begruben viele Feinde unter sich.“ (Meinrad Pizzinini: „Andreas Hofer“, Wien 1984, S. 137 und S. 139)

Eine alte Postkarte: „Die Freiheitskriege - Aufstand in Tirol“.
Eine alte Postkarte: „Die Freiheitskriege – Aufstand in Tirol“.

Ein berühmter bayerischer Historiker rühmte Josef Speckbacher

Der 1897 durch den Prinzregent Luitpold mit dem Ritterkreuz des „Verdienstordens der Bayerischen Krone“ ausgezeichnete bayerische Historiker Karl Theodor Ritter von Heigel, Mitglied in der Abteilung für Wissenschaft des Maximiliansordens für Wissenschaft und Kunst, sowie korrespondierendes Mitglied in der Preußischen Akademie der Wissenschaften und Ehrenbürger der Stadt München, schrieb in der „Allgemeine Deutsche Biographie“ über Josef Speckbacher eine berührende Lebensgeschichte, die hier in Auszügen zitiert werden soll:

„Josef Speckbacher war sein Leben lang ein Draufgänger, er zeichnete sich durch Schlauheit und einen ans Tollkühne grenzenden Mut aus. Er wurde als ein Feuergeist, Feuerkopf, als tollkühner Unfried, Insurgent, Halunke, kühner Recke, unerschrockener Haudegen, Räuberhauptmann, Rebellenchef und als Held von Rinn bezeichnet.

Speckbacher hatte ausdruckvolle Gesichtszüge, ein ungemein scharfes Auge, eine hohe Gestalt, festen Körperbau und ungewöhnliche Muskelkraft. Auch seine Geisteseigenschaften erhoben ihn über Andere. Er vereinigte Scharfsinn und Kühnheit in seinen Plänen, volle Beharrlichkeit und unaufhaltsame Energie, oft Verwegenheit in der Ausführung, Muth und List in Noth und Gefahr. Immer thatkräftig und rasch entschlossen, schwankte er selten in der Wahl der Mittel. Dem Hause Oesterreich mit Leib und Seele zugethan, voll feuriger Liebe zu den heimathlichen Bergen, im Innthal überall gekannt und geachtet, war Niemand bereiter, der Volksbewaffnung sich anzuschließen, und Niemand geeigneter, eine wichtige Rolle dabei zu übernehmen.“

Vom österreichischen Feldmarschall Chasteler, schrieb Heigel, „ist schriftlich bezeugt, daß Joseph S. bei Beginn der Erhebung treffliche Dienste leistete, indem er allenthalben die Landsleute zu den Waffen rief und heimlich organisirte, die baierischen Munitionsvorräthe ausspähte und deren Aufhebung einleitete und nach Eröffnung der Feindseligkeiten mit seinen Rinnern und Tulfesern immer an den gefährlichsten Punkten scharmuzirte; auch wird von Chasteler mit Recht als Hauptverdienst Speckbacher’s hervorgehoben, daß er bei jeder Gelegenheit seine Landsleute zu Gehorsam und Achtung gegenüber den österreichischen Civil- und Militärbehörden anhielt.

Bei den Kämpfen am Berg Isel (29. Mai) befehligte ‚Herr Spöck‘, wie ihn Andreas Hofer in seinen Briefen titulirte, die erste Colonne, welche als äußerster rechter Flügel gegen Hall und Volders vorging und die Brücken, welche an beiden Punkten über den Inn führten, nach heißem Streit eroberte und sprengte. Nach dem Abzug der Baiern folgte ihnen S. bis Kufstein, doch blieben alle Bemühungen, auch diese Bergveste zur Uebergabe zu zwingen, erfolglos. Als nach Bekanntwerden des am 12. Juli zu Znaim abgeschlossenen Waffenstillstands die österreichischen Truppen Tirol räumten, schickte sich auch S. an, das Land zu verlassen; er fuhr mit einigen Officieren vom Corps Buol durchs Pusterthal.

Dort, wo einst die Bergisel-Schlacht tobte, informieren heute das 1.000 Quadratmeter große Tirol-Panorama und das Kaiserjägermuseum über den Freiheitskampf der Tiroler.
Dort, wo einst die Bergisel-Schlacht tobte, informieren heute das 1.000 Quadratmeter große Tirol-Panorama und das Kaiserjägermuseum über den Freiheitskampf der Tiroler.

Speckbacher-Denkmal in Hall von Ludwig Penz, 1908 (Foto: Twinkles - Eigenes Werk)
Speckbacher-Denkmal in Hall von Ludwig Penz, 1908 (Foto: Twinkles – Eigenes Werk)

Da, bei St. Nepomuck unfern Bruneck, kam das Gefährt des Weges, in welchem Hofer von Lienz zurückkehrte, wo er die officielle Botschaft des Waffenstillstands erfahren hatte. Kaum gewahrte er seinen Freund S. in solcher Gesellschaft, so rief er ihm zu: ‚Seppel, auch Du willst mich im Stich lassen? Sie führen Dich in die Schand’!‘ Der Vorwurf schnitt S. in die Seele; ohne sich weiter um die Oesterreicher zu bekümmern, ohne auch nur nach seinem Hut zu greifen, sprang er aus dem Wagen und kehrte mit Hofer wieder um.

In den folgenden Kämpfen mit Marschall Lefevbre zeigte er insbesondere bei Vertheidigung des Stilfserjochs neben persönlichem Muth auch eine natürliche taktische Begabung, die sogar die geschulten, kriegserfahrenen Officiere der französischen Armee in Erstaunen setzte. Dagegen scheint auch die für den Bauernaufstand so verderblich gewordene Ausdehnung des Kampfes auf baierisches Gebiet hauptsächlich auf Speckbacher’s und Haspinger’s Einfluß zurückzuführen zu sein. …

Am 16. August leitete S. den Angriff auf Lofer, dann streifte er bis Reichenhall und Berchtesgaden. In einem öffentlichen Aufruf mahnte ‚Joseph S., erster Postencommandant‘, die Bewohner des Salzkammerguts, sich den Tirolern anzuschließen; falls sie sich weigern würden, könne er‚ in seinem ferneren Kriegsplan keine Neutralität geben, und die Tiroler würden dann in diesem Fall die Gegenden auf ihrem Kriegszug mit Feuer und Schwert verwüsten.‘

Namentlich in diesen Tagen bewährte sich S. als ein Mann von seltener Thatkraft, Unerschrockenheit und Ausdauer, wie ihn Rückert besang: ‚Der Speckbacher! Der Speckbacher! Wenn der die Schützen rief! Der Tag und Nacht, und Nacht und Tag dem Feinde auf dem Rücken lag, und selbst des Nachts nicht schlief!‘

Speckbacher und Haspinger gaben sich der ausschweifenden Hoffnung hin, sie könnten auch die Kärthner und Steirer für sich gewinnen und dann jählings aus den Bergen hervorbrechend, die französische Armee an der Donau im Rücken angreifen. Als aber im October französische und baierische Truppen auf drei Linien zugleich durch Inn-, Puster- und Etschthal in Tirol eindrangen, konnten auch die wagehalsigsten Anstrengungen Speckbacher’s und anderer Anführer die überlegene Macht nicht mehr aufhalten.

Am 17. October erlitt S. bei Melegg unweit Unken, wahrscheinlich infolge eigener Unvorsichtigkeit, eine furchtbare Niederlage. Er selbst entrann nur mit Mühe der Gefangenschaft; schon hatten baierische Soldaten ihn zu Boden gestreckt und durch Stöße mit den Gewehrkolben fürchterlich zugerichtet, da raffte er sich nochmals auf und entkam, mit seiner Büchse wie ein Wahnsinniger um sich schlagend, auf das steile Gebirge. Sein Sohn Anderl aber und mehrere Hundert Genossen wurden gefangen genommen.

Gedenken an Josef Speckbacher: Aus Anlass des 200. Todestages von Josef Speckbacher wurde 2020 vom Bildhauer Josef Reindl am westlichen Ortseingang von Rinn in viermonatiger Arbeit eine lebensgroße Skulptur aus Zirbenholz errichtet. (Foto: Michael Kendlbacher) In Kufstein, im Innsbrucker Stadtteil Wilten, in St. Johann in Tirol und in Wien-Ottakring wurden Straßen nach Speckbacher benannt, ebenso eine Kaserne in Hall, die jedoch 1998 aufgelassen und verkauft wurde.
Gedenken an Josef Speckbacher: Aus Anlass des 200. Todestages von Josef Speckbacher wurde 2020 vom Bildhauer Josef Reindl am westlichen Ortseingang von Rinn in viermonatiger Arbeit eine lebensgroße Skulptur aus Zirbenholz errichtet. (Foto: Michael Kendlbacher) In Kufstein, im Innsbrucker Stadtteil Wilten, in St. Johann in Tirol und in Wien-Ottakring wurden Straßen nach Speckbacher benannt, ebenso eine Kaserne in Hall, die jedoch 1998 aufgelassen und verkauft wurde.

 Mit dem Tag von Melegg waren die Abtheilungen Speckbacher’s und Firler’s, die zu den besten des Landsturms gezählt hatten, theils vernichtet, theis zersprengt; die Tiroler hatten noch im ganzen Kriege keine so entscheidende Niederlage erlitten. Trotzdem ließ sich S. nicht abschrecken, er sammelte neuen Anhang und nochmals wurde das Innthal der Schauplatz kühner Thaten der Landesvertheidiger.

Doch auf die Dauer ließ sich gegen die erdrückende Uebermacht nicht ankämpfen; Verwirrung und Schrecken verbreiteten sich im Lande, und Eintracht fehlte gerade da, wo sie am nothwendigsten gewesen wäre, im Kriegsrath der Bauern. Von Mühlthal aus erließ S. am 5. November ‚an alle Gemeinden und treuen Tiroler‘ einen Aufruf, der Hofer’s Entschluß, den Brenner zu behaupten, bekannt gab, alle Tiroler zur Unterstützung mahnte und die Säumigen mit Confiscirung ihrer Habe, Ausschließung vom Gottesdienst, sogar mit Landesverweisung bedrohte. Doch solche Worte fanden nicht mehr den begeisterten Anklang, wie in der ‚Gnadenzeit‘ der unerhörten Erfolge. Kirchthurm-Interessen machten sich geltend, Hofer’s Plan wurde verworfen, der Landsturm vertheilte sich zur Vertheidigung der einzelnen Thäler.

Als endlich am Abschluß des Friedens, wodurch das Wiener Cabinet die Tiroler preisgab, nicht mehr zu zweifeln war und sich bei Prüfung der Lage jedem als Gewißheit aufdrängen mußte, daß die Fortführung des Kampfes nur den Ruin des Landes nach sich ziehen werde, beschloß auch S. sich von der Bewegung zurückzuziehen. Während er bei seiner Frau in einer Sennhütte zu Stallsinns verweilte, kam an ihn ein Brief des baierischen Generals Siebein, wodurch ihn dieser in Kenntniß setzte, daß

König Max Joseph den als Gefangenen nach München geschleppten Anderl aufs freundlichste aufgenommen habe und auf seine Kosten im kgl. Erziehungsinstitut studiren lasse; mit dieser erfreulichen Nachricht war die Aufforderung verbunden, S. möge sich unterwerfen und auch seine Landsleute bestimmen, daß sie die gefallene Entscheidung und den Frieden respectirten.

Königreich Baiern, Karte aus 1812 (Archiv des Verfassers)
Königreich Baiern, Karte aus 1812 (Archiv des Verfassers)

Zu gleicher Zeit kam aber auch Anzeige von Hofer, daß er den Kampf fortzusetzen gedenke, und S. griff wieder zur Büchse. Um nicht als Abtrünniger zu erscheinen, setzte er, wie Rapp naiv beklagt – es war doch nur die Aussicht auf Erfolg, nicht der Charakter der Bewegung verändert – ‚sein wahnsinniges, revolutionäres Treiben fort‘. Ein neuer Aufruf blieb aber fast gänzlich wirkungslos. Noch ein zweites Mal erbat und erhielt er einen Sicherheitspaß; als er aber trotzdem fortfuhr, das Landvolk aufzuwiegeln, wurde ein Steckbrief gegen ihn erlassen und demjenigen, der ihn todt oder lebendig einbrächte, eine namhafte Belohnung zugesichert.

Nun mußte er in der Flucht auf unwegsame Berge Rettung suchen. Nach entsetzlichen Strapazen gelangte er zu seinem Hof in Rinn; hier brachte er, im Düngerhaufen versteckt, in beständiger Furcht vor Entdeckung und Gefangennehmung zwei Monate zu; dann erst wagte er die Flucht nach Steiermark fortzusetzen. Er kam glücklich nach Wien, wo ihm Kaiser Franz ein Gnadengehalt von tausend Gulden auswarf.

In Wien lernte ihn der Berliner Diplomat Bartholdy kennen; aus diesen Beziehungen erklärt sich, daß S. in dem 1814 erschienenen Buch Bartholdy’s ‚Der Krieg der Tiroler Landsleute im Jahre 1809‘ unverhältnißmäßig bedeutsam in den Vordergrund der Ereignisse gerückt ist.

Hormayr macht sich deshalb über den Geschichtsschreiber, der sich von dem schlauen Tiroler ‚einseifen‘ ließ, weidlich lustig; andrerseits steht ebenso fest, daß der eifersüchtige Hormayr in seinen Schriften über den Tiroler Aufstand die Wirksamkeit Speckbachers wie auch die Andreas Hofers allzu gering anschlägt.

‚Der kecke, verschlagene Rinner Gebirgsschütze‘ sagt Josef Egger, ‚repräsentirte mit dem gutmüthigen, frommen Sandwirth ebenso treffend das tirolische Bauernthum, wie Achill und Odysseus das griechische Heroenthum.‘

Ein von S. in Scene gesetztes und von Kaiser Franz unterstütztes Unternehmen, in Ungarn eine Colonie von ausgewanderten Tirolern und Vorarlbergern anzulegen, endete mit entschiedenem Mißerfolg. Schon der Platz, den S. und Thalguter aussuchten, war in keiner Weise zur Ansiedlung geeignet und ebenso wenig waren die Colonisten von ‚Königsgnad‘ der Aufgabe gewachsen. Als 1813 nach dem Uebertritt Oesterreichs zu den Verbündeten eine neue Volkserhebung in Tirol geplant wurde, begab sich auch S. mit den kaiserlichen Truppen in seine Heimath und leistete bei den Kämpfen mit den Franzosen gute Dienste. (…)

Nachdem er am 17. Oktober 1809 bei Unken und Mellek geschlagen wurde, flüchtete Speckbacher nach Wien, wo er von Kaiser Franz persönlich belobigt und mit einer Medaille ausgezeichnet wurde. Dort wurde er auch im Mai 1810 damit beauftragt die geflüchteten Tiroler in Südungarn anzusiedeln und war so an der Gründung des Dorfes Tirol im heute rumänischen Teil des Banats beteiligt.

Speckbacher hielt sich bis 1814 in Wien auf und wohnte in dieser Zeit bei seinem Kampfgefährten Jacob Troggler. Erst als 1814 Tirol wieder mit Österreich vereinigt wurde, konnte Speckbacher sicher nach Hall zurückkehren, wo er als k.k. Major seinen Ruhestand verbrachte.“  („Allgemeine Deutsche Biographie“, Band 35, Leipzig 1893, S. 78–81)

Früher Tod und Grablegung in Hall und dann in Innsbruck

Im Alter von nur 53 Jahren, am 28. März 1820, starb Josef Speckbacher in Hall an Nierenversagen. „Die Verwundung von Melleck hatte jedoch seine Gesundheit so stark erschüttert, daß Speckbacher  das Gut in Rinn verkaufen mußte und sich in Hall ansiedelte, wo er vermutlich an den Folgen seiner Verletzung starb“, schrieb der Historiker Richard Schober. (In:„Speckbacher Josef, Landesverteidiger und Bauer“, in: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815-1830. Bd.13, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 2010)

Unter der Teilnahme vieler tausender Tiroler, darunter auch vieler Mitkämpfer von 1809, wurde Speckbacher am 30. März 1820 in Hall zu Grabe getragen. Zu seinen Ehren zogen mehrere Schützenkompanien vor seinem Sarg auf. In der Kirche St. Nikolaus in Hall findet sich die Grabinschrift mit folgendem Text:

„Im Kampfe wild doch menschlich auch im Frieden still und den Gesetzen treu war er als Krieger, Unterthan, und Mensch der Ehre wie der Liebe werth. Joseph Speckbacher, Tiroler Landesschützen Mayor, geboren zu Gnadenwald am 13. Juli 1767, gestorben zu Hall am 28. März 1820, am 28. Juni. 1858 wurden die Gebeine nach Innsbruck in die Hofkirche übertragen.“

Aufständische Tiroler mit primitiven Spießen und Schlagwerkzeug attackieren feindliche Reiter.
Aufständische Tiroler mit primitiven Spießen und Schlagwerkzeug attackieren feindliche Reiter.

Der Vertraute von Andreas Hofer, Kapuzinerpater Joachim Haspinger, genannt „Pater Rotbart“, starb am 12. Jänner 1858 in Salzburg. Am 27. Jänner wurde ein feierliches Requiem in der Innsbrucker Hofkirche zu seinen Ehren abgehalten und am 26. Februar ordnete der Kaiser die Überführung von Haspinger an die Seite von Andreas Hofer in die Hofkirche an, wo Haspinger dann am 16.3.1858 beigesetzt wurde.

Es war sicherlich kein Zufall, dass im gleichen Jahr 1858 durch ein Handschreiben vom 20. April von Kaiser Franz Josef I. die Anordnung für die Überführung der Gebeine von Speckbacher von Hall in die Innsbrucker Hofkirche getroffen wurde. Seither ruhen seine sterblichen Reste neben denen von Andreas Hofer und Pater Haspinger. Seit 1935 ruht hier ebenso der von Wien überführte Ausgräber des Sandwirts in Mantua, Leutnant Georg Hauger.

Das Andreas Hofer-Grabmal in der Hofkirche in Innsbruck.
Das Andreas Hofer-Grabmal in der Hofkirche in Innsbruck.

Der Gedenkstein in der Hofkirche enthält die Inschrift: „Josef Speckbacher k.k. Landesschützenmajor, geb. im Gnadenwalde 13. Juli 1767, gest. zu Hall 28. März 1820. Unter den getreuen Kämpfern des Jahres 1809 hervorragend durch seine rastlose Tapferkeit.“

 

Die „Bozner Zeitung“ Nr. 53 vom Samstag, 3. Juli 1858 berichtete über die endgültige Grablegung: