50 Jahre Zweites Autonomiestatut: Eine entlarvende Jubelfeier

Am 5. September 2022 wurde in Meran eine große offizielle Jubelfeier mit wohltönenden Lobpreisungen einer angeblich für ganz Europa oder gar die Welt vorbildhaften Autonomie abgehalten.

Im Vorfeld hatte der „Südtiroler Heimatbund“ (SHB), eine von ehemaligen politischen Häftlingen und Freiheitskämpfern gegründete Vereinigung, welche für die Selbstbestimmung Südtirols eintritt, nachstehende kritische Vorausschau als Pressemitteilung ausgesandt:

„Südtiroler Heimatbund“ (SHB) – Pressemitteilung

Steht uns eine Jubelfeier der Beerdigung des Südtiroler Problems bevor?

Wie Ankündigungen zu entnehmen ist, werden wir am 5. September eine Jubelfeier der Beerdigung des lästigen Südtiroler Problems erleben.

Dem „Südtiroler Heimatbund“ (SHB), der für die Selbstbestimmung Südtirols und die Loslösung von Italien eintritt, ist es deshalb ein Anliegen, auf Folgendes hinzuweisen:

  • Der aus lediglich 40 Textzeilen bestehende „Pariser Vertrag“, welcher als rechtliche Grundlage der Südtiroler Autonomie anzusehen ist, bietet nur unpräzise Absichtserklärungen. Er war 1946 von dem österreichischen Außenminister Karl Gruber im Sinne der Bestrebungen der Westmächte, Italien in ein westlichen Bündnis einzubinden, zusammen mit dem italienischen Außenminister Alcide Degasperi bei einem Treffen in Paris überfallsartig unterzeichnet worden.

Karl Gruber war im Zweiten Weltkrieg – und laut dem amerikanischen Historiker Professor Dr. Herzstein auch als Außenminister noch bis in die Fünfzigerjahre – als Geheimagent für das amerikanische „Counter Intelligence Corps“ tätig. (Robert Edwin Herzstein: „Waldheim – the missing years“, London 1988, S. 168 unter Berufung auf zitierte Geheimdokumente des „Office of Strategic Services“)

Außenminister Karl Gruber (rechts) und der US-„Political Adviser“ John G. Erhardt im Jahre 1946.
Außenminister Karl Gruber (rechts) und der US-„Political Adviser“ John G. Erhardt im Jahre 1946.

Er stand damit auch als Außenminister mutmaßlich noch unter der Führung durch die Amerikaner. Karl Gruber hatte bei der eigenmächtigen Unterschrift unter den „Pariser Vertrag“ seine eigene Regierung und auch den Nationalrat bedenkenlos übergangen. Der Außenpolitische Ausschuss des Nationalrates verabschiedete daher am 1. Oktober 1946 folgende rechtswahrende Erklärung, an die man sich erinnern sollte:

„Die mit Italien vereinbarte Regelung, von der nicht feststeht, ob sie die Zustimmung des gesamten Südtiroler Volkes gefunden hat, bedarf noch mancher Interpretation, um als Zwischenlösung angesehen werden zu können.

Die Haltung Österreichs bedeutet in keiner Weise einen Verzicht auf die unveräußerlichen Rechte unseres Staates auf Südtirol. Der Ausschuss gibt der bestimmten Hoffnung Ausdruck, dass eine geänderte Weltlage in Zukunft den Südtirolern die Möglichkeit der Selbstbestimmung über ihre staatliche Zugehörigkeit geben wird. Er ist der Meinung, dass dieses Prinzip der einzige Weg für eine dauernde Lösung der Südtirolfrage ist, die von Österreich als gerecht und befriedigend angenommen werden könnte.“

Notgedrungen fand man sich in Wien in der Folge mit dem Pariser Machwerk ab, welches sich nach den Worten des österreichischen Außenministers Kreisky als „furchtbare Hypothek“ für die österreichische Südtirolpolitik erweisen sollte.

Es darf vermutet werden, dass auf der kommenden Jubelfeier auch diese „furchtbare Hypothek“ als sogenannte „Magna Charta“ der Autonomie pflichtgemäß bejubelt werden wird.

  • Als Italien das faschistische Werk der Entnationalisierung und Unterdrückung in Südtirol fortsetzte und 1961 sogar ein bereits durch den Senat in Rom beschlossenes Vertreibungsgesetz in Kraft zu treten drohte, beförderten die Südtiroler Freiheitskämpfer dieses Vorhaben mit dem Donnerschlag der „Herz-Jesu-Nacht“ auf die Müllhalde der Geschichte.

Der SVP-Landeshauptmann Silvius Magnago hob später mehrfach öffentlich das Verdienst der Freiheitskämpfer für das Zustandekommen des verbesserten zweiten Autonomiestatut hervor.

So erklärte er beispielsweise 1991 in einem Interview in den „Dolomiten“ vom 7. August 1991:

„Und dann kam es zur Feuernacht. Ich muss hier ganz klar sagen, dass diese Sprengstoffanschläge zu friedlichen Verhandlungen geführt haben und letztendlich zum neuen Autonomiestatut. Hätte es diese Anschläge nicht gegeben, wäre keine 19er Kommission gebildet worden, die die Aufgabe bekommen hat, sich mit der ganzen Autonomieproblematik, sagen wir, zu befassen und der Regierung neue Vorschläge zu unterbreiten.“

Silvius Magnago auf der SVP-Landesversammlung von 1960.
Silvius Magnago auf der SVP-Landesversammlung von 1960.

Ähnliche Erklärungen haben unter anderen abgegeben:

LH Dr. Luis Durnwalder (SVP), LR Dr. Bruno Hosp (SVP), Botschafter Dr. Peter Jankowitsch, Univ. Prof. Dr. Andreas Khol (ÖVP), Univ. Prof. DDr. Franz Matscher, SVP-Obmann Elmar Pichler-Rolle, LH Günther Platter (ÖVP), SVP-Abg. Dr. Friedl Volgger, LH Eduard Wallnöfer, LH Dr. Wendelin Weingartner, SVP-Parteileitungsmitglied Franz Widmann.

Der österreichische Außenminister Bruno Kreisky war bereits vor der Herz-Jesu-Nacht über die bevorstehenden Anschläge auf Strommasten informiert worden und hatte sie in einem Gespräch mit Leuten des „Befreiungsausschusses Südtirol“ (BAS) gebilligt. (Der ehemalige Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime und BAS-Führungsmitglied Fritz Molden in seinem Buch: „Vielgeprüftes Österreich“, Wien 2007, S. 152)

Vermutlich wird all dies bei der offiziellen Jubelfeier nicht erwähnt werden.

Außenminister Bruno Kreisky, Landesamtsdirektor Rudolf Kathrein, LH Silvius Magnago Magnago.
Außenminister Bruno Kreisky, Landesamtsdirektor Rudolf Kathrein, LH Silvius Magnago Magnago.

  • Es ist leider zu vermuten, dass bei der bevorstehenden Feier auch nicht an die grauenvolle  Folterung zahlreicher politischer Häftlinge erinnert werden wird. Man wird wohl auch nicht des Todes der an den Folgen der Folter verstorbenen Gefangenen Franz Höfler und Anton Gostner gedenken.

Der an den Folgen der Folter verstorbene Franz Höfler in der Totenkammer und die Mutter Höflers an dem Grab ihres Sohnes.
Der an den Folgen der Folter verstorbene Franz Höfler in der Totenkammer und die Mutter Höflers an dem Grab ihres Sohnes.

Bild links: Die Verhaftung Anton Gostners (rechts im Bild) im Jahre 1961, der seine Folterung nicht überleben sollte. (Ausschnitt aus der Zeitung „Alto Adige“.) Bild rechts: Auch der SVP-Ortsobmann und Freiheitskämpfer Sepp Kerschbaumer aus Frangart sollte die Haft nicht überleben.
Bild links: Die Verhaftung Anton Gostners (rechts im Bild) im Jahre 1961, der seine Folterung nicht überleben sollte. (Ausschnitt aus der Zeitung „Alto Adige“.) Bild rechts: Auch der SVP-Ortsobmann und Freiheitskämpfer Sepp Kerschbaumer aus Frangart sollte die Haft nicht überleben.

  • Es ist weiters zu vermuten, dass auf der Jubelfeier auch nicht daran erinnert werden wird, dass die derzeitige Autonomie durch die Streitbeilegungserklärung von 1992 international-rechtlich nicht abgesichert ist und zum erheblichen Teil bereits ausgehöhlt wurde.

 

  • Es wäre längst an der Zeit gewesen, dass eine Kommission von Fachleuten eine Bewertung der Autonomieaushöhlungen vorgenommen hätte, die laut einer akademischen Forschungsarbeit immerhin mehr als die Hälfte des Autonomiebestandes betreffen. Man hätte sich von der Untersuchung einer solchen Fachleutekommission auch die Hinweise erwartet, welche Bestimmungen im Sinne einer funktionierenden Autonomie wiederhergestellt werden müssten. Bis heute hat die Südtiroler Landesregierung die Erstellung einer solchen Untersuchung entweder überhaupt nicht verfügt oder hat solche Ergebnisse zumindest der Öffentlichkeit vorenthalten.

Es darf vermutet werden, dass auch diese Dinge kein Thema auf der Jubelveranstaltung sein werden.

Sollte sich diese Voraussagen als nicht zutreffend erweisen, wird dies ein Grund zu aufrichtiger Freude sein. Wir befürchten aber, dass in Wahrheit eine Jubelfeier der Totengräber unserer Südtiroler Anliegen über die Bühne gehen wird.

Roland Lang
Obmann des „Südtiroler Heimatbundes“ (SHB)

 

Rückblick auf die Veranstaltung in Meran:

Sprechblasen und Selbstaufgabe

 

Die Südtiroler Tageszeitung „Dolomiten“ berichtete sachlich über die Feier in Meran.
Die Südtiroler Tageszeitung „Dolomiten“ berichtete sachlich über die Feier in Meran.

Sowohl aus Wien wie aus Rom war zu dieser Feier nur die zweite Garnitur von Politikern gekommen.

Die Festrede unter dem etwas rätselhaften Titel „Südtirol ist ein gelebtes Stück Europa“ hielt die österreichische Bundesministerin für EU und Verfassung, Karoline Edtstadler (ÖVP).

Sie wies auf das gute Verhältnis zwischen Österreich und Italien hin und erklärte, dass man aufeinander zugehen, miteinander kommunizieren müsse. Sie bezeichnete Südtirol als „Beispiel der europäischen Integration.“

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Die Tageszeitung „Dolomiten“ präsentierte Edtstadlers Botschaft mit einer Schlagzeile.

Der italienische Wirtschaftsminister Daniele Franco gab eine ähnliche Sprechblase von sich: Dank ständigem und konstruktiven Dialog zwischen Italien und Österreich sei „ein Existenzmodell für den Minderheitenschutz entstanden“.

Hohes Lob für die bestehende Autonomie spendete auch der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP). Das Zweite Autonomiestatut werde international als erfolgreiches Beispiel für die Überwindung nationaler ethnischer Konflikte betrachtet und gereiche den beiden Staaten Italien und Österreich zur Ehre. Südtirols Autonomie werde ständig weiterentwickelt und an neue Erfordernisse angepasst. Im gleichen Atemzug wies er jedoch auch tadelnd darauf hin, dass seit der Verfassungsreform des Staates von 2001 sowie mit Urteilen des Verfassungsgerichtshofes die Autonomie teilweise ausgehöhlt worden sei.

Eine Erklärung, was dagegen politisch von der „Schutzmacht Österreich“ unternommen werden müsse, hörte man aus dem Mund dieses im Lande vielfach als zu Italien-freundlich bezeichneten Politikers leider nicht.

Der Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP) hatte im Wahlkampf 2018 um italienische Stimmen geworben mit der plakatierten Erklärung: „Insieme verso il domani. Arno Kompatscher“ („Gemeinsam der morgigen Zukunft entgegen. Arno Kompatscher“.
Der Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP) hatte im Wahlkampf 2018 um italienische Stimmen geworben mit der plakatierten Erklärung: „Insieme verso il domani. Arno Kompatscher“ („Gemeinsam der morgigen Zukunft entgegen. Arno Kompatscher“.

Den Vogel in Bezug auf Inhaltslosigkeit schoss der in Bälde abtretende Nordtiroler Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) ab. Er verwies auf die „unglaublich vielen Möglichkeiten“, die Südtirol durch die Autonomie erhalten habe und ihn fasziniere, dass die Autonomie nie abgeschlossen sei.

So kann man die ständigen Autonomieaushöhlungen und das zumeist vergebliche Bemühen um Rückgängigmachung der Beschneidungen durch Rom freilich auch darstellen.

  • Nicht zur Sprache kamen die Verdienste der Südtiroler Freiheitskämpfer für das Zustandekommen des Zweiten Autonomiestatuts.
  • Nicht zur Sprache kamen die schrecklichen Folterungen politischer Häftlinge mit teilweiser Todesfolge und die anschließende Belobigung und Auszeichnung der Folterer durch den Staat.
  • Mit Ausnahme der knappen Erwähnung durch den Landeshauptmann Kompatscher waren die Autonomieaushöhlungen und die daraus zu ziehenden Folgerungen auch kein Thema auf der Veranstaltung.
  • Nicht zur Sprache kam, dass die angeblich weltbeste Vorbild-Autonomie durch die Streitbeilegungserklärung von 1992 international-rechtlich nicht abgesichert ist. Siehe: https://suedtirol-info.at/hintergruende-zur-aushoehlung-der-suedtirol-autonomie/#more-3373

Deutlich wurde, dass man aus der Sicht der Bundes-ÖVP und der Nordtiroler ÖVP das Südtirol-Problem als eine beerdigte Angelegenheit ansieht.

Deutlich wurde auch, dass die derzeitige SVP-Führung dagegen nicht aufbegehrt und nicht gewillt ist, die „Schutzmacht Österreich“ ernsthaft in die Pflicht zu nehmen. Da muss wohl die SVP Rücksicht auf die „Schwesterpartei“ ÖVP nehmen.

Man kann so etwas auch Selbstaufgabe nennen.

Die Südtiroler Schützen verweigerten Ehrensalve für den Vertreter des italienischen Staates

Wie die „Neue Südtiroler Tageszeitung“ am 11. September 2022 berichtete, hatte der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher den Südtiroler Schützenbund gebeten, am „Tag der Autonomie“ dem italienischen Minister Daniele Franco in Bozen den „Landesüblichen Empfang“ durch das Abfeuern einer Ehrensalve zu geben. Der Schützenbund lehnte dies ab.

Der Landeskommandant Roland Seppi sprach ein offenes Wort.
Der Landeskommandant Roland Seppi sprach ein offenes Wort.

Der Landeskommandant des Schützenbundes, Roland Seppi, erklärte gegenüber der TAGESZEITUNG:

„Wir haben in der Bundesleitung einstimmig beschlossen, dass wir da nicht hingehen. … Unser Nein hat nichts mit dem Landeshauptmann zu tun. Die Nichtabhaltung eines Landesüblichen Empfangs hat mit dem Vertreter des italienischen Staates zu tun. Im Landesüblichen Empfang ist eine Ehrensalve als höchste Ehrerbietung vorgesehen, die die Schützen geben können.

Eine Ehrensalve setzt also gegenseitigen Respekt voraus.

Wir verlangen von Italien seit jeher, endlich auf die faschistische Ortsnamenfälschung und auf faschistische Relikte zu verzichten. Für den Vertreter eines Staates, der auf diesen Sachen beharrt, können wir keine Ehrensalve abschießen, weil der Respekt gegenüber unserer Kultur und unserer Kulturgeschichte fehlt.“




Der Wunsch der abgetrennten Ladiner: Zurück zu Tirol, zurück zu Österreich!

Der Wunsch der abgetrennten Ladiner: Zurück zu Tirol, zurück zu Österreich!

Dokumentation über die vergessenen Ladiner von Helmut Golowitsch

Die Zerreißung der Volksgruppe durch die Faschisten und die Aufrechterhaltung der Teilung

Das Identitätsbewusstsein der Ladiner

In der altösterreichischen Zeit erschienen ladinische Zeitungen teilweise zweisprachig. Bei Wahrung der eigenen Identität wurde hier die Nähe zur deutschen Volksgruppe gezeigt.
In der altösterreichischen Zeit erschienen ladinische Zeitungen teilweise zweisprachig. Bei Wahrung der eigenen Identität wurde hier die Nähe zur deutschen Volksgruppe gezeigt.

Diese Fahne der Schützenkompanie Enneberg – ladinisch: Mareo - stammt aus dem Jahre 1914. Die deutschen Aufschriften zeigen, dass sich die Ladiner schon damals gerne der deutschen Sprache bedienten, weil sie sich in enger Verbundenheit mit den Deutschtirolern fühlten.
Diese Fahne der Schützenkompanie Enneberg – ladinisch: Mareo – stammt aus dem Jahre 1914. Die deutschen Aufschriften zeigen, dass sich die Ladiner schon damals gerne der deutschen Sprache bedienten, weil sie sich in enger Verbundenheit mit den Deutschtirolern fühlten.

Die Ladiner sind die Nachkommen der sprachlich latinisierten rätisch-keltischen Urbevölkerung des südlichen Tirol, die mit den später eingewanderten Germanen ein friedliches Zusammenleben gefunden hatte. Aus der Sicht der italienischen Nationalisten und vor allem der Faschisten handle es sich bei den Ladinern jedoch um Italiener, die lediglich einen lokalen Dialekt sprächen.

Im Ersten Weltkrieg hatte das letzte Aufgebot Ladiniens in den Standschützeneinheiten mit unerhörtem Mut die Heimat verteidigt.

Die Ladiner hatten das gemeinsame Tirol gegen den italienischen Überfall verteidigt und viele von ihnen hatten dabei ihr Leben gelassen.
Die Ladiner hatten das gemeinsame Tirol gegen den italienischen Überfall verteidigt und viele von ihnen hatten dabei ihr Leben gelassen.

Schwere Verluste hatten die ladinischen Standschützen auch im Gebiet des heißumkämpften Col di Lana hinnehmen müssen. (Bild: Gemälde von Karl Ludwig Prinz, aus der „Zeitschrift des D. u. Ö. Alpenvereins“, 1916.)
Schwere Verluste hatten die ladinischen Standschützen auch im Gebiet des heißumkämpften Col di Lana hinnehmen müssen. (Bild: Gemälde von Karl Ludwig Prinz, aus der „Zeitschrift des D. u. Ö. Alpenvereins“, 1916.)

Bereits Ende Oktober 1918 hatten sich die Vertreter der ladinischen Gemeinden der Dolomiten in Sterzing versammelt und in einem Aufruf an die Deutschtiroler verkündet:

„Wir sind keine Italiener, wollten von jeher nicht zu ihnen gezählt werden und wollen auch in Zukunft keine Italiener sein! Ein selbständig Volk, das seine Geschicke selbst bestimmt!“

In ihrem Aufruf hatten die Ladiner erklärt: „Das Schicksal der Deutschtiroler sei auch unser Schicksal! Ihre Zukunft sei auch unsere Zukunft! Mit ihnen haben wir und unsere Väter von jeher in engstem Zusammenschluss und im besten Einvernehmen gelebt. So soll es auch fürderhin bleiben. Tiroler sind wir und Tiroler wollen wir bleiben!“ (Aus: Guido Iori Rocia: „Protest der Ladinischen Bevölkerung der Dolomiten – Dokumente des Kolonialismus von Trient“, Sonderdruck der Zeitschrift „Il Postiglione delle Dolomiti“, Canazei 1972, S. 8)

Bild links: Höfe im Grödental. (Aus: „Südtirol in Wort und Bild“.) Bild rechts: Grödnerinnen in ihrer Tracht. (Historische Postkarte aus altösterreichischer Zeit.) Die Ladiner, die seit Jahrhunderten in guter Gemeinschaft mit den Deutschtirolern lebten, fühlten sich keineswegs als Italiener.
Bild links: Höfe im Grödental. (Aus: „Südtirol in Wort und Bild“.) Bild rechts: Grödnerinnen in ihrer Tracht. (Historische Postkarte aus altösterreichischer Zeit.) Die Ladiner, die seit Jahrhunderten in guter Gemeinschaft mit den Deutschtirolern lebten, fühlten sich keineswegs als Italiener.

Die Dreiteilung des ladinischen Gebietes

In der Zeit des Faschismus waren die Ladiner dann für diese Einstellung bestraft worden, indem ab 1923 das Sprachgebiet der rund 30.000 Dolomiten-Ladiner dreigeteilt worden war: Das Gadertal und das Grödental verblieben bei Südtirol, das Fassa- und Fleimstal wurde Trient angegliedert, Ampezzo und Buchenstein wurden der Provinz Belluno zugeschlagen.

Durch die Zerstückelung ihres Gebietes und ihre Aufteilung auf verschiedene Provinzen sollten der Zusammenhalt dieser Volksgruppe, ihre Sprache und Kultur zerstört werden.

Diese Darstellung zeigt die Aufteilung der Ladiner auf die Provinzen Bozen (1 Gröden, 2 Gadertal), Trient (3 Fassa- und Fleimstal) und Belluno (4 Ampezzo, Buchenstein).
Diese Darstellung zeigt die Aufteilung der Ladiner auf die Provinzen Bozen (1 Gröden, 2 Gadertal), Trient (3 Fassa- und Fleimstal) und Belluno (4 Ampezzo, Buchenstein).

Wolkenstein im Grödner Tal konnte bei Südtirol verbleiben. (Historische Postkarte aus altösterreichischer Zeit.
Wolkenstein im Grödner Tal konnte bei Südtirol verbleiben. (Historische Postkarte aus altösterreichischer Zeit.

Bild links: Gries bei Canazei im Fassatal - im Hintergrund die Marmolata - wurde von Südtirol abgetrennt und der Provinz Trient zugeschlagen. (Historische Postkarte aus altösterreichischer Zeit.) Bild rechts: Um die „Italianität“ des ladinischen Gebietes zu betonen, hielt die faschistische Miliz dort Übungen mit Zeltlagern ab. Diese mit einem faschistischen Liktorenbündel geschmückte Postkarte wurde anlässlich eines solchen „campeggio“ bei Cortina d’Ampezzo im August 1929 herausgegeben.
Bild links: Gries bei Canazei im Fassatal – im Hintergrund die Marmolata – wurde von Südtirol abgetrennt und der Provinz Trient zugeschlagen. (Historische Postkarte aus altösterreichischer Zeit.) Bild rechts: Um die „Italianität“ des ladinischen Gebietes zu betonen, hielt die faschistische Miliz dort Übungen mit Zeltlagern ab. Diese mit einem faschistischen Liktorenbündel geschmückte Postkarte wurde anlässlich eines solchen „campeggio“ bei Cortina d’Ampezzo im August 1929 herausgegeben.

Nach der Niederlage des Faschismus erhofften die Ladiner nun, dass ihre abgetrennten Gebiete wieder zu Südtirols zurückkehren würden und dass sie zusammen mit ihren deutschen Landsleuten womöglich das Ziel der Wiedervereinigung Tirols durch eine Volksabstimmung erreichen könnten.

Vergebliche Bitte an die Alliierten – Fortführung faschistischer Politik

Bereits Anfang Dezember 1945 war eine von drei Viertel der erwachsenen Bevölkerung unterzeichnete Bittschrift der Ampezzaner und Buchensteiner den Alliierten überreicht worden, worin der Anschluss an Südtirol verlangt wurde. Das war eine Äußerung selbstbestimmten Willens gewesen.

Doch bereits zwei Tage nach ihrem Einmarsch hatten die Alliierten auf Wunsch ihrer nunmehrigen italienischen Verbündeten das Südtiroler Unterland wieder der der Provinz Trient und Ampezzo-Buchenstein wieder der Provinz Belluno zugeteilt.

Die italienischen Behörden sprangen wie in der Faschistenzeit weiterhin übel mit den Dolomitenladinern um. Das hatte seinen Grund darin, dass nach alter faschistischer Lesart den Ladinern ihr eigenes Volkstum abgesprochen wurde. Das selbstbestimmte Identitätsbewusstsein der Ladiner wurde daher auf allen Ebenen bekämpft.

Viele italienische Politiker betrachteten es als Vaterlandsverrat, dass die Ladiner sich als Tiroler fühlten und ihre Verbundenheit mit den deutschen Südtirolern immer wieder zum Ausdruck brachten. Aus römischer Sicht galt es, allen Selbstbestimmungsbestrebungen durch die Aufrechterhaltung der Teilung Ladiniens einen Riegel vorzuschieben.

Ohne schamrot zu werden, flunkerte Ministerpräsident Degasperi vor der provisorischen Nationalversammlung „Consulta“, dass die bei Südtirol verbliebenen ladinischen Täler den Wunsch hätten, italienischen Provinzen einverleibt zu werden.
Ohne schamrot zu werden, flunkerte Ministerpräsident Degasperi vor der provisorischen Nationalversammlung „Consulta“, dass die bei Südtirol verbliebenen ladinischen Täler den Wunsch hätten, italienischen Provinzen einverleibt zu werden.

Die Wünsche des italienischen Ministerpräsident Alcide Degasperi gingen sogar noch weiter. Er hatte die Stirn, vor der „Consulta Nazionale“, einer ernannten und nicht gewählten provisorischen beratenden Nationalversammlung, am 21. Jänner 1946 in Bezug auf die bei Südtirol verbliebenen ladinischen Gebiete lügnerisch zu erklären: „Und wenn diese Täler ihren Wunsch frei aussprechen können, dann wünschen sie, mit den anderen ladinischen Tälern vereinigt zu werden wie dem Fassa-Tal und Buchenstein, welche als italienisch anerkannt werden.“ (Aus „Dolomiten“ vom 22. Jänner 1946)

Mai 1946: Verbot einer Kundgebung in Cortina – Tiroler Fahnen und Bergfeuer

Diese historische Postkarte aus altösterreichischer Zeit zeigt Cortina d’Ampezzo (ladinisch: Anpëz oder Anpezo) wo die Volkskundgebung der Ladiner hätte stattfinden sollen.
Diese historische Postkarte aus altösterreichischer Zeit zeigt Cortina d’Ampezzo (ladinisch: Anpëz oder Anpezo) wo die Volkskundgebung der Ladiner hätte stattfinden sollen.

Eine für den 12. Mai 1946 ordnungsgemäß angemeldete und von der Quästur sogar genehmigte Kundgebung der Ampezzaner und Buchensteiner in Cortina d’Ampezzo wurde plötzlich am Vortag durch eine Verfügung der Präfektur Belluno, der Statthalterei Roms in der Provinz, verboten.

Schlagzeile in der Tageszeitung „Dolomiten“ vom 15. Mai 1946.
Schlagzeile in der Tageszeitung „Dolomiten“ vom 15. Mai 1946.

Die Kundgebung der ladinischen Bevölkerung von Cortina d’Ampezzo hätte laut Bericht der Südtiroler Tageszeitung „Dolomiten“ vom 15. Mai 1946 zum Ziel gehabt, „durch eine Großkundgebung ihrem einmütigen Willen Ausdruck zu geben, ihr Gebiet durch die Angliederung an die Provinz Bozen endlich wieder mit dem übrigen Südtirol vereinigt zu sehen.“

Der ladinische Historiker Anton Piccolruaz berichtet: „Dennoch wurden aber zahlreiche Tiroler Fahnen gehisst. Von den nahen Gipfeln der Dolomiten loderten Bergfeuer mit den entsprechenden Flammeninschriften.“ (Anton Piccolruaz: „Die Dolomitenladiner“, 3. Teil: „Die Ladiner sind Tiroler und keine Italiener“, in: „Südtirol in Wort und Bild“, , Nr. 4, Innsbruck 1980.)

Mai 1946: Die Ladiner erhoben ihre Stimme nun auf deutschen Kundgebungen

Ampezzaner, Buchensteiner und Gadertaler auf der Selbstbestimmungskundgebung in Toblach

Toblach wurde Schauplatz einer Großkundgebung für ein vereinigtes und freies Tirol. (Historische Postkarte.)
Toblach wurde Schauplatz einer Großkundgebung für ein vereinigtes und freies Tirol. (Historische Postkarte.)

Nun erhoben die Ladiner ihre Stimme auf deutschen Kundgebungen. An die 500 Ampezzaner, Buchensteiner und Gadertaler erschienen am 26. Mai 1946 auf der Selbstbestimmungskundgebung in Toblach. Die Versammlung habe unter folgendem Motto gestanden, schrieben die „Dolomiten“ am Montag, 27. Mai 1946: „Wir sind ein Volk, ob wir an der Rienz oder an der Etsch, am Eisack oder am Inn wohnen; wir wollen ein Tirol, wie es vordem war, von Kufstein bis Salurn. Auch die Ampezzaner, deren Stimme man vor 14 Tagen unterdrückt hat, schließen sich diesem Entschlusse an: Wir wollen Freiheit und Gerechtigkeit.“

Schlagzeile auf der Titelseite des SVP-Organs „Volksbote“ vom 30. Mai 1946.
Schlagzeile auf der Titelseite des SVP-Organs „Volksbote“ vom 30. Mai 1946.

90 Prozent der Ampezzaner und Buchensteiner forderten Rückkehr zu Südtirol

Wie die „Dolomiten“ vom 27. Mai 1946weiter berichteten, kam es am Abschluss der Kundgebung zu einer öffentlichen und inhaltlich bemerkenswerten Willensäußerung der Ladiner:

„Schon wollte man die Versammlung für abgeschlossen erklären, als sich plötzlich aus den Reihen der Ampezzaner der Ruf erhob: Sixtus de Bigontina soll reden! Immer lauter, von einem Mund zum anderen getragen, wurde er aufgefordert, an seine Landsleute einige Worte zu richten.

De Bigontina, ein junger, gerader, kerniger Ampezzaner, begrüßte seine Ladiner in ihrer Sprache, erinnerte dann daran, dass ein schwerer Kampf hatte geführt werden müssen, bis man ihre Stimme gehört. 90 Prozent aller Ampezzaner und Buchensteiner hätten sich durch eine Unterschriftensammlung zur Provinz Bozen bekannt und auch ihre Väter hätten immer und immer wieder in den Jahren 1919 und 20 die Belassung Ampezzos bei der Provinz gefordert; doch hätten schließlich einige wenige vom Faschismus unterstützte Elemente gesiegt.

Abschließend forderte De Bigontina die Ladiner auf, fest und treu zusammenzuhalten, und fragte dann die Ampezzaner und Buchensteiner, ob sie bereit seien, Leid und Freud, Glück und Unglück mit Südtirol zu teilen, worauf alle anwesenden – es waren an die 500 – mit lauten Ja-Rufen und Klatschen antworteten.“

Mai 1946: Ladiner auf der Volkskundgebung des Unterlandes

Am 30. Mai 1946 nahm eine Gruppe von Ladinern an der Kundgebung des Südtiroler Unterlandes auf Castelfeder bei Auer teil, weil sie, so schrieben die „Dolomiten“ am 1. Juni 1946, „mit den Unterländern zurück zu Südtirol, zu ihren anderen ladinischen Brüdern wollen.“

Juni 1946: Berichte über Übergriffe der Carabinieri – Terror in Buchenstein

Die Haltung der Ladiner hatte den Zorn der italienischen Behörden erregt, die in den Ladinern abtrünnige Italiener sahen.

Diese historische Postkarte zeigt den Hauptort Buchenstein (ladinisch: „La Plie‘ da Fodom).
Diese historische Postkarte zeigt den Hauptort Buchenstein (ladinisch: „La Plie‘ da Fodom).

Das Buchensteintal ist eines der fünf Dolomitentäler Ladiniens. Die Gemeinde Buchenstein (ladinisch: La Plie‘ da Fodom, italienisch: Livinallongo) besteht aus dem Hauptort und einer Reihe von kleineren Dörfern.

Im Tiroler Landesarchiv in Innsbruck findet sich ein aus Südtirol an die Tiroler Landesregierung in Innsbruck überbrachtes Schreiben vom 6. Juni 1946 mit dem Titel „Kurzberichte“. Darin wird geschildert, wie die Staatsmacht in jenen Tagen mit den Ladinern in Buchenstein umgesprungen war:

Ausschnitt aus dem Kurzbericht.
Ausschnitt aus dem Kurzbericht.

„In Buchenstein wurde ein Bauer, der einen Tirolerhut mit dem Tiroleradler darauf trug, aufgefordert, Hut und Adler zu entfernen. Als er sich weigerte, dies zu tun, wurde ihm der Hut von den Schutzengeln der öffentlichen Sicherheit vom Kopf geschlagen und in den Dreck getreten.

In Buchenstein wurden an zahlreichen Hausmauern Aufschriften und Tiroleradler angebracht. Die Carabinieri würdigten sich, alle Malereien eigenhändig aus den Mauern herauszumeisseln. Am anderen Morgen jedoch strahlte alles wieder in den frischesten Farben.

Das Tragen eines solchen Kappenabzeichens  konnte aus der Sicht der Carabinieri nicht geduldet werden.
Das Tragen eines solchen Kappenabzeichens  konnte aus der Sicht der Carabinieri nicht geduldet werden.

Letzten Meldungen zufolge wurde der obengenannte Bauer, dem der Hut vom Kopf geschlagen worden war, später noch in die Kaserne gebracht und dort, ohne dass er wüsste weshalb, verprügelt. Es wurde ihm angedroht, er werde an den Brenner gebracht und dort der österreichischen Polizei übergeben werden, wenn er nicht sage, wer die Aufschriften an den Häusern gemacht habe.

Zu einem wegen dieser Streichaktionen verhafteten Buchensteiner äußerte sich der Carabinierimaresciallo wie folgt: ‚Ihr seid Bastarden. Ihr lasst euch von den Dummköpfen in Bozen aufhetzen. Auch jene sind keine Deutschen. Die haben keine Kultur, sind Dickköpfe, dümmer als die Österreicher. Arabba soll abgebrannt und ihr alle aufgehängt werden!‘ Und er schloss mit der mächtigen Schlussfuge: ‚Porchi tedesconi. (Anmerkung: Arabba ist eine Fraktion der Gemeinde Buchenstein, „porchi“ sind Schweine und „tedesconi“ sind deutschfreundliche Menschen.)

Nach Ansicht des Unteroffiziers (maresciallo) der Carabinieri sollte der Ort Arabba abgebrannt werden. (Historische Postkarte aus altösterreichischer Zeit.)
Nach Ansicht des Unteroffiziers (maresciallo) der Carabinieri sollte der Ort Arabba abgebrannt werden. (Historische Postkarte aus altösterreichischer Zeit.)

Anderen Verhafteten in Buchenstein wurde von den Carabnieri ebenfalls die Abschiebung nach Österreich mit Prophezeiung des Hungertodes angedroht- – Laut bisherigen Meldungen sind wegen der Streichaktionen noch zwei Leute (ein Malerlehrling und ein anderer Bursche) verhaftet worden.“ („Kurzberichte“ vom 6. Juli 1946 „Ampezzo und Buchenstein zu Österreich“, Bozen 1. Juni 1946, Tiroler Landesarchiv, Amt der Tiroler Landesregierung VIII K, Pos. 5-12, Südtirol, Jahr 1945 – 47, Karton Nr. 3)

Juni 1946: Forderung nach Selbstbestimmung für Ladinien und ganz Südtirol

Aufschriften in Ladinien

Im Tiroler Landesarchiv in Innsbruck findet sich in den Akten des Amtes der Tiroler Landesregierung ein Dokument mit Kurzberichten aus Südtirol vom 14. Juni 1946. Darin wird Folgendes geschildert:

„In St. Vigil (Ladinien) wurden immer wieder in letzter Zeit Schriften angebracht, die Selbstbestimmung für ganz Ladinien und für ganz Südtirol fordern. Die Ladiner fordern nach wie vor geschlossen den Anschluss aller ladinischen Gebiete an Österreich.

In St. Vigil im Enneberger Tal wurde in Aufschriften die Selbstbestimmung gefordert. (Historische Postkarte aus altösterreichischer Zeit.)
In St. Vigil im Enneberger Tal wurde in Aufschriften die Selbstbestimmung gefordert. (Historische Postkarte aus altösterreichischer Zeit.)

Forderungen der Ladiner: Anerkennung der Volksgruppe – Wiedervereinigung mit Südtirol – Recht auf Selbstbestimmung – Volksabstimmung!

Am 15. Juni 1946 versammelten sich an die 3.000 Vertreter der sechs ladinischen Talschaften in Südtirol auf dem Grödner Joch und gründeten die politische Vereinigung „Zent Ladina Dolomites“ („Ladinisches Volk der Dolomiten“).

Blick vom Grödner Joch ins Abteital. Hier hatten sich 3.000 Vertreter der ladinischen Gebiete versammelt. (Historische Postkarte.)
Blick vom Grödner Joch ins Abteital. Hier hatten sich 3.000 Vertreter der ladinischen Gebiete versammelt. (Historische Postkarte.)

Der ladinische Historiker Anton Piccolruaz berichtet, dass auf dieser Versammlung ein Programm der „Zent Ladina Dolomites“ beschlossen worden sei, in welchem „die staatliche Anerkennung der Dolomitenladiner als ethnische und sprachliche Minderheit“ sowie die Rückgliederung der gegen den Willen der einheimischen Bevölkerung abgetrennten ladinischen Gebiete an Südtirol gefordert wurde.

Zudem sei in dem Programm aber noch folgende Forderung erhoben worden: „Gewährung des Selbstbestimmungsrechtes mit Zulassung einer Volksabstimmung im ganzen Dolomiten gebiet, die es den dort ansässigen Ladinern ermöglicht, über ihr Schicksal an der Seite der deutschsprachigen Südtiroler zu bestimmen.“ (Anton Piccolruaz: „Die Dolomitenladiner – Die Passion einer kleinen Minderheit“, 8. Teil: „Die Ladiner auf der Suche nach sich selbst“, in: „Südtirol in Wort und Bild“, , Nr. 2, Innsbruck 1982.)

Einige der Unterzeichner der Gründungsurkunde der Vereinigung „Zent Ladina Dolomites“. In dem Dokument folgen noch zahlreiche weitere Unterschriften. (Aus: Guido Iori Rocia: „Protest der Ladinischen Bevölkerung der Dolomiten – Dokumente des Kolonialismus von Trient“, Sonderdruck der Zeitschrift „Il Postiglione delle Dolomiti“, Canazei 1972, S. 13)

Juli 1946: Die Kundgebung auf dem Sellajoch: „Tiroler sind wir und Tiroler wollen wir bleiben!“

Am 14. Juli 1946 trafen auf dem Sellajoch Vertretungen der ladinischen Talschaften zur ersten Tagung der „Zent Ladina Dolomites“ zusammen.

Aus allen ladinischen Talschaften kamen die Teilnehmer auf das Sellajoch, vielfach in ihre alten schönen Trachten gekleidet.
Aus allen ladinischen Talschaften kamen die Teilnehmer auf das Sellajoch, vielfach in ihre alten schönen Trachten gekleidet.

Das SVP-Organ „Volksbote“ berichtete darüber am 18. Juli 1946 unter dem Titel

Es sei ein strahlender Tag gewesen, an dem sich Trachtengruppen und Musikkapellen unter flatternden Fahnen eingefunden hatten. „Die größte aller Gruppen hatte Cortina d’Ampezzo entsandt; trotzdem der Bürgermeister und der Kommissar der Pubblica Sicurezza (Anm.: Polizeikommissar für die öffentliche Sicherheit) den Ampezzanern verboten hatte, an der Kundgebung teilzunehmen, waren nicht weniger als 350 Ampezzaner erschienen, davon 180 in Tracht. …Spruchtafeln mit den Aufschriften ‚Das ladinische Ampezzo will zurück zu Bozen‘, ‚Das Volk will wieder unter Bozen vereint sein‘ usw. wurden mitgetragen.“ („Volksbote“ vom 18. Juli 1946)

 

Dieses Bild zeigt eine Teilnehmergruppe aus Vig/Vigo im Fassatal. Auf der von ihnen getragenen Tafel stand auf Ladinisch geschrieben: „Wir wollen wieder unter Bozen vereint sein.“
Dieses Bild zeigt eine Teilnehmergruppe aus Vig/Vigo im Fassatal. Auf der von ihnen getragenen Tafel stand auf Ladinisch geschrieben: „Wir wollen wieder unter Bozen vereint sein.“

Die Kundgebung auf dem Sellajoch.
Die Kundgebung auf dem Sellajoch.

Wie der „Volksbote“ weiter berichtete, betonte der Präsident der Vereinigung „Zent Ladina Dolomites“, Dr. Ghedina, in seiner Ansprache, „dass alle Ladiner, die heute noch von ihren übrigen Brüdern getrennt durch Willkürgrenzen leben müssen, wieder zurückverlangen zum alten Südtirol und unter Bozen ein geschlossenes, brüderliches Leben führen wollen, wie durch die vielen Jahrhunderte herauf bis zur Ankunft der Faschisten. Abschließend fragte der Redner die Ladiner, ob sie gewillt seien, mit ihren Brüdern in Bozen, mit den übrigen ladinischen und österreichischen Südtirolern jedes Schicksal zu teilen und erhielt darauf die einstimmige Antwort: ‚Wir wollen zurück zu Bozen.‘(„Volksbote“ vom 18. Juli 1946)

An der repressiven Haltung Roms gegenüber den Ladinern änderte sich auch nach dieser Willenskundgebung nichts.

Die Forderung nach Angliederung an Südtirol ist nach wie vor unerfüllt – und aufrecht

Die Dreiteilung der im Jahre 1968 etwa 23.500 Personen zählenden Ladiner hat zur Folge, dass sie in jeder der drei Provinzen eine verschwindende Minderheit sind. („Zahl aus „Südtiroler Nachrichten“, Bozen, 14. Juli 1968)

Es gibt bis heute keine gemeinsame parlamentarische Vertretung der Ladiner in Rom und es ist keine handhabbare kulturelle sowie kirchliche Einheit gegeben.

In der Provinz (Südtirol) genießen die Ladiner grundlegende Rechte in Bezug auf den Schutz der ladinischen Sprache und Kultur sowie auf den Unterricht in der Muttersprache. In den Provinzen Trient und Belluno besteht hier noch großer Nachholbedarf.

Als sich am 17. Juli 2016 zahlreiche Ladiner zu einer Gedenkveranstaltung wieder auf dem Sellajoch trafen, wurde erneut die Forderung nach einem vereinten Ladinien erhoben. Die SVP-Vertreter Florian Mussner und Daniel Alfreider enttäuschten die Zuhörer. Ein klares Bekenntnis zu einem geeinten Ladinien war von ihnen nicht zu vernehmen. Stattdessen wurde von einem Europa geplaudert, in dem die Grenzen immer weniger eine Rolle spielen würden. (Presseaussendung der Landtagsfraktion der „Süd-Tiroler Freiheit“ -STF.)

Am 28. Oktober 2007 fand eine Volksbefragung der Wahlberechtigten der drei ladinischen Gemeinden Cortina d’Ampezzo, Buchenstein und Colle S. Lucia statt. Nahezu 80 Prozent der Referendum-Teilnehmer äußerten den Wunsch, wieder an Südtirol angegliedert zu werden.

Titelseite der „Neue Südtiroler Tageszeitung“ vom 30. Oktober 2007. Das Referendum wurde von Rom ignoriert.
Titelseite der „Neue Südtiroler Tageszeitung“ vom 30. Oktober 2007. Das Referendum wurde von Rom ignoriert.

Zahlreiche Einwohner hatten auch öffentlich „Flagge gezeigt“. (Bilder „Südtiroler Heimatbund“)
Zahlreiche Einwohner hatten auch öffentlich „Flagge gezeigt“. (Bilder „Südtiroler Heimatbund“)

Wie es nicht anders zu erwarten gewesen war, missachtete der italienische Staat auch diesen Akt der Selbstbestimmung, welcher von den Bürgermeistern und Gemeinderäten der genannten Gemeinden initiiert worden war.

Am 31. Dezember 2010 berichtete die Tageszeitung „Dolomiten“: „In Sachen Referendum der drei Alttiroler Gemeinden tut sich … gar nichts, obwohl die Regierung in Rom mit ihrer Untätigkeit gegen die Gesetze verstößt: Innerhalb von 60 Tagen nach der Überprüfung der Rechtmäßigkeit solcher Referenden müsste das Innenministerium dem Parlament einen entsprechenden Gesetzentwurf zum Regionenwechsel vorlegen. Das ist nicht geschehen.“

Wie die „Dolomiten“ dann am 14. Jänner 2011 berichten mussten, hatte der traditionell zentralistisch orientierte italienische Verfassungsgerichtshof in Rom in der Folge eine Klage der Gemeinde Col/Colle S. Lucia gegen die Untätigkeit der Regierung hinsichtlich der Umsetzung des Referendumsergebnisses zur Angliederung der Gemeinde an die Region Trentino/Südtirol als unzulässig abgewiesen.

Wenn man mit den Leuten in den abgetrennten ladinischen Tälern spricht, so erfährt man, dass bis heute das Verlangen nach Rückkehr zu Südtirol besteht.

Auf dem Sellajoch weist diese große Darstellung die Vorbeifahrenden auf die immer noch bestehende Trennung der Ladiner hin. (Bild: „Süd-Tiroler Freiheit“)
Auf dem Sellajoch weist diese große Darstellung die Vorbeifahrenden auf die immer noch bestehende Trennung der Ladiner hin. (Bild: „Süd-Tiroler Freiheit“)




Eine erstaunliche Umfrage des „Südtiroler Heimatbundes“ (SHB) in Italien

  • Mehrheit der Italiener beurteilt die historische Aufarbeitung des Faschismus als mangelhaft
  • Mehrheit der Italiener lehnt faschistischen Völkermord und andere Verbrechen ab
  • Mehrheit der Italiener ist jedoch für die Beibehaltung der faschistischen Denkmäler in Südtirol als Ausdruck der „Italianità“ des „Alto Adige“

100 Jahre nach der Machtergreifung des „Duce“ – Wie stehen die Italiener heute zum Faschismus?

Der „Südtiroler Heimatbund“ (SHB) ist eine Vereinigung, die von ehemaligen Südtiroler Freiheitskämpfern und politischen Häftlingen der 1960er Jahre gegründet wurde und die für die Wiederherstellung der Landeseinheit Tirols eintritt. Deren Obmann ist heute Roland Lang aus Terlan.

Roland Lang, Obmann des „Südtiroler Heimatbundes“ (SHB)
Roland Lang, Obmann des „Südtiroler Heimatbundes“ (SHB)

100 Jahre nach der Machtergreifung des Faschismus sei es an der Zeit gewesen, so der SHB-Obmann Lang in einer Pressemitteilung, die Einstellung der Italiener zum Faschismus und zur Aufarbeitung der schwarzen Diktatur in einer Meinungsumfrage zu erforschen.

Daher beauftragte der SHB das renommierte Meinungsforschungsinstitut DEMETRA mit einer Umfrage in Italien, deren Ergebnisse der SHB wie folgt vorstellt:

Die 3 Fragen

Frage 1: Sind Sie der Meinung, dass in Italien genügend getan wurde, um über den italienischen Faschismus aufzuklären, und ob die Verantwortung für den Faschismus anerkannt und sanktioniert (bestraft) wurde?

Beantwortung:

  •  Ja 44,2%
  • Nein 55,8%

(Nach Altersgruppen: Befragte der Altersgruppe 18 bis 29 Jahre verneinen die Frage zu 49%. Befragte der Altersgruppe 30 bis 44 Jahre verneinen die Frage zu 56%. Befragte der Altersgruppe 45 bis 54 Jahre verneinen die Frage zu 57%. Befragte der Altersgruppe 55-64Jahre verneinen die Frage zu 56 %. Befragte ab 65 Jahren verneinen die Frage zu 60%.)

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Mehrheit der Italiener mit der Aufarbeitung des Faschismus nicht zufrieden ist.

Frage 2: Welche der folgenden 4 Maßnahmen würden Sie verurteilen?

Durchgangslager und Konzentrationslager
Die Rassengesetze (leggi razziali)
Einsatz von Giftgas im Abessinienkrieg
Unterdrückung der Minderheiten

 Beantwortung:

87%-89,5% lehnen alle vier Maßnahmen des Faschismus ab.
In den Altersgruppen zeigen sich wieder die charakteristischen Unterschiede, die aber nicht wirklich hoch ausfallen. In keiner Altersgruppe fällt der Wert unter 81 %.

 Frage 3: In Südtirol gibt es immer noch Denkmäler, die in der Zeit des Faschismus errichtet wurden. Sollte Ihrer Meinung nach die Bevölkerung österreichischen Ursprungs diese Denkmäler als Ausdruck der Italienität des Alto Adige (Italianità) annehmen?

Beantwortung:

Ja 56,2%
Bei der Beantwortung dieser Frage wird zweierlei klar: Der historische Faschismus wird abgelehnt, nicht aber das Ergebnis der Italienisierung, die italienische Zuwanderung und die damit verbundene „Italianità“.

Über die damit verbundene politische Zumutung an die Südtiroler scheint man sich nicht viele Gedanken zu machen. Man mutet es ihnen durchaus zu, eine mit faschistischen Denkmälern betonte „Italianità“ gutzuheißen. Demokratiepolitisch ist das nicht unbedenklich.

Das Ergebnis der Umfrage zeigt, dass eine große Mehrheit der Italiener die grausamsten Verbrechen des Völkermordes (Genozid) ablehnt.

Eine Mehrheit der befragten Italiener verurteilt aber leider nicht den faschistischen Versuch des kulturellen Völkermordes (Ethnozid – ohne Tötung der Angehörigen der betroffenen Volksgruppe) in Bezug auf Südtirol.

Die Südtiroler sollen nämlich die faschistischen Denkmäler als Ausdruck der aufgezwungenen „Italianità“ des „Alto Adige“ akzeptieren.

Der SHB-Obmann Roland Lang vor dem Eingang zum Regierungskommissariat in Bozen, welcher immer noch mit einem faschistischen Liktorenbündel geschmückt ist.
Der SHB-Obmann Roland Lang vor dem Eingang zum Regierungskommissariat in Bozen, welcher immer noch mit einem faschistischen Liktorenbündel geschmückt ist.

Gegen die Vollendung dieses faschistischen Programmes werde der „Südtiroler Heimatbund“ (SHB) auch in Zukunft mit allen ihm zur Verfügung stehenden demokratischen und friedlichen Mitteln auftreten, erklärte der SHB-Obmann Roland Lang abschließend in seiner Pressemitteilung.




Italien im politischen Chaos – Auswirkungen auf Südtirol?

Die Medien sind voll mit Berichten über den Rücktritt des italienischen Ministerpräsidenten Draghi und das – wie auch schon so oft in  der Vergangenheit – herrschende politische Chaos in Italien.

Beobachter fürchten bei kommenden Wahlen eine Verstärkung des nationalistischen Flügels in der italienischen Politik und befürchten, dass auch auf Südtirol schwierigere Zeiten zukommen könnten.

Dankenswerter Weise hat Dr. Franz Pahl, Altmandatar der Südtiroler Volkspartei (SVP), einen fachkundigen Beitrag zur aktuellen Situation in Italien zur Verfügung gestellt.

Dr. Franz Arthur Pahl, von Beruf Lehrer, war von 1976 bis 1979 Landesjugendsekretär der Südtiroler Volkspartei (SVP). Von 1983 bis 2008 war er Abgeordneter im Südtiroler Landtag und im Regionalrat Trentino-Südtirol. Er hatte einige Jahre auch die Ämter des Vizepräsidenten der Regionalregierung und des Präsidenten des Regionalrats inne.

Er folgte stets einer klaren volkstumspolitischen Linie, die er auch heute zusammen mit Kollegen des SVP-Klubs der Altmandatare in Stellungnahmen und fachlichen Konzepten öffentlich vertritt.

Sorgenkind Italien

 von Dr. Franz Pahl

 Journalistischer Übereifer schrieb sich wieder einmal die Finger wund. Der 20. Juli 2022 wird in die politische Geschichte Italiens lediglich als einer der Zähltage von 70 italienischen Regierungskrisen eingehen. Der Senat bestätigte Ministerpräsident Mario Draghi zwar noch mit 95 gegen 39 Stimmen im Amt, doch für eine Parlamentsmehrheit reichte es nicht mehr. Draghi hatte allzu sehr auf sein Prestige gehofft.

Wie üblich verantwortungslos

Doch die „Bewegung der Fünf Sterne“ (Movimento 5 Stelle, M5S) unter dem früheren Ministerpräsidenten Conte war nicht mehr zu einer Koalition zu bewegen. Auch die beiden Rechtsparteien Forza Italia (Berlusconi) und Lega (Salvini) nahmen an der Abstimmung nicht teil mit der Begründung, mit dem unzuverlässigen Conte wolle man keinen „Vertrauenspakt“ mehr bilden.

In Wirklichkeit traten sie wie Conte die Flucht nach vorne an in der Hoffnung, durch Neuwahlen ihre schwindende Zustimmung in den Umfragen aufzufangen und einige Prozente zu gewinnen. Vorerst sieht es nicht danach aus. Außenminister Di Maio brandmarkte die Haltung der Fünf-Sterne-Bewegung. Man habe die Zukunft der Italiener verspielt. Die Folgen würden in die Geschichte eingehen.

Man dramatisiert gerne in Italien und vergisst, dass es auch andere Regierungskrisen gab, die alle durch die Verantwortungslosigkeit gegenüber den Interessen des Staates und Europas herbeigeführt wurden. Bereits am 25. September d.J. werden die Parlamentskammern neu gewählt.

Dreihundert Sitze weniger im Parlament

 Aufgrund einer Verfassungsänderung, die die Volksabstimmung im September 2020  bestätigte, werden für die Abgeordnetenkammer statt 630 nur noch 400, für den Senat statt 315 nur noch 200 Vertreter gewählt. Ob die geringere Zahl von Volksvertretern die politische Qualität des Parlaments erhöht, darf man bezweifeln. In Italien entscheiden in der Regel die Parteiführer im engen Kreis über die Kandidatenaufstellung.

Geläuterter Renzi

Die faktische Entmachtung des Senats nach dem Willen des ehemaligen Führers der Demokratischen Partei, Matteo Renzi, hatte das italienische Volk 2016 zu Fall gebracht, indem es die radikal zentralistisch ausgerichtete Verfassungsreform mit Zweidrittelmehrheit ablehnte.

Das Volk will das System vollkommen gleichberechtigter Kammern in jetzt verkleinerter Größe. Renzi hatte das Zentralisierungsprojekt mit seinem Namen verbunden und musste gehen. Heute sitzt er mit einer kleinen Gruppe im Senat, den er zu einer einflusslosen Regionenvertretung ohne Mitbestimmung über den Staatshaushalt und die staatliche Gesetzgebung umgestalten wollte.

Der Senat korrigiert die Kammer

Das italienische Wählervolk erwies sich als weiser als die Parteien und die Journalistentruppe – auch die bundesdeutsche – die die Zentralisierung als Staatsrettung vor allen italienischen Übeln anpries. Die Existenz des Senats sichert im politisch-hysterischen Politikbetrieb, dass die oft recht opportunistisch motivierten Entscheidungen der Abgeordnetenkammer durch den Senat als gleichberechtigte zweite Parlamentskammer wieder etwas zurechtgerückt werden.

Im Senat, lat. dem „Rat der Alten“, sitzen aufgrund einer Verfassungsbestimmung nur Vertreter ab 40 Jahren. Im Normalfall sind Menschen in diesem Alter beruflich arriviert und können die Politik weniger mit Blick auf eigene Interessen betrachten. Die Kammer findet im Senat ihr korrigierendes Pendant.

Italien hat kein konstruktives Misstrauensvotum

Alle Regierungskrisen in Italien finden ihren Hauptgrund darin, dass es kein konstruktives Misstrauen gibt. Eine Regierung kann also gestürzt werden, ohne dass die Opposition zugleich ihren Gegenkandidaten für den Ministerpräsidenten mit eigener neuer Mehrheit vorstellen muss. In diesem Fall gäbe es auch die neue Krise nicht, weil sich die Gegner auf keinen neuen Kandidaten mit eigener Mehrheit hätten einigen können. Der gegenwärtigen Regierungskrise werden also weitere folgen.

Meloni im Aufwind, Fünf Sterne im Sinken

Den Verursachern der Krise scheint vorerst kein Vorteil daraus erwachsen zu sein. Hingegen dürfte dies die strikt rechtskonservative Partei der „Brüder Italiens“ (Fratelli d’Italia, FdI) von Giorgia Meloni begünstigen. Sie fischt seit langem im Lager der nostalgischen Rechtswähler und jener, die sich einen „starken“ Staat wünschen.

Giorgia Meloni

Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts QUORUM kurz nach dem Sturz Draghis steht sie in der Wählergunst mit 23,8% an erster Stelle, gefolgt von der Demokratischen Partei (PD) des EU-Kommissars Letta mit 22,5%.

Die beiden Parteien kämpfen um die Vorherrschaft im Wahlkampf. Die Lega verlor ein Prozent und steht bei 13,4% und die Fünf-Sterne-Bewegung bei nur noch 9,8%; ein Schatten ihrer selbst im Vergleich zum Wahlergebnis im März 2018 mit 32,68%. Die Lega hatte damals 17,35% erreicht und war unter der Führung Salvinis als damaliger Innenminister in den Umfragen auf über 30% gekommen!

Berlusconis Forza Italia steht bei 14%.

Melonis FdI hatte 2018 nur 4,35% erhalten. Ihr Wahlerfolg im September wird zu Lasten der anderen Rechtsparteien gehen.

Italien besorgt Ukraine

Für den ukrainischen Präsidenten Selensky ist der Rücktritt Draghis wegen dessen positiver Haltung bedenklich. Salvini und Berlusconi haben seit Jahren Putin hofiert. Interessant darum, dass Giorgia Meloni in einer Erklärung versicherte, Italien würde selbstverständlich weiter die Ukraine auch mit Waffen beliefern. Putin sei der Aggressor, der ganz Europa gefährde. Die Ukraine verteidige ganz Europa.

Südtirol verhält sich abwartend

Auf Südtirol wird sich die Neuwahl deutlich auswirken, falls Melonis Partei die meisten Stimmen erringt und ihr damit der Posten des Ministerpräsidenten zusteht.

Allein werden die Rechtsparteien jedoch keine Mehrheit im Parlament erreichen können. Die Demokratische Partei wird entscheidender Mitspieler bleiben, sofern sie nicht selbst den ersten Platz erreicht.

Der Wahlkampf wird erst noch gewichten. Südtirol hat naturgemäß Interesse an einer demokratischen Regierung, in der eine Autonomie-freundliche Partei die politische Linie bestimmt. Berlusconi hat Südtirol in seiner Zeit als viermaliger Regierungschef dennoch fair behandelt. Als er 2005 – wie Renzi 2016 – den Staat zentralistisch umgestalten wollte, räumte er Südtirol eine Sicherheitsklausel durch den Landtag ein, die deutlich besser war als die Garantie Renzis zehn Jahre später. Beide Vorhaben scheiterten in Volksabstimmungen.

Silvio Berlusconi (links) und Matteo Renzi (rechts).

Die SVP hatte sich gegen Berlusconis Projekt gestellt, jedoch dem Vorhaben Renzis zugestimmt und aktiv für die Staatszentralisierung geworben, mit der wenig glaubhaften Versicherung, es seien genügend Garantien für Südtirol eingebaut.

Auch die deutschen Medien sangen damals unkritisch das Lob Renzis, bloß weil er eine sozialdemokratische Partei führte. Die italienischen Wähler bewahrten Italien und Südtirol vor diesem zweifelhaften Vorhaben.

Die Südtirolautonomie war nie abgesichert – EU kein Garant für Minderheiten

 Doch die eigentliche Dauergefahr für Südtirol besteht unabhängig von allen Regierungskrisen. Als Österreich der Europäischen Union beitrat, legte es keinen Rechtsvorbehalt zugunsten Südtirols ein. Damit unterliegt Südtirol allen EU-Bestimmungen, die im Laufe der Jahre immer weitere Bereiche für alle Länder der EU regeln und oft zentralistische Tendenzen haben.

Traditionell sind die europäischen Minderheiten für die EU kein wirkliches Anliegen oder nur so lange, als es zwischen starken Minderheiten und der staatlichen Zentralgewalt zu Auseinandersetzungen kommt, die der Staat nicht mehr beherrschen kann.

Der Fall Katalonien – von der EU diskreditiert

Das Unabhängigkeitsbestreben Kataloniens ließ Spanien gnadenlos mit Polizeigewalt und politischen Schauprozessen abwürgen. Die EU schaute desinteressiert zu. Es wäre die Gelegenheit gewesen, sich als Vermittler zugunsten der Minderheit einzuschalten und sich gegen die offene Repression zu stellen, statt einer Prinzipien losen „Souveränität“ freie Bahn zu lassen.

Das gedankenlos-verantwortungslose EU-Parlament stimmte sogar der Aufhebung der Immunität der katalanischen EU-Abgeordneten zu und lieferte sie damit potenziell der spanischen Rachejustiz aus, die nur durch belgische Gerichtsentscheidungen in die Schranken gewiesen wurde.

Damit kann man sich leicht ausmalen, was Südtirol bei einem gleichen Bestreben zu erwarten hätte.

Südtirolautonomie nicht abgesichert

Mit Ausnahme einiger von italienischen Christdemokraten und Sozialisten bzw. Sozialdemokraten geführten Regierungen hatte Südtirol nie die Garantie, dass seine Autonomie wohlwollend behandelt werde.

Eine internationale Absicherung des Südtirolpakets besteht nicht. Der Briefwechsel Renzi-Faymann wird ohne glaubhafte juristische Grundlage als eine Art völkerrechtliche Absicherung ausgegeben – ein Wunschdenken gegen besseres Wissen.

Südtirol könnte Österreich bei Streitigkeiten mit Italien um eine Klage beim Internationalen Gerichtshof (IGH) ersuchen. Dieser kann aufgrund des IGH-Vertrages, der von beiden Staaten als Paketmaßnahme ratifiziert wurde, über einen Streit zur Auslegung des Pariser Vertrages befinden.

Doch der übertrieben als „Magna Charta“ Südtirols bezeichnete Pariser Vertrag vom 5. September 1946 sichert zwar eine Autonomie zu, die aber letztlich nur sehr allgemein formuliert wurde. Daraus lassen sich juristisch zwingend nicht der Inhalt wesentlicher Autonomie- und Durchführungsbestimmungen ableiten. Das wird in der SVP intern unumwunden zugegeben.

Der hochgerühmte „Pariser Vertrag“ besteht aus nur 40 Textzeilen mit eher allgemein gehaltenen Absichtserklärungen.
Der hochgerühmte „Pariser Vertrag“ besteht aus nur 40 Textzeilen mit eher allgemein gehaltenen Absichtserklärungen.

 

Seit Erlass des zweiten Autonomiestatuts sind fünfzig Jahre vergangen. Trotz der Fülle von Auseinandersetzungen mit Rom und Eingriffen in die Autonomie hat die SVP nie das Begehren an Österreich gestellt, eine Streitfrage vom IGH entscheiden zu lassen.

Notenwechsel von 1992 – Keine Sicherheitsgarantien

 Aus dem Notenwechsel zur Streitbeendigungserklärung zum Südtirolpaket ergibt sich ebenfalls keine Sicherheit gegen Autonomieeingriffe.

Der Text der Streitbeendigungserklärung war schon zwischen den Außenministern Moro und Waldheim am 30. November 1969 vereinbart worden. Darin heißt es: „… erklärt die österreichische Bundesregierung, dass sie die zwischen Österreich und Italien bestehende Streitigkeit, welche Gegenstand der erwähnten Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen war und den Status des deutschsprachigen Elements der Provinz Bozen – Durchführung des Pariser Vertrages – betrifft, als beendet betrachtet.“

Der Pariser Vertrag selbst bleibt unberührt bestehen. Am 22. April 1992 notifizierte die italienische Regierung die Durchführung des Paketmaßnahmen an Österreich. Zugleich wurde auch das Autonomiestatut wegen des „sachlichen Zusammenhangs“, mit beigelegt. Daraus leitet Österreich ab, dass Italien seinen widerspenstigen Rechtsstandpunkt aufgegeben habe.

Immer wieder hatte Italien behauptet, Südtirol sei im Zusammenhang mit seiner Autonomieregelung eine Angelegenheit Italiens. Trotzdem führte Italien Autonomieverhandlungen – unter dem Druck der UN-Resolutionen von 1960/61 und der Attentatsserie gegen italienische Militäreinrichtungen ab der „Feuernacht“ im Juni 1961. Die Übergabe des Textes des Autonomiestatuts stellte nun eine Abweichung von diesem Strandpunkt dar, auch wenn Italien dies nie offiziell einräumte.

Österreichische Antwort

Wien antwortete mit seiner Verbalnote vom 22. Juni 1992 und stellte darin seine Sicht der Autonomie und der künftigen Rechte Österreichs im Falle von Streitigkeiten dar. Um sich offiziell eine Tür offen zu halten, stellt Österreich in der Note auch fest:

„Die österreichische Regierung geht unter Beibehaltung ihrer Verantwortung als Unterzeichner des Pariser Abkommens davon aus, dass die von der Italienischen Regierung im Interesse der Volksgruppen Südtirols durchgeführten Maßnahmen und somit das Autonomiestatut 1972 mit seinen Durchführungsbestimmungen, ordentlichen Gesetzen und Verwaltungsakten, wie aus dem Anhang zur Note vom 22. April 1992 hervorgeht, nicht einseitig abgeändert werden, sondern, wie der italienische Ministerpräsident (Anm. Andreotti) in seinen Parlamentserklärungen vom 30. Jänner 1992, welche der österreichischen Seite mit der genannten Note vom 22. April übermittelt wurden, festgestellt hat, nur im Rahmen der gemeinsamen Verantwortung und des bereits bisher zwischen der Zentralgewalt und den betroffenen Volksgruppen erreichten politischen Konsenses, welche auch für den Fall fort dauern müssen, dass normative Änderungen erforderlich sein sollten.“

Politische Erwartungshaltung ist keine Garantie

 Dieser gedrechselten Sprache ist zu entnehmen: Österreich erwartet sich, dass einschneidende Änderungen nur gemeinsam mit Italien erfolgen. Es ist eine politische Forderung und Erwartungshaltung, die kein juristisches Junktim darstellen.

In der Praxis erfolgen nach staatlichen Eingriffen in die Autonomie, sofern es nicht Urteile des Verfassungsgerichtshofes sind, die eine Regierungsmaßnahme abstützen, stets Verhandlungen Südtirols mit der römischen Regierung und erst im Notfall auch eine Einschaltung Österreichs. Das hat aber Beschränkungen der Autonomie nicht verhindert.

Auf die Einschaltung des IGH verzichtet man aus Furcht vor Niederlagen.

Auf die Mängel des Pariser Vertrages, der für Bruno Kreisky als ein Dokument „österreichischer Schwäche“ und nicht als „Magna Charta“ anzusehen ist, hat der österreichische Historiker Helmut Golowitsch in seinem Werk „Kapitulation in Paris – Ursachen und Hintergründe des Pariser Vertrags 1946“ deutlich hingewiesen.

Erscheinungsort: Nürnberg-Graz 1989

Die gegenwärtige Regierungskrise mit ihren egoistischen Machtspielen von drei Parteiführern – Conte, Salvini, Berlusconi – schadet Italien selbst am meisten. Europäische Finanzmittel warten immer noch auf Programme zur Durchführung. Auf Monate hin wird es keine italienischen Waffenlieferungen mehr an die Ukraine geben.

Brüssel verliert den für die EU berechenbaren, verlässlichen Draghi als Partner.

Südtirol muss ebenfalls auf die Wartebank, bis sich nach den Wahlen entscheidet, mit welcher Regierung man danach zu rechnen hat.

Doch die Autonomie als Ganzes war nie vor Beschränkungen sicher und hat dies oft genug erfahren. Das muss auch die gegenwärtige Landespolitik hinnehmen.

Nach Meinung Vieler verfolgt sie gegenüber Rom einen anpassenden Kurs. Das wirft Fragen nach den Langzeitfolgen auf. Der Fremdstaat war nie Freund Südtirols.




Hintergründe zur Aushöhlung der Südtirol-Autonomie

Die Verabschiedung Österreichs aus seiner Schutzmachtrolle und der Streitfall vor der UNO und die „Streitbeilegung“

Am 6. Juli 1960 hatte der österreichische Außenminister Dr. Bruno Kreisky der Vollversammlung der Vereinten Nationen ein Memorandum überreicht, in welchem über die nach 1945 fortgesetzten Italianisierungsmaßnahmen Italiens in Südtirol Bericht erstattet wurde. Am Schluss des Memorandums hatte es geheißen: „Österreich richtet daher an die Vollversammlung gemäß Artikel 10 und Artikel 14 der UN-Satzung das Ersuchen, den aus der Vorenthaltung der Autonomie entstandenen österreichisch-italienischen Streitfall zu behandeln und im Geiste der Charta eine demokratischen Grundsätzen entsprechende gerechte Lösung herbeizuführen, die der österreichischen Minderheit in Italien die von ihr geforderte und zur Erhaltung ihrer Existenz als Minderheit auch benötigte Selbstverwaltung und Selbstregierung im Sinne einer echten Autonomie gewährt und sicherstellt.“

Unter dem Druck der Anschläge der Südtiroler Freiheitskämpfer, welche die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf das ungelöste Südtirol-Problem lenkten, war es zu Verhandlungen mit Rom gekommen, die letztlich zu dem Autonomie-Statut von 1972 führten.

Am 11. Juni 1992 hatten Österreich und Italien dann gegenüber der UNO die sogenannte „Streitbeilegungserklärung“ abgegeben.

Anschließend setzte eine nach Salamitaktik scheibchenweise vorgenommene Autonomiebeschneidung durch Rom ein, gegen die Österreich nichts unternahm. Wie neuere Untersuchungen zeigen, sind bis heute mehr als 50 Prozent der Landeskompetenzen Südtirols von Italien eingeschränkt oder gar abgeschafft worden. Die „Schutzmacht“ Österreich hat diesem Geschehen tatenlos zugesehen. Die Hintergründe für dieses Verhalten werden in dieser Dokumentation aufgezeigt.

Jubelveranstaltung in Bozen

Am 11. Juni 2022 fand im Bozner Stadttheater eine offizielle Jubelveranstaltung unter dem Titel „30 Jahre Streitbeilegung vor den Vereinten Nationen – Südtirols Autonomie als gemeinsame Verantwortung“ statt.

Dort schwangen Südtirols Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP), der österreichische Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) und der italienische Außenminister Luigi di Maio salbungsvolle Reden.

Aus: „Dolomiten“ vom 13. Juni 2022.

Landeshauptmann Kompatscher erklärte die Südtirol-Autonomie zu einem „Vorzeigemodell“ und forderte in seltsamem Widerspruch dazu, dass man die verloren gegangenen Kompetenzen wieder herstellen müsse.

Außenminister Schallenberg erklärte, dass in Südtirol eine „Win-win-Situation“ auf einem einvernehmlichen bilateralen Weg geschaffen worden sei. Außenminister Di Maio erklärte, dass Österreich und Italien eine tiefe Freundschaft verbinde. (Siehe „Die neue Südtiroler Tageszeitung“ online vom 11. Juni 2022)

Wie es tatsächlich um das „Vorzeigemodell“ der Südtirol-Autonomie steht, zeigt die nachstehende kurze Dokumentation, welche der ehemalige Landeskommandant des „Südtiroler Schützenbundes“, Elmar Thaler, in seinem Blog auf der Internetseite des Portals „Unser Tirol 24“ veröffentlicht hat.

Die international-rechtlich nicht abgesicherte Südtirol-Autonomie

 von Elmar Thaler

Elmar Thaler

Nun, da der offizielle Jubel über „30 Jahre Streitbeilegung vor den Vereinten Nationen“ verklungen ist, zeigt die nachstehende Darstellung, dass die Südtirol-Autonomie auf tönernen Beinen steht. Die Behauptung, dass sie international-rechtlich gut abgesichert sei und der ganzen Welt als Vorbild dienen könne, ist eine Irreführung der Bevölkerung.

 

Das EWG-Veto Italiens und Österreichs Verzicht auf eine vertragliche Absicherung der Autonomie

Der österreichische Außenminister Dr. Bruno Kreisky und sein italienischer Kollege Giuseppe Saragat hatten eine zwischenstaatliche Vereinbarung über das künftige Autonomie-„Paket“ und die Einrichtung eines Schiedsgerichtes für die Klärung allfälliger Streitfragen geplant gehabt.

Als die Österreichische Volkspartei (ÖVP) 1966 bei den Nationalratswahlen die absolute Mehrheit errang, ließ der neue Außenminister Dr. Lujo Toncic-Sorinj unter dem Druck des italienischen Vetos gegen einen Beitritt Österreichs zur „Europäischen Wirtschafts-Gemeinschaft“ (EWG) die Forderung nach internationaler Verankerung fallen.

Die italienische Seite beharrte darauf, dass in Zukunft Streitfragen in Bezug auf die Autonomie von Österreich vor den Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag gebracht werden müssten. Dort könnten jedoch nicht die Autonomiebestimmungen des italienischen „Sonderstatuts für Trentino-Südtirol“ von 1972 eingeklagt werden, die rein innerstaatliche italienische Rechtsakte seien, auf die Österreich keinen internationalen Rechtsanspruch habe und die eine „Übererfüllung“ des „Pariser Vertrages“ darstellten. Eingeklagt werden könne nur das „Pariser Abkommen“ von 1946.

Ein vernichtendes Gutachten

Der Teufelsfuß an der Sache: Das „Pariser Abkommen“ von 1946 umfasst lediglich 40 Textzeilen und besteht vorwiegend aus unverbindlichen Absichtserklärungen.

Eindeutig geregelt sind nur der gleichberechtigte Gebrauch der deutschen Sprache in öffentlichen Ämtern, der Schulunterricht in der Muttersprache und die Gleichberechtigung bei dem Eintritt in den öffentlichen Dienst. In einer allgemein gehaltenen Floskel wurde eine autonome regionale Gesetzgebungs- und Verwaltungsbefugnis zugesichert, deren Umfang jedoch nicht definiert war.

Das lediglich 40 Textzeilen umfassende und nahezu nur aus allgemeinen Absichtserklärungen bestehende „Pariser Abkommen“.
Das lediglich 40 Textzeilen umfassende und nahezu nur aus allgemeinen Absichtserklärungen bestehende „Pariser Abkommen“.

Am 1. Mai.1992 legte der Salzburger Jurist Univ.-Prof. DDr. Franz Matscher dem österreichischen Außenminister Dr. Alois Mock ein Gutachten „Zur internationalen Verankerung des Pakets“ vor. (Seinerzeit zur Verfügung gestellt von Univ.-Prof. Dr. Felix Ermacora)

In diesem Gutachten erklärte Univ.-Prof. DDr. Matscher, dass Italien seinen Rechtsstandpunkt nicht aufgegeben habe, wonach „die Paketmaßnahmen innerstaatliche, Österreich gegenüber völkerrechtlich nicht verbindliche Rechtsakte“ darstellten.

Eine erfolgreiche Einklagbarkeit von Paketmaßnahmen vor dem IGH sei davon abhängig, dass der Nachweis gelinge, dass die verletzte Autonomiebestimmung, derentwegen die Klage erhoben werde, aus dem Pariser Vertrag ableitbar und zu seiner Erfüllung auch notwendig sei.

Bei den Fällen unmittelbarer Ableitbarkeit aus dem Pariser Vertrag dürfte dieser Nachweis relativ leicht, bei den Fällen mittelbarer Ableitbarkeit schwierig und bei den Fällen entfernter Ableitbarkeit eher zu verneinen sein.

Diese Feststellungen des Gutachters Univ.-Prof. DDr. Matscher standen in offenem Widerspruch zu der offiziellen Behauptung der österreichischen Bundesregierung, wonach alle Paketmaßnahmen als notwendig zur Erfüllung des Pariser Abkommens von 1946 anzusehen und daher mit Erfolg vor dem IGH einklagbar seien.

Ende Mai 1992 veröffentlichte die „Autonome Region Trentino-Südtirol“ den damaligen Autonomiebestand in einem dicken Buch von 741 Seiten. Man kann sich ungefähr vorstellen, wieviel dieser Materie aus einem 40 Zeilen umfassenden Schriftstück namens „Pariser Abkommen“ direkt abgeleitet werden kann!!!

Österreichs Verabschiedung aus der Schutzmachtrolle für die Autonomie

Am 5. Juni 1992 stimmte der Österreichische Nationalrat trotz dieses Gutachtens und zahlreicher Proteste von Rechtskundigen wie Univ.-Prof. Dr. Felix Ermacora mit den Stimmen der ÖVP und der SPÖ gegen die Stimmen der FPÖ der Unterzeichnung des sogenannten IGH-Vertrages zu, in welchem die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofes (IGH) für Streitigkeiten über Auslegungen des „Pariser Abkommens“ vereinbart wurde.

Am 11. Juni 1992 übergab der österreichische Außenminister Dr. Alois Mock dem italienischen Botschafter Quaroni eine Verbalnote, mit der Österreich die Erfüllung des Autonomie-„Pakets“ durch Italien formell anerkannte.

Am 19. Juni 1992 gaben Österreich und Italien gegenüber den Vereinten Nationen die sogenannte „Streitbeilegungserklärung“ ab

Österreich scheut bis heute den Gang zu dem IGH

Trotz fortgesetzter Autonomieaushöhlungen scheut die österreichische Bundesregierung bis heute den Gang zum Internationalen Gerichtshof (IGH). Die Gefahr, eine solche Klage formalrechtlich zu verlieren, ist zu groß. Eine österreichische Niederlage vor dem IGH würde weiteren italienischen Eingriffen in die Autonomie erst richtig Tür und Tor öffnen und der Öffentlichkeit zeigen, wie es um die „Schutzmachtrolle“ Österreichs in Bezug auf die Autonomie „international-rechtlich“ in Wahrheit bestellt ist.

Damit erklärt sich, weshalb Südtirol bei allen bisherigen Autonomie-Aushöhlungen von Österreich allein gelassen wurde und bis heute darauf angewiesen ist, in endlosem Kuhhandel durch Gegengeschäfte und gefällige Abstimmungen im römischen Parlament zu versuchen, jeweils zu retten, was zu retten ist.




„Herzensangelegenheit Südtirol“ im Fall Orian nur ein Lippenbekenntnis

Viele österreichische Politiker bekundeten stets, dass ihnen „Südtirol eine Herzensangelegenheit“ sei.

In einer offiziellen Stellungnahme der österreichischen Regierung lautete die Erklärung so: „Österreich hat aufgrund des Pariser Abkommens aus 1946 eine Schutzfunktion für Südtirol, welche die Bundesregierung seit Jahrzehnten bis heute sehr verantwortungsbewusst wahrnimmt.“ (Bericht des Bundesministers für europäische und internationale Angelegenheiten an den Nationalrat betreffend Südtirol Autonomieentwicklung 2007-2008; III-29 der Beilagen XXIV. GP – Bericht – Hauptdokument).

Auch SPÖ-Nationalratsabgeordnete sind diesem Schönsprech verfallen, wie ein Textauszug aus einer parlamentarischen Anfrage zeigt:

„Die Schutzfunktion Österreichs für Südtirol ist im europäischen Vergleich einmalig. Insgesamt stellt die Autonomie Südtirols ein international anerkanntes Vorzeigemodell dar. (…)  Österreich soll ein verlässlicher Partner für Südtirol bleiben…“ (236/J  vom 02.12.2019 (XXVII. GP; Anfrage der Abgeordneten Petra Vorderwinkler, Genossinnen und Genossen an den Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres betreffend der Beziehungen Österreichs zu Südtirol)

Das Land Südtirol ist jedoch nichts Abstraktes, sondern besteht aus Menschen, die diesen politischen Erklärungen vielfach vertrauten und immer noch vertrauen.

Eine dieser Menschen ist Frau Hermine Orian (geborene Mayr), die am 23.4.2022 ihren 103. Geburtstag feierte.

Hermine Orian

Sie ist die letzte noch lebende Katakombenlehrerin, die in der Zeit des Faschismus unerhörten Mut und Opferbereitschaft zeigte, um für die Rechte ihres Volkes einzutreten.

Die Redaktion des SID berichtete bereits zweimal über ihr Schicksal (21.9.2021 und 3.5.2022) und ihren innigen Wunsch: Sie wünscht sich, als österr. Staatsbürgerin zu sterben, da sie 1919 als österreichische Staatsbürgerin geboren wurde.

Im Fall der Hermine Orian empfiehlt der Nordtiroler Landeshauptmann Günter Platter der Bundesregierung, unter Verweis auf eine Verfassungsbestimmung, ihr den Wunsch der Verleihung der Staatsbürgerschaft „wegen der von ihr bereits erbrachten außerordentlichen Leistungen, die im besonderen Interesse der Republik liegen“, zu gewähren.

LH Platter schrieb dem anfragenden „Andreas Hofer Bund Tirol“ (AHBT):

„Dieser Weg wird auch von Seiten des Herrn Landeshauptmannes begrüßt.“

Seit Anfang Dezember setzen sich die Redaktion des SID und der „Andreas Hofer Bund Tirol“ bei den höchsten Stellen der Republik Österreich für dieses Anliegen ein. Sie kontaktierten schriftlich BP Dr. Van der Bellen, BK Mag. Karl Nehammer, IM Gerhard Karner und AM Dr. Alexander Schallenberg. Sie baten diese Politiker, den letzten Wunsch der Frau Orian zu erfüllen. Bisher vergebens!

Die Redaktion des SID will mit nachfolgender Dokumentation die damalige Lage von Frau Orian in ihrem Heimatort Kurtatsch (und ebenso im Rest des Landes), in der Hermine Orian ihrem Gewissen folgte und als Katakombenlehrerin tätig wurde, den Verantwortlichen im Staat nahe bringen und eine ihnen eine Entscheidungshilfe für eine humane und rasche Entscheidung bieten.

Dokumentation:

Information über den Katakombenunterricht und die Notschullehrerin Hermine Orian (geb. Mayr)

Es ging um die Zukunft dieser Kinder

Angesichts der vollständigen Beseitigung des Gebrauches der deutschen Muttersprache in Schulen, Kindergärten und Kinderhorten durch das faschistische Regime hatte der katholische Priester Kanonikus Michael Gamper am 1. November 1923 in einem Leitartikel in der katholischen Wochenzeitung „Volksbote“ unter dem Titel „Keine deutsche Schule mehr“ auf die Notwendigkeit hingewiesen, den staatlichen Verboten und Zwängen durch Privatunterricht entgegenzutreten.  Notfalls müsse man so wie die frühen Christen, Zuflucht in „Katakomben“ suchen.

Am 2. Oktober 1924 schrieb Kanonikus Michael Gamper in der Zeitung „Volksbote“:

„Liebe Landsleute! Nun beginnt das Schuljahr. Aber wenn es nur mit dem italienischen Unterrichte beginnt, dann ist das für euch so viel wie keines. Dann müsst ihr selber für den Unterricht eurer Kinder in der Muttersprache sorgen. Jedes Haus, jede Hütte, muss zum Schulhaus, jede Stube zur Schulstube werden, in der die Kinder den Unterricht in ihrer Muttersprache erhalten. Und die Lehrer seid ihr.

In der Folge wurde unter der Leitung Gampers dieser Privatunterricht in ganz Südtirol organisiert und es wurden deutsche Lehrpersonen, welche ihre Stellungen verloren hatten, sowie zahlreiche Mädchen für den Unterricht in den Familien gewonnen.

In ganz Südtirol setzte dann der geheime Katakombenunterricht ein. Vielfach wurde er in Bauernhäusern, in Kellern, im Walde, aber auch in den Pfarrhäusern abgehalten und in den meisten Gemeinden waren die Pfarrer zumindest in das Geschehen eingeweiht und unterstützten es.

Zur Finanzierung dieser Tätigkeiten trug auch der im gesamten deutschen Raum durchgeführte Verkauf einer Postkarte bei, auf welcher eine von dem berühmten Bozner Maler Albert Stolz dargestellte Mutter zu sehen war, die ihr Kind lehrte. Auf der Karte war der Vers zu lesen:

„Muttersprache, Mutterlaut,
Wie so wonnesam, so traut“

Wenn der faschistische Staat Katakombenschulen aufdecken und die Geheimlehrer verhaften konnte, wurden diese auf kahle Felseninseln im Mittelmeer in die Verbannung geschickt oder in düsteren Gefängnissen eingekerkert.

Die Verbannungsinsel Lipari
Die Verbannungsinsel Lipari

Darüber berichtete Kanonikus Michael Gamper im Jahr 1927 in einer von ihm unter dem Decknamen „Athanasius“ verfassten Schrift:

„Gegen die Lehrpersonen, meistens waren es Mädchen zwischen 16 und 20 Jahren, wurde mit gerichtlichen Anzeigen, Abschubbefehlen, Ausweisungsandrohungen, Geldstrafen, Verhaftungen, Gefängnisstrafen vorgegangen. Die Verwendung der Miliz führte selbst zu Tätlichkeiten gegen weibliche Lehrpersonen und zu deren Verhaftung.“ (Athanasius: „Die Seelennot eines bedrängten Volkes – Von der nationalen zur religiösen Unterdrückung in Südtirol“, Innsbruck 1927)

Die Verbannten wurden in Ketten auf einsame Inseln gebracht
Die Verbannten wurden in Ketten auf einsame Inseln gebracht

In Kurtatsch leitete die Geheimschullehrerin Marianne Orian mehrere geheime Gruppen, in einer derselben unterrichtete die junge Hermine Mayr die Ortskinder in deutscher Sprache. (Näheres siehe in: Maria Villgrater, Katakombenschule, Bozen, 1984, S. 172 u. S. 402)

Hermine Mayr sollte später den Bruder von Marianne Orian heiraten und damit den Namen Hermine Orian annehmen.

Angela Nikoletti
Angela Nikoletti

Die geheime Tätigkeit von Hermine Mayr/Orian in Kurtatsch war sehr gefährlich. Eine Kollegin von ihr, Angela Nikoletti, gab im Hause ihrer Tante in Kurtatsch Kindern des Dorfes Deutschunterricht. Das blieb nicht verborgen.

Am 11. Mai 1927 stellte sie der faschistische Amtsbürgermeister (Podesta) mit scharfen Worten zur Rede. Ihr Verhalten sei eine Auflehnung gegen den Staat.

Am Abend des 14. Mai 1927 wurde sie von Carabinieri festgenommen und trotz eines ärztlichen Zeugnisses über eine schwere Rippenfellentzündung in den feuchtkalten Kerker von Tramin und dann in den Kerker von Neumarkt gebracht.

Über die brutale Art ihrer Festnahme berichtete damals der in Innsbruck erscheinende „Tiroler Anzeiger“ aufgrund einer Mitteilung aus Südtirol:

Aus: „Tiroler Anzeiger“, Innsbruck, 18. Mai 1927. (Hier ist der Name als „Nicoletti“ wiedergegeben.)
Aus: „Tiroler Anzeiger“, Innsbruck, 18. Mai 1927. (Hier ist der Name als „Nicoletti“ wiedergegeben.)

Angela Nikoletti wurde am 19. Mai 1927 zu dreißig Tagen Arrest, zu 5 Jahren Polizeiaufsicht und zur Ausweisung aus ihrem Heimatort Kurtatsch verurteilt.

Ihre Krankheit, die sich in der Haft noch verschlechtert hatte, führte letztendlich am 30. Oktober 1930 zu ihrem Tode. Sie starb im Alter von 25 Jahren. (Näheres siehe in: Maria Villgrater, Katakombenschule, Bozen, 1984, S. 228ff)

Auch der Priester Jakob Kofler aus der Pfarrei Kurtatsch war bedroht
Auch der Priester Jakob Kofler aus der Pfarrei Kurtatsch war bedroht

Von der Verfolgung wurden auch Geistliche nicht ausgenommen. Am 27. März 1935 berichtete der Kooperator Jakob Kofler aus Kurtatsch an das Fürstbischöfliche Ordinariat in Trient, dass er vor die „Spezialkommission der Präfektur Trento“ vorgeladen sei:

„Die Anklage lautet auf Einlernung religiöser und profaner Lieder in der Pfarrschule in deutscher Sprache, darunter Tiroler Lieder die geeignet seien die Bevölkerung gegen die Regierung aufzureizen und einen Kontrast zu bilden gegen die in der Schule gelernten nazionalen Lieder.“

Aus dem Schreiben des Kooperators Jakob Kofler aus Kurtatsch an das Fürstbischöfliche Ordinariat in Trient vom 27. März 1935. (Diözesanarchviv Brixen, Fasz. TN 248)
Aus dem Schreiben des Kooperators Jakob Kofler aus Kurtatsch an das Fürstbischöfliche Ordinariat in Trient vom 27. März 1935. (Diözesanarchviv Brixen, Fasz. TN 248)

Bei der Einvernahme vor der Kommission wurde dem Kooperator vor allem vorgehalten, dass die Kinder bei ihm das „Andras-Hofer-Lied“ gelernt hätten, welches „antinational“ sei und dass er sechs Liederbüchlein an die Kinder verteilt habe, in welchen Tiroler-Lieder enthalten seien. (Schreiben des Kooperators Jakob Kofler aus Kurtatsch an das Fürstbischöfliche Ordinariat in Trient vom 1. April 1935. Diözesanarchiv Brixen, Fasz. TN 248)

In einem Aktenvermerk hielt das Fürstbischöfliche Ordinariat dann fest: „Tatsächlich wurde er später wieder vorgeladen und bekam 2 Jahre Polizeiaufsicht „ammonizione“.“ Das war die Vorstufe zur Verbannung, die im Wiederholungsfalle verhängt worden wäre.

Aktenvermerk des Fürstbischöflichen Ordinariats in Trient. (Diözesanarchiv Brixen, Fasz. TN 248)
Aktenvermerk des Fürstbischöflichen Ordinariats in Trient. (Diözesanarchiv Brixen, Fasz. TN 248)

So waren die damaligen Verhältnisse in Kurtatsch und in ganz Südtirol, als die junge Hermine Mayr/Orian Verhaftung, Kerker, Verbannung und allenfalls den Tod riskierte, um das auch von der Geistlichkeit eingeforderte Naturrecht der Kinder auf Unterricht in ihrer Muttersprache zu wahren.

Es sollte den Verantwortlichen in der Republik Österreich eigentlich ein Herzensanliegen und eine Ehre sein, Hermine Orian die von ihr so sehr gewünschte Staatsbürgerschaft verleihen zu dürfen!




Fall Orian: Menschlichkeit gefragt

Bild: Hermine Orian

Ihr Heuchler, die ihr gleich seid wie die übertünchten Gräber, welche auswendig hübsch scheinen, aber inwendig sind voll Totenbeine und allen Unflats.“ Matthäus 23/27.

„Die Wahrheit allein genügt nicht: es braucht Männer, die sie sagen. Die Freiheiten, die für uns am Himmel hängen, genügen nicht, es braucht Männer, die sie herunterholen!“ (BAS-Gründer Sepp Kerschbaumer. Er starb an den Folgen der Folter und in der Haft am 7.12.1964)

„Niemand kann von uns erwarten, dass wir jemals Unrecht Recht heißen und dass wir je aufhören, leidenschaftlich unsere ganze Kraft einzusetzen für das Recht in Nord- und Südtirol!“ (Landeshauptmann Eduard Wallnöfer im Jahre 1965)

Bereits am 21. September 2021 hatte ich unter dem Titel: „Hermine Orians Wunsch nach österreichischer Staatsbürgerschaft bleibt unerfüllt“ über das Schicksal und den sehnlichsten Wunsch der tapferen Frau Hermine Orian, geborene Mayr, berichtet.

Am 11. Juni 2021 hatte die damals 102 Jahre alte Südtiroler Dame wiederum um die österreichische Staatsbürgerschaft angesucht.

Innerhalb von sieben Monaten geschah nun sehr vieles: nicht die sehr hilfsbereit-gutwilligen und mit Orian befaßten österreichischen Beamten legten sich quer, sondern nur sehr wenige, aber real entscheidungsbefugte Herren in Wien zeigten, auf viele dutzende Mails hin, ihren „edlen“ Charakter. Hermine Orian feierte inzwischen am 23. April 2022 in Schenna, etwas resigniert, Ihren 103. Geburtstag.

Das Buchbinder Wanninger Syndrom und die politisch-fromme Heuchelei  

 Von Georg Dattenböck

Das „Buchbinder Wanninger Syndrom“ geht auf den legendären bairischen NS-Gegner und Kabarettisten Karl Valentin zurück: ein Buchbinder setzt sich telefonisch mit seinem Auftraggeber in Verbindung, um zu erfahren, wohin er sein Produkt liefern soll. Er wird von einer Stelle zur anderen weiter verbunden, ohne jemals die für ihn wichtige Auskunft zu erhalten.

Die Heuchelei „bezeichnet das Sichverstellen zum Vortäuschen nicht vorhandener Gefühle, Eigenschaften oder Ähnlichem. Das zugrundeliegende Verb ‚heucheln‘ stammt ursprünglich vom unterwürfigen ducken und kriechen des Hundes ab und wurde auf vorgespieltes, schmeichelndes Verhalten übertragen.“ (Wikipedia)

Die tiefe „Herzensangelegenheit Südtirol“ der politischen Maulhelden

Am 13.7.2017 postete ÖVP-Chef S. Kurz auf seiner Facebook-Seite und zusätzlich twitterte er am 6.3.2018 und 15.9.2018 als Bundeskanzler: Südtirol ist für mich eine Herzensangelegenheit.“ In der „Tiroler Tageszeitung“ war zu lesen: „Südtirol ist auch für uns eine Herzensangelegenheit, streute Kurz Landeshauptmann und Spitzenkandidat Kompatscher Rosen. (…) Die Doppelstaatsbürgerschaft für Südtiroler hält Kurz für einen nachvollziehbaren Wunsch.“  (https://www.tt.com/artikel/14805244/sebastian-kurz-suedtirol-ist-unser-herzensanliegen)

Dieser „nachvollziehbare Wunsch“ der Doppelstaatsbürgerschaft war ein fester Bestandteil des Koalitionsabkommens zwischen Sebastian Kurz und HC Strache. In einer Beamtenrunde wurde in Monate langer Detailarbeit ein zur Vorlage im Parlament fertiges Papier ausgearbeitet. Es musste nur mehr im Hohen Haus abgestimmt werden. Doch auf der schönen Ferieninsel „redete der Schelm, wie er dachte“ und der 100jährige Traum der allermeisten Südtiroler war über Nacht zu Ende. Die neue Koalition „türkis-grün“ ließ diesen Plan im Abflussrohr verschwinden. Nicht verschwunden war jedoch der heiße Wunsch von Hermine Orian: Sie hoffte und betete, hörte man doch ständig Schalmeientöne aus „höchstem Munde“:

 Am 25.11.2019 hielt Herr BP Van der Bellen aus Anlass des Festaktes „50 Jahre Südtirol-Paket“, in Anwesenheit der Landeshauptmänner Kompatscher und Platter, sowie des italienischen Staatspräsidenten „egregio Signor Presidente Mattarella“ und anderer herausragender Persönlichkeiten, eine launische Festrede: Sie wissen vielleicht, dass ich im Kaunertal aufgewachsen bin. Wenn Sie von hier über das Vinschgau hinauffahren, dann über den Reschenpass drüber, dann sind Sie schon fast im Kaunertal. Südtirol ist daher für mich nicht nur eine politische Angelegenheit. Südtirol ist für mich eine Herzensangelegenheit. Und mir ist wichtig: Österreich wird auch künftig an der Seite Südtirols stehen.“

Mir jedoch schrieb der Herr BP betreff des humanitären Anliegens am 9.12.2021: „Der Herr Bundespräsident hat von Ihrem Anliegen Information erhalten. Da ihm im Rahmen seines in der österreichischen Bundesverfassung abschließend festgelegten Wirkungsbereich keine unmittelbaren Veranlassungen in dieser Angelegenheit offenstehen, hat er mit diesem Anliegen den neuen Innenminister befasst. Die Note der Präsidentschaftskanzlei ist mit der Bitte verknüpft, mit Ihnen Kontakt aufzunehmen und Ihrem Anliegen Beachtung zu schenken.“

In dieser Art und Weise wurde ebenfalls der mit vielen Briefen ständig mahnende AHB-Obmann Wechselberger, aber auch ich, immer zum nächsten Minister oder Beamten weitergereicht, jeweils mit dem Hinweis, dass nur das Innenministerium zuständig sei, was jedoch nicht wahr war, sondern zuständig ist die Magistrats-Abteilung 35 in Wien.

Warum logen sie alle? Die MA 35 jedoch lehnte bisher gut begründete Ansuchen des Rechtsvertreters von Frau Orian ab, Einsprüche dagegen wurde erhoben. Das Verfahren läuft noch.

Am 16.3.2022 twitterte Bundeskanzler Karl Nehammer: „Österreich & Südtirol sind eng verbunden. Es hat mich daher sehr gefreut, Arno Kompatscher in Wien begrüßen zu dürfen. Wir haben vor allem über die laufenden Gespräche rund um die Südtiroler Autonomie gesprochen. Österreich ist stets bereit, hier zu unterstützen.

Mir schrieb Herr BK Nehammer am 10.12.2021 zurück: Wir haben Ihre Schilderungen betreffend Frau Hermine Orian mit Interesse gelesen. Prinzipiell ist zu sagen, dass Österreich auch in Zukunft an der Seite Südtirols stehen und weiterhin seine Schutzfunktion wahrnehmen wird.“  Tief ergriffen von so viel Interesse von Seiten des Herrn BK erfahre ich von ihm weiter, dass „die Angelegenheiten des Staatsbürgerschaftsrechtes in den Kompetenzbereich des Bundesministeriums für Inneres“ fallen – Buchbinder Wanninger ließ wieder grüßen!

Ein „Handbuch zum Schutz und der Achtung von Menschenrechten“ übergab am 5. Juli 2021 der Bundesobmann der Grünen, Herr Werner Kogler, zugleich auch Vizekanzler und Minister für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport, der Öffentlichkeit. Aus diesem Grund wurde dieser Menschenrechts-Fachmann, jedoch dreimal vergeblich, angeschrieben. Am 19.1.2022 ließ endlich Herr Kogler sich freundlich herab, in der bereits bekannten Art des Buchbinders Wanninger, durch einen seiner Beauftragten antworten:

Er (Kogler) hat mich ersucht ihr Mail in dem Sinne zu beantworten, dass das BMKOE in Staatsbürgerschaftsfragen keine Kompetenzen nach dem BMG besitzt und ihr Schreiben daher vom zuständigen BMI sowie dem Land Tirol behandelt werden muss“ – eine dem Fall Orian angepasste sehr „warmherzige“, jedoch wiederum eindeutige Irreführung!

Heftige Paragraphenreiter in allen Instanzen und die politischen Eiertänzer

In einem Schreiben des Amtes der Tiroler Landesregierung hatte es am 6. Dezember 2021 geheißen:

„Sofern Frau Orian aktuell in Tirol lebt [gemeint war wohl Nord-Tirol] ist die Tiroler Landesregierung für die Verleihung der Staatsbürgerschaft örtlich zuständig. Falls nicht, wäre ein allfälliges Ansuchen bei der Wiener Landesregierung einzubringen (§§ 39 Abs. 2 und 49 Abs. 2 StbG 1985). Die Verleihung der Staatsbürgerschaft muss persönlich bei der zuständigen Behörde beantragt werden (§ 19 Abs. 1 StbG 1985). Sofern gegenständlich eine Verleihung im besonderen Staatsinteresse (ohne Wohnsitz in Österreich und unter Beibehaltung der bisherigen Staatsangehörigkeit) gemeint sein sollte, wäre dafür die Zustimmung der Bundesregierung notwendig (§ 10 Abs. 6 StbG 1985). Abgesehen von dieser Sonderbestimmung wäre für die Verleihung der Staatsbürgerschaft ein aktueller, ununterbrochener Aufenthalt in Österreich in der Dauer von sechs Jahren vor der Antragstellung erforderlich (§ 11a Abs. 4 Z. 2 StbG 1985). In diesem Fall müsste die bisherige Staatsangehörigkeit mit der Verleihung aufgegeben werden. Mit freundlichen Grüßen. Für die Landesregierung…“

Der „Gewissenswurm“ begann langsam bei dem Nordtiroler LH Platter fest zu nagen

 „Im Auftrag von Büro LH Platter“ schrieb das Büro des Herrn LH am 28.3.2022: Wir bemühen uns wirklich sehr, das Anliegen von Frau Orian zu unterstützen. Faktum ist: Das MA 35 ist die zuständige Behörde, die in jedem Fall die Unterlagen – im Fall Orian auch – zu prüfen hat und dann auch der Bundesregierung zum Beschluss vorzulegen hat., Eine eigene Prüfung durch das Innenministerium erfolgt nicht, sondern die fachliche Ebene ist entscheidend. (…) Wir empfehlen Ihnen aber dringend, Gründe für die Verleihung der Staatsbürgerschaft nach § 10 Abs. 6 beim MA 35 nachzureichen. Hier der Wortlaut der entsprechenden Passage:

 (6) (Verfassungsbestimmung) Die Voraussetzungen des Abs. 1 Z 1 und 7 sowie des ‚Abs. 3 entfallen, wenn die Bundesregierung bestätigt, dass die Verleihung der Staatsbürgerschaft wegen der von Fremden bereits erbrachten und von ihm noch zu erwartenden außerordentlichen Leistungen im besonderen Interesse der Republik liegt. Dann kann die Bundesregierung bei einer Empfehlung tatsächlich zustimmen. Dieser Weg wird auch von Seiten des Herrn Landeshauptmannes begrüßt.“

Fazit: Die sehr rasche Verleihung der Staatsbürgerschaft ist deshalb eine reine Ermessensfrage der Regierung in Wien: „Die weiteren Voraussetzungen einer Verleihung bestimmen sich danach, ob die Staatsbürgerschaft aufgrund eines Rechtsanspruches verliehen wird oder die Entscheidung im Ermessen der zuständigen Behörde liegt.(https://www.oesterreich.gv.at/themen/leben_in_oesterreich/staatsbuergerschaft/1/Seite.260421.html )

Wie eine Verleihung der Staatsbürgerschaft unbürokratisch und rasch geht

Alle relevanten politischen Parteien Österreichs, Südtirols, der „Südtiroler Heimatbund“ (und auch die Redaktion des SID) sind sich darüber einig, dass die gewaltsame Entrechtung, sowie die Vertreibung jüdischer Bürger aus Österreich während der NS-Zeit unmenschlich war und die Herstellung des Rechtszustandes viel zu spät erfolgte!

Der Südtiroler Heimatbund (SHB) teilte am 16.8.2020 Herrn Bundespräsident Alexander v. d. Bellen, Bundeskanzler Sebastian Kurz und der Öffentlichkeit in einer Aussendung mit:

 „Die Republik Österreich verleiht jüdischen Auswanderern und Flüchtlingen und ihren Nachkommen aus der Zeit des Dritten Reiches die Staatsbürgerschaft.  Ab 1. September d. J. sind all daran Interessierten ermächtigt, unbürokratisch und gebührenfrei, um die österreichische Staatsbürgerschaft anzusuchen. Dies sei eine notwendige und späte Wiedergutmachung, stellt der Obmann des Heimatbundes, Roland Lang, fest.

Roland Lang, Obmann des Südtiroler Heimatbundes (SHB)

Die bisherige Staatsbürgerschaft kann beibehalten werden. Damit rückt Österreich endgültig von seiner bisherigen Haltung ab, dass im Sinne des Madrider Abkommens Doppelstaatsbürgerschaften zu vermeiden seien. Obmann Lang bedauert, dass Österreich sich ‚trotz des verpflichtenden Beschlusses des Nationalrates vor den letzten Wahlen nicht zugleich den Südtirolern die Wiedererlangung der verlorenen österr. Staatsbürgerschaft neben der italienischen‘ ermögliche.

Dies war im Koalitionsprogramm der vorigen Koalitionsregierung von ÖVP und FPÖ vorgesehen gewesen. Wie die österreichischen Juden, die aus Österreich emigriert oder geflüchtet waren, seien auch die Südtiroler gegen ihren Willen der österreichischen Staatsbürgerschaft verlustig gegangen. ‚Die Wiedergutmachung eines historischen Unrechts hätte beide Gruppen erfassen müssen‘“.

Pogromdenkmal in Innsbruck
Pogromdenkmal in Innsbruck

Wie die unbürokratische Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft vor sich gehen kann, darüber wird auf der Internetseite des österreichischen Bundesministeriums für Inneres in Zusammenhang mit dem Besuch des Innenministers Karl Nehammer am 11. und 12. November 1921 in Israel berichtet:

„Gemeinsam mit der österreichischen Botschafterin in Israel, Hannah Liko, und der Direktorin des Mauthausen Memorial, Barbara Glück, legte Nehammer im Namen der Republik Österreich an der Holocaustgedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem einen Kranz nieder. (…)

‚Die Gedenkstätte Yad Vashem hat eine besondere Bedeutung für mich, sie gibt den Opfern wieder ein Stück ihrer Identität zurück‘, sagte Nehammer. Er sähe dies auch als seinen Auftrag als Innenminister und erinnerte an die Rolle vieler Österreicher als Täter. (…)

Karl Nehammer überreichte in der Botschaft in Tel Aviv feierlich die österreichische Staatsbürgerschaftsurkunde an fünf Nachkommen von Opfern des NS-Regimes.

‚Wir werden nie vergessen und alles tun, damit sich die Geschichte nicht wiederholt. Österreich ist sich seiner Verantwortung bewusst‘, sagte Nehammer bei dem Festakt.“ (https://www.bmi.gv.at/news.aspx?id=43414F324F343164646C6F3D )

Eine Schützenabordnung demonstrierte am Minoritenplatz in Wien für Frau Orian

Der Vorstand des Andreas Hofer-Bundes (v. l.: AHBT-Obmannstellvertreter Hermann Unterkircher, AHBT-Obmann Alois Wechselberger, Hermine Orian und AHBT-Südtirol-Beauftragte Edith Weinreich) besuchten Frau Orian an ihrem 103. Geburtstag in ihrem kleinen Haus in Schenna bei Meran.

 All diese obigen Mitteilungen sind nur ein sehr kleiner Ausschnitt der vielen Aktivitäten, die vom AHB, mit einer Vollmacht durch Frau Orian ausgestattet und einem ebenfalls beauftragten Innsbrucker Rechtsanwalt bisher gesetzt wurden.

Es verfestigte sich beim AHB immer mehr die bittere Erkenntnis, dass „man“ in Wien nur mehr auf Zeitgewinn setzt und niemals ernsthaft an eine rasche, humanitäre Lösung denkt.

Es muss sehr viel geschehen, dass sehr friedliebende, biedere Tiroler Schützen sich zu einer Demonstration in Wien entschließen, was jedoch Anfang April geschah und am 12. April der Wiener Polizeidirektion als friedliche Kundgebung für Frau Orian angezeigt wurde.

Durch einen sensationsgeilen Reporter, der sein gegebenes Wort brach, wurde diese Absicht des AHB vorzeitig in die Welt hinausposaunt. Prompt rief daraufhin ein Polizeibeamter beim AHB an. Der geplante Demonstrationsort Parlament wurde „wegen der Bauarbeiten“ nicht genehmigt, es wurde die enge Herrengasse vom Beamten vorgeschrieben, doch schließlich wurde in letzter Minute der Minoritenplatz genehmigt – doch nur dann, wenn die Schützen ohne ihre zu ihrer Tracht gehörenden Gewehre, Säbel und „Messer“, aufmarschieren!!! So schreibe es das Gesetz vor.

(Anmerkung dazu: 2 Tage vorher warfen 300 vorwiegend vermummte „Demonstranten“ Feuerwerkskörper gegen Polizisten, die Polizeistation wurde beschädigt, ebenso auch Einsatzfahrzeuge. Da hatte es offenbar vorher keine solche Bedenken seitens der Behörden gegeben).

Der für die kleine Demo der Schützen zuständige freundliche, junge Beamte, hielt sich an das Gesetz, obwohl er im Vorfeld zwischen gewaltbereitem Mob und Tiroler Schützen, die besonders bei Staatsempfängen mit ihren Säbeln und Stutzen gern gesehen sind und hier auch Salut schießen dürfen, hätte sehr wohl unterscheiden können. Die Schützen schluckten diese Vorschrift und kamen in friedlicher Absicht!  Man kann sagen: „Vurschrift“ ist „Vurschrift“! Wien 2022 – wie es leibt und lebt, singt und lacht!

Eine insgesamt 25köpfige Gruppe: darunter 11 Schützen der Kompanie „Major Guiseppe de Betta“ aus Trient mit ihrer historischen Fahne kamen zusammen. Diese treuen Welschtiroler mussten hier nächtigen und insgesamt 1300 km fahren um friedlich von 9.30 bis 11 Uhr vor den hier befindlichen Ministerien des Inneren und Äußeren die Fahnen zu zeigen.

Im Hintergrund steht die schöne und geschichtsträchtige Minoritenkirche mit einem Denkmal für Leopold Figl (weißes Denkmal). Nur für wenige Minuten wurde die Aufstellung der Schützen vor der Einfahrt ins Ministerium erlaubt: sie musste frei bleiben, weil Herr Außenminister Dr. Alexander Schallenberg, sehr tief versunken in sein Handy, in der Luxuskarosse nahte. Er konnte wohl aus Termingründen nicht für wenige Minuten aussteigen und die Schützen befragen und begrüßen.

Schallenbergs ständiger und unermüdlicher Kampf für die Menschenrechte

Außenminister Dr. Schallenberg hat nämlich sehr viel zu tun, besonders in Hinblick auf die Wahrung der Menschenrechte. Zumindest, was schöne und unverbindliche Erklärungen angeht:

„Außenminister Alexander Schallenberg empfing am 17. Dezember 2021 Dunja Mijatović, Menschenrechtskommissarin des Europarates, zu einem freundschaftlichen Austausch im Außenministerium. (…) Eine enge Kooperation mit dem Europarat ist seit jeher eine Konstante in der österreichischen Außenpolitik, so bildet auch die Menschenrechtskonvention des Europarats Teil der österreichischen Verfassung. Zudem stellt der Schutz der Menschenrechte einen besonderen, außenpolitischen Schwerpunkt dar, betonte Außenminister Schallenberg und verwies auf Österreichs Engagement während seiner Mitgliedschaft im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen. Weiters wurden die angespannte Lage in Bosnien und Herzegowina, die unrechtmäßige Inhaftierung von Journalistinnen und Journalisten in der Türkei und das problematische Verständnis von Rechtsstaatlichkeit in manchen EU-Ländern besprochen.

Rechtsstaatlichkeit stelle einen der Grundsätze der EU dar, die nicht verhandelbar seien, so Außenminister Schallenberg. Bei diesem Thema setze er auf die Europäische Menschenrechtskonvention und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. (…) Es ist wichtiger denn je, dass wir nicht müde werden, von allen Staaten die uneingeschränkte Achtung ihrer Verpflichtungen im Bereich der Menschenrechte zu fordern. Menschenrechte kennen keinen Lockdown. Wir lassen nicht zu, dass im Schatten der Pandemie eklatante Menschenrechtsverletzungen Platz greifen, so der Außenminister. Rückfragen: Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten Telefon: +43 (0) 50 11 50 – 3320.“

https://www.bmeia.gv.at/ministerium/presse/aktuelles/2021/12/aussenminister-schallenberg-empfaengt-menschenrechtskommissarin-des-europarats-mijatovic/

Am 21.2.2022 wurde dem Herrn Außenminister Dr. Alexander Schallenberg ein Brief geschrieben:

„Wir vom Andreas-Hofer-Bund für Tirol wurden darüber informiert, dass sie als zuständiger Ressortminister offenbar über den Fall der 102jährigen Hermine Orian (Feststellung der österr. Staatsbürgerschaft bzw. Antrag auf Verleihung der Staatsbürgerschaft) keine Kenntnis haben. Nun, in den vergangenen Jahren haben wir mehrfach vergeblich um einen Gesprächstermin bei Ihren Vorgängern und auch bei Ihnen ersucht. Unsere Anfragen blieben – mit Ausnahme eines Besuchs auf Beamtenebene – negativ beschieden. (…)

Sehr geehrter Herr Bundesminister, im Fall ORIAN ersuchen wir um Ihre ressortübergreifende Unterstützung. In der Causa ORIAN sind neben Ihrem Ministerium das Bundespräsidialamt, das Innenministerium, die MA 35, die Wiener und die Tiroler Landesregierung eingebunden bzw. informiert. Wir dürfen unsere Hoffnung zum Ausdruck bringen, dass die Causa Hermine ORIAN (sie wird am 23.04.2022 – so Gott will – ihren 103. Geburtstag feiern) sehr zeitnah geprüft und positiv für die Antragstellerin beschieden wird.“

Es wäre ein großartiges menschliches Zeichen der Republik Österreich an Frau Orian, ihr noch zu Lebzeiten den rot-weiß-roten Pass zurückzugeben“ (Aus einem Brief des AHB)

„Ich sterbe nur als Österreicherin, und wenn ich 200 Jahre alt werde…“ war auf den hoch gehaltenen Plakaten zu lesen, die auf der Demonstration in Wien gezeigt wurden.
„Ich sterbe nur als Österreicherin, und wenn ich 200 Jahre alt werde…“ war auf den hoch gehaltenen Plakaten zu lesen, die auf der Demonstration in Wien gezeigt wurden.

Am 29.4.2022, veröffentlichte im Magazin „news“ der bekannte Journalist Andreas Wetz einen 4seitigen, sachlich gehaltenen Bericht unter dem Titel: „Aufmarsch für Frau Hermine“.

Ebenfalls bei der Demo zugegen war die Wiener Reaktion von „Servus-TV“. AHB-Obmann Wechselberger wurde interviewt.

Ein Flugblatt klärte auf

Dieses Flugblatt wurde bei der Demonstration auf dem Minoritenplatz von den Tirolern an die Passanten verteilt:

Kardinal Schönborn begrüßte die Schützen im Stephans-Dom und erklärte sich solidarisch mit Hermine Orian!

Nach der Demonstration gingen am Nachmittag die Schützen in den Stephansdom: Kerzen wurden hier angezündet, verbunden mit einem Gebet für einen guten Ausgang für Hermine Orian.

Der Herr Kardinal Christoph Schönborn lief der Gruppe geradezu in die Arme! Er freute sich sehr über dieses Zusammentreffen, wurde von den Schützen kurz in die Mitte genommen und es wurde ihm sehr knapp über den Grund des Wien-Besuches erzählt und dass man gerade hier im Dom für Frau Orian gebetet und Kerzen angezündet hatte. Herr Kardinal Schönborn war über den „Fall Orian“ sehr überrascht, aber auch über die Tatsache, dass elf Schützen aus Welschtirol sich auf den langen Weg nach Wien gemacht hatten und mit dabei waren.

Kardinal Christoph Schönborn zeigte sich spontan mit Frau Hermine Orian solidarisch:

„…gerade in einer Zeit wie der unseren, wo Solidarität besonders gefragt sei, ist dies was Sie hier machen, ein schönes Zeichen gelebter Solidarität im Zeichen Christi!

Abschließend bedankte sich der Kardinal bei Allen recht herzlich!




Sensationsfund: Originalschreiben von Freiheitskämpfer Andreas Hofer entdeckt

Ein sensationeller Quellenfund wurde im Frühjahr 2019 gemacht: MMag. Dr. Matthias Egger entdeckte im Innsbrucker Stadtarchiv 31 unbekannte Schreiben des Oberkommandanten Andreas Hofer an das Stadtmagistrat der Tiroler Landeshauptstadt. Diese Briefe zeichnen erstmals ein authentisches, unverfälschtes Bild des berühmtesten Freiheitskämpfers der Tiroler Geschichte.

„Dem löb. Stadtmagistrat wird nochmals und die letzte Erinnerung gemacht – daß wofern die verlangte 10.000 Gulden bis in die Zeit von einer Stunde nicht erlegt werden, der Unterzeichnete die Stadt verlassen und dieselbe ihrem Schicksal preisgegeben werde. Der Magistrat wird doch den Drang selbst einsehen – Was soll ich anfangen ohne Geld? Ich bring niemand vorwärts, wenn ich den Leuten nichts geben kann, und zuletzt haben wir von unsern eignen Leuten die größten Excessen und Unordnungen. Machen sie also Mittel – oder ich gehe –

Innsbruck den 20t. 8bewr 1809.

Andere Hofer“

 Buchbesprechung von Georg Dattenböck: 

„Machen Sie also Mittel oder ich gehe“

 Andreas Hofer und die Innsbrucker Stadtpolitik im Jahr 1809

Den beiden bekannten Tiroler Historikern, dem Innsbrucker Stadtarchiv/Stadtmuseum-Mitarbeiter MMag. Dr. Mathias Egger und dem Brixener Stadtarchivar Mag. Dr. Andreas Oberhofer gelingt es in dieser ungemein aufschlussreichen Veröffentlichung des Innsbrucker Stadtarchivs, die Zeit vom kurzen Wirken Hofers in Innsbruck des Jahres 1809 dem Leser sehr nahe zu bringen.

Über das Motiv der Edition schreibt Dr. Egger im Vorwort:

„Rasch war uns beiden klar, dass dieses spannende Quellenkorpus eine eingehende Bearbeitung verdient. Am Beginn stand die Idee, im Hinblick auf den bevorstehenden 210. Todestag Andreas Hofers eine kleine Sonder-ausstellung für das Stadtmuseum Innsbruck zu konzipieren. Diese konnte am 20. Februar 2020 eröffnet werden.“

Bedingt durch die Maßnahmen der österreichischen Bundesregierung zur Bekämpfung von SARS-CoV-2 musste auch das Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck bereits nach wenigen Tagen, am 16.3.2020, seine Türen für alle Besucher der Ausstellung schließen.

Auch deshalb muss man dem Tyrolia-Verlag für die Veröffentlichung der Briefe Hofers sehr dankbar sein! Dem historisch Interessierten war zwar durch Aufzeichnungen einiger Mitstreiter Hofers, u.a. von Josef Freiherr von Hormayr [„Das Land Tyrol und der Tyrolerkrieg von 1809. Theil 1–2“, 1845], bekannt, dass Hofer mit der Innsbrucker Stadtregierung manchen Streit hatte. Doch durch diesen Aufsehen erregenden Fund der Originalschreiben Hofers und teilweise auch von Antworten des Gemeindevorstandes an Hofer, verfasst zwischen dem 23. August und 21. Oktober 1809, wird uns erstmals ein sehr lebensnahes und unmittelbares Zeugnis über die Streitpunkte und die heftige Sprache in der Auseinandersetzung bekannt.

Dem immer geradlinig und der jeweiligen Lage nach stets impulsiv handelndem Sandwirt, platzte bei seinen (sicherlich berechtigten) Forderungen nach mehr Geld, nach mehr Waffen und nach mehr Mitstreitern, in seinen Briefen an manch engstirnig-kleinliche Vertreter der Stadtregierung, vielfach der Kragen: der selbsterklärende Buchtitel, entnommen aus einem dieser 31 gefundenen Schreiben, beweist es.

So schreibt Dr. Egger, sehr bemerkenswert, zur Aktualität vom damaligen Freiheitskampf und von Hofers Leben und Sterben auch noch in der Jetztzeit in seinem Vorwort:

„Dass die Themen ‚Anno neun‘ und ‚Andreas Hofer‘ aber dennoch eine gewissen Aktualität besitzen, zeigt sich etwa in der Eröffnung eines neuen Museum in der Zitadelle in Mantua an jener Stelle, an der der Sandwirt am 20. Februar 1810 hingerichtet wurde …“

Der Abdruck der Original-Briefe ab Seite 69 steht natürlich im Mittelpunkt dieses auch graphisch sehr übersichtlich gestalteten und herausragend gut gelungenen Buches.

Auf den Seiten 12 bis 68 erfährt der Leser unter den Zwischentiteln:

  • Die Ereignisse des Jahres 1809 im Überblick
  • Schriftlichkeit und Verwaltung in der Zeit des „Bauernregiments“
  • Das Verhältnis zwischen „Bauernregiment“ und Innsbrucker Stadtverwaltung
  • Andreas Hofers Briefe und Schreiben: Quellenkundliche Aspekte
  • Eigenhändigkeit
  • Sprachen der Kommunikation
  • Zielgruppen: Nähe und Distanz
  • Monologische und dialogische Korrespondenz
  • Wege der Kommunikation
  • Andreas Hofers Schreiben als Selbstzeugnisse

sehr viele Zusammenhänge über Hintergründe und historische Geschehnisse der kurzen Zeitspanne von Hofers „Bauernregiment“ im Spätsommer und Herbst 1809 in Innsbruck. Der Leser gewinnt viele Erkenntnisse über den Einfluss von Hofers Umfeld auf ihn, man erkennt auch die Motive vieler seiner Mitkämpfer, die ihre Familien, ihre Häuser und Höfe auf damals unbestimmbare Zeit zurücklassen mussten, um beim Kampf um die seit dem Jahre 1342 verbriefte Tiroler Freiheit, sowie für ihre Jahrhunderte alten religiösen Bräuche und politischen Rechte, stets im Kampfe vorne mit dabei zu sein.

Wer waren die zwei wichtigsten Männer, die Hofers Briefe niederschrieben?

„Josef Hirn stellte fest [Hirn, Tiroler Erhebung, 634-635]: Zu seinen Sekretären wählte er [Hofer] Matthias Dalama und den Schullehrer Purtscher, eigentlich die einzigen Nichtbauern in seinem intimen Kreise, die als solche schon in ihrer Tracht – Purtscher trug noch Haarzopf – erkennbar waren. Beide waren fleissige Arbeiter und führten eine hinreichend gewandte Feder. Dalama schrieb vornehmlich Aufrufe und öffentliche Kundmachungen, Purtscher, seit dem 15. August zum Hauptmann ernannt, besorgte die Korrespondenz, die Abfassung von Verträgen und Ausfertigungen der Erledigungen. Hofer selbst, seiner geringen Schreibkunst sich wohl bewußt, begnügte sich meist, seine Unterschrift zu zeichnen, mitunter setzte er ihr einige Worte bei, die den Leser verblüffen.“

Andreas Hofer drängt darauf, zu erfahren, wann eine städtische Kompanie nach Scharnitz ausrücken werde: „An das Stadtmagistrat dahier: Innsbk. D. 27. 7br 1809.  Derselbe hat sich augenblicklich auszuweisen, ob und wann die stä[d]tische Compagnie nach Scharnitz ausmarschieren werde. Man erwartet keine weiteren Entschuldigungen. Vom k.k. Obercommando Tyrols Andere Hofer. Ght insprugg muesß im ßicher Ein angedenckhen machen V(on) purer dödigkheit.“

 

Der Leser kann sich gut in den Zorn Hofers über das Magistrat Innsbruck hineindenken, wenn er folgendes liest (S. 65):

„So heißt es beispielsweise in einem an den Stadtmagistrat adressierten Text vom 17. September 1809: ‚Sehr wenig, wie es mir scheinet, liegt es dem löblichen Magistrate allhier daran, ob wir unser vertheidigtes Land in Sicherheit und Ruhe erhalten oder nicht […]. Die täglichen Beschwerden und Klagen wegen den belöhnten Wächtern und untauglichen Menschen […) zwingen mich Unterzeichneten dazu, an ein löb. Magistrat zu schreiben und zu ermahnen […). Sollte aber dennoch von heutigen Dato eine Beschwerde an mich kommen oder soll ein Gefangener entrinnen, so werde ich das löb. Magistrat zur Verantwortung ziehen und so erkennen, daß das löb. Magistrat statt Patriotismus Unthätigkeit und Falschheit zu unserm Vaterlande bezeige. Ich erbiethe mir daher die genaueste Vollziehung […], widrigenfalls ich mit d. löb. Magistrate andere Maßregeln zu treffen gezwungen bin.‘“

Doch kann man auch lesen:

„Anordnungen von Hofer wurden teilweise schlichtweg ignoriert oder vor Ort in einem bestimmten, der dortigen Situation adäquat scheinenden Sinn ausgelegt. Die Schwierigkeit, sich mit Anordnungen und angedrohtem Zwang Gehör zu verschaffen und auf die Durchsetzung von Anweisungen zu drängen, war somit keineswegs ein städtisch-innsbruckerisches Problem. Sie hing vielmehr von der Akzeptanz von Befehlen und Normen durch die Adressaten im ganzen Land ab, die mit einer Mehrzahl von Faktoren, nicht zuletzt aber dem Verhältnis zwischen Anhängern und Gegnern des ‚charismatischen Herrschers‘ verknüpft war.“

Steckbrief für Andreas Hofer, unterzeichnet vom Oberbefehlshaber der französisch-bayerischen Truppen in Tirol und Vorarlberg, Marschall Pierre Francois-Joseph Levebre, 5. August 1809.

Dieses sehr empfehlenswerte Buch verdient es, von allen an dieser Zeitepoche unserer Geschichte interessierten Menschen, gelesen zu werden. Ich gebe ihm die Note ausgezeichnet!

Matthias Egger / Andreas Oberhofer:
„Machen Sie also Mittel oder ich gehe“
Andreas Hofer und die Innsbrucker Stadtpolitik im Jahr 1809.

216 Seiten, 10 farb. und 2 sw. Abb., 2 Tabellen
und 87 farb. Faksimiles, 22 x 29 cm, Broschure
Tyrolia-Verlag, Innsbruck-Wien 2022
ISBN 978-3-7022-4027-1
€ 29,95




Aufgedeckt: ORF verbreitete Fake News über „Pusterer Buam“

„Pusterer Buam“: Unkritische Ermittlungen von ORF-Redakteuren – Protest aus Österreich und Südtirol – Geschwafel-Antwort des ORF erst nach 10 Monaten

 Von Georg Dattenböck

Unwahre Behauptungen und ein Protestbrief

In diesem Beitrag soll über eine ORF-„Berichterstattung“ in „ORF-Online“ vom 8. Juni 2021 unter dem Titel: „Van der Bellen bei Amnestie für ‚Pusterer Buam‘ optimistisch“ und den darauf folgenden, schriftlichen Protest von bekannten Persönlichkeiten gegen die darin erkennbaren, unwahren Behauptungen berichtet werden.

Italienisches Fahndungsplakat aus den 1960er Jahren gegen die „Pusterer Buam“, deren Vornamen in drei Fällen in italianisierter Form genannt wurden.

Diese manipulative ORF-Berichterstattung, nicht das erste Mal in Bezug auf Südtirol-Themen, der Protestbrief und auch eine unglaublich späte Antwort des ORF sind es wert, hier im Wesentlichen zitiert und kommentiert zu werden. Im Anhang muss auch aus diesem Anlass auch kurz auf die Geschichte des ORF eingegangen werden.

Hier folgt nun der ungekürzte Protestbrief:

Peter Wurm. Abgeordneter zum Nationalrat, Südtirol-Sprecher der FPÖ,
1010 Wien, Parlamentsklub

Werner Neubauer, BA
Abgeordneter zum Nationalrat a.D., A-4020 Linz, Grabnerstr. 4

An den Vorsitzenden des Publikumsrates

Mag. Walter Matschitz, BA                                                        9. Juni 2021

unter publikumsrat@orf.atwalter.marschitz@orf.at

Artikel des ORF „Van der Bellen bei Amnestie für „Puster Buam“ optimistisch, vom 8. Juni 2021, Online seit 8.53 Uhr

Beschwerdegrund: Falsche, ungeprüfte Angaben bzw. Anschuldigungen im o.a. Artikel

Sehr geehrter Herr Mag. Walter Maschitz, BA!

Im Rahmen einer Berichterstattung des ORF-online vom 8.6.2021 unter dem Titel „Van der Bellen bei Amnestie für „Pusterer Buam“ optimistisch, online ab 8.53 Uhr, kam es zu zahlreichen Beschwerden über den Redakteur des angeführten Beitrags.

Vorerst schildert der Autor die Reise des Herrn Bundespräsidenten Van der Bellen nach Italien und den damit verbundenen Besuch bei seinem italienischen Amtskollegen Bundespräsidenten Sergio Mattarella, bei dem er auch Südtiroler Abgeordnete begrüßen wollte.

Gegenstand der Gespräche sollten demnach die Fragen der Europäischen Union und die Möglichkeit einer generellen Amnestie der noch lebenden Südtiroler Aktivisten, der drei „Pusterer Buam“, sein.

In Fragen äußerte sich Van der Bellen optimistisch, ein gutes Ergebnis erzielen zu können.

Im Kapitel „Langjährige Haftstrafen“ versuchte sich der Autor als Historiker und verstieg sich in folgende Aussage:

„In Südtirol wurden vom 20. September 1956 bis zum 30. Oktober 1968 361 Anschläge verübt, die insgesamt 21 Menschenleben, davon 15 Angehörige der Ordnungskräfte, und 57 Verletzte zur Folge hatten.

Wegen der Anschläge in der „Feuernacht 1961“, bei der rund 40 Strommasten gesprengt worden waren, und weitere Attentate, erhielten der 1941 geborene Heinrich Oberleiter und die anderen „Pusterer Buam“ langjährige Haftstrafen. Oberleiter wurde auch ein Mord an einem Carabinieri vorgeworfen. Deswegen konnte der nach Österreich und dann nach Deutschland geflohene Oberleiter nicht mehr nach Südtirol einreisen.“

Durch den Aufbau dieser Berichterstattung wird nun der Eindruck vermittelt, die Freiheitskämpfer, vor allem die sogenannten „Pusterer Buam“, wären für diese Toten bzw Todesfälle verantwortlich. Die Angaben sind unwissenschaftlich und entbehren jeglicher sachlichen, fachlichen und historischen Wahrheit.

Der Autor hat sich augenscheinlich der Quelle

https://de.wikipedia.org/wiki/Befreiungsausschuss_Südtirol,“Befreiungsausschuss Südtirol“ bzw. direkt der Online-Plattform https://www.suedtirolnews.it/politik/kompatscher-kein-druck-fuer-begnadigung-suedtiroler-attentaeter bedient.

Diese Seite hat keine wissenschaftliche Grundlage, in seriösen wissenschaftlichen Arbeiten ist das Zitieren von solchen Seiten sogar zwingend verboten!

Gerade auf der zitierten Seite sind ominöse Zahlen ohne eigentliche Quellenangabe zu finden. Seriös arbeitende Journalisten müssten solche Begleitumstände sofort erkennen und die Verarbeitung dieser Angaben tunlichst meiden.

Es fällt auf, dass völlig undifferenziert die ersten Anschläge auf Rohbauten und faschistische Denkmäler der „Stieler-Gruppe“ dem „Befreiungsausschuß Südtirol“ (BAS) und damit den Pusterern zugeordnet wurden, obwohl längst bewiesen werden konnte, dass die vier Ahrntaler absolut nichts mit diesen Anschlägen zu tun hatten.

Weiters wurden auch die Anschläge der überaus skurrilen Gruppe „Ein Tirol“ augenscheinlich dem BAS zugeschrieben, die gleichfalls außer einer einzigen personellen Überschneidung nichts mit dem BAS zu tun hatten. Vielmehr wiesen deren Aktivitäten eine starke Verflechtung mit italienischen Geheimdiensten auf – abgesehen von Anschlägen italienischer neofaschistischer Gruppierungen (s.: Peterlini, Hans Karl: Bomben aus Zweiter Hand. Zwischen Gladio und Stasi: Südtirols missbrauchter Terrorismus. Bozen 1992).

Tatsächlich kann man real nur Anschläge der Jahre 1960 bis 1967 dem BAS zuordnen und auch in diesem Zeitraum sind die wahren Ursachen bzw. Urheber vieler Anschläge nach wie vor ungeklärt (s.: Speckner Hubert: Von der „Feuernacht“ zur Porzerscharte … Das Südtirol-Problem in den österreichischen sicherheitsdienstlichen Akten. Wien 2016).

Die weiters zitierte Zahl von 21 Todesopfern und 57 Verletzten entbehrt ebenfalls einer seriösen wissenschaftlichen Grundlage.

Italien selbst geht „offiziell“ von 15 Todesopfern unter italienischen Sicherheitskräften aus. Davon gehen acht Todesopfer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht auf Anschläge des BAS zurück. Bis heute werden  die beiden Gasunfälle in Kasernen der Guardia di Finanza im Mai und September 1966 (Pfitscher Joch und Stein-Alm) mit insgesamt vier Todesopfern von Italien dem BAS zugeordnet, wenngleich vorliegende sicherheitsdienstliche Akten eindeutig auf Gasexplosionen hinweisen (s.: Speckner Hubert: Von der „Feuernacht“ zur Porzescharte … Das Südtirol-Problem in den österreichischen sicherheitsdienstlichen Akten. Wien 2016).

In akribischer Forschungsarbeit hat der Historiker Oberst, Mag., Dr. Hubert Speckner anhand österreichischer sicherheitsdienstlicher Akten dokumentieren können, dass bei einer ganzen Reihe von angeblichen „BAS-Anschlägen“, welche gezielt auch Zivilbevölkerung in Gefahr gebracht hatten oder hätten bringen können, offenbar italienische „Dienste“ ihre Hand mit im Spiel gehabt hatten. Hier war es darum gegangen, die „terroristi altoatesini“ als gewissenlose und verruchte Täter darzustellen, welche auf die Vernichtung von Menschenleben abzielten. Tragische Unfälle, denen Menschenleben zum Opfer gefallen waren, wurden nachträglich in „Terroranschläge“ umgewandelt.

Weiters sind die vier Todesopfer und der Schwerverletzte der Porzescharte vom Juni 1967 aufgrund von vorliegenden Gutachten und ermittelten Begleitumstände mit Sicherheit nicht den in Italien deswegen verurteilten österreichischen BAS-Aktivisten Peter Kienesberger, Dr. Erhard Hartung und Egon Kufner zuzuordnen, was dementsprechend in Österreich auch zum Freispruch der drei Aktivisten geführt hat. (s.: Speckner Hubert: Von der „Feuernacht“ zur Porzescharte … Das Südtirol-Problem in den österreichischen sicherheitsdienstlichen Akten. Wien 2016).

Alle übrigen sieben der „offiziellen“ Todesopfer unter italienischen Soldaten und Polizisten sind bis heute allesamt nicht eindeutig geklärt und können in keinem einzigen Fall mit Sicherheit den „Pusterern“ zugesprochen werden (s.: Speckner Hubert: Von der „Feuernacht“ zur Porzescharte … Das Südtirol-Problem in den österreichischen sicherheitsdienstlichen Akten. Wien 2016).

Zum vom ORF-Redakteur zitierten Mord an einem Carabinieri – gemeint dürfte der Tod des Vittorio Tiralongo sein – liegen inzwischen massive Entlastungsindizien und -aussagen vor, die allerdings von Italien nicht weiterverfolgt wurden, sondern im Gegenteil überaus rasch zu einer Einstellung eines neuen Ehrhebungsverfahrens führten (https://tirv1.orf.at/stories/388207 ).

Die Begnadigung bzw. zutreffender „Amnestierung“ der BAS-Aktivisten wurde im Jahr 1969 zwischen den beiden damaligen Außenministern Kurt Waldheim und Aldo Moro vereinbart, von Italien aber bis heute nicht in allen Fällen durchgeführt (Vgl. dazu die zahlreichen schriftlichen Anfragen und deren Beantwortung im österreichischen Nationalrat zu dieser Thematik. Beispielsweise die Anfrage 84/J XIII. GP vom 9. Dezember 1971, die schriftliche Anfrage 1005/J XX. GP vom 10. Juli 1996 und deren Beantwortung 882/AB XX. GP vom 26. August 1996 durch den Außenminister. https://www.parlament.gv.at/PAKT/JMAB/).

Sehr geehrter Herr Vorsitzendern Mag. Walter Marschitz, BA!

Sie werden verstehen, dass eine derartige Berichterstattung mit solch fragwürdiger Herangehensweise, Vorwürfen zahlreicher strafrechtlich relevanter Tatbestände gegenüber Menschen, bei denen hinsichtlich der getätigten Vorwürfe die journalistische Sorgfaltspflicht in Form der Recherche nicht eingehalten wurde, nicht zu akzeptieren ist.

Sie werden deshalb in Ihrer Funktion ersucht, diesen Fall zum Gegenstand einer internen Abklärung zu machen.

Es ist diese Vorgangsweise auch als ein Akt der besonderen Respektlosigkeit gegenüber unseren Herrn Bundespräsidenten anzusehen, der sich just zum Zeitpunkt seines Einsatzes einer Begnadigung bzw. Amnestierung der ehemaligen Südtirol Aktivisten aus humanitären Gründen, mit dem Text konfrontiert sehen musste.

Es wäre demnach nur ein Akt der Fairness, dass sich der Autor/Autorin für diesen Artikel auf jener ORF-Plattform entschuldigt, auf der dieser veröffentlicht wurde.

Freundliche Grüße

Peter Wurm
Werner Neubauer, BA
Hubert Speckner Kurator, Historiker
Andreas Leiter-Reber Abgeordneter zum Südtiroler Landtag
Sven Knoll Abgeordneter zum Südtiroler Landtag
Eva Klotz Landtagsabgeordnete a.D., Historikerin

Erst nach 10 Monaten eine Antwort voll Geschwafel

Sehr bemerkenswert ist, dass erst 10 Monate später (!), am 11. März 2022, eine Antwort von Herrn Dr. Christoph Eder, Vorsitzender des Beschwerdeausschusses des Publikumsrates, erfolgte. Die Redaktion des SID hat diesen Schriftverkehr von einem der Unterzeichner des Protestschreibens zugesandt erhalten.

Dem mit Fakten belegten Beschwerdebrief konnte sachlich vom ORF nichts entgegengesetzt werden. Deshalb wurde in unübertreffbarer, spitzfindig-verklausulierter Weise versucht, jede Schuld des ORF-Redakteurs an einer mangelhaften Recherche und Falschdarstellung zu verneinen.

Aber man konnte doch nicht umhin, einzugestehen, dass die Redaktion zukünftig Agenturmeldungen „kritisch zu überprüfen hat“ und auch „einen Re-Check der Informationen durchzuführen“. Außerdem wurde etwas beschämt von Herrn Dr. Eder zugegeben, dass es bei heiklen Themen hilfreich sei, die Quellen der wiedergegebenen Informationen anzuführen“ und auch zukünftig „sensibel“ zu sein.

Zum Ende kam der Beschwerdeausschuss jedoch zum Schluss, dass es „keinen Sorgfaltsverstoß der Redaktion“ gegeben hatte und daher die „Beschwerde abgewiesen“ wird.

Der Leser möge sich folgend seine eigenen Gedanken zum Antwortbrief machen, der im Wesentlichen wiedergegeben wird (unterstrichene Zeilen von Redaktion SID):

„In Ihrem Schreiben bemängeln Sie, dass vier Personen, die sogenannten „Pusterer Buam“, mit Verbrechen im Rahmen der Autonomiebewegung Südtirols in Verbindung gebracht werden, deren Zuordnung längst widerlegt worden sei.

Der Beschwerdeausschuss hat die Beschwerde in seiner Sitzung am 22.9.2021 ausführlich mit dem Chefredakteur von orf.at diskutiert und in der Plenarsitzung am 23.9.2021 darüber berichtet.

Laut Angabe der Redaktion sei der beanstandete Text einer Agenturmeldung entnommen worden, die zu den Attentaten in Südtirol die Hintergründe von Opfern und Daten in einem Absatz präsentiert hat. Die genannten Personen seien in der gewählten Textierung nach Ansicht der Redaktion nicht konkret für diese Taten verantwortlich gemacht worden, was der Grund für Ihre Beschwerde war.

Die Mitglieder des Beschwerdeausschusses waren der Einschätzung, dass der von Ihnen dargelegte inkriminierte Eindruck, die Freiheitskämpfer, vor allem die sogenannten „Pusterer Buam“ wären für diese Toten bzw. Todesfälle verantwortlich, in dem beanstandeten Onlinebeitrag nicht erweckt worden ist.

Sehr wohl hat Ihre Eingabe aber im Beschwerdeausschuss sowie auch in der Redaktion dazu beigetragen neuerlich eine Diskussion zu starten, in welchem Ausmaß die Redaktion Agenturmeldungen, die sie übernimmt, zu prüfen hat.

Nach Ansicht des Ausschusses müsse man Agenturmeldungen gegenüber immer kritisch sein. Je sensibler ein Thema ist, desto wichtiger ist es, einen Re-Check der Informationen durchzuführen.

Außerdem wäre es bei heiklen Themen hilfreich, die Quellen der wiedergegebenen Informationen anzuführen.

Der Beschwerdeausschuss hat daher keinen Sorgfaltsverstoß der Redaktion gesehen und ihre Beschwerde abgewiesen, allerdings gegenüber der Redaktion angemerkt, dass Agenturmeldungen umso kritischer hinterfragt werden müssen, je sensibler ein Thema ist, zu dem berichtet wird.

Dies wird von Letzterer auch geteilt. Insofern hat Ihre Beschwerde dazu beige-tragen, die Redaktion grundsätzlich und bei diesem Thema im Besonderen erneut zu sensibilisieren.“

Anhang: Das parteipolitisch gebundene System des ORF

Zum Verständnis des Lesers muss zum bemerkenswerten Vorgang dieses Schriftverkehrs über diese „ORF-Berichterstattung“, das gesamte „System ORF“, seit dessen Gründung, analysiert werden:

Der ORF wurde unter parteipolitische Kuratel gestellt

1955 wurde das Fernsehen in Österreich eingeführt und dessen große Macht von den politischen Parteien rasch erkannt. 1963 wurde bei den Koalitionsverhandlungen zwischen Dr. Alfons Gorbach (ÖVP) und Dr. Bruno Pittermann (SPÖ) ein Geheimabkommen geschlossen, dessen Kern lautete: jede Stelle im ORF muss von Parteigängern der ÖVP und SPÖ gleichermaßen besetzt werden.

Der Text des geheimen Papiers wurde Dr. Hugo Portisch zugespielt, er war Chefredakteur des „Kurier“. Von Portisch wurde im Oktober 1964 das „Rundfunk-Volksbegehren“, das erste dieser Art in Österreich, initiiert. Mit völlig unerwarteten 832.353 Unterschriften wurde es zu einer „Revolution“ gegen die unerträgliche parteipolitische Aufteilung des ORF und der Republik.

Der Nationalrat musste sich folgend mit dem Volksbegehren auseinandersetzen, doch auf Grund der Machtverhältnisse im Nationalrat: 81 ÖVP, 76 SPÖ (von insgesamt 165 Sitzen), blieb bereits der Entwurf des Gesetzes liegen, denn ÖVP und SPÖ bangten um ihre mediale Macht.

Der ÖVP-Kanzler-Kandidat bei der Nationalratswahl 1966, Dr. Josef Klaus, warb für ein neues ORF-Gesetz. Er erlangte die absolute Mehrheit und bildete eine Alleinregierung. Für Südtirol wurde die Regierung Klaus eine politische Katastrophe: Dr. Klaus war der Beitritt zur EWG oder ein Assoziierungs-Abkommen ganz entschieden wichtiger, diesem Ziel ordnete er alles unter. Italien machte seine Zustimmung von dem Wohlverhalten Österreichs in der Südtirolfrage abhängig und Dr. Klaus war willfährig.

Im Wahlkampf gegen seinen Rivalen Dr. Bruno Kreisky (SPÖ) präsentierte sich Dr. Klaus als „echter Österreicher“. Damit wurde unterschwellig vermittelt, dass Dr. Kreisky offenbar ein „unechter Österreicher“ sei. Die Wahrheit war: Dr. Kreisky vertrat als österreichischer Außenminister die Anliegen Südtirols mit Anteilnahme und Loyalität. Ganz im Gegensatz zum „echten Österreicher“ Dr. Klaus.

In Tirol sahen einige Leute den „echten Österreicher“ Dr. Klaus in einer fatalen Tradition stehend. Dieses Bild über eine Demonstration am Brenner war in dem Internetportal „unser tirol24“ am 7. 12. 2018 veröffentlicht worden. Zur Verfügung gestellt hatte es der leider mittlerweile verstorbene ÖVP-Journalist Walter Raming, der ein großer Unterstützer der Südtiroler Anliegen und kein Freund des Bundeskanzlers Dr. Klaus gewesen war.

Das angebliche „Herzensanliegen Südtirol“, das von Dr. Klaus bis herauf zu Sebastian Kurz von ÖVP-Führenden bei öffentlichen Reden stets hinausposaunt wurde, war in der politischen Realität eine glatte Lebenslüge.

Gerd Bacher drängte den parteipolitischen Einfluss zurück

Ein neues „Rundfunkgesetz“ wurde von ÖVP und SPÖ mit Wirkung ab 1. 1. 1967 beschlossen.

An die Spitze des ORF wurde Gerd Bacher bestellt. Bacher war, zusammen mit dem Publizisten Fritz Molden, einer der Gründer des „Befreiungs-Ausschusses Südtirol“ (BAS) und bekannte sich bis zu seinem Tod im Jahre 2015 stolz dazu.

ORF-Generalintendant Gerd Bacher

Zwischen 1967 und 1975, von 1978 bis 1986 und von 1990 bis 1994 war Gerd Bacher ORF-Generalintendant. Unter seiner Leitung wurde der parteipolitische Einfluss nicht ausgeschaltet, jedoch nach Kräften zurückgedrängt.

Nach Bachers Ausscheiden: Rückkehr der ungebremsten Parteienherrschaft

 

Nach Bachers Ausscheiden wüteten betreff des ORF die Machtspiele der Parteien, ungezügelt und ungehemmt weiter. Bacher urteilte darüber:

„Der Republik wird hier aus niederer Gesinnung schwerster Schaden zugefügt. Wie lange lässt sich Österreich die Willkür der Kleingeister noch gefallen?“ („Der Standard“, 9.6. 2011).

Diese „Willkür der Kleingeister“ feierte nach Bachers Abgang Triumphe. Die Proteste von ORF-Gebührenzahlern, auch gegen die einseitige Berichterstattung, wurden immer lauter.

63 Prozent der Politikjournalisten rechneten sich bereits 2010 eher dem linken Lager zu, 28 Prozent fühlten sich den Grünen am nächsten. („Der Standard“, 21. Juli 2010)

Mangel an Objektivität

Politische Einstellungen von Redakteuren sind in eine Demokratie an sich belanglos, wenn sie sich allein der möglichst objektiven Berichterstattung verpflichtet fühlen. Dass dem leider nicht so war und ist, wird folgend kurz erläutert.

Eine opportunistische oder eifernde politische Einstellung einiger ORF-Journalisten schlug sich auch in der Berichterstattung über friedliche, normale Staatsbürger bei Corona-Demonstrationen gegen die Regierung nieder.

Ein sehr bekannter ORF-Journalist, Reinhard Jesionek, postete ernüchtert am 21.12 2012:

„Ich bin traurig, verwundert + geniere mich mittlerweile für meine ehemalige berufliche Heimat den ORF … Heute am 15.12. demonstrierten 650 Ärzte + Pflegerinnen vor der Ärztekammer in Wien … und DAS ist die Berichterstattung darüber –  

„wien.orf.at ‚Hunderte bei illegaler Demo in Wien. In der Wiener Innenstadt haben sich heute Vormittag Hunderte Menschen zu einer nicht angemeldeten Demonstration versammelt. Es waren offenbar CoV-Leugner und -Leugnerinnen sowie Maßnahmengegner und -gegnerinnen.“ 

KEIN Wort darüber, dass das ausschließlich Ärzte + Pflegerinnen waren ! … das würde die Geschichte nämlich anders darstellen. WAR KEINER vom ORF dort ? …. oder hat DAS andere Gründe ? ICH GENIERE MICH FÜR 37 Jahre ORF Zugehörigkeit !!!“

Protest des Redakteursrates

Die Empörung über die Einflussnahme der Parteien auf den ORF gipfelte 2022 in einem Protestschreiben des ORF-Redakteursrates, weil ein Geheimabkommen, genannt „Sideletter“, zwischen Sebastian Kurz (ÖVP) und Werner Kogler („Grüne“) öffentlich wurde. Folgend zitiert nach der Fachpublikation „Horizont“ v. 31.1.2022:

„Wir sind empört, mit welcher Dreistigkeit es bei Regierungsverhandlungen zum Thema ORF ausschließlich um die Interessen der politischen Parteien und Postenschacherei geht. Und wie Führungsfunktionen im ORF mit großer Selbstverständlichkeit unter den Regierungsparteien aufgeteilt werden“, schrieb der Rat der Redakteure und weiter heißt es:

„Aus unserer Sicht ist es hingegen ein klarer Bruch der Verfassung und des ORF-Gesetzes: Dort ist in §1 die ‚Sicherung der Objektivität und Unparteilichkeit … sowie die Unabhängigkeit von Personen und Organen des Österreichischen Rundfunks‘ festgeschrieben. Über parteipolitisch paktierte Besetzung von Führungsfunktionen ist weder in der Verfassung noch im ORF-Gesetz etwas zu finden.“

Peinliche Entgleisung

In einer Demonstration in Wien gegen die überbordenden Corona-Maßnahmen der Regierung wurden Tiroler mit Österreich Fahnen vom ORF in einem Satz mit Neo-Nazis genannt:

Für Aufregung sorgten angereiste Tiroler und Fotos, die den verurteilten Neonazi Gottfried Küssel im Gespräch mit der Polizei zeigen sollen.“

Auf einen Protestbrief hin entschuldigte sich der ORF erstmals: In dem von Ihnen kritisierten Artikel war die Formulierung missverständlich – keinesfalls sollten Tiroler*innen mit Neonazis gleichgestellt werden. Wir bedauern diese Formulierung, die von Ihnen zu Recht beanstandete Passage wurde bereits geändert.“

Hier fanden die Wiener ORF-Verantwortlichen seltene Worte der Entschuldigung.

Es wäre schön, wenn es wahr wäre

Und weiter hieß es in diesem ORF-Schreiben, das auch für die Analyse über die „Berichterstattung“ zu den „Pusterer-Buam“ aufschlussreich ist:

„Als öffentlich-rechtliches Medium ist sich der ORF seiner gesellschaftlichen Verantwortung und des von der österreichischen Bevölkerung in ihn gesetzten Vertrauens bewusst. Der ORF handelt unabhängig von politischen Parteien und anderen Interessengruppen und ist ausschließlich seinem Publikum und der Gesellschaft verpflichtet. Er hat einen klaren gesetzlichen Auftrag, wesentliche Grundlage ist objektive, unmittelbare und kompetente Berichterstattung und Verlässlichkeit durch geprüfte Quellen. Wir bemühen uns stets, dem Vertrauen unseres Publikums zu entsprechen und dem Bedürfnis unserer Zuseherinnen und Zuseher nachzukommen.“

Hoffen wir!

Mit Schönreden ist es jedoch nicht getan. Der Bürger, welcher die Gehälter der im ORF Tätigen bezahlt, der darf auch erwarten, dass den schönen Worten in Zukunft ein entsprechendes Verhalten folgt.

Das bereits zitierte Protestschreiben des ORF-Redakteursrates hat gezeigt, dass es auch im ORF Widerspruch gegen ausufernde parteipolitische Gängelung gibt. Vielleicht gibt es in Zukunft noch positive Überraschungen. Hoffen wir es!




Das Scheitern einer italophilen und chaotischen Landespolitik

Von Foto: Dragan Tatic, Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres, CC BY 2.0, Link

Vorwort von Georg Dattenböck

Vor sechs Monaten, am 5. September 2021, feierten sich einige Politiker wieder einmal selbst. Es jährte sich der 75. Jahrestag des Abschlusses des „Pariser Vertrages“ – nur magere 40 Schreibmaschinenzeilen umfassend! – zwischen dem unseligen Außenminister Karl Gruber und Alcide de Gasperi.

Der „Pariser Vertrag“ von 1946 bot nicht mehr als allgemein formulierte Absichtserklärungen ohne juristische Verbindlichkeit. Der österreichische Außenminister Karl Gruber, ehemaliger Geheimdienstmitarbeiter der Amerikaner, war hier den Wünschen der westlichen Alliierten entgegengekommen.

Im Nationalrat in Wien hatte Außenminister Bruno Kreisky diesen „Pariser Vertrag“ als „eine furchtbare Hypothek für Österreich“ bezeichnet.

Beim  Festakt mit 200 geladenen Gästen auf dem Silvius-Magnago-Platz in Bozen beglückwünschten sich nun jedoch alle Anwesenden gegenseitig „für das Erreichte“. Ex-Bundespräsident Dr. Heinz Fischer und Ex-Ministerpräsident Prof. Romano Prodi, sowie Südtiroler Politiker klopften sich auf die Schulter: „Wir sind Autonomie“.

Der Landeskommandant des Südtiroler Schützenbundes, Renato des Dorides.
Der Landeskommandant des Südtiroler Schützenbundes, Renato des Dorides.

Der Südtiroler Landeskommandant der Schützen, Renato des Dorides (Anm.: Name ladinischer Herkunft), sah diesen offiziellen Freudentaumel „über das Erreichte“ sehr kritisch. Am 6. Dezember 2021 schrieb er im Leitartikel in der „Tiroler Schützenzeitung“:

„(K)ein Grund… zum Feiern. Möglicherweise konnten die seinerzeit isoliert dastehenden Verhandlungspartner unseres Vaterlandes Österreich vor 75 Jahren in Paris nicht mehr erreichen. Und die mühselig ausgearbeitete Autonomie für unser Land im südlichen Tirol wird heute international als mustergültig dargestellt. Realität ist, dass seitens des Zentralstaates seit Jahren am mühselig Errungenen  gekratzt, genagt und gestrichen wird. Anpassungen und devote Bittgänge im fremden – entfernten – Rom sind an der Tagesordnung. Die Autonomie verliert an Bedeutung – und der Zentralstaat erreicht langsam sein gewünschtes Ziel. Ich sehe in dieser wackeligen Autonomie keine Zukunft, sondern nur eine Zwischenlösung auf dem Wege zur absoluten Unabhängigkeit unsere Landes durch Selbstbestimmung unseres Volkes…“

„Üb immer Treu und Redlichkeit….“ war seit Urzeiten das ungeschriebene, jedoch stets gültige Gesetz in deutschen Landen. Zugegeben: es gab zu jeder Zeit korrupte Karrieristen, elende Versager und auch Verräter. Das waren Einzelfälle. Früher galt die „Handschlag-Qualität“ und, von allen akzeptiert, galt die christliche Ethik: du sollst nicht lügen, du sollst nicht betrügen. Auch die Todsünde der Trägheit in all ihren Formen wie: Gleichgültigkeit gegenüber der Not des Nächsten und die Denkfaulheit, waren verhasst. Zusammenhalt und Einigkeit hieß das Geheimnis des Erfolges.

Wie der Bürger medialen Schlagzeilen entnehmen muss, lässt die Ethik vieler vom Volk Gewählter immer mehr zu wünschen übrig. Nun wird von einem dreiköpfigen Ethik-Ausschuss in der SVP ein „Verhaltenskodex“ der Führung vorgelegt. Mandatare und Funktionäre sollen zu „völliger Unabhängigkeit, Loyalität und Diskretion verpflichtet werden“, wie die  „Dolomiten“ v. 8.3.2022 berichteten.

Gewählte, die auf das Einhalten von Treu und Redlichkeit beobachtet werden müssen: das gab es noch nie.

Der über die innerparteiliche Lage zerknirschte Parteiobmann Philipp Achammer, in der Landesregierung u.a. zuständig für „Deutsche Bildung“ und „Deutsche Kultur“, wird von den „Dolomiten“ zitiert: „Leider aber ist es so: Eine große Partei muss sich strenge Regeln geben, damit Situationen, die uns viel Vertrauen gekostet haben, nicht mehr vorkommen.“

Nur als ein Blitzlicht am Rande: Man hätte es noch zur Zeit von Landeshauptmann Dr. Luis Durnwalder nicht für möglich gehalten, dass ein zukünftiger Landehauptmann, ausgerechnet von „Alto Adige“, überschwänglich als italienischer „Fußball-Fan“ gelobt wird. Kompatscher machte es wahr: er bejubelte den Sieg Italiens in der EM gegen Österreich, ohne jedes Gespür für die reale Lage. Der „einfache Italiener“ glaubte ihm dieses peinliche Jubelgetöse jedoch nicht: „Klar, er erhält sein Geld aus Rom, doch nicht von Österreich“; „falsch, wie eine 30er-Banknote“; „wer glaubt daran!!!“; „Opportunist“; „was kümmert uns dieser Clown“, texteten die Fans.

Diese ständigen „Situationen“, wie Achammer es verniedlichend umschrieb, schildert nachstehend der von 1989 bis 1993 sehr erfolgreich als Landeskommandant des Südtiroler Schützenbundes und von 1993 bis 2017 als freiheitlicher Abgeordneter im Südtiroler Landtag tätige Pius Leitner.

(Bebilderung und Zwischentitel durch die Redaktion des SID gesetzt)

Südtirol 2022 – wo ist der politische Kompass?

50 Jahre Zweites Autonomiestatut –   30 Jahre Streitbeilegungserklärung

Ein Beitrag von Pius Leitner

Heuer stehen zwei historische Erinnerungsdaten auf der politischen Tagesordnung, die Südtirol in den letzten Jahrzehnten nachhaltig geprägt haben: zum 50. Mal jährt sich das Inkrafttreten des Zweiten Autonomiestatuts und zum 30. Mal die Abgabe der so genannten Streitbeilegungserklärung seitens Österreichs und Italiens vor der UNO. Die Erinnerungsveranstaltungen zu diesen beiden Ereignissen werfen ihre Schatten voraus, zumal die Bewertung der Auswirkungen durchaus unterschiedlich ausfällt.

Die „weltbeste Autonomie“ und ihre Aushöhlung

Laut Eigendefinition der seit 1946 regierenden SVP und laut Einschätzung externer und amtlicher Beobachter ist Südtirol mit der weltbesten Autonomie ausgestattet. Niemand wird bezweifeln, dass Südtirol dank autonomer Befugnisse in den letzten 50 Jahren eine gute Entwicklung genommen hat. Wenn wir zu den reichsten Regionen Europas gehören, so verdanken wir dies einerseits unserem Autonomiestatus, vor allem aber dem Fleiß der Südtiroler. Vollbeschäftigung und allgemeiner Wohlstand, eine vorteilhafte Finanzregelung mit dem Staat, die großzügige Investitionen möglich machte sowie gute Rahmenbedingungen und Frieden ermöglichten eine gute wirtschaftliche Entwicklung.

Wie schaut es aber mit der Befindlichkeit als Minderheit in einem fremdnationalen Staat aus? Wie steht es um Muttersprache und Kultur, wie um den geistigen Wohlstand? Hat dieser mit dem wirtschaftlichen Wohlstand Schritt gehalten? Um den Kern und die Mängel der Autonomie und des Minderheitenschutzes zu beschreiben, muss man mittlerweile nicht mehr bei der lästigen Opposition nachfragen, nein, da ist Landeshauptmann Arno Kompatscher selbst die erste Adresse.

Anlässlich seiner Wienreise, bei der Kompatscher die höchsten Vertreter Österreichs zu den Gedenkveranstaltungen „50 Jahre Zweites Autonomiestatut“ und „30 Jahre Streilbeilegungserklärung“ einlud, brachte er auch die Bitte vor, das Vaterland möge doch bitte auf Rom einwirken, das Aushöhlen der Südtiroler Autonomie zu unterlassen. Man reibt sich die Augen ob dieser Bitte, verkündet die SVP doch jahrein jahraus die Botschaft, es sei alles „in Butter“. Noch dazu äußerte diese Bitte nicht etwa der SVP-Obmann, sondern der Landeshauptmann, der bei Südtirolern eher wegen seiner Romtreue im Blickfeld steht.

Der bei vielen Südtirolern als Gefolgsmann italienischer Interessen geltende Landeshauptmann Arno Kompatscher warb im Wahlkampf von 2018 auch um italienische Stimmen: „Gemeinsam dem Morgen entgegen. Arno Kompatscher“

Die Aussage von Kompatscher, der Stand der Südtirol-Autonomie sei hinter den Stand von 1992 zurückgefallen, ist nicht nur bemerkenswert, sie ist das Eingeständnis, dass 30 Jahre heiße Luft verkauft wurde. Der Verweis auf die Verfassungsänderung des Staates im Jahre 2001, womit Südtirol Zuständigkeiten an den Staat abgeben musste, ist richtig. Warum hat man aber 20 Jahre gewartet, um das gegenüber Österreich auch offiziell  vorzubringen? Wenn die Opposition darauf hinwies, wurde dies als „Autonomie-Bashing“ abgetan. Die SVP hat die Südtiroler seinerzeit aufgerufen, für diese Verfassungsreform zu stimmen. Die Begründung lag darin, dass erstmals die Bezeichnung „Südtirol“ in die italienische Verfassung Eingang fand und zwar in Zusammengang mit der Region! Deren offizielle Bezeichnung lautet seither „Regione Trentino/Alto Adige-Südtirol“.

Dass sich der Staat in Sachen Raumordnung, Landschaftsschutz, Jagd, Ökologie usw. bis dahin beim Land angesiedelte Zuständigkeiten unter den Nagel riss, wurde den Südtirolern vorenthalten bis es nicht mehr zu verschleiern war. Die Grenzen der Autonomie hat Rom letzthin bei der Gestaltung der Corona-Pandemie aufgezeigt. Den Rest für den Autonomieabbau erledigt der Verfassungsgerichtshof.

Kompatscher verzichtete auf Milliarden EURO

Wenn der Landeshauptmann die Finanzregelung als große Errungenschaft und als Sicherungspakt bezeichnet, muss auch dies relativiert werden.

Von den ursprünglich vorgesehenen 90% der in Südtirol eingehobenen Steuern verbleiben inzwischen tatsächlich weniger als 75%.

Zudem hat Kompatscher, ohne die Zustimmung des Landtages einzuholen, auf einige Milliarden Euro verzichtet und zugesichert, dass sich Südtirol über Gebühr an der Tilgung der staatlichen Schuldenlast beteiligt.

Beim so genannten Mailänder Abkommen erklärte Kompatschers Vorgänger, Luis Durnwalder, Südtirol bekomme jetzt zwar weniger Geld, dieses aber sicher. Sicher ist, dass Südtirol dem Staat einige Lasten finanzieller Natur abgenommen hat, so die Bezahlung der Lehrer und die Kosten für die Staatsstraßen. Rom schafft, Südtirol zahlt.

Kompatscher beteiligt sich an der Aushöhlung der Autonomie

Der fröhliche Landeshauptmann Arno Kompatscher ist heute in Südtirol mehr als umstritten.

Es ist klar, dass die autonomen Befugnisse nur mit den notwendigen Geldmitteln ausgeübt werden können. Die Südtirol-Autonomie kann jedoch nicht nur auf Geld reduziert werden. Für den Fortbestand und die Absicherung der Autonomie sind Bestimmungen im Bereich von Schule und Kultur entscheidend. Beim Gebrauch der Muttersprache hapert es nach wie vor und was auf dem Papier steht, findet im Alltag nicht immer Anwendung. Diesbezüglich kann die Schuld nicht auf Rom geschoben werden, da liegt der Hase im Südtiroler Pfeffer begraben.

Der Angriff auf den ethnischen Proporz geht munter weiter und er findet immer öfter auch Schützenhilfe von der Südtiroler Politik. So hat Landeshauptmann Kompatscher unlängst erklärt, dass rund 100 Stellen ohne Berücksichtigung des Proporzes ausgeschrieben werden.

Der Protest hält sich in Grenzen bzw. wird abgeschmettert. Es mag sein, dass infolge der Vollbeschäftigung der Arbeitsmarkt beinahe leergefegt ist, einen Pfeiler der Autonomie leichtfertig anzusägen, könnte den Einsturz des gesamten Autonomiegebäudes nach sich ziehen.

Schwere Zerwürfnisse innerhalb der Südtiroler Volkspartei

Unabhängig von parteipolitischen Bewertungen, die einen subjektiven Anstrich haben können, geht es mir um das Gesamtbild, das Südtirol nach außen abgibt. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass eine normale Auseinandersetzung in einer Oppositionspartei gerne als Streit oder Skandal hingestellt wird, ein handfester Streit in der SVP jedoch als normale Diskussion. Man sei nun halt einmal eine Sammelpartei, in der es viele Seelen gibt. Die meisten Medien folgen dieser Diktion.

Was derzeit innerhalb der SVP abgeht, hat es jedoch noch nie gegeben. Mittlerweile ist offenkundig geworden, dass Landeshauptmann Kompatscher und SVP-Obmann Achammer nicht miteinander können.

Während Achammer vom Hause Athesia gestützt und gefördert wird, hat Kompatscher, augenscheinlich kein Freund der Ebner-Brüder, zwar keine innerparteiliche Hausmacht, dafür jedoch die Medien mit Linksdrall und eine große Anzahl von Förderern und Unterstützern.

Dies ist nicht nur unter dem ideellen Gesichtspunkt zu bewerten, sondern auch unter dem finanziellen. In den letzten Tagen wurden die Namen jener Personen und Unternehmen veröffentlicht, welche die SVP und insbesondere Landeshauptmann Kompatscher bei den Wahlen 2018 unterstützt haben.

Da reibt man sich wiederum die Augen und sieht politische Zusammenhänge aus einem anderen Blickwinkel. Da fallen einem Projekte von Personen und Unternehmen ein, die nun als Geldgeber für die SVP bzw. deren Kandidaten ans Licht kommen. Ein Schelm, der dabei denkt, das Projekt könnte einen Schubs bekommen?

„Im Netzwerk der Spender“

„Im Netzwerk der Spender“ titelte die Wochenzeitung „ff“ in ihrer Ausgabe vom 17. März 2022 und veröffentlichte in einem sechsseitigen Bericht sowohl die Liste der Spender als auch die Verbindungen und Verstrickungen zwischen Politik und Wirtschaft. Es brodelt in den Reihen der SVP-Kandidaten, seit herausgekommen ist, dass einige Kandidaten, zumal Landeshauptmann Kompatscher, in eklatanter Weise bevorzugt gesponsert wurden.

Besonders brisant ist der Umstand, dass im „Spendensammlerkomitee“ Heinz Peter Hager saß.

Der bekannte Wirtschaftsprüfer ist nicht irgendwer. Er betreut Projekte des Investors Rene´ Benko, so die Verbauung des Virgl mit einem geplanten Volumen von 129 Millionen Euro, den Waltherpark und das Bahnhofsareal.

Er ist seit Jahren Berater Kompatschers, scheint als Spender und Spendensammler sowie als Berater mehrerer Unternehmer auf, von denen er selbst Spenden eingesammelt hat.


Obige Ausschnitte aus der Tageszeitung „Dolomiten“ zeigen, dass der Landeshauptmann Kompatscher in Südtirol bereits mehr als umstritten ist und dass sich diese Diskussion um mögliche Korruption zu einem Machtkampf in der SVP entwickeln kann. Der SID wird darüber weiter berichten.

Kompatscher stellt sich als Vertreter der „Sammelpartei“ dar

Den Streit innerhalb der SVP hat Landeshauptmann Kompatscher selber damit befeuert, dass er in einem Interview mit „AltoAdigeInnovazione“ sagte: „Ich mache nicht das Feigenblatt der SVP. Wir sind eine Sammel- und keine Lobbypartei“. Damit trat er selbstredend den starken Vertretungen von Bauern und Touristikern auf die Füße und die Reaktionen waren entsprechend. Da nützte auch das Hinausreden auf ein Missverständnis und eine gemeinsame Erklärung mit Achammer nichts. Tatsache ist, dass die SVP schon lange, im Grunde seit 1992, keine Sammelpartei mehr ist, sondern ein Konglomerat von Standes- und Gruppeninteressen. Das so genannte „Feigenblatt-Interview“ Kompatschers lässt inzwischen Spekulationen aufkommen, er könnte bei den kommenden Landtagswahlen sogar mit einer eigenen Liste antreten.

Am 18. März 2022 wurde in Bozen das Buch „Freunde im Edelweiss“ der Autoren Artur Oberhofer und Christof Franceschini vorgestellt, das die Abhörprotokolle zur SAD beinhaltet. Es geht um die Vergabe der Konzessionen für den öffentlichen Personennahverkehr, aber auch um die Einwirkungen von außen auf die Bestellung der Landesregierung. Die „Nettigkeiten“, die Politiker und Beteiligte über ihre Parteifreunde verbreiten, haben es in sich.

Landeshauptmann Kompatscher, der von „Parteifreunden“ nicht gerade mit Lobeshymnen überhäuft wird, hat bekanntlich seine erneute Kandidatur davon abhängig gemacht, dass dieser „SAD-Skandal“ aufgearbeitet wird. SVP-Obmann Achammer versucht die Wellen zu glätten und sucht das Heil darin, mit einem „Ethik- bzw. Verhaltenskodex“ seine Schäfchen an die Kandare zu nehmen. Man darf gespannt sein, ob nun Ruhe einkehrt oder ob es doch Konsequenzen (personeller und inhaltlicher Natur) gibt.

Landes-Ehrenzeichen an Vertreter des „anderen Tirol“

Dass Landeshauptmann Kompatscher einen autonomiepolitischen Kurs verfolgt, der selbst  innerhalb der SVP nicht allen gefällt, ist bekannt. Anscheinend fühlt er sich im linksgrünen Umfeld wohler als in den Gefilden seiner Partei. Bei volkstumspolitisch aktiven Menschen stößt er auf geringe Gegenliebe, erst recht seit er in Eigenregie veranlasst hat, mit Reinhold Messner, Lilly Gruber und Josef Zoderer Vertreter des „anderen Südtirol“ mit dem Ehrenzeichen des Landes Tirol auszuzeichnen. Bei aller Anerkennung der Lebensleistungen dieser Personen, dieses Signal ist eine Kehrtwendung in der Südtirol-Politik und erinnert stark an die Politik eines Alexander Langer.

Die SVP-internen Angelegenheiten müssten einen nicht bekümmern, strahlten sie nicht auch auf das Gesamtbild Südtirols aus. Es geht um Südtirol und seine Menschen, es geht um eine gedeihliche Zukunft aller und nicht um parteipolitischen Klientelismus. Die Menschen warten auf Lösungen für ihre Alltagsprobleme (Wohnen, Pflege, Kaufkraft, Zuwanderung usw.), sie warten aber auch auf eine klare politische Ausrichtung, die Südtirol mehr Eigenständigkeit erlaubt.

Verzicht auf Volksgruppenschutz – Unterwerfung und Selbstaufgabe

Südtirol ist autonomiepolitisch nicht nur hinter den Bestand von 1992 zurückgefallen, in den vergangenen 30 Jahren hat es seine Seele verloren. Aus dem ursprünglichen Volksgruppenschutz wurde ein Volksgruppenausgleich, der immer öfter, unter Zutun der Südtiroler selbst, zu Unterwerfung und Selbstaufgabe führt. Es droht sich die Befürchtung zu bewahrheiten, aus den Südtiroler würden mittelfristig bestenfalls Deutsch sprechende Italiener. Dann wäre die Autonomie allerdings Geschichte, denn die Autonome haben wir einzig und allein deshalb, weil wir keine Italiener sind.

In der SVP zeichnet sich kein autonomiepolitisches Denken im Sinne von mehr Eigenständigkeit ab, dafür aber eine Richtungsänderung hin zu einer immer stärkeren Identifizierung mit Italien. Das kann man beispielsweise daran erkennen, wie leichtfertig im Alltag, aber auch bei offiziellen Veranstaltungen, auf den Gebrauch der Muttersprache verzichtet wird. Das drückt sich aber auch dadurch aus, wenn den Südtirolern von der SVP Kandidaten aus italienischen Provinzen aufgedrückt werden (Bressa, Boschi). Wer heuer 50 Jahre Zweites Autonomiestatut feiert und gleichzeitig diese Entwicklung ignoriert oder gar fördert, übt Verrat am politischen Erbe von Männern wie Silvius Magnago und Anton Zelger. (Anm.: langjähriger Landesrat für deutsche Schule und Kultur)

Einen solchen Nachfolger wie Kompatscher hätten sich der Landeshauptmann Silvius Magnago und der Landesrat Anton Zelger wohl kaum vorstellen können.

Die Südtiroler Autonomie ist nur dann eine Erfolgsgeschichte, wenn sie als Etappe auf dem Weg zu immer mehr Eigenständigkeit bis hin zur Unabhängigkeit gedeutet und gelebt wird.

Wie die Geschichte lehrt, haben Minderheiten in fremdnationalen Staaten auf lange Sicht stets das Nachsehen – Aosta und Elsass docent!

Südtirol hat zwar einen Kompatscher, den Kompass hat es aber verloren. Dieser liegt in den Ergebnissen des Autonomiekonvents.  Wann geht man an deren Umsetzung?

Pius Leitner
Abgeordneter zum Südtiroler Landtag a. D.
Vahrn, Josefi 2022