Letzter Abschied von Florian Weissteiner – dem Vorletzten der „Pfunderer Buam“
Am 10. April 2023 verstarb Florian Weissteiner in Obervintl im Pustertal im Alter von 86 Jahren. Er war der vorletzte noch Lebende der sieben „Pfunderer Buam“, die 1956 verhaftet, schwer misshandelt und 1957 und 1958 einem unglaublichen Justizverfahren unterworfen worden waren.
Roland Lang, der Obmann des „Südtiroler Heimatbundes“ (SHB), drückte in einem Schreiben der Familie sein Mitgefühl aus und veröffentlichte dann eine Dokumentation, die nachstehend wiedergegeben ist.
Dokumentation:
Politische Justiz im Nachkriegs-Italien – Was Florian Weissteiner und seine Freunde erleiden mussten
In der Nacht des 15. August 1956 waren 7 junge Bauernburschen in Pfunders, einem kleinen Gebirgsort in einem Seitental des Pustertals, vor einer Arbeiterkantine in eine Rauferei mit zwei italienischen Finanzern geraten, die wie sie vorher ausgiebig in der Kantine gezecht hatten. Einer der Finanzer, der schwer alkoholisierte Raimondo Falqui, war davon gerannt und in der Dunkelheit von einer Brücke ohne Geländer 3 Meter tief in den ausgetrockneten und mit Felsbrocken ausgestatteten Roanerbach gestürzt.
Bei seinem Sturz hatte sich Falqui offensichtlich an einem Stein die Stirne eingeschlagen. Die spätere Untersuchung ergab, dass Falqui 1,7 Promille Alkohol im Blut gehabt hatte, also schwer betrunken gewesen war.
Die vor der Kantine Zurückgebliebenen hatten Falquis Sturz nicht mitbekommen und gingen ebenso wie dessen Kollege nach Hause und schliefen ihren Rausch aus. Am nächsten Tag wurden die 7 Burschen als „Mörder“ verhaftet. Bereits die Ermittlungen wurden so geführt, dass sie eine Mordanklage stützen sollten.
* Die Voruntersuchung wurde durch keine Mordkommission durchgeführt, sondern nur durch einfache Carabinieri.
* Es wurden keine Spuren am „Tatort“ erhoben und dadurch auch der Stein, an dem sich Falqui bei seinem Sturz mutmaßlich den Schädel eingeschlagen hatte, nicht als Beweismittel gesucht und gesichert.
* Die Leiche wurde ohne jede Spurensicherung abtransportiert und es wurde nicht einmal der Fundort dokumentiert.
* Dadurch konnten später widersprüchliche Angaben über die Fundstelle der Leiche nicht abgeklärt werden.
* Der Gemeindearzt von Rasen-Olang, Dr. Karl Kofler, welcher den eingetretenen Tod des Falqui feststellte und als Erster dessen mutmaßlich durch den Sturz in das Geröll des Bachbetts verursachte Kopfverletzung sah, wurde trotz Antrags der Verteidigung in beiden Instanzen nicht als Zeuge vor Gericht zugelassenundnicht einvernommen. Die Begründung: Das Gericht wisse ohnehin, dass er nichts Sachdienliches auszusagen habe.
* Die Einvernahme einiger anderen wichtigen Zeugen wurde ebenfalls abgelehnt.
* Der Gerichtsmediziner Professor Franchini stellte in seinem Obduktionsbefund fest, dass Falqui bei der vorangegangenen Schlägerei nur geringfügige und oberflächliche Verletzungen wie Hautabschürfungen und Blutergüsse erlitten hatte. Lediglich eine einzige Verletzung am Schädel war die tödliche gewesen und so beschaffen gewesen, dass sie mutmaßlich von einem Sturz mit Aufschlag auf einen Stein herrührte. Professor Franchini kam daher in seiner Untersuchung zu dem Schluss, dass die wissenschaftlich annehmbarste Hypothese diejenige sei, dass Falqui in das Bachbett gestürzt sei und sich dabei an einem Stein die tödliche Schädelverletzung zugezogen habe.
* Professor Franchini stellte im Blut des Toten einen Alkoholgehalt von 1,7 Promillen fest und erklärte in seinem Befund, dass Falqui sich im Zustand einer „akuten alkoholischen Intoxikation“ befunden und zum Zeitpunkt seines Wegrennens in die Dunkelheit mit größter Wahrscheinlichkeit an Gleichgewichtsstörungen gelitten hatte.
Über dieses Untersuchungsergebnis des amtlich bestellten Gerichtsmediziners setzte sich das Gericht einfach hinweg.
Die „Pfunderer Buam“ waren Opfer – nicht Täter!
Die These der Vernehmenden und später des Gerichtes lautete, dass Falqui zu Tode geprügelt und dann in das Bachbett geworfen worden sei. Daher wurden die Burschen, wie sie später vor Gericht aussagten, so lange geschlagen, bis sie die italienischen Protokolle, deren Inhalt sie nicht verstanden, unterschrieben hatten. Diese Protokolle enthielten „Geständnisse“, die zur Grundlage der Verurteilung der Burschen wurden.
Der Prozess gegen die Pfunderer Burschen begann am 8. Juli 1957 und fand vor dem Schwurgericht in Bozen statt.
Den Angeklagten half es nichts, dass sie aussagten, bei den Verhören geschlagen und zur Unterschrift der in italienischer Sprache abgefassten Protokolle erpresst worden zu sein. Das Gericht verwarf ihren Widerruf im Gerichtssaal. Die Verhandlung wurde nur in italienischer Sprache geführt. Die angeklagten Bauerburschen konnten weder den Aussagen der Zeugen noch der Beweisführung der Ankläger folgen.
Der Staatsanwalt Dott. Mario Martin erklärte: „Ich verlange von euch Richtern eine Mutprobe! Euer Schuldspruch stimme überein mit dem Gefühl des Volkes, von dem ihr delegiert worden seid.“ (Zitiert nach dem Bericht in: „Justiz in Südtirol“, Hrsg. Österreichische Liga für Menschenrechte, Sektion Tirol, Innsbruck 1958, S. 19f)
Noch ungeheuerlicher äußerte sich die Vertretung der Privatanklage. Sie nannte die Angeklagten „Hyänen“, „Bestien“ und „hündischeMeute“. Alle Bewohner des „finsteren und zurückgebliebenen Südtiroler Tales Pfunders“ hätten, politisch von der einheimischen Presse verhetzt, im sardischen Finanzer Falqui „den Bringer des Fortschritts und der Kultur“ gehasst und mit Mordlust verfolgt.
Der Nebenkläger Dott. Vigilio Dadea aus Mailand beschimpfte unter wohlwollender Duldung des Gerichtsvorsitzenden Dott. Leone Borzaga die Bauernburschen als „Ränkeschmiede mit dem finsteren Blick des Verbrechers, abgefeimte Delinquenten unter der Maske der Naivität, halbe Kannibalen, Wegelagerer und Mörder.“
Am 16. Juli 1957 wurden die 7 Pfunderer Burschen zu Strafen zwischen 24 und 10 Jahren verurteilt. Florian Weissteiner erhielt 16 Jahre Kerker.
Am 27. März 1958 wurde in der Berufungsverhandlung in Trient nach fünfstündiger Beratung neuerlich das Urteil gesprochen. Die Südtiroler Tagezeitung „Dolomiten“ berichtete, dass im Gerichtssaal Totenstille herrschte. Als das Wort „ergastolo“, „lebenslänglich“, als verkündete Strafe für Alois Ebner fiel, waren im Publikum „halberstickte Laute des Entsetzens“ zu hören.
Die jungen Burschen, die nur ihre Tiroler Mundart und kein Italienisch sprachen, hatten dem Gang der nur in italienischer Sprache geführten Verhandlung kaum folgen können. Fassungslos vernahmen sie nun das Urteil, mit welchem Florian Weissteiner 17 Jahre und 10 Monate Kerker erhielt. Die Angeklagten standen kreidebleich zwischen den Carabinieri. Den Schuldspruch zu übersetzen, hielt man nicht für nötig. Sie waren fassungslos, wie geistesabwesend, als ihnen die Carabinieri die Handschellen anlegten. Keiner sprach ein Wort, dann wurden sie mit Ketten aneinandergefesselt hinausgeführt.
Am 1. April 1958 veröffentlichten die „Dolomiten“ eine Entschließung der „Südtiroler Volkspartei“ (SVP), in welcher es hieß, dass „mit diesem Urteil nicht eine gerechte Strafe“ für eine begangene Tat gefunden worden sei, „sondern es wurde Rache geübt, die zur Beschaffenheit der Tat und den offenbaren Absichten der Täter in keinem Verhältnis steht und an die dunkelsten Zeiten unmenschlicher Strafjustiz erinnert.“
Das Urteil rief in ganz Tirol Entsetzen hervor. Am 1. April 1958 ruhte in ganz Nordtirol von 10 Uhr bis 10.05 Uhr alle Arbeit zu einem Gedenken an die unglücklichen Pfunderer Burschen.
Der Nordtiroler Landeshauptmann Dr. Hans Tschiggfrey erklärte während dieser Gedenkminuten über den Rundfunk:
„In diesen Augenblicken ruht die Arbeit in Stadt und Land. In Häusern und Fabrikshallen schweigt der Lärm. Das Tiroler Volk denkt, von tiefstem Leid erfasst, an jene sechs jungen Bauernsöhne eines entlegenen Südtiroler Bergdorfes, deren Leben durch einen Richterspruch ganz oder teilweise vernichtet wird.“
Am 13. Mai 1960 wurden die Burschen auseinander gerissen und auf verschiedene Kerker im Süden Italiens verteilt. Auch die Brüderpaare Ebner und Unterkircher durften nicht zusammen bleiben.
Das Martyrium der Pfunderer Buam sollte 12 lange Jahre dauern. In Rom war man sich dessen bewusst, dass es sich bei dem Fall der Pfunderer Buam um einen politischen Fall gehandelt hatte. Im Zuge der abschließenden Verhandlungen zum Südtirol-Autonomiepaket kam Rom daher den Südtirolern entgegen. Am 18. Dezember 1968 begnadigte der italienische Staatspräsident Giuseppe Saragat die inhaftierten Burschen mit Ausnahme von Luis Ebner, der erst am 25. November 1969 begnadigt nach Hause zurückkehren konnte.
„An der Seite des Volkes“
Im Südtiroler EFFEKT! Verlag in Neumarkt ist ein neues Buch erschienen, welches ein bislang weitgehend unerforschtes Kapitel der Südtiroler Landesgeschichte offenbart.
Dem geplanten Untergang der deutschen und der ladinischen Volksgruppe und ihrer Kultur stellten sich in der Faschistenzeit die Priester in Südtirol mutig entgegen und nahmen dafür manche Verfolgung auf sich. Sie verteidigten und bewahrten den Gebrauch der unterdrückten deutschen Sprache in den Kindergärten, im Schul- und Religionsunterricht und im öffentlichen Leben. An ihnen und dem von ihnen unterstützten geheimen „Katakombenunterricht“ scheiterte der staatlich geplante Ethnozid, der kulturelle Volksmord.
Helmut Golowitsch: AN DER SEITE DES VOLKES Südtiroler Geistliche unter dem Faschismus 1918 – 1939
EFFEKT! Verlag Neumarkt
ISBN 978-88-97053-95-8
474 Seiten, reich bebildert
Ab EURO 28,90
Mit Vorworten des Landeskuraten des Südtiroler Schützenbundes, P. Christoph Waldner OT und des Kapitular-Kanonikus DDr. Johann Enichlmayr.
Das neue zeitgeschichtliche Werk wurde unlängst in Innsbruck und in Linz vorgestellt. Aus Nord- und Südtirol waren zahlreiche Freunde gekommen, die sich lebhaft an den Diskussionen beteiligten.
Bei diesen Buchpräsentationen schilderte der Verfasser, dass ihn eine heute weitgehend in Vergessenheit geratenen Publikation dazu gebracht hatte, sich mit der Rolle der Südtiroler Priester in der Faschistenzeit näher zu beschäftigen.
Im Jahre 1927 war in Innsbruck ein Buch mit dem Titel „Die Seelennot eines bedrängten Volkes – Von der nationalen zur religiösen Unterdrückung in Südtirol“ erschienen. Der Verfasser hieß „Athanasius“. Das war der Deckname für den Bozner Kanonikus Michael Gamper, der selbst faschistische Verfolgung zu befürchten hatte.
Gamper hatte in dieser Schrift den in vollem Gang befindlichen Widerstand der Südtiroler Geistlichkeit gegen den faschistischen Versuch der kulturellen Auslöschung des Deutschtums dargestellt. Diese Schrift bewegte den Historiker Dr. Helmut Golowitsch, das Thema näher zu untersuchen.
Das Ergebnis war sensationell: So gut wie ausnahmslos hatten alle deutschen und ladinischen Geistlichen Südtirols schwerste Verfolgungen erlitten oder riskiert.
Es war der Verleger und ehemalige Landeskommandant des Südtiroler Schützenbundes, Elmar Thaler, der mithilfe befreundeter Priester unglaubliches Aktenmaterial aus den Diözesanarchiven von Trient und Brixen beschafft und dem Verfasser mehr als 800 Seiten Kopien von Dokumenten zur Bearbeitung geliefert hatte. Darunter waren amtliche Verfolgungsbescheide sowie zahlreiche Berichte von Priestern an ihre Bischöfe in Brixen und Trient, in denen sie schilderten, wie sie von Faschisten überfallen und misshandelt und von den staatlichen Behörden verfolgt und schikaniert wurden. Die Dokumente hatten Jahrzehnte lang in den kirchlichen Archiven geschlummert, ohne dass sie je bearbeitet und veröffentlich worden waren.
Der Verfasser schilderte, worum es damals gegangen war. Das Ziel der italienischen und vor allem der faschistischen Politik nach dem Ersten Weltkrieg war die Schaffung einer italienischen Einheitsnation in einem Einheitsstaat. In diesem Konzept war das Weiterbestehen ethnischer Minderheiten nicht vorgesehen. Sie hatten unter Aufgabe ihrer eigenen Identität sprachlich und kulturell in der verordneten Einheitsnation aufzugehen.
Den älteren Generationen, die im Krieg die Landesgrenzen verteidigt hatten, konnte man wohl kaum eine innerlich akzeptierte italienische Identität verpassen. Ihnen gegenüber konnte man nur Zwangsmaßnahmen anwenden. Um die künftigen Generationen im Sinne der „Einheitsnation“ geistig zu formen, wurde versucht, den Kindern in Kindergarten und Schule den Gebrauch der Muttersprache zu nehmen.
So kam es bereits bald nach dem Einmarsch der italienischen Truppen zu Umwandlungen deutscher Kindergärten und Schulen in italienische Institutionen.
Die deutsche Priesterschaft stellte sich mutig dagegen und hielt trotz Verfolgungen, Misshandlungen, Kerkerhaft und Verbannungen in den Pfarrhöfen den verbotenen deutschen Unterricht ab. Sie beriefen sich am 11. Mai 1925 in einer Denkschrift an den Trienter Fürstbischof Celestino Endrici auf das Naturrecht:
„Wo es um vom Naturrecht – und damit von Gott – zuerkannte Güter geht, um die Erziehung der Kinder, um das zukünftige Geschlecht, um die Sicherung des religiösen Unterrichtes in Schule und Kirche, da ist für den Priester nur eine Stellung denkbar: die an der Seite des ihm anvertrauten, hartbedrängten Volkes, dem er Helfer und Tröster und, wenn es sein muss, auch Verteidiger der von Natur und Gott demselben zuerkannten Rechte zu sein hat – gegenüber dem mit allen irdischen Machtmitteln ausgestatteten Bedränger.“
Zu diesem Thema nahmen bei den Buchpräsentationen in Innsbruck und Linz auch die Priester Stellung, welche Vorworte zu dem Buch geschrieben hatten. Auch sie unterstrichen, dass die Bewahrung von Volksgruppen in ihrer kulturellen Identität zur Wahrung göttlichen Naturrechtes gehört.
Eine Mahnung an den Landeshauptmann von Südtirol
Am 16. Februar 2023 besuchten der neue Landeskommandant des Südtiroler Schützenbundes, Roland Seppi, und sein Bundesgeschäftsführer Egon Zemmer den Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher und überreichten ihm das Buch „An der Seite des Volkes“ – „mit dem Wunsch, sich dieses Leitmotivs zu beherzigen“. Darüber berichteten mehrere Südtiroler Medien wie die „Dolomiten“, die „Neue Südtiroler Tageszeitung“ und das Internetportal „Unser Tirol 24“.
Dokumentation über den Inhalt:
Eine Buchbesprechung von Dr. Franz Pahl
An der Seite des Volkes
Der Kampf der Südtiroler Geistlichkeit gegen faschistischen Entnationalisierungsterror. Ein weiteres Standardwerk des österreichischen Historikers Helmut Golowitsch.
Der faschistische Terror gegen die deutsche Volksgruppe in Südtirol versuchte Sprache und Kultur auszurotten und die Südtiroler zu unterwürfigen Staatsitalienern zu machen. Dies misslang, weil das ganze Volk sich widersetzte und ein geheimer deutscher Sprachunterricht organisiert wurde. Doch die Abwanderung im Zuge des Hitler-Mussolini-Abkommens riss eine große Lücke. Erst der 2. Weltkrieg stoppte die Abwanderung ins Dritte Reich.
Mut der Ortsgeistlichen
Doch alle Bemühungen mutiger Männer und Frauen hätten nicht ausgereicht, wenn sich nicht von allem Anfang auch die deutsche Geistlichkeit Südtirols geschlossen gegen den Druck der Staatsmacht gestellt hätte, unter großen Nachteilen für sich und ständigen Bedrohungen ausgesetzt.
Das ist im Allgemeinen bewusst. Aber erst der bekannte österreichische Historiker Helmut Golowitsch hat ein umfangreiches Werk dazu vorgelegt. Es beruht auf peniblen Recherchen und vielen unbekannten Quellen. Längst wäre es Aufgabe der Diözesanhistoriker gewesen, diesen mutigen, beharrlichen Kampf der Südtiroler Pfarrer und Kapläne systematisch zu untersuchen und zu rechtfertigen, als unauslöschliches Merkmal der Südtiroler Kirchengeschichte vorzustellen und auch der Gegenwart als Beispiel vorzustellen.
Es geschah nicht. Die vielen leuchtenden Beispiele des geistlichen Widerstandes, der sich aus der katholischen Lehre speiste, blieben viel zu unbekannt. Kein Bischof ermunterte die nicht geringe Zahl von fähigen kirchlichen Historikern, sich mit dem geistlichen Widerstand gegen den faschistischen Kulturterror zu befassen. Man hat sich wohl gescheut, um die italo-nationalistische Sichtweise nicht zu belästigen. Sie ist nie völlig erstorben und bis heute unterschwellig virulent geblieben. Da will man ein Ruhmesblatt der Ortskirche lieber vergessen lassen, als es in das kirchliche Bewusstsein zu rufen oder gar – mehr als berechtigt – mit dem gläubigen Volk dieses Kampfes zu gedenken.
Eine Ausnahme machte man immer nur mit ganz wenigen Namen: Kanonikus Michael Gamper, den der Athesiakonzern aus familiären und publizistischen Gründen bis heute immer wieder verdienstvoll ins Bewusstsein ruft, und Josef Noldin, der als weltlicher Lehrer wegen seines Einsatzes für die deutsche Schule auf die Insel Lippari verbannt worden war. Und wenige andere mehr, die hin und wieder erwähnt werden.
Standardwerk gegen das Vergessen
Eine systematische Darstellung der Haltung der Südtiroler Ortsgeistlichen gegen die Unterdrückung des Deutschtums blieb aus. Der Historiker Helmut Golowitsch hat es unternommen. Seit Jahrzehnten hat er sich durch historische Werke ausgezeichnet, die historische Wahrheiten gegen die parteipolitische Feigheitsopportunität entschleierten. Diesmal wird dem Kampf der Südtiroler Ortsgeistlichen das verdiente Denkmal gesetzt und dem fahrlässigen Vergessen entrissen.
Helmut Golowitsch ist ein systematischer Forscher, der alle zugänglichen, aber kaum oder gar nicht genutzten Quellen auswertet, Aussagen belegt und Vorkommnisse in ihrem größeren Zusammenhang beschreibt. Zahllos sind die Beispiele, die Namen, die den geistlichen Widerstand in praktisch jeder Pfarrei, in kirchlichen Einrichtungen und Schulen leisteten. Aus dem christlichen Geist, der nicht dulden wollte, dass der faschistische Staatsterror die Muttersprache des katholischen Südtiroler Volkes sogar noch im Religionsunterricht – auch nach dem Konkordat von 1929 mit dem Vatikan – eliminieren wollte.
Verteidigung der Muttersprache aus dem Glaubensgrund
Die Ortsgeistlichen handelten nicht aus allgemeinen menschenrechtlichen Überlegungen, sondern konkret aus dem Recht des katholischen Volkes, das treu zur Kirche stand. Der Glaube an Gott, so erklärten die mutigen Geistlichen ihren Gläubigen, findet seinen notwendigen Ausdruck in der Verteidigung der Würde des Menschen. Dieser Grundsatz muss seine Geltung immer in der konkreten Situation (in seinem „Sitz im Leben“, würde der Theologe es bildhaft nennen) finden. Das Recht auf den Schutz der Muttersprache ist grundlegender Teil der Menschenwürde und darum unverzichtbar. Der Kampf um die Menschenwürde ist konsequente christliche Nächstenliebe, die sich aus dem Glauben an den liebenden Gott herleitet.
Religionsunterricht als Sprachpflege
Die Südtiroler Ortsgeistlichen haben ihre Nächstenliebe gegen jeden Versuch der ethnischen Entrechtung der Südtiroler gelebt und danach gehandelt. Sie wurden deswegen angefeindet, bekämpft, schikaniert, drangsaliert, gewalttätig angegriffen, konfiniert und in ihrer pastoralen Tätigkeit behindert.
Der Religionsunterricht in der Muttersprache war ja über die Glaubensvermittlung hinaus automatisch und oft gezielt auch Sprachunterricht, der sich dem faschistischen Kulturmord entgegenstellte. Der Südtiroler Historiker Josef Fontana weist in seinem Buch Unbehagen – Südtirol unter der Zivilverwaltung (Innsbruck, 2010) darauf hin, dass jeder Ortspfarrer nicht nur Seelsorger, sondern auch politischer Führer oder zumindest politischer Ratgeber war. Deutscher Religionsunterricht forderte den Gewaltstaat des Tyrannen Mussolini heraus. Er hatte die deutschen Schulen und jede deutsche Kulturtätigkeit, alle deutschen Vereine (sogar die Feuerwehren) verboten und die deutsche Gemeindeverwaltung ausgelöst. Das alles aber reichte dem Terrorstaat nicht. Er setzte auch die Kurien der Diözese Trient (wegen des deutschen Anteils) und die Diözese Brixen unter Druck, missliebige Ortsgeistliche zu versetzen, ihre Tätigkeit zu hemmen oder ganz zu verbieten. Im Trentiner Bischof Celestino Endrici fand die Staatsmacht einen nicht ungeneigten Helfer, der Jahre lang nicht die Geistlichen schützte, sondern sich dem Staat beugte.
Gewaltmaßnahmen seit 1919 – Bischof Endrici schwieg zu lange
Bereits nach dem 1. August 1919 breitete sich ein nationalistisches Kesseltreiben gegen die Geistlichkeit aus. Die ehemals große Diözese Brixen hatte durch die Landesteilung Tirols den Großteil ihres Gebietes an die Apostolische Administratur Innsbruck-Feldkirch verloren. Die Diözese Brixen war auf ihre wenigen Gebiete südlich des Brenners zusammengeschrumpft. Fürstbischof Johannes Raffl setzte sich entschieden für das Deutschtum in Südtirol ein. Doch in der Diözese Trient hatten es die zehn deutschen Dekanate viel schwerer. Bischof Endrici entpuppte sich bald als recht willfähriger Diener des Machtstaates.
Bittschrift der Dekanate
Die deutschen Dekanate wandten sich darum im Mai 1922 mit einer Bittschrift an Papst Pius XI um die Angliederung des großen deutschen Anteils an die Diözese Brixen. Der Papst entsprach der Bitte schon im August 1922. Die Mussolini-Regierung intervenierte und setzte durch, dass die Angliederung an Brixen rückgängig gemacht wurde. Schwer zu verstehen ist, dass es erst 19 Jahre nach dem 2. Weltkrieg zur Vereinigung mit der neuen Diözese Bozen-Brixen kam. Das ist nicht anders zu erklären, als dass die Brixner Kurie allzu große Sanftheit gegenüber dem Vatikan pflegte und das Anliegen nicht kämpferisch genug verfolgte, obwohl dem demokratischen Italien längst jede Möglichkeit einer Intervention dagegen genommen war.
Ortspfarrer wie Feinde behandelt
Im Unterland und in Ladinien wurde der Entnationalisierungsdruck schon 1919 spürbar. Die Ortspfarrer bekamen es gleich zu spüren. Der Pfattner Kurat Clementi und der Margreider Pfarrer Magagna wurden Schikanen ausgesetzt. Der zivile Generalkommissar für die Venetia Tridentina, Credaro, verlangte die Entfernung dieser Geistlichen aus dem Amt. Beide mussten weichen. Zur Versetzung von Geistlichen kam es noch in zahlreichen anderen Fällen im Laufe der zwei faschistischen Jahrzehnte.
Faschistischen Druck gab es praktisch in jeder Pfarrei, die sich nicht fügen wollte. Keine beugte sich freiwillig. Der Autor bringt eine Fülle von Beispielen, die sich in alten Pressezeugnissen und Archiven finden. Sie alle aufzuzählen, ist in dieser kurzen Buchbesprechung nicht möglich. Die näheren Schilderungen wird die Lektüre liefern.
Es sei jedoch auf die wesentlichen Bereiche verwiesen, die dem Faschismus mit seiner bereitwilligen Heerespolizeimacht der Carabinieri, die jeden Ort unter Kontrolle zu halten trachteten, besonders ein Dorn im Auge waren:
Der deutsche Religionsunterricht, generell und selbst in den Räumlichkeiten der Pfarren
Die deutschen Ordensschulen, kirchliche Kindergärten
Der verbotene „Katakombenunterricht“, also der geheime Unterricht auf einsamen Bauernhöfen oder in Privathäusern in der Stadt
Deutsche Kirchenlieder mit einem patriotischen Hintergrund
Prozessionen mit deutschen Gebeten und Gesängen, besonders, wenn sie noch einen leisen Bezug zum österreichischen Kaiserhaus durchschimmern ließen. Das galt vor allem für Herz-Jesu-Feiern und die damit verbundenen abendlichen Bergbeleuchtungen und Fronleichnamsprozessionen
Willkür in jeder Pfarrei – Prozessionen behindert
Willkürliche Verhaftungen, Bedrohungen, Verhöre, behördliche Anzeigen gegen Geistliche waren System. Einige Beispiele seien genannt: In Leifers wurde Pfarrer Bartholomäus Clementi und der Kaplan Jakob Plattner angezeigt, weil eine Gruppe in Tracht mit einer Kirchenfahne an der Herz-Jesu-Prozession teilgenommen hatte. Wegen eines ähnlichen „Deliktes“ wurde in Welschnofen Pfarrer Remigius Kaltenegger angezeigt, weil die Musikkapelle und die Schützen an der Prozession teilgenommen hatten. Es reichte auch schon, Fahnen am Herz-Jesu-Sonntag auszuhängen oder dem Brauch gemäß ein paar Böller abzuschießen, um Geistliche vor Gericht zu bringen.
Die Herz-Jesu-Prozession wurde als „Akt feindlicher Gesinnung“ betrachtet. In Branzoll stürzte sich am Herz-Jesu-Sonntag 1920 eine Heerschar von Carabinieri auf die Prozessionsteilnehmer, misshandelte und verhaftete eine Menge von ihnen wie gefährliche Aufrührer. Der Protest der deutschen Behördenvertreter wurde vom Generalkommissar Credaro abgewiesen. Das war noch das vor dem Faschismus „demokratische Italien.“ Schon ein weiß-rotes Tuch auf einem Altar genügte, um den Zorn der Carabinieri zu erregen.
Das Herz Jesu-Fest ein Dorn im Auge
Wo immer ein Priester zur Teilnahme am Herz-Jesu-Tag aufrief – und das sehr oft der Fall – hatte es Schikanen und Bedrohungen zur Folge. Dennoch flammten am Abend des Herz-Jesu-Sonntages in vielen Orten die Bergfeuer auf. Da sie verboten waren, nahmen sie erst recht einen politischen Charakter an.
Die Farben Rot und Weiß sollten auch in geistlichen Gewändern wie etwa für Ministranten nicht vorkommen. Bereits eine Feuerwehrkluft erschien als politische Provokation, selbst im Rahmen von kirchlichen Festen. Deutsch sollte auch als Gebetssprache bei religiösen Prozessionen verschwinden. Ein Beispiel: in Prad im Vinschgau wurde eine Antoniusprozession verboten, weil der Pfarrer die Gläubigen deutsch beten lassen wollte. Ein Aufgebot faschistischer Miliz verhinderte die Prozession, die der Pfarrer trotz Verbot abhalten wollte. Der Tiroler Anzeiger berichtete darüber am 6. September 1932. Das Tiroler Bundeslied, Auf zum Schwur, Tiroler Land‘, das mit dem Herz-Jesu-Gelöbnis der Franzosenkriege verbunden wird, konnte nirgendwo polizeiliche Gnade finden.
Nationalismus im Exzess
Das ganze Unheil brach herein, als der Faschismus die Macht ergriff und die Gewaltmaßnahmen bis zum Exzess steigerte.
Nun waren Sachbeschädigungen an Pfarrhäusern, Schmähparolen und Abschiebungen von Priestern an der Tagesordnung. Der Faschismus hatte leichtes Spiel. Er brauchte nur den ohnehin schon gewalttätigen Staatsnationalismus noch systematischer ausarten lassen. Er brauchte den Nationalismus, der nun die offizielle politische Staatsideologie des „Partito Fascista Italiano“ Mussolinis war, als Staatsziel. Auch Hitler hat seinen Judenhass nicht erfunden. Er fand ihn schon allgemein vor, nachdem die christlichen Kirchen ihn 2000 Jahre lang verbreitetet und geschürt hatten.
Muttersprache ist ein Natur- und Menschenrecht
Die Geistlichkeit war auch rege im katholischen Verlagswesen tätig. Die Katholische Aktion mit Pater Dr. Alfons Ludwig unterstützte darum von allem Anfang den Kampf der Ortsgeistlichen mit dem katholischen Schrifttum.
Die Katholische Aktion war 1925 gegründet worden, um die Jugend dem staatlichen Zugriff zu entziehen und fest an die katholische Hierarchie zu binden. Diese war natürlich, dem Geist der Zeit entsprechend, streng konservativ ausgerichtet, ließ aber an der Verteidigung der Muttersprache keinen Zweifel. Sie gehörte zum katholischen Selbstverständnis. Glauben und deutsche Kultur und Sprache waren eines. Pater Alfons Ludwig kämpfte an vorderster Front für den deutschen Religionsunterricht.
Bischof Endrici schaute zu und schwenkte dann um
Das Trientner Ordinariat hatte hingegen lange nichts einzuwenden. Der Staat gab sich kirchenfreundlich, da interessierte die deutsche Sprache nicht. Die Südtiroler sollten italienische Katholiken werden. Bischof Endrici kam die faschistische Ausrichtung nicht ungelegen. In einem Rundschreiben von 1912, als seine Diözese noch Teil der österreichisch-ungarischen Monarchie war, hatte er das Bestreben, in italienischen Gebieten deutsche Privatschulen zu errichten, noch als „Entnationalisierung“ gebrandmarkt. Als die deutsche Schule und sogar der deutsche Religionsunterricht verboten wurden, fanden die deutsche Geistlichen lange Zeit kein Gehör.
Als reihenweise Pfarrer und Katecheten wegen der deutschen Muttersprache in der Religionslehre Unterrichtsverbot erhielten, hatte Bischof Endrici allzu lange nichts daran auszusetzen. Der Papst hingegen ließ den Dekan des Domkapitels der Diözese Brixen, Josef Mutschlechner, wissen, der Heilige Vater wünsche ausdrücklich den deutschen Religionsunterricht. Der italo-nationale Endrici schwenkte schließlich auf die päpstliche Linie ein. Der Religionsunterricht wurde ab 1928/29 durchwegs in den Pfarrhäusern, in der Kirche oder Räumlichkeiten der Pfarrei erteilt. Die faschistischen Pressionen endeten damit nicht. Unter dem Vorwurf, die Geistlichen würden den deutschen Religionsunterricht zum deutschen Sprachunterricht umfunktionieren, ging man nun gegen die „religiösen Geheimschulen“ vor. Nun vollzogen aber die beiden Diözesanbischöfe von Brixen und Trient einen Schulterschluss und erreichten das päpstliche Verbot gegen die Tätigkeit von italienischen Priestern aus anderen Diözesen.
Proskriptionslisten wie im alten Rom
Die Verfolgungsmaßnahmen wurden dennoch fortgesetzt. Die deutschen Jugendverbände wurden sämtlich aufgelöst. Deutsche Kinder wurden in die faschistischen Balilla-Gruppen gezwungen und öfters auch militarisiert, wie es ähnlich bei der Hitler-Jugend im Deutschen Reich der Fall war.
Eine geheime Proskriptionsliste erfasste die „pangermanisti“ und „antiitaliani“ unter den Priestern. Auch der Name „Michele Gamper“ (Kan. Michael Gamper) durfte nicht fehlen. In Sarnthein ließ der Maresciallo (Postenkommandant der Carabinieri) Schulkinder hart unter Druck setzen, um sie zu lügnerischen Aussagen gegen den Deutschordenspriester P. Polycarp Obkircher zu zwingen. Sie sollten sagen, er habe sie veranlasst, das Hitlerkreuz an Zaunlatten zu malen. Die Kinder weigerten sich mutig.
Österreich hilflos – dann Verbündeter Mussolinis
Österreich konnte nicht helfen, weil es auf das Wohlwollen Italiens angewiesen war, um über den Völkerbund Finanzhilfen zu erlangen. Dafür verlangte Italien Schweigen über das bereits „lange gelöste Problem“ Südtirol. Mit der Machtergreifung Hitlers 1933 wandte sich der Austrofaschismus Italien zu, um Schutz gegen Hitler-Deutschland zu finden. Kanzler Dollfuß und der Duce Mussolini trafen sich in Riccione und demonstrierten Freundschaft. Nach der Einverleibung Österreichs 1938 begann die neue Ära der politischen Zweckfreundschaft mit dem Reich. Das Auswanderungsabkommen sollte das Problem von selbst lösen. Fürstbischof Johannes Geisler wollte als „Hirte mit seiner Herde“ gehen.
Seelsorger baten um Wiedervereinigung mit Tirol
Nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches unterzeichneten die Südtiroler Ortspfarrer im August 1945 fast wortgleiche Erklärungen, in der sie, ermutigt durch Bischof Geisler, die Wiederherstellung der Einheit Tirols forderten. Geisler sandte die Erklärungen an die Alliierten und die Tiroler Landesregierung. Jeder Pfarrer schrieb den Text der Erklärung eigenhändig.
So schrieb beispielsweise Johann Wolf, Pfarrer vom Mauls: „Als Seelsorger von Mauls bezeuge ich, dass die einheimische Bevölkerung von Südtirol aus ganzem Herzen die Wiedervereinigung mit dem übrigen Tirol ersehnt.“
Standardwerk gegen Opportunismus
Der weltliche Historiker Helmut Golowitsch hat dem verschämten Zögern und Vergessenlassen der geistlichen Historiker sein verdientes Werk entgegengesetzt. Was die geistlich-diözesane Geschichtsforschung nur punktuell unternommen hat, fügte der Historiker zu einem umfassenden Gesamtbild zusammen. Es ist das Standardwerk über den katholischen Widerstand gegen faschistische Unterdrückung von Sprache und Kultur in Südtirol. Im heutigen opportunistischen Bücklingsmodus der politischen Kurientheologie steht der geistliche Widerstand gegen die faschistische Unterdrückung von Muttersprache und Kultur wie ein großartiges Zeichen am Horizont des letzten Jahrhunderts da.
Vielen Südtiroler Geistlichen, die ihre gute Gesinnung nach wie vor bewahrt haben, wird diese Dokumentation eine Bestätigung ihrer Haltung sein. Das hilft uns allen.
(Diese Buchbesprechung erschien in dem Südtiroler Online-Portal „Unser Tirol 24“)
Nachstehend eine Einladung zu der Buchpräsentation in Brixen:
Gedenken an Paul Bacher – einen unermüdlichen Streiter für Recht und Selbstbestimmung (Teil 2/2)
Dokumentation über die Tätigkeit und die Leistungen des „Südtiroler Schützenbundes“ unter der Kommandantschaft von Paul Bacher
Teil II: 2009 bis 2011
2009: Andreas-Hofer-Feier in Meran – Gelöbnis auf die Heimat
Über 1.000 Schützen aus allen Landesteilen sowie zahlreiche Zivilpersonen waren am 22. Februar 2009 der Einladung des Südtiroler Schützenbundes zur Andreas-Hofer-Landesfeier nach Meran gefolgt. Landeskurat Kanzler Prof. Dr. Paul Rainer hielt den Gedenkgottesdienst. „Wenn man das gesamte Land Tirol im Blick hat, dann ist Gott mitten unter uns.“
Die Gedenkrede hielt der Alt-Landeshauptmann Dr. Alois Partl in Schützentracht. Darin sagte er, dass jeder einzelne angehalten sei, das Gelöbnis auf die Heimat, die Familie als Grundzelle von Volk, Staat und Kultur, die Würde des Menschen und die Achtung vor dem Herrgott zu erneuern. Partl betonte, dass er mit großer Bewunderung vor der Tatsache stehe, dass sich die Deutschen und Ladiner im südlichen Tirol trotz 90-jähriger Trennung ihre Lebens- und Eigenart bewahrt haben.
2009: „Gegen Faschismus – Für Tirol“ – Kundgebung in Bruneck
Am 25. April 2009 versammelten sich in Bruneck, einem Aufruf des „Südtiroler Schützenbundes“ folgend, an die 6.000 Menschen in Bruneck, um für die Landeseinheit Tirols und gegen das faschistische Alpini-Denkmal in Bruneck zu demonstrieren, welches den Völkermord in Äthiopien verherrlicht.
Der Landeskommandant des „Südtiroler Schützenbundes“, Paul Bacher, forderte in seiner Ansprache den Abriss aller „faschistischen Schandmäler“ und erklärte in Bezug auf die Zukunft Südtirols: „Unser Volk muss endlich selbst bestimmen können, wo es seine Zukunft sieht; in einem Freistaat Süd-Tirol oder in der Rückkehr zum Vaterland Österreich.“
Zum Abschluss der Kundgebung wurde von zwei Jugendlichen ein Manifest verlesen, in welchem es hieß: „Niemals, zu keinem Zeitpunkt, darf dem Tiroler Volk südlich des Brenners das Recht auf Selbstbestimmung vorenthalten werden. Südtirol hat nie den Verbleib bei Italien angestrebt. Die Autonomie ist nur eine Zwischenlösung. Das Selbstbestimmungsrecht aber ist und bleibt ein Grundrecht eines jeden Volkes. Wir fordern deshalb die Unabhängigkeit und Freiheit.“
2009: Sonderausstellung „Heimat 1809-2009“ in Villanders
In der Zeit vom 24. Juni bis zum 12. Juli 2009 fand im Kulturhaus von Villanders eine von der Schützenkompanie Villanders gestaltete Sonderausstellung mit dem Thema „Heimat 1809-2009“ statt. In dieser Ausstellung wurden die Kämpfe für Freiheit und Landeseinheit von 1809 bis zur Jetztzeit dokumentiert.
Einen besonderen Schwerpunkt bildete der Teil über den Freiheitskampf der 1960er Jahre, in welchem auch Ausrüstungsstücke damaliger Freiheitskämpfer gezeigt wurden.
2009: „Süd- Tirol Die gestohlene Zukunft“
Im Herbst 2009 gab die „Arbeitsgruppe für Selbstbestimmung“, welcher Landeskommandant Paul Bacher angehörte, eine Broschüre: „Süd- Tirol Die gestohlene Zukunft“ heraus, in deren Vorwort es hieß: „Mit dieser Broschüre, die in Nord-, Ost- und Süd-Tirol erscheint, soll die Bevölkerung in ganz Tirol darüber aufgeklärt werden, wie es wirklich um Süd-Tirol steht und wie notwendig daher eine baldige Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes für Süd-Tirol ist. Als Teil des italienischen Staates wird es für Süd-Tirol nämlich keine Zukunft geben!“
Diese Broschüre wurde als Beilage in Zeitungen in einer Auflage von 200.000 Stück den Tirolern in die Haushalte geliefert.
2009: Der Landesfestzug 2009 – ein großartiges Freiheitsfest
Am 30. August 2008 hatte die Bundesleitung des Südtiroler Schützenbundes beschlossen, bei dem bevorstehenden großen Festumzug 2009 zum Gedenken an den Freiheitskampf unter Andreas Hofer im Jahre 1809 in Innsbruck wieder eine Dornenkrone als Zeichen des Schmerzes über die Landesteilung Tirols mitzutragen. Der Landeskommandant Bacher hatte dies so begründet:
„Mit der Erstellung einer neuen Dornenkrone will man im Gedenkjahr die Leiden symbolisieren, die in zwei Weltkriegen, durch den Faschismus und Nationalsozialismus und in den 1960er Jahren über Land und Leute hereingebrochen sind und eine Zukunft in Frieden und Freiheit anmahnen.“
Der ehemalige österreichische Nationalratspräsident Andreas Khol (ÖVP) war von ÖVP und SVP zum Koordinator des Festumzugs für das Gedenkjahr 2009 bestellt worden. Um Rom ja nicht zu verärgern, lehnte dieser den Wunsches der Südtiroler Schützen ab, wieder – wie schon 1959 und 1984 – eine Dornenkrone als Zeichen des Schmerzes über die Zerreißung des Landes Tirol im Landesfestzug mitzutragen. Auch Transparente mit der Forderung nach Selbstbestimmung sollten untersagt sein.
Der Landeskommandant Paul Bacher und der „Südtiroler Schützenbund“ drohten, angesichts solcher Knebelung lieber zu Hause zu bleiben. Man kam im Innsbrucker Landhaus zur Erkenntnis, dass man das politisch nicht durchstehen würde. Zähneknirschend akzeptierten die Möchtegern-Zensoren letztlich doch das Mittragen einer mit Rosen geschmückten Dornenkrone.
Auch in der Frage der Transparente setzten sich die Südtiroler durch.
Der Landesfestzug wurde durch die Unbeugsamkeit der Südtiroler Schützen zu einem großartigen Freiheitsfest und zu einem machtvollen Bekenntnis des Volkes zur Tiroler Landeseinheit.
An dem Landesfestzug in Innsbruck nahmen dann am 20. September 2009 rund 30.000 Menschen teil und mehr als 70.000 Zuseher säumten die Straßenränder.
Als die Südtiroler Schützen selbstbewusst und stolz ihre Freiheitstransparente durch die Straßen der Landeshauptstadt trugen, wurden sie von aufbrandendem Beifall und Jubel begleitet.
2009: Protest gegen Huldigungen des Faschismus
Am 9. November 2009 richtete der Landeskommandant Paul Bacher ein Schreiben an die Alpini-Vereinigung (ANA) in Mailand, in welchem er dagegen Stellung nahm, dass Vertreter dieser italienischen Veteranenorganisation vor dem faschistischen „Siegesdenkmal“ in Bozen und vor dem in Montan befindlichen Grabmal des Erzfaschisten und Erfinders der italienischen Ortsnamen Tirols, Ettore Tolomei, Kränze niedergelegt hatten.
2009: Zerreißung Tirols – „Tag der Trauer“
Mit einer Presseaussendung hatte der „Südtiroler Schützenbund dazu aufgerufen, den 11. November, den Tag, an dem italienische Truppen im Jahre 1918 den Brenner und das Gebiet von Toblach erreichten, und damit die Zerreißung Tirols vollzogen, als Aktionstag „Das Land Tirol in Trauer“ zu begehen. Tatsächlich wurden an diesem Tage in den Ortschaften südlich des Brenners und westlich von Arnbach Tiroler Fahnen mit Trauerflor gehisst und es wurde damit ein Bekenntnis zur Einheit Tirols abgelegt.
2009: Vorstellung des Buches „Für die Heimat kein Opfer zu schwer“ – Gedenken an die verstorbenen Freiheitskämpfer
Am 11. November 2009 stellte der „Südtiroler Schützenbund“ in Neumarkt das Buch von Helmut Golowitsch „Für die Heimat kein Opfer zu schwer“ vor. In diesem Buch wurden erstmals alle Folterbriefe der nach der „Feuernacht“ von 1961 verhafteten Südtiroler politischen Häftlinge veröffentlicht. Bei der Buchvorstellung berichteten die ehemaligen politischen Häftlinge Sepp Mitterhofer, Maya Mayr und Luis Steinegger über ihre schlimmen Erlebnisse.
Am 22. November 2009 gedachten an die 300 Schützen des 48. Todestags von Franz Höfler in Lana. Dazu geladen hatte die Schützenkompanie Lana unter Hauptmann Eduard Graber, deren erster Oberjäger Franz Höfler nach der Wiedergründung (1958) gewesen war. Höfler war in der Nacht auf den 23. November 1961 in italienischer Untersuchungshaft aufgrund der erlittenen Folterungen verstorben.
Nach dem Einmarsch mit anschließender Heiligen Messe in der Pfarrkirche beteten die Versammelten am Grab des Freiheitskämpfers mit Schützen-Bezirkskurat Pater Christoph Waldner OT. Dann ergriff Bundesgeschäftsführer Schützenmajor. Elmar Thaler das Wort. „Franz Höfler war ein Vorkämpfer. Er war richtungsweisend“, meinte Thaler in seiner Gedenkrede. „Für uns muss gelten, Höflers Vermächtnis weiterzutragen, einzustehen für die Freiheit. Und gemeinsam, mit allen Menschen guten Willens, an der sicheren Zukunft für ein freies, selbstbestimmtes und wiedervereintes Land zu arbeiten.“
Am 8. Dezember 2009 kamen in St. Pauls/Eppan in Südtirol an die 1.500 Schützen, zahlreiche Vertreter des „Südtiroler Heimatbundes“ (SHB), der Vereinigung ehemaliger politischer Häftlinge, Politiker und viele andere Patrioten zusammen, um trotz strömenden Regens an der Gedenkfeier für den Freiheitskämpfer Sepp Kerschbaumer teilzunehmen.
2009: Gedenken an Dr. Josef Noldin
Am 14. Dezember 1929 war der Salurner Rechtsanwalt Dr. Josef Noldin an den Folgen von Inhaftierung und Verbannung gestorben. Am 13. Dezember 2009 hielten die Schützen am Grabmal Noldins auf dem Friedhof von Salurn eine Gedenkfeier ab.
Der österreichische Nationalratsabgeordnete und FPÖ-Südtirol-Sprecher Werner Neubauer hielt die Gedenkrede, in welcher er unter anderem sagte: „Dr. Noldin hatte die Abtrennung des Landes immer verurteilt, sich um den Erhalt der deutschen Sprache verdient gemacht und ‚Ein Tirol – von Kufstein bis Salurn‘ gefordert. Man wolle den Italienern nichts wegnehmen, aber Italien müsse die Rechte Tirols endlich respektieren, war sein Standpunkt.
Was damals galt, muss heute bei der 80jährigen Wiederkehr des Todestages Noldins erst recht Bedeutung haben, nämlich das unumstößliche Recht zur Landeseinheit.“
2010: „Südtirol ohne Italien?“
Am 13. Jänner 2010 fand im Kultursaal von Villanders eine große Podiumsdiskussion zum Thema „Südtirol ohne Italien?“ statt. Organisiert wurde die Veranstaltung von der Schützenkompanie „Anton von Gasteiger“ Villanders.
Der Fraktionsvorsitzender der „Südtiroler Volkspartei“ (SVP), Elmar Pichler-Rolle, sprach sich für die Selbstbestimmung aus. Der FPÖ-Nationalratsabgeordnete und Südtirol-Sprecher Werner Neubauer erklärte, dass die Politik Akzente setzen sollte in Richtung Selbstbestimmung und doppelter Staatsbürgerschaft. Sven Knoll, Landtagsabgeordneter der „Süd-Tiroler Freiheit“; erklärte, dass die Geschichte gezeigt habe, dass keine Minderheit auf die Dauer in einem fremden Staat sich wohl fühle und aus diesem Grund stehe für ihn die Selbstbestimmung an erster Stelle. Ähnlich äußerte sich der Landtagsabgeordnete der Freiheitlichen Partei Südtirols, Pius Leitner.
2010: Andreas-Hofer-Landesgedenkfeier
Am 21. Februar 2010 fand vor dem Gasthof „Sandwirt“ in St. Leonhard im Passeier eine von dem „Südtiroler Schützenbund“ veranstaltete Andreas-Hofer-Landesgedenkfeier statt. In seiner Predigt wies der der Burggräfler Bezirkskurat Pater Christoph Waldner OT darauf hin, dass es den Großen in der Geschichte immer um die Sache, und nicht um Verehrung gegangen war. Auch heute müsse man sich für Glauben und Treue zu den eigenen Wurzeln einsetzen.
2010: Bacher beklagte die Haltung der österreichischen Regierung
In einem Gespräch mit der Austria Presse Agentur (APA) am 22. Mai 2010 beklagte der Landeskommandant Paul Bacher, dass es nur wenig Hoffnung für das Anliegen einer österreichisch-italienischen Doppelstaatsbürgerschaft für Südtiroler als auch für die Verankerung der Schutzmachtfunktion in der österreichischen Verfassung gebe. „Scheinbar wird von Seiten Wiens immer wieder abgeblockt.“ Der Landeskommandant der Schützen vermutete auch „Angst vor einem politischen Eklat mit Italien“ in Österreich. Die Schützen würden sich aber weiterhin auch in Zusammenarbeit mit der Südtiroler Volkspartei dafür einsetzen.
Am 21. August 2010 entzündeten die Schützen des Bezirkes Burggrafenamt/Passeier oberhalb von Partschins die Feuerschrift „Freistaat“, um die Diskussion in der Bevölkerung anzuregen. In der Nacht des 27. September 2010 entzündeten die Unterlandler Schützen oberhalb von Auer eine Flammenschrift. In einer Pressemitteilung des „Südtiroler Schützenbundes“ hieß es dazu: „Damit wollen sie aller Opfer gedenken, die diese gewaltsame Teilung in den letzten 90 Jahren gefordert hat. Mit der Flammenschrift sollen die Landsleute auch an die eigene Tiroler Identität erinnert werden.“
2010: Landeskommandant Bacher für „Abnabelung von Italien“
Am 3. September 2010 forderte der Landeskommandant Paul Bacher in einer Presseaussendung die Bevölkerung und die Politiker dazu auf, sich Gedanken über die weitere Entwicklung Südtirols zu machen. Es sei aktueller denn je, öffentlich die Weiterentwicklung Südtirols bis hin zu einer völligen Abnabelung von Italien und zur Wiedervereinigung aller Tiroler Landesteile zu diskutieren.
2010: Meinungsumfrage der „Arbeitsgruppe für Selbstbestimmung“ – 95 Prozent der Südtiroler wollen keine Italiener sein
Am 11. Oktober 2010 wurde in Bozen von der überparteilichen „Arbeitsgruppe für Selbstbestimmung“, welcher auch Landeskommandant Paul Bacher angehörte, eine neue repräsentative Meinungsumfrage zum Identitätsempfinden der Süd-Tiroler vorgestellt, wonach 95 Prozent der befragten Südtiroler angaben, sich nicht als Italiener zu fühlen. In einer Presseerklärung der Arbeitsgruppe hieß es dazu: „Die politische Frage, die aus diesem Umfrageergebnis resultiert, ist daher, welchen Anspruch Italien noch länger auf Süd-Tirol hat, wenn sich 95% der Bevölkerung nicht mit Italien identifizieren?“
2010: Gedenken an den an den Folgen der Folter verstorbenen Franz Höfler – Gedenken an Sepp Kerschbaumer
Der Oberjäger der Schützenkompanie Lana, Franz Höfler, war am 23. November 1961 in der Untersuchungshaft an den Folgen bestialischer Folterungen durch die Carabinieri verstorben. Am 21. November 2010 gedachten an die 300 Schützen auf dem Friedhof in Lana ihres Kameraden. Der Gedenkredner Mjr. Efrem Oberlechner erklärte, dass das Vermächtnis Höflers der Auftrag an alle sei, sich für die Heimat Süd-Tirol einzusetzen, für einen Weg, „von diesem, uns fremden Staat Italien wegzukommen.“
Am 8. Dezember 2010 versammelten sich unzählige Schützen auf dem Friedhof von St. Pauls, um der Freiheitskämpfer der 1960er Jahre und vor allem des Freiheitskämpfers Sepp Kerschbaumer zu gedenken.
2011: Gedenken an den Freiheitskämpfer Georg Klotz
Trotz Eiseskälte kamen am 24. Jänner 2011 rund 400 Schützen und Zivilisten nach St. Leonhard im Passeier, um auf dem Friedhof des 35. Todestages des großen Freiheitskämpfers und Schützenmajors Georg Klotz zu gedenken. Die Südtiroler Historikerin Dr. Margareth Lun sagte in ihrer Gedenkrede: „Jörg Klotz war eine der Leitfiguren des Südtiroler Freiheitskampfes. Seinen Kampf für die Heimat sah Jörg Klotz als Gewissensentscheidung.“ Der heutige Kampf müsse mit der Waffe des Geistes geführt werden, sei aber wie damals eine Frage des Gewissens.
2011: Landesgedenkfeier vor dem Andreas-Hofer-Denkmal in Meran
Am 20. Februar 2011 versammelten sich vor dem Andreas-Hofer-Denkmal in Meran zahlreiche Schützenkompanien aus Süd- und Nordtirol sowie aus Welschtirol.
Landeskommandant Paul Bacher erklärte in seiner Rede, dass die Haltung der italienischen Regierung bestätige, „dass sich Südtirol eher heute als morgen von Italien verabschieden sollte.“
2011: Gedenkfeier für Franz Innerhofer
Am 16. April 2011 fand in Marling eine von dem „Südtiroler Schützenbund“ würdevoll gestaltete Gedenkfeier zum 90. Todestag des von den Faschisten ermordeten Lehrers Franz Innerhofer statt.
Am 30. April 2011 schied Paul Bacher aus seinem Amt als Landeskommandant, wirkte aber uneigennützig in seiner Kompanie in Gries weiter und unterstützte auch seinen Nachfolger, den Landeskommandanten Elmar Thaler nach Kräften.
Er unterstützte auch den FPÖ-Südtirol-Sprecher Werner Neubauer, der in der Schützenkompanie „Major Josef Eisenstecken“ in Gries sein Schützenkamerad war.
Am 28. April 2012 durfte der neue Landeskommandant Elmar Thaler seinen Vorgänger Paul Bacher ehren und zum Ehrenlandeskommandanten ernennen.
Wir gedenken dieses aufrechten Landsmannes in Trauer und werden sein Andenken stets in Ehren halten!
Gedenken an Paul Bacher – einen unermüdlichen Streiter für Recht und Selbstbestimmung (Teil 1/2)
Paul Bacher (Bild: Südtiroler Schützenbund.)
Am 17. Februar 2023 hat uns die traurige Nachricht erreicht, dass ein großer Patriot und uneigennütziger Landsmann uns für immer verlasen hat. Paul Bacher war nach schwerem Leiden im engsten Familienkreis im Alter von 86 Jahren verstorben.
Am Andreas-Hofer-Tag, den 20. Februar 2023, gaben rund 200 Schützen aus ganz Tirol dem Ehrenlandeskommandanten und Ehrenhauptmann der Schützenkompanie Gries, Paul Bacher, das letzte Geleit. Der Landeskommandant des Südtiroler Schützenbundes, Major Roland Seppi, hielt die Grabrede und würdigte Paul Bacher in bewegender Weise. Das Lebensmotto Bachers habe gelautet:
„Je selbstbewusster und würdevoller sich die deutsche und ladinische Volksgruppe verhaltet, umso mehr wird sie geachtet.“
Der persönlich bescheidene und nicht ruhmsüchtige Paul Bacher hatte in seiner ruhigen Art viel dazu beigetragen, den Südtiroler Schützenbund in Einheit zusammen zu halten. Dieser wurde zu einer Kraft im Lande, welche das politische Geschehen maßgeblich beeinflusste.
Paul Bacher war 19 Jahre als Mitglied der Bundesleitung des Südtiroler Schützenbundes aktiv gewesen, zehn Jahre davon als Landeskommandant.
Der 1937 in Bozen geborene Paul Bacher hatte als Kind noch die faschistische Unterdrückung erlebt. Bereits als Jugendlicher betätigte sich Paul Bacher in der Schützenkompanie „Major Josef Eisenstecken“ in Gries. Im April des Jahres 2001 wurde er zum Landeskommandanten des Südtiroler Schützenbundes gewählt. Dieses Amt übt er 10 Jahre lang bis 2011 aus. Er war unermüdlich für die Belange seiner Volksgruppe tätig. Unter seiner Leitung kam es zu bedeutenden und wirksamen Einflussnahmen des „Südtiroler Schützenbundes“ auf die Politik.
Am 30. April 2011 gab er sein Amt ab. Neuer Landeskommandant wurde der bisherige Bundesgeschäftsführer Major Elmar Thaler.
Dokumentation über die Tätigkeit und die Leistungen des „Südtiroler Schützenbundes“ unter der Kommandantschaft von Paul Bacher
Teil I: 2001 bis 2009
2001: Demonstrative Nichtteilnahme an einem Empfang des Staatspräsidenten Ciampi
Als der italienische Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi Südtirol im Juli 2001 einen offiziellen, zweitägigen Besuch abstattete, nahm der „Südtiroler Schützenbund“ trotz offizieller Einladung an dem Empfang nicht teil. In der „Tiroler Schützenzeitung“ (Nr. 3/Mai 2002) erklärte der Landeskommandant Paul Bacher dazu später:
„In einem offenen Brief an den Staatspräsidenten haben wir unser Verhalten damit begründet, dass sich der italienische Staat noch nie für die Zerreißung Tirols und die faschistische Unterdrückung der Südtiroler entschuldigt hat. Die Rede des Staatspräsidenten im Bozner Regierungskommissariat, u.a. mit der untragbaren Aussage, dass für ihn der Begriff Volksgruppe einen rassischen Widerhall habe, und der Verlauf des gesamten Besuches hat uns Recht gegeben.“
2001, 2002 und 2000: Appell in der Ortsnamensfrage – „Aktion Klockerkarkopf“ – „Arbeitsgruppe für die Ortsnamensfrage“ – Demonstration in Meran
Am 20. November 2001 richtete die Bundesleitung des „Südtiroler Schützenbundes“ einen „Offenen Brief“ an die Landesversammlung der „Südtiroler Volkspartei“, in welchem es hieß. „Die Südtiroler Ortsnamensfrage … harrt nach wie vor einer gesetzlichen Lösung. Im Jahre 2001 bilden faschistische Dekrete … mit dem „Prontuario dei nomi locali dell’Alto Adige“ und seinen 8.350 geschaffenen Namen des Ettore Tolomei immer noch die gesetzliche Grundlage für den amtlichen Gebrauch der Ortsnamen in Südtirol, obwohl Italien eine Empfehlung der UNO gutgeheißen hat, wonach im amtlichen Gebrauch nur die historischen Namen verwendet werden sollen. Die minderheitenfeindliche Ausrichtung dieser Dekrete steht im offenen Widerspruch zu den Grundprinzipien des modernen Völkerrechts und auch der italienischen Verfassung, die in Artikel 6 den Minderheitenschutz ausdrücklich anerkennt.“
Der Schützenbund appellierte an die SVP, diese „überkommenen Reste von Nationalismen“ zu beseitigen.
Am 21. Juli 2002 führte der Schützenbund zusammen mit anderen heimattreuen Vereinen die „Aktion Klockerkarkopf” durch. Diesem Tiroler Gipfel im hintersten Ahrntal hatte der Erzfaschist Ettore Tolomei den frei erfundenen Namen „Vetta d’Italia“ („Gipfel Italiens“) verpasst. Damit hatte Tolomei jene Aktion eingeleitet, die in den faschistischen Dekreten vom März 1923 und vom 10. Juli 1940 ihren Abschluss fand, mit denen alle historisch gewachsenen deutschen und ladinischen Ortsnamen Südtirols italianisiert wurden.
Mehr als 200 Teilnehmer nahmen die Strapazen des beschwerlichen Aufstieges auf sich und bestiegen den Klockerkarkopf, wo der Landeskommandant des „Südtiroler Schützenbundes“, Paul Bacher eine Bronzetafel mit der Inschrift „Klockerkarkopf 2912 m – Mitten in Tirol”, geziert mit dem Tiroler Adler, enthüllte. Der Schützenbund wollte damit die Aufmerksamkeit der Verantwortungsträger des Landes auf das nicht gelöste Problem der Ortsnamensfrage lenken.
Als sich auf politischer Landesebene nichts tat, veröffentlichte der „Südtiroler Schützenbund“ 2003 seine Forderungen und unterstrich diese durch eine Demonstration in Meran.
2002: Vom „Siegesplatz“ zum „Friedensplatz“ zum „Siegesplatz“ – Protestbrief an den italienischen Vize-Ministerpräsidenten Gianfranco Fini
Unter dem faschistischen Diktator Benito Mussolini war in Bozen das sogenannte „Siegesdenkmal“ in Nachahmung einer römischen Triumphpforte auf dem sogenannten „Siegesplatz“ („Piazza della Vittoria“) zum rühmenden Gedenken an den „Sieg“ über Österreich im Ersten Weltkrieg errichtet worden.
Im Jahre 2002 wurde der „Siegesplatz“ in „Friedensplatz“ umbenannt, was Erbitterung unter den in Bozen angesiedelten Italienern hervorrief. Nun sollte eine Volksbefragung in der Gemeinde Bozen über die Rückbenennung des Friedensplatzes in „Siegesplatz“ stattfinden. Zur Unterstützung dieses Vorhabens kündigte der stellvertretende Ministerpräsident und Parteiobmann der neofaschistischen „Alleanza Nazionale“, Gianfranco Fini, an, er würde nach Bozen kommen und dort eine Rede halten.
Am 25. September 2002 richtete die Bundesleitung des Südtiroler Schützenbundes einen „Offenen Brief“ an Fini, in welchem es unter anderem hieß:
„Laut Medien werden Sie am kommenden 1. Oktober vor dem Siegesdenkmal in Bozen zur bevorstehenden Volksabstimmung in der Gemeinde Bozen über die Rückbenennung des Friedensplatzes in „Siegesplatz“ sprechen.
Wir erlauben uns, Sie als Präsidenten der AN, in deren Auftrag Sie diese Wahlrede halten, darauf hinzuweisen, dass Sie vor dem Denkmal an den Faschismus mit all seinen symbolischen Inhalten und Aussagen sowie für die angestammte Bevölkerung provokatorischen und beleidigenden Inschriften auftreten und damit Gefahr laufen, sich mit dem faschistischen Geist dieses Denkmals zu identifizieren und sich somit dazu zu bekennen.“
Natürlich kam Fini nach Bozen, hielt eine alle Neofaschisten begeisternde Rede und in der folgenden Volksbefragung sprachen sich in der vorwiegend von zugewanderten Italienern bevölkerten Stadt Bozen 61,94 Prozent für die Rückbenennung des „Friedensplatzes“ in die vom Faschismus eingeführte Bezeichnung „Siegesplatz“ aus. Die Umbenennung wurde vollzogen.
2002 und folgende Jahre: Gedenken an die Freiheitskämpfer
Alljährlich versammelten sich auf dem Friedhof in St. Pauls bei Eppan zahlreiche Mitglieder des „Südtiroler Schützenbundes“, ehemalige Südtiroler Freiheitskämpfer und Mitglieder des „Südtiroler Heimatbundes“ (SHB), um vor einer Gedenktafel der verstorbenen Freiheitskämpfer der 1960er Jahre zu gedenken.
Auch Nord- und Südtiroler Landespolitiker sowie Schützenabordnungen aus Nordtirol und Welschtirol nahmen daran teil.
2002 und 2003: Gedenken an Opfer des Faschismus
Am 24. November 2002 holte der Südtiroler Heimatbund – die Vereinigung ehemaliger Südtiroler Freiheitskämpfer – mit Unterstützung der Schützen sowie der Gemeinde das nach, was das offizielle Südtirol bisher versäumt hatte. Sie brachten in Margreid an dem Geburtshaus der an den Folgen faschistischer Inhaftierung im Jahre 1930 im Alter von 25 Jahren verstorbenen Katakombenlehrerin Angela Nikoletti eine ehrende Gedenktafel an.
2003: Großdemonstration in Bozen „Tirol unterm Beil“
Am 24. April 2003 versammelten sich mehr als 2.500 Schützen auf dem Waltherplatz in Bozen, um mahnend an Machtübernahme des Faschismus vor 80 Jahren erinnern.
Landeskommandant Paul Bacher erklärte in seiner Begrüßungsrede, dass die Schützen für „eineHeimat ohne Grenzen in Freiheit und Recht“ und die „Selbstbestimmung der Völker“ eintreten. Er forderte die Beseitigung der faschistischen Relikte, welche der Welt vormachen sollten, „dass hier immer schon italienisches Land war. Mit diesen faschistischen Relikten wird ein schrecklicher Krieg verherrlicht, der Hunderttausenden von Menschen das Leben gekostet hat. Kriegstote verherrlichen heißt, Kriegstote befürworten!
Machen wir endlich Schluss mit diesen Geschichtslügen! Denn nur wer bereit ist, auf diese Relikte einer vergangener Diktatur zu verzichten, kann ein Europa der vereinten Völker aufbauen und mitgestalten.“
2004: Andreas Hofer-Feier in Meran – mahnende Worte des Landeskommandanten Bacher
Am 22. Februar 2004 sprach Landeskommandant Paul Bacher auf einer großen Andreas Hofer-Feier in Meran mahnende Worte: „Andreas Hofer stand vor einer schier unlösbaren Aufgabe, musste sein Land gegen einen mächtigen Feind verteidigen, bewies Mut und vermochte tausende Tiroler zu begeistern und zu überzeugen, richtig zu handeln, einzutreten für Gott, Kaiser und Vaterland, wie es damals hieß.
Für die gleichen Ideale kämpften die Tiroler Standschützen und verteidigten unsere Heimat gegen einen Feind, der einmal ihr Verbündeter war. Obwohl es diesem nicht gelungen war, sie zu besiegen, wurde unser Land als Kriegsbeute dem Staat Italien zugesprochen. Einem Staat, den wir uns nicht ausgesucht hatten, den wir auch nicht wollten!“
Angesichts der Aushöhlungen der Südtirol-Autonomie durch den italienischen Staat und der „alles eher als guten politischen Zukunftsaussichten für unser Volk und unsere Heimat“ liege es nun an den Südtirolern,
„überall und zu jeder Zeit identitätsstiftende Maßnahmen zu setzen, mit Mut und Zivilcourage Fehlentwicklungen aufzuzeigen, diesbezügliche Aktionen durchzuführen.“
2004: Ein Aufsehen erregendes Memorandum – Aufnahme der Schutzfunktion der Republik Österreich in deren Bundesverfassung gefordert
Am 20. April 2004 wurde in Innsbruck dem Nordtiroler Landeshauptmann Herwig van Staa und dem Nordtiroler Landtagspräsidenten Helmut Mader ein „Südtiroler Memorandum“ überreicht, welches von allen deutschen Abgeordneten, zahlreichen Bürgermeistern und den Vertretern bedeutender Südtiroler Verbände unterzeichnet war. Zu den Unterzeichnern gehörte der Landeskommandant des Südtiroler Schützenbundes Paul Bacher.
Das Memorandum war zur Weiterleitung an den mit der Ausarbeitung einer neuen Bundesverfassung betrauten „Österreich-Konvent“ in Wien bestimmt.
In diesem Memorandum erklären die Südtiroler Unterzeichner: „Auch wir gehören in jahrhundertealter Geschichte zum österreichischen Volk, worin wir uns bisher auf dem Boden internationalen Rechtes, insbesondere des fundamentalen Rechtes auf Selbstbestimmung, auch von der Zweiten österreichischen Republik tätig unterstützt sahen.“
Die Unterzeichner beriefen sich sodann auf die Entschließung des Tiroler Landtages vom 23. November 1994, in welcher sich dieser zu dem Recht auf Selbstbestimmung bekannt hatte. Sie forderten sodann die Übernahme der österreichischen „Schutzstaatsverpflichtung“ gegenüber Südtirol in die Bundesverfassung der Republik Österreich.
2005: Offener Brief an Ministerpräsident Silvio Berlusconi
Als bekannt wurde, dass der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi am 4. November 2005 in Bozen eine Wahlrede halten würde, richtete der Schützen-Landeskommandant Paul Bacher einen „Offenen Brief“ an ihn, in welchem er ihn aufforderte, die faschistischen Symbole und Denkmäler in Südtirol zu beseitigen.
2006: Petition – Österreich soll sich in seiner Verfassung zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechtes der Südtiroler bekennen
Am 21. Jänner 2006 überreichten der Kulturreferent des Südtiroler Schützenbundes, Peter Piock, und der Landeskommandant der Nordtiroler Schützen, Otto Sarnthein, in Wien dem Nationalratspräsidenten Andreas Khol eine Petition. Darin hieß es:
„Die unterzeichneten Schützenkompanien und Bürgermeister aus allen Teilen des historischen, großen Tirol ersuchen den Nationalrat bei den derzeit laufenden Beratungen über eine neue österreichische Bundesverfassung auf der Grundlage der Beratungen des Österreich-Konvents in der Präambel einer solchen Verfassung folgende Worte aufzunehmen:
1) Die Republik Österreich anerkennt die historisch gewachsenen Volksgruppen in Österreich und setzt sich für Schutz und Förderung der mit Österreich geschichtlich verbundenen deutschsprachigen Minderheiten, insbesondere auch der Südtiroler ein.
2) Die Republik Österreich bekennt sich zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechtes des vom Land Tirol abgetrennten Tiroler Volkes deutscher und ladinischer Sprache und zum besonderen Schutz der Rechte der Südtiroler auf der Grundlage des Völkerrechtes.“
Neben den Süd- und Nordtiroler Schützenkompanien hatten in Südtirol 113 von insgesamt 116 Bürgermeistern unterschrieben. Ein Großteil ihrer Nord- und Osttiroler Amtskollegen hatten ebenfalls unterzeichnet.
Die „Österreichische Volkspartei“ (ÖVP) versenkte in der Folge diese Petition. Was bleibt, ist jedoch das dokumentierte Bekenntnis der Schützen und der Bürgermeister Südtirols.
2006: Ehrfurchtsvolle Ehrung des Freiheitskämpfers Georg Klotz
Am 30. Todestag des Freiheitskämpfers Georg Klotz aus Walten im Passeier, hielt Paul Bacher am 23. Jänner 2006 am Grab des Mitbegründers des Schützenbundes und Gründers der Schützenkompanie Walten die Gedenkrede. Er sagte unter anderem:
„In einer Zeit, wo die patriotische Grundausrichtung unseres Volkes immer mehr verloren geht, wo die Politik immer mehr von taktischen Überlegungen geleitet und geprägt wird, braucht es weiter Menschen die sich für Volk und Heimat einsetzen. Die Zeit der Sprengstoffanschläge in Südtirol war ein tragisches Kapitel unserer Geschichte das sich nicht mehr wiederholen soll. Es muss aber auch ganz klar gesagt werden, dass es ohne dieser Anschläge, heute keine Südtirol-Autonomie geben würde.“
Er schloss mit den Worten: „Lieber Jörg!
Ganz nach deinem Motto „Die Freiheit und das Himmelreich gewinnen keine Halben“ möge Dir der Herr im Himmel den ewigen Frieden geben.“
2006: Bekenntnis zur Selbstbestimmung – Überparteiliche Arbeitsgruppe für Selbstbestimmung – „Süd-Tirol – Wo liegt deine Zukunft?“
Am 25. Juni 2006 gab Landeskommandant Paul Bacher der Tageszeitung „Dolomiten“ ein Interview, in welchem er erklärte, dass die Forderung nach Selbstbestimmung jedem Volk zustehe. „Das Ziel des Schützenbundes ist die Einheit Tirols, das Fernziel die Rückkehr zu Österreich.“ Ein „Freistaat Südtirol“ wäre als erster Schritt denkbar, die Rückkehr zu Österreich wäre dann der zweite Schritt.
Am 2. September 2006 führten die Schützen die Aktion „Grenzfeuer“ durch und markierten mit über 200 Feuern die Südgrenze Tirols vom Stilfserjoch über die Ortlergruppe, die Salurner Klause bis hin in die Dolomiten.
Am 3. September 2006 forderte Paul Bacher auf einer anschließenden Kundgebung auf dem Schlosshügel von Castelfeder die Wiedervereinigung Tirols.
Am 29. Oktober 2006 pilgerten an die 300 Schützen zum Abschluss der Jahresaktion des Südtiroler Schützenbundes „60 Jahre Friedensvertrag – 60 Jahre verwehrte Selbstbestimmung“ zur Gnadenmutter nach Trens bei Freienfeld.
Bei seiner Predigt gedachte der Landeskurat der Schützen, Prof. Dr. Paul Rainer, der Wallfahrten im Jahre 1946 zur Gottesmutter nach Trens, bei der die Süd-Tiroler Bevölkerung für die Tiroler Landeseinheit beteten. Die Gedenkrede hielt der Landeskommandant des Südtiroler Schützenbundes Mjr. Paul Bacher. „Heute ist es für uns auch im südlichen Tirol ein Bedürfnis, vor der Gottesmutter von Trens dieses Anliegen zu erneuern, indem wir an die Wallfahrt vom 7. Mai 1946 erinnern, bei der 10.000 Südtiroler denselben Wunsch vortrugen.“
Am 11. November 2006 jährte sich der Tag, an welchem nach dem Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Monarchie italienische Truppen im Jahre 1918 kampflos den Brenner erreicht, und damit die Zerreißung Tirols vollzogen hatten. An diesem Tag führte der „Südtiroler Schützenbund“ drei Veranstaltungen durch: Eine Gedenkveranstaltung am Brenner, eine Gedenkveranstaltung am Grenzübergang von Winnebach für alle Opfer der Teilung Tirols und eine Podiumsdiskussion „Heimat unter fremden Fahnen“ in Neumarkt.
Am 14. November 2006 gründete der Landeskommandant Paul Bacher zusammen mit Vertretern anderer Verbände und Parteien die überparteiliche „Arbeitsgruppe für Selbstbestimmung“, welche an alle Haushalte Südtirols eine Broschüre „Süd-Tirol – Wo liegt deine Zukunft?“ verschickte, in welcher für die Selbstbestimmung geworben wurde.
In dieser Broschüre wurde auch das Ergebnis einer unlängst durch das Innsbrucker Soffi-Institut in Süd-, Ost- und Nordtirol durchgeführten Meinungsumfrage zur Frage der Selbstbestimmung veröffentlicht.
2006: Ein Toter kehrte heim
Der Südtiroler Freiheitskämpfer der 1960er Jahre, Heinrich Oberlechner aus Mühlen in Taufers, war einer der berühmten „Pusterer Buam“. Er verstarb am 15. Dezember 2006 in der Fremde und durfte erst im Sarg nach 40 Jahren wieder in seine Heimat zurückkehren.
Am Brenner wurde sein Sarg von einer Abordnung Schützen in Empfang genommen. Zu seinem Begräbnis in Sand in Taufers waren am 22. Dezember 2006 mehr als 1.000 Schützen erschienen, die ihm das letzte Geleit gaben.
2007: Aufklärungsschrift „Lebendiger Faschismus“ – Gedenken an Landesteilung und Kundgebung auf Schloss Sigmundskron
Im Februar 2007 veröffentlichte der „Südtiroler Schützenbund“ eine aufklärerische Broschüre, in welcher aufgezeigt wird, wie der Geist des Faschismus heute noch gepflegt wird – von der Ortsnamengebung über die liebevolle Kultivierung faschistischer Denkmäler bis hin zu öffentlichen Kundgebungen.
Am 11. November 2007 hielten Schützen am Brennerpass eine denkwürdige Feier im Gedenken an die Zerreißung Tirols im Jahre 1918 ab und am 17. November 2007 veranstalteten sie eine Gedenkfeier auf Schloss Sigmundskron, anlässlich des 50. Jahrestages der großartigen Kundgebung des Jahres 1957, auf welcher das Süd-Tiroler Volk einen Meilenstein in seinen Unabhängigkeitsbestrebungen gesetzt hatte. Mehr als 1.000 Schützen und an die 500 Zivilisten waren gekommen.
2008: „Tiroler Einheit bleibt großes Ziel“
Unter dieser Schlagzeile berichteten die „Dolomiten“ über das „50-Jahr-Jubiläum“ des „Südtiroler Schützenbundes“ vom 26. April 2008. Auf dem Bozner Waltherplatz hatten sich zahlreiche junge Schützen und Marketenderinnen versammelt, um ein Gelöbnis für Treue zu Volk und Heimat abzulegen. Der Landeskommandant Paul Bacher betonte in seiner Rede, dass die Erringung der Tiroler Einheit nach wie vor das Ziel der Schützen sei. Am Abend betonte Bacher auf der Großversammlung von mehr als 1.000 Schützen im Bozner Stadttheater, dass die Vision für die Zukunft „ein Gesamt-Tirol“ bleibe.
Paul Bacher in der Festschrift „50 Jahre Südtiroler Schützenbund“ der „Schützenzeitung“ im Jahre 2008.
Am 1. Juni 2008 unterstrich die „Arbeitsgruppe für Selbstbestimmung“, der auch Landeskommandant Bacher angehörte, anlässlich der Herz-Jesu-Feiern im Lande mit einem großen Inserat in der Bozner „Z – Zeitung am Sonntag“ die Forderung nach Selbstbestimmung.
2008: „Gegen Faschismus – Für Tirol“
Am 8. November 2008 hielt der „Südtiroler Schützenbund“ in Bozen eine große Kundgebung mit mehr als 4.000 Teilnehmern gegen den immer noch lebendigen Faschismus ab und demonstrierte dabei auch für ein vereintes Tirol, „damit alle Tiroler in einem Vaterland und in einer Heimat ohne Teilungsgrenzen, in einem Europa der freien und selbstbestimmten Völker leben können“, wie es in einem mit tosendem Applaus angenommenen Manifest hieß.
Auf dem Waltherplatz in Bozen hielt Landeskommandant Bacher eine Einführungsrede und erklärte, man habe die Nase voll von einem Staat, der faschistische Relikte dulde, und von Politikern, die nichts dagegen unternähmen. „Italien hat sich als einziges EU-Land nie vom Faschismus distanziert und sich nie für die Verbrechen bei uns Tirolern entschuldigt.“
Bei einem anschließenden Marsch durch Bozen wurden die Schützen von rund 500 Neofaschisten angepöbelt und auch bespuckt. Sie ließen sich aber zu keiner handgreiflichen Auseinandersetzung provozieren.
Der zweite Teil dieser Dokumentation erfolgt in Kürze. Abonnieren Sie jetzt unseren > Newsletter < um nichts zu versäumen!
Militärhistoriker deckt auf: „Tatort“ wurde künstlich hergestellt
Es gab 1967 keinen Anschlag der Südtiroler Freiheitskämpfer auf der Porzescharte– der „Tatort“ wurde künstlich hergestellt
Auch andere dem Befreiungsausschuss Südtirol (BAS) zugeschriebene Anschläge waren erfunden
Dass es sich bei den italienischen Geheimdiensten um keine katholischen Pfadfinderorganisationen handelt, war schon seit längerer Zeit bekannt. Dass aber Unglücksfälle zu „Anschlägen“ Südtiroler Freiheitskämpfer umfunktioniert wurden oder ein „Anschlag“ wie jener auf der Porzescharte im Jahre 1967 offenbar frei erfunden und mit einem künstlich geschaffenen „Tatort“ versehen wurde, das hat ein österreichischer Militärhistoriker in einem neuen Werk dokumentiert.
Am 7. Februar 2023 stellte der Historiker und Militärsachverständige Oberst Mag. Dr. Hubert Speckner im Waltherhaus in Bozen sein neuestes Werk vor.
Hubert Speckner:
„Pfitscherjoch, Steinalm, Porzescharte – Die drei ‚merkwürdigen Vorfälle‘ des Höhepunktes der Südtiroler Bombenjahre in den Jahren 1966 und 1967“
EFFEKT-Verlag in Neumarkt/Südtirol Umfang: 284 Seiten, Preis ab Verlag: ab EURO 25,00 ISBN: 979-12-5532-004-3
Der ehemalige Landesrat der „Südtiroler Volkspartei“ (SVP) Dr. Bruno Hosp schrieb zu diesem Werk ein Vorwort mit dem Titel „Ein Lügengebäude stürzt“ ein und der SVP-Landtagsabgeordnete Dr. Franz Pahl schrieb einen Beitrag unter dem Titel „Tatsachen gegen das Lügennetz“.
Der Südtiroler Alt-Landeshauptmann Luis Durnwalder (SVP) hielt ein viel beachtetes Einführungsreferat.
Der Alt-Landesrat Dr. Bruno Hosp (SVP) berichtete über den Einsturz eines „Lügengebäudes“.
Dann erklärten die gerichtlich beeideten Sprengsachverständigen Dr. Harald Hasler und Mag. Max Ruspeckhofer in einer Doppelconference, dass ihre sprengtechnischen Versuche ergeben haben, dass die italienischen Darstellungen über den angeblichen Anschlag auf der „Porzescharte“ mit Todesfolge für italienische Militärpersonen in keiner Weise stimmen.
Diesen Ausführungen zufolge dürften die toten italienischen Soldaten vermutlich vielmehr Opfer einer missglückten Verminungsübung auf einem nahe gelegenen militärischen Übungsgelände geworden sein. Nachträglich seien sie dann offenbar zu „Opfern“ der Südtiroler Freiheitskämpfer umfunktioniert worden. Entsprechend wurde offenbar ein künstlicher „Tatort“ geschaffen.
Die von Italien beschuldigten und in einem menschenrechtswidrigen Abwesenheitsverfahren verurteilten Österreicher Univ.-Prof. Dr. Erhard Hartung, Peter Kienesberger und Egon Kufner können demnach keine „Täter“ im manipulierten Geschehen auf der Porzescharte sein. (Die Genannten wurden übrigens in einem ordentlichen Verfahren in Anwesenheit (und nicht in Abwesenheit wie in Italien) in Österreich vor Gericht gestellt, eingehend einvernommen und freigesprochen.)
Zu der Überzeugung der Sprengsachverständigen war auch Oberst Mag. Dr. Hubert Speckner gelangt, wie er bei der Buchpräsentation in einem Interview mit dem Internetportal UT24 erklärte:
„Ich hatte mich ja schon vor Jahren für mein damaliges Buch „Von der Feuernacht zur Porzescharte“ damit beschäftigt und weiter daran geforscht. Nun gibt es neue Erkenntnisse durch Sachverständige, die ich unter die Leute bringen möchte, weil es einfach wichtig ist, öffentlich zu machen, dass das alles so, wie es dargestellt wird, nicht gewesen sein kann. Die Akten geben etwas völlig anderes her und die neuen Erkenntnisse ein sehr interessantes Bild, vor allem durch jene der Sachverständigen Ruspeckhofer und Hasler.
Ich war selbst mehrmals auf der Porzescharte, am Pfitscherjoch und auf der Steinalm, wo ich bestimmt auch noch hingehen werde. In dieses neue Werk sind neue Erkenntnisse über die drei besonderen Vorfälle dort eingeflossen und es findet sich darin eine prägnante Kurzfassung. In der offiziellen Darstellung stimmt von vorne bis hinten nichts, sie KANN so gar nicht stimmen, wie die Sachverständigen dargestellt haben. Leichen liegen falsch, Daten über Sprengungen, die so technisch gar nicht passiert sein können, usw. Die Taten wurden ja bekanntlich dem BAS angedichtet, der es aber nach diesen Darstellungen gar nicht gewesen sein kann. Sachverständige vor Ort haben dies nun bestätigt. So zum Beispiel Dr. Hasler, der diese Fälle nachgesprengt und mit Dummys nachgestellt hat. Nun stellt sich die Frage: Wer war es dann? Das könnten wir erst beantworten, wenn Italien seine Archive öffnet, was es aber meiner Befürchtung nach nicht so schnell tun wird. Italien ist Meister darin, Dinge zu verschleiern und auszusitzen, um sich nicht damit zu beschäftigen.“
In den Nationalratssitzungen zwischen Dezember 1945 und Dezember 2020 in wurde in insgesamt 481 Sitzungen die Südtirol-Frage erwähnt. Dies erfolgte in 1.320 parlamentarischen Äußerungen in Form von Wortmeldungen / Berichten / schriftlichen und mündlichen Anfragen / Anfragebeantwortungen / Anträgen, Initiativ- und Entschließungsanträgen sowie Bürgerinitiativen und Petitionen zur Südtirol-Frage. Alle diese parlamentarischen Äußerungen werden in diesem Kompendium vorgestellt und sind im Faksimile-Abdruck im Originaltext zu lesen.
Über die Buchvorstellung berichteten die Tageszeitung „Dolomiten“
Letzter Abschied von einem Südtiroler Freiheitskämpfer
Am 4. Jänner 2023 starb ein ehemaliger Südtiroler Freiheitskämpfer nach einem tragischen Autounfall in Würzburg an den Folgen seiner schweren Verletzungen.
Heinrich Oberleiter wurde im Jahre 1941 in St. Johann im Ahrntal als Sohn einer Bauernfamilie geboren. Er hatte erleben müssen, wie nach dem Weltkrieg die alte faschistische Politik der Zuwanderung aus dem Süden bei gleichzeitiger Unterdrückung der einheimischen Bevölkerung fortgesetzt wurde. In seinem Erinnerungsbuch „Es gibt immer einen Weg“, hat Heinrich Oberleiter beschrieben, wie er sich angesichts dieser staatlichen Bemühungen, die Südtiroler im eigenen Land zur Minderheit zu machen, entschlossen hatte, zusammen mit den anderen „Pusterer Buibm“ Siegfried Steger, Sepp Forer und Heinrich Oberlechner in den aktiven Widerstand zu gehen.
Sie verübten Anschläge auf Strommasten, um die Weltöffentlichkeit „auf die himmelschreienden politischen Zustände in Südtirol aufmerksam zu machen“, wie Heinrich Oberleiter in seinen Erinnerungen schrieb.
Sie achteten dabei darauf, dass keine Menschenleben zu Schaden kamen. Heinrich Oberleiter war ein sehr religiöser Mensch und hat dies seinem Freund Roland Lang, Obmann des „Südtiroler Heimatbundes“ (SHB), auch persönlich versichert.
Oberleiter musste in der Folge nach Österreich und dann nach Deutschland in die Gegend von Würzburg fliehen, wo er eine Familie gründete, drei eigene und zwei Pflegekinder großzog und einen Bauernhof bewirtschaftete. Er stellte sich auch in den Dienst sozialer Arbeit, betreute in einer SOS-Dorfgemeinschaft Behinderte und war als Wortgottesdienstleiter tätig. Er hat auch viele Jahre lang seine kranke Frau aufopfernd gepflegt.
Da er und seine ehemaligen Kampfgefährten in Italien in Abwesenheit zu zweimal lebenslänglicher Haft verurteilt wurden, war eine Rückkehr in die Heimat auch nach Beendigung des Freiheitskampfes und der Erringung eines verbesserten Autonomiestatutes zunächst ausgeschlossen. Die Italiener hatten ihm und seinen Kampfgefährten die Schuld an dem Tod italienischer Soldaten zugeordnet, obwohl dafür keine Beweise vorlagen und Heinrich Oberleiter stets beteuert hatte, dass diese Unterstellungen falsch waren.
In einem Interview mit der Tageszeitung „Dolomiten“ vom 1. August 2022 hat Heinrich Oberleiter erklärt:
„Ich habe damals nur für die Gerechtigkeit für uns gekämpft. Aber Hass habe ich nie empfunden. Hass zerstört alles.“
Diese Einstellung gehabt zu haben angesichts dessen, dass damals zahlreiche inhaftierte Freiheitskämpfer schwer gefoltert worden waren, sagt Einiges über den Charakter von Heinrich Oberleiter aus.
Heinrich Oberleiter wollte natürlich wieder in seine Heimat zurückkehren können. Er hatte es jedoch stets abgelehnt, ein Gnadengesuch an den italienischen Staatspräsidenten zu stellen, da er dies als Schuldeingeständnis für nicht begangene Taten angesehen hätte.
An seiner Stelle brachten seine Angehörigen unter Mithilfe des Senators Karl Zeller (SVP) im Jahre 2018 ein solches Gesuch ein und nach über 3 Jahren wurde das Gnadengesuch 2021 von Staatspräsident Sergio Mattarella angenommen.
Nun konnte Heinrich Oberleiter im Juli 2022 endlich wieder seine Heimat besuchen, wo er von der Bevölkerung mit Freuden begrüßt wurde.
Bei einem Besuch seines deutschen Wohnsitzes in der Würzburger Gegend ereilte ihn dann das Schicksal.
Am 12. Jänner 2923 wurde Heinrich Oberleiter in Sachsenheim in Bayern beerdigt. Eine Delegation der Südtiroler Landtagspartei „Süd-Tiroler Freiheit“ war zusammen mit Schützen- und Heimatbund bei der würdigen Begräbnisfeier des Ahrntaler Freiheitskämpfers Heinrich Oberleiter zugegen.
Heinrich Oberleiter wird in der Geschichte seiner Heimat und seines Volkes unvergessen bleiben.
Drei angebliche „Terrorakte“ der Jahre 1966 und 1967 – die Zerstörung eines Lügengebäudes
Dass italienische Geheimdienste seit jeher auch in „schmutzige Kriegsführung“ verwickelt waren, einschließlich der Fälschung und Verdrehung von Tatsachen, ist in einer Vielzahl von Publikationen belegt worden.
Ein wissenschaftlich untermauertes Werk räumt mit italienischer Zweckpropaganda auf
Nun ist im EFFEKT-Verlag in Neumarkt/Südtirol ein Buch erschienen, dessen Verfasser, der Historiker und Militärsachverständige Oberst Mag. Dr. Hubert Speckner anhand von wissenschaftlichen Untersuchungen und Durchführung von Sprengversuchen durch gerichtlich beeidete Sachverständige aufdeckt, dass einige angebliche „Terrorakte“ des „Befreiungsausschusses Südtirol“ (BAS) der Jahre 1966 und 1967 in Wahrheit getürkt waren. Es dürfte sich bei den italienischen toten Militärpersonen um Opfer tragischer Unfälle gehandelt haben, die nachträglich zu Opfern von „Anschlägen“ erklärt wurden.
Die drei „merkwürdigen Vorfälle“ der „Bombenjahre“ in Südtirol – die Explosionen im Pfitscherjoch-Haus, in der Kaserne der Guardia di Finanza auf der Steinalm nahe dem Brenner sowie auf der Porzescharte zwischen Osttirol und Belluno – stellen einen traurigen „Höhepunkt“ des Südtirol-Konfliktes in den 1960er Jahren mit insgesamt acht Todesopfern unter den italienischen Sicherheitskräften dar.
Trotz berechtigten Zweifeln am präsentierten Ablauf dieser „Vorfälle“, beharrt das „offizielle“ Italien bis heute auf der Schuld von insgesamt elf Aktivisten des „Befreiungsausschuss Südtirol“ (BAS) aus Südtirol und Österreich.
Eine intensive wissenschaftliche Befassung mit den drei Vorfällen zeigt hingegen deutlich den politischen Hintergrund dieser „offiziellen“ Schuldzuweisung. Diese wissenschaftliche Befassung betrifft einerseits die Analyse der sicherheitsdienstlichen- und Gerichtsakten zu den „merkwürdigen Vorfällen“ und andererseits die fachlichen Beurteilungen durch Sachverständige für Sprengtechnik, die zudem durch Sprengversuche überprüft wurden. In dem Buch finden sich die gutachtlichen Stellungnahmen dieser Sachverständigen.
Hubert Speckner: „Pfitscherjoch, Steinalm, Porzescharte – Die drei „merkwürdigen Vorfälle“ des Höhepunktes der Südtiroler Bombenjahre in den Jahren 1966 und 1967“ EFFEKT-Verlag in Neumarkt/Südtirol Umfang: 284 Seiten, Preis ab Verlag: ab EURO 25,00
Über diese Enthüllungen hat der Historiker Prof. Dr. Dr h.c. Reinhard Olt nachstehenden Beitrag zur Verfügung gestellt, den wir dankend veröffentlichen:
Gewichtige Erträge der historischen Forschung:
Unabweisliche Nachweise für die Unschuld von Freiheitskämpfern an aufsehenerregendenVorfällen des Höhepunktes der Südtiroler Bombenjahre
Von Prof. Dr. Dr h.c. Reinhard Olt
Es gehört zu den wissenschaftlichen Sternstunden, wenn es sich ergibt, dass die historische Forschung hervorbringt, was ihre ureigene Aufgabe und Zweckbestimmung sein sollte, nämlich neue Einblicke auf Handlungen und Einsichten in Geschehnisse zu eröffnen, für die bis dato gemeinhin galt, es seien alle Tatbestände und Zusammenhänge bereits klar gewesen und in der Geschichtsschreibung quasi amtlich oder unverrückbar dargestellt worden. Nicht selten spielt dabei die Entdeckung und akribische Analyse bisher unbekannter oder gar ignorierter Archivalien die entscheidende Rolle.
Brisante Verschlussakten
Der Militärhistoriker Hubert Speckner stieß im Rahmen seiner Forschungen auf äußerst brisante Verschlussakten im Österreichischen Staatsarchiv. Als er sie erschloss, erschien insbesondere ein von italienischer Seite als blutigstes Attentat Südtiroler Widerstandskämpfer der 1960er Jahre gebrandmarkter Vorfall, den Rom als Hebel benutzte, um Wiens angestrebte EG-Assoziation zu unterlaufen, in einem gänzlich anderen Licht. Denn Speckner erkannte alsbald, dass die auch von der österreichischen Regierung gehorsam akzeptierten italienischen Beschuldigungen gegen die der Tat bezichtigten und in Österreich in Haft genommenen Personen, Erhard Hartung, Peter Kienesberger und Egon Kufner, äußerst zweifelhaft waren.
Die Aktivisten des Befreiungsausschusses Südtirol (BAS) sollen italienischer Behauptung zufolge den Mast einer Überlandleitung gesprengt und eine Sprengvorrichtung im unmittelbar benachbarten Gelände angebracht haben, bei deren Detonation vier italienische Militärangehörige getötet und einer schwer verletzt worden seien.
Die BAS-Leute waren später in einem Prozess in Florenz in Abwesenheit zu hohen (Kufner) bis lebenslangen Haftstrafen (Hartung, Kienesberger) verurteilt, in Österreich hingegen freigesprochen worden, woraufhin nach staatsanwaltschaftlichem Einspruch Bundespräsident Kirchschläger zur hellen Empörung Roms die Einstellung des Verfahrens verfügte.
Speckner hatte im Jahr 2013 in seiner umfangreichen Studie „Zwischen Porze und Roßkarspitz …‘ Der ,Vorfall‘ vom 25. Juni 1967 in den österreichischen sicherheitsdienstlichen Akten“ (Wien 2013) aufgrund zahlreicher Aktenstücke den Nachweis führen können, dass sich besagtes Geschehen an der Porzescharte keinesfalls so abgespielt haben konnte, wie es von Italien offiziell dargestellt wurde. Es gab und gibt begründete Verdachtsmomente, dass die italienischen Militärangehörigen überhaupt nicht auf der Porzescharte zu Tode gekommen sein dürften, sondern auf einem in der Nähe befindlichen italienischen Manövergelände für Verminungsübungen und Sprengungen. Es zeigten sich gewichtige Indizien, die dafür sprechen, dass das Geschehen auf der Porzescharte einschließlich der nachträglichen Schaffung eines künstlichen „Tatortes“ mit hoher Wahrscheinlichkeit dem italienischen Militärgeheimdienst zuzuschreiben sein dürfte.
Bereits in seiner 2016 erschienenen aufsehenerregenden Studie „Von der ‚Feuernacht‘ zur ,Porzescharte‘…. Das ,Südtirolproblem‘ der 1960er Jahre in den österreichischen sicherheitsdienstlichen Akten“ (Wien 2016) hatte Speckner mehr als 50 Fälle untersucht, welche sich im Rahmen des brisanten Südtirol-Konflikts zwischen Dezember 1955 bis März 1970 zugetragen hatten.
Seine darin luzide aufbereitete und minutiös ausgebreitete Aufarbeitung der Geschehnisse machte deutlich, wie weit und gravierend die offiziellen italienischen Darstellungen von der Aktenlage des von im Staatsarchiv aufgefundenen sicherheitsdienstlichen Bestandes abwichen. Zudem ergänzte er seine Befunde aus den Primärquellen der österreichischen Staatspolizei (StaPo) mit den in zahlreichen Gesprächen mit den Freiheitskämpfern des BAS gewonnenen Aussagen. Die von Speckner erschlossenen sicherheitsdienstlichen Akten erbrachten in vielen dieser Fälle neue Erkenntnisse und Ergebnisse.
Expertisen anerkannter Fachleute
Schließlich stellt Speckner im Zusammenwirken mit fundierten Expertisen amtlich anerkannter Fachleute in seinem soeben im Verlag effekt! (Neumarkt a.d. Etsch) erschienenen Buch mit dem Titel „Pfitscherjoch Steinalm Porzescharte – Die drei ,merkwürdigenVorfälle‘ des Höhepunktes der Südtiroler Bombenjahre 1966 und 1967“ in rationaler und wissenschaftlich begründeter Weise jene echoreichsten, blutigsten Fälle wieder vom Kopf auf die Füße und führt damit deren amtliche italienische Darstellungen ad absurdum.
Der Fall Pfitscherjoch
So im Falle eines todbringenden Ereignisses am Pfitscherjoch, das sich am 23. Mai 1966 ereignet hatte. Die ehemalige hölzerne und später durch einen Steinanbau erweiterte ehemalige Schutzhütte am Pfitscherjoch diente als Stützpunkt für die italienische Finanzwache (Guardia di Finanza) sowie für Carabinieri und Alpini-Soldaten. Dort war infolge einer Explosion ein Angehöriger der Finanzwache ums Leben gekommen. Laut der „offiziellen“ italienischen Version des Geschehens habe dieser während des Patrouillengangs die Tür zum Schutzhaus geöffnet, worauf eine Sprengladung von ungefähr 50 kg Sprengstoff explodiert sei.
Wie bei ähnlich gelagerten Vorfällen in den 1960er Jahren „wussten“ italienische Medien wie Politik sofort, dass die „gewaltige“, das Gebäude nahezu völlig zerstörende Explosion von „terroristi“ verursacht worden sei. Tatsächlich wurde aber nur der leichte Holzhütten-Teil zerstört, der Steinbau blieb stehen. Noch heute hält das Museum der Finanzer-Truppe in seiner offiziellen Darstellung fest: „der Anschlag, der auch den Einsturz der Kaserne zur Folge hatte, entpuppte sich als Werk der Südtiroler Separatistenorganisation Befreiungsausschuss Südtirol (BAS)“, welche „die gewaltige Ladung wenige Tage zuvor installiert“ habe. Und alsbald wurden die vier „Puschtra Buibm“ („Pusterer Buben“) Siegfried Steger, Josef Forer, Heinrich Oberleiter und Heinrich Oberlechner als Täter beschuldigt.
Der Beurteilung mehrerer damaliger Sprengsachverständiger – darunter eines Experten des Entschärfungsdienstes des österreichischen Innenministeriums – zufolge weist die Aufnahme des Getöteten ebenso wie die Fotos von der zerstörten Holzhütte ursächlich auf eine Gasexplosion in der Küche der Schutzhütte hin, währenddessen sich das Opfer in der Toilette direkt neben dem Explosionsherd aufgehalten haben dürfte. Auch das auf den offiziellen Tatortfotos der Guardia di Finanza zu erkennende eingesackte Dach der Hütte widerspreche mit aller Deutlichkeit der Verwendung von Sprengstoff, noch dazu in der erwähnten Menge von 50 kg: diesfalls wäre das Dach, anstatt in sich zusammenzusacken, vielmehr in Trümmern in die Luft geflogen.
Die von Speckners aus den von ihm entdeckten und erstmals ausgewerteten Archivalien ermittelten Ergebnisse, wonach sich der Pfitscherjoch-Vorfall „also kaum so zugetragen haben konnte wie von offizieller italienischer Seite dargestellt“, ist von unlängst vorgenommenen, mit modernen naturwissenschaftlich-sprengtechnischenInstrumentarien fußenden umfangreichen Untersuchungen durch Experten erhärtet worden. Ihre Expertisen kommen der Wahrheit des Geschehens zweifelsfrei am nächsten und dürfen somit als bewiesen gelten. So allein schon durch die Fallbeurteilung des gerichtlich zertifizierten Sachverständigen für Sprengtechnik, Mag. Max Ruspeckhofer, der in seinem Beitrag „COLD CASE PFITSCHERJOCH – Wie ein Unfall zu einem Anschlag wurde“ kurz und bündig feststellt: „Wenn man alle diese Dinge in Betracht zieht, bleibt eigentlich nur mehr eine einzige Schlussfolgerung übrig: Es handelte sich bei diesem Ereignis nicht um ein Attentat, bei dem bewusst der Tod von Menschen in Kauf genommen wurde, sondern um einen tragischen Unfall“.
Eine letztvergewissernde Expertise durch den gerichtlich zertifizierten Sachverständigen für Sprengwesen, Prof. Dr. Ing. Harald Hasler wurde zudem durch dessen ballistische Berechnungen in Bezug auf das Verhalten von Personen bei Explosionen auf Grundlage der international anerkannten Basisliteratur TNO Green Book (Methods for the determination of possible damage to people and objects resulting from releases of hazardous materials) komplettiert. Diese Expertise untermauert nicht nur Ruspeckhofers Befund, sondern stellt die amtliche italienische Darstellung gänzlich in Abrede. Vielmehr steht für ihn zweifelsfrei fest, dass „aufgrund der festgestellten technischen Tatsachen und Sachverhalte zweifelsfrei klar [ist], dass sich der aktenkundig beschriebene Vorfall am 23. Mai 1966 am Pfitscherjoch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit so NICHT ereignet haben kann. Alle Indizien sprechen eindeutig für eine Gasexplosion. Sachverhaltsdarstellungen, Fachbeurteilungen und entscheidende Schlussfolgerungen aus den vorliegenden Akten sind in keinster Weise nachvollziehbar, mangelhaft und unterliegen keinen fachlich fundierten und objektiv ermittelten gerichtsverwertbaren Erkenntnissen.“
Der Fall Steinalm
Analog dazu ergaben sich für Speckner wie für die beigezogenen Sachverständigen in der „Causa Steinalm“ ähnlich geartete Ergebnisse. Knapp fünf Monate nach dem Geschehen rund um das Pfitscherjoch-Haus waren zufolge einer Explosion in einem kasernierten Stützpunkt der Guardia di Finanza (Finanzwache) auf der Steinalm nahe dem Brennerpass zwei Finanzwache-Soldaten ums Leben gekommen, ein Schwerverletzter starb wenige Tage später. Bis heute werden in Italien drei BAS-Aktivisten, darunter der legendäre Freiheitskämpfer und Schützenmajor Georg („Jörg“) Klotz, des „blutrünstigen Anschlags“ bezichtigt und politisch sowie justizamtlich der Tat beschuldigt. Die Grundschulleherin Rosa Klotz, die Ehefrau von Georg Klotz, war daraufhin verhaftet und für 14 Monate eingekerkert worden. Ihre sechs minderjährigen Kinder waren Verwandten und Nachbarn überstellt worden.
Wenngleich damals schon mehrere Gutachten von Sachverständigen die Explosion einer Gasflasche sowie die Detonation einer Kiste mit Handgranaten in deren unmittelbarer Nähe, als ursächlich für den Tod der Finanzer sowie die Zerstörung des Stützpunktes ansahen, blieb und bleibt Rom geradezu doktrinär bei seiner Hergangsversion und der Täterbeschuldigung und wies, wie stets bei derartigen Vorfällen, Wien eine „Mitschuld“ zu, da die österreichischen Behörden zu wenig gegen den Terrorismus unternommen hätten.
Dass diese offizielle römische Schuldzuschreibung zu verwerfen ist, zeigt eigentlich allein schon Speckners Durchleuchtung des damaligen Vorfalls. Zudem untermauert die eigens durchgeführte neue wissenschaftlich begründete Begutachtung durch den Sachverständigen Hasler seine aktenmäßig erschlossenen historischen Ergebnisse. Hasler stellt nämlich aufgrund seiner umfangreichen Befunde, einer forensischen, kriminaltechnischen Analyse sowie der Bewertung der angeführten einzelnen Sachverhalte unumwunden fest, „dass sich der aktenkundig beschriebene Vorfall am 9. September 1966 auf der Steinalm mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit so NICHT ereignet haben konnte“. Infolgedessen verwirft er die dem damaligen Gerichtsverfahren und Urteil zugrundlegenden Ergebnisse italienischer Gutachter, indem er konstatiert, sie unterlägen „keinen fachlich fundierten und objektiv ermittelten gerichtsverwertbaren Schlussfolgerungen“.
Der Fall Porzescharte
Schließlich der an Tragik und Verwerflichkeit des amtlichen Wirkens italienischer Politik wohl kaum zu übertreffende „Fall Porzescharte“.
In einer Auflistung von (nach heutigen Erkenntnissen angeblichen) Terroranschlägen, die einer Wien übermittelten diplomatischen „Verbalnote“ des römischen Außenministeriums vom 18. Juli 1967 beigeheftet ist, wird das Geschehen auf der Porzescharte am 25. Juni 1967 wie folgt „klar und eindeutig“ beschrieben: „Sprengung des Mastes einer Hochspannungsleitung durch eine mit Uhrwerk versehene Sprengvorrichtung. Während des Lokalaugenscheins tritt der Alpini-Soldat Armando Piva auf eine Tretmine und verursacht eine Explosion. Infolge der schweren Verletzungen stirbt der Soldat kurz darauf im Zivilkrankenhaus von Innichen. Gegen 15 Uhr desselben Tages gerät eine Feuerwerker-Truppe nach Säuberung des um den Hochspannungsmast gelegenen Geländes in eine weitere Minenfalle. Die Explosion verursacht den Tod des Karabinierihauptmanns Francesco GENTILE, des Fallschirmjägerleutnants Mario DI Legge und des Fallschirmjäger-Unteroffiziers Olivo TOZZI [sic!, der richtige Name ist DORDI], sowie schwere Verletzung des Fallschirmjäger-Feldwebels Marcello FAGNANI. Am Tatort wurde ein Gerät mit der Aufschrift B.A.S. aufgefunden.“
Schon von Anfang an hatten sich jedoch äußerst auffällige Widersprüche gezeigt. Bereits am 26. Juli, also einen Tage nach den ersten italienischen Meldungen, die österreichische Stellen übermittelt worden waren, ließ sich der Osttiroler Bezirkshauptmann Dr. Doblander mit einem Hubschrauberan den Ort des Geschehens bringen. Das Ergebnis seines Erkundungsfluges meldete die Sicherheitsdirektion für Tirol an das österreichische Innenministerium: „Der Bezirkshauptmann schließt, mit 100 %-iger Sicherheit‘ aus, dass in der Nähe dieses Mastes eine andere Explosion erfolgt ist. Es konnten weder Fußspuren noch Blutspuren noch irgendwie andere Spuren festgestellt werden, die darauf hindeuten würden, dass sich hier mehrere Menschen befunden haben. Der italienische Grenztrupp soll aber aus 25 Personen bestanden haben. Die Anwesenheit dieser 25 Personen in der Nähe dieses Mastes hält der Bezirkshauptmann auf Grund der Bodenlage und -beschaffenheit für ausgeschlossen.“
Dieser Bericht deckte sich mit dem Inhalt eines Aktenvermerk der Tiroler Sicherheitsdirektion aufgrund von Angaben der Österreichischen Verbundgesellschaft, wonach zwei deren Monteure aus dem Standort Lienz in Begleitung eines Gendarmeriebeamten am 27. Juni auf der Porzescharte zur Schadensbegutachtung an der Leitung von Lienz nach Pelos waren. In besagtem Aktenvermerk wurde daraufhin festgehalten: „Im näheren Bereich des Mastes auch auf italienischem Gebiet konnte außer einem Zettel, italienisch beschriftet, einigen Drähten, keine Spuren gefunden werden, die auf Minenexplosionen und vor allem auf das Verunglücken von Menschen schließen lassen. Es wäre anzunehmen, dass in solchen Fällen Verbandreste, Blutspuren oder ähnliches wahrnehmbar gewesen wäre. Außer einem weit entfernten Posten in der meist besetzten Kaverne aus dem 1. Weltkrieg waren im gesamten Bereich weder Grenzschutzorgane, Militär noch Arbeiter zu bemerken.“
Der „blutigste Terrorakt“
Fest steht, dass die alsbald für „den blutigsten Terrorakt“ verantwortlich gemachten und in Innsbruck in Untersuchungshaft genommenen Aktivisten des Südtiroler Freiheitskampfs Erhard Hartung (Arzt), Peter Kienesberger (Elektriker) und Egon Kufner (Soldat) in der betreffenden Nacht im Juni 1967 gemeinsam in der Nähe des Geschehens waren. Sie waren am 24. nach Einbruch der Dunkelheit – um vom Alpini-Stützpunkt Forcella Dignas aus nicht gesehen zu werden –, in Richtung Porzescharte aufgestiegen, um, wie sie stets beteuerten, dort einen verwundeten Südtiroler BAS-Mann zu übernehmen.
Kienesberger hatte eine geheim übermittelte schriftliche Mitteilung aus Südtirol erhalten, wonach ein verwundeter Südtiroler auf der Porzescharte abgeholt und nach Österreich in medizinische Behandlung gebracht werden sollte. Deshalb war auch der junge Arzt Dr. Hartung mitgekommen, um eine Versorgung auf dem Transport zu gewährleisten. Allerdings hatte in dem Schreiben das sonst verwendete Code-Wort gefehlt, weswegen Kienesberger schon von Anfang an misstrauisch gewesen war.
Die Gruppe brach das Vorhaben dann ab aufgrund einer Wahrnehmung nur kurz sichtbarer Lichter in der Höhe. Kienesberger war zu dem Schluss gekommen, dass die Gruppe in eine italienische Falle gelockt werden sollte.
Buchautor Speckner arbeitete heraus, dass Kienesbergers Wahrnehmung, in dieser Nacht nicht allein dort gewesen zu sein, der Wirklichkeit entsprochen haben dürfte.
Vehement stellten Hartung und Kufner, die beiden noch Lebenden – Kienesberger verstarb 2015 – das von italienischer Seite unterstellte Ziel und Delikt der gezielten Tötung von Angehörigen der italienischen Sicherheitskräfte mittels Minen stets in Abrede. Die in Italien in Abwesenheit verurteilten, in Österreich hingegen freigesprochenen beiden lebenden Aktivisten beteuern in aller Klarheit, mit dem Tod der vier italienischen Soldaten am 25. Juni 1967 nicht das Geringste zu tun zu haben. Dies wird in den österreichischen Gerichtsverfahren von einem damals von den Verteidigern initiierten Gutachten sowie von den in Speckners Buch vorgelegten jüngsten Sachverständigen- Expertisen untermauert.
Nach italienischer Darstellung der Ereignisse um den 25. Juni 1967, welche unter Druck, dem sich Wien nicht widersetzte, vom politischen Österreich und dessen Sicherheits- sowie partiell auch Justizorganen letztlich übernommen worden war, soll die Gruppe Kienesberger in der Zeit von nur einer halben Stunde den Strommast direkt an der Grenze doppelt vermint und zwei perfekt getarnte Sprengfallen derart optimal verlegt haben, dass sie ihr mörderisches Ziel erreicht hätten. Diese Durchführung in der zur Verfügung stehenden kurzen Zeit ist nach Erkenntnis von Sachverständigen bereits ein Ding der Unmöglichkeit.
Wie sich in Speckners vorliegendem Buch zeigt, missachtet die italienische Darstellung die sicherheitsdienstliche Aktenlage sowie die sprengtechnischen und naturwissenschaftlichen Bedingungen des Geschehensablaufs auf der Porzescharte. Diese werden in den darin enthaltenen gutachterlichen Stellungnahmen der Sprengsachverständigen Ruspeckhofer und Hasler ausführlich erörtert. So resümiert der Sprengsachverständige Max Ruspeckhofer die von ihm angestellten umfänglichen sprengtechnischen Analysen und fasst deren Ergebnisse unumwunden in der aussagekräftigen Feststellung „ein Attentat das keines war“ zusammen.
Der Sprengsachverständige Harald Hasler stellte nach vier Jahren umfangreicher wissenschaftlicher Feldversuche Rekonstruktionen zu dem Vorfall und den beschriebenen Sachverhalten im Detail zusammen.
In forensischen Untersuchungen wurden die aufgrund der vorhandenen Akten sich ergebenden Sachverhalte mit modernsten, aus naturwissenschaftlich-sprengtechnischen Erkenntnissen gewonnenen Methoden auf Plausibilität sowie Reproduzierbarkeit hin überprüft und bewertet sowie schließlich den offiziellen aktenkundigen Darstellungen gegenübergestellt. Der Gutachter stellte zusammenfassend fest: „Aufgrund der sehr umfangreichen Befundaufnahme, der Feldversuche/Rekonstruktionen sowie Detailanalysen der einzelnen Sachverhalte zu den aktenkundigen Angaben der Ereignisse vom 25. Juni 1967 auf der Porzescharte kann […]mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gesagt werden, dass sich die Ereignisse so NICHT ereignet haben können.Die dokumentierten Ereignisse sind nicht im Ansatz reproduzierbar, absolut unerklärbar und nicht im Ansatz nachvollziehbar. […] Praktische Feldversuche bei denen die Sprengung vom 25.06.1967 mehrmals mit ballistischer Gelatine, humanoidenDummies und Indikatoren nach den Aktenangaben wissenschaftlich hinterfragt und nachgestellt wurden“, belegten dies „eindeutig und zweifelsfrei“.
Speckners mit bisher unbekannten sowie mit aus dem Wirken der Gutachter entstandenen Illustrationen ausgestattete Buch schließt mit einem anlassbezogenen pointierten Überblick über jene überaus beachtenswerten geheimdienstlichen Aktivitäten in Italien, welche vor allem im Zusammenhang mit der Südtirol-Problematik von Belang und Substanz sind.
Ehre und Unehre
Abschließend ist festzuhalten, dass der Beharrlichkeit und Zielstrebigkeit des einschlägig ausgewiesenen Autors das Hauptverdienst zukommt, in gründlichen Forschungsarbeiten den Nachweis erbracht zu haben, dass die behaupteten „Anschläge“ von 1966 und 1967 auf dem Pfitscherjoch, der Steinalm und der Porzescharte keineswegs unter die Verantwortung der Freiheitskämpfer des BAS rubriziert werden dürfen. Die damaligen Geschehnisse seien wahrscheinlich als Folge von Unfällen zu verbuchen und deren Instrumentalisierung als „Terrorakte“ seien den von höchsten Stellen, Amtsträgern und Politikern des Staates angeordneten oder gebilligten Umtrieben italienischer Geheimdienste zuzuordnen.
Es gereicht Italien ebenso wie einer gewissen Spezies der Historiker- und Politologenzunft wenig zur Ehre, dass es trotz Widersprüchlichkeiten und nachgewiesener Unrichtigkeiten unnachgiebig die Absicht zu verfolgen scheint, an den überholten italienischen Darstellungen festzuhalten.
Und allen in die Südtirol-Frage involvierten Amts- und Funktionsträgern in Politik, Justiz, Wissenschaft und Medien Österreichs und Tirols als Ganzes ist leider der Vorwurf nicht zu ersparen, angesichts aller neuen Erkenntnisse, die sie aufrütteln müssten, vor diesem untragbaren Zustand die Augen zu verschließen.
Dem SID zugegangene Stellungnahme von Prof. Dr. med. Erhard Hartung:
Meine seit 1967 aktenkundigen Feststellungen, dass ich nichts mit dem angeblichen Attentat auf der Porzescharte zu tun habe, sind nun bewiesen. Die Herausgabe des von Dr. Speckner und anderen Autoren verfassten Buches „Pfitscherjochhaus, Steinalm, Porzescharte“ ist für die in Italien in Abwesenheit zu Unrecht Verurteilten und somit auch für mich ein Geschenk Gottes. Die Verfasser weisen aufgrund durchgeführter wissenschaftlicher Versuche fundiert nach, dass wir nicht für die im Titel genannten angeblichen „Anschläge“ verantwortlich sein können, denen nach italienischen Behauptungen insgesamt acht italienische Soldaten zum Opfer gefallen sein sollen. Hier wird deutlich, dass Italien den Tod dieser vermutlich bei sprengtechnischen Militärübungen verunglückten Soldaten den Südtiroler Freiheitskämpfern zur Diffamierung und juristischen Verfolgung unterschoben hat.
Durch die nach neusten Untersuchungen erworbenen Kenntnisse wird bewiesen, dass diesbezügliche -sowohl in Österreich als auch in Italien- erfolgten Inhaftierungen von Südtiroler Freiheitskämpfern und die gegen sie erhobenen Gerichtsverfahren ungerechtfertigt waren und wider besseres Wissen erfolgten.
Zur Erinnerung möchte ich darauf hinweisen, dass Mitangeklagte und ich durch erpresste Aussagen der österreichischen Staatsbürger Schafferer und Humer, die 1967 von den Carabinieri schwer gefoltert wurden, unter Verdacht gesetzt wurden, an der Porzescharte Sprengfallen eingerichtet zu haben. Diese unwahren Behauptungen wurden 1967 in gesetzeswidriger Weise in Zürich österreichischen Staatspolizisten übermittelt. Deshalb wurden wir in Österreich inhaftiert und gerichtlich verfolgt, obwohl bekannt war, dass diese Aussagen durch Folter erzwungen worden waren.
In Italien wurden wir unter Anwendung der alten faschistischen Strafprozessordnung in Abwesenheit mit bis zu zweimal lebenslanger Haft verurteilt, jedoch in derselben Angelegenheit von ordentlichen österreichischen Gerichten in Anwesenheit und nach gründlichen Einvernahmen und Untersuchungen freigesprochen. Sowohl österreichische als auch deutsche Gerichte erkannten unabhängig voneinander, dass die italienischen Abwesenheitsurteile menschenrechtswidrig waren, da sie gegen die europäischen Rechtsnormen verstießen. Eine Zustellung von Ladung, Anklageschrift und Urteil war nicht erfolgt! Dass in Italien gegen mich ein Prozess geführt worden war, habe ich nur aus Medienberichten erfahren.
Die in dem nun vorliegenden Dokumentarwerk geschilderten Sprengversuche und Sachverständigengutachten haben „das Lügengebäude der italienischen Geheimdienste … zum Einsturz gebracht“, wie der ehemalige Südtiroler Landesrat Dr. Bruno Hosp (SVP) in seinem Vorwort feststellt.
Der ehemalige SVP-Regionalratspräsident und Landtagsabgeordnete Dr. Dr. h.c. Franz Pahl kommt in seinem Vorwort zu dem gleichen Schluss. Speckner habe in seinem Werk aufklärend „Tatsachen gegen das Lügennetz“ der italienischen Geheimdienste gesetzt. Die „Anschläge“ auf Pfitscherjoch, Steinalm und Porzescharte seien „das beschämende Werk der italienischen Geheimdienste und ihrer Helfer.“
Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Dank sagen möchte ich aber den Sachverständigen und Verfassern dieser Dokumentation.
Prof. Dr. med. Erhard Hartung
Während seiner Untersuchungshaft schrieb Dr. Erhard Hartung aus dem Gefängnis an seinen Vetter Klaus in Deutschland. In dem Brief hieß es unter anderem:
„Innsbruck, 28.11.68.
Lieber Klaus!
Für Deine zahlreichen Briefe, Gedanken – besonders aber, dass Du Dir die Mühe gegeben hast, Mama und mich zu besuchen, habe meinen aufrichtigen Dank. Ich habe mich sehr gefreut Dich gesund und wohlauf zu sehen. Für Mama wirst Du auch eine Stütze gewesen sein – ich glaube, Mendi wird durch meine Inhaftierung mehr mitgenommen als ich selbst. Und gerade dieser Gedanke macht es einem schwerer.
Nun bin ich schon fast fünf Monate hier – ganz alleine und nur von mir selbst lebend – d.h. von meinem Geist, von meiner Phantasie. … Und trotzdem ist das Leben hier wie unter einer Käseglocke, wo Dir jeden Moment die Luft auszugehen droht – dennoch habe ich die Kraft auch das durchzustehen, denn es muss weitergehen. Ein vor Gott reines Gewissen ist mir die größte Beruhigung und lässt mich keinen Prozess fürchten. So sehe ich in der kommenden Verhandlung kein Damoklesschwert, sondern Tage, in denen mir im Zuge der Wahrheitsfindung Gerechtigkeit widerfahren wird.
Es hat mich gefreut zu sehen, dass die ganze Familie geschlossen zu mir steht und dass mich keiner meiner Freunde verlassen hat, im Gegenteil auch sie sind alle von meiner Unschuld überzeugt. Zu Weihnachten habe ich sehr schöne Post von vielen Gelehrten und Dichtern aus allen deutschen Landen bekommen. Sie alle sprechen mir Mut zu und freuen sich über meine aufrechte Haltung und Wertverbundenheit.“
Schlussbemerkung
In Speckners Buch ist nun wissenschaftlich nahgewiesen, dass für den Tod von acht italienischen Soldaten, das sind knapp über 50% aller während der 1960er Jahre in Südtirol „gefallenen“ Italiener, der BAS mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zur Verantwortung gezogen werden kann.
Mit den anderen, während dieser Zeit „gefallenen“ Italienern, verhält es sich ähnlich: In keinem einzigen Fall konnte von der italienischen Justiz oder dem Militär objektiv nachgewiesen werden, dass der BAS deren Tod verursacht hat. Bis heute ist ein guter Teil der diesbezüglichen behördlichen Akte in Italien unter Verschluss und selbst für die Wissenschaft nicht zugänglich. Das wird wohl seine guten Gründe haben.
Frohe Weihnachten und ein glückliches neues Jahr
wünschen wir allen unseren Lesern!
Der Bezirk Brixen des Süd-Tiroler Schützenbundes hat einen reich bebilderten, wunderschönen Ganzjahreskalender für alle Jahre herausgegeben. Wir haben 10 Stück geschenkweise erhalten und geben diese Exemplare kostenlos weiter an jene 10 Leser, die als erste an unsere Adresse schreiben und ein Zusendung wünschen. Bitte melden Sie sich:
Am Donnerstag, den 8. Dezember 2022, wurde in St. Pauls traditionsgemäß der verstorbenen und lebenden Tiroler Freiheitskämpfer der 1960er Jahre gedacht.
Rund 2.000 Marketenderinnen, Schützen und Tiroler Landsleute waren der gemeinsamen Einladung des Südtiroler Heimatbundes und des Südtiroler Schützenbundes gefolgt.
Sie gedachten des Gründers des „Befreiungsausschusses Südtirol“ (BAS), des Frangarter Kaufmannes Sepp Kerschbaumer, und seiner Kameraden wie Franz Höfler, Anton Gostner, Luis Amplatz, Jörg Klotz und Kurt Welser.
Die Feier begann mit der Frontabschreitung der Schützen durch den Bürgermeister von Eppan, Wilfried Trettl, den Landeskommandanten des Südtiroler Schützenbundes, Major Roland Seppi, den Obmann des Südtiroler Heimatbundes (SHB), Roland Lang und den Gedenkredner, Ehrenlandeskommandant Major Elmar Thaler.
Die Musikkapelle Frangart begleitete anschließend die Marketenderinnen und Schützen durch die Gassen von St. Pauls zum Kirchgang in die Pfarrkirche. Pater Reinald Romaner zelebrierte die Heilige Messe und würdigte die christliche Lebensführung Sepp Kerschbaumers.
Nach dem Kirchgang marschierten die Teilnehmer zum Friedhof, wo er SHB-Obmann Roland Lang die Anwesenden begrüßte. Neben den Schützen waren auch viele Teilnehmer aus der Zivilbevölkerung der Einladung gefolgt. Die starke Teilnahme breiter Bevölkerungsschichten unterstreicht, dass die Verdienste von Sepp Kerschbaumer und seine Mitstreiter für unser heutiges Südtirol breite Anerkennung finden und unbestritten sind.
Der Ehrenlandeskommandant und Gedenkredner Elmar Thaler unterstrich in seiner Rede die Bedeutung des Opfertodes Sepp Kerschbaumers für die Geschichte Südtirols. Es gehe nach wieder darum, Einsatz für die Heimat zu zeigen und sich Sepp Kerschbaumer zum Vorbild zu nehmen.
Auch der Landeskommandant des Südtiroler Schützenbundes, Schützenmajor Roland Seppi, würdigte Kerschbaumer und seine Kameraden.
Im Anschluss der Gedenkrede spielte die Musikkapelle Frangart das Lied vom „Guten Kameraden“.
Die Ehrensalve feuerte die Schützenkompanie Sepp Kerschbaumer Eppan ab. Abgeschlossen wurde die sehr würdige Gedenkfeier mit der Tiroler Landeshymne und der österreichischen Bundeshymne.
Ansprache von Roland Lang, Obmann des „Südtiroler Heimatbundes“ (SHB)
„Ich begrüße alle Tirolerinnen und Tiroler, Marketenderinnen und Schützen aus allen Teilen Tirols, Heimatbundmitglieder und Volksvertreter!
En salüde y benodü a düc i scizeri y la jont de dötes les vals dla Ladinia.
Un Benvenuto ai Tirolesi di madrelingua italiana, alle Marketenderinnen e ai Schützen! Anche a tutti gli altri amici! Grazie per la vostra partecipazione.
Liebe Landsleute!
Jedes Jahr kommen wir zu diesem würdigen Gedenken an Sepp Kerschbaumer zusammen. Wir erinnern uns eines beispielhaften Mannes, der sein Leben selbstlos in den Dienst der Heimat stellte und Opfer der Staatsgewalt wurde.
Wir verneigen uns vor Frauen und Männern, die alles für die Heimat opferten.
Einige Tage nach der Sepp-Kerschbaumer Gedenkfeier des vergangenen Jahres hat der italienische Staatspräsident den Pusterer Bua Heinrich Oberleiter begnadigt.
Willkommen Heinrich in der Heimat, für die Du so viele Opfer und Entbehrungen in Kauf genommen hast!
Aber Sepp Forer und Siegfried Steger dürfen noch immer nicht einreisen. Wo bleibt der Einsatz unserer Politiker für eine Generalamnestie?
In diesem Jahr jährte sich zum 100. Mal die Machtergreifung des Faschismus.
Dem Faschismus war jedes Mittel Recht, die Südtiroler zu schikanieren bzw. ihre Identität auszulöschen. Höhepunkt war das mit Hitler-Deutschland ausgehandelte Optionsabkommen.
Auch Sepp Kerschbaumer bekam die faschistische Unterdrückung am eigenen Leib zu spüren: Bei einem Wiesenfest 1934 in St. Pauls sang er mit anderen Jugendlichen Tiroler Lieder. Der faschistische Präfekt Mastromattei hatte ihn daraufhin nach Süditalien verbannt. Erst im Spätherbst 1935 kam der 22-jährige junge Kaufmann Sepp Kerschbaumer von seiner ersten Verurteilung wieder nach Hause.
Beinahe auf den Tag genau 100 Jahre später hat Italien wieder eine Rechtsregierung. Bedenklich waren bereits die ersten Personalentscheidungen der Wahlsiegerin Meloni. So unter anderem, dass Ignazio La Russa Senatspräsident geworden ist – ein Mann, der stolz darauf ist, dass in seinem Wohnzimmer eine Mussolini-Statue steht.
Der SHB hat im Juli 2022 in einer Italienweiten Umfrage zum hundertsten Jahr der Machtergreifung des Faschismus seine Befürchtungen bestätigt erhalten: Mehr als die Hälfte der Befragten, 55,8%, erklärten, dass der Faschismus in Italien immer noch nicht aufgearbeitet ist.
Einhellig mit mehr als 85% die Verurteilung einiger Verbrechen der Faschisten, wie Konzentrationslager, Rassengesetze und Giftgas. Auch die Unterdrückung der Minderheiten wird mit 87 % verurteilt.
Aber bei Südtirol und den faschistischen Relikten wackelt der zur Schau getragene Antifaschismus: Mehr als die Hälfte der Befragten sehen das Siegesdenkmal, Beinhäuser und die Relikte als Zeichen der italienischen Italianità, die die Südtiroler gefälligst zu respektieren haben.
Südtirols Schützen haben gemeinsam mit dem Heimatbund und vielen Demokraten am 1. Oktober in Bozen ein klares Zeichen gegen den Faschismus gesetzt. Vielen Dank dafür!
Vergessen wir nicht: Meloni trat als 15-Jährige in die Jugendorganisation des Movimento Sociale Italiano (MSI) ein, einer Partei, die nach dem zweiten Weltkrieg von Faschisten gegründet worden war. 2012 gründete sie dann die Partei Fratelli d’Italia, die in ihrem Symbol noch heute eine Flamme hat, welche an das Grab Mussolinis erinnert. Melonibetonte immer wieder, dass sie stolz auf das Wappen sei.
Italien hat vor 45 Jahren, am 25. Oktober 1977, mit Gesetz Nr. 881 die UNO-Menschenrechtspakte ratifiziert und damit zu geltendem staatlichem Recht erklärt.
Artikel 1 besagt: „Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechtes entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung.“
Außerdem erklärte damit Italien, die in diesem Pakt anerkannten Rechte zu achten und sie allen in seiner Herrschaftsgewalt unterstehenden Personen zu gewährleisten.
Wann will Italien diese Verpflichtung endlich einhalten? Wir werden Rom jedenfalls immer wieder daran erinnern und es immer wieder neu fordern! Das sind wir all jenen schuldig, die wie Kerschbaumer alles für die Heimat gegeben haben!
Ich ersuche nun den Ehrenlandeskommandant Elmar Thaler um die Gedenkrede
Ich möchte nun Pater Reinald Romaner um ein Gebet bitten.“
Zur Erinnerung:
Das Leben Sepp Kerschbaumers
Sepp Kerschbaumer wurde am 9. November 1913 in Frangart bei Bozen geboren. Am 10. September 1934 wurde der 22 Jahre alte Kaufmannsohn, wie damalige Zeitungsberichte belegen, mit weiteren 9 Burschen und zwei Mädchen von Geheimagenten und Carabinieri verhaftet und in Ketten in das Bozner Gefängnis eingeliefert. Die Jugendlichen wurden beschuldigt, am Tag vorher, am Sonntag, den 9. September, beim Wiesenfest der Musikkapelle St. Pauls verbotene deutsche Lieder gesungen zu haben.
Mitte Oktober 1934 wurden die Burschen und Mädchen ohne Verteidigung von der faschistischen Verbannungskommission einvernommen und verurteilt. Die beiden Mädchen wurden für fünf Jahre unter Polizeiaufsicht gestellt. Die zehn Burschen wurden zu mehreren Jahren Verbannung nach Süditalien verurteilt. Sepp Kerschbaumer war zu zwei Jahren Verbannung nach Lagonegro in Süditalien verurteilt worden.
Ab 1957 protestierte Kerschbaumer mit Flugzetteln gegen die fortgesetzte faschistische Politik der Unterdrückung und geförderten Massenzuwanderung aus dem Süden. Er hisste die verbotene Tiroler Fahne auf dem Kirchturm in Frangart und letztendlich gründete er zusammen mit verzweifelten Landsleuten, die keinen anderen Ausweg mehr sahen, den „Befreiungsausschuss Südtirol“ (BAS).
Es kam zu den Verzweiflungsanschlägen der Herz-Jesu-Nacht des Jahres 1961, die letztlich auf lange Sicht eine gewaltige Wende in der Politik einleiten sollten, zunächst aber zu Massenverhaftungen und schweren Folterungen führten.
Verhaftung und Folterung Sepp Kerschbaumers
Am 15. Juli 1961 wurde der Gründer und Kopf des Befreiungsausschusses Südtirol (BAS), der Frangarter Gemischtwarenhändler und Kleinbauer Sepp Kerschbaumer, verhaftet, in die Carabinieri-Kaserne von Eppan gebracht und schwerstens misshandelt.
Der ebenfalls verhaftete Josef Fontana aus Neumarkt im Unterland wurde Sepp Kerschbaumer am 17. Juli 1961 um 17 Uhr abends gegenübergestellt. Der Eindruck, den Kerschbaumer auf ihn machte, konnte er kaum in Worte fassen. Was er sah, war „ein Mensch in seiner tiefsten Erniedrigung.“ (Josef Fontana / Hans Mayr: „Sepp Kerschbaumer“, Bozen 2000, S. 146)
Sepp Kerschbaumer hat das, was mit ihm geschehen war, am 4. September 1961 in einem Schreiben geschildert, welches keinen Adressaten trug und aus dem Gefängnis hinaus geschmuggelt und der Südtiroler Volkspartei übergeben wurde.
Der Brief liegt heute im Südtiroler Landesarchiv in Bozen unter den Archivalien der Südtiroler Volkspartei.
Der Brief lautet:
„Gefängnis Bozen, 4. September 1961
Schildere hier die Mißhandlungen, die ich beim Verhör durch die Karabinieri von Eppan und dort selbst erleiden mußte. Sofort nach der Verhaftung am 15. Juli 1961 als ich in der Frühe um 6-7 Uhr in die Kaserne eingeliefert wurde, wurden an mich verschiedene Fragen gestellt die ich verneinte.
Daraufhin wurde ich in ein anderes Lokal geführt, wo ich sofort mit Hände hoch stehen mußte, in dieser Position mußte ich von 7 Uhr früh bis 2 Uhr Nachmittag, um welche Zeit ich dann bis 6 Uhr abends in die Zelle gesperrt wurde. Dann ging es wieder von 6 Uhr abends bis 3 Uhr in der Früh gleich wie zuvor.
So mußte ich im ganzen 16 Stunden mit erhobenen Händen stehen. Als ich die Arme nicht mehr ganz in die Höhe halten konnte, riß man sie mir wieder empor, zu alldem wurde ich in dieser Zeit immer wieder im Gesicht in der Brust und am Rücken mit der flachen Hand oder den Fäusten geschlagen, zudem wurde ich immer wieder auf das gemeinste verspottet, nicht nur ich, sondern besonders auch unser ganzes Volk samt Führung, in der letzten Zeit der Mißhandlung war ich so mit meinen Kräften darnieder, daß ich mich nur mehr mit der größten Mühe aufrecht erhalten konnte.
Ich schwitzte und zitterte am ganzen Leibe und war so erschöpft, daß ich nur mehr einen Wunsch hatte, nämlich zu sterben. Als ich den Karabinieri sagte, sie sollen mich frisch umbringen, wurden sie erst recht prutal.
Beim späteren Verhör wurde mir immer wieder mit der Streckbank gedroht.
Dies entspricht alles der reinen Wahrheit und ich kann es gar nicht so schrecklich schildern, wie es in Wirklichkeit sich alles zugetragen hat.
Sepp Kerschbaumer, geb. am 9. 11. 1913 in Frangart“
(Wörtliche Wiedergabe des Originalbriefes. SVP-Archivalien, Landesarchiv Bozen)
Mit ihm sein Land Tirol
Im Ersten Mailänder Südtirolprozeß im Jahre 1964 wuchs Sepp Kerschbaumer als Hauptangeklagter über sich hinaus.
Er verwandelte das Gerichtsverfahren in ein Tribunal über die römische Politik in Südtirol und er beeindruckte damit nicht nur die deutschen und österreichischen Medien, sondern auch die Weltpresse.
Sepp Kerschbaumer wurde in Mailand am 16. Juli 1964 zu 15 Jahren und 11 Monaten Haft verurteilt und nach dem Prozess in das Gefängnis von Verona verlegt. Dort starb er am 7. Dezember 1964 im Alter von 51 Jahren – viel zu früh – der Herztod, für den wohl auch die erlittene Folter mit ursächlich gewesen war.
Neuerscheinung: Rosa Pöll – Die Frau des Freiheitskämpfers
Im Südtiroler EFFEKT! VERLAG ist ein Buch erschienen, in welchem die ehemalige Südtiroler Landtagsabgeordnete Dr. Eva Klotz das bewegte Leben ihrer Mutter Rosa Pöll-Klotz schildert.
Eva Klotz:„Rosa Pöll – Die Frau des Freiheitskämpfers“
Zeit: Dienstag, 29. November 2022, 19 Uhr Ort:Kolpinghaus Bozen, Josefssaal
Ablauf der Veranstaltung:
Gesanglicher Gruß
Eröffnung und Moderation durch den Verlagsleiter Elmar Thaler
Einführung durch die Autorin Eva Klotz
Gesangliche Einlage
Vorstellung durch die Historikerin Dr. Margareth Lun
Lesung aus dem Buch
Abschließende Worte und gesanglicher Ausklang
Umtrunk
Das Leben einer tapferen Frau
Die 1920 geborene Rosa Pöll war die Tochter eines Bergbauern in Ulfas. Als Kind erlebte sie den Faschismus und erhielt heimlichen „Katakombenunterricht“ in deutscher Sprache. Dieses Erlebnis prägte sie und bewog sie, selbst Lehrerin zu werden.
1950 heiratete sie den späteren Freiheitskämpfer Georg Klotz, den Mitgründer des Südtiroler Schützenbundes. Als ihr Jörg nach der Feuernacht des Jahres 1961 flüchten musste, hielt sie die Familie zusammen und zog unter ärmlichen Verhältnissen sechs Kinder groß. Darunter war ihre Tochter Eva, die ihr jetzt mit diesem Buch ein Denkmal der Erinnerung setzt.
Rosa Pöll-Klotz musste Terror und die Demütigungen durch die Carabinieri in ihrem Haus und stundenlange Kontrollschikanen erdulden. Sie ließ sich nicht brechen.
Sie nahm zusammen mit ihren Kindern an dem Begräbnis des ermordeten Freiheitskämpfers Luis Amplatz teil und besuchte ihren Mann Georg Klotz im österreichischen Exil.
Am 12. Oktober 1967 wurde sie verhaftet, weil sie nicht bereit gewesen war, ihren nach Österreich geflüchteten Mann zu verraten und zu belasten.
In endlosen Verhören vor einer starken Quarzlampe erblindete sie beinahe. Ihre kleine Tochter Eva wurde ebenfalls verhaftet und stundenlang verhört. Rosa Pöll-Klotz verbrachte 14 Monate lang in Untersuchungshaft. Sie wurde nach ihrer Entlassung unter Polizeiaufsicht mit täglicher Meldepflicht gestellt. Die Wiederaufnahme ihres Lehrerberufes wurde ihr nicht gestattet. Durch das Erteilen von Nachhilfestunden und durch Gelegenheitsarbeiten hielt sie die Familie notdürftig über Wasser.
Erst nach dem Tod ihres Mannes Georg Klotz durfte Rosa Pöll-Klotz im Jahre 1976 wieder unterrichten und konnte sich dadurch eine kleine Alterspension sichern.
Sie starb im Juni 2022.
In einem Nachruf des „Südtiroler Heimatbundes“ (SHB) sagte dessen Obmann Roland Lang:
„Sie wird uns allen unvergesslich bleiben. Der Herr belohne sie für all das Gute, das sie getan hat!“