Interview mit Buchautor und Südtirol-Kenner Helmut Golowitsch

Im Gespräch mit Info-DIREKT erzählt Helmut Golowitsch, wie er dem Geheimagenten Rudolf Moser auf die Spur kam und so die doppelbödige Politik der ÖVP in Sachen Südtirol aufdecken konnte. In seinem neusten Buch „Südtirol – Opfer für das westliche Bündnis“ dokumentiert er, anhand bisher nicht bekannter Originaldokumente, welch falsches Spiel die ÖVP-Spitze mit Südtirol betrieben hat.

Herr Golowitsch, wie ist es Ihnen gelungen, an diese entlarvenden Dokumente zu gelangen?

Helmut Golowitsch: 2002 ist ein Buch erschienen, in dem darüber berichtet wurde, dass der Kartonagenfabrikant Rudolf Moser als geheimer Verbindungsmann zwischen Bundeskanzler Figl (ÖVP) und dem italienischen Ministerpräsidenten Degasperi agiert habe. Laut der Buchautorin soll dieser jedoch keinen Einfluss auf den Verlauf der politischen Entwicklung gehabt haben. In mehreren Autobiographien ehemaliger ÖVP-Politiker wurde Moser als guter Freund und Vermittler zu Italien erwähnt. Nirgendwo aber fanden sich nähere Angaben zu seiner Person und Tätigkeit. Das machte mich neugierig und ich begab mich auf die Suche.

Wie sind Sie dabei vorgegangen?

Ganz einfach: Ich rief im Gemeindeamt von Sachsenburg an, wo Rudolf Moser lebte. Dort trug ich meine Bitte als Zeithistoriker vor, mir Näheres über diesen Sohn der Gemeinde zu erzählen. Es stellte sich nun heraus, dass der aus Wien stammende Moser bei seinem Eintritt ins Rentenalter offenbar keine Nachfolger gehabt hatte. Er schloss daher seine Fabrik, verkaufte seine Villa an einen Nachbarn und zog nach Wien, wo er später verstarb.

Wie sind Sie dann an seinen Nachlass und somit an diese Dokumente gekommen?

Helmut Golowitsch
Helmut Golowitsch (Bilder: Info-DIREKT)

Ich setzte mich sofort mit dem Nachbarn, der die Villa gekauft hat, in Verbindung. Dieser erzählte mir bereitwillig, dass Moser ihm auch zwei große Kartons mit Dokumenten und Fotos überlassen habe, die Südtirol beträfen. Ich könne mir diese Unterlagen ansehen und wenn sie für mich brauchbar seien, könne ich sie auch haben. Also fuhr ich nach Kärnten, wo mir der freundliche Unterstützer diese Dokumenten- und Fotosammlung übergab.

Was haben diese Unterlagen ergeben?

Unglaubliches. Es waren Briefkopien von Briefen Mosers an führende ÖVP-Politiker, vor allem an Leopold Figl, aber auch spätere ÖVP-Bundeskanzler sowie an führende italienische Politiker. Es fanden sich auch zahlreiche Originalbriefe dieser Personen an Rudolf Moser. Ergänzt wurde dieses Material durch Notizen, Geheimberichte und Fotos von Geheimtreffen österreichischer ÖVP-Politiker mit italienischen Politikern. Es stellte sich heraus, dass Rudolf Moser ab 1945 bis in die späten 1960er Jahre als Geheimunterhändler zwischen der ÖVP-Bundesspitze und italienischen Spitzenpolitikern tätig gewesen war. Und zwar zum Schaden Südtirols, denn Moser vertrat die Linie, dass Österreich Südtirol in jeder Hinsicht fallen lassen müsse, um die christdemokratische Freundschaft zwischen Rom und Wien nicht zu gefährden. Schließlich müsse man gemeinsam den Kommunismus abwehren.

Ihr Buch platzt mitten in den Wahlkampf. Mit der Feststellung, dass Figl, die Österreicher hinters Licht geführt hat, zeigen Sie, dass es die ÖVP mit Südtirol nicht immer gut gemeint hat.

Dass mein Buch just zur Zeit des Wahlkampfes erschienen ist, hat sich unbeabsichtigt so ergeben.

Setzt sich die ÖVP – unter Sebastian Kurz – jetzt wieder glaubwürdiger für die Südtiroler ein?

Nein! Am 3. Mai 2014 konnte man in der Südtiroler Tageszeitung „Dolomiten“ auf der Titelseite lesen, dass Außenminister Sebastian Kurz anlässlich eines Besuches in Südtirol erklärt hatte, dass Freistaatsfantasien von „Ewiggestrigen“ die Menschen in die Irre führten, denn man könne das Rad der Zeit nicht zurückdrehen. Damit beweist der amtierende Außenminister, dass er vom internationalen Völkerrecht nicht viel versteht.

„Südtirol – Opfer für das westliche Bündnis“ ist mittlerweile ihr viertes Buch über Südtirol. Was verbindet Sie mit Südtirol, dass Sie so engagiert forschen?

Persönliche Erlebnisse, persönliche Freundschaften und die mit dem ehemaligen Nordtiroler Landeshauptmann Wendelin Weingartner geteilte Hoffnung, dass die Geschichte uns eines Tages ein Fenster zur Tiroler Freiheit öffnen wird. Auch die Wiedervereinigung Deutschlands ist von niemandem vorhergesehen worden und dann doch plötzlich erfolgt.

Vielen Dank für das Interview!

Buchpräsentationen durch den Autor:

Helmut Golowischt: "Südtriol - Opfer für das westliche Bündnis"Buchpräsentation in Linz
Mittwoch, 20. September 2017
Beginn: 19:00 Uhr
Volkshaus Kleinmünchen, Dauphinestraße 19, 4030 Linz
Medienpartner: Magazin Info-DIREKT

Buchpräsentation in Innsbruck
Samstag, 23. September 2017
Gasthof Sailer, Saal Tirol, Adamgasse 8, 6020 Innsbruck
Beginn: 19:30 Uhr
Veranstalter: Andreas Hofer Bund Tirol

Nähre Informationen zu der Veranstaltung in Linz finden Sie hier!




Südtiroler Schützen gegen den Jurassic Park des Faschismus

Südtirol besitzt einen Saurier-Jurassic Park. Dieser beherbergt im Gegensatz zu dem Science-Fiction-Horror- und Abenteuerfilm des Regisseurs Steven Spielberg keine wiedererschaffenen lebenden Saurier. Er beherbergt  alte abgestorbene Saurier, nämlich die faschistischen Denkmäler, welche Mussolini zur Verherrlichung seines Regimes in Südtirol hatte errichten lassen. Diese waren auch dazu bestimmt gewesen, der einheimischen Bevölkerung klar zu machen, wer hier in diesem Lande das Sagen hatte.

von Hans Santner

Südtiroler Schützenbund protestiert gegen Renovierung eines Völkermord-Verherrlichungsdenkmals

Vertreter des italienischen Staates und seiner angeblich so ruhmreichen Streitkräfte halten dort nach wie vor nationalistischen Feiern ab und legen beispielsweise vor dem steinernen Alpini-Denkmal in Bruneck – von der einheimischen Bevölkerung wegen seiner Kapuze spöttisch  „Kapuziner-Wastl“ genannt – Kränze zum Andenken an jene italienischen Krieger nieder, welche in Äthiopien eine weitgehend wehrlose Bevölkerung überfallen, gefoltert, massakriert und mittels Giftgas teilweise ausgerottet hatten. Zu diesen wenig ruhmreichen „Kriegern“ hatten die Soldaten der italienischen Alpini-„Divisione Pusteria“ gehört, zu deren „Ehren“ das Andenken errichtet worden war.

Alpini in Äthiopien
Diese in Äthiopien begangenen Verbrechen verdienen wahrlich nicht durch Denkmäler verherrlicht zu werden.

Am 28. August berichtete das Nachrichtenportal UnserTirol24, dass der „Kapuziner-Wastl“ in Bruneck seine Feder an seinem steinernen Hut verloren habe. Ein Unbekannter hatte sie abgebrochen.

Wastl Bruneck
Bild UT 24

In dem Artikel hieß es weiter:

„Es ist nicht die erste Attacke auf den sogenannten „Kapuziner Wastl“. Ursprünglich war das faschistische Denkmal eine überlebensgroße Alpini-Statue, zu deren Füßen, als Sinnbild der Unterjochung ,ein „Eingeborener“ lag. Südtirol-Aktivisten hatten das Monument in den 60ern Jahren mehrmals gesprengt.

Das umstrittene Denkmal wurde zu Ehren der Alpini-Soldaten errichtet, die in den italienischen Kolonialkriegen für die Eroberung und Unterwerfung von Äthiopien gekämpft haben. Bis heute finden dort Kranzniederlegungen statt, die für großen Unmut in der Bevölkerung sorgen.“

Alpini Wastl Bruneck
Das historische Bild links zeigt die Einweihung des den Abessinien-Krieg verherrlichenden Alpini-Denkmals in Bruneck am 2. Juli 1938 durch Mitglieder der königlichen Familie. Das Bild in der Mitte zeigt den „Wastl“ Anfang der 1960er Jahre vor der Sprengung durch Südtiroler Freiheitskämpfer. Das Bild rechts zeigt, was die Sprengung dann von dem „Wastl“ übrig gelassen hatte.

Umgehend meldete sich der italienische Vizebürgermeister der Stadt Bruneck, Renato Stancher, zu Wort und verkündete, dass das Denkmal auf Kosten der Gemeinde Bruneck restauriert würde.

Dagegen protestierte der „Südtiroler Schützenbund“ öffentlich. Der ehemalige Landeshauptmann Durnwalder (SVP) forderte dass möglichst alle faschistischen Denkmäler in Südtirol beseitigt werden sollten und auch der Bürgermeister von Bruneck, Roland Griessmair (SVP) lehnte zusammen mit der Gemeindevertretung die Restaurierung des Faschistendenkmals auf Kosten der Südtiroler ab.

Der Landeskommandant des „Südtiroler Schützenbundes“, Elmar Thaler, begrüßte diese Entscheidung. Das Nachrichtenportal „Unser Tirol 24“ berichtete über Thalers Stellungnahme:

Die Aktion des Vizebürgermeisters sei völlig daneben gewesen, nicht zuletzt auch, weil sich das Denkmal auf Staatsgrund befinde und die Rienzstadt keinen Anlass dazu hätte.

Erfreulich sei in diesem Zusammenhang die Aussage von Alt-Landeshauptmann Luis Durnwalder, wonach das Alpinidenkmal aus der unrühmlichen Zeit des Faschismus in eine Kaserne versetzt werden sollte. Wie richtig Durnwalder mit seiner Aussage liegt, zeigt die Tatsache, dass die winzigen erklärenden Täfelchen vor dem Faschistendenkmal ohne Wirkung geblieben sind. Ansonsten wäre wohl keinem Italiener mehr in den Sinn gekommen, ein menschenverachtendes Denkmal von Schmutz zu befreien und es wieder instand zu setzen – man hätte es dem Verfall preisgegeben, so der Schützenbund in einer Aussendung.

Laut Schützenbund zeigt Stanchers Vorpreschen, dass es in Südtirol immer noch Zeitgenossen gibt, welche sich von den faschistischen Denkmälern nicht trennen können. Somit sei der Kapuziner-Wastl das beste Bespiel dafür, dass eine Historisierung der Relikte aus vergangenen Tagen misslungen sei.

Dem Vorschlag von Ex-Landeshauptmann Luis Durnwalder schließt sich der Südtiroler Schützenbund an und fordert den Staat Italien und die Alpinivereinigung ANA auf, ihr faschistisches Denkmal in die Lugramani-Kaserne zu verlegen, wo es gereinigt und die abgeschlagene Alpinifeder wieder aufgeklebt werden könnte. Dort würden zudem auch die jährlichen Kranzniederlegungen für die Angriffskriege Italiens gegen Abessinien/Äthiopien und Russland die Öffentlichkeit nicht mehr stören.“ (UT24 31. August 2017)

Alpini Wastl Bruneck
Kranzniederlegung vor dem Kriegsverbrecher-Denkmal durch die Alpini-Vereinigung ANA am 26. Jänner 2016 – eine Provokation für die einheimische Bevölkeurng. (Bild UT 24)

Der Protest der Schützen hatte Erfolg gehabt

Auch in der Vergangenheit haben die Schützen wiederholt gegen die zahlreichen in Südtirol bestehenden und von der Staatsmacht behüteten und gepflegten faschistischen Denkmäler protestiert und damit die öffentliche Erörterung dieses für Rom unangenehmen Themas aufrecht erhalten.

Vielen Landsleuten ist noch die große Schützendemonstration von 2008 in Erinnerung.

Plakat Schützen Kundgebung 2008 in Bozen
Mit Flugblättern und Plakaten hatte der Südtiroler Schützenbund zu der großen antifaschistischen Kundgebung aufgerufen.

Am 8. November 2008 fand in Bozen eine denkwürdige Protestkundgebung „Gegen Faschismus für Tirol“, statt zu welcher der „Südtiroler Schützenbundes“ aufgerufen und eingeladen hatte.

Schützen Demo Bozen 2008

Schützen Demo Bozen 2008

Schützen Demo Bozen 2008

Schützen Demo Bozen 2008

Auf dem Bozener Waltherplatz hatte sich eine riesige Menge von etwa 4.000 Schützen und Zivilisten versammelt.

Der Landeskommandant der Südtiroler Schützen, Paul Bacher, erläuterte in seiner Rede, worum es ging – um die in Südtirol immer noch stehenden, zum Teil monumentalen  Denkmäler, die zur Verherrlichung des Faschismus errichtet worden waren:

„Wir haben die Nase voll von einem Staat, der diese Relikte duldet und von Politikern die nichts dagegen unternehmen“, rief Bacher aus. „Italien hat sich als einziges EU-Land nie vom Faschismus distanziert und sich nie für die Verbrechen bei uns Tirolern entschuldigt.“

Der Landeskommandant sprach dann die Schande der faschistischen Denkmäler in Südtirol an, welche alle Jahre wieder von den staatlichen Behörden liebevoll renoviert wurden. Er forderte deren Abriss.

Bozen: Alpini vor Relief
Noch immer ist auf einem riesigen steinernen Fries auf dem heutigen Finanzamt Bozen, dem früheren faschistischen Hauptquartier, der hoch zu Ross reitende „Duce“ Mussolini zu sehen. Zahlreiche Darstellungen auf dem Fries preisen die „Heldentaten“ und „Errungenschaften“ des Faschismus. Dieser Ort war und ist bei der italienischen Alpinitruppe für deren Heldengedenken beliebt.

Mussolini Fries Bozen

Nun protestierten die Schützen vor dem Mussolini-Relief gegen den Faschismus und forderten die Landeseinheit Tirols. Dann zogen die Schützen zu dem sogenannten „Siegesdenkmal“, welches mit faschistischen Liktorenbündeln geschmückt ist und forderten dessen Beseitigung.

Es gab in den letzten Jahren noch zahlreiche weitere öffentliche Aktionen der Schützen gegen den weiterbestehenden faschistischen „Jurassic Park“ in Südtirol.

Weitere Informationen zu den Schützen

Über diese und viele andere mutige Aktionen der Südtiroler Schützen berichtet der bekannte Historiker und Publizist Prof. Dr. Reinhard Olt in einem Dokumentarwerk. Darüber hat er dem Südtiroler Informationsdienst diesen Artikel Stachel im Fleisch der Politik“ zur Verfügung gestellt.

Weitere Informationen zum Alpini-Denkmal in Bruneck

Im Jahre 2009 veröffentlichte der Buchdienst Südtirol eine Dokumentation über das Alpini-Denkmal in Bruneck unter dem Titel „Denkmal der Schande“ und im gleichen Jahre veröffentlichte die Zeitschrift „Der Tiroler“ eine Dokumentation unter dem Titel „Weg mit dem Völkermord-Schandmal“. Beide Dokumentationen können hier als pdf-Dateien aufgerufen und auch abgespeichert werden:

Denkmal der Schande

Weg mit dem Völkermord-Denkmal




Stachel im Fleisch der Politik

Allen Widrigkeiten zum Trotz halten die Schützen im Süden des 1919 geteilten Landes an der Wiedervereinigung Tirols fest.

von Reinhard Olt

Wer sich mit historischen Publikationen zum Thema (Süd-)Tirol befasst und die mediale Berichterstattung der letzten Jahre verfolgt hat, konnte den Eindruck gewinnen, mit der 1969 zustande gekommenen und 1972 statutarisch verankerten Selbstverwaltung für die „Provincia autonoma di Bolzano – Alto Adige“  und dem unlängst in Meran, Bozen und Wien politisch-medial beweihräucherten Rückblick auf „25 Jahre  österreichisch-italienische Streitbeilegung“ von 1992 sei die seit Ende des Ersten Weltkriegs schwärende Wunde der Teilung Tirols ein für allemal geschlossen. Weit gefehlt. Demoskopische Erhebungen förderten zutage, dass  in Österreich – insbesondere im Bundesland Tirol – wie  im von Italien 1918 annektierten südlichen Teil Tirols das Empfinden historischen Unrechts sowie das Gefühl der Verbundenheit und Zusammengehörigkeit nach wie vor ausgeprägt sind.

Teilung Tirols
Nach wie vor wird die Teilung Tirols von vielen Österreichern als zu ändernder Unrechtszustand empfunden

Die große Mehrheit aller Befragten bekundete auch das Verlangen nach (einem Referendum zwischen Brenner und Salurner Klause über die) Ausübung des sowohl nach dem Ersten, als auch nach dem Zweiten Weltkrieg der dortigen Bevölkerung verweigerten Selbstbestimmungsrechts. Dafür sprachen sich sogar viele der befragten ethnischen Italiener in der benachbarten Provinz Trient aus, mit der Bozen-Südtirol in einer „Regione Autonoma Trentino-Alto Adige“ zwangsvereint ist.  In Südtirol selbst waren sich die Befragten – trotz unterschiedlicher Vorstellungen der maßgeblichen politischen Kräfte über die anzustrebende weitere Entwicklung des Landes (Vollautonomie; Freistaat; Rückgliederung an Österreich) –  mehrheitlich darüber einig, dass dessen Zukunft jedenfalls in der Unabhängigkeit von Italien, mithin im „Los von Rom“, zu suchen sei.

Österreicher für Südtirol

Österreicher für Selbstbestimmungsgrecht Südtirols
Im Jänner 2015 stellte der Vorstand des „Südtiroler Heimatbundes“, einer von ehemaligen Südtiroler politischen Häftlingen gegründete Vereinigung, zusammen mit Prof. Dr. Olt (2. von rechts), der Öffentlichkeit eine Aufsehen erregende Meinungsumfrage vor, wonach die überwiegende Mehrheit der Österreicher nach wie vor für die Selbstbestimmung Südtirols eintritt.

Dass Loslösung von Italien im öffentlichen Raum ein Diskussionsthema ist und bleibt, dafür sorgen – neben drei deutschtiroler Oppositionsparteien, die seit der Landtagswahl von 2013 im Parlament zu Bozen zusammen 10 von 35 Abgeordneten stellen – der Südtiroler Heimatbund (SHB), die Vereinigung ehemaliger Freiheitskämpfer, sowie vor allem der Südtiroler Schützenbund (SSB).

Dieser mitgliederstarke Traditionsverband, dessen Wurzeln ins frühe 16. Jahrhundert zurückreichen, tritt in Treue fest für die Bewahrung der Tirolität im fremdnationalen Staat sowie unerschütterlich für die Aufrechterhaltung des Ziels der Landeseinheit ein. Wiewohl politisch gänzlich unabhängig, bilden mehr als 6000 Mitglieder, von denen über 5000 in 140 Schützenkompanien sowie in 3 Schützen(musik)kapellen aktiv sind, mitsamt  Familienangehörigen ein ansehnliches gesellschaftliches Potential.

Wann und wo immer sie aufmarschieren in ihrer pittoresken Montur – sie sind eine Augenweide fürs Publikum. Im alpinen Tourismus würden ihre Farbtupfer fehlen, träten sie nicht in Kompaniestärke oder gar noch größeren Formationen auf, wenn es gilt, gelebte Tradition augen- und ohrenfällig werden zu lassen. Es kommt daher nicht von ungefähr, dass zwischen Oberbayern und Welschtirol (Trentino) beheimatete Schützenformationen an den meisten Urlaubsorten von Besuchern allzu gerne als folkloristische Draufgabe auf ihren wohlverdienten Ferienaufenthalt empfunden werden.

Wer indes einmal einen Blick in eine Ortschronik oder gar in ein Geschichtsbuch wirft, dem wird sich die historische Dimension des Schützenwesens alsbald erschließen. Dies gilt samt und sonders für jene Landstriche im Dreieck zwischen Konstanz, Kufstein und Ala am Gardasee, die einst die „Gefürstete Grafschaft“ respektive das „Land im Gebirg’“, wie es oft in Urkunden bezeichnet wird, mithin das alte Tirol ausmachten. Überall dort geht die Existenz der Schützen auf das sogenannte Landlibell Kaiser Maximilians I. (1459–1519) zurück.

Der „letzte Ritter“, wie man ihn auch nennt, erließ 1511 jenen urkundlich verbrieften Rechtsakt, in welchem er die Freiheiten der Tiroler Stände festlegte und damit zugleich das Wehrwesen und also die Organisation der Landesverteidigung durch Aufgebote städtischer und ländlicher Bewohner mitsamt einer Aufteilung der Mannschaftskontingente regelte. Das Landlibell legte fest, dass die Tiroler nicht verpflichtet waren, für einen Herrscher außerhalb der Landesgrenzen in den Krieg zu ziehen. Dafür sicherten die Stände zu, bei Feindeseinfall Tirol zu verteidigen.

Landlibell
Das „Landlibell“ von 1511 regelte für die kommenden Jahrhunderte die Landesverteidigung Tirols und war die entscheidene Grundlage der Landesverteidigung von 1809

Andreas Hofer

Weithin bekannt wurde das Tiroler Schützenwesen vor allem durch die Abwehrkämpfe während der kriegerischen Einfälle der Bayern 1703 sowie der Franzosen (nebst ihrer bayerischen Verbündeten) in den Jahren 1796/97 und 1809. Die Bergisel-Schlachten unter dem aus dem Südtiroler Passeiertal stammenden Kommandanten und Volkshelden Andreas Hofer – plastisch und drastisch nachzuverfolgen am „Riesenrundgemälde“ im Tirol-Panorama, einem eigens 2010 errichteten Museum am gleichnamigen Berg nahe Innsbruck – trugen wesentlich dazu bei, dass der Mythos vom wehrhaften Bergvolk, das selbst Napoleon trotzte, in ganz Europa bekannt wurde.

Das Landlibell galt im Kern bis zur Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, und selbst während des Ersten Weltkriegs wurden Tiroler Standschützen stets nur zur Verteidigung der Heimat und eben nicht auf außertirolischen Kriegsschauplätzen eingesetzt. Daran und an „500 Jahre Landlibell als Geburtsurkunde der Tiroler Schützen“ war  2011 in Innsbruck im Beisein von deren Abordnungen aus eben jenem historischen Tirol – des österreichischen Bundeslandes sowie der italienischen Provinzen Bozen-Südtirol und Trentino – feierlich erinnert worden.

Standschützen
Auch im Ersten Weltkrieg wurden die Standschützen nur zur Verteidigung der Grenzen Tirols eingesetzt

Nirgendwo dort fehlen Schützen bei einer größeren Festveranstaltung. Fast in jeder Gemeinde gibt es eine Kompanie, die bei festlichen Anlässen „ausrückt“ und mittels  Gewehrsalven eines  Schützen-Detachements den Festcharakter lautstark unterstreicht. Heutzutage haben diese Waffen tragenden Tiroler in ihren schmucken, regional und sogar lokal unterschiedlichen Uniformen feindliche Truppen nicht mehr abzuwehren, wenngleich Degen und Karabiner zu ihrer „Standardausrüstung“ gehören. Der wehrhafte Geist ist ihnen indes ganz und gar nicht abhandengekommen, wenn sie sich – im engeren wie im weiteren Sinne – um die „Heimat“ kümmern: Sie initiieren und beteiligen sich aktiv an Renovierungsaktionen für Bauwerke; dasselbe gilt für Reinigungsaktivitäten besonders dort, wo das Wegwerfgut des Massentourismus  zu beseitigen ist.

Vor allem aber engagieren sie sich in der sozialen Fürsorge für ältere Mitbürger. Trotz äußerlicher Verschiedenheit, wie sie an Gewand und Hüten, an Uniform-/Tracht- und Hutschmuck sowie an ihren Fahnen auszumachen ist, eint sie Tradition und Heimatverbundenheit, wie sie sich in den Grundsätzen des Schützenwesens manifestieren (dazu gehören „Treue zu Gott und dem Erbe der Väter“, „Schutz von Heimat und Vaterland“ sowie „Einheit des Landes“).

Letzteres führte mitunter zu  Auseinandersetzungen in und zwischen den drei maßgeblichen Schützenverbänden – sehr stark beeinflusst von den in den Tiroler Landesteilen dominanten politischen Kräften respektive regierenden Parteien, von denen im Bundesland Tirol die ÖVP und in der Provinz Bozen-Südtirol deren Pendant SVP seit dem Zweiten Weltkrieg ununterbrochen an der Macht sind.

Dass Streit über die Landeseinheit mittlerweile als „Schnee von gestern“ gelten darf, ist in erster Linie dem Betreiben des SSB und dessen Landeskommandanten Major Elmar Thaler sowie der Mitwirkung seines Pendants im Norden – Major Fritz Tiefenthaler, Kommandant des Bundes Tiroler Schützenkompanien (BTSK) – zuzuschreiben.

Hieß der übergreifende Grundsatz zwischen Nord und Süd in den 1990er  Jahren „geistige und kulturelle Landeseinheit“, so ist in den letzten Jahren, weitgehend inauguriert vom  SSB, immer stärker auch die „politische Einheit des Landes“ in den Mittelpunkt gemeinsamer Zielsetzungen gerückt. Und mit der  Neugründung eines (die ansonsten eigenständigen Schützenverbände Tirols, Südtirols und Welschtirols) vereinigenden „Verbandes Tiroler Schützen“ (VTS)  wurde  die „Landeseinheit Tirols“  in dessen Statut fixiert. Jedes Jahr übernimmt ein anderer Landeskommandant die Führung der darin vereinten mehr als 20.000 Schützen Gesamttirols.

Sichtbarster Ausdruck der Veränderung vom „unpolitischen“ – und von zeitgeistfrommen Zeitgenossen abschätzig „heimattümelnd“ genannten – Charakter zu einem durchaus ernstzunehmenden politischen Faktor in beiden Teilen Tirols war der  „Freiheitsmarsch“ der Schützen 2012 in Bozen. Damit war erstmals auch die personifizierte gesamttirolische Verbandseinheit dokumentiert worden, indem der Südtiroler Landeskommandant Elmar Thaler, der Nordtiroler Fritz Tiefenthaler und der Welschtiroler Giuseppe Corona an der Spitze den farbenprächtigen Zug von Tausenden ihrer Mannen nebst Marketenderinnen und Sympathisanten in gleichem Schritt und Tritt quer durch die Stadt auf den Platz vor das Landhaus (Landtag) zur Abschlusskundgebung führten.

Schützen Bozen 2012

(„Dolomiten“ vom 16. April 2012)

Am 14. April 2012 hatten die Südtiroler Schützen zu einem großen „Freiheitsmarsch – ohne Rom in die Zukunft“ durch Bozen aufgerufen. An die 6.000 Menschen waren gekommen, unter ihnen Abordnungen der Nordtiroler und der Welschtiroler Schützen. An der Spitze des Zuges marschierten die Landeskommandanten der Schützen. Von links nach rechts: Der Nordtiroler Landeskommandant Major Mag. Fritz Tiefenthaler ( „Bund der Tiroler Schützenkompanien“), Landeskommandant Elmar Thaler („Südtiroler Schützenbund“) und Vize-Landeskommandant Giuseppe Corona („Welschtiroler Schützenbund – Federazione Schützen del Welschtirol“).

Dort fassten sie zusammen, was die einzelnen Kompanien in griffige Parolen gekleidet auf Spruchbändern mit sich geführt hatten und was Ziel des demonstrativen, aber gänzlich unmartialisch verlaufenen Aufmarschs sein sollte: Der „Mut zum Bekenntnis und zur Tat“ gipfelte in dem wider Italien gerichteten Bekenntnis „Unser Staat ist das nicht“, respektive im Verlangen „Schluss mit der italienischen Verwaltung“.

In Anlehnung an den November 1989 in der damaligen DDR hieß es auch auf rotweißen Spruchbändern, die der Tiroler Adler zierte: „Wir sind das Volk“. Womit zugleich das Verlangen nach Wiedervereinigung des seit Ende des Ersten Weltkriegs geteilten Tirols Ausdruck fand. All das verdichtete sich in den beiden markanten Parolen von der „Ausübung des Selbstbestimmungsrechts“ und der „Verabschiedung aus Italien“, mithin dem „Los von Rom“. Es fehlte auch nicht an Schelte für „Politiker, die der Landeseinheit im Wege stehen“. Vom SSB initiierte und organisierte „Unabhängigkeitstag“ in Meran 2013 und in Bruneck 2016,  zu denen sich Vertreter zielgleicher nationaler Minderheiten aus EUropa einfanden, gerieten zu selbstbewussten Manifestationen wider assimilatorische Entnationalisierung sowie des unbedingten Willens zur Selbstbehauptung und des Verlangens nach Verwirklichung des in der UN-Charta verankerten Selbstbestimmungsrechts.

Unabhängigkeitstag in Meran 2013

Unabhängigkeitstag in Meran 2013
Unabhängigkeitstag in Meran 2013

Unabhängigkeitstag in Bruneck 2016

Unabhängigkeitstag in Bruneck 2016
Unabhängigkeitstag in Bruneck 2016

Die Schützen wissen, dass sie mit derartigen Aktivitäten mitunter auf Ablehnung stoßen: nicht allein in Rom (zur Gänze) sowie (weithin) in der politischen Klasse Wiens und Innsbrucks, sondern auch und vor allem bei der SVP. Die 1945 gegründete „Sammelpartei“ hat sich längst  mit den obwaltenden, weil  mitgestalteten Verhältnissen arrangiert. Dem Arrangement fiel das in ihren Parteistatuten als Gründungszweck und hehres Verwirklichungsziel verankerte Selbstbestimmungsbegehr „realpolitisch“ ebenso zum Opfer wie ihr die einst auch von ihr als höchsten Daseinszweck propagierte Landeseinheit faktisch obsolet geworden ist. Dies legte die seit der Streitbeilegung 1992 immer öfter ins Auge stechende, dem Machterhalt dienende und für Funktions- und Amtsträger sowie dem sozial und ökonomisch nutznießenden Teil der eigenen Wählerklientel einträgliche Maxime des „Kompromisses um jeden Preis“ offen. Man tritt der gegenwärtigen SVP-Führung  und dem Gros ihrer Parlamentarier gewiss nicht zu nahe, wenn man sie als italophil bezeichnet.

Dass dies zwangsläufig zu Konflikten mit dem Schützenbund führen muss(te), dessen Wiedergründung ohne Beistand und Rückhalt der SVP 1957 kaum denkbar gewesen wäre und zu dessen erstem Kommandanten infolgedessen der damalige Landeshauptmann Dr. Alois Pupp bestimmt worden war, ist in den letzten Jahren häufig zutage getreten. Das Wiederaufleben des im italienischen Faschismus verbotenen Schützenwesens geschah gegen den hartnäckigen Widerstand des „demokratischen Italiens“, das – in Südtirol übrigens bis heute –  zäh sein geistiges faschistisches Erbe verteidigt.  In Rom war und ist man sich der Bedeutung des Schützenwesens bewusst, dessen traditioneller Daseinszweck auf Bewahrung der Identität und Freiheit der Tiroler sowie auf Wiedererlangen der Landeseinheit gerichtet ist.

Von den 1950er bis zu den frühen 1980er  Jahren herrschte hinsichtlich dieser Ausrichtung weithin Übereinstimmung mit der SVP, zudem bestand  eine gewisse personelle Identität. Man tut wohl niemandem Unrecht, wenn man den SSB bis zur zäsuralen „Schützenrevolte“ auf der denkwürdigen Landesversammlung  (dem Parteitag) 1986 in Meran als eine der SVP-„Vorfeldorganisationen“ charakterisiert. Das hat sich seitdem fundamental geändert. Zwischen SVP und SSB, der sich von ihr emanzipierte und mehr und mehr zum Stachel im Fleische der Politik wurde, ist heute der Bruch unübersehbar.

Die Schützen haben wieder und wieder bewiesen, dass sie trotz (gesellschafts)politischen Gegenwinds an ihrem historisch begründeten und legitimierten Auftrag sowie an ihrem tradierten Wertegefüge festhalten und standfest bleiben. Daher ist es vornehmlich ihnen zu danken, dass das letzte Wort bezüglich der Zukunft (Süd-)Tirols wohl noch lange nicht gesprochen ist.

Standhaft im Gegenwind. Der Südtiroler Schützenbund und sein Wirken für Tirol als Ganzes
Olt, Reinhard: „Standhaft im Gegenwind. Der Südtiroler Schützenbund und sein Wirken für Tirol als Ganzes“ Neumarkt a.d. Etsch (Effekt GmbH) 2017, 364 Seiten, Hardcover, Format 260×235 mm, illustriert, ISBN 978-88-97053-39-2; Preis 25,- Euro

Mein soeben erschienenes Buch „Standhaft im Gegenwind“. Der Südtiroler Schützenbund und sein Wirken für Tirol als Ganzes“ legt all dies faktengesättigt offen. Wobei  eine Fülle exklusiver Informationen aufgeboten werden konnten, die man sowohl in  der journalistischen, als auch in der bisherigen wissenschaftlichen Publizistik vergeblich sucht. Diese facettenreiche Publikation über den Südtiroler Schützenbund stellt daher zugleich eine detaillierte Beschreibung  der  ins österreichisch-italienische Verhältnis eingebetteten politischen Handlungen beider Tirol dar. Mithin schließt die Darstellung auch eine Lücke in der Aufarbeitung der jüngeren Zeitgeschichte.

Reinhard Olt
Prof. Dr. Reinhard Olt bei der Vorstellung seines Buches am 2. Mai 2017 im Bozener Waltherhaus




Neuerscheinung: zeitgeschichtliches Werk enthüllt parteipolitisch motivierte Südtirol-Geheimdiplomatie

Der renommierte Historiker und Publizist Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhard Olt stellt die in Buchform erschienene Dokumentation „Südtirol – Opfer für das westliche Bündnis“ von Dr. Helmut Golowitsch vor.

Konspirative politische Händel zu Ungunsten Südtirols

 Wie ein bisher weitgehend im Dunkel verborgener Emissär das Nachkriegsgeschehen zwischen Wien und Rom hinter den Kulissen zu beeinflussen vermochte

von Reinhard Olt

Die Brenner-Grenze ist wieder da. Unter völkerwanderungsartig anschwellendem Zustrom afrikanisch-orientalischer Migranten über die „Italien-Route“ nach Mitteleuropa nimmt der enge Gebirgseinschnitt wieder seine Rolle als neuralgisches Kontroll-Areal am Übergang zum Bundesland Tirol ein, welches seit dem Schlagbaum-Abbau nach Österreichs EWG-Beitritt  (1. Januar 1995) als  obsolet galt.  Verschwunden war sie ja nicht wirklich, sondern lediglich „nicht mehr spürbar“, wie eine medial widerhallende stereotypisierte Politformel besagte und eher oberflächliche Betrachtung von Fahrzeuginsassen darüber hinwegrollender Automobilkolonnen  nahelegte.

Ob unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg tatsächlich die Chance für die in vielfachen eindrücklichen Willensbekundungen der Bevölkerung sowie die in politischen und kirchlichen Petitionen zum Ausdruck gebrachte Forderung nach Wiedervereinigung des 1918/19 geteilten Tirols bestand, ist unter Historikern umstritten. Unumstritten ist, dass das Gruber-De Gasperi-Abkommen vom 5. September 1946,  Grundlage für die (weit später erst errungene) Autonomie der „Provincia autonoma di Bolzano“,  dem die regierenden Parteien sowie der zeitgeistfromme Teil der Opposition in Wien, Innsbruck und Bozen heute den Rang einer „Magna Charta für Südtirol“ zubilligen, sich für Österreichs Politik jahrzehntelang als  „furchtbare Hypothek“ (Bruno Kreisky) erwies.

Das Gruber-Degasperi-Abkommen („Pariser Abkommen“) vom 5. September 1946 umfasst lediglich 40 Maschinschreibzeilen und besteht weitgehend aus unpräzisen Absichtserklärungen. Als Karl Gruber den Intentionen der Westalliierten folgend dieses Papier unterschrieb und damit die bis dahin offizielle österreichische Forderung nach Selbstbestimmung preisgab, hatte er vorher weder die Regierung in Wien informiert, geschweige denn eine Zustimmung des Nationalrats eingeholt.

 Gruber und De Gasperi

Allem Anschein nach fügte sich der österreichische Außenminister  Gruber seinerzeit ebenso seinem italienischen Gegenüber Alcide De Gasperi  wie den drängenden Siegermächten, um überhaupt etwas mit nach Hause bringen zu können. Es waren jedoch  nicht allein die aus der (geo)politischen Lage herrührenden Umstände und die Unzulänglichkeiten des damals zur Pariser Friedenskonferenz entsandten österreichischen Personals sowie das mitunter selbstherrliche Gebaren Grubers respektive der Druck, den die (west)alliierten Siegermächte auf die Beteiligten ausübten und schließlich ein anderes als das von den (Süd-)Tirolern erhoffte Ergebnis zeitigten. Eine soeben erschienene  Dokumentation des Zeithistorikers Dr. Helmut Golowitsch zeigt, dass auch hinter den Kulissen Akteure emsig und weitgehend inkognito am Geschehen beteiligt waren.

Insbesondere ein Kärntner Unternehmer übte einen bisher weithin unbekannten und im Blick auf das von der weit überwiegenden Bevölkerungsmehrheit in beiden Tirol sowie in ganz Österreich erhoffte Ende der Teilung des Landes fatalen Einfluss aus. Sein lautloses Mitwirken inkognito erstreckte sich nahezu auf den gesamten für den Südtirol-Konflikt zwischen Österreich und Italien bedeutsamen Geschehensablauf vom Kriegsende bis zur sogenannten „Paket“-Lösung Ende der 1960er Jahre, bisweilen lenkte er ihn in bestimmte Bahnen.

Hinter den Kulissen

Rudolf Moser
Der Pappe-Fabrikant Rudolf Moser aus Sachsenburg in Kärnten, ein geborener Wiener, wirkte im Hintergrund als Unterhändler auf parteipolitischer Ebene

Der Mann hieß Rudolf Moser, war 1901 in Wien geboren und in der christlich-sozialen Bewegung politisch sozialisiert worden. In Sachsenburg (Kärnten) leitete er die „A. Moser & Sohn, Holzstoff- und Pappenfabrik“, und als Industrieller gehörte er der vor allem auf die regierende Österreichische Volkspartei (ÖVP) stark einwirkenden Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft an. Mit dem ersten Bundeskanzler Leopold Figl, den er als seinen „engsten Jugendfreund“ bezeichnete, verband ihn wie er vermerkte, „in allen Belangen …. stets gegenseitige und vollständige Übereinstimmung und Treue“.

 

Rudolf Moser und Leopold Figl
In der Zeit des österreichischen Ständestaates der Ersten Republik war Rudolf Moser „Gauführer“ der „Ostmärkischen Sturmscharen“ in Kärnten-Osttirol. Sein Freund, der spätere österreichische Bundeskanzler Leopold Figl (ÖVP), hatte das gleiche Amt in Niederösterreich inne (Bild rechts).

Der Emissär

In Italien, wohin seine Firma gute Geschäftskontakte unterhielt,  hielt sich Moser häufig für länger auf und kam mit namhaften Persönlichkeiten des Staates ebenso wie mit katholischen Kreisen und dem Klerus in engen Kontakt. Moser, den auch Papst Pius XII. mehrmals in Rom persönlich empfing, wirkte zudem als Vertrauensmann des Vatikans. Insofern nimmt es nicht wunder, dass sich der die italienische Sprache mündlich wie schriftlich nahezu perfekt beherrschende und absolut diskret agierende Moser nach 1945  geradezu ideal für die Aufnahme, Pflege und Aufrechterhaltung einer trotz Südtirol-Unbill dennoch äußerst belastbaren Verbindung zwischen ÖVP und Democrazia Cristiana (DC) eignete, die sich weltanschaulich ohnedies nahestanden. Dazu passte, dass er sich der Rolle des (partei)politischen Postillons und verdeckt  arbeitenden Unterhändlers mit geradezu missionarischem Eifer hingab.

Verkaufte „Herzensangelegenheit“

Das erste für das Nachkriegsschicksal der Südtiroler bedeutende und in seiner Wirkung fatale Wirken Mosers ergab sich im Frühjahr 1946. Während nämlich die österreichische Bundesregierung offiziell – besonders Kanzler Figl, der in seiner Regierungserklärung am 21. Dezember 1945 vor dem Nationalrat gesagt hatte:

„Eines aber ist für uns kein Politikum, sondern eine Herzenssache, das ist Südtirol. Die Rückkehr Südtirols nach Österreich ist ein Gebet jedes Österreichers“ 

Die  Selbstbestimmungslösung mittels Volksabstimmung verlangte, die Außenminister Gruber gegenüber den Siegermächten und dem Vertreter Italiens in Paris bis dahin einigermaßen aufrecht erhalten hatte, wurde Rom auf der Ebene parteipolitischer Beziehungen vertraulich darüber in Kenntnis gesetzt, dass sich Wien gegebenenfalls auch mit einer Autonomielösung anstelle eines Plebiszits  einverstanden erklären könne. Das Signal dazu gab Figl via Moser, der über  Vermittlung eines  Priesters aus dem Trentino den gebürtigen Trientiner De Gasperi am 3. April 1946  im Palazzo del Viminale, dem  Amtssitz des italienischen Ministerpräsidenten,  zu einer ausgiebigen geheimen Unterredung traf.

Als Bundeskanzler Figl (Bild rechts) in Innsbruck die Südtiroler Unterschriften für die Rückkehr Südtirols zu Österreich entgegen nimmt und verkündet „Wir wollen unser Südtirol wieder!“, hat der Geheimunterhändler Rudolf Moser (links im linken Bild) dem italienischen Ministerpräsidenten Degasperi (auf dem linken Bild im Vordergrund) bereits die Bereitschaft der Bundesregierung zum Verzicht auf Südtirol übermittelt.

Dass das Duo Figl/Moser  damit Grubers Aktivitäten konterkarierte, dürfte auch dem Umstand geschuldet gewesen sein, dass die beiden ÖVP-Politiker  Figl und  Gruber  einander sozusagen „in herzlicher Abneigung“ zugetan waren. Dass es dem Kanzler  primär um gutnachbarschaftliche politische (und wirtschaftliche) Beziehungen Wiens zu Rom sowie vielleicht mehr noch um freundschaftliche Verbindungen zwischen seiner ÖVP mit De Gasperis DC zu tun war und dass er damit der alldem entgegenstehenden Sache Südtirols – wider alle öffentlichen Bekundungen und Verlautbarungen – schadete, spricht Bände.

 Widersprüchliches Gebaren

Dieses widersprüchliche politische Gebaren sollte sich, wie die von dem oberösterreichischen Forscher Helmut Golowitsch erstellte Dokumentation zeigt, unter allen auf Figl folgenden ÖVP-Kanzlern bis in die für das österreichisch-italienische Verhältnis äußerst schwierigen 1960er Jahre fortsetzen, unter der ÖVP-Alleinregierung unter Josef Klaus ihren Kulminationspunkt erreichen  und darüber hinaus – wie man als Beobachter späterer Phasen hinzufügen muss – gleichsam eine politische Konstante bilden, der in aller Regel die beanspruchte Schutz(macht)funktion Österreichs für Südtirol untergeordnet worden ist. Allen damals führenden ÖVP-Granden stand Rudolf Moser als emsig bemühtes, lautlos werkendes und wirkendes Faktotum zur Seite: Sei es als Organisator konspirativ eingefädelter Spitzentreffen inkognito – mehrmals in seinem Haus in Sachsenburg – , sei es als Emissär, mal als besänftigender Schlichter, mal operierte er als anspornender Impulsgeber. Mitunter war er verdeckt als Capo einer geheimen ÖVP-Sondierungsgruppe unterwegs oder auch gänzlich unverdeckt als Mitglied einer offiziellen ÖVP-Delegation auf DC-Parteitagen zugegen. Und nicht selten nahm er die Rolle eines Beschwichtigers von ÖVP-Politikern und -Funktionären wahr.

Geheime Treffen

So regte er die erste geheime Begegnung Figls mit De Gasperi an, wie aus einem mit Briefkopf des Kanzlers versehenen Schreiben vom 16. Juli 1951 an Moser hervorgeht. Das „inoffizielle Zusammentreffen“  fand im August 1951 – der genaue Tag ließ sich nicht rekonstruieren – im Hinterzimmer eines Gasthauses am Karerpass in Südtirol statt, wohin der in Matrei (Osttirol) sommerfrischende österreichische und der in Borgo (Valsugana) urlaubende italienische Regierungschef reisten, um sich „auf halbem Wege“ und „nach außen hin zufällig“ zu treffen. Über Inhalt und Ergebnis dieses ersten Geheimtreffens, worüber es keine Aufzeichnungen gibt – und weiterer konspirativer Begegnungen mit anderen Persönlichkeiten – wurden weder  Süd- noch Nordtiroler Politiker informiert.  Während des gesamten Zeitraums, für die Golowitschs Dokumentation steht, agierten ÖVP-Kanzler und ÖVP-Parteiführung  unter gänzlichem Umgehen der dem südlichen Landesteil naturgemäß zugetanen Tiroler ÖVP.

Eduard Wallnöfer
Als der Nordtiroler Landeshauptmann Eduard Wallnöfer erkennen musste, dass die Tiroler ÖVP von der Wiener Parteizentrale in Südtirol-Angelegenheiten ständig übergangen wurde, plante er eine Abspaltung der Nordtiroler ÖVP von der „Mutterpartei“ nach CSU-Vorbild.

Das ging sogar so weit, dass der legendäre  Landeshauptmann Eduard Wallnöfer wegen „wachsender Unstimmigkeiten mit der Wiener Parteizentrale“  – insbesondere während der Kanzlerschaft  des Josef Klaus, zu dem er ein „unterkühltes Verhältnis“ gehabt habe (Michael Gehler  –  eine „Unabhängige Tiroler Volkspartei“ (nach Muster der bayerischen CSU)  ernsthaft in Erwägung zog.  Indes war der aus dem Vinschgau stammende Wallnöfer   – nicht allein wegen der Südtirol-Frage, aber vor allem in dieser Angelegenheit  –  dem   Außenminister und nachmaligen Kanzler  Bruno Kreisky (SPÖ)  ausgesprochen freundschaftlich verbunden.

Delikate Besuche

Für das zweite  Geheimtreffen Figls mit De Gasperi am 18. und 19. August 1952 sorgte Moser, der es arrangiert hatte, auch eigens dafür, den  Ministerpräsidenten inkognito über den Grenzübergang Winnebach nach Osttirol zu schleusen und von dort aus auf sein Anwesen in Sachsenburg (Bezirk Spittal/Drau) zu geleiten. Während zweier Tage unterhielten sich De Gasperi und Figl bei ausgedehnten Spaziergängen unter vier Augen, niemand sonst war zugegen.

Moser (links im Bild) begrüßt den italienischen Ministerpräsidenten Degasperi bei dem Geheimtreffen vor seinem Haus in Sachsenburg.

Anschließend finden bei ausgedehnten Spaziergängen vertrauliche Unterredungen zwischen Degasperi und Figl statt.

In einem späteren Rückblick, angefertigt zu Weihnachten 1973, vermerkte  Moser:

„Seit 1949 gab es in meinem Kärntner Landhaus gar viele Zusammenkünfte, Besprechungen, Beratungen und Konferenzen, aber nicht selten wurden auch in fröhlichem Zusammensein weitreichende Beschlüsse gefaßt. Im Gästebuch dieses ,Hauses der Begegnung‘, wie es vielfach genannt wurde, gibt es von den delikaten Besuchen fast keinerlei Eintragungen, weil ja jedwede Dokumentation vermieden werden sollte.“

Julius Raab und Rudolf Moser
Moser (rechts im Bild) begrüßt Bundeskanzler Julius Raab vor seinem Haus in Sachsenburg.

Auf Figl folgte Julius Raab. Auch er war in Sachsenburg zu Gast, bediente sich Mosers Diensten hinsichtlich Italiens aber kaum. Das war auch gar nicht erforderlich, denn die politischen Prioritäten Wiens waren während Raabs Ägide vornehmlich auf das Ausverhandeln des Staatsvertrags (1955) und damit das Wiedererlangen der Souveränität gerichtet. Was dazu führte, dass es –  worüber in Bozen und Innsbruck  Unmut herrschte  –  in der Südtirol-Politik zu keinen nennenswerten Aktivitäten oder Initiativen mehr kam.

Handreichung für Folterer

Nach De Gasperi, mit dem sich Moser auch weiterhin freund(schaft)lich austauschte, wechselten in Italien die Regierungschefs beinahe jährlich; bis 1981 war das Amt des „Presidente del Consiglio dei Ministri“ stets  sozusagen  ein „Erbhof“ der DC. Bis zum Abschluss des Südtirol-Pakets 1969 unter Mario Rumor, der zwischen 1968 und 1970 drei wechselnden, DC-geführten und dominierten (Koalitions-)Regierungen vorstand, hatten sieben DC-Regierungschefs 14 Kabinetten vorgestanden. Mit allen pflegte(n) Moser (und die ÖVP) mehr oder weniger enge Kontakte.

Mario Scelba
Den italienischen Innenminister Mario Scelba (DC), mit dessen Wissen und Billigung verhaftete Südtiroler in den Carabinieri-Kasernen durch „Spezialisten“ verhört und dabei schrecklich gefoltert wurden, bezeichnete Moser als seinen „guten Freund“.

Zu Mario Scelba, der später   traurige Berühmtheit erlangte, weil unter seiner  Billigung 1961 in Carabinieri-Kasernen  politische Häftlinge aus den Reihen des „Befreiungsausschusses Südtirol“ (BAS) gefoltert worden waren und er als damaliger Innenminister den Folterknechten  dazu  „freie Hand“ („mani libere“) gelassen hatten, waren sie ebenso intensiv wie zu Fernando Tambroni, Antonio Segni, Amintore Fanfani und Aldo Moro. 1962 hatte Moser ein  geheimes Treffen zwischen dem stellvertretenden DC-Generalsekretär Giovanni Battista Scaglia sowie der DC-Fraktionsvizechefin  Elisabetta Conci  und ÖVP-Generalsekretär Hermann Withalm sowie Außenamtsstaatssekretär Ludwig Steiner eingefädelt, das in seinem Beisein  am 12. Mai in der am Comer See gelegenen „Villa Bellini“ der mit ihm  befreundeten Papierfabrikantin Anna Erker-Hocevar  stattfand. Einmütiger Tenor des Treffens: Südtiroler „Friedensstörer“ seien „gemeinsame Feinde“ und als solche „unschädlich zu machen“.

In dieser Villa am Lago di Como fand 1962 das von Moser arrangierte Geheimtreffen österreichischer ÖVP-Politiker und italienischer DC-Politiker statt.

Moser bekundete stets, man müsse, wie er selbst, beseelt sein vom Willen „engster vertraulicher Zusammenarbeit …mit den aufrechten Europäern und jenen Christen, welche den Mut haben, solche der Tat zu sein“  sowie beitragen zur „gemeinsamen Verurteilung jeder Äußerung von unzeitgemäßem Nationalismus und unchristlichen Gewalttaten“ und mithelfen, jene Kräfte zu isolieren und auszuschalten,  „die unbedingt Gegner einer Einigung, einer Versöhnung sind“.  An Scelba schrieb er am 16. September 1961, er möge „im Alto Adige  jene wahnsinnigen Radikalen  isolieren, welche mit verbrecherischen Taten sich als Handlanger des Bolschewismus erweisen“.

ÖVP-Geheimdiplomatie

Mosers Engagement ging so weit, dass er sich nicht scheute, daran mitzuwirken, hinter dem Rücken des damaligen Außenminister Kreisky (SPÖ) sozusagen „christdemokratische Geheimdiplomatie“ zu betreiben und dessen mit Giuseppe Saragat ausgehandeltes „Autonomie-Maßnahmenpaket“  zu desavouieren, welches die Südtiroler Volkspartei (SVP) dann auch am 8. Januar 1965  für „zu mager“ befand und infolgedessen verlangte, es müsse nachverhandelt werden. Schon am 6. Januar 1962  hatte er in einer an zahlreiche ÖVP-Politiker und -Funktionäre verschickten „Südtirol-Denkschrift“ bemerkt, Kreisky betreibe „eine dilettantisch geführte Außenpolitik.“  Das bezog sich just auf den seit den verheerenden Auswirkungen des Gruber-De Gasperi-Abkommens ersten zielführenden und erfolgreichen Schritt der Wiener Südtirol-Politik, nämlich der Gang Kreiskys 1960 vor die Vereinten Nationen. Die Weltorganisation zwang mittels zweier Resolutionen Italien zu „substantiellen Verhandlungen zur Lösung des Streitfalls“ mit Österreich, womit der Konflikt zudem internationalisiert und der römischen Behauptung, es handele sich um eine „rein inneritalienische Angelegenheit“ die Grundlage entzogen worden war.

Ludwig Steiner und Kurt Waldheim

In den Rom-freundlichen Kreisen der Bundes-ÖVP war dies jedoch mit Unwillen registriert  worden. Zunächst hatte ÖVP-Staatssekretär Ludwig Steiner versucht, Kreisky zu bewegen,

die österreichische UNO Initiative zurückzunehmen“,  denn „seiner Meinung nach  habe Italien in einer UNO Debatte d[er]z[ei]t. eine bessere Stellung und im übrigen solle man  nicht die westlichen Freunde Österreichs strapazieren.“

Kreisky vermerkte über  Steiner :

„Seit seinem Eintritt als Staatssekretär haben die Intrigen gegen die gemeinsame Außenpolitik in hohem Maße zugenommen.“

Ebenso vergeblich wie Steiner hatten auch (der spätere ÖVP-Außenminister) Kurt Waldheim und der damalige Leiter der Politischen Abteilung des Außenministeriums,  Heinrich Haymerle, versucht, Kreisky, wie dieser festhielt,  

„in stundenlangem Gespräch zu überreden, dass wir uns jetzt aus der Affäre ziehen sollten … Andernfalls würde Österreich als ein Störenfried betrachtet werden, und dies wäre uns keineswegs zuträglich“.

Rudolf Moser und Kurt Waldheim
Rudolf Moser (links) mit Außenminister Dr. Kurt Waldheim (rechts)

Mosers vielfältiges und nicht eben einflusslos gebliebenes Wirken  beschränkte sich indes nicht auf die eines Kontaktknüpfers oder Verbindungsmannes zwischen ÖVP und DC. Er betätigte sich auch auf  internationalem  Parkett  und vertrat die ÖVP auf den seit 1947 stattfindenden jährlichen Parteikongressen der DC sowie auf den Jahrestagungen  der „Nouvelles Équipes Internationales“ (NEI), die sich 1965 in  „Union Européenne des Démocrates-Chrétiens“ (EUDC) / „Europäische Union Christlicher Demokraten“ (EUCD) umbenannte. Die von Gegnern als „Schwarze Internationale“ verunglimpfte  EUCD ging  1998 in der Europäischen Volkspartei (EVP) auf.

Josef Klaus beugt sich römischem Druck

Der italophile Moser ist nicht selten als politischer Stichwortgeber auszumachen, wenn es um den Versuch der in Wien Regierenden – insbesondere der von der ÖVP gestellten Bundeskanzler der ersten 25 Nachkriegsjahre – ging, sich des mehr und mehr als lästig empfunden Südtirol-Problems zu entledigen. Dies trifft in Sonderheit auf die „Ära Klaus“ zu. Rudolf  Moser fungierte just in der Südtirol-Causa als dessen enger Berater und wirkte, wie stets zuvor, als graue Eminenz. Die Regierung Klaus ließ sich – von Rom in der von Wien angestrebten  EWG-Assoziierung  massiv unter Druck gesetzt – auf (verfassungs)rechtlich äußerst fragwürdige (bis unerlaubte) Händel ein, so beispielsweise auf die auf sicherheitsdienstlicher Ebene mit italienischen Diensten insgeheim verabredete Weitergabe polizeilicher Informationen über Südtiroler, obwohl dies für politische Fälle unzulässig war. Das Wiener Justizministerium und die für Rechtshilfe zuständigen Institutionen wurden dabei kurzerhand übergangen. Für all dies und einiges mehr gab Klaus, der hinsichtlich der Südtirol-Frage ähnlich dachte wie sein deklarierter Freund Rudolf Moser, allen Forderungen der italienischen Seite bereitwillig nach. Moser hatte alles getan, um im Sommer 1966 ein geheimes Treffen in Predazzo, wohin Klaus im Anschluss an seinen üblichen Urlaub (in Bonassola an der Ligurischen Küste) reiste, mit Aldo Moro zustande zu bringen.

Bundeskanzler Dr. Josef Klaus (ÖVP) zusammen mit dem italienischen Ministerpräsidenten Aldo Moro (DC) 1965 bei einem Treffen in Taormina.

Aus dem Dunkel ans Licht

Mosers konspiratives Wirken endete 1969/70.  Bevor er sich als Pensionist aufs Altenteil in seine Geburtsstadt Wien zurückzog, hinterließ er seine gesamten Aufzeichnungen, Dokumente und Photographien einem Kärntner Nachbarn. Begünstigt von einem glücklichen Zufall war es  Helmut Golowitsch nach langwierigen Recherchen gelungen, an den zeitgeschichtlich wertvollen Fundus zu gelangen, in den zuvor noch nie ein Historiker ein Auge geworfen hatte.

Ergänzt durch Material aus dem im niederösterreichischen Landesarchiv verwahrten Nachlass  Figls sowie durch einige Dokumente aus dem Österreichischen Staatsarchiv und dem Tiroler Landesarchiv hat er ihn umsichtig aufbereitet, ausgewertet und nunmehr in dieser voluminösen Dokumentation publiziert, worin  er die für die Geschehenserhellung brisantesten Notizen Mosers erfreulicherweise faksimiliert wiedergibt. Alle Moser’schen Dokumente hat Golowitsch zudem zu jedermanns Einblick und Nutzung dem Österreichischen Staatsarchiv übergeben. Seiner Publikation, die ein bisher im Dunkel verborgenes wichtiges Kapitel der mitteleuropäischen Nachkriegsgeschichte ins Licht hebt und, wie der Salzburger Historiker Reinhard Rudolf Heinisch zurecht in seinem Vorwort schreibt, „durch dessen Ergebnisse die tragische Geschichte Südtirols nach 1945 in vielen Bereichen umgeschrieben werden muss“, ist weite Verbreitung zu wünschen.

Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhard Olt
Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhard Olt

Der Verfasser dieses Beitrages, der Historiker Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhard Olt, war von 1985 bis 2012 Redakteur und Österreich-Korrespondent der angesehenen „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Er hat etwa 100 wissenschaftliche Publikationen verfasst und lehrt heute an österreichischen und ungarischen Hochschulen. Die Geschichte und das Geschick Südtirols liegen ihm besonders am Herzen. Er ist der Verfasser der reich bebilderten Dokumentation „Standhaft im Gegenwind. Der Südtiroler Schützenbund und sein Wirken für Tirol als Ganzes.“ (Neumarkt a. d. Etsch 2017 (Effekt-Verlag). ISBN 978-88-97053-39-2)

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Das vorliegende Werk von Helmut GolowitschSüdtirol – Opfer für das westliche Bündnis. Wie sich die österreichische Politik ein unliebsames Problem vom Hals schaffte“ sollte in keinem Bücherregal zur Tiroler Geschichte fehlen. Es ist in gebundener Ausgabe im Leopold Stocker Verlag in Graz erschienen, umfasst mit einem Vorwort von Univ.-Prof. Dr. Reinhard R. Heinisch rund 600 Seiten und ist über den Buchhandel mit der IBSN 978-3-7020-1708-8 für 34,80 € erhältlich.

In der Südtiroler Tageszeitung „Dolomiten“ vom 23.8.2017 wurde Golowitschs jüngstes Werk ebenso anerkennend besprochen. (Klicken Sie auf das Bild um ein PDF dieser Buchbesprechung zu öffnen)

Das Buch wird öffentlich vorgestellt:

Buchpräsentation durch den Autor in Linz

mit Lichtbildern
Mittwoch, 20. September 2017
Beginn: 19:00 Uhr
Volkshaus Kleinmünchen, Dauphinestraße 19, 4030 Linz
Medienpartner: Magazin Info-DIREKT

 

Buchpräsentation durch den Autor in Innsbruck

mit Lichtbildern und Podiumsdiskussion von Zeitzeugen
Einführung und Moderation Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhard Olt
Samstag, 23. September 2017
Gasthof Sailer, Saal Tirol, Adamgasse 8, 6020 Innsbruck
Beginn: 19:30 Uhr
Veranstalter: Andreas Hofer Bund Tirol (AHBT)




Einladung zur Buchpräsentation

Neues Buch erschüttert mit aktuellen Enthüllungen zur Preisgabe Südtirols

Buchpräsentation durch den Autor in Linz

mit Lichtbildern
Mittwoch, 20. September 2017
Beginn: 19:00 Uhr
Volkshaus Kleinmünchen, Dauphinestraße 19, 4030 Linz
Medienpartner: Magazin Info-DIREKT

 

Buchpräsentation durch den Autor in Innsbruck

mit Lichtbildern und Podiumsdiskussion von Zeitzeugen
Einführung und Moderation Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhard Olt
Samstag, 23. September 2017
Gasthof Sailer, Saal Tirol, Adamgasse 8, 6020 Innsbruck
Beginn: 19:30 Uhr
Veranstalter: Andreas Hofer Bund Tirol (AHBT)

Nachstehend eine Buchbeschreibung von Gerald Danner

Ein wenig Glück hatte dem Autor Dr. Helmut Golowitsch zur Seite gestanden, als er auf brisantes, bislang unbekanntes Aktenmaterial eines Kärntner Fabrikanten stieß. Der bislang nur am Rande erscheinende, aus Wien stammende und nun im kärntnerischen Sachsenburg tätige Pappefabrikant Rudolf Moser stellt sich nach den neuesten Recherchen als geheimer politischer Unterhändler Österreichs heraus. Genauer gesagt, als Unterhändler der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) mit der italienischen Democrazia Cristiana (DC).

Wie zu Beginn des Buches dargestellt wird, kommt es unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg 1947 zur Herausbildung der „Nouvelles Équipes Internationales“ einer „christdemokratischen Internationalen“, der allgemeine antikommunistische Strömungen in Westeuropa, gefördert durch den Vatikan und die amerikanische CIA, vorausgingen. Eine herausragende Stellung hierbei hatte der DC-Politiker und italienische Ministerpräsident Alcide Degasperi, der sich bei der Durchsetzung der antikommunistischen Strategie durchaus auch altfaschistischer Kräfte bediente.

In ebendieses politische Nachkriegsklima fällt erneut die Südtirolfrage, welche seit der gewaltsamen Annektierung Südtirols durch Italien 1918 ungeklärt ist. Nach dem Zweiten Weltkrieg hoffen die Tiroler südlich des Brenners bei der Neuordnung Europas durch die alliierten Siegermächte berücksichtigt und an ihr Vaterland Österreich zurückgegliedert zu werden. Die großen Südtirol-Kundgebungen des Jahres 1946 in Innsbruck, Salzburg, Linz, Bozen, Brixen, Meran und Wien werden in diesem Buch bildreich festgehalten und ausführlich dokumentiert. Als Bundeskanzler Leopold Figl bei der Großkundgebung in Innsbruck am 22. April 1946 155.000 Südtiroler Unterschriften für eine Rückkehr zu Österreich überreicht werden, ruft dieser der jubelnden Menge zu

Jawohl Mander, es isch Zeit, wir wollen unser Südtirol wieder!

Zu diesem Zeitpunkt ist aber der Unterhändler Rudolf Moser bereits tätig gewesen. Kurze Zeit vorher, am 03. April 1946, hatte sich Moser mit dem italienischen Ministerpräsidenten Alcide Degasperi in Rom getroffen. Es war ein auf hoher Ebene bereits gut vorbereitetes Treffen gewesen.

Als Bundeskanzler Figl (Bild rechts) in Innsbruck die Südtiroler Unterschriften für die Rückkehr Südtirols zu Österreich entgegen nimmt und verkündet „Wir wollen unser Südtirol wieder!“, hat der Geheimunterhändler Rudolf Moser (links im linken Bild) dem italienischen Ministerpräsidenten Degasperi (auf dem linken Bild im Vordergrund) bereits die Bereitschaft der Bundesregierung zum Verzicht auf Südtirol übermittelt.

Wie die im Buch veröffentlichten Dokumente, vor allem die handschriftlichen Notizen des Rudolf Moser, offenbaren, hat die ÖVP-Bundesspitze in Wien den Verbleib Südtirols bei Italien bereits akzeptiert. Moser berichtet:

„Italien und Österreich haben beide christlich-demokratische Führung und die Wirtschaft ist zueinander komplementär. Auch haben wir ideologisch den gleichen Gegner. Sollen wir streiten, ob in Salurn ob am Brenner oder sonstwo die Grenze gezogen wird? Mir kommt vor nach diesem schrecklichen Krieg sollte man hierfür nicht Zeit verlieren wegen trennender Grenzen zu streiten vielmehr gemeinsam überlegen in welcher Weise zum Vorteil beider Partner die Grenzen abgebaut und überwunden werden. De Gasperi wird lebhaft und zeigt sich sehr interessiert von dieser Idee.“

In einem späteren parteiinternen Rundschreiben aus dem Jahre 1975 erinnert sich Moser

Die Ursache der Zwistigkeit? SÜDTIROL. Spontan war die Lösung gefunden worden ‚DIESES GEBIET SOLL DIE BRÜCKE WERDEN!‘ in Worten interpretiert: Kein Streit, kein Gegensatz um Verschiebung der Nordgrenze Italiens, aber eine gemeinsame und einvernehmliche Überwindung derselben.“

Beim Lesen dieser Zeilen wird man an das Hitler-Mussolini-Abkommen aus dem Jahre 1939 erinnert. Auch für Hitler durfte Südtirol kein Stolperstein in der Beziehung zwischen den beiden Achsenmächten sein. Nun aber sollten die politischen Kontakte und Verhandlungen aber auf Parteiebene ÖVP-DC stattfinden. Der Unterhändler Moser erklärt Degasperi gegenüber daher auch,

daß ich lediglich als Privatperson mit ihm gesprochen habe, weiters daß Österreich keine wie immer geartete außenpolitische Aktivität entfalten könne, die Fühlungsnahme sich daher vorläufig nur von Partei zu Partei erstrecken könne.

„In der Folge sollte Moser so gut wie alle einflussreichen Persönlichkeiten der DC kennenlernen und durch Jahrzehnte beste Kontakte mit dieser Führungsebene pflegen“, schreibt der Autor Golowitsch.

Die persönlichen Beziehungen zu den einzelnen Parteifunktionären gestalten sich immer herzlicher und umfangreicher, weshalb ich mich seit Sommer 1946 bemühte, daß führende Funktionäre unserer Partei nach Italien kommen mögen, um den Kontakt aufzunehmen

notiert Moser in einer Denkschrift. Tatsächlich organisiert Moser dann 1952 ein geheimes Treffen zwischen Bundeskanzler Figl und Ministerpräsident Degasperi in seinem eigenen Haus in Sachsenburg in Kärnten. Fotos von der Herzlichkeit dieses Geheimtreffens werden in diesem Buch der Öffentlichkeit vorgelegt.

Moser (links im Bild) begrüßt den italienischen Ministerpräsidenten Degasperi bei dem Geheimtreffen vor seinem Haus in Sachsenburg.

Anschließend finden bei ausgedehnten Spaziergängen vertrauliche Unterredungen zwischen Degasperi und Figl statt.

Wie Golowitsch in dieser Dokumentation darstellt, zieht sich die Tätigkeit des geheimen Unterhändlers Moser nahezu durch die ganze Entstehungsgeschichte der Autonomie Südtirols wie ein roter Faden. 1966 erhält Moser als Vertrauensmann der Democrazia Cristiana sogar Einblick in parteiinterne italienische Verhandlungspositionen, welche er zuhause in Wien Bundeskanzler Klaus „schmackhaft“ machen sollte. In einem Brief an den italienischen Ministerpräsidenten Aldo Moro schreibt Moser gar:

Der persönliche Kontakt zwischen den Verhandlungspartnern darf sich nicht auf Kommissionen beschränken, welche zur Lösung begrenzter Aufgaben nominiert werden. Hingegen ist ein kontinuierlicher und ständiger Kontakt zwischen Vertrauensleuten aller Vertragspartner notwendig; das heißt, Delegierte, welche es verstehen, die freundschaftliche Einigung eher zu treffen, bevor daß ein Mißverständnis oder eine übelwollende Aktion irgend einer gegnerischen Strömung, nationaler oder internationaler Art, die guten Beziehungen schädigen oder stören könnte.

Gemeint waren damit die geheimen Verhandlungen unter Umgehung der Außenministerien beider Staaten.

Der von der Wiener ÖVP-Bundesspitze nicht geliebte österreichische Außenminister Bruno Kreisky (SPÖ) schlägt damals nämlich einen konsequenteren Kurs in der Südtirolpolitik ein, als dies von den christdemokratischen Regierungsmitgliedern Österreichs erwünscht ist. 1960 bringt er zu deren Missfallen das Südtirol-Problem vor die UNO.

In einem ÖVP-internen Rundbrief an Parteifunktionäre bekundet Moser 1967 bezüglich der Folterungen von Südtiroler Häftlingen „daß die Folterungen von Südtiroler Seite maßlos aufgebauscht und übertrieben worden sind“. Und: „Hand aufs Herz! Wer wüßte einen Staat, einen einzigen Kulturstaat der Welt zu nennen, wo von Seiten der Polizei noch niemals Übergriffe oder Mißhandlungen vorgekommen seien.

Auf erschütternde Art und Weise deckt Helmut Golowitsch in seinem neuesten Werk auf, welche Auffassungen von bestimmten ÖVP-Bundespolitikern vertreten wurden und wie sich diese hinter den Kulissen auf die Südtirol-Verhandlungen auswirkten, während der Öffentlichkeit harte Verhandlungspositionen gegenüber Italien vorgegaukelt wurden.

Weiterhin dokumentiert der Verfasser eine geheime italienisch-österreichische Zusammenarbeit auf hoher sicherheitsdienstlicher Ebene vor dem Hintergrund des freundschaftlichen Zusammenwirkens der christdemokratischen Parteien. Ab 1966 fanden in regelmäßigen Abständen im neutralen Zürich geheime Besprechungen zwischen sicherheitsdienstlichen Funktionären beider Staaten statt. Darüber hat auch der Historiker Hubert Speckner in seinem Buch „Von der „Feuernacht“ zur „Porzescharte“ bereits berichtet.

Die Züricher Geheimtreffen sind in geheimen Verschlussakten des österreichischen Innenministeriums sogar mit genauen Wortprotokollen dokumentiert.

Der Autor Golowitsch dokumentiert, dass jene Treffen eindeutig rechtswidrig gewesen waren, da sie eine Umgehung offizieller zwischenstaatlicher Rechtshilfeverfahren darstellten. Gemäß einem österreichischen Rechtshilfeerlass von 1959 war nämlich „in politischen Fällen die Rechtshilfe durch Überlassung von Akten nicht nur ausländischen Justizbehörden gegenüber, sondern grundsätzlich an ‚ausländische Behörden‘ ohne jede Ausnahme ohne Bewilligung des Justizministeriums zu verweigern“. Die österreichischen Vertreter betonten auf diesen geheimen „Antiterrorgipfel“ gegenüber den italienischen Delegierten daher immer wieder, dass „diese (über Südtirol-Freiheitskämpfer ausgetauschten) Informationen nicht zum Anlass einer Verhaftung, Verfolgung oder Befragung einer Person, sondern lediglich zu deren Beobachtung genommen werden dürfen.“ Die Rechtswidrigkeit des Verhaltens der österreichischen Seite durfte nicht öffentlich werden. Oberpolizeitrat Dr. Eduard Obrist von der Sicherheitsdirektion Tirol, welcher bei den geheimen Treffen und dem Austausch von Ermittlungsergebnissen anwesend war, flehte die Italiener geradezu an:

Es muss nur sichergestellt werden, daß die direkten Kontakte nicht offenbar werden. Wir halten das sonst bei der Bevölkerung nicht aus.

Die Dokumentation beschreibt das Geschehen bis zum 25. Juni 1967. An diesem Tag wurden im italienisch-österreichischen Grenzgebiet der Provinz Belluno auf der Porzescharte laut offizieller italienischer Darstellung vier italienischen Soldaten durch von „Südtirol-Terroristen“ gelegte Tretminen tödlich verletzt. (Diese Darstellung hat der österreichische Militärfachmann und Historiker Oberst Dr.  Hubert Speckner in seinem Buch „Von der „Feuernacht“ zur „Porzescharte“ mittlerweile gründlich anhand von Fakten widerlegt.)

Das Geschehen auf der Porzescharte wurde aber von der italienischen Seite zum Anlass genommen, offiziell die Assoziierung Österreichs an die EGW zu blockieren und Wien politisch noch stärker unter Druck zu setzen.

Dieses Geschehen wird jedoch in einem Folgeband der vorliegenden Dokumentation behandelt werden, welcher im Frühjahr 2018 erscheinen soll.

In Rom schätzte man die verdeckte Tätigkeit des Geheimunterhändlers und christdemokratischen Freundes Rudolf Moser sehr. 1976 ernannte der italienische Staatspräsident Rudolf Moser zum „Commendatore“ – zum „Ordensritter“ – und verlieh ihm einen hohen italienischen Orden.

Dr. Helmut Golowitsch, hat sich bereits mit Werken wie „Kapitulation in Paris – Ursachen und Hintergründe des Pariser Vertrags 1946“ (Mitautor Walter Fierlinger), „Ortlerkämpfe 1915-1918“ und der zuletzt in zweiter Auflage erschienenen Dokumentation „Für die Heimat kein Opfer zu schwer – Folter – Tod – Erniedrigung: Südtirol 1961-1969“ als Südtirol-Historiker einen Namen gemacht.

Die hinterlassenen Akten des Geheim-Unterhändlers Rudolf Moser wurden durch den Autor mittlerweile an das österreichische Staatsarchiv zur Übernahme in dessen Bestände übergeben und sind somit der Wissenschaft frei zugänglich.

Das vorliegende Werk von Helmut GolowitschSüdtirol – Opfer für das westliche Bündnis. Wie sich die österreichische Politik ein unliebsames Problem vom Hals schaffte“ sollte in keinem Bücherregal zur Tiroler Geschichte fehlen. Es ist in gebundener Ausgabe im Leopold Stocker Verlag in Graz erschienen, umfasst mit einem Vorwort von Univ.-Prof. Dr. Reinhard R. Heinisch rund 600 Seiten und ist über den Buchhandel mit der IBSN 978-3-7020-1708-8 für 34,80 € erhältlich.




„Standhaft im Gegenwind“

Das ist der Titel eines neuen Buches des Publizisten und Historikers Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhard Michael Olt, welches am 29. April 2017 auf der Bundesversammlung des Südtiroler Schützenbundes der Öffentlichkeit vorgestellt wurde.

Auch die Südtiroler Tageszeitung „Dolomiten“ berichtete darüber:

Reinhard Olt

Eine höchst informative Darstellung der jüngeren Zeitgeschichte Südtirols

Olt hat mit seinem Werk eine Lücke in der Aufarbeitung der jüngeren Zeitgeschichte Südtirols geschlossen. Sein Buch schildert nicht nur die Entwicklung des Südtiroler Schützenwesens, es ist auch eine detaillierte – sich aber nicht in Nebensächlichkeiten verlierende – Darstellung der jüngeren Zeitgeschichte Tirols und liefert eine Fülle von Informationen, die man in zahlreichen anderen Publikationen so nicht vorfindet. Die zeitgeschichtlichen Informationen werden ergänzt durch Bilder, die zum Teil erstmals veröffentlicht werden.

Von den Anfängen zur Gegenwart

Ausgehend von der Schilderung der historischen Ursprünge des Tiroler Schützenwesens und dessen prägenden Beiträgen zur Wehrhaftigkeit, zum Freiheitswillen und somit zur Identität Tirols kommt der Verfasser rasch auf die jüngeren Zeitläufte zu sprechen.

Militärisch trat das Tiroler Schützenwesen letztmals im Jahre 1915 in Erscheinung, als die für den regulären Kriegsdienst zu alten oder zu jungen Freiwilligen in den Reihen der Standschützen Tirol an der Hochgebirgsfront erfolgreich gegen den Überfall des vertragsbrüchigen Königreichs Italien verteidigten.

Die Annexion Südtirols führte zur Auflösung des Schützenwesens und zur Beschlagnahme seines Eigentums durch Italien.

Georg Klotz
Der Schützenmajor und spätere Freiheitskämpfer Georg Klotz

Nach 1945 gelang es Patrioten wie dem unvergesslichen Schützenmajor und späteren Freiheitskämpfer Georg Klotz, das Schützenwesen in Südtirol neu zu beleben. Dies geschah gegen den andauernden Widerstand eines Staates, der zäh sein geistiges faschistisches Erbe verteidigte und den Schützen mit zahlreichen Schikanen und Verboten Steine in den Weg legte.

In Rom war man sich der Bedeutung des Schützenwesens bewusst. Dessen geistiges Erbe war die Bewahrung der Identität, der Freiheit Tirols und das Streben nach Wiedergewinnung der Landeseinheit. Es ging um den Schutz der Heimat. In den Augen der römischen Politiker war dies natürlich Hochverrat. Die Schützen traten für ihre Ziele nun mit geistigen statt militärischen Waffen ein.

Die Reihen der Schützen bildeten sich vorwiegend aus den „kleinen Leuten“ des Landes. Sie waren nicht bestechlich. Sie lebten nicht von der Politik, sondern brachten persönliche Opfer. Ihnen konnte man im Gegensatz zu manchen Parteipolitikern nicht augenzwinkernd politische Gegengeschäfte vorschlagen oder sie durch persönliche Zuwendungen korrumpieren.

Professor Dr. Olt zeichnet nach, wie „Klotz und mutige Gleichgesinnte“ nach der gewaltigen Volkskundgebung von Sigmundskron von 1957 den „Südtiroler Schützenbund“ (SSB) ins Leben riefen. Dabei stand ihnen die damalige Sammelpartei aller Südtiroler, die „Südtiroler Volkspartei“ (SVP) zur Seite. Der Landeshauptmann Dr. Alois Pupp wurde erster Landeskommandant.

Das Freiheitsstreben des Landes sichtbar gemacht

Das Freiheitsstreben des südlichen Tirols wurde der ganzen Welt vor Augen geführt, als die Schützen auf dem großen Landesfestumzug von 1959 in Innsbruck nicht nur der Taten Andreas Hofers und seiner Mitstreiter vor 150 Jahren gedachten, sondern eine riesige schmiedeeiserne Dornenkrone unter begeisterter Zustimmung der Bevölkerung durch die Straßen Innsbrucks trugen. Die Dornenkrone drückte den Schmerz über die Landesteilung aus – und die Bevölkerung verstand dies sehr gut.

Dornenkrone
Die Dornenkrone von 1959

In Rom reagierte man wie zu Mussolinis Zeiten mit Ausrückungsverboten, Versammlungsverboten, Verbot der Schützentrachten, Fahnenverboten und allen sonst erdenkbaren Schikanen.

Der „Südtiroler Schützenbund“ (SSB) musste seine Tätigkeit einstellen. Diese Maßnahmen waren aber nur Teil einer viel größeren Repression, welche die gesamte deutsche und ladinische Bevölkerung Südtirols traf und zu einer unhaltbaren Situation führte, die sich zunächst in einzelnen Anschlägen und schließlich 1961 dann in der „Feuernacht“ des Freiheitskampfes entlud.

Persönliche Opfer

Luis Amplatz
Luis Amplatz wurde von einem Agenten im Auftrag des italienischen Staates ermordet

Zahlreiche Schützen wurden verhaftet, von den Carabinieri schwer gefoltert und gingen für viele Jahre ins Gefängnis. An den Folgen der erlittenen Folter starb der Schütze Franz Höfler. Der Schütze Luis Amplatz wurde im Auftrag der italienischen Polizei von einem Agenten heimtückisch im Schlaf ermordet, während der Schütze Georg Klotz sich schwer verletzt retten konnte.

Die Zeit des Freiheitskampfes war auch die Zeit der Unterdrückung des Schützenwesens im südlichen Tirol. Erst ab 1967 konnte der „Südtiroler Schützenbund“ wieder in Erscheinung treten und tat dies in alter Grundsatztreue.

Lösen aus Bevormundung

 Der zeitgeschichtliche Berichterstatter Prof. Dr. Olt schildert, wie die Schützen sich aus der Vormundschaft der SVP befreiten, als die Partei sich immer mehr zur Erfüllungspolitik gegenüber Rom bereitfand. Die Schützen indes waren nicht bereit, in ihrer Montur lediglich als farbenprächtiger Aufputz für Parteiveranstaltungen zu dienen. So kam es zu einer allmählichen Loslösung von der SVP.

Verfolgung durch die Staatsmacht

1987 demonstrierte ein überparteiliches Komitee, dem sowohl einige SVP-Funktionäre als auch Schützen angehörten, in Wien anlässlich der internationalen KSZE-Konferenz für das Selbstbestimmungsrecht der Südtiroler.

Die italienische Justiz packte daraufhin den immer noch in Geltung befindlichen faschistischen Repressionsparagraphen 269 des Strafgesetzbuches („Staatsfeindliche Tätigkeit im Ausland“) aus der Mottenkiste der Geschichte und ließ die Demonstrationsteilnehmer verhaften.

Die Spitze der „Südtiroler Volkspartei“ (SVP) verhielt sich ebenso wie die österreichische Regierungspartei ÖVP mehr als zurückhaltend, um in Rom nicht unliebsam anzuecken.

Letztendlich musste das skandalöse Verfahren nach dem alten Faschistenparagraphen, welches mittlerweile in ganz Europa Aufmerksamkeit erregt hatte, wieder eingestellt werden.

Die Schützen hatten sich die Schneid nicht abkaufen lassen. Im Frühjahr 1991 demonstrierten sie in Bozen für die Entfernung des faschistischen „Siegesdenkmals“ und ließen sich weder durch Anpöbelungen junger italienischen Neofaschisten, noch durch Strafbescheide der italienischen Justiz beeindrucken.

Auch auf dem Alpenregionsfest in Matrei bekräftigten die Schützen ihre Botschaft.

Fernsehübertragungen machten die Tatsache des Weiterbestehens faschistischer Denkmäler in Südtirol in ganz Europa bekannt.

Die Schützen standen und stehen zu ihren Überzeugungen

Am 15. September 1991 fand auf den Wiesen oberhalb des Brennerpasses, welcher das Land Tirol bis heute teilt, eine von der SVP-Spitze abgelehnte Großkundgebung unter der Devise „Nachdenken über Tirol“ statt. Viele tausende Schützen aus allen Landesteilen bekundeten ihr Eintreten für die Selbstbestimmung.

Prof. Dr. Olt schildert in seinem reich bebilderten Werk auch weitere Initiativen der Schützen und öffentliche Kundgebungen, die wiederum Gerichtsverfahren unter Verwendung alter faschistischer Repressionsparagraphen nach sich zogen.

Die Schützen ließen und lassen sich von solchen Schikanen nicht abschrecken. Sie demonstrieren gegen das Weiterleben des Faschismus in Südtirol, gegen die Faschistendenkmäler und fordern öffentlich die Abschaffung der erfundenen faschistischen Ortsnamen

Doppelspiel der Politiker

Die akribische Zeitgeschichtsschreibung Olts fördert zutage, wie die Bestrebungen der Schützen von einigen Politikern südlich wie nördlich des Brenners auf der öffentlichen Bühne vor den Kulissen lauthals gelobt und hinter den Kulissen hintertrieben und sabotiert wurden.

Deutlich wurde diese Taktik, als im Jänner 2006 die Landeskommandanten der Südtiroler wie der Nordtiroler Schützen dem österreichischen Nationalratspräsidenten Andreas Khol (ÖVP) eine Petition überreichten. In dieser wurde erbeten, dass die Republik Österreich einen Passus in ihre Verfassung aufnehme, in welchem das Bekenntnis Österreichs zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechts für die Südtiroler festgeschrieben werden sollte.

Das Bedeutsame an der Petition: 113 von insgesamt 116 Südtiroler Bürgermeistern sowie zahlreiche Amtskollegen aus Nord- und Osttirol hatten dieses Begehren mit ihrer Unterschrift bekräftigt.

 

 

 

Andreas Kohl

 

Berichterstattung in den „Dolomiten“ vom 24. Jänner 2006

Der Zeithistoriker Olt schildert im Detail, wie diese Resolution von einigen ranghohen Politikern zunächst vor der Presse laut gelobt, dann aber im Verborgenen sabotiert und letztlich mithilfe eines Geschäftsordnungstricks nicht einmal im Österreichischen Nationalrat behandelt wurde. In ähnlicher Weise wurde mit der Forderung verfahren, die Schutzmachtfunktion Österreichs in der Bundesverfassung zu verankern.

Virtuelle „Landeseinheit“ in den Köpfen statt tatsächlicher Landeseinheit

Das Bestreben, nur ja keine Verstimmung in die Beziehungen zu Rom einfließen zu lassen, führte in der Folge zu seltsamen Selbstdarstellungen von Politikern.  Politiker wie Andreas Khol verkündeten und verkünden bis heute unverdrossen, dass die „Landeseinheit“ in der EU bereits erreicht sei. Es gehe nur noch darum, die Grenzen in den „Köpfen und Herzen“ zu beseitigen.

Die Tatsache, dass die italienische Staatsmacht auch nach der Petition der Schützen und Bürgermeister wiederum auf einschüchternde Weise strafrechtlich ermitteln ließ, zeigt die Lächerlichkeit des Versuchs auf, die reale Landesteilung zu leugnen.

Die Schützen widerstehen dem Gegenwind

Eine Politik dauernder Willfährigkeit gegenüber Rom hat in Südtirol zu katastrophalen Ergebnissen geführt. Die einstmals durch ihre Geschlossenheit starke Sammelpartei SVP ist heute geschwächt und hat den Anspruch auf die Gesamtvertretung der Volksgruppe verloren.

Längst schon tritt diese Partei nicht mehr für die Selbstbestimmung Südtirols ein und hat damit ihren Gründungsauftrag aufgegeben.

Prof. Dr. Olt schildert in seinem packend geschriebenen und mit zahlreichen Zeitdokumenten ausgestatteten Werk, wie der Südtiroler Schützenbund durch zahlreiche Auftritte und Aktionen die Forderung des „Los von Rom“ nicht verstummen lässt. Sowohl die Teilnehmerzahlen als auch das publizistische Echo bewirken, dass das Verlangen nach Loslösung von Italien im öffentlichen Raum ein Diskussionsthema bleibt. Meinungsumfragen haben mehrfach bekräftigt, dass im Falle einer Volksabstimmung diese wohl nicht zugunsten Roms ausgehen dürfte.

Prof. Dr. Olt, der als Korrespondent der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ viele Jahre hindurch die Entwicklung in Südtirol vor Ort beobachtet und darüber berichtet hat, entrollt vor dem Leser ein spannendes Szenarium von höchster Aktualität. Wer dieses Buch gelesen hat, kann die jüngsten politischen Entwicklungen in Südtirol besser verstehen. Es ist auch ein tröstliches Buch, denn es berichtet vom Mut und von der Zuversicht unserer Landsleute im von nicht wenigen für besetzt erachteten Süden.

Die Schützen widerstehen dem Gegenwind. Sie widerstehen Schikanen und Verfolgung, und sie lassen sich durch das Versagen eigener Politiker nicht entmutigen.

Das letzte Wort ist in Bezug auf die Zukunft dieses Landes noch nicht gesprochen. Vor allem auch dank der Schützen!

Das vorliegende Buch des Zeithistorikers Prof. Dr. Olt ist eine fesselnde Darstellung der jüngeren Geschichte des geteilten Landes Tirol und eine wahrhafte Fundgrube an Informationen, die aus der Zeitgeschichtsschreibung und aus der politischen Publizistik bisher ausgeblendet wurden.

Bibliographische Angaben:

Buch: Standhaft im GegenwindReinhard Olt:
Standhaft im Gegenwind – Der Südtiroler Schützenbund und sein Wirken für Tirol als Ganzes“

Verlag Effekt GmbH
Neumarkt a.d. Etsch 2017

364 Seiten, Format 260×235 mm; Hardcover, illustriert; 25.- Euro

 ISBN 978-88-97053-39-2 




Antiösterreichische Kampf-Hymne als Grundlage der Identität des italienischen Staates

Auslöser der öffentlichen Diskussion: Südtirols Schützen verweigerten Strammstehen und Salutschießen unter Abspielung der „Mameli-Hymne“

Die Südtiroler Schützen haben durch ihr konsequentes Verhalten einer breiten Öffentlichkeit in Süd- und Nordtirol in Erinnerung gerufen, dass sich das Bewusstsein der politischen Identität Italiens bis heute von der Feindschaft gegen Österreich herleitet.

Am 11. Juni 2017 kamen der italienische Staatspräsident Sergio Mattarella und der österreichische Staatspräsident Alexander van der Bellen nach Bozen, um dort die vor 25 Jahren gegenüber den Vereinten Nationen abgegebenen österreichisch-italienischen Streitbeilegungserklärungen öffentlich zu beweihräuchern.

Der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher hatte den Südtiroler Schützenbund gebeten, die beiden Präsidenten mit einem „landesüblichen Empfang“ durch Salutschüsse zu ehren. Der Schützenbund hatte zugesagt, da vereinbart wurde, dass dazu die Landeshymne und die Europahymne abgespielt werden sollten.

Landeskommandant Elmar Thaler
Landeskommandant Elmar Thaler

Als der wie immer Rom sehr ergebene Landeshauptmann Kompatscher plötzlich darauf beharrte, dass der ehrenvolle Empfang unter Abspielung der italienische „Mameli Hymne“ erfolgen müsse, zog der Schützenbund angesichts des besonderen Charakters dieser Hymne seine Zusage zurück.

Der Landeskommandant Elmar Thaler begründete dies so:

„Wenn wir nun aber, anders als in den Verhandlungen in Aussicht gestellt, zu einer Hymne strammstehen müssen, welche das österreichische Vaterland beleidigt, dann ziehen wir uns dankend zurück.“

Der Empfang fand dann ohne die Schützen, ohne Ehrensalve und ohne Strammstehen zu einer antiösterreichischen Kampfhymne statt.

Die Entscheidung der Schützen erregte auch in Nordtirol große Aufmerksamkeit, wie aus der Berichterstattung der „Tiroler Tageszeitung“ hervorging.

In der Presse und in der Öffentlichkeit gab es in ganz Tirol eine ausführliche Diskussion, welche deutlich machte, worin die führenden politischen Kräfte Italiens bis heute die Identität ihres Staates begründet sehen.

In der nachstehenden Dokumentation kann sich der geneigte Leser darüber näher informieren:

„Fratelli d’Italia“ – die nichtoffizielle „Nationalhymne“ Italiens

Im Ersten Weltkrieg wurden Text und Noten der antiösterreichischen Mameli-Hymne per Postkarten unter den italienischen Frontsoldaten verteilt.

Diese Postkarte aus der Zeit des Ersten Weltkriegs zeigt einen heldenhaften Jüngling, der seine Ketten zerrissen hat und die Tricolore hoch hält. Er symbolisiert das „befreite“ Italien. Er tötet das scheußliche Reptil Österreich, welches die Züge des Kaisers Franz Josef trägt. Die Darstellung verkörpert den gleichen Geist wie die „Mameli-Hymne“.

Freimaurerlied und antiösterreichischer Kampfgesang

Goffredo Mameli – Freimaurer und Revolutionär gegen das katholische Österreich

Bei dem Lied „Fratelli d’Italia“ („Brüder Italiens“), auch bekannt als „Inno di Mameli“ (Hymne des Mameli“), handelt es sich um ein aus der Zeit des „Risorgimento“ im 19. Jahrhundert stammendes antiösterreichisches Gedicht, welches die „Fratelli d’Italia“ (die „Brüder Italiens“) in ziemlich blutrünstiger Weise zum Kampf gegen Österreich aufruft. Es war von einem jungen intellektuellen nationalistischen Schwärmer, dem aus dem sardinischen Adelsgeschlecht „Mameli dei Mannelli“ stammenden Goffredo Mameli gedichtet worden.

Mit den in der Hymne genannten „Fratelli D’Italia“ sind vor allem die Freimaurer gemeint, welche großen Anteil an der italienischen Einigungsbewegung hatten und in der Folge den Staat bis über die Zeit des Faschismus hinaus beherrschen sollten.

Der Kampf der Freimaurer und der von ihnen beherrschten Bewegung des „Risorgimento“ zielte auf die Einigung Italiens und die Schaffung eines laizistischen Staates ab, welcher vom italienischen Nationalismus und den freimaurerischen Ideen getragen sein sollte. Der große Feind war das mit dem Papsttum verbundene katholische Österreich.

Goffredo Mameli war selbst Freimaurer. Nach ihm ist seit 1893 eine römische Großloge des Großorients von Italien benannt. Das Manuskript seines Kampfliedes „Fratelli d’Italia“ ist in dem 2013 eröffneten Freimaurermuseum in Rom im Palazzo Vitelleschi, dem Sitz der Großloge von Italien, ausgestellt.

Keine offizielle Staatshymne

Der antiösterreichische Mameli-Kampfgesang wird heute von der Republik Italien ohne gesetzliche Grundlage als Staatshymne benützt.

Dazu hat Roland Lang, der Obmann des „Südtiroler Heimatbundes“, bereits am 16. März 2012 eine aufschlussreiche Presseerklärung abgegeben:

Bis heute nie Staatshymne gewesen – Degasperi wollte Vatikan nicht vor den Kopf stoßen. Der blutrünstige Text dieses 1847 gedichteten Kriegsliedes gegen Österreich ist nur zeitbezogen aus der damaligen Kampfbegeisterung seines Dichters Goffredo Mameli erklärbar. Der schwülstige Kampfgesang ist in Wahrheit nie italienische Staatshymne gewesen und ist es bis heute nicht.

Während der Zeit der italienischen Monarchie war der „Königliche Marsch“ („Marcia Reale“) offizielle Staatshymne.

Während des Ersten Weltkrieges wurden Text und Melodie des auch „Inno di Mameli“ („Hymne des Mameli“) genannten Kampfliedes „Fratelli d’Italia“ in Druckschriften und Propagandapostkarten an der Front verbreitet, um den Hass gegen Österreich zu schüren. Zur offiziellen Hymne wurde der Kampfgesang aber auch damals nicht.

Am 12. Oktober 1946 beschloss der italienische Ministerrat, dass die Vereidigung der Truppen des neuen republikanischen Italien am 4. November, dem Tag des „Sieges“ Italiens über Österreich-Ungarn unter den Klängen des „Inno di Mameli“ stattfinden solle. Außerdem solle ein Gesetzesdekret vorbereitet werden, um dieses Lied in den Rang einer Staatshymne zu erheben.

Dazu kam es nie. Historiker vermuten, dass Ministerpräsident Degasperi den Vatikan nicht mit den unverhohlenen freimaurerischen Anklängen des Textes vor den Kopf stoßen wollte.“

Einführung der Freimaurer-Hymne durch die Hintertür

Im Jahr 2012 führte Rom angesichts des Widerstandes katholischer Kreise das antiösterreichische Freimaurer-Kampflied mit einem Trick durch die Hintertür als „Nationalhymne“ ein.

Die Südtiroler Tageszeitung „Dolomiten“ hatte das damals bereits im Vorfeld für nicht sehr lustig gehalten und am 7. März 2012 den antiösterreichischen Text des Freimaurer-Kampfliedes veröffentlicht und einen eindeutigen Kommentar dazu abgegeben.

Der Protest der Südtiroler Volkspartei (SVP)

Das Vorhaben Roms stieß nicht nur auf den lautstarken Widerspruch der Südtiroler Oppositionsparteien, sondern löste auch scharfen Protest der Südtiroler Volkspartei (SVP) aus. Darüber berichteten die „Dolomiten“ am 7. März 2012:

Das Echo in Österreich

In Südtirol gingen die Wogen hoch, sie erreichten auch Österreich, wo die „Kronen-Zeitung“ am 25. März 2012 ganz Österreich mit dem Thema der antiösterreichischen „Hymne“ konfrontierte.

Südtiroler Landtagsbeschluss gegen das Freimaurer-Kampflied

Am 6. Juni 2012 nahm der Südtiroler Landtag mit breiter Mehrheit einschließlich der Stimmen der SVP einen Beschlussantrag der Landtagsabgeordneten Sven Knoll und Eva Klotz („Süd-Tiroler Freiheit“) an, mit welchem sich der Süd-Tiroler Landtag gegen die verpflichtende Einführung des Unterrichtes des Mameli- Liedes an den Süd-Tiroler Schulen aussprach und das Parlament in Rom aufforderte, die deutschen und ladinischen Schulen Südtirols von den Hymnen-Bestimmungen ganz auszunehmen.

Die Beschlussfassung im römischen Parlament: Einführung durch die Hintertür

Im römischen Parlament fand sich jedoch trotz des heftigen Widerstandes der SVP und der Lega Nord eine Mehrheit für die Aufwertung des Gewalt verherrlichenden Freimaurer-Kampfgesanges zur faktisch existierenden „Nationalhymne“. Das Staatsgesetz Nr. 222 vom 23. November 2012 erklärte zwar den „Inno di Mameli“ nicht zur gesetzlich beschlossenen Staatshymne, verordnete aber, dass in Hinkunft im Schulunterricht das Wissen über die italienische Einigungsbewegung „Risorgimento“ („Wiederauferstehung“) sowie über das „Inno di Mameli“ vertieft werden solle.

Damit war der antiösterreichische Freimaurergesang zwar nicht zur gesetzlich abgesegneten Nationalhymne erhoben, die Vertiefung ihrer Kenntnis Schulunterricht jedoch festgelegt worden.

Schlagzeile in der „Neuen Südtiroler Tagezeitung“ vom 9. November 2012

Nun fand die „Hymne“ auch Eingang in die deutschsprachigen Schulbücher.

Seltsames Schweigen des Südtiroler Landeshauptmannes und der Südtiroler Volkspartei (SVP)

Im August 2016 unternahm ausgerechnet der „Partito Democratico“ (PD), der Koalitionspartner der SVP in der Südtiroler Landesregierung, einen neuerlichen Vorstoß und reichte einen Vorschlag bei der Verfassungskommission der römischen Abgeordnetenkammer ein: Das antösterreichische Mameli-Kampflied solle per Gesetz zur offiziellen italienischen Nationalhymne erklärt werden.

Roland Lang, Obmann des „Südtiroler Heimabundes“, gab dazu eine Presseerklärung ab, in welcher es hieß:

„Hätte die Demokratische Partei nur einen Hauch eines demokratischen Grundverständnisses, würde sie dieses Lied keineswegs zur italienischen Hymne per Gesetz festschreiben wollen, denn der Text ist alles andere als demokratisch.

Ist es nur ein Zufall, dass in zwei Jahren der „Sieg“ Italiens gefeiert wird und dass wir Südtiroler gegen unseren Willen als „Kriegsbeute“ einem fremdnationalen Staat zugeschanzt wurden?

Werden wir die notwendige Zivilcourage aufbringen, um Italien zu erklären, dass wir Südtiroler keine Brüder Italiens (Fratelli d`Italia) sind, sondern einer anderen, der österreichischen Familie, angehören?“

Das letzte Wort ist in Hinblick auf die Bestrebungen, die Mameli-„Hymne“ gesetzlich zur offiziellen italienischen Staatshymne zu erklären, noch nicht gesprochen.

Seltsam ist jedoch, dass der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher und seine Partei, die SVP, ihren Koalitionspartner PD nicht laut und deutlich zur Ordnung rufen.

Man müsste eigentlich erwarten, dass die SVP den PD dazu auffordert, den Antrag zurückzuziehen und dass sie dies zur Bedingung für die Weiterführung der Koalition macht.

Stattdessen herrscht auf Seite der SVP nur Schweigen.

Kompatscher scheint völlig vergessen zu haben, dass seine Partei vor seiner Amtsübernahme sich vehement gegen das Mameli-Kampflied geäußert hat.

LH Kompatscher will in dieser Frage offenbar in Rom nicht anecken. Das scheint jene Kritiker zu bestätigen, die ihn für einen allzu ergebenen Diener Roms halten.




Die italienischen Geheimdienste und die „Strategie der Spannung“

Neuere zeitgeschichtliche Veröffentlichungen haben sensationelle Enthüllungen über die provokatorische Rolle italienischer Geheimdienste in den 1960er Jahren gebracht.

Zu dem lange Zeit als mysteriös betrachteten Geschehen auf der Porze-Scharte im Jahre 1967 hat Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhard Olt nachstehende Untersuchung zur Verfügung gestellt. Der Autor lehrt an der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Eötvös-Loránd-Universität (ELTE) in Budapest

 Italienische Manipulationen

50 Jahre nach dem Vorfall auf der Porzescharte wäre es höchst an der Zeit, dass Österreich für die völlige Rehabilitierung der damals zu Unrecht Verurteilten sorgte

 Von Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhard Olt

Reinhard Olt
Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhard Olt

Am Abend des 24. Juni 1967 steigen der Arzt Dr. Erhard Hartung, der Elektrotechniker  Peter Kienesberger und der Unteroffizier des österreichischen Bundesheeres Egon Kufner auf zur Porzescharte.  Der als unbewacht geltende Grenzkamm zwischen dem Osttiroler Bezirk Lienz und der italienischen Provinz Belluno wurde seinerzeit von Kämpfern des Befreiungsausschusses Südtirol (BAS) als Nachschub- und Fluchtweg benutzt.

Kienesberger, der Anführer der Gruppe, war, wie die drei später aussagten, kurzfristig davon verständigt worden, dass auf der Porzescharte  ein verwundeter BAS-Aktivist zur Weiterbehandlung in Österreich übernommen werden müsse. Daher nähern sie sich bis auf eine ungefähre Gehzeit von einer halben Stunde dem Grenzgebirgsübergang zwischen Österreich und Italien. In einer geschützten Mulde lässt Kienesberger seine Kameraden zurück und tastet sich noch ein Stück Wegs weiter nach oben, um , wie üblich, Funkkontakt mit den am Grat vermuteten wartenden Südtirolern aufzunehmen. Doch Antworten auf Funksignale bleiben aus, stattdessen gewahrt er oben kurz aufscheinendes Licht von einer Taschenlampe oder einem Feuerzeug und vernimmt Geräusche sowie Stimmen. Dies kommt ihm ungewöhnlich vor, denn Südtiroler Kameraden hatten sich stets lautlos verhalten und kein Licht gebraucht, weshalb Kienesberger der Sache misstraut, sie abbricht und mit seinen Kameraden in die Ortschaft Obertilliach zurückkehrt. Dort besteigt die Gruppe eine Stunde nach Mitternacht, mithin am 25. Juni,  jenen von dem Studenten Christian Genck chauffierten VW Käfer, mit dem sie  gekommen waren.

Just am  25. Juni sollen – so die offizielle und letztlich für die Gruppe verhängnisvolle italienische Darstellung – auf besagter Porzescharte (ital. Benennung „Cima Vallona“) vier italienische Soldaten zu Tode gekommen und einer verletzt worden sein. Aufgeschreckt von einer nächtlichen Detonation seien sie  zum Grenzübergang geeilt, wo – wie ein Jahr zuvor – ein Strommast gesprengt worden war. Einer der Männer, der Alpini-Soldat Armando Piva, war  diesen Angaben zufolge durch die Detonation einer vergrabenen Sprengfalle schwer verletzt worden und noch am selben Tag gestorben. Angehörigen einer eingeflogenen Spezialeinheit sei dasselbe passiert: Carabinieri-Hauptmann Francesco Gentile und die Fallschirmjäger Mario di Lecce und Olivo Dordi hätten eine zweite Sprengfalle ausgelöst: Dabei seien sie getötet sowie ihr Kamerad Marcello Fagnani, ein vierter Angehöriger des Kommandos,  schwer verwundet worden.

Die italienische Presse nahm von Anfang an die offizielle Version als gegeben hin, wonach die Toten auf der Porzescharte Opfer eines mörderischen Anschlags von „Terroristen“ gewesen seien.

Freispruch in Österreich, lebenslang in Italien

Des von Politik, Sicherheitsbehörden und Militär in Italien und Österreich sowie in Medien beider Länder und darüber hinaus so genannten „blutigsten Attentats des Südtirol-Terrorismus“ werden daraufhin  der im Zusammenhang mit früheren BAS-Aktionen namhafte  Kienesberger, der bis dahin unauffällige  Dr. Hartung sowie  Kufner bezichtigt, (in Österreich) inhaftiert und schließlich sowohl in Österreich, als auch in Italien angeklagt. In Florenz lautet das Urteil für Kienesberger und Hartung lebenslänglich, Kufner soll für 24 Jahre hinter Gitter.  Die drei  waren durch „Geständnisse“ belastet worden, welche zwei im Keller der Carabinieri-Kaserne in der Bozner Drusus-Straße gefolterte österreichische BAS-Aktivisten unterzeichnet hatten.

Die „Behandlungen“ durch mehrere Folterer und in  mehrtägiger Dunkelhaft – über einen Tisch gespannt und mit brutalen Schlägen auf die Genitalien  sowie der Drohung der „Erschießung auf der Flucht“ gefügig gemacht, um nur weniges aus dem „Werkzeugkasten“ der besonders bei Südtirolern angewandten „Cautio criminalis“ –  ließen sie Protokolle unterschreiben, welche der berüchtigte Bozner Untersuchungsrichter Mario Martin, den nicht nur der Schriftsteller Rolf Hochhuth sowie der Strafrechtler Ingo Müller oder der Kriminologe Arthur Kreuzer einen „furchtbaren Juristen“ nennen würden, zu deren Anklage verwendete; zudem waren sie im Verfahren zu Florenz von Bedeutung(Erschütternd ein Zeitzeugenbericht hier und hier.)

Die florentinischen Urteilssprüche ergingen in Abwesenheit der Angeklagten und fußten auf Gesetzen aus der Zeit des italienischen Faschismus. Aufgrund späterer  Erkenntnisse/Urteile österreichischer und deutscher Höchstgerichte verstieß das Verfahren in Florenz vor allem dadurch, dass die Angeklagten nicht zur Hauptverhandlung geladen wurden und ihnen weder die Anklageschrift noch das Urteil zugestellt worden war, gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK).

In Österreich hingegen wurden die Drei freigesprochen. Der  Freispruch war – wider gewisse justizielle Bemühungen, welche heute weithin als konstruiert, politisch beeinflusst und zudem auf fingierten italienischen „Beweismitteln“ beruhend gelten dürfen, die Täter mittels Schuldnachweis zu überführen – letztlich auf ein mittels Sachverständigengutachten  untermauertes Hauptargument der Verteidigung zurückzuführen.

Dieses förderte zutage, dass die den Dreien zur Last gelegten Taten im mehrfach bezeugten Zeitrahmen nicht zu bewerkstelligen war, wofür die Anwälte  das gutachterliche Weg-Zeit-Diagramm ins Feld führen konnten.  Ein weiteres von der Staatsanwaltschaft auf dem Einspruchswege in Gang gesetztes Gerichtsverfahren ließ der österreichische Bundespräsident Dr. Rudolf Kirchschläger 1975 endgültig einstellen.

Kufner, Hartung und Kienesberger auf der Anklagebank im österreichischen Porze-Prozess.

Neue Forschungsergebnisse stellen vieles in Frage

Die italienische Verurteilung vom 15. Mai 1970 ist indes  nach wie vor in Kraft; Würden Hartung und Kufner nach Italien reisen – Kienesberger ist am 14. Juli 2015 verstorben – müssten sie mit Verhaftung rechnen. Sie gelten nach wie vor als „Terroristen“, „Attentäter“, „Mörder“ – nicht allein im Stiefelstaat und dessen (zumindest unter rechtshistorischem Aspekt) fragwürdiger Justiz, sondern auch weithin in der Publizistik und, was ebenso schlimm ist,  in der wissenschaftlichen Südtirol-Geschichtsschreibung. Die  vor vier Jahren publizierten akribischen Forschungsergebnisse des österreichischen Militärhistorikers Hubert Speckner („Zwischen Porze und Roßkarspitz…“ Der „Vorfall“ vom 25. Juni 1967 in den österreichischen sicherheitsdienstlichen Akten; Wien, Verlag Gra&Wis, 2013 ) zur Causa  vermochten daran wenig zu ändern.

In dieser Dokumentation wies der Historiker Oberst Mag. Dr. Hubert Speckner anhand der Aktenlage akribisch nach, dass die Ereignisse auf der Porzescharte nicht so stattgefunden hatten, wie es von italienischer Seite behauptet wurde und dass die von Italien Beschuldigten nicht die „Täter“ gewesen sein konnten.

Zu hoffen ist, dass  seine jüngst erschienene, großformatige Publikation (Von der „Feuernacht“ zur „Porzescharte“. Das „Südtirolproblem“ der 1960er Jahre in den österreichischen sicherheitsdienstlichen Akten; Wien, Verlag

In dieser weiteren Dokumentation untersuchte der Historiker Speckner eine Reihe angeblicher „Attentate“ Südtiroler „Terroristen“, welche sich in Wahrheit als Anschläge geheimdienstlicher Provokateure oder italienischer Neofaschisten herausstellten.

Gra&Wis, 2016), in welcher Speckner auf nahezu 800 Seiten anhand zahlreicher damaliger Geschehnisse offenlegt, wie Italien (nicht nur) während der „Bombenjahre“ in Südtirol manipulierte und täuschte, das zeitgeschichtliche Bild endlich zu revidieren vermag.  Seine Erkenntnisse, Ertrag  langjähriger umsichtiger und disziplinierter Quellenstudien im Österreichischen Staatsarchiv/Archiv der Republik – Auswertung von  der breiteren Öffentlichkeit nicht zugänglichen Beständen der Staatspolizei (StaPo) und der Justiz sowie von einschlägigen Dokumentationen des Entschärfungsdienstes des Innenministeriums sowie von „streng geheimen“ Beständen des Verteidigungsministeriums über den Einsatz des Bundesheeres an der Grenze zu Italien anno 1967 –  unter Einbeziehung neuerlicher Expertisen von Spreng(mittel)sachverständigen und mehrerer militärfachlicher Erkundungen des Geländes rund um die Porzescharte, zeigen nämlich klipp und klar, dass die amtliche italienische Darstellung von einst nie und nimmer der Wahrheit entspricht.

Justitielle Fernwirkung

Es wäre daher an der Zeit, von Wien, Innsbruck und Bozen aus alles zu unternehmen, um Rom dazu zu bewegen, besagtes florentinisches Fehlurteil, das eines Rechtsstaats(anspruchs) unwürdig ist,  zu annullieren.  Zumal da es  jüngst  in einer anderen Causa  just ad personam Hartung ganz offensichtlich auf eine höchst zweifelhafte mehrinstanzliche justitielle Entscheidungen zwischen Bozen, Trient und Rom seine negative zeitliche Fernwirkung entfaltete. Wie das? Die von der in Australien lebenden Österreicherin Dr. Helga Christian gegründete „Laurin-Stiftung“ greift seit Jahren in Nöten befindlichen Personen, Verein(igung)en und Verbänden Südtirols ideell und finanziell unter die Arme, was gewissen Politikern, politisch-korrekten Journalisten und den Interessen der römischen Staatsmacht vorauseilend willfahrenden Justizbeamten im „Alto Adige“ ein Dorn im Auge war und ist.  Weshalb (der vermeintliche „Porze-Attentäter“) Hartung,  Kuratoriumsmitglied der Stiftung, unlängst wiederum in Italien zu einer sechsmonatige Haftstrafe verurteilt worden ist, wohin ihn Österreich indes immerhin nicht ausliefert.

Was gegen Italiens Darstellung spricht

Im Rückblick auf die Geschehnisse von vor nunmehr 50 Jahren ist es Speckners Forschungsergebnissen zufolge höchst zweifelhaft, ob seinerzeit die vier „Attentatsopfer“ überhaupt auf der Porzescharte zu Tode gekommen waren. Weder die österreichische noch die italienische Seite legte in den in Österreich stattgehabten Gerichtsverfahren Totenscheine, Obduktionsbefunde oder eine amtliche Tatortbeschreibung vor.

Innenminister Dr. Franz Hetzenauer  (ÖVP) und Dr. Stocker von der Sicherheitsdirektion Tirol (Fernschreiben  an das Innenministerium vom 28.06 1967),  sowie der Osttiroler Bezirkshauptmann Dr. Othmar Doblander ( Bericht  vom 27.06.1967), die unmittelbar nach der italienischen Geschehensmeldung  unabhängig voneinander den Tatort besichtigten und dort nichts gewahrten, was nach Tod und Verderben aussah, wurden nicht zu den 1968 beginnenden mehrinstanzlichen Prozessen geladen und ihre Berichte offensichtlich bewusst zurückgehalten.

Diese belegen, dass der angebliche Tatort ungesichert war und anders aussah, als ihn die eingesetzte italienisch-österreichische „Untersuchungskommission“ vorfand, die ihn erst nach zehn Tagen (sic!) in Augenschein nahm.  Was den (parteifreien) damaligen österreichischen Justizminister Prof. Dr. Hans Richard Klecatsky († 23. 04. 2015) davon überzeugt sein ließ, dass es sich bei dem „angeblichen Attentat um eine rein inneritalienische Manipulation auf der Porzescharte“ handelte, womit er aber in der ÖVP-Regierung Klaus kein Gehör fand.

Aus den von Speckner erstmals ausgewerteten Quellen  geht hervor,  dass sich in den  Erhebungen dieser „Untersuchungskommission“ zahlreiche Unstimmigkeiten finden und dass sich vieles von dem, was den damaligen Justizverfahren gegen die „Attentäter“ zugrunde gelegt worden war, so nicht ereignet haben konnte.  Es ergaben sich aus seiner Untersuchung objektive Befunde, welche den Aussagen von Zeugen,  besonders jenen des italienischen Militärs, diametral entgegenstehen. Andere Befunde lassen sich  nicht zweifelsfrei klären/objektivieren, da italienische (Geheimdienst-)Akten – weil „Secreto di Stato“ (Staatsgeheimnis) – unzugänglich sind.

Manöver-Unglück  oder „Gladio“-Aktion?

Ob es sich tatsächlich um ein Attentat, um ein Manöver-Unglück auf dem Kreuzbergsattel (ital. „Passo di Monte Croce di Comelico“), wo das italienische Heer eine Verminungsübung durchführte, oder um eine Falle für Südtiroler Freiheitskämpfer  gehandelt hat, in die dann, bedingt durch schlechte Koordination, eigene Leute hineinliefen, oder ob es  eine Geheimdienst- bzw. „Gladio“-Aktion im Rahmen der „Strategie der Spannung“ war, bei der selbst das Leben eigener Leute in Kauf genommen ward: Das dürfte erst verifizierbar sein,  wenn Italien die entsprechenden Archivalien, sofern nicht ohnehin längst vernichtet, freigibt. Erhebliche Zweifel an der offiziellen Version hegten neben österreichischen Blättern – zumindest anfangs –  auch italienische Journalisten wie etwa Giuseppe Gaddi.

Der Wiener „Expreß“ meldete,  die österreichischen Behörden gelangten immer mehr zu der Überzeugung, dass der angebliche „Terroristenanschlag“ in Wahrheit ein Unglück gewesen sei:

„Inzwischen sind Zweifel an der Echtheit des Attentats aufgetaucht. Die österreichischen Behörden glauben immer mehr, daß der Terroristenanschlag ein Unglück war. Aussagen bestätigen, daß zur Zeit der Explosion italienische Fallschirmjäger ganz in der Nähe eine militärische Übung abhielten. E-Werks-Angestellte hätten auch keinerlei Fußspuren am Tatort feststellen können.“

Und die „Tiroler Tageszeitung“, alles andere als den Südtiroler Freiheitskämpfern wohlgesonnen, blieb aufgrund eigener Recherchen beharrlich dabei, dass es sich bei dem Vorfall um ein Unglück gehandelt

Altlandeshauptmann Wendelin Weingartner

habe: Der sich ständig widersprechende Kommandant des zuständigen IV. Armee-Korps, General Marchesi, und die ebenso wechselnden Aussagen der amtlichen italienischen Nachrichtenagentur ANSA seien dafür Hinweis genug.

Tatsächlich hatte ANSA am Nachmittag des 26. Juni, also ein Tag nach dem Vorfall auf der Porzescharte, gemeldet, die vier Soldaten seien bei einem „Manöver-Unglück“ (!) am Kreuzbergsattel ums Leben gekommen seien. Wenig  später wurde diese Meldung zurückgezogen, statt des Unglücks nun ein Attentat  und als Ort des Geschehens die Porzescharte genannt.

Nordtirols Altlandeshauptmann Wendelin Weingartner rügte in einem Beitrag in der Südtiroler „ZETT – Zeitung am Sonntag“ am 8. September 2013 eine Publikation der „Europaregion Südtirol-Tirol-Trentino“, in welcher die italienische Version des Geschehens auf der Porzescharte unkritisch wiedergegeben wurde.

Vorwand, Wien unter Druck zu setzen

Plausibel begründet lautet daher eine von Speckners Hypothesen, die auf dem unweit gelegenen Kreuzbergsattel einem Unfall zum Opfer Gefallenen könnten herbeigeschafft worden sein, um im damals angespannten bilateralen Verhältnis Rom-Wien Österreich der „Begünstigung von Terroristen“, ja selbst des „Staatsterrorismus“ zu bezichtigen. Politisch nahm Italien das angebliche „Porze-Attentat“ zum Vorwand, um sein Veto gegen den Beginn von Verhandlungen über Österreichs EWG-Assoziierungsbegehr einzulegen.

Außenminister Amintore Fanfani hatte die italienische Delegation bei der Hohen Behörde der Montanunion, dem Vorgängerorgan der EG-Kommission, am 28. Juni angewiesen, sich der Aufnahme von Verhandlungen mit Österreich, dessen Regierung am 15. Dezember 1966 einen entsprechenden Antrag gestellt hatte, so lange  zu widersetzen, bis Wien bewiesen habe, dass sein Staatsgebiet „nicht länger als Operationsbasis der Terroristen diene, die in Italien Attentate verübten“.

Bericht der Südtiroler Tageszeitung „Dolomiten“ vom 30. Juni 1967 über das italienische EWG-Veto

Am 1. Juli unterrichtete er seine Botschafter in den EWG-Staaten, dass Rom weitere Verhandlungen Österreichs mit der EWG nicht zulassen werde, bis Wien widerlegen könne, dass sein Territorium „zur Vorbereitung und Verherrlichung von Terrorakten sowie Beherbergung für die Südtirol-Attentäter“ diene.

Im Zeichen des italienischen Kampfes gegen die sogenannten „Südtirol-Terroristen“ wurde das vermeintliche Ereignis auf der Porzescharte also genutzt, um Österreich politisch unter Druck zu setzen. Infolgedessen erhielt das Bundesheer  den Auftrag, unter dem Kennwort „Grenzeinsatz Süd“ den Gendarmerie-Einheiten bei Kontroll- und Sicherheitsmaßnahmen zu assistieren.

Das österreichische Bundesheer wurde eingesetzt, um die italienische Grenze zu schützen.

Bericht im „SPIEGEL“ vom 17. Juli 1967

Regierung Klaus: Staatspolitisch notwendige Vorgangsweise

Die ÖVP-Alleinregierung unter Josef Klaus (1966-1970) war sichtlich bemüht, den Konflikt möglichst rasch beizulegen. Der Tiroler Landeshauptmann Eduard Wallnöfer (1963-1987), sein Parteifreund, musste Einsicht für die „staatspolitisch notwendige Vorgangsweise“ zeigen, wenngleich er  BAS-Leute in Schutz nahm und ihnen die Flucht nach Bayern ermöglichte.

Der aus Tirol stammende Innenminister Franz Hetzenauer (ÖVP) war in einer delikaten „Zwittersituation“, wie er es selbst nannte. Österreich übernahm noch vor Erstellung des ersten „Tatort“-Protokolls der italienisch-österreichischen „Untersuchungskommission“ auf der Porzescharte mit Ministerratsbeschluss vom 4. Juli die offizielle italienische Darstellung, erklärte das Ereignis zu einem „Anschlag“ und fahndete nach den vermeintlichen Attentätern. Wiewohl das von Italien an Österreich übergebene „Beweismaterial“ mehr Zweifel hätte entstehen lassen als Klarheit erbringen müssen, wurden die drei „Tatverdächtigen“ Kienesberger, Hartung und Kufner verhaftet. Und im Rahmen der österreichischen Porzescharten-Prozesse wurden  Richter von Regierungsseite  nachweislich  darauf aufmerksam gemacht, dass eine Verurteilung  „außenpolitisch von Vorteil“ wäre.

 „Strategie der Spannung“

Der Vorfall auf der Porzescharte passte im Rahmen der gesamten Südtirol-Problematik auch nur allzugut in die „Strategie der Spannung“. Mit der „strategia della tensione“ trachteten verschwörerische Kreise – organisiert in geheim(bündlerisch)en Vereinigungen neofaschistischen Zuschnitts wie „Ordine nuovo“ und Avanguardia Nazionale“, aber auch verankert in Teilen italienischer Dienste sowie des geheimen „Gladio“-Netzwerks des Militärs – danach, die gesellschaftliche Unterfütterung für einen (letztlich erfolglos gebliebenen) Wechsel in Italien hin zu einem autoritären Regime zu bereiten. Im Rahmen dieser Strategie gab es durchaus nicht wenige „getürkte“ Attentat(sversuch)e, von denen Senator Marco Boato im 1992 veröffentlichten parlamentarischen Untersuchungsbericht auch auf Südtirol bezogene auflisten ließ.

Der Beginn des parlamentarischen Untersuchungsberichts des Senators Marco Boato, in welchem dieser geheimdienstliche Verwicklungen in eine „Strategie der Spannung“ darstellte.

Höchst aufschlussreich sind Passagen,  in denen die Namen der besonders in die verschwörerischen Südtirol-Aktivitäten involvierten Personen aufgelistet sind  und in denen der Carabinieri-Oberst Amos Spiazzi bekundet, dass „der Staatsapparat in den Südtirol-Terrorismus involviert gewesen“ sei.

Schon 1990 hatte der venezianische Untersuchungsrichter Felice Casson  aufgrund seiner Recherchen in den Archiven des Militär-Abschirmdienstes SISMI die Existenz einer „geheimen komplexen Struktur innerhalb des italienischen Staates“ aufgedeckt, 622 Gladio-Mitglieder namhaft gemacht und herausgefunden, dass

– Mitarbeiter des SISMI respektive der Vorgängerorganisationen SID und SIFAR

– Mitglieder neofaschistischer Organisationen wie „Avanguardia Nazionale“ und „Ordine Nuovo“

– Angehörige des Gladio-Netzwerks, die u. a. in Gruppierungen wie API (Associazione Protezione Italiani) und MIA (Movimento Italiani Alto Adige) wirkten,

zwischen 1960 und 1980 „zahlreiche politisch motivierte Terroranschläge und Morde in Italien begangen“ hatten. Oberster Drahtzieher war General Giovanni De Lorenzo, ursprünglich Leiter des Militärgeheimdienstes SIFAR, danach Kommandeur der Carabinieri-Truppe, aus der heraus er Vertrauensleute ins Gladio-Netz einschleuste.

Geheim(dienstliche)e Umtriebe

Der Gladio-Prozeß  in Rom 1994 warf ein bezeichnendes Licht auf die Umtriebe De Lorenzos und seiner Mannen, auch in Südtirol. Angeklagt waren unter anderen General Paolo Inzerilli, ehemaliger SISMI-Chef und Kommandeur der illegalen Gladio-Einheiten sowie das Gladio-Mitglied Francesco Stoppani. Eigens dazu angeworben, sollte Stoppani Kienesberger entweder nach Italien entführen oder liquidieren. Inzerilli hatte in dem Verfahren die früheren Minister Attilio Ruffini und Virginio Rognoni – beide bekleideten in diversen Kabinetten Ministerämter –  beschuldigt, von alldem gewusst zu haben.  Schließlich und endlich stellte Peppino Zangrando,  als Präsident der Belluneser Anwaltskammer von hoher Reputation,  in der „Causa Porzescharte“, in der er jahrelang recherchiert hatte, ein Attentat des BAS  in Abrede. 1994 wollte er den Fall neu aufrollen, sein Wiederaufnahmeantrag scheiterte aber an der Staatsanwaltschaft.

Erlittenes Unrecht

Was folgt aus alldem? Der BAS hat 1967 auf der Porzescharte kein Attentat verübt. Die dafür verantwortlich gemachten Personen (Prof. Dr. med. Erhard Hartung, Egon Kufner  sowie der mittlerweile verstorbene Peter Kienesberger)  sind  zu Unrecht verfolgt worden. Ein halbes Jahrhundert nach dem Geschehen, das sich offenkundig anders denn offiziell dargestellt abspielte, wäre es an der Zeit, das florentinische Schandurteil aus der Welt zu schaffen, mit denen sie gänzlich wahrheits- und rechtswidrig  für eine offenkundig nicht begangene Tat verurteilt und damit zu Mördern gestempelt worden sind. Es versteht sich daher eigentlich  von selbst, dass die  trotz Freispruchs (in Österreich) nach wie vor mit dem Makel der Täterschaft behafteten und in ihrer persönlichen (Reise-)Freiheit eingeschränkten Personen endlich offiziell und überdies öffentlich vernehmlich zu rehabilitieren sind.

Ein aus dem Österreichischen Nationalrat (Parlament) heraus an den damaligen Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) gerichteter dahingehender Versuch des FPÖ-Abgeordneten Werner Neubauer vom 17.12.2013 erwies sich als ergebnislos. Faymann gab sich in seiner schriftlichen Antwort vom 17.02.2014 (GZ: BKA-353.110/0008-I/4/2014) auf Neubauers umfangreichen Fragenkatalog ahnungslos – sowohl gegenüber den Erkenntnissen aus Speckners Forschungsergebnissen, als auch gegenüber Fragen nach eventuell vorliegenden Unterlagen zur „Intervention des Kanzlers Klaus bezüglich der Prozessführung durch den Richter Dr. Kubernat im Dezember 1968 beim Landesgerichtspräsidenten“. Und in allen anderen Fragen erklärte Faymann das Kanzleramt für unzuständig.

Leisetreter am Ballhausplatz

Auch an das österreichische Staatsoberhaupt gerichtete Anfragen erwiesen sich letztlich als nicht zielführend. Der damalige Bundespräsident Dr. Heinz Fischer hatte zwar, „Auftrag gegeben, dieses Buch eingehend zu studieren. Erst nachher wird die Beurteilung der Frage möglich sein, ob sich über den bisher schon bekannten Sachverhalt hinaus neue Gesichtspunkte in dieser Angelegenheit ergeben.“, wie er am 28. August 2013 an den „sehr geehrten Herrn Klubobmann des Freiheitlichen Parlamentsclubs, Abg. z. NR Heinz-Christian Strache, FPÖ Bundesparteiobmann“ schrieb.

Doch am 7. Februar 2014 teilte er diesem  mit: „Wie ich in meinem Schreiben vom 28. August 2013 in Aussicht gestellt habe, wurde dieses Buch von Mitarbeitern der Österreichischen Präsidentschaftskanzlei durchgelesen. Ein Beweis dahingehend, dass die vom italienischen Geschworenengericht verurteilten Personen nicht ,die Täter gewesen sein konnten‘, ist aus dem Buch nach Ansicht meiner Mitarbeiter nicht eindeutig abzuleiten. Was mögliche Begnadigungen anlangt, darf ich auf die Ihnen bekannten, bisher schon gesetzten Schritte hinweisen. Ich werde dieses Thema bei geeigneten Gelegenheiten auch in Zukunft im Auge behalten.“

Im Wahlkampf erklärte Heinz Fischer, dass unser Handeln Werte brauche. Er ließ offen, welche „Werte“ er meinte.

Auf neuerliches Nachsetzen des Abgeordneten Neubauer (Schreiben vom 1. 12. 2014) ließ Fischer am 12.12. 2014 seinen „Berater für europäische und internationale Angelegenheiten“, Botschafter Dr. Helmut Freudenschuss, antworten (GZ S130040/221-IA/2014).

Darin hieß es, es gehe „nicht um die Bewertung des Buches, sondern ausschließlich darum, ob die darin enthaltenen Ausführungen über die bereits gesetzten Schritte hinaus eine weitere Intervention gegenüber den italienischen Organen nahelegt. Sie wissen sicher, dass der Herr Bundespräsident das Thema der Begnadigungen immer wieder – zuletzt am 11. November 2014 – im Gespräch mit dem italienischen Staatspräsidenten zur Sprache gebracht hat. Die italienischen Vorbedingung – nämlich Gnadengesuche der Betroffenen – ist aber offenbar nicht erfüllbar.

 Unziemliche Empfehlungen und Schande für Österreich

Seit Jahren raten und/oder empfehlen regierende österreichische Bundes- und Landespolitiker (vornehmlich jene Tirols und zuvorderst jene von ÖVP und SPÖ), aber auch Politiker des 1919 von Italien annektierten südlichen Teils Tirols, vorzugsweise jene der Südtiroler Volkspartei (SVP), „Betroffenen“, deren Taten –  seien sie bewiesen oder unbewiesen; seien sie begangen oder nichtbegangen; seien sie von BAS-Aktivisten verübt oder diesen durch italienische Manipulationen untergeschoben worden – bereits ein halbes Jahrhundert und länger zurückliegen, mögen doch bitteschön Gnadengesuche einreichen.   Mit Verlaub – das ist Chuzpe.

Abgesehen davon, dass italienische Staatsoberhäupter längst  Terroristen aus den Reihen  der „Roten Brigaden“ respektive aus dem rechtsextremistischen Milieu begnadigten, sich bisher aber stets ablehnend gegenüber den letzten Verbliebenen Südtirolern wie etwa den legendären „Pusterer Buben“ verhielten, setzt der Gnadenakt für Südtirol deren Gnadengesuch voraus. Alle unrechtmäßig Beschuldigten und zudem menschenrechtswidrig Verurteilten – und um solche handelt es sich bei den drei „Betroffenen“ der „Causa Porzescharte“, von denen nurmehr Univ.Prof. Dr. med. Erhard Hartung und Egon Kufner unter den Lebenden weilen – wären doch von allen guten Geistern verlassen, so sie um Gnade bettelten für eine Tat, die sie nicht begangen haben.

Dass  indes maßgebliche Organe der Republik Österreich, die sich damals schon hasenfüßig und Italien gegenüber unterwürfig verhielten, auch 50 Jahre danach noch ihrer Fürsorgepflicht für zwei ihrer  jahrelang politisch und justitiell verfolgten Staatsbürger (offenkundig)  nicht nachkommen (wollen), darf man mit Fug und Recht eine Schande nennen.




Italienischer Verwaltungsgerichtshof urteilt: Eintreten für Selbstbestimmung erlaubt

Der SHB-Obmann Roland Lang vor dem Kolosseum in Rom

Im August 2016 hatte der Südtiroler Heimatbund“ (SHB), eine von ehemaligen Südtiroler Freiheitskämpfern und politischen Häftlingen gegründete Vereinigung, bei der Gemeindeverwaltung in Rom den Antrag gestellt, in der italienischen Hauptstadt 1000 Plakate mit der Aufschrift „Il Sudtirolo non è Italia“ öffentlich anzubringen.

Plakat: Südtirol ist nicht ItalienDie Gemeindeverwaltung hatte das Ansuchen als rechtlich nicht zulässig angelehnt. Dagegen hatte sich der SHB mit der Hilfe von Rechtsanwalt Dr. Rottensteiner aus Bozen gewehrt und Rekurs beim Verwaltungsgericht Latium eingelegt. Diesem Rekurs wurde am 21. Dezember 2016 vollinhaltlich stattgegeben: Das Verwaltungsgericht Latium folgte der Argumentation von RA Rottensteiner und urteilte in einem Vorentscheid, dass die Botschaft „Il Sudtirolo non è Italia“ weder beleidigend noch in irgendeiner Weise verfassungswidrig sei. Zudem hat das Gericht festgestellt, dass dieser Spruch vollinhaltlich von der verfassungsrechtlich garantierten Meinungsfreiheit gedeckt ist.

Bericht in den „Dolomiten“ vom 28. Dezember 2917

Der Vorentscheid vom Dezember 2016 wurde nunmehr durch ein ausführliches Urteil des Verwaltungsgerichts bestätigt.

Meilenstein für die Pressefreiheit – SHB siegt vor römischem Verwaltungsgericht

Unter diesem Titel veröffentlichte Roland Lang, Obmann des „Südtiroler Heimatbundes“ (SHB), am 16. Mai 2017 nachstehenden Presedienst:

Bozen – Der Obmann des Südtiroler Heimatbundes (SHB), Roland Lang, ist erfreut, dass nach dem positiven Vorabentscheid des Verwaltungsgerichtes Latium vom Dezember 2016 hinsichtlich der Plakataktion „Il Sudtirolo non è Italia“ nun gleich eine zweite, noch wichtigere Entscheidung desselben Gerichtes vorliegt.

„Mit dem rechtskräftigen Urteil des Verwaltungsgerichts Latium, dem wichtigsten Verwaltungsgericht Italiens, vom Mai 2017 wurde ganz klar festgestellt, dass das Eintreten für das Selbstbestimmungsrecht der Südtiroler niemals strafrechtlich belangt werden kann. Mehr noch: dieser Einsatz für ein Menschenrecht darf von den Behörden auch nicht behindert werden“, so Lang.

Insbesondere fällt ein Satz dieses Urteils ins Auge, der hier vollständig zitiert werden muss: Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass es „in der italienischen Rechtsordnung kein Gesetz gibt, dass die Gedankenfreiheit hinsichtlich der Unabhängigkeit oder der Selbstbestimmung eines Territoriums des Staates einschränkt oder die Propaganda von Unabhängigkeitsideen verbietet, („Nel nostro ordinamento non esiste alcuna norma che limiti la libertà di manifestazione del pensiero in merito all’indipendenza ovvero alla autodeterminazione di qualsivoglia articolazione territoriale dello Stato o che comunque vieti la propaganda di idee indipendentiste“)“, so Lang.

Damit straft das Verwaltungsgericht Latium alle diejenigen Lügen, die die Südtiroler Selbstbestimmungsbewegung seit vielen Jahren immer wieder strafrechtlich verfolgen möchten. Zudem ist dieses Urteil auch von großer Bedeutung für die Selbstbestimmungsbewegungen im Veneto, der Lombardei, in Triest und allen anderen Teilen Italiens, die sich nach Freiheit sehnen.

In Brescia läuft derzeit eine Gerichtsverhandlung gegen 34 Selbstbestimmungsaktivisten. Laut dem dortigen Staatsanwalt sei bereits das Streben nach Unabhängigkeit eine Straftat. Das nun vorliegende Urteil des Verwaltungsgerichtes Latium stellt nun ausdrücklich klar, dass das Streben nach Unabhängigkeit, selbstverständlich im Rahmen der bestehenden Gesetze, keine Straftat darstellt.

„Es ist ein großer Sieg für den Rechtsstaat und ein großer Sieg für die Meinungsfreiheit“, so Roland Lang abschließend, der ausdrücklich dem Bozner Anwalt Dr. Ewald Rottensteinerund dem römischen Rechtsanwalt Dr. Massimo Colarizi, die den SHB in diesem Verfahren so erfolgreich vertreten haben, für ihren Einsatz dankt.

Roland Lang
Obmann des Südtiroler Heimatbundes

Die Bedeutung des Urteils

Tatsächlich hat dieses Urteil eine außerordentliche Bedeutung. 1945 hatte das postfaschistische Italien die Staatsschutzbedingungen des faschistischen Strafgesetzbuches „Codice Penale“ von 1930 übernommen.

In der Ausgabe des italienischen Strafgesetzbuches von 1981 konnte man noch die Unterschriften des italienischen Königs, des faschistischen Diktators Mussolini und seines Justizministers Rocco bewundern mit denen das faschistische Strafgesetzbuch samt seinen unmenschlichen Repressionsparagraphen in Kraft gesetzt worden war.

Zu den wichtigsten Bestimmungen des „Codice Rocco“ gehörten die „Delikte gegen die Persönlichkeit des Staates“ auf, die mit langjährigen Kerkerstrafen, mit dem Tod oder lebenslangem Zuchthaus zu ahnden waren:

  • Beleidigung der italienischen Nation
  • Beleidigung der italienischen Fahne
  • antinationale Aktivität
  • politischer Defaitismus
  • Beleidigung des Staatsoberhauptes
  • subversive und antinationale Propaganda
  • Bildung von geheimen Gesellschaften
  • Auf die Beleidigung der italienischen Nation oder der italienischen Fahne standen 3 Jahre Kerker.

 Der berüchtigte Artikel 241

 Wer aber versuchen sollte, ein Territorium vom italienischen Staat abzutrennen, verfiel nach Artikel 241 der Todesstrafe.

Nach 1945 wurde die Todesstrafe durch die Strafe lebenslänglicher Kerkerhaft ersetzt.

Erst im Jahre 2005 wurde die lebenslange Haft durch eine Mindeststrafe von 12 Jahren ersetzt.

In dem Text des Art. 241 hieß es nun, dass es sich bei den strafbaren Handlungen um „atti violenti“ – „gewaltsame Akte“ – handeln müsse, die das Ziel hätten „das Territorium des Staates oder einen Teil desselben der Souveränität eines fremden Staates zu unterstellen oder die Unabhängigkeit und Einheit des Staates zu beeinträchtigen.“

Es sind seit dieser Reform nur gewaltsame Handlungen strafbar.

Das menschenrechtskonforme und friedliche Eintreten für die Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts ist nicht mehr strafbar.

Es ist in diesem Zusammenhang interessant, einen Blick auf die Jahrzehnte hindurch geübten Methoden der politischen Justiz in Südtirol zu werfen.

Eine Dokumentation über die italienische Justiz als politische Waffe findet sich hier.




Die Justiz in Italien als politische Waffe

Der „Codice Rocco“

Der italienische König Vittorio Emanuele III. saß in aufmerksamer Haltung hinter seinem Arbeitstisch. Man schrieb den 19. Oktober des Jahres 1930, des achten Jahres der faschistischen Machtergreifung.

Der „Guardasigilli“, der „Siegelbewahrer“, Justizminister Alfredo Rocco richtete das Wort an den König. „Sire“, begann der Minister, „in Eurem Königreich haben sich in der Tat in glücklicher Weise die Eroberungen der Waffen und die gesetzlichen Reformen vereinigt, um das Leben des Staates und des italienischen Volkes zu erneuern. Die Strafgesetzreform“, rief der Minister emphatisch aus, „wird als eines der hervorragendsten Denkmäler dieser Gesetzgebung und als eine imposante Demonstration der Kraft des italienischen Genius bestehen bleiben.“

Benito Mussolini und sein Justizminister Alfredo Rocco
Benito Mussolini und sein Justizminister Alfredo Rocco

Im Hintergrund hörte, in achtungsvoller Haltung stehend, ein untersetzter und gedrungener Mann aufmerksam dem Vortrag zu. Benito Mussolini, „Duce“ der Nation und geistiger Vater des neuen Strafgesetzes, hatte die Grundzüge des faschistischen „codice penale“ bereits 1925 durch die „camera dei deputati“ beschließen lassen. Dann hatte sein treuester Vasall, Justizminister Rocco, das Gesetz in allen Einzelheiten ausgefeilt. Nun sollte der König seine Unterschrift geben.

Der „Guardasigilli“ klappte seine Mappe zu. Vittorio Emanuele III. ergriff die Feder und unterzeichnete das vor ihm liegende Schriftstück. Mussolini trat zum Tisch und unterschrieb, nach ihm Justizminister Rocco. Damit trat der neue „Codice Penale“, nach seinem Schöpfer auch „Codice Rocco“ genannt, in Kraft.

Codice Penale

Engel mit Schwert
Auch heute erinnert noch ein pompöses Wandgemälde im italienischen Parlament an die Einführung des faschistischen „Codice Rocco“. Die Justiz – wie in allen Diktaturen eine Dienerin der Politik – ist hier als Engel mit Schwert dargestellt.

Das Strafrecht und die faschistische Staatsauffassung

Ein Blick auf die Sprachenkarte

Wer die Frage stellt, warum der Mussolini-Staat Bedarf an den berüchtigten Artikeln des Strafgesetzbuches gehabt hatte, der ist eingeladen, einen Blick auf eine Sprachenkarte Italiens zu werfen. Auf der Halbinsel einschließlich der zu ihr gehörenden Inseln werden 14 Sprachen gesprochen. In 14 von insgesamt 20 italienischen Regionen sprechen etwa 2,8 Millionen Menschen eine andere Muttersprache als Italienisch, wobei die Sprachen Piemontesisch, Roma und Sinti noch nicht in dieser Aufstellung erfasst sind. Die Sprachgruppenzählung von 1971 führte neben Italienisch folgende Sprachgruppen auf: Albanisch, Deutsch, Dolomiten-Ladinisch, Franko-Provenzalisch, Friulanisch, Griechisch, Katalanisch, Kroatisch, Okzitanisch, Sardisch und Slowenisch.

Es hätte sich eine föderalistische Lösung angeboten

Natürlich war auch Mussolini bekannt, daß Italien über zahlreiche und zahlenmäßig starke Volksgruppen verfügt, die eine zentrifugale Entwicklung weg vom zentralistischen Einheitsstaat in Gang setzen konnten. Der italienische Staat wäre aufgrund seiner ethnischen Struktur dazu geschaffen gewesen, eine föderalistische Verfassung mit weitreichenden Autonomien der einzelnen Volksgruppen zu erhalten. Das Beispiel der Schweiz mit ihrer Kantonalverfassung hätte sich angeboten.

Die politische Zielrichtung des Faschismus war eine andere gewesen

Die politische Zielrichtung des Faschismus war jedoch eine andere gewesen. Mussolini schreibt in seinem Standardwerk „La dottrina des fascismo“: „Der italienische Staat ist Wille zur Macht und zum Imperium. Die römische Überlieferung ist hier ein Wunschbild von höchster Gewalt“. An anderer Stelle heißt es: „Wer Faschismus sagt, sagt Staat.“ Die Vorstellung vom zentralistisch gelenkten und straff organisierten Imperium verlangte aber auch die organisierte Einheitsnation, innerhalb derer es keinen Platz für Besonderheiten oder gar Gewaltenteilung zwischen autonomen Gebieten und der Zentralregierung geben durfte. Folgerichtig sagte daher Benito Mussolini:

„Es ist ja nicht die Nation, die den Staat erzeugt, nach der verschimmelt naturalistischen Auffassung, die der Schriftstellerei in den Nationalstaaten des neunzehnten Jahrhunderts zugrunde lag. Vielmehr wird die Nation durch den Staat geschaffen.“

In diesen Worten des „Duce“ ist bereits das gesamte Entnationalisierungsprogramm enthalten, welches die Südtiroler in eine gemeinsame italienische Einheitsnation einschmelzen sollte, ohne daß eine Spur ihrer deutschen und ladinischen Nationalität und Kultur erhalten bleiben durfte.

Daß dieses Programm Widerstand auslösen mußte, lag auf der Hand. Mussolini legte deshalb das Strafgesetz als eiserne Klammer des Staates um die ihrer Identität beraubten Volksgruppen.

Die faschistische Repression

Für Südtirol sollte das faschistische Strafgesetz zu einer unbarmherzigen Geißel werden, die von einer willfährigen Justiz über dem geknechteten Volk geschwungen wurde.

In seinem zweiten Hauptteil („Dei delitti contro la personalita dello stato“) zählte der Codex jene „Delikte gegen die Persönlichkeit des Staates“ auf, die ab nun mit langjährigen Kerkerstrafen, mit dem Tod oder lebenslangem Zuchthaus zu ahnden waren: Beleidigung der italienischen Nation; Beleidigung der italienischen Fahne; antinationale Aktivität; politischer Defaitismus; Beleidigung des Staatsoberhauptes; subversive und antinationale Propaganda; Bildung von geheimen Gesellschaften. Wer die bewaffneten Streitkräfte oder den faschistischen Großrat beleidigte (Artikel 290), konnte bis zu 6 Jahren Zuchthaus erhalten, auf die Beleidigung der italienischen Nation oder der italienischen Fahne standen 3 Jahre Kerker. Wer aber versuchen sollte, eine Kolonie oder ein anderes Territorium vom italienischen „Mutterland“ loszulösen, verfiel nach Artikel 241 der Todesstrafe.

Kritik an der Staatsführung führte ab nun wegen „antinationaler Aktivität“ oder „Beleidigung der italienischen Nation“ in die Kerker der römischen Regierung oder in die Verbannung auf Gefängnisinseln.

Politische Häftlinge Südtirol
Politische Häftlinge wurden in die Kerker von Gefängnisinseln im Mittelmeer deportiert

Gefängnisinsel
Die damals ständig von Malaria heimgesuchte Gefängnisinsel Lipari im MIttelmeer

Hunderte von Südtirolern wanderten aus nichtigen Anlässen für lange Jahre hinter Kerkermauern oder in die Verbannung auf Gefängnisinseln. An den Folgen der Verbannung starben der Rechtsanwalt Josef Noldin und das junge Mädchen Angela Nikoletti, die heimlich im „Katakombenunterricht“ den Kindern Lesen und Schreiben in deutscher Sprache beigebracht hatten.

Nikoletti und Noldin
Sie starben an den Folgen der Verbannung: Angela Nikoletti und Josef Noldin.

Einer der Überlebenden, Wilhelm Eppacher aus Brixen, hat vor einem österreichischen Gericht, im 3. Grazer Südtirolprozess, als Zeuge der Verteidigung die Leidensgeschichte der Eingekerkerten und Verbannten erzählt:

„Monatelang war das Gefängnis in Bozen mit jungen Südtirolern vollgepfropft. Manche saßen wegen angeblicher Schmähung der italienischen Staatseinrichtung oder weil sie beim Spielen der Faschistenhymne nicht den Hut vom Kopf genommen hatten hinter Gefängnismauern. Anderen warf man sogenanntes ‘antinationales Verhalten’ vor. Gefoltert wurde damals so wie heute. Einem Sepp Pilser aus Meran riß man die Haare mit ganzen Fetzen der Kopfhaut aus. Andere Gefangene stellte man in heißes Wasser und schlug sie, bis sie bewußtlos waren. Ich selbst wurde nach kurzer Gefängnishaft auf die Felseninsel Tremiti verbannt, wo ich fünf Jahre lang zusammen mit 500 anderen Südtirolern in einem Konzentrationslager eingesperrt war.“ (Wiedergeben in: Otto Scrinzi (Hrsg.): „Chronik Südtirol 1959 – 1969“, Graz 1996, S. 68)

 

Rudolf Riedl
Der Lehrer Rudolf Riedl aus Tramin, welcher heimlich Kinder in der deutschen Sprache unterrichtet hatte, berichtete später über seine schlimmen Erlebnisse in der Verbannung

1945: Die faschistischen Staatsschutzbestimmungen blieben aufrecht

Nach 1945 hielt die italienische Regierung es für angebracht, das faschistische Strafrecht nahezu unverändert in Kraft zu lassen und es in der Folge bei politischen Prozessen weiter anzuwenden.

Seine politischen Paragraphen dienten der allerchristlichsten Regierungspartei „Democrazia Cristiana“ ebenso zum Niederzwingen der kommunistischen Opposition wie zur Niederhaltung aufmüpfiger Südtiroler.

Forderungen nach dem Selbstbestimmungsrecht oder Bestrebungen für eine eigene Landesautonomie wurden mit der Einleitung von Strafverfahren wegen „Angriff auf die Einheit des Staates“ oder „Anschlag auf die Verfassung“ beantwortet.

Nach 1945 kehrten auch viele ehemals faschistische Richter und Verwaltungsbeamte nach Südtirol zurück und die Südtiroler mussten sich wieder vor denselben Richtern nach demselben Gesetz wie in der Faschistenzeit verantworten.

Die neuerliche Repression

Der Fall Egon Mayr

Im Jahre 1956 demonstrierte die Bozner Staatsanwaltschaft ihr faschistisches Rechtsverständnis an einem Österreicher.

Der 26jährige Egon Mayr aus Linz hatte einige Urlaubstage bei seiner Verlobten im Fassatal verbracht und fuhr nun am 26. Dezember 1955 mit dem Zug Richtung Brenner nach Hause. Er hatte in einer Aktentasche einige vervielfältigte Blätter mit sich, die einen Zeitungsartikel der New Yorker Monatsschrift „Austria“, einer Zeitung für Exilösterreicher, wiedergaben. In diesem Artikel wurde verlangt, die Südtiroler Frage vor die UNO zu bringen, mit dem Ziel, das Recht auf Selbstbestimmung durchzusetzen.

Im Bahnhof  von Brixen warf Egon Mayr unbeobachtet in der Dunkelheit einige dieser Blätter aus dem Zug. Ein Carabiniere fand sie. Umgehend wurde eine große Staatsaktion eingeleitet. Am Brenner wurde der Zug angehalten und von Carabinieri und Finanzern durchsucht. In Egon Mayrs Aktentasche fand man noch einige übrig gebliebene Blätter.

Alto Adige“ vom 28. Dezember 1955

Der „Staatsverbrecher“ wurde gefesselt und nach Bozen gebracht. Die Anklage lautete unter Verwendung politischer Paragraphen des faschistischen Strafgesetzbuches („Codice Rocco“) auf „antinationale Propaganda“ (Strafe: 1-5 Jahre) und auf „Anschlag auf die Einheit des Staates“ nach Artikel 241, der eine Strafandrohung bis Lebenslänglich vorsah. (Dieser faschistische Paragraph ist immer noch in Geltung und sieht heute nach einer parlamentarischen Modifikation vom 24. Februar 2006 immerhin immer noch eine Strafe nicht unter 12 Jahren vor.)

Dell’Antonio (rechts) und Egon Mayr (links)
Der Staatsanwalt Dell’Antonio (rechts) und sein Opfer Egon Mayr (links)

Am 17. September 1956 begann in Bozen die Verhandlung. Der Staatsanwalt Dell’Antonio, ein Exfaschist, forderte „unter Einräumung mildernder Umstände“ 14 Jahre und 8 Monate Gefängnis für Mayr, um „gewissen Leuten, die glauben, hier in Italien gelten nicht mehr die italienischen Gesetze, sondern die österreichischen“, die Situation klar zu machen. Mayr erhielt am 22. September 3 Jahre Haft, das Revisionsverfahren setzte die Strafe auf 10 Monate herab. Am 22. Dezember 1956 wurde Mayr über den Brenner abgeschoben.

Egon Mayr
„Dolomiten“ vom 18. September 1956

Der Fall Sepp Kerschbaumer

Sepp Kerschbaumer
Sepp Kerschbaumer hatte sich durch das Hissen von Tiroler Fahnen „strafbar“ gemacht. Der Staatsanwalt Mario Martin hatte die Tiroler Fahnen als „Fetzen“ bezeichnet.

Am 5. Juli 1957 war der spätere Freiheitskämpfer Sepp Kerschbaumer aus Frangart in Bozen vor Gericht gestanden. Der Staatsanwalt Mario Martin hatte ihn angeklagt, durch das Hissen von Tiroler Fahnen am 20. Februar, dem Todestag Andreas Hofers, eine „aufhetzende Kundgebung“ gegen den italienischen Staat veranstaltet zu haben. Die Tiroler Fahnen hatte der treffliche Staatsanwalt Mario Martin, ein Exfaschist, als „stracci“, als „Fetzen“,  bezeichnet. Kerschbaumer wurde zu 10 Tagen Arrest verurteilt. („Volksbote“, Bozen, 20. 07. 1957)

Das Schicksal der „Pfunderer Buam“

Besonders tragisch war das Schicksal der Pfunderer Burschen. In der Nacht des 15. August 1956 waren 7 junge Bauernburschen in Pfunders, einem kleinen Gebirgsort in einem Seitental des Pustertales, nach einer ausgiebigen Zecherei in eine Wirtshausrauferei mit ebenfalls dort zechenden italienischen Finanzern geraten. Einer der Finanzer, Raimondo Falqui, nahm Reißaus, rannte davon und stürzte von einer Brücke ohne Geländer 3 Meter tief in den ausgetrockneten Roanerbach, wo er sich an einem Stein die Stirne einschlug. Niemand hatte dies bemerkt. Die Burschen gingen nach Hause und schliefen ihren Rausch aus. Nun wurden die Bauernburschen als „Mörder“ verhaftet.

 Der publizistische Hassfeldzug

 Zwei Tage nach dem Leichenfund im Roanerbach gab eine römische Zeitung mit neofaschistischer Schlagseite, das „Giornale d’Italia“, das Zeichen zur Hetzjagd: Es sei Mord gewesen und zwar ein „politischer Mord … Die Gründe sind noch nicht bekannt, aber sie sind zweifellos in dem Klima des Hasses zu suchen, den die Vertreter einer Partei seit Jahren säen …“ Gemeint war damit die „Südtiroler Volkspartei“.

Wenige Tage später wusste es die italienische Wochenillustrierte „Oggi“ ganz genau:

„Dies ist ein grausames sinnloses Verbrechen, geboren aus dem Hassfeldzug, der von einigen Exponenten der örtlichen Minderheit geführt wurde. Der Mord an dem jungen Beamten stellt das letzte und blutige Glied in einer Kette von Übergriffen und Gewalttaten dar.“

Ein politischer Mord also! Die gesamte Südtiroler Volksgruppe und ihre Führung als angebliche Anstifterin eines hinterhältigen und grausamen Verbrechens, zitiert vor die Schranken der italienischen Nation.

Die Pfunderer Burschen
Die Pfunderer Burschen wurden in Ketten zum Prozess gebracht.

Bereits die ersten Ermittlungen wurden so geführt, daß sie eine spätere Mordanklage rechtfertigen sollten. Daher wurden die Burschen so lange geschlagen, bis sie die von dem Staatsanwalt Dell’Antonio gefertigten Protokolle, deren Inhalt sie nicht verstanden, unterschrieben hatten. Diese Protokolle enthielten jedoch „Geständnisse“, die zur Grundlage der Verurteilung der Burschen wurde.

Schwere Misshandlungen bei den Verhören

Den Angeklagten half es gar nichts, daß sie aussagten, bei den Verhören geschlagen und zur Unterschrift der Protokolle erpresst worden zu sein. Die des Italienischen nicht mächtigen Angeklagten konnten zudem den Aussagen der Zeugen und der Beweisführung der Ankläger nicht folgen.

Luis Ebner erklärte, von dem Gerichtsvorsitzenden auf Widersprüche zu seinen Aussagen vor den Carabinieri aufmerksam gemacht:

„Vor den Carabinieri habe ich nicht mehr gewusst, was ich sage, so sehr haben sie mich geschlagen.“
(„Dolomiten“, 14. 9. 1957)

Schuldspruch als „Mutprobe“ der Geschworenen

Mario Martin
Der Staatsanwalt Mario Martin, ein Ex-Faschist.

Der Staatsanwalt Mario Martin forderte für sechs Angeklagte lebenslängliches Zuchthaus, für einen Angeklagten 20 Jahre und nur ein Angeklagter solle aus „Mangel an Beweisen“ freigehen. Falqui sei geradezu „gelyncht“ worden. Dieser Staatsanwalt rief den Geschworenen und den Richtern zu: „Ich verlange von euch Richtern eine Mutprobe! Euer Schuldspruch stimme überein mit dem Gefühl des Volkes, von dem ihr delegiert worden seid.“

Noch ungeheuerlicher äußerten sich die Vertreter der Privatanklage. Sie nannten die Angeklagten „Hyänen“, „Bestien“ und „hündische Meute“. Alle Bewohner des „finsteren und zurückgebliebenen Südtiroler Tales Pfunders“ hätten, politisch von der einheimischen Presse verhetzt, im sardischen Finanzer Falqui „den Bringer des Fortschritts und der Kultur“ gehasst und mit Mordlust verfolgt.

„Lumpen, Verbrecher, Hyänen“

Der Nebenkläger Dr. Dadea nannte die Bauernburschen „Ränkeschmiede mit dem finsteren Blick des Verbrechers, abgefeimte Delinquenten unter der Maske der Naivität, halbe Kannibalen, Wegelagerer und Mörder … Acht Lumpen, acht Verbrecher, acht Hyänen haben barbarisch gemordet!“, rief er in den Gerichtssaal.

Das Urteil erster Instanz wurde am 16. Juli 1957 gesprochen. Es lautete: 

Als des Mordes schuldig erhielten:  Alois Ebner 24 Jahre Kerker, Florian Weissteiner 16 Jahre Kerker, Georg Knollseisen 16 Jahre Kerker, Paul Unterkircher l0 Jahre Kerker, Bernhard Ebner 16 Jahre Kerker, Isidor Unterkircher 16 Jahre Kerker, Johann Huber, der nachweislich nicht einmal am Raufhandel beteiligt war und für den selbst der Staatsanwalt Freispruch beantragt hatte: 13 Jahre Kerker. Insgesamt 113 Jahre Kerker.

Urteil Pfunderer
Schlagzeile in den „Oberösterreichischen Nachrichten“ vom 18. Juli 1957

Pfunderer Alois Ebner
Die „Liga für Menschenrechte“ veröffentlichte im Jahre 1958 eine Broschüre, in welcher der Skandalprozess gegen die Pfunderer Burschen eingehend untersucht und dargestellt wurde. Auf dem Umschlagbild ist der junge Pfunderer Alois Ebner zu sehen.

Entsetzen in Tirol

Das Urteil rief in ganz Tirol Entsetzen hervor. Am 1. April 1958 ruhte in ganz Nordtirol von 10 Uhr bis 10.05 Uhr alle Arbeit zu einem Gedenken an die Pfunderer Burschen. Landeshauptmann Dr. Tschiggfrey, erklärte während dieser Gedenkminuten über den Rundfunk:

„In diesen Augenblicken ruht die Arbeit in Stadt und Land. In Häusern und Fabrikhallen schweigt  der Lärm. Das Tiroler Volk denkt, von tiefstem Leid erfasst, an jene sechs jungen Bauernsöhne eines entlegenen Südtiroler Bergdorfes, deren Leben durch einen Richterspruch ganz oder teilweise vernichtet wird.“

Zahlreiche österreichische und bundesdeutsche Zeitungen prangerten die Methoden der italienischen Justiz an

 Staatsanwalt Mario Martin: „Ich würde es heute wieder tun!“

Der Gründer des BAS, Sepp Kerschbaumer, begab sich nach Pfunders und hielt in dem dortigen Pfarrhof einen 15tägigen Hungerstreik ab. In einem Flugblatt erklärte er: „In ihrem blinden Nationalismus haben sich die Welschen gerade durch dieses Hassurteil selbst den größten Schaden zugefügt.“ (Zitiert nach: Josef Fontana / Hans Mayr: „Sepp Kerschbaumer“, Bozen 2000, S. 75)

Am 16. Januar 1960 bestätigte der italienische Kassationsgerichtshof das unglaubliche Urteil gegen die Pfunderer. (Über den gesamten Prozess siehe: Armand Mergen: „Der Pfunderer Prozess“, Schriften des Bergisel-Bundes Nr. 1, Innsbruck 1958; sowie N.N.: Justiz in Südtirol“, Sonderdruck der Österreichischen Liga für Menschenrechte, Sektion Tirol, Innsbruck 1958)

In ohnmächtigem Zorn schrieb Sepp Kerschbaumer in einem neuerlichen Flugblatt:

„Wir waren solche Justizverbrechen bei allen Gewaltsystemen, beim Kommunismus, beim Faschismus und Nationalsozialismus und bei den Kolonialmächten gewohnt. Aber daß wir diese Schande auch unter einer sogenannten christlichen Regierung erleben müssen, verschlägt einem die Stimme.“ (Zitiert nach: Josef Fontana / Hans Mayr: a. a. O., S. 77)

Der Staatsanwalt Mario Martin blieb auch späterhin stolz auf seine damalige Rolle. Als er im Jahre 1961 den BAS-Chef Sepp Kerschbaumer aus Frangart verhörte und dieser auf die Rolle des Staatsanwaltes im Pfunderer Prozess zu sprechen kam, fuhr Martin auf und rief: „Das war ich. Ich habe lebenslänglich verlangt. Und ich würde es heute wieder tun.“ (Zitiert nach: Josef Fontana / Hans Mayr: „Sepp Kerschbaumer“, Bozen 2000, S. 75)

Der Fall Pupp

Am 20. November 1961 stand der 22jährige Sohn des Südtiroler Landtagsabgeordneten Ferdinand Pupp vor dem 1. Bozner Schwurgericht. Er erhielt eine Kerkerstrafe von 10 Monaten, weil er in angeheitertem Zustand in einem Bozner Gasthaus unvorsichtigerweise ausgerufen hatte:

„Wir sind hier nicht in Italien, sondern in Südtirol – Österreich!“

Unzählig waren die laufenden Verurteilungen in den Fünfziger- und Sechzigerjahren wegen Schmähung der Fahne, der Streitkräfte, der Nation usw., usw….

Für einen Leserbrief ins Gefängnis

Am 3. September 1962 hatte die Wiener Tageszeitung „Die Presse“ einen Leserbrief von Frau Rosa Ebner aus Mühlen, der Schwester eines inhaftierten und schwer gefolterten Südtiroler Freiheitskämpfers, veröffentlicht, in welchem es hieß:

Denn bei Gott, wir selber haben keinen Grund zur Zuversicht. Es sei denn, wir freuten uns an dem, was sich nach den Sprengstoffanschlägen in den Gefängnissen von Bozen und Eppan abgespielt hat: an den Folterungen und daß zwei daran gestorben sind, an den zu Krüppeln Geschlagenen …“  

 Rosa Ebner
Rosa Ebner

Der Untersuchungsrichter Mario Martin vernahm Rosa Ebner und fragte sie, ob sie bereit sei, den Inhalt des Leserbriefes zurück zu nehmen. Sie verneinte. Mario Martin steckte die Frau dafür in Untersuchungshaft und klagte sie nach einem alten Politparagraphen aus dem faschistischen „Codice Rocco“ wegen „antinationaler Tätigkeit im Ausland“ an. Die Strafandrohung sah Kerker „nicht unter 5 Jahren“ dafür vor. Das Gericht sprach sie jedoch frei. (Der Schandparagraph wurde erst im Jahre 2006 abgeschafft!)

Die italienische Justiz und die Südtiroler Freiheitskämpfer – Es ging um die Vernichtung der „Staatsfeinde“

Auf dem Justizpalast in Bozen ist bis heute eine aus der Faschistenzeit stammende Aufschrift zu lesen, die das ungebrochene Selbstverständnis der Bozner politischen Justiz bis heute getreu wiedergibt:
„Für das italische Imperium mit Mut, der Justiz, der Hierarchie, mit Zähnen und Klauen“.

In diesem Geist handelte auch der ehemalige Faschist Mario Martin, dem von der Justiz die Aufgabe anvertraut worden, als Untersuchungsrichter die Prozesse gegen die Südtiroler Freiheitskämpfer vorzubereiten. Am 2. Februar 1963 lief er zu seiner Höchstform auf, als er das Untersuchungsurteil zum ersten großen Mailänder Südtirolprozess vorlegte, der 1964 dann in Mailand über die Bühne gehen sollte.

Insgesamt handelte es sich um 94 Angeklagte – 87 Südtiroler, 6 Österreicher und 1 Deutschen. Davon befanden sich 68 in Haft, die anderen galten als „flüchtig“ und wurden in Anwesenheit angeklagt.

Die konzipierte Vernichtung der Angeklagten

Eine Besonderheit des in den Sechzigerjahren noch gültigen faschistischen Strafrechtes war, dass die Strafen einfach addiert wurden, wenn ein- und dieselbe Tathandlungen gegen mehrere Paragraphen des Strafgesetzbuches verstieß. Der faschistische „Codice Rocco“ verfügte über eine ganze Reihe von politischen Gummi-Paragraphen, die jeweils auf einen Tatbestand gleichzeitig angewendet werden konnten. Das ergab entsetzlich hohe Strafandrohungen, aber schließlich war der „Codice Rocco“ ja dazu konzipiert worden, die Feinde des faschistischen Staates vor Gericht vernichten zu können.

Der Untersuchungsrichter Mario Martin war zur völligen Vernichtung der Angeklagten im Mailänder Südtirolprozess entschlossen.

In seinem Untersuchungsurteil verfügte er, dass gegen 84 der 94 Angeklagten vor Gericht wegen Mordes vorgegangen werde. Anlass zu dieser Ungeheuerlichkeit war der Unfalltod des italienischen Straßenwärters Giovanni Postal in der Feuernacht des 11. Juni 1961 gewesen, der tragischer Weise als unerfahrener Laie versucht hatte, eine nicht detonierte Sprengladung in der Salurner Klause eigenmächtig zu entschärfen, statt die Carabinieri zu alarmieren und auf das professionelle Entschärfungskommando zu warten.

Nun sollten für die Unüberlegtheit und den Leichtsinn des Strassenwärters Postal nahezu alle Angeklagten wegen „Mordes“ jeweils zu einer Haftstrafe zwischen 21 Jahren und Lebenslänglich verurteilt werden.

Ein Menschenrecht wurde zum Staatsverbrechen erklärt

Doch damit noch nicht genug: Mario Martin wollte sicher gehen, dass so gut wie alle Angeklagten tatsächlich eine lebenslange Haftstrafe erhielten und verfügte in seinem Untersuchungsurteil, dass gegen 85 von ihnen wegen Artikel 241 des Hochverratsparagraphen des faschistischen „Codice Penale“ („Anschlag auf die Unversehrtheit, Unabhängigkeit oder Einheit des Staates“) vorgegangen werde. Strafmaß: Lebenslänglich.

Er begründete dies damit, dass die Angeklagten die Selbstbestimmung für Südtirol hätten herbeiführen wollen. Mario Martin stellte damit etwas unter lebenslängliche Strafandrohung, was seit dem Beitritt Italiens zu den Vereinten Nationen zu dem auch von Italien anerkannten menschenrechtlichen Bestand des Völkerrechtes gehört.

Dazu kamen noch weitere Paragraphen wie jener der „politischen Verschwörung“, des Sprengstoffbesitzes, und dann natürlich jene, die sich auf die Anschläge selbst bezogen.

Untersuchungsrichter Mario Martin und Staatsanwalt Mauro Gresti: Erfolterte Geständnisse sind gültig!

Keinesfalls sollte die gnadenlose Verurteilung der Angeklagten daran scheitern, dass ihre Geständnisse unter der Folter zustande gekommen waren. Deshalb schrieb Mario Martin in sein Untersuchungsurteil folgende Ungeheuerlichkeit hinein:

Die Geständnisse vor der Polizei dürfen nicht annulliert werden, nur weil behauptet wird, sie seien durch Folter abgenötigt wordenauf jeden Fall hat der Untersuchungsrichter persönlich keinerlei Anzeichen von eventuellen Misshandlungen an den Häftlingen bemerkt.

(Dr. Sandro Canestrini: „Die Herz-Jesu-Nacht 1961 – Justiz und öffentliche Meinung in Italien“, in: Schützenkompanie „Sepp Kerschbaumer“ Eppan (Hrsg.): „…grüß mir die Heimat, die ich mehr als mein Leben geliebt“ Erinnerungsschrift zum 30. Todestag von Sepp Kerschbaumer und Luis Amplatz, Eppan 1994, S. 29)

Gresti
Staatsanwalt Gresti: „Man kann trotz Misshandlungen die Wahrheit sagen!“

Im Mailänder Prozess vertrat dann der Staatsanwalt Mauro Gresti ebenfalls den Standpunkt, dass selbst unter Folter erpresste  Geständnisse durchaus inhaltlich richtig und daher auch gültig sein könnten. Man könne „trotz Misshandlungen die Wahrheit sagen“, argumentierte er und verwies darauf, dass sich in der gültigen Strafprozessordung (Anm.: die ebenso wie der „Codice Penale“ aus der Faschistenzeit stammte) keine Bestimmung finde, solche erzwungenen Geständnisse nicht als Beweismittel würdigen zu können.

Ein politischer Wandel rettete die Südtiroler Häftlinge vor einem juristischen Massaker

Blick auf einen Teil der Anklagebank in Mailand. Der schwer gefolterte Sepp Kerschbaumer aus Frangart (x) sollte die höchste Haftstrafe bekommen. Er starb dann auch im Gefängnis, sein Herz hatte den Belastungen von Folter und Haft nicht standgehalten. Der Untersuchungsrichters Mario Martin wollte so gut wie alle Angeklagten bis zu ihrem Tod einkerkern.

Nach dem Willen des Untersuchungsrichters Mario Martin hätte der Mailänder Prozess zu einem wahren juristischen Massaker mit der Verhängung nahezu durchwegs lebenslanger und zusätzlicher jahrelanger Haftstrafen werden sollen.

Was die Angeklagten vor diesem Schicksal rettete, war der politische Umschwung im Dezember 1963, als der Christdemokrat Aldo Moro eine politisch gemäßigte Mitte-Links-Koalitionsregierung mit dem Sozialdemokraten Giuseppe Saragat als Außenminister bildete. Dieses Kabinett war an einer Verhandlungslösung in der Südtirolfrage interessiert.

Das hatte eine direkte Auswirkung auf das Verfahren in Mailand. Der Historiker Hans Karl Peterlini berichtet:

„Von Saragat ergeht ein gezielter Wink an Richter Simonetti, die Verhandlung möglichst fair und entschärfend zu führen. So teilt Saragats Kabinettschef, der Gesandte Franco Maria Malfatti, dem österreichischen Botschafter Max Löwenthal mit, man habe Simonetti wissen lassen, ‚dass die Regierung an milden Urteilen politisch interessiert sei.‘

(Hans Karl Peterlini: „Südtiroler Bombenjahre“, Bozen 2005, S. 216)

Das von Mario Martin vorbereitete juristische Massaker an den Angeklagten war in Rom nun nicht mehr erwünscht.

Simonetti
Dem Vorsitzenden Simonetti wurde aus Rom bedeutet, dass ein juristisches Massaker an den Angeklagten unerwünscht sei.

Während des Prozesses verzichtete schließlich der Staatsanwalt Mauro Gresti auf den Hochverratsparagraphen Art. 241 und auf die Mordanklage.

Am 16. Juli 1964 wurden die Urteile verkündet. Sie waren immer noch hart genug und ergaben zusammengezählt rund ein halbes Jahrtausend an Haftjahren. Der Hauptangeklagte Sepp Kerschbaumer erhielt 15 Jahre und 11 Monate. Erst die Verhandlungen über das Autonomiepaket des Jahres 1969 führten zur Entlassung der letzten Gefangenen.

 

Wie Vertreter des Staates in den Südtirol-Prozessen argumentierten

Stellvertretend für zahlreiche weitere Äußerungen von Staatsadvokaten und Staatsanwälten sei hier wiedergegeben, wie der italienische Staatsadvokat Paolo Di Tarsia am 15. März 1966 im 2. Mailänder Südtirol-Prozess in seinem Schlussplädoyer argumentiert hatte. Darüber berichteten die „Südtiroler Nachrichten“ wie folgt:

Volksgruppen haben kein Recht

Aus „Südtiroler Nachrichten“ vom 4. April 1966

„Das Verlangen der Südtiroler nach einer Autonomie bezeichnete Di Tarsia z. B. als ‚irrtümliche Interpretation der Position einer Minderheit‘. Nach der Menschenrechtskonvention gebe es nur einen Schutz für Individuen, das Verlangen nach einem Schutz der Minoritätengruppe sei weder durch das italienische, noch durch das internationale Recht gedeckt, behauptete er.

Es sei undenkbar, dass Italien im ‚Alto Adige‘ (Südtirol) eine teutonische nationale Reservation errichte. Als ebenso undenkbar bezeichnete er die Forderungen der Südtiroler nach einem Stopp der italienischen Unterwanderung. Diese Forderung zu erheben, sei ‚illegal‘.“

Ein berühmter Strafrechtslehrer stellte die italienische Rechtsordnung an den Pranger

Pietro Nuvolone
Der italienische Strafrechtslehrer und Verteidiger Pietro Nuvolone

Gegen derartige Positionen nahm der berühmte italienische Strafrechtslehrer, Universitätsprofessor Pietro Nuvolone, klar und deutlich Stellung. Im Januar 1966 fand er in einem weiteren Mailänder Schwurgerichtsprozess, vor dem sich 58 angeklagte Südtiroler verantworten mußten, in seiner Eigenschaft als Verteidiger offene und mutige Worte. Prof. Nuvolone sagte, daß die Anklage nach einem Gesetz, welches nach Herkunft und Inhalt als faschistisch zu klassifizieren ist, und welches in Widerspruch zu den nach 1945 in internationalen Verträgen verankerten Menschenrechten steht, verfassungswidrig sei. Das Gericht schloß sich dieser Ansicht jedoch nicht an und urteilte nach den alten Mussolini-Paragraphen.

Noch 1987: Handschellen und Haft für die Forderung nach Selbstbestimmung

Der faschistische Kodex blieb weiterhin in Kraft und eifrige Staatsanwälte in Bozen, Mailand und Rom legen ihn als Meßlatte für die Strafbarkeit öffentlicher Äußerungen über Fragen der Selbstbestimmung und der Föderalisierung des Staates an. Am 7. August 1987 berichtete die Bozener Tageszeitung „Alto Adige“ über die Verhaftung von 15 Mitgliedern des Südtiroler Heimatbundes, die anläßlich der KSZE-Konferenz in Wien öffentlich für die Selbstbestimmung demonstriert hatten: „Handschellen für 15 Heimatbund-Mitglieder“. Das italienische Nationalistenblatt hatte damals eine kurze liberale Phase und befand: „Die politische Konfrontation braucht keine faschistischen Normen“. Der Haftbefehl war nämlich wegen „antinationaler Aktivitäten im Ausland“ ergangen, einem guten, alten faschistischen Paragraphen aus dem Rocco-Kodex.

Wenngleich das Verfahren in der Folge eingestellt werden mußte, blieb der faschistische „codice penale“ doch weiter in Geltung und wurde erst im Jahre 2005 teilweise entschärft.