Die Entstehung des Landes Tirol

Der italienische politische Eiferer und spätere faschistische Senator Ettore Tolomei hatte bereits im Jahre 1886 mit ersten Versuchen zur Italianisierung Südtiroler Ortsnamen begonnen. Die von ihm propagierte These war, dass es sich bei der deutschen Südtiroler Bevölkerung um „germanisierte“ Romanen handle. Die Ladiner wurden von ihm ohnedies von vorne herein der italienischen Volksgruppe zugeordnet.

Im Jahre 1916 italienisierte Tolomei zusammen mit ein paar gleichgestrickten Helfern innerhalb von 40 Tagen (!) nicht weniger als 12.000 Tiroler Ortsnamen und behauptete, diese wissenschaftlich fundiert auf ihre italienischen Wurzeln zurückgeführt zu haben. In Tirol hielt man Tolomei und Seinesgleichen für Spinner.

Als Südtirol ab 1918 jedoch unter italienische und in der Folge unter faschistische Herrschaft geriet, wurde es ernst.

Der hochgeehrte faschistische Senator Ettore Tolomei (ganz links) zusammen mit seinem Gönner, dem „Duce“ Benito Mussolini (ganz rechts) hoch zu Ross bei einer Parade in Rom

Während das faschistische Regime in Bozen eine Industriezone und ausgedehnte Wohnviertel für südländische Zuwanderer errichtete und das Land mit faschistischen Prunkbauten und Denkmälern überzog, führte der nunmehrige hochgeehrte faschistische Senator Tolomei sein Ortsnamenswerk in dem Land Südtirol, welches nun zu einem „Alto Adige“ („Hochetsch“) geworden war, zu Ende. Die von Tolomei erfundenen italienischen Namen wurden zu den amtlichen Namen und mussten fortan verwendet werden.

Am 24. Oktober 1925 veröffentlichte die Südtiroler Zeitung „Der Landsmann“im behördlichen Auftrag die von Tolomei erfundenen Ortsnamen zusammen mit den ursprünglichen Namen, damit die Südtiroler nachschlagen konnten, welche Ortschaft mit einem neuen Namen nun eigentlich gemeint war.

Er ließ mit der Hilfe der Regierung in ganz Südtirol italienische Ortsnamenstafeln anbringen. Sodann wurde begonnen, auf die Südtiroler Druck auszuüben, auch ihre Familiennamen auf den „italienischen Ursprung“ zurückzuführen. Diesem Druck gaben aber nur relativ wenige Südtiroler nach, welche als Angestellte im öffentlichen Dienst um ihren Posten fürchten mussten.

Bis heute haben die erfundenen italienischen Ortsnamen ihre amtliche Gültigkeit behalten und werden von italienischen Nationalisten als „Beweis“ für den seit jeher gegebenen italienischen Charakter des Landes angeführt.

Die tatsächliche Geschichte der Entstehung Tirols ist jedoch eine andere und beginnt in der germanischen Völkerwanderungszeit. Sie ist auch eng mit der Entstehung des bairischen Stammes und dessen Landnahme im Tiroler Raum verbunden.

Der Historiker Georg Dattenböck hat sich mit dieser Frühgeschichte des süddeutschen Raumes und unter anderem auch mit dem Verfasser und der Entstehung des Nibelungenliedes eingehend befasst.

In dem nachstehenden Beitrag schildert Georg Dattenböck die Entstehungsgeschichte Tirols und stellt unseren Lesern auch einen frühen Historiker und dessen außerordentliche Forschungsberichte vor.

Johann Georg Turmair (Aventinus) berichtet über die Anfänge Tirols

von Georg Dattenböck

Johann Georg Turmair wurde am 4. Juli 1477 in Abensberg in Niederbayern geboren und starb am 9. Jänner 1534 in Regensburg. Er benannte sich „Aventinus“ = „der Abensberger“.

Aventinus war ein für seine Zeit erstaunlich unabhängiger Geist, er wurde noch weit über hundert Jahre nach seinem Tode verfemt und seine Arbeiten wurden nicht erwähnt, er passte nicht in das Weltbild seiner Zeit. Ab 1495 studierte er an den Hochschulen in Ingolstadt, Wien, Krakau und Paris und legte seinen Schwerpunkt auf humanistische Studienfächer. Intensiv beschäftigte er sich mit der griechisch-römischen Antike und deren Literatur und er wurde einer der Begründer einer neuen Geschichtsschreibung.

Hans Sebald Lautensack: Bildnis des Johann Aventinus, Druck, Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Graphische Sammlung, H 462a (Annales Boiorum libri septem, 1554).

Aventinus schloß sich an den älteren Conrad Pyckel (Bickel) an, der seinen Namen ebenfalls latinisierte und sich „Celtis“ nannte und als deutscher „Erzhumanist“ bezeichnet wurde. Er war der Gründer mehrerer wissenschaftlicher Gesellschaften, er entdeckte eine Straßenkarte des Römischen Reiches, die später den Namen „Tabula Peutingeriana“ erhielt und die uns wichtige Informationen über das Römische Reich der Spätantike überliefert.

Ausschnitt aus der „Tabula Peutingeriana“

Celtis war auch der deutsche Herausgeber der „Germania“ des Römers Tacitus. Diese „Germania“ wird in die Zeit nach 103–106 n. Chr. datiert und ist die wichtigste Quelle über die germanischen Stämme der Antike. Von Celtis kam die Idee, an der Universität Ingolstadt ein „Collegium“ mit vier Lehrern: zwei für Poetik und Rhetorik und zwei für mathematische Disziplinen zu gründen. Diese Gründungsurkunde, verfasst im Namen von Kaiser Maximilian I., ist datiert mit „Bozen, 31. Oktober 1501“. Es war auch Celtis, der die Aufmerksamkeit von Aventinus auf die eigene bairische Geschichte lenkte.

Mit dem akademischen Grad eines Magisters kehrte Aventinus von Paris nach Hause zurück und hielt ab 1507 Privatvorlesungen in Ingolstadt. Nach dem Tod von Herzog Albrecht IV. wurde er beauftragt, die zwei Söhne des Verstorbenen: Ludwig und Ernst, zu unterrichten und zu erziehen. Für diese schrieb er 1512 eine lateinische Grammatik und als Ernst 1516 an der Universität Ingolstadt studierte, schrieb er für ihn eine systematische Darstellung der Wissenschaften, die er „Enzyklopädia“ nannte und diese erstmals 1517 als Anhang zu seiner Grammatik veröffentlichte. Es ist die erstbekannte gedruckte Enzyklopädie mit dem Titel: „Enzyklopädie und Kreis der Lehren, das ist aller Künste, Wissenschaften, der Philosophie selbst Verzeichnis und Gliederung.“

Aventinus wurde 1517, in Anerkennung seiner Erziehertätigkeit, zum bairischen Hofhistoriographen ernannt und wurde beauftragt, ein Werk über die bairische Geschichte zu verfassen. Über dieses Werk wird treffend in „Deutsche Biographie“ geurteilt:

„Kein deutscher Geschichtsschreiber vor ihm hat in so umfassender Weise seinen Stoff gesammelt. Die Herzöge öffneten ihm ihre Archive und ermöglichten ihm Archivreisen im ganzen Land, auch in die Klöster. Zu Abensberg, in der Stille seines Heimatortes, arbeitete er 1519 bis 1521 die lateinisch geschriebenen „Annales ducum Boiariae“ aus. Die lateinischen „Annales“ sind inhaltlich und sprachlich eine glänzende Leistung. Mit freiem Geiste, fern von jeder Schablone, hat er den Stoff gemeistert und aus seiner humanistischen Gesinnung heraus neu gestaltet, wenn er sich dabei auch manchmal allzu nachgiebig seiner eigenartigen Phantasie überließ. Da eine Anzahl Quellen, die er noch benutzen konnte, inzwischen verlorengegangen sind, ist sein Text für den Inhalt jener heute maßgebend, wie sich z. B. erst vor kurzem nach der Auffindung alter Salzburger Annalen gezeigt hat.

Eine von Aventins Hand geschriebene Seite (Bayerische Staatsbibliothek Cgm 1558).

 1522 begann er im Auftrage der Herzöge die Verdeutschung dieses Werkes, doch unterbrach er die Arbeit immer wieder und schrieb erst 1533 das Schlusswort dieser volkstümlich gehaltenen ‚Bairischen Chronik‘, die nicht eine bloße Übersetzung, sondern eine viele Eigentümlichkeiten bietende freie Bearbeitung der ‚Annales‘ geworden ist. (…)

Die ‚Chronik‘ hat nicht den gleichen wissenschaftlichen Wert wie die ‚Annales‘. Für die älteren Zeiten viel zu phantastisch und weitschweifig, ermangelt sie der geschichtlichen Zuverlässigkeit. Aber als literarisches Denkmal ist sie von höchstem Wert“.

Die Titelseite der gedruckten „Bairischen Chronik“ vom Jahre 1566

Aventinus selbst berichtete in der Chronik seinen „durchlauchtigsten, hochgeborenen Fürsten und Herren, Hertzogen in Obern- und Nidern Baiern“, daß er wegen dieser Chronik „nach meinem vermögen gearbeit, tag und nacht keine ruhe gehabt, vil Hitz und Kelte, schweiß und staub, Regen und schnee, Winter und Sommer erlitten, das gantz Beyerland durchritten, alle Stift und Klöster durchfaren, Buchkammern, Kästen, fleißig durchsucht, allerley Handschrifften, alte Freyheit,, Übergab, Brieff, Chronica, Reimen, Sprüch, Lieder, Salbücher, Kalender, Register, der Heiligen leben durchlesen und abgeschrieben, alle winckel durchloffen und durchsucht habe“.

Je weiter Aventin in die Zeit der Antike, bis zur Arche Noa, dem Anbeginn der Welt und jenem der Deutschen zurückging, umso mehr wird der Leser mit freundlichem Schmunzeln seine phantastisch-historischen Darstellungen lesen. Trotzdem war im 19. Jahrhundert dem bayerischen Königshaus und der Münchner „Königlichen Akademie der Wissenschaften“ Aventins „Bairische Chronik“ so wertvoll und wichtig, daß diese 1877 vom berühmten Germanisten Matthias Lexer, Rektor der Universität Würzburg, von 1882 bis 1886 neu bearbeitet und herausgegeben wurde.

Bairische Stammessage, Annolied und Kaiserchronik

Für Aventin fußte die Berichterstattung über die Herkunft der Baiern auf der Bibel und u. a. auch auf der zunächst mündlich tradierten „bairischen Stammessage“. Diese wurde im „Annolied“ Ende des 11. Jhdts., vermutlich von einem Mönch im Kloster Siegburg, wohl im Auftrag von Reginhard v. Siegburg, Abt des Kloster Michaelsberg, möglicherweise nach Vorlagen altfränkischer Lieder/Chroniken, niedergeschrieben. Teile des „Annoliedes“ wurden fast wörtlich in die um 1140 entstandene „Kaiserchronik“ übernommen.

 Im „Annolied“ heißt es über die Herkunft der Baiern:

„dere geslehte dare quam wîlin ere von Armenie der hêrin, dâ Nôê ûz der arkin gîng, dur diz olizuî von der tûvin intfieng. iri ceichin noch du archa hât ûf den bergin Ararât. man sagit, daz dâr in halvin noch sîn, die dir Diutischin sprechin…“.

(„Ihr Geschlecht sich dorthin hatte gewandt, aus Armenien kommend, dem bergigen Land, wo Noah aus der Arche ging, als den Ölzweig er von der Taube empfing. Ihren Stand noch heute die Arche hat auf dem hohen Berge Ararat. Man sagt, es geb“ da noch Leute genug, die sich bedienten der deutschen Zung“….“)

Diese Herkunft aus Armenien vertritt ebenfalls die Mitte des 12. Jahrhunderts in Tegernsee entstandene „Passio secunda S. Quirini“ im Kapitel „Noriker“. Die Erzählung über einen bairischen Herzog Theodo beansprucht fast die Hälfte dieses Kapitels und weist damit eine Übereinstimmung mit der „Kaiserchronik“ und der darin enthaltenen Adelgersage auf.

Lugier und Alanen

Trotz vieler phantastischer Einschübe sollte man die Hinweise auf Armenien nicht voreilig beiseitelegen. Der Verfasser darf im Kontext auf den Großstamm der ursprünglich aus Norwegen stammenden Lugier – von den Römern „Vandali“ genannt – verweisen, die der Sage nach den Langobarden in Norddeutschland in einer Schlacht unterlagen, deshalb in das heute Polen genannte Land zogen und mit den dort bereits lebenden Kelten die wissenschaftlich gut dokumentierte, reiche „Przerworsk-Kultur“ begründeten. Ein Teil dieser Lugier, jene nach dem Bericht des röm. Historikers Tacitus kriegerischen Harrier (oder Hasdingen), zogen von Schlesien weiter nach Osten bis an den Dnjestr und bis nach Dacien, sehr nahe an die römische Reichsgrenze am Fluß Maros.

Die in Russland lebenden Völkerschaften, darunter die Ostgoten und das kriegerische Reitervolk der Alanen, flüchteten vor den anstürmenden Hunnen in den Westen. Die Alanen stammten ursprünglich aus dem Kaukasus, wo auch Armenien liegt. Bei diesen Alanen könnte nun theoretisch der Anknüpfungspunkt an die bairische Stammessage liegen, denn ein Stammesteil der Alanen ging mit den ebenfalls in Not geratenen Hasdingen in Dacien eine den Historikern bekannte „Stammesehe“ ein. Im Jahre 401 flüchtete dieser Stammesverband, im Gefolge u.a. auch die sich anschließenden pannonischen Sueben und Markomannen, nach Noricum und Rätien.

Im Rahmen einer wissenschaftlichen Ausstellung 2007 in Linz, konnte sich jeder Besucher freiwillig einem Gentest unterziehen. Bei 48 Prozent (2.377 Personen) wurde die „Haplogruppe H“ festgestellt, diese war in Schlesien beheimatet. Die Vorfahren dieser H-Gruppe kamen aus dem Gebiet des Kaukasus, mit der Bezeichnung „Haplogruppe R“.

Somit wird mit der heutigen Gen-Forschung die vielhundertjährige mündliche Kaukasus-Überlieferung bei einem Teil des Baiernstammes bestätigt. (Dr. Martin Pfosser: „Der gläserne Museumsbesucher. Auswertung der DNA-Tests der Evolutionsausstellung 2007/2008 in Linz“ in: „Schriftenreihe Österreichischer Museumstage“, Band 1, Graz 2010).

Drei Münzen nach 330: Die Hasdingen als römische Föderaten in West-Pannonien (Wikipedia).

Diptychon: Gefangene Alanen/Lugier in den Kämpfen des Flavius Constantinus III. (†2.9.421 in Ravenna), Bilder aus: Otto Fiebiger/Ludwig Schmidt: „Denkschriften“; 60. Band, 3. Abhandlung: „Inschriftensammlung zur Geschichte der Ostgermanen“; Wien 1917.

Was sagen anerkannte Historiker?

Der oberösterreichische Landeshistoriker Dr. Josef Reitinger schrieb:

„Eine der quellenmäßig überlieferten Germanenzüge ist der Zug der Vandalen und Sweben, denen sich auch die Alanen angeschlossen haben. Er fand im Jahre 401 n. Chr. statt. Der Zug wird auf den alten Römerstraßen entlang der Donau nach Westen geführt haben. Das Vordringen der Hunnen in die Ungarische Tiefebene wird die Vandalen wohl veranlaßt haben, ihre neugefundenen pannonischen Wohnsitze wieder aufzugeben und nach Westen abzuziehen. Vorher war die Hauptmacht der Vandalen, bei denen es sich um einen ostgermanischen Großstamm handelt, in Schlesien ansässig (…). Wenn auch der römische Heermeister Stilicho, selbst vandalischer Abstammung, bemüht war, die Eindringlinge in den Jahren 401 und 402 in heftigen Kämpfen wieder zurückzuschlagen, so scheint es doch wie bei allen anderen germanischen Einbrüchen auch diesmal wieder zu einem Kompromiß gekommen zu sein, denn ein Teil von ihnen wurde als Föderaten in Noricum zum Grenzschutz angesiedelt“. (Dr. Josef Reitinger: „Die Völker im oberösterreichischen Raum am Ende der Antike; S. 337/338, in: „Severin – Zwischen Römerzeit und Völkerwanderung. Ausstellungskatalog zur Landesausstellung“, Linz 1982)

Prof. Dr. Konrad Vössing analysierte, daß das Ziel der Lugier nur eines sein konnte:

„der Eintritt oder der Einbruch ins Römische Reich. Nur dort, so viel war klar, waren die Mittel vorhanden, die ausreichend Nahrung für Verbände mit bis zu sechsstelligen Bevölkerungszahlen erwarten ließen. (…) Man war prinzipiell auf fremde Ernten angewiesen, und selbst wenn man auf sie zugreifen konnte, war es nicht möglich, längere Zeit an einem Ort zu bleiben. Dieser unerbittlichen Notwendigkeit – man befand sich immer wieder am Rand des Hungers oder gar des Verhungerns – konnte nur entkommen, wem es gelang, sich irgendwie im Römischen Reich oder wenigstens an seinen Außengrenzen zu etablieren. Es boten sich im Wesentlichen zwei Möglichkeiten: entweder schloss man einen Vertrag mit der römischen Zentralgewalt, der meistens auf dem Prinzip: „Ernährung gegen Waffenhilfe“ basierte, was natürlich eine neue existentielle Abhängigkeit mit sich brachte, nämlich die vom Eintreffen der zugesagten Lieferungen. Oder es gelang irgendwie, den Kaiser dazu zu bewegen, dauerhaft römisches Provinzialgebiet zur Verfügung zu stellen, auf dem man sich einrichten konnte und dessen Erträge dann die Ernährung sicherten“. (Konrad Vössing: „Die Vandalen“, München 2018, S. 16ff,)

Der damaligen katastrophalen militärstrategischen Notlage des Römischen Reiches den Tribut zollend, machte dessen Feldherr Stilicho diesen großen Stammesverband zu Verbündeten  Roms, die er sofort als „dienstpflichtige Militärsiedler an bestimmte Sitze in Vindelicien und Noricum band“ (Hans Joachim Diesner: „Das Vandalenreich. Aufstieg und Untergang“, S. 23, Leipzig 1966).

Ob bei diesem Verhalten Stilichos gegenüber den Lugiern nur seine Notlage, oder aber auch seine Herkunft – sein Vater war Lugier und Führer eines Reiterregimentes in Pannonien – zum Tragen kam, kann heute nur noch vermutet werden. Hans Constantin Faußner bezeichnete Feldherr Stilicho jedenfalls mit Recht als „Begründer Bayerns“ (Constantin Faußner: „Die römische generalstabsmäßige Ansiedlung der Bajuwaren aus rechtshistorischer Sicht“, erster Teil: „Regensburg und Oberpfalz, Niederbayern“; zweiter Teil: „Schwaben und Oberbayern“ in: „Beiträge zur Staats- und Gesellschaftsordnung des Mittelalters“, Hildesheim 2013).

Der bairische Historiker Dr. Ernst Klebel zitierte eine in Latein verfasste Randbemerkung, die Papst Gregor d. Großen (†604) zugewiesen wird. (Ernst Klebel: „Baierische Siedlungsgeschichte; in: Zeitschrift für bayrische Landesgeschichte“ Band 15, Heft 2, S. 75-82)

Klebel fand diese Glosse im Archiv des Klosters St. Gallen, sie lautet: „Die Vandalen, die als Volk in der Vergangenheit nach Afrika zogen, sind die Baiern“.

Dieser schlichte Satz beinhaltet wohl eine historische Wahrheit: nicht alle Lugier zogen von Bayern fort, sondern nur etwa die Hälfte, vielleicht an die 150.000 Menschen. Bestätigt wird dies durch den spätantik-griechischen Geschichtsschreiber Prokopios von Caesarea (†῀562). Prokop war, im persönlichen Gefolge des oströmischen Feldherrn Belisar, beim Untergang der Lugier 533/34 in Karthago ein Augenzeuge des Dramas. Prokopios berichtete, dass die Lugier vor langer Zeit, „infolge einer Hungersnot, ihre Heimat verließen, aber ein Teil von ihnen zurückblieb“. Weiter berichtete er, dass die die Daheimgebliebenen nach längerer Zeit befürchteten, dass ihre ausgewanderten Stammesgenossen und deren Nachkommen einmal aus Afrika vertrieben werden könnten und wieder in ihre alten Wohnsitze zurückkehren wollten. Die Hiergebliebenen vermuteten, dass die Römer sie nicht auf Dauer in Afrika dulden würden. Deshalb schickten sie Boten zu ihrem König Geiserich und diese erklärten dem König, dass sie nicht mehr imstande wären, weiterhin das Land für die Ausgewanderten zu bewahren. Sie baten daher Geiserich, keinen Rechtsanspruch mehr auf die alten Wohnsitze zu stellen. Geiserich und seinen Ratgebern schien die Forderung zunächst berechtigt und vernünftig. Prokopios schrieb:

„Da erhob sich ein Greis, der bei ihnen wegen seiner Weisheit sehr angesehen war und sagte, man dürfe darauf niemals eingehen. Denn kein Menschending stehe auf unerschütterlichem Grunde, nichts auf Erden hätte für die Ewigkeit Bestand…“ Geiserich stimmte dem Greis beifällig zu und ließ die Gesandten wieder unverrichteter Dinge abziehen“. („Vandalenkrieg/ Gotenkrieg“, Nachdruck: Winkler-Verlag München 1966, S. 40)

Zur Zeit dieser Gesandtschaft (um etwa 470), saßen die Ausgewanderten bereits 40 Jahre lang in ihrem nordafrikanischen Königreich in und um Karthago. Folgendes Indiz weist ebenfalls auf die alte Heimat hin: im Ort Arten, nahe bei Fritilaburg/Felters/Feltria, dem heutigen Feltre im Tal der Piave, wurde am 20. Jänner 1875 auf dem markanten Berg Aurin (Odins-Berg) ein eindeutig staatliches Symbol der Lugier gefunden: die drei Kilogramm schwere Silberschale König Geiserichs mit der Inschrift: „Geilamir Rex Vandalorum et Analorum“.  Sie kann nur durch Überlebende des Unterganges von 533/34 in damals noch intaktes Stammesgebiet gebracht worden sein. Die Verwendung von Silberschalen bei Staatsempfängen der Antike, gerade in Nordafrika, war im Europa des 16. Jh. noch bekannt.

Die Kämpfe mit West- und Ostgoten

Zugleich mit dem lugischen Stammesverband drangen im November 401 die Visigoten (oder Westgoten) unter ihrem König Alarich, vom Balkan über den Birnbaumer Wald kommend, in Venetien ein. Der führende Gotenforscher, Univ.-Prof. Dr. Herwig Wolfram notierte:

„Niemand verteidigte die Paßstraße der Alpes Iuliae, den Birnbaumer Wald-Hrušica; erstaunlicherweise waren die militärischen Paßsperren nicht mehr intakt oder nicht besetzt. Auch mußte die halbherzige Abwehr an den Flüßen Isonzo und Timavo scheitern. So stießen die Goten ziemlich ungehindert bis Aquileia vor (…). Während des Winters erobern sie mehrere ungenannte Städte und das flache Land Venetiens. Dann bedrohten sie die Residenz Mailand. (…) In Rom besserte man hastig die aurelianische Stadtmauer aus.

[Kaiser] Honorius machte sich zur Flucht nach Gallien bereit; doch Stilicho veranlaßt ihn zu bleiben. Rechtzeitig trifft die römische Armee, um alanische Reiterkontingente aus Pannonien und neu aufgestellte vandalische Föderaten verstärkt, zum Entsatz Mailands ein“ (…) Der gotische Versuch, die Stadt Hasta-Asti am Tanaro zu nehmen, scheitert, worauf Alarichs weitere Bewegungen die Form eines Rückzugs annehmen. Flußaufwärts, etwa zwei Kilometer unterhalb der Mündung der Stura di Demonte, schlagen die Goten ihr Lager auf. Der Ort heißt Pollentia-Pollenzo, und in einiger Entfernung davon fließt die Urbs-Orba, ein Gewässer, das den Namen der ‚Stadt‘ trägt und Rom versinnbildlicht. Hier muß Alarich sein Schicksal erreichen. Am Ostersonntag, dem 6. April 402, übergibt Stilicho den Oberbefehl an den heidnischen Alanenführer Saul. Dieser greift die Goten, die an einem solchen Feiertag keinen Kampf erwarten, überraschend an. Alarich verliert sein Lager, die ganze Beute, zahlreiche Stammesangehörige, darunter selbst Frauen und Kinder seiner Verwandten, muss Verluste bei den unberittenen Abteilungen hinnehmen, kann jedoch die Kavallerie unversehrt erhalten. Im Gegenangriff werden die Alanen zurückgeschlagen, Saul fällt. Die Schlacht geht unentschieden aus. Nun greift Stilicho ein und behauptet den Platz, so daß er dem römischen Lobredner als Sieger gilt…“ (Herwig Wolfram: „Die Goten. Von den Anfängen bis zur Mitte des sechsten Jahrhunderts“; 5. Auflage 2009, S. 158ff, München 1979; Quelle: Ammianus Marcellinus XXXI 6, 1ff.)

Der „römische Lobredner“ war der Hofdichter Stilichos, Claudius Claudianus. Dieser schrieb historische Gedichte, die bedeutsamsten sind: „de bello Gothico“ und „de consulato Stiliciones liber“. Über die Schlacht am Ostersonntag 402 gegen die Westgoten schrieb Claudianus in „De bello Pollentino“:

„Wenn der [römische] Soldat erschöpft aus der Schlachtreihe weicht, setzt er [Stilicho] die Hilfstruppen [Lugier/Alanen] zur Behebung des Schadens ein. Durch diese schlaue List schwächt er die wilden Anrainer der Donau [Lugier] durch die Kraft der Blutsverwandten [Germanen] und wendet den Kampf zum doppelten Gewinn für uns, indem auf beiden Seiten Barbaren fallen“. (Nach Ernst Nischer-Falkenhof in: „Stilicho“, Wien 1947)

Durch Claudians Zeilen, voll von Häme und Zynismus gegenüber den verbündeten Lugiern, erhalten wir u.a. die Mitteilung, dass der Stammesverband auch im Alpenvorland saß, wie dies von Faußner exakt beschrieben wurde. Die Alanen und Lugier wurden zum mehrfachen Retter des Römischen Reiches: die Westgoten wurden besiegt und mit der Erlaubnis Stilichos, durften die geschlagenen Goten durch das Etsch-, Eisack- und Pustertal nach Noricum und Pannonien abziehen.

Der mit Stilicho verbündete und siegreiche lugische Stammesverband wurde vom römischen Generalstab in Rätien, Noricum und Friaul angesiedelt und sie wuchsen, nach dem Zusammenbruch des Weströmischen Reiches im Jahre 476, mit den im Land gebliebenen Kelten, Römern (=Walchen), mit den germanischen Juthungen, Sueben, Markomannen, Herulern, Rugiern/Skiren, Langobarden und Ostgoten, zum Neustamm der Baiern zusammen.

Die These über den bairischen Herzog Theodo I.

Lugierkönig Geiserich in Karthago (König von 428–477) hatte einen Sohn namens Theoderich (†῀478); dieser Theoderich hatte zwei uns namentlich unbekannte Söhne. Der Logik nach kann einer davon der bairische Herzog Theodo I. (deutsch: Dietrich) gewesen sein: in der „Vorauer Handschrift“ wird für die Jahre 508, 512 und 520 jeweils ein Herzog Theodo erwähnt. 511 starb Theodo I., sein Sohn: Theodo II. folgte ihm, er war verheiratet mit einer Langobardin aus dem Königsgeschlecht der Lethingen.

Hier nun steigen wir bei Aventinus und seiner Chronik ein: 512 weigerte sich Herzog Theodo II., die Oberhoheit des Kaisers und kaiserlichen Statthalters Theoderich d. Gr. (Ostgotenkönig Dietrich), anzuerkennen. Jahrelange Verhandlungen folgten, Theodo wurde immer wieder nach Ravenna vorgeladen, er ignorierte dies beharrlich und Theoderich d. Große erklärte daraufhin den Kriegszustand. Herzog Theodo II. zog sich in seine Residenz Otinga (Altötting) zurück, rüstete sich und wartete auf das Kommen des Heeres von Theoderich.

Das „Auctarium Garstense“ schrieb zum Jahre 520, daßss das Heer der Römer von den Baiern bei Ötting vernichtend durch Theodo den Herzog geschlagen wurde.

Aventinus berichtet im 3. Buch seiner Chronik von neun siegreichen Schlachten von Theodo II.: die erste erfolgte bei Oeting, „die ander Schlacht bey dem Kloster Roht“, die dritte bei Rosenheim, die vierte auf der Perlacher Heide zwischen München und Wolfratshausen, „die fünffte Schlacht und Scharmützel Hertzog Diethens im Berg bey Mittenwald“. Aventins Bericht über die  sechste, siebte, achte und neunte Schlacht wird folgend als Faksimile abgedruckt, weil es Tirol betrifft:

 

Aventinus berichtete also über diese letzte Schlacht bei Bozen: „Herzog dieth gewan also die Land alle und lag ob den Römern und Walhen, erschluegs, verjagts, behielt den streit und sig. Machet zwischen Potzen und Trient bei dem Eselbrun die gränitzen der Baiern und Walhen und richtet alda zu Potzen ainen marchgrafen der alten Brauch nach auf (…)“.

Baiern wurde unter Theodos Herrschaft zum Erbherzogtum. 537 verstarb er und hinterließ nach Aventinus drei Söhne:

  • Theodo III.: dieser erbte den Nordgau, Regensburg und das Land zwischen Isar, Rott und Donau; er starb 565.
  • Ott erbte das Land ob der Enns und das Oberland zwischen Inn und Lech; 545 starb er und Theodo III. „nam mit seinem sun herzog Dietbrecht das land ein“; Otts Schwester, Rodelinde, war mit Langobardenkönig Audoin verheiratet, sie erhielt von Kaiser Justinian das „Regnum Noricum“ als Erbe, wodurch Audoin dem Herzog Ott in der Herrschaft folgte. Aus der Ehe Rodelindes mit Audoin stammte Herzog Garibald I.
  • Diethwald erbte Bozen, „das Etschland und was an Wälschland hinan stöst und ietzo die Grafschaft Tyrol haist“.
  • Dietbrecht (Theodebert I.), beerbte seinen Vater und dessen Brüder, er war der letzte „Theodone“ der Herzogsdynastie und starb 577. Es folgte Herzog
  • Tassilo, der Sohn einer Tochter von Herzog Theodo II. mit einem Langobarden aus dem Geschlecht der Agilolfinger. Tassilo ehelichte eine langobardische Königstochter namens Luitpirc, das Symbol dieser Ehe ist der im Kloster Kremsmünster aufbewahrte „Tassilo-Kelch“. Herzog Tassilo starb in Klosterhaft, ihm folgte Garibald.

Räter/Ladiner und Freisassen

Das Territorium des rätischen Urvolkes, der späteren Ladiner, in ihrem Land im Gebirge, wurde Jahrhundertelang von den Römern beherrscht, um die Mitte des 6. Jahrhunderts erfolgte die sehr friedlich ablaufende Ansiedelung der Baiern. Sie waren nicht nur Krieger, sondern, wie sich zeigte, auch aufbauwillige Menschen und schufen, in enger Schicksalsgemeinschaft mit den Ladinern, in eineinhalb Jahrtausenden ein kultiviertes und blühendes Land Tirol.

Die Freisassen oder freie Sassen in Tirol werden die Nachkommen dieser ursprünglich bairischen Bauernkrieger gewesen sein. Otto Stolz schrieb in seiner „Wehrverfassung und Schützenwesen in Tirol von den Anfängen bis 1918“ (Innsbruck 1960), dass diese bäuerlichen Familien, obwohl nicht adelig, die Vorrechte des Adels genossen: sie unterstanden nicht der Gerichtsbarkeit des Landgerichtes, in dessen Sprengel sie mit ihren Gütern ansässig waren, sondern dem Gericht des Landeshauptmannes an der Etsch und sie zahlten die Steuern nicht in der Kurie ihrer Gemeinde, sondern in jener des Adels. Für diese Vorrechte mussten sie, auf Aufruf, dem Land Waffendienste zu Pferd und in Rüstung leisten.

In Nordtirol finden sich solche Freisassen in Nauders (1567), so Sigmund Überreiner (1532), in Musenatsch, Mitterhofen, Peschling (1427), den Sigmund Vischer Freisaß v. Nauders (1587), den Pinggera Freisaß v. Nauders (1659), die Eberle, Freisassen v. Straußeneck (1697). Im Ötztal saß auf den Rofen-Höfen bei Vent der Freisaß Peter v. Rofen (1348)

Die Rofenhöfe in Vent und sind die höchst gelegene Dauersiedlung der Ostalpen auf 2.014 m Seehöhe.

 In Prutz finden sich die Freisassen Payr zum Thurm und Palbyth, von denen Georg v. Payr, gestorben 1633, ältester Sohn des Georg v. Payr und der Eva Weinangl am 3.10.1634, und Friedrich v. Payr am 8.7.1651 ein Freisassen-Diplom erlangten.

In Südtirol finden sich Freisassen in Latsch, in Glurns (Hans Höß, Freisaß im Vintschgau 1622), in Schlanders, am Nonsberg, Sulzberg, in Pergen, z. B. Pankraz Freisaß v. Kuen (1489), in Stefansdorf bei Michaelsburg (Bruneck), bei Kloster Neustift die Freisassen-Höfe zu Holenwege, Mülgart und an dem Anger.

Auf der Malser Haide im oberen Vintschgau saßen im Dorfe Plawenn die Freisassen von und zu Plawenn, z. B. Hans Freisaß Plawenn (7.5.1582)

 

Der Ansitz Plawenn, ursprünglich ein fester Wohnturm mit quadratischem Grundriss und einer Mauerstärke bis zu 2 Metern, datiert bis auf das 12. Jh. zurück; die heutige Gestalt mit Zinnengiebel und Ecktürmchen erhielt das Gebäude nach dem Brand von 1708 erst um 1780. Der Ansitz war von Anbeginn an im Besitz der Herren von Plawenn (früher: Freisassen von Plawenn genannt), denen er bis auf den heutigen Tag gehört (Wikipedia, Foto: Markus W. Moriggl, St. Valentin auf der Haide / Bozen)

In Niederolang und Antholz lagen neun sehr zerstreute Bauernhöfe, deren Besitzer den Titel Freisaß führten, nämlich: Heidenburg, Mittermaier, Mooserhof, Gebelhof, Pfurnerhof, Neumeierhof in Michaelsburg, Mitterhofer-Hof in Schöneck und Urtalerhof in Altrasen, in der Gemeinde Afing (Jenesien) lagen vier Freisassen-Höfe der Freisassen v. Goldegg, nämlich: Weiffner, Mayer, Faigl und Schaller. In Innsbruck lebte 1677 Johann Anton Landsaß v. Grustner-Grißdorf aus Eppan, in Meran lebten die Freisassen v. Grießenstein, in Rodenegg die Freisassen v. Winkler (1608). Mit der Änderung der Verwaltung und der Steuerreform Maria Theresias 1774 kam auch die Freisassen-Würde außer Gebrauch.

Dieser historische Ausflug in die Vergangenheit kann naturgemäß nicht die ganze kulturelle, politische und rechtliche Entstehungsgeschichte Tirols abbilden. Er zeigt aber auf, dass wir es hier mit einem Kernland früher deutscher Kultur zu tun haben, vor dessen Hintergrund die Propaganda von der „Italianität“ Südtirols nur noch lächerlich wirkt.




Autonomie auf tönernen Füßen

In vielen Jahrhunderten haben die deutschen und ladinischen Südtiroler eine blühende Kulturlandschaft geschaffen.

Erschrecktes Erwachen: Die Autonomie könnte in Gefahr geraten

Auch nach einhundert Jahren Landesteilung haben die Südtiroler ihre Identität bewahrt. Allerdings hat sich im Laufe der Jahrzehnte die im Jahr 1945 als Selbstbestimmungspartei gegründete „Südtiroler Volkspartei“ (SVP) zu einer staatstreuen Systempartei gewandelt, welche einträgliche Pfründen zu verteilen hat.

Der Öffentlichkeit wurde in Bezug auf die unter großen Opfern errungene Autonomie verschwiegen, dass diese rechtlich nur mangelhaft abgesichert ist und dass die SVP daran wesentliche Mitschuld trägt. Stattdessen wird der Öffentlichkeit das Südtiroler Autonomiestatut als weltweit anzuwendende vorbildliche Lösung von Autonomiefragen verkauft.

Dass die Südtiroler Autonomie jedoch nicht stabil ist, sondern auf tönernen Füßen ruht, wurde der Südtiroler Öffentlichkeit wieder in Erinnerung gerufen, als im Verfassungsausschuss des Parlaments in Rom eine Verfassungsreform konzipiert wurde, mit welcher die Anzahl der Südtiroler Senatoren von 3 auf 2 verringert werden sollte.

Als der Verfassungsausschuss-Berichterstatter und Lega-Senator Roberto Calderoli von der „Radio Televisione Italiana“ (RAI) gefragt wurde, ob mit einer solchen Verfassungsreform nicht das „Pariser Abkommen“ von 1946 über die Südtirol-Autonomie verletzt würde, erklärte dieser: „Sie können mir nicht sagen, dass ein Vertrag, der 1948 (Anm.: tatsächlich war es 1946) in Paris abgeschlossen wurde, für alle Zeiten Gültigkeit besitze. Wenn die Verfassung abgeändert wird, gelten die Regeln für alle.“

Diese und ähnliche Wortmeldungen von anderen italienischen Politikern zeigen, dass es in der italienischen Politik einen breiten Konsens darüber gibt, dass die Südtirol-Autonomie eine inneritalienische Angelegenheit sei und von Italien einseitig abgeändert werden könne.

Rückblick in die geschichtliche Entwicklung

Ein trauriges Jubiläum

Im vergangenen Jahr 2018 musste man in Tirol der mittlerweile 100 Jahre andauernden Landesteilung gedenken.

Das mit Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich verbündete Italien war 1915 seinen eigenen Bundesgenossen in den Rücken gefallen und an der Seite der Entente-Mächte in den Krieg eingetreten.

Gegen Ende des Ersten Weltkriegs begann die ausgeblutete österreichisch-ungarische Monarchie in einzelne Nationalstaaten zu zerfallen und musste einen Waffenstillstand mit Italien eingehen, der am 4. November 1918 in Kraft trat und einer Kapitulation gleichkam. Die italienischen Truppen konnten nun kampflos Südtirol bis zum Brenner besetzen. Südtirol als versprochene Kriegsbeute geriet nun unter italienische Herrschaft.

November 1918: Italienisches Militär vor dem Waltherdenkmal in Bozen

Im verelendeten und hungernden Österreich musste man die Abtrennung Südtirols ohnmächtig zur Kenntnis nehmen. Diese Darstellung auf einem Notgeldschein der Nordtiroler Gemeinde Jochberg zeigt, welche Gefühle die Menschen bewegten.

Bereits unmittelbar nach der Besetzung Südtirols – noch vor der Machtergreifung des Faschismus – hatten Maßnahmen zur Beseitigung der deutschen Identität und Kultur eingesetzt. Dieses Bild aus dem Jahre 1919 zeigt, wie die Ortschaft Algund bei Meran mittels eines neuen Ortsschildes auf den erfundenen Namen „Lagundo“ umgetauft wurde.

Auf Postkarten demonstrierten die italienischen Postbeamten mittels eines Stempelaufdruckes, dass aus Südtirol nun „Alto Adige“ geworden war, welches zu „Italia“ gehörte.

Hitler und Mussolini: Der Versuch der „Endlösung“ der störenden Südtirol-Frage

Der Faschismus hatte sodann die kulturelle Auslöschung der Deutschen und Ladiner Südtirols zum politischen Programm erhoben und Hitler hatte zusammen mit seinem Freund Mussolini die Südtiroler durch die aufgezwungene „Option“ von 1939 vor eine schreckliche Wahl gestellt: Entweder in der Heimat verbleiben und dabei auf die eigene Sprache, Kultur und das Volkstum zu verzichten – oder die Heimat zu verlassen, um die eigene Identität bewahren zu können.

Die Kriegsereignisse hatten die endgültige Durchführung dieses perfiden Plans verhindert. Das „demokratische“ Italien, in welchem nach 1945 nach wie vor ehemals führende Faschisten das Sagen hatten, erschwerte dennoch durch zahlreiche Schikanen wie Verweigerung von Arbeitsplätzen und Wohnraum die Rückkehr der rund 75.000 bereits ausgesiedelten Optanten, sodass bis zu Beginn der 1950er Jahre nur rund 25.000 zurückkehren konnten.

Dieses von Rafael Thaler gestaltete Fassadenbild findet sich in Pradl bei Innsbruck in einer Wohnanlage umgesiedelter Südtiroler, welchen der Weg zurück in die alte Heimat versperrt blieb.

Der Pariser Vertrag und das betrügerische Autonomiestatut von 1948

Mit dem Kriegsende im Jahre 1945 war der Leidensweg der Südtiroler keineswegs zu Ende. Den Tirolern wurde die Aufhebung der Landesteilung verweigert. Unter dem Druck der westlichen Alliierten hatte der österreichische Außenminister Karl Gruber 1946 ohne Zustimmung des Österreichischen Nationalrates zusammen mit seinem italienischen Amtskollegen Degasperi den „Pariser Vertrag“ unterzeichnet gehabt, der nur rund 40 Maschinschreibzeilen lang, unpräzise und schwammig formuliert ist.

Darin war Südtirol in sehr allgemeinen Formulierungen eine Autonomie versprochen worden.

Mit dem ersten Autonomiestatut von 1948 wurde eine gemeinsame Autonomie für die Großregion Trentino-Südtirol eingerichtet, in welcher die Südtiroler in der Minderheit waren. Mit diesem Trick wurde das zum Schutze der Südtiroler gedachte Instrument der Autonomie in ein Instrument zu ihrer Beherrschung umgewandelt. Der Provinz Bozen wurde lediglich eine unbedeutende Subautonomie zuerkannt.

Die Fortführung der faschistischen Politik

Rom führte nun die faschistische Politik des „Ethnozid“, der kulturellen Zerstörung der Volksgruppe, weiterhin unter Anwendung alter faschistischer Gesetze entschlossen fort. Erneut wurde die staatlich geförderte Zuwanderung aus dem Süden in Gang gesetzt. Das Ziel war, die Südtiroler in ihrer eigenen Heimat zu einer entrechteten Minderheit zu machen.

Am 28. Oktober 1953 wies der „Dolomiten“-Chefredakteur und Herausgeber Kanonikus Michael Gamper in einem Leitartikel auf den „Todesmarsch“ hin, auf welchem sich die Südtiroler befanden.

Auch der Nordtiroler Landeshauptmann Alois Gauß rüttelte seine Landsleute in einem Interview mit der Tiroler Tageszeitung mit dem Hinweis auf den „Todesmarsch“ der Volksgruppe auf.

Trotz aller Proteste wurde die faschistische Politik weitergeführt, die Südtiroler in ihrem eigenen Land zur Minderheit zu machen.

Die Tageszeitung „Dolomiten“ zeigte diese dramatische Entwicklung am 5. Mai 1956 in einem großen Artikel auf.

Südländische Neuankömmlinge in Bozen

Für die südländischen Neuankömmlinge in Bozen wurde die von Mussolini gegründete Industriezone  in Bozen weiter ausgebaut und es wurden für sie große Wohnanlagen erreichtet, deren Bezug der einheimischen Bevölkerung verweigert wurde.

Die Bozener Industriezone bot den Neuankömmlingen Arbeitsplätze

Zunächst landeten die Zuwanderer aus dem Süden in Notunterkünften, hinter denen aber schon die neuen Wohnsiedlungen entstanden, welche sie aufnehmen sollten.

Am 16. Oktober 1957 veröffentlichte die Tageszeitung „Dolomiten“ einen wahren Notschrei und stellte fest, dass das Deutschtum in der Stadt Bozen bereits völlig abgewürgt sei.

Durch zahlreiche Repressionen sollten die Südtiroler willenlos gemacht werden. Schützentrachten wurden als verbotene „Uniformen“ eingestuft, Tiroler Fahnen wurden verboten und es wurde sogar eine Frau verurteilt, die ihre Fensterläden in den traditionellen Farben rot-weiß hatte streichen lassen.

Auf dem gesamttiroler Landesfestzug in Innsbruck trugen Südtiroler Schützen 1959 eine eiserne Dornenkrone als Zeichen des Schmerzes über die Landesteilung und die andauernde Unterdrückung.

Die unter großen Opfern errungene Autonomielösung von 1969

Das weitere Geschehen ist bekannt. 1961 kam es zu Widerstandshandlungen, vor allem in Form von Sprengstoffanschlägen gegen Strommasten, die bis 1969 andauerten. Rom antwortete mit gnadenloser Härte. Es kam zu Massenverhaftungen und gnadenlosen Folterungen in den Carabinieri-Kasernen.

Menschen wurden zu Krüppeln geschlagen und zwei Südtiroler, Franz Höfler und Anton Gostner, starben an den Folgen der Folter. Über inhaftierte Freiheitskämpfern wurden in Schauprozessen hunderte Jahre Kerker verhängt.

Am Ende musste Rom doch nachgeben und einer verbesserten Autonomielösung zustimmen, dem Autonomie-„Paket“ von 1969. Am 22.11.1969 nahm die 4. außerordentliche Landesversammlung der Südtiroler Volkspartei (SVP) mit knapper Mehrheit (52 % gegen 48 %) das neue Autonomie-„Paket“ an. Nach einer späteren Aussage von Landeshauptmann Magnago hatten die gegen Sachwerte und nicht Menschen gerichteten Widerstandshandlungen maßgeblich zu der Erlangung dieser Autonomie beigetragen.

Es ist eine unglaubliche Leistung, dass das „halsstarrige Volk“ in dieser Zeit trotz aller Unterdrückungen, Verfolgungen und Betrügereien die heutige Autonomie hatte erkämpfen können.

Es war den Südtirolern gelungen, das Bewusstsein der eigenen Identität aufrecht zu erhalten und das Streben nach Wiedererlangung der Landeseinheit nicht aus den Augen zu verlieren.

Das neue Autonomiestatut und die eingebauten Pferdefüße

Am 31. August 1972 setzte der italienische Staatspräsident das neue „Sonderstatut für Trentino-Südtirol“ in Kraft. Die italienischen Verfassungsjuristen hatten in das Statut sorgsam Pferdefüße eingebaut.

Der Artikel 1 des Statuts hielt und hält bis heute das Zwangskorsett der gemeinsamen Region Trentino-Südtirol aufrecht, innerhalb derer Südtirol eine Subautonomie besitzt. In diesem Artikel wurde auch die politische Einheit „der einen und unteilbaren Republik Italien“ bekräftig, womit jegliches Streben nach Selbstbestimmung als verfassungsfeindlich qualifiziert wird.

Nicht aufgehoben wurde auch die Zerreißung der ladinischen Volksgruppe und ihre Aufteilung auf drei Provinzen.

Nicht abgeschafft wurden die von den Faschisten aufgezwungenen erfundenen italienischen Ortsnamen. Sie blieben die amtlichen Namen, die deutschen und ladinischen Namen sind nur geduldet.

Für die weitere Entwicklung der Südtiroler Subautonomie innerhalb der Region war und ist bis heute vor allem das Zwangskorsett des Artikels 4 bedeutsam, in welchem es heißt:

„Die Region ist befugt, in Übereinstimmung mit der Verfassung und den Grundsätzen der Rechtsordnung des Staates, unter Achtung der internationalen Verpflichtungen und der nationalen Interessen – in welchen jenes des Schutzes der örtlichen sprachlichen Minderheiten inbegriffen ist – sowie der grundlegenden Bestimmungen der wirtschaftlich-sozialen Reformen der Republik Gesetzesbestimmungen … zu erlassen“.

Wie sich in den kommenden Jahren herausstellen sollte, waren diese wohl bewusst nicht näher definierten Klauseln die Hebel, welche die römischen Zentralisten gegen die Autonomie einsetzen konnten. Sie gaben dem Staat die Möglichkeit, Landesgesetze zurückzuweisen und im Falle eines Beharrungsbeschlusses durch den Landtag vor dem zentralistisch ausgerichteten Verfassungsgerichtshof anfechten zu lassen.

Der Verzicht auf eine international-rechtliche „Paket“-Verankerung

Das Autonomie-„Paket“ selbst wurde schrittweise im Rahmen eines zwischen Italien und Österreich vereinbarten „Operationskalenders“  umgesetzt.

Es war jedoch keine klare rechtliche Absicherung das „Pakets“ erfolgt. Die italienische Regierung hatte Österreich hier von Anfang an erpresst und die italienische Zustimmung zu dem österreichischen Beitritt in die „Europäische Wirtschaftsgemeinschaft“ (EWG) davon abhängig gemacht, dass Wien widerstandslos den Wünschen Roms entsprach. Die Österreichische Volkspartei (ÖVP), welche am 6. April 1966 bei den österreichischen Nationalratswahlen die absolute Mehrheit errungen hatte, beugte sich diesem Druck.

Ungeachtet aller Warnungen von Experten beschlossen die Regierungsparteien SPÖ und ÖVP gegen die Stimmen der Freiheitlichen im Österreichischen Nationalrat am 5. Juni 1992, dass Österreich nun mit einer Schlusserklärung den offenen Streit für beendet erklären solle.

Am 9. Juni 1988 ratifizierte der Österreichische Nationalrat zudem den von der Bundesregierung vorgelegten IGH-Vertrag. Damit wurde lediglich der 1946 geschlossene mangelhafte „Pariser Vertrag“ vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) einklagbar gemacht, nicht jedoch das Autonomiepaket selbst.

Die Streitbeendigungserklärung

Am 11. Juni 1992 übergab der österreichische Außenminister Dr. Alois Mock (ÖVP) dem italienischen Botschafter Quaroni die Schlusserklärung für den bisherigen Streitfall. In der Note hieß es, dass „die Beilegung der Streitigkeit ohne Präjudiz für die jeweiligen Rechtsstandpunkte der beiden Seiten“ erfolge.

Der österreichische Außenminister Alois Mock zog den Schlussstrich unter das Autonomie-„Paket“ – ohne dessen vertraglich-rechtliche Absicherung

Am 19. Juni 1992 wurde diese Erklärung den Vereinten Nationen übermittelt. Damit war der vor den Vereinten Nationen seit 1960 anhängig gewesene Streit nun beendet.

Italien hatte seinen Rechtsstandpunkt nicht aufgeben müssen, wonach Paketmaßnahmen innerstaatliche und Österreich gegenüber völkerrechtlich nicht verbindliche Rechtsakte darstellen. Österreich hatte in der Frage der rechtlichen Absicherung der Südtirol-Autonomie kapituliert. Wien hatte sich damit die Zustimmung Italiens für den österreichischen Beitritt zum gemeinsamen europäischen Wirtschaftsraum erkauft.

Die Kapitulation der SVP-Landesversammlung

Am 30. Mai 1992 erklärte die Landesversammlung der „Südtiroler Volkspartei“ (SVP) unter dem vereinten Druck Roms und Wiens, dass das Autonomie-„Paket“ nunmehr durch staatliche Gesetze und Durchführungsbestimmungen verwirklicht sei. Dieser Prozess hatte 20 Jahre gedauert und war von gleichzeitigen Autonomie-Aushöhlungen begleitet gewesen. Über die nach wie vor fehlende international-rechtliche Absicherung sah die Landesversammlung hinweg.

Der Parteiobmann Dr. Riz hatte zuvor erklärt:

„Der Eintritt Österreichs in die EG steht kurz bevor. Es ist nicht denkbar, daß wir unter diesen Perspektiven nein sagen und den Streit alleine und nur auf uns gestellt, offen halten. Wir würden durch ein solch einseitiges Verhalten in eine totale Sackgasse und Isolierung geraten. Auch Österreich würde uns nicht mehr verstehen“. (Südtiroler Volkspartei, 7. Außerordentliche Landesversammlung Samstag, 30. Mai 1992, Meran. Bericht des Parteiobmannes Sen. Dr. Roland Riz. Vervielfältigtes Manuskript.)

Kritik an der mangelhaften „Paket“-Absicherung

In der Nationalratsdebatte des 9. Juni 1988 hatte der freiheitliche Südtirolsprecher Dr. Siegfried Dillersberger vergebens davor vor einem endgültigen Abschluss gewarnt, bevor nicht auf dem Verhandlungswege mit Italien eine eindeutige Einklagbarkeit des Paketes vor dem IGH sichergestellt sei. Italien stehe bekanntlich auf dem Rechtsstandpunkt, daß das zum Großteil Paket aus freiwilligen Mehrleistungen Italiens bestehe, die weit über die Erfüllung des Pariser Vertrages hinausgingen und somit nicht einklagbar seien.

Der FPÖ-Nationalratsabgeordnete und Südtirolsprecher Dr. Siegfried Dillersberger (im weißen Hemd) bei einer Beratung mit den Südtiroler Landtagsabgeordneten Dr. Alfons Benedikter (1. von links), Dr. Eva Klotz (Tochter des legendären Freiheitskämpfers Georg Klotz, 2. von links) und Gerold Meraner (rechts).

In einem Gutachten des Völkerrechtsbüros im Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten hieß es dazu: „Aus heutiger Sicht erscheint es unmöglich, die in einem derartigen zukünftigen Streit eingenommenen Rechtspositionen und die Entscheidung des IGH in einem allfälligen Verfahren abzuschätzen. (Völkerrechtsbüro 25. Februar 1988; Zl. 1140.01/141-I.2.a/88; Südtirol; völkerrechtliche Konsequenzen des Abschlusses des Operationskalenders – IGH-Vertrag und österreichische Schlusserklärung)

In einem Gutachten für die österreichische Bundesregierung über die rechtliche Absicherung des Autonomie-„Paketes“ hatte der Universitätsprofessor für Zivilrecht Franz Matscher am 1. Mai 1992 erklärt, dass Italien seinen Rechtsstandpunkt nicht aufgegeben habe, wonach „die Paketmaßnahmen innerstaatliche, Österreich gegenüber völkerrechtlich nicht verbindliche Rechtsakte“ darstellten.

Eine erfolgreiche Einklagbarkeit von Paketmaßnahmen vor dem IGH sei nun davon abhängig, daß der Nachweis gelinge, daß verletzte Autonomiebestimmungen aus dem Pariser Vertrag ableitbar und zu dessen Erfüllung auch notwendig seien. Bei den Fällen unmittelbarer Ableitbarkeit aus dem Pariser Vertrag dürften dieser Nachweis und damit der Erfolg relativ leicht, bei den Fällen mittelbarer Ableitbarkeit schwierig und bei den Fällen entfernter Ableitbarkeit eher zu verneinen sein.

Das System der Autonomieaushöhlungen

Im Nachkriegs-Italien hat die Tradition eines starken Zentralstaates überlebt. So heißt es auch heute in der geltenden Fassung des Artikel 117 der Staatsverfassung:

„Staat und Regionen üben unter Wahrung der Verfassung sowie der aus der gemeinschaftlichen Rechtsordnung und aus den internationalen Verpflichtungen erwachsenden Einschränkungen die Gesetzgebungsbefugnis aus.“

Unter Bezug darauf kann der Staat die Autonomien der Regionen und Provinzen begrenzen, in diese eingreifen und Gesetzesvorlagen zurückverweisen.

Am 22. April 1992 wurde im römischen Außenamt dem österreichischen Botschafter eine Auflistung der Durchführungsbestimmungen zum Autonomiestatut übergeben. Darunter befand sich auch ein Dekret über eine neu erfundene staatliche „Ausrichtungs- und Koordinierungsbefugnis“ (AKB), welche somit zu einem Bestandteil des Autonomie-Pakets erklärt wurde.

Laufende Eingriffe in die Südtirol-Autonomie

Bereits vor Abgabe der Streitbeendigungserklärung hatte  der italienische Staat begonnen, laufend in die Südtiroler Autonomie einzugreifen. Am 20.April 1991 veröffentlichte der Südtiroler Völkerrechtsexperte und spätere SVP-Kammerabgeordnete und Senator DDr. Karl Zeller in den „Dolomiten“ einen Artikel unter dem Titel „Staatsinteresse gegen die Autonomie“. In diesem erklärte er: „Die römischen Zentralorgane haben seit Beginn der Siebzigerjahre eine Vielzahl von Instrumenten entwickelt, um mit Berufung auf ‚nationale Interessen‘ in die autonomen Kompetenzen einzugreifen … so dass heute ein nahezu lückenlos ausgebautes System der Autonomieaushöhlung besteht.“ Bislang habe der Verfassungsgerichtshof in 46 Urteilen diese Vorgangsweisen bestätigt.

Diese Karikatur aus der Zeitschrift „Der Tiroler“ (Jg. 1988) zeigte die Durchlöcherung des Autonomie-„Pakets“ durch den italienischen Staat auf.

Pläne für eine endgültige Autonomie-Beseitigung

2008 sorgte eine Ankündigung des designierten italienischen Außenminister Franco Frattini in einem italienischen Wirtschaftsblatt für Aufsehen:

„Man muss und kann das Südtiroler Statut im europäischen Sinne revidieren. Die EU sieht keine auf ethnischer Basis gegründeten regionalen Gebiete vor.“ (Zitiert nach: Tiroler Tageszeitung, 25. April 2008)

Am 8. Februar 2009 verkündete der italienische Minister für die öffentliche Verwaltung, Renato Brunetta, in einem Interview für die Zeitung „Il Gazzettino“, daß die autonomen Regionen mit Sonderstatuten bald der Vergangenheit angehören würden.

Im Zuge der italienischen Verfassungsreform müsste den „Sonderzugeständnissen“, welche vor 60 Jahren einigen Regionen gewährt wurden, ein Ende bereitet werden.

Mitte Februar 2009 erklärte der italienische Außenminister Franco Frattini in einem Interview, dass die SVP anachronistische Haltungen vertrete, „die fern jeder Realität sind“. „Die Privilegien für Südtirol müssen der Vergangenheit angehören“, betonte der Außenminister.

Wie die Bozner Tageszeitung „Dolomiten“ vom 26. August 2009 meldete, hatte der italienische Regionenminister Calderoli im Zuge einer bevorstehenden italienischen Verfassungsreform eine „Angleichung“ der Südtirolautonomie an die Regionen ohne Autonomiestatut angekündigt. Vor allem sollte die Südtirolautonomie massiv finanziell beschnitten werden. Solche Raubzüge Roms setzten in der Folge auch tatsächlich ein und konnten nur zum Teil rechtlich abgewehrt werden.

Italienischer Botschafter verlangt Aufgabe der österreichischen Schutzmachtrolle für Südtirol

 Ende November 2009 erschien der italienische Botschafter im Österreichischen Parlament und überreichte den Südtirol-Sprechern der FPÖ (Abg. Werner Neubauer) und der ÖVP (Abg. Gahr) eine Note der italienischen Regierung. Darin wurden Einwände gegen die vorgeschlagene Aufnahme der Schutzmachtrolle Österreichs für Südtirol in die österreichische Bundesverfassung sowie gegen die geplante Gewährung der österreichischen Staatsbürgerschaft für Südtiroler erhoben.

Der österreichische Nationalratsabgeordnete und FPÖ-Südtirolsprecher Werner Neubauer

Namens der FPÖ wies Neubauer diese italienische Einmischung in österreichische Verfassungsfragen zurück.

2016 – Der gescheiterte massive Angriff auf die Autonomie

Am 20. Jänner 2016 kam es nach einer endlosen Serie kleinerer Angriffe auf die Südtirol-Autonomie zu einem dramatischen Paukenschlag. Der Senat der Republik Italien genehmigte nun nach der Abgeordnetenkammer eine zentralistische Verfassungsreform, welche für die Sonderautonomien von Regionen und Provinzen gefährlich werden sollte. Eine sogenannte „Schutzklausel“ sollte diesen nämlich nur temporären Schutz bis zu einer Anpassung an die neue zentralistische Staatsordnung gewähren. Das letzte Wort sollte bei Streitfällen der bekannt zentralistisch orientierte Verfassungsgerichtshof in Rom haben.

Der italienische Premierminister Matteo Renzi hatte wohl in Verkennung der Stimmungslage das Verfassungsprojekt einer gesamtitalienischen Volksabstimmung unterworfen, welche am 4. Dezember 2016 mit einer klaren Niederlage für die Regierung endete und diesen Generalangriff auf den Föderalismus und die Autonomien vorläufig auf die Müllhalde warf.

Titelseite der „Dolomiten“ vom 6. Dezember 2016

Gerettet wurde diesmal die Südtiroler Autonomie nicht durch eine international-rechtliche Absicherung und auch nicht durch eine starke Schutzmachtrolle der Republik Österreich. Sie wurde durch die Mehrheit der italienischen Stimmberechtigten gerettet, welche keinen übermächtigen Zentralstaat installieren wollten.

Wer Italien und die dort herrschenden Interessensrichtungen kennt, weiß jedoch, dass dies nicht der letzte Versuch zur Schaffung eines autonomiefeindlichen zentralistischen Systems gewesen sein wird.

Die berechtigte Scheu vor dem IGH und die pragmatische Politik des ständigen Kuhhandels

Rom geht bei Autonomie-Aushöhlungen jeweils bis knapp an die Schmerzgrenze in Südtirol und Österreich, wobei in Wien angesichts der schlechten rechtlichen Absicherung der Südtirol-Autonomie die Bereitschaft, sich einen Rechtsstreit vor dem „Internationalen Gerichtshof“ (IGH) einzulassen, nur eine geringe ist.

Die Gefahr, eine solche Klage bereits formalrechtlich zu verlieren, war und ist zu groß. Eine österreichische Niederlage vor dem IGH hätte den italienischen Eingriffen in die Autonomie erst richtig Tür und Tor geöffnet.

Südtirols Politiker sind in der laufenden praktischen Auseinandersetzung mit Rom eingebunden in ein System intensiver Verflechtungen und Kooperationszwänge.

Mit dem neuen Autonomie-Paket war ein höchst kompliziertes Konstrukt geschaffen worden, welches dem Staat bis heute zahlreiche Auslegungs- und Eingriffsmöglichkeiten und dem italienischen Verfassungsgerichtshof ein weites Feld an Interpretationsmöglichkeiten bietet.

Um Schlimmes zu verhindern, müssen die parlamentarischen Vertreter der Südtiroler in Rom eine ständige Politik des Kuhhandels betreiben, in welchem die Regierung die Stimmen der Südtiroler Parlamentarier mit Zugeständnissen erkauft.

Der Südtiroler Jurist, Völkerrechtsexperte, SVP-Kammerabgeordnete und Senator Dr. Karl Zeller hat dies am 9. April 2018 in einem launigen Interview mit der „Neuen Südtiroler Tageszeitung“ beschrieben:

„Wir halten es wie Franz Beckenbauer, der sagte: Schau’n mer mal! Was willst du in diesem römischen Chaos auch anderes tun? Für uns ist das keine besonders angenehme Perspektive. … Wir bleiben immer offen für Gespräche. … In meinen 24 Jahren im Parlament hat es anfangs oft schlecht für uns ausgesehen, weil unsere Stimmen nicht ausschlaggebend waren. … Doch durch unsere gute Arbeit und dank des Sympathiefaktors, den eine Minderheit hat, haben wir trotzdem immer möglichst viel für Südtirol herausgeholt.“

Ausblick auf die Zukunft

Die Südtirol-Autonomie steht letztlich auf tönernen Füßen und ist immer wieder substantiell gefährdet. Es ist daher kein Wunder, dass die deutschen Oppositionsparteien in Südtirol die Forderung nach Selbstbestimmung auf ihre Fahnen geschrieben haben und dass auch aus Kreisen der SVP der Regierung in Rom immer dann die Rute der Selbstbestimmung als Drohung in das Fenster gestellt wird, wenn neue Autonomie-Beschneidungen drohen.

Am 7. Juni 2006 veröffentlichten die „Dolomiten“ das Ergebnis einer Meinungsumfrage in Südtirol:

Jeder zweite Südtiroler ist für die Trennung Südtirols von Italien. Das hat eine Umfrage des Innsbrucker Institutes Soffi ergeben. Demnach sprechen sich 33,4 Prozent der Südtiroler für einen eigenen Staat aus, 21,2 Prozent wollen eine Wiedervereinigung mit Tirol.“

Unter der Bevölkerung wächst jedenfalls der Wille, sich von Rom zu trennen. Dies kommt auf zahlreichen öffentlichen Veranstaltungen in Südtirol zum Ausdruck.

 

 Es ist auch kein Zufall, dass bei aller vorsichtigen Zurückhaltung des Südtiroler Landeshauptmannes Arno Kompatscher der Klub der Altmandatare der SVP mit Ex-Landeshauptmann Luis Durnwalder und Ex-Landesrat Bruno Hosp an der Spitze sich öffentlich dafür einsetzt, dass Österreich den Südtirolern die zusätzliche Staatsbürgerschaft ermöglichen möge, um auf diesem Weg die emotionale Verbundenheit mit dem Vaterland Österreich zu stärken.

Denn das letzte Wort ist auch nach einhundert Jahre Fremdherrschaft in Südtirol noch nicht gesprochen.




Frohe Weihnachten allen Lesern und Freunden!

Dies wünschen wir auch allen unseren Landsleuten in Südtirol. In diesem vergangenen Jahr mussten wir der Tatsache gedenken, dass Tirol seit nunmehr einhundert Jahren geteilt ist.

In die Trauer mischten sich aber auch Freude darüber, dass dieses „halsstarrige Volk“ im Süden des deutschen Sprachraums sich in dieser Zeit in einer unglaublichen Weise gegen alle Unterdrückungen, Verfolgungen und Betrügereien behauptet hat.

Neben den deutschen Südtirolern haben sich auch die Ladiner ihr Volkstum und ihre Kultur nicht nehmen lassen. Sie bekennen sich als Tiroler. Für diese Haltung hat Rom sie bestraft, indem ihre Volksgruppe zerrissen und auf drei Provinzen aufgeteilt wurde.

Die deutschen und ladinischen Südtiroler haben in den vergangenen Jahrzehnten unglaubliche Belastungen überstanden.

Der Faschismus hatte ihre kulturelle Auslöschung zum Programm erhoben gehabt. Brutale Verfolgungen sollten allen Widerspenstigen das Rückgrat brechen. Hitler hatte zusammen mit seinem Freund Mussolini sodann die Südtiroler durch die aufgezwungene „Option“ vor eine schreckliche Wahl gestellt: Entweder in der Heimat verbleiben und dabei auf die eigene Sprache, Kultur und das Volkstum zu verzichten – oder die Heimat zu verlassen, um die eigene Identität bewahren zu können.

Die Kriegsereignisse hatten Gottseidank die endgültige Durchführung dieses perfiden Plans verhindert. Das „demokratische“ Italien, in welchem nach 1945 nach wie vor ehemals führende Faschisten das Sagen hatten, erschwerte durch zahlreiche Schikanen wie Verweigerung von Arbeitsplätzen und Wohnraum die Rückkehr der rund 75.000 bereits ausgesiedelten Optanten, sodass bis zu Beginn der 1950er Jahre nur rund 25.000 zurückkehren konnten.

Mit dem Kriegsende im Jahre 1945 war der Leidensweg der Südtiroler keineswegs zu Ende. Rom führte die faschistische Politik des „Ethnozid“, der kulturellen Zerstörung der Volksgruppe, weiterhin unter Anwendung alter faschistischer Gesetze entschlossen fort.

Erneut wurde die staatlich geförderte Zuwanderung aus dem Süden in Gang gesetzt. Durch zahlreiche Repressionen sollten die Südtiroler willenlos gemacht werden.

Das weitere Geschehen ist bekannt. Auf den einsetzenden Widerstand antwortete der italienische Staat mit brutaler Gewalt, Massenverhaftungen, Folter und auch Mord.

Umso größer ist der Stolz darauf, dass es unseren Landsleuten dennoch gelungen ist, unter ungeheuren Opfern den Freiraum der heutigen Autonomie zu erkämpfen, das Bewusstsein der eigenen Identität aufrecht zu erhalten und das Streben nach Wiedererlangung der Landeseinheit nicht aus den Augen zu verlieren.

Wir gedenken der Opfer und wir gedenken der Tapferen, die mutig für die Menschenrechte eingetreten sind.

Wir wünschen unseren Landsleuten im Süden Tirols eine gute Zukunft und sind uns sicher, dass sie den Mut und die Zuversicht nicht verlieren werden!

Die Mitarbeiter der Redaktion des SID

PS: Herzlichen Dank an alle, die den „Südtiroler Informationsdienst“ 2018 mit einer Spende unterstützt haben!




„Symbol des Widerstandes gegen die Zerreißung Tirols“

Gedenken an Sepp Kerschbaumer

Der Frangarter Kleinkaufmann Sepp Kerschbaumer war ein frommer und grundsatztreuer Sohn seiner Heimat gewesen – mit beispielhafter Zivilcourage.

Sepp Kerschbaumer (3. von links) war ein frommer Mann, der mit seiner Familie zusammen den Rosenkranz betete. Das bewahrte ihn nicht davor, ebenso wie alle anderen Südtiroler „dinamitardi“ von zahlreichen italienischen Politikern und Journalisten als „nazista“ hingestellt zu werden.

Er lehnte sich gegen die Politik Roms auf, die Südtiroler in ihrer eigenen Heimat durch Unterdrückung und Förderung italienischer Zuwanderung aus dem Süden zur entrechteten Minderheit zu machen.

Da das Hissen Tiroler Fahnen streng verboten war, ließ Sepp Kerschbaumer heimlich Dutzende Tiroler Fahnen nähen und mithilfe von Freunden im Schutze der Dunkelheit auf Bäumen und Hochspannungsmasten anbringen. Er selbst schmückte für den Herz-Jesu-Sonntag 1957 die Kirche in Frangart mit der Tiroler Fahne. Das brachte ihm zehn Tage Haft ein.

Als alle zivilen Mittel nichts halfen, gründeten Sepp Kerschbaumer und seine Gesinnungsfreunde den „Befreiungsausschuss Südtirol“ (BAS). Die weitere Geschichte ist bekannt. Rom kam trotz erster warnender Anschläge ausschließlich gegen Sachwerte nicht zur Einsicht. Bald drohte den Südtirolern ein staatliches Ausbürgerungsgesetz. Es folgte die Herz-Jesu-Nacht des 11. Juni 1961 mit Anschlägen auf über 40 Hochspannungsmasten.

Sepp Kerschbaumer wurde am 15. Juli 1961 verhaftet und schwer gefoltert.

Links: Die Fahne auf dem Kirchturm in Frangart, die Sepp Kerschbaumer 10 Tage Haft einbrachte. Rechts: Zusammen mit seinem Mitstreiter Martl Koch (links) wurde Sepp Kerschbaumer (rechts) 1961 verhaftet und in die Carabinierikaserne von Eppan eingeliefert.

Er sollte sich von den Folgen der furchtbaren Misshandlungen nie mehr erholen. Am, 7. Dezember 1964 ereilte ihn im Kerker von Verona im Alter von 51 Jahren der Herztod.

Am 9. Dezember 1964 wurde die sterbliche Hülle Kerschbaumers von Verona nach Frangart überführt und dort auf dem Friedhof beigesetzt. Sein Begräbnis geriet zu einer stummen Volkskundgebung. Mehr als 20.000 Menschen erwiesen ihm die letzte Ehre. Bis heute ist er im Lande unvergessen.

Das Gedenken in St. Pauls: Mehr als 2.000 Teilnehmer – Bekenntnisse zur Selbstbestimmung

Auf dem Friedhof von St. Pauls in der Gemeinde Eppan erinnert eine Gedenktafel an Sepp Kerschbaumer und weitere Freiheitskämpfer, die ihr Leben für die Heimat gegeben haben. Auf der Tafel stehen hier die Namen von Franz Höfler und Anton Gostner, die an den Folgen der Folterungen verstorben waren, sowie der Name des von einem italienischen Agenten meuchlings ermordeten Luis Amplatz und die Namen von Georg Klotz und Kurt Welser.

Links: Die Gedenktafel in St. Pauls. Rechts: Portrait von Sepp Kerschbaumer.

Dort fand auch dieses Jahr am Samstag, den 8. Dezember 2018, wieder eine würdige Kerschbaumer-Gedenkfeier statt, zu welcher der Südtiroler Schützenbund und der Südtiroler Heimatbund eingeladen hatten und an der mehr als 2.000 Menschen teilnahmen.

Es wurde der verstorbenen und lebenden Tiroler Freiheitskämpfer der 1950er und 1960er Jahre gedacht, wie es in der Einladung hieß:

 „Wir Schützen wollen durch unsere Teilnahme an dieser Gedenkfeier unseren Respekt, unsere Achtung sowie unseren Dank für den selbstlosen und uneigennützigen Einsatz und Opfertod für Volk und Heimat Tirol zum Ausdruck bringen.“

Bei der Gedenkfeier waren auch die Schützen-Landeskommandanten von Nord- und Welschtirol sowie zahlreiche politische Vertreter anwesend, unter ihnen auch Landesrätin Martha Stocker und der österreichische Nationalratsabgeordnete und FPÖ-Südtirol-Sprecher Werner Neubauer. Musikalisch umrahmt wurde die Feier von der Musikkapelle Frangart.

Pater Rainald Romaner ( OFM)

Die Gedenkfeier begann mit einem Aufmarsch der Schützen zum „Dom auf dem Lande“ in St. Pauls. Dort zelebrierte Pater Rainald Romaner OFM die heilige Messe und sagte in seiner Predigt: „Wir erinnern an Sepp Kerschbaumer und an die Freiheitskämpfer der 1960-er Jahre, und wir tun es in Demut und Dankbarkeit.“ Sepp Kerschbaumer habe Ja gesagt zum Glauben wie auch zur Heimat – bis zur letzten Konsequenz.

Dann bewegte sich ein Zug von mehr als 2.000 Menschen zu dem Friedhof von St. Pauls, um Sepp Kerschbaumers und der anderen Freiheitskämpfer zu gedenken.

Roland Lang: Emotionale Bindungen an Österreich verstärken

Die Begrüßungsansprache hielt Roland Lang, der Obmann des Südtiroler Heimatbundes, einer von ehemaligen politischen Häftlingen und Freiheitskämpfern gegründeten Vereinigung, welche für die Selbstbestimmung eintritt.

Links im Bild der Landeskommandant der Südtiroler Schützen. Rechts: Roland Lang, Obmann des Südtiroler Heimatbundes (SHB). (Bilder: Südtiroler Schützenbund)

Roland Lang sagte: „Jedes Jahr kommen wir zu diesem würdigen Gedenken an Sepp Kerschbaumer zusammen. Wir gedenken eines beispielhaften Mannes, der sein Leben selbstlos in den Dienst der Heimat stellte und Opfer der Staatsgewalt wurde. Er lebte aus dem Geist Tirols, aus unverzichtbaren Werten, dem Streben nach dem Erhalt der Tiroler Volksgruppe in ihrer Eigenart.

Unter größten Opfern wurde dieses Ziel auch erreicht. Es ist heute allgemein anerkannt, dass die Politik der rücksichtslosen Überfremdung nur durch die Südtirol-Aktivisten gestoppt werden konnte. Bereits 1976 hat Silvius Magnago auf der SVP-Landesversammlung anerkannt, was die Südtirol-Aktivisten anstrebten und aus welchem Geist sie handelten.“

Dann kam Lang auf die von der österreichische Bundesregierung geplante Wiederverleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an Südtiroler zu sprechen und sagte: „Ein österreichischer Pass entspricht einem Wunsch vieler Südtiroler, die damit ihre Verbundenheit mit dem österreichischen Vaterland ausdrücken wollen. Sicher träumten auch die Freiheitskämpfer davon, einmal wieder eine österreichische Staatsbürgerschaft zu besitzen.“

Italien habe bereits vor Jahren in weitherziger Weise allen Auslandsitalienern in der ganzen Welt das Recht auf den italienischen Pass eingeräumt und sich ausdrücklich jede ausländische Einmischung verbeten.

Der italienische Innenminister Salvini habe kürzlich gemeint, nur allein Italien entscheide, wer welchen Pass erhalte. „Da irrt der kluge Salvini freilich. Kleine Nachhilfe dazu: Die Vergabe des nationalen Passes ist ein souveräner Akt des betreffenden Staates.“

Der Südtiroler Heimatbund habe dazu die Meinung der italienischen Bevölkerung erfahren wollen, um zu sehen, ob auch diese dem nationalistischen Geist ihrer Regierungsvertreter anhängt oder nicht. Das unabhängige italienische Meinungsforschungsinstitut DEMETRA in Mestre machte dazu im Oktober 2018 eine repräsentative Umfrage in ganz Italien. Die Überraschung sei perfekt gewesen, berichtete Lang: „Die italienische Bevölkerung erklärte mehrheitlich, mit klaren 59% Zustimmung, mit dem österreichischen Vorhaben einverstanden zu sein. Die jungen Italiener sind besonders fair. Mit 77% befürworteten sie die österreichische Staatsbürgerschaft für Südtiroler.

Mit ihrer negativen Haltung und ihren nationalistischen Äußerungen stehen die italienischen Politiker damit dem Willen des eigenen Volkes entgegen. Jene, die sich gerade in der neuen Regierung auf das italienische Volk berufen, sollten dies beherzigen.“

Die Republik Österreich sollte daher durch einen souveränen Akt dem italienischen Beispiel folgen und dem berechtigten Wunsch vieler Südtiroler entsprechen

Abschließend wies Roland Lang auf die in Bozen in der Laubengasse 9 eröffnete Ausstellung „BAS- Opfer für die Freiheit“ hin lud vor allem die Jugend zu deren Besuch ein. Anhand von Dokumenten, Zeitungsausschnitten, Radio- und Fernsehsendungen sowie Exponaten könne der Freiheitskampf der sechziger Jahre um Sepp Kerschbaumer nachverfolgt werden.

Die Gedenkrede eines ehemaligen Freiheitskämpfers: Entschuldigung Italiens gefordert!

Gedenkredner war dieses Jahr der ehemalige Freiheitskämpfer Hans Jürg Humer, der sich als junger Innsbrucker Student dem Freiheitskampf angeschlossen hatte. Er war am 12. September 1967 zusammen mit Karl Schafferer aus Schwaz verhaftet und in die Bozener Carabinierikaserne gebracht worden. Dort waren die beiden schrecklichen Misshandlungen mit Schlägen, Streckungen, Schlafentzug und der Erstickungs-Wasserfolter unterzogen worden. Nach 4 Jahren Haft konnte Humer im Jahre 1971 wieder nach Österreich zurückkehren.

Karl Schafferer (links) und Hans Jürg Humer (rechts) vor dem italienischen Gericht in Florenz im Gespräch mit ihren Anwälten

Am 8. Dezember 2018 hielt Hans Jürg Humer nun sichtlich bewegt die Gedenkrede. Er sagte:

„Wir gedenken heute des Todes von Josef Kerschbaumer, der 1964 im Kerker von Verona starb und auch aller seiner Kameraden, die nicht mehr unter uns weilen.

Josef Kerschbaumer wird für immer ein Symbol  des Widerstandes sein. Des Widerstandes gegen die Zerreissung Tirols nach dem 1. Weltkrieg und gegen eine nationalistische italienische Politik, die den deutschen Charakter Südtirols nicht akzeptieren konnte und wollte.

Hans Jürg Humer bei seiner Gedenkrede

Als vor 100 Jahren das Ende des Ersten Weltkriegs eingeläutet wurde, seien es keine Friedensglocken gewesen, erklärte Humer. Das von dem amerikanischen Präsidenten propagierte Selbstbestimmungsrecht der Völker wurde den Südtirolern vorenthalten.

Südtirol sei ein Opfer des italienischen Nationalismus und gleichzeitig seien die Versuche der Südtiroler, das angestammte deutsche Volkstum zu behaupten, vom offiziellen Italien als pangermanistische und damit angeblich nazistische Gefahr vor der Welt diffamiert worden.

Wie habe nun Italiens Präsident Mattarella, fragte Hans Jürg Humer, unlängst das Ende des Ersten Weltkriegs zelebriert? Er habe als Ursache des Krieges unter anderem den „aggressiven Nationalismus“ benannt.

„Und da fragt man sich schon, sagte Humer, wer denn 1915 der Aggressor war und seinem vormaligen Verbündeten den Krieg erklärte, nachdem er sich im Londoner Vertrag beträchtliche Gebietsgewinne garantieren ließ. Also wenn das ein „mea culpa“ sein sollte, müsste es anders und deutlicher formuliert sein. Wie wäre es mit einer Entschuldigung? Es gehört ja heute schon fast zum guten Ton, dass sich Staaten bei den Opfern ihrer früheren Politik entschuldigen“.

Von Einsicht in die Fehler der Vergangenheit und von selbstkritischer Geschichtsaufarbeitung sei man aber auch in der heutigen EU weit entfernt.

„Warum nimmt die EU – über den Schutz von Minderheiten hinaus – nicht auch das Selbstbestimmungsrecht der Völker in ihre Verfassung auf, mit der Garantie fairer und korrekter Volksabstimmungen?

Das Streben „von nationalen Minderheiten, die um ihr Selbstbestimmungsrecht kämpfen ist immer legitim.“

Abschließend sagte Humer:

„Lasst uns zum Abschluss noch daran erinnern, dass Josef Kerschbaumer auch ein Opfer war, ein Opfer des aggressiven Nationalismus, wie unzählige andere und lasst uns hoffen, dass solche Opfer in Zukunft nicht mehr notwendig werden.“

Einsatz aller für die Heimat gefordert

Am Ende der Feier zeigte sich der Schützen-Landeskommandant Elmar Thaler erfreut über die starke Teilnahme und zitierte den Eucharistinerpater Walter Marzari, der 1991 gesagt hatte, dass die Messe nicht allein für Sepp Kerschbaumer gefeiert werde, sondern auch für die Heimat.

„Alle gut eingestellten Personen sollen dafür weiterkämpfen, dass das Unrecht von damals wieder gutgemacht wird. Und wir sollen nicht nur über Landeseinheit reden, sondern auch etwas dafür tun“, erklärte der Landeskommandant abschließend.

Zum Abschluss erklang die Weise des „Guten Kameraden“ und dann stimmten die Teilnehmer in die Tiroler Landeshymne und in die Österreichische Bundeshymne ein.

Um Sepp Kerschbaumer zu ehren, war im Auftrag der Kameradschaft der Südtiroler Freiheitskämpfer auch in dessen Heimatort Frangart, wo ein Gedenkstein an ihn erinnert, ein Kranz mit weiß-roter Schleife niedergelegt worden.




Ladinische Gemeinde muss italienischen Ortsnamen tragen

Ein erhellendes Urteil des italienischen Verfassungsgerichtshofes

Ein vom Geist einer wenig rühmenswerten Vergangenheit geprägtes Urteil des italienischen Verfassungsgerichtshofes vom 25. September 2018 sorgt für berechtigte Aufregung in Südtirol, obwohl es zunächst formal vor allem Welschtirol – das heutige „Trentino“ – betrifft. Seine rechtlichen Auswirkungen auf Südtirol sind jedoch nicht zu übersehen.

Im ladinischen Fassatal hatten sich die Gemeinden Pozza und Vigo zu einer Großgemeinde zusammengeschlossen, welcher man den ladinischen Namen „Sen Jan“ gab, welcher für den Heiligen Johannes steht. Ergänzt hatte man den ladinischen Heiligennamen durch das italienische „di Fassa“ – auf Deutsch: „im Fassatal“.

Der ladinisch-italienische Mischname „Sen Jan di Fassa“ wurde durch ein Regionalratsgesetz festgeschrieben.

Dem aus 15 italienischen Richtern bestehenden Verfassungsgerichtshof in Rom war der Name zu wenig italienisch. Ungeachtet der Regionalautonomie für Trentino-Südtirol stellte der Gerichtshof fest, dass

„der Schutz der Minderheitssprachen nicht durch den Verzicht auf den Gebrauch der offiziellen Nationalsprache erfolgen kann.“

Der Verfassungsgerichtshof bezog sich hierbei auf die Staatsverfassung und auf den Artikel 1 des Staatsgesetzes N. 482 vom 15. Dezember 1999, in welchem es heißt:

„Die offizielle Sprache der Republik ist Italienisch“.

Daher erklärte der italienische Verfassungsgerichtshof in seiner Sitzung vom 25. September 2018 die Bezeichnung Sèn Jan di Fassa-Sèn Jan“ für illegitim. Der Ortsnamen müsse vielmehr zweisprachig heißen: „San Giovanni di Fassa-Sèn Jan“.

Heiligsprechung der erfundenen faschistischen Ortsnamen

Für Südtirol bedeutet dieses Urteil des italienischen Verfassungsgerichtshofes wiederum eine Heiligsprechung der erfundenen faschistischen Ortsnamen. In dem Urteil waren nämlich auch die deutschen Ortsnamen Südtirols kurz zur Sprache gekommen:

„Das Autonomiestatut beinhaltet zwar auch Bestimmungen zur Toponomastik – zutiefst beeinflusst von geschichtlichen Ereignissen in den ersten 50 Jahren des 20. Jahrhunderts –, aber dieses bringt keine Abweichung von der offiziellen italienischen Staatssprache mit sich. In verschiedenen Fällen können auch Namen auf Deutsch, Ladinisch, Zimbrisch oder Fersentalerisch zusätzlich verwendet werden“, hielten die Richter in ihrem Urteil fest.

Damit bekräftigte der Verfassungsgerichtshof auch in Bezug auf Südtirol wieder, dass die deutschen oder ladinischen Ortsnamen zwar verwendet werden dürften, ihnen aber kein offizieller Charakter und keine Rechtsgültigkeit zukommt. Offizielle Namen sind demnächst nur die erfundenen faschistischen Namen.

Damit bekräftigt der Verfassungsgerichtshof die faschistische Gesetzgebung von 1923 und 1940, mit welcher die von dem faschistischen Senator Ettore Tolomei zum größten Teil frei erfundenen italienischen Ortsnamen für offiziell alleine gültig erklärt worden waren.

Mit dem auch von Mussolini unterschriebenen Königlichen Dekret vom 29. März 1923 waren die erfundenen Ortsnamen in Südtirol eingeführt worden.

Mit einem weiteren Dekret vom 10. Juli 1940 wurde den über 8.000 italienischen Orts- und Flurnamen ihre amtliche Bedeutung nochmals bestätigt.

 

Dieses faschistische Dekret aus dem Jahre 1940 ist heute noch die einzige gesetzliche Grundlage für die unsägliche und zum Großteil lächerliche Ortsnamensgesetzgebung in Südtirol.

Bild Südtiroler Schützenbund

Widerspruch aus Südtirol

Das sehr unkonventionelle Internetportal „Brennerbasisdemokratie“ hat dazu am 23. November 2018 eine Abhandlung aus der Feder von Simon Constantini veröffentlich, welche inhaltlich interessant ist:

„Mit gestern veröffentlichtem Urteil (Nr. 210/2018) hat das italienische Verfassungsgericht beschlossen, dass die Gemeinde Sèn Jan künftig auch eine italienische Ortsbezeichnung (San Giovanni) braucht. Der Entscheid geht auf eine Anfechtung der angeblich weltoffenen und autonomiefreundlichen Mittelinksregierung von Paolo Gentiloni (PD) Ende Dezember 2017 zurück”.

Hierbei habe sich der Verfassungsgerichtshof, so Simon Constantini, über die Argumente der Region Südtirol-Trentino hinweggesetzt.

Diese hatte auf die Situation im französisch-sprachigen Aostatal und in Teilen des Piemont verwiesen, wo einnamig französiche bzw. frankoprovenzalische Ortsbezeichnungen existieren.

Die Region hatte auch auf das Unrecht der faschistischen Zwangsitalianisierung verwiesen. Des weiteren hatte sie festgestellt, dass sich die italienischsprachige Gemeinschaft vor Ort mit dem Namen Sèn Jan (di Fassa) voll identifiziert und dass die Ortsbezeichnung von der Stimmbevölkerung direktdemokratisch abgesegnet worden sei.

Der seinerzeitige Präsident der italienischen verfassunggebenden Nationalversammlung, Umberto Terracini, habe in Bezug auf das Aosta-Tal erklärt gehabt: die Ortsnamen und die Eigennamen sind nicht Teil der anderen Sprache, sondern sie sind was sie sind”.  Daher, so Constantini: Mehrsprachigkeit ist nicht Mehrnamigkeit.”

Auch darüber fährt das Gericht laut Constantini mit einer Argumentationsweise drüber, die fassungslos macht”.

„So dürften die Vorherrschaft der italienischen Sprache – als alleinige Staatssprache und alleinige Sprache des Verfassungssystems (!!) – durch den Minderheitenschutz nicht infrage gestellt und die italienische Mehrheitsbevölkerung nicht benachteiligt werden. Dies gelte ausdrücklich auch für die Ortsnamengebung und dürfe niemals dazu führen, dass eine Minderheitensprache alternativ zur italienischen benutzt wird. Außerdem sei das Primat der italienischen Sprache – Achtung Brechreizgefahr – entscheidend für die fortwährende Weitergabe des historischen Erbes und der Identität der Republik, zudem Gewährleistung für den Fortbestand der italienischen Sprache an sich.

Was ist das für ein Verfassungssystem, das solche Urteile hervorbringt?

Was soll das für eine bemitleidenswerte Identität sein, die sich von einer kleinen Minderheit wie der ladinischen und einem Ortsnamen gefährdet sieht?

Und was können wir uns von einem Staat erwarten, der gleichberechtigte Mehrsprachigkeit so fürchtet und daher vehement bekämpft?

Nachbemerkung vom 27. November 2018: Auch in Frankreich hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Zweisprachigkeit nicht Zweinamigkeit ist — weshalb ein öffentliches Büro in der Bretagne den Gemeinden ausdrücklich bretonische Einnamigkeit empfiehlt. Aber was selbst im jakobinischen Frankreich möglich ist, geht in Italien offenbar ganz und gar nicht.”

„Das Urteil ist ein Warnschuss für uns“

Unter diesem Titel veröffentlichte der ehemalige SVP-Parlamentsabgeordnete, Senator und Autonomiefachmann Dr. Karl Zeller am 26. November 2018 eine Warnung in der Tageszeitung „Dolomiten“.

Karl Zeller ist nicht irgendwer. Er hatte 1989 an der Universität Innsbruck über das Thema „Die Eingriffsmöglichkeiten der römischen Zentralorgane in die autonome Gesetzgebungs- und Vollzugsgewalt des Landes Südtirol“ dissertiert und er hatte vier Jahre lang als Assistent am Institut für Völkerrecht und Internationale Beziehungen an der Universität Innsbruck gewirkt. In seiner Stellungnahme in den „Dolomiten“ sagt Dr. Karl Zeller voraus, dass „die Frage nicht beantwortet wird, was zu tun ist, wenn es keinen italienischen Ortsnamen gibt“. Was werde nun im einsprachig-französischsprachigen Aosta passieren, frägt Zeller, „müssen da dann italienische Ortsnamen erfunden werden?“

Zeller sieht sogar die jetzige Landesgesetzgebung Südtirols gefährdet, mit welcher die deutschen und ladinischen Ortsnamen bestätigt wurden. Er ruft die Politik zur Wachsamkeit auf.

„Skandalös und beschämend“

Als skandalös und beschämend bezeichnet die Süd-Tiroler Freiheit (STF) das Urteil des italienischen Verfassungsgerichtshofes.

Der Verfassungsgerichtshof macht sich laut der Südtiroler Freiheit damit zum Vollstrecker des italienischen Nationalismus und führe Südtirol deutlich vor Augen, was man von Italien zu erwarten habe.

„Der Verfassungsgerichtshof stellt mit einer abgeschmackten Überheblichkeit die italienische Kultur über die anderen Kulturen und setzt sich nicht nur über wissenschaftliche Erkenntnisse hinweg, sondern ignoriert auch alle internationalen Empfehlungen im Umgang mit Ortsnamen in Minderheitengebieten. Das ist Sprachimperialismus in Reinform“, so der Ortsnamenexperte Cristian Kollmann.

Die Süd-Tiroler Freiheit sehe sich in ihrer Haltung bestätigt, dass nur eine Abschaffung der faschistischen Ortsnamendekrete zu einer Lösung der Ortsnamenfrage in Südtirol führen könne. Faschistische Ortsnamen seien laut der Süd-Tiroler Freiheit demnach kein Kulturgut, sondern ein „Kulturverbrechen“.

Anmerkung des SID dazu: Das ist alles richtig. Es zeigt sich jedoch, dass es in der italienischen Politik parteiübergreifend einen breiten Konsens gibt, die behauptete „Italianita“ Südtirols weiterhin festzuschreiben.

Eine solche Einigkeit in Grundsatzfragen ist auf der Seite der österreichisch-tirolerischen Politik bislang noch nicht vorhanden. Hier ist zwischen den Parteien noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten, bevor man hoffen kann, Rom wirksam unter Druck setzen zu können.




100 Jahre Landesteilung – Zwei unterschiedliche Gedenken

Im Jahre 1915 war das mit Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich verbündete Italien seinen eigenen Bundesgenossen verräterisch in den Rücken gefallen, indem es sich zunächst für neutral erklärt hatte und dann an der Seite der Entente-Mächte in den Krieg eingetreten war. Diese hatten Italien unter anderem Südtirol als Kriegsbeute versprochen.

Als gegen Ende des Ersten Weltkriegs die ausgeblutete österreichisch-ungarische Monarchie zusammenbrach und in einzelne Nationalstaaten zu zerfallen begann, musste sie einen Waffenstillstand mit Italien eingehen, der am 4. November 1918 in Kraft trat und einer bedingungslosen Kapitulation gleichkam.

Titelseite der Innsbrucker „Tiroler Stimmen“ vom 4. November 1918

Die italienischen Truppen konnten nun kampflos Südtirol bis zum Brenner besetzen, den sie am 11. November 1918 erreichten. Italien feiert dies bis heute als großartigen Sieg.

Italienisches Militär auf dem Bozener Waltherplatz im Jahre 1918

Die ersten Carabinieri sind in Meran eingetroffen (Bildarchiv Haller, Meran)

Noch ahnte die Bevölkerung nicht, welch schwere Zeiten auf sie zukommen würden, denn die italienische Armee hatte auf großen Plakaten verkünden lassen, dass Italien die „Staatsangehörigen fremder Zunge mit Gerechtigkeit und Liebe behandeln“ werde. Mit dieser Proklamation wurde den Südtirolern auch die „Erhaltung eigener Schulen, eigener Anstalten und Vereine“ zugesichert und verkündet, „dass jede Sprach- und Kulturfrage baldige friedliche Regelung finden wird.“

Die Proklamation der italienischen Armee mit ihren nicht eingehaltenen Versprechungen

Diese schönen Versprechungen wurden dann Jahrzehnte lang weder in der Zeit des Faschismus noch im demokratischen Italien nach 1945 eingehalten, bis die unter großen Opfern erreichte heutige Autonomielösung eine wesentliche Verbesserung der Verhältnisse bewirkte.

Die italienischen Gedenkfeiern

Der Erste Weltkrieg hatte auf italienischer und österreichischer Seite zusammen an die 1,2 Millionen Menschenleben gekostet. Ungeachtet dessen feiert das demokratische Italien am 4. November bis heute mit provokanten militärischen Aufmärschen im „eroberten“ Gebiet diese Tragödie als erfreuliches Geschehen.

Trompetentöne in Bozen: Annexion Südtirols – „das schöne Ziel des Ersten Weltkrieges“

Am 4. November 2018 marschierte – wie schon seit Jahrzehnten – wieder italienisches Militär auf dem Bozener Waltherplatz auf. Der Alpini-General Claudio Berto hielt eine Rede, in  welcher er die Annexion Südtirols „als das schöne Ziel des 1. Weltkrieges“ bezeichnete.

Der Alpini-General Claudio Berto (Bild: Aus einem Video Süd-Tiroler Freiheit – RAI)

Der Landtagsabgeordnete Sven Knoll von der „Süd-Tiroler Freiheit“ erklärte dazu in einer Presseaussendung:

„Die Folgen des 1. Weltkrieges haben … direkt zu Faschismus und Nationalsozialismus geführt und ganz Europa damit in ein noch größeres Verderben gestürzt. Die Teilung Tirols und die unfreiwillige Annexion Süd-Tirols an Italien sind und bleiben ein Unrecht. Auch nach 100 Jahren wird Unrecht nicht zu Recht! Die Aussagen des Alpini-Kommandanten Berto sind nicht nur dumm, sondern eine unnötige Provokation und böswillige Beleidigung für Süd-Tirol, die mit aller Deutlichkeit verurteilt werden müssen. Die Süd-Tiroler Freiheit fordert angesichts dieser verabscheuenswürdigen Provokation eine öffentliche Distanzierung und Entschuldigung der Alpini-Generalität.“

Selbstverständlich gab es keine Entschuldigung der Alpini-Generalität und es wird auch keine geben.

Alpini-Feier in Meran vor faschistischem Denkmal

In Meran steht ein Denkmal, welches einen Alpini-Soldaten zeigt, welcher heroisch einen Stein gegen seine Gegner schleudert. Dieses Denkmal wurde in der Zeit des Faschismus 1938 errichtet und verherrlicht den Einsatz des 5. Alpini-Regimentes im italienischen Kolonialkrieg in Libyen von 1911 bis 1912, in dessen Folge bis zum Jahre 1931 ein wahrer Vernichtungskrieg gegen die aufständische einheimische Bevölkerung stattfand.

Massenerhängungen von Arabern und Einsatz von Giftgas sollten Libyen „befrieden“

Trotz vieler Südtiroler Proteste hält der Staat Italien bis heute dieses Völkermord-Denkmal in Ehren.

Auch am 4. November 2018 hielten es die Alpini für angebracht, vor diesem Denkmal feierlich aufzumarschieren und der „Eroberung“ Südtirols zu gedenken.

Der Gemeinderat der „Süd-Tiroler Freiheit“ in Meran, Christoph Mitterhofer, erklärte dazu in einer Presseaussendung:

Jeder versteht, dass die Streitkräfte ihrer gefallenen Kameraden gedenken wollen. Jedoch vor einem Denkmal mit terrorverherrlichendem Hintergrund ist das deplatziert. Dieses Denkmal gehört geschliffen!“

Die Tiroler Gedenkfeiern

Etwas anders als die italienischen Feiern gestalteten sich die Tiroler Gedenkfeiern.

Gedenken auf dem Tummelplatz in Innsbruck

Oberhalb des Innsbrucker Stadtteiles Amras befindet sich auf einer Waldlichtung namens „Tummelplatz“ eine Landesgedenkstädte mit einem Militärfriedhof und einigen Kapellen.

Dort fand am 4. November 2018 eine würdige Feier statt, auf welcher der für die Einheit und Freiheit Tirols Gefallenen gedacht wurde.

Die Gedenkstätte Tummelplatz

Vor dem Erinnerungsstein für Franz Innerhofer, ehemals Oberlehrer im Südtirolerischen Marling, legte eine Abordnung des „Andreas Hofer-Bundes“ mit deren Obmann Winfried Matuella einen Kranz nieder, welcher an die Ermordung des „Blutzeugen für das deutsche Südtirol“ durch Faschisten im Jahre 1921 erinnert.

Die Dornenkrone auf dem „Siegesplatz“ in Bozen

Auf dem Landesfestzug im Jahre 1959, welcher an das Tiroler Heldenjahr 1809 erinnerte, wurde von Schützen aus ganz Tirol erstmals eine schmiedeeiserne Dornenkrone mitgeführt, welche dem Schmerz über die Landesteilung und Unterdrückung der Südtiroler Landsleute Ausdruck verleihen sollte.

1984 wurde wiederum unter nicht enden wollendem Beifall der Bevölkerung eine schmiedeeiserne Dornenkrone mitgeführt, welcher auf einem Transparent die Losung „Selbstbestimmung für Südtirol – Tirol den Tirolern“ vorangetragen wurde. Der Nordtiroler Landeshauptmann Wallnöfer hatte vor diesem Symbol des Leids salutiert.

Am 4. November 2018 wurde in Bozen wiederum eine Dornenkrone der Öffentlichkeit gezeigt und es wurde dabei eine besondere symbolische Handlung vorgenommen.

Mit einem Plakat hatte der Welschtiroler Verein „Associazione Culturale Kulturverein NOI TIROLESI – WIR TIROLER“ unter dessen Präsidenten Vittorino Matteotti auf diese Veranstaltung hingewiesen. Mitveranstalter war der von ehemaligen politischen Häftlingen gegründete „Südtiroler Heimatbund“ (SHB) unter dessen Obmann Roland Lang.

Als passender Ort war ein Platz in unmittelbarer Nähe des faschistischen „Siegesdenkmals“ gewählt worden.

Die hier präsentierte Dornenkrone war mit 99 Stacheln versehen und nun wurde ihr ein hundertster Stachel eingeschlagen, um damit anzuzeigen, dass die Zerreißung Tirols nunmehr bereits 100 Jahre andauert.

Darüber berichtete die „Neue Südtiroler Tageszeitung“ ausführlich.

Bericht in der „Neuen Südtiroler Tageszeitung“

 Es sollte eine symbolische Aktion des Gedenkens an die Opfer der Zerreißung Tirols vor hundert Jahren werden, so hatte der SHB-Obmann Roland Lang in einer Aussendung erklärt. Dazu wurde absichtlich jener Platz ausgesucht, der von den Faschisten zur Feier eines Sieges errichtet wurde, der nie stattgefunden hat.

„Mit der italienischen Besetzung Tirols zwischen Borghetto und Brenner vor 100 Jahren begann der Leidensweg des südlichen Tirols. Er begann mit der Verfolgung der Soldaten, die die österreichische Uniform getragen hatten und erreichte mit der Unterdrückung jeder Tiroler Identität unter dem Faschismus ihren traurigen Höhepunkt. Auch nach dem Untergang des Faschismus verfolgt Italien weiterhin das Ziel, Südtirol zu einer italienischen Provinz zu machen“, so SHB-Obmann Roland Lang in seiner Ansprache.

Eva Klotz erinnerte in ihrer Ansprache an das große Unrecht der gewaltsamen Teilung Tirols, das viele vergessen machen wollten. Wahrer Frieden könne nur auf dem Boden der Gerechtigkeit gedeihen. Als schmerzlich empfinde man die Leugnung der Tiroler Geschichte auch durch einen Lügentempel, der den Namen „Siegesdenkmal“ trägt.

Sie ermunterte vor allem die Jugendlichen, sich mit der Geschichte Tirols vertraut zu machen, um mit demokratischen Mitteln und in wahrhaft europäischem Geiste das Unrecht eines Tages zu beenden. Den vielen anwesenden Welschtirolern sprach sie Mut zu, empfinden sie doch die Dornen besonders, da sie ihrer Identität und Geschichte regelrecht beraubt worden seien.

Das Land Tirol in Trauer

Einem Aufruf des „Südtiroler Schützenbundes“ folgend, hissten zahlreiche Kompanien am 11. November, dem Tag der Trauer für Südtirol, an gut sichtbarer Stelle die Tiroler Fahne mit Trauerflor.

Damit folgten sie wohl den Gefühlen vieler Mitbürger, die bis heute die Landesteilung ablehnen und diese nicht als ewig anerkennen.

Bei dieser Gelegenheit darf gesagt werden:

Es spricht für unsere Südtiroler Landsleute, dass diese nach 100 Jahren der Unterdrückung, der sprachlichen und kulturellen Beraubung sowie der versuchten und teilweise durchgeführten Aussiedlung, sich immer noch als deutsche und ladinische Volksgruppe behaupten.

Sie bestehen darauf, Tiroler zu sein und bleiben zu wollen!

Respekt vor dieser Haltung!




Ehrendes Gedenken an Dr. Wilhelm Steidl

Abschied von einem großen Patrioten und Verteidiger der Menschenrechte

Unter diesem Titel übergaben Roland Lang, Obmann des „Südtiroler Heimatbundes“ (SHB) und Univ.-Prof. Dr. Erhard Hartung, Sprecher der „Kameradschaft ehemaliger Südtiroler Freiheitskämpfer“, am 27. September 2018 der Öffentlichkeit einen Nachruf auf den Innsbrucker Rechtsanwalt Dr. Wilhelm Steidl, in welchem es hieß:

„Mit Trauer erfüllt uns die Nachricht des Ablebens unseren Freundes Dr. Wilhelm Steidl.

Der 1928 in Innsbruck geborene Rechtsanwalt wirkte 18 Jahre lang als Stadtrat und Vertreter des Tiroler Arbeitsbundes (TAB) in Innsbruck für das öffentliche Wohl.

Als Rechtsanwalt verteidigte er Südtiroler Freiheitskämpfer in Prozessen in Österreich. Er hatte maßgebenden Anteil daran, dass diese von österreichischen Geschworenen freigesprochen wurden, weil er argumentierte, dass die Angeklagten in strafausschließendem übergesetzlichen Notstand gehandelt hatten.

In einem Beitrag zu einem zeitgeschichtlichen Werk schrieb Dr. Steidl: „Tirol darf stolz auf diese Männer und auch auf ihre Frauen sein.“

In vielen Fällen verzichtete Dr. Steidl auf jegliches Honorar. Er nahm an öffentlichen Demonstrationen gegen die Verfolgung von Südtiroler Freiheitskämpfern wie Georg Klotz und die „Pusterer Buam“ durch die österreichische Bundesregierung teil. Zusammen mit dem Nordtiroler Landeshauptmann Eduard Wallnöfer erwirkte er deren Freilassung.

Gemeinsam mit dem österreichischen Außenminister und Bundeskanzler Dr. Bruno Kreisky verfolgte Dr. Steidl das Anliegen einer Generalamnestie für Südtiroler Freiheitskämpfer. Diese scheiterte jedoch an der Halsstarrigkeit und Unerbittlichkeit der Regierungen in Rom.

Es ist Dr. Steidl zu verdanken, dass in Innsbruck Straßen nach dem Südtiroler Freiheitskämpfer Josef Kerschbaumer sowie nach Dr. Franz Mair benannt wurden, welcher als Widerstandskämpfer 1945 verhindern geholfen hatte, dass fanatische Nationalsozialisten durch eine sinnlose Verteidigung Innsbrucks die Vernichtung der Stadt durch alliierte Bombenangriffe provozierten. Dabei hatte Dr. Mair sein Leben geopfert.

Im Innsbrucker Gemeinderat hatte Dr. Steidl dazu erklärt, dass man „Menschen, die ihr Leben für ihre Gesinnung geopfert haben, gleich in welchem Lager sie standen“, für würdig befinden müsse, „eine Straße nach ihnen zu benennen, damit die Jugend wenigstens weiß, dass es in der Bevölkerung solche Leute gegeben hat.“

In unseren Herzen lebt „unser Willi“ als unvergesslicher Freund und Mitstreiter weiter.“

 

In der „Tiroler Tageszeitung“ wurde diese Traueranzeige veröffentlicht:

Einige Stationen im Leben von Dr. Wilhelm Steidl

Er war gerichtlich beeideter Gerichts-Dolmetscher und Honorarkonsul der Französischen Republik sowie Ritter der Französischen Ehrenlegion. Er eröffnete 1963 eine eigene Rechtsanwaltskanzlei.

30. August 1963

Innsbruck: Protestdemonstration gegen Freispruch der Foltercarabinieri

Unter dem Druck der internationalen öffentlichen Meinung hatte Italien 1963 widerstrebend einen Prozess nur gegen einige wenige Carabinieri zugelassen, welchen schreckliche Folterungen von Südtiroler Häftlingen zur Last gelegt wurden.

Am 29. August 1963 endete der Prozess gegen die Folterkarabinieri in Trient nach 13-stündiger Beratung völlig überraschend mit acht Freisprüchen und zwei Verfahrenseinstellungen, da die Tat zwischenzeitlich unter Amnestie gefallen war. Das Urteil wurde von den anwesenden Italienern mit Beifall und Jubelrufen wie “Viva l’Arma, viva l’Italia”( „Es lebe die Waffengattung, es lebe Italien!“) aufgenommen.

Trient: Der Richter verkündet den Freispruch der Folterer

Protestkundgebung unter der Leitung von Dr. Wilhelm Steidl vor dem italienischen Konsulat

Am Abend des 30. August 1963 versammelte sich nach einer Flugzettelaktion vor dem italienischen Generalkonsulat in Innsbruck eine große Menschenmenge von etwa 2.000 Personen, die mit Sprechchören, Transparenten, aber auch mit einigen Steinwürfen gegen das Konsulat, gegen das Urteil von Trient protestierte.

Auf den Transparenten las man Aufschriften wie: „Urteil von Trient – Schande für Europa“, „Carabinieri = Gestapo 1963“ und „Freiheit für Südtirol“.

Nach einem Zug durch die Stadt, wurde eine Delegation der Demonstranten unter Führung von Rechtsanwalt Dr. Wilhelm Steidl von Landeshauptmann Eduard Wallnöfer (ÖVP), seinem Stellvertreter Dr. Gamper (ÖVP), dem Landesrat Zechtl (SPÖ) und dem Abgeordneten Dr. Mader (FPÖ) empfangen.

Dr. Steidl richtete an den Landeshauptmann die Bitte, der Stimme des Tiroler Volkes Gehör zu verschaffen.

Landeshauptmann Wallnöfer erklärte, dass die Tiroler Landesregierung genauso erschüttert sei, wie das ganze Volk im Norden und Süden. Der Landeshauptmann betonte sein Verständnis für die Reaktion der Demonstranten in der Öffentlichkeit.

Protesterklärung

Dann begaben sich Dr. Steidl und die Abordnung der Demonstranten auf den Balkon des Neuen Landhauses, wo ein Sprecher der Landesregierung folgende Erklärung verlas:

 „Tief bestürzt erfuhren wir vom Freispruch im Carabinieriprozeß in Trient. Trotz des erdrückenden Beweismaterials, aus dem einwandfrei die Misshandlungen von Südtiroler Häftlingen und die Erpressung von Geständnissen hervorging, unterblieb jeglicher Schuldspruch. Ein italienisches Gericht hat somit die angewandten Foltermethoden durch sein Urteil gedeckt. Versuchte der italienische Innenminister schon bei Bekanntwerden der Gewalttaten, diese mit der Erklärung zu beschönigen, daß die Polizei in der ganzen Welt Schläge austeilt, so bedeutet der erfolgte Freispruch eine Ermunterung für die italienischen Ordnungsorgane, mit ihren Gewaltmethoden fortzufahren… Im faschistischen Italien wäre dieser Prozess unterblieben, im demokratischen Italien wurde er zum Hohn auf jedes Recht. Kein Tiroler wird das, was in Trient geschah, jemals vergessen. Auch in Südtirol wird einmal das Recht wieder siegen.“

Mai bis Oktober 1965 sowie Mai 1967

Verteidigung in Südtirol-Prozessen in Graz und Linz

Blick in den Gerichtssaal in Graz. Vorne rechts die Angeklagten. Auf der Verteidigerbank sieht man vorne in der ersten Reihe Dr. Wilhelm Steidl (2. von links).

In einem Prozess vor Schöffen und in einem Prozess vor Geschworenen in Graz sowie in einem Geschworenen-Prozess in Linz verteidigte Dr. Wilhelm Steidl zusammen mit anderen herausragenden Strafverteidigern die Angeklagten und erwirkte deren Freispruch. Die Laienrichter folgten der These der Verteidigung, welche argumentiert hatte:

Wenn das österreichische Strafgesetz gemäß § 2 lit. g ausdrücklich das Leben, die Freiheit und das Vermögen von Einzelnen als notwehrfähige Güter erachtet, so gelte dies umso mehr, wenn das Leben, die Freiheit und das Vermögen einer ganzen Volksgruppe, die ja aus Einzelnen besteht, gefährdet sei.

Am 13. Oktober 1965 hatte Dr. Steidl in seinem Plädoyer zu den Geschworenen gesprochen:

„Ich kann Ihnen sagen, daß wir Verteidiger nicht immer das Glück haben, mit unserem ganzen Herzen bei der Sache zu sein und Sie können es wirklich glauben, in diesem Fall ist uns wirklich ernst. Ich kann Ihnen ehrenwörtlich versichern, und ich glaube, es auch im Namen meiner Kollegen tun zu können, daß, was wir hier sagen, daß wir an das glauben. 

Meine Damen und Herren, wir leben in einer sehr satten Zeit In einer Zeit, die es nicht verträgt, daß man mit Idealen konfrontiert wird. Sie aber haben dazu nunmehr die Verpflichtung. Ich habe seinerzeit in dem letzten Prozess gesagt: Es handelt sich hier um eine Elite der österreichischen Jugend. Und ich sage es hier noch einmal, es steht hier eine Elite der österreichischen Jugend vor Gericht, und zwar deshalb, weil jeder Mensch einer Elite angehört, gleich welcher Partei er angehört, der unentgeltlich und kostenlos sich für ein Ideal einsetzt. Das, glaube ich, müssen Sie den Angeklagten zubilligen.

Der Staatsanwalt hat gesagt, wir leben nicht mehr im Jahre 1809, wir leben im 20. Jahrhundert. Meine Damen und Herren, für uns Tiroler und auch für Sie Steirer sind die Freiheitsbegriffe des Jahres 1809 dieselben, wie sie heute sind. Und diese Freiheitsbegriffe sind endgültige Werte, die uns kein Schreiberling und niemand sonst zerstören kann, solange wir noch den Sinn für unsere Volkszugehörigkeit haben.

Und wenn ich fortfahren darf, hier sagt unser Landeshauptmann noch: ‚45 Jahre nach der Abtrennung Südtirols von Osterreich und fast 20 Jahre nach dem Abschluß des Pariser Vertrages sind also die Lebensrechte Südtirols noch immer nicht gesichert. Was liegt doch an Leid und Enttäuschungen hinter diesem schwergeprüften Volk! Das soll sich die Welt vor Augen halten, dann wird sie begreifen, daß wir mit unbeirrbarer Festigkeit für das Recht dieses Volkes eintreten müssen.‘

Ich komme zum Schluß, meine Damen und Herren.

Sie werden sich jetzt zurückziehen. Sie werden Ihr Urteil fällen in einem der größten Prozesse Österreichs, und wenn Sie im Zimmer sind, werden Sie allein sein mit sich selbst. Sie werden Ihr Herz in Ihre Hände nehmen und werden Ihr Urteil fällen, wie Sie es als österreichische Frauen, Männer und Mütter fällen werden. Sie werden nach Ihrem Gewissen urteilen, und dann werden Sie auch ruhig schlafen.

Ich komme noch zum Schluss. Sie werden hinschreiben zu jeder Frage: Nein, weil Hochverrat gegen Italien vorlag und weil die Angeklagten in strafausschließendem übergesetzlichem Notstand gehandelt haben.

Haben Sie den Mut! Nehmen Sie ihr Herz in die Hände, behaupten Sie sich im Beratungszimmer! Behaupten Sie sich als österreichische Mütter, Männer und Frauen, und denken Sie bei der Urteilsschöpfung an jene Männer, Tiroler, die jetzt schon jahrelang in den Kerkern Italiens sitzen, die ihr Leben gegeben haben, denken Sie an Kerschbaumer, denken Sie an Amplatz, denken Sie an alle die, die ihre Familie und ihre Existenz niedriger gewertet haben als ein hohes Ziel. Denken Sie an den Spruch, der am Grabe von Luis Amplatz steht: ‚Freund, der du die Heimat noch schaust, grüß‘ mir die Heimat, die ich mehr als mein Leben geliebt!“

Fällen Sie als aufrechte Steirer und Grazer ein mutiges Urteil für Tirol!“

Dr. Wilhelm Steidl (rechts im Bild) zusammen mit seinem Innsbrucker Freund und Anwaltskollegen Dr. Eberhard Molling (links) auf der Verteidigerbank in Graz.

Die Geschworenen sprachen alle Angeklagten frei. Die Berufsrichter hoben das Urteil wegen „offensichtlichen Irrtums der Geschworenen“ auf und der Prozess wurde im Mai 1967 in Linz wiederholt. Wiederum folgten die Geschworenen der Argumentation von Dr. Steidl und Kollegen. Sie sprachen alle Angeklagten – diesmal endgültig – frei.

5. März 1966

Demonstration für Klotz – Politiker geben nach

Der nach Österreich geflüchtete Südtiroler Freiheitskämpfer Georg Klotz war von der gegenüber Rom liebedienerisch agierenden Bundesregierung unter Bundeskanzler Dr. Klaus widerrechtlich in Schubhaft genommen worden. Gemäß den Bestimmungen des Europäischen Auslieferungsübereinkommens von 1957 war eine Auslieferung nämlich in politischen Fällen ausgeschlossen.

Das hatte aber die damalige österreichische Bundesregierung bei der Verhängung ihrer Maßnahme zunächst nicht gestört gehabt.

Nun demonstrierten hunderte von Menschen in Linz und Innsbruck.

Demonstration in Innsbruck

Demonstration in Linz

Wiederum setzte sich Dr. Steidl zusammen mit dem Landeshauptmann Eduard Wallnöfer für die Freilassung ein. Der Druck aus Tirol hatte Erfolg. Die Bundesregierung gab nach und Georg Klotz wurde freigelassen. Damit war die drohende Gefahr einer rechtswidrigen Auslieferung an Italien abgewendet.

Georg Klotz bei seiner Entlassung aus der Schubhaft

März 1968

„Pusterer Buam“ in Wien freigesprochen

Am 6. März 1968 standen die beiden Südtiroler Freiheitskämpfer Heinrich Oberlechner und Josef Forer von der Gruppe der „Pusterer Buam“ vor einem Wiener Geschworenengericht. Die jungen Burschen schilderten in schlichten Worten die Verhältnisse in ihrer Heimat.

Heinrich Oberlechner sagte:

„Unser Ziel ist das Selbstbestimmungsrecht für Südtirol. Die Italiener werden sonst ihr teuflisches Werk, Südtirol zu unterwandern und zu italianisieren, nie aufgeben.“

Die Worte der jungen Südtiroler waren den Wiener Geschworenen unter die Haut gegangen. Einigen von ihnen liefen Tränen über die Wangen hinab.

In seinem Schlusswort vor Gericht hatte Forer betont, dass er – obschon er mehr als ein Jahr unschuldig in Untersuchungshaft hatte verbringen müssen – am Tage der Selbstbestimmung Südtirols für einen Anschluss Südtirols an Österreich stimmen werde.

Am 12. März 1968 folgten die Geschworenen der Argumentation der Verteidiger Dr. Wilhelm Steidl, Dr. Robert Amhof, Dr. Eberhard Molling und Dr. Michael Stern, wonach in Südtirol ein strafausschließender Notstand geherrscht habe. Sie fällten einen Freispruch.

Weil die österreichische Regierung unter Bundeskanzler Dr. Klaus jedoch Italien gefällig sein wollte, wurden die Freigesprochenen sofort in rechtswidrige „Auslieferungshaft“ genommen und wieder in ihre Zellen abgeführt.

In Feldkirch kam es zu einer Demonstration für die inhaftierten Südtiroler. In Innsbruck wurde eine solche durch das Innenministerium verboten.

Wiederum setzten sich Dr. Wilhelm Steidl und Landeshauptmann Eduard Wallnöfer gegenüber Wien für die „Pusterer Buam“ ein. Sie erreichten ein Ablehnung des italienischen Auslieferungsbegehrens. Die beiden „Pusterer“ wurden jedoch erst nach 2 Jahren ungerechtfertigter Haft am 6. Juli 1969 gegen den Willen Wiens auf Beschluss des Landesgerichtes Feldkirch auf freien Fuß gesetzt.

Zeitungsmeldung über die Freilassung der beiden „Pusterer“ Josef Forer (rechts) und Heinrich Oberlechner (daneben in der Bildmitte)

Frühjahr 1973

Dr. Steidl setzt sich zusammen mit Bundeskanzler Dr. Bruno Kreisky für eine Generalamnestie für die Südtiroler Freiheitskämpfer ein

Zu Beginn des Jahres 1973 hielten sich einige österreichische Südtirol-Freiheitskämpfer wie Dr. Erhard Hartung in der Bundesrepublik Deutschland auf, weil in Österreich immer noch Haftbefehle gegen sie liefen.

Nach Österreich geflüchtete Südtiroler konnten nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren, weil sie dort umgehend inhaftiert worden wären.

Wiederum wurde Dr. Wilhelm Steidl aktiv. In einem Brief an die Mutter von Dr. Hartung, Frau Dr. Gerda Foltin, berichtete er darüber.

(Brief in Besitz von Univ.-Prof. Dr. Erhard Hartung)

Leider waren die Bemühungen von Dr. Steidl und Dr. Kreisky nur in Österreich erfolgreich. In Italien scheiterten sie an der starren und unerbittlichen Haltung der italienischen Regierung.

Dokumentation

Wie Dr. Wilhelm Steidl über die Südtiroler Freiheitskämpfer dachte

In der von Dr. Otto Scrinzi herausgegebenen Dokumentation „Chronik Südtirol 1959–1969 Von der Kolonie Alto Adige zur Autonomen Provinz Bozen“ (Stocker Verlag Graz 1996) veröffentlichte Dr. Wilhelm Steidl nachstehenden Beitrag:

„Ihnen zur Ehre, uns zur Besinnung – ein Gedenken

Als Verteidiger in den österreichischen Südtirolprozessen waren meine Kollegen und ich als Beobachtende, nicht unmittelbar Betroffene, oft mit der tragischen Seite des Geschehens konfrontiert: Mit Flucht, Not, Verbannung, Haft, Heimweh – und dem Tod.

 Mein verehrter Anwaltskollege und väterlicher Freund Michael Stern bekam mehr als einmal unerwarteten Besuch in seiner Wiener Kanzlei. Da stand dann ein Flüchtling vor der Tür, ein heimatlos Gewordener, einer, der Not litt. Der Rechtsanwalt Michael Stern kaufte ihm Schuhe, besorgte ihm Kleidung, gab ihm zu essen und sorgte für ein Dach über seinem Kopf. Auch das konnte damals zur Tätigkeit eines Verteidigers von Südtirolaktivisten gehören. Wir Anwälte lernten damals viel Not, aber auch viel Seelengröße kennen. Teils aus persönlichem Erleben, teils aus den Schilderungen, die wir von unseren Schutzbefohlenen über ihre Mitstreiter und Freunde hörten.

 Ich will hier mit ein paar Zeilen kurz einiger Männer gedenken, die mit ihrer Geisteshaltung und Seelengröße stellvertretend für viele ungenannt Bleibende stehen.

 Kurt Welser war ohne Zweifel eine der Lichtgestalten unter den Südtirolkämpfern. Er war einer der Angeklagten in den Grazer und Linzer Südtirolprozessen. Seine ruhige, aber entschlossene Art und die Lauterkeit seiner Verantwortung vor Gericht machten tiefen Eindruck auf die Geschworenen.

Kurt Welser

Kurt Welser war ein Kind der Berge. Es wird wenige Gipfel in Tirol geben, von denen aus er nicht in das Land geblickt hat, das ihm Heimat war und das er geliebt hat. Als er am 15. August 1965 am Zinalrothorn in der Schweiz 30 Meter tief in das Seil fiel, an einen Felsen prallte und dann in den Armen seines Freundes Heinrich Klier verschied, war es für viele seiner Freunde ein schrecklicher Verlust. Als wir ihn auf dem Wiltener Friedhof begruben, stand das Land Tirol trauernd an seinem Grab. Die Witwe von Luis Amplatz und der älteste Sohn von Sepp Kerschbaumer waren gekommen. Die politischen Häftlinge in Trient hatten einen Kranz geschickt, auf dessen Schleife die Worte standen: ‚Der Herrgott lohne Dir Deinen Einsatz für Tirol‘. Auf der Schleife des Kranzes, den die Witwe Amplatz mitgebracht hatte, standen aber die Worte: ‚Grüß mir meinen Luis!‘

Das Geschehen jener Jahre war durch Persönlichkeiten geprägt, die nicht vergessen werden sollten. Sepp Kerschbaumer, der Kaufmann aus Frangart, ist sicherlich eine der bekanntesten.

Sepp Kerschbaumer

Vor den Schranken des Gerichtes in Mailand wuchs dieser Mann über sich hinaus, als er sein Volk, seine Landsleute, seine Heimat in einer Weise verteidigte, die selbst seinen Gegnern höchsten Respekt abnötigte und sogar die heftigsten nationalistischen Schleier beschämt verstummen ließ. Die großartige geistige Leistung, die dieser Mann erbrachte, hat dazu beigetragen, daß die italienischen Medien umzudenken begannen und die italienische Öffentlichkeit die Anliegen der Südtiroler mit anderen Augen zu sehen begann. Als Sepp Kerschbaumer begraben wurde, folgten seinem Sarg mehr als 20.000 Menschen.

 Neben den großen und bekanntesten Namen jener Jahre zeigt uns ein Blick auf die Lebensgeschichten einiger weniger bekannter Protagonisten, aus welchem Holz diese Tiroler geschnitzt und wie ihre Charaktere beschaffen waren.

 Franz Muther aus Laas im Vintschgau kehrte 1945 aus dem Krieg heim und stellte seine ganze Kraft für den Wiederaufbau seiner Heimat zur Verfügung: Bei der Gründung der Ortsgruppe der Südtiroler Volkspartei, bei der Neugründung der Feuerwehr und der Schützen, bei dem Südtiroler Alpenverein und einer Reihe von sozialen Einrichtungen.

Franz Muther nach seiner Entlassung aus der Haft

 Franz Muther erlebte nach seiner Verhaftung im Jahre 1961 Schreckliches und kehrte erst 1967 nach 6 Jahren Haft in den Gefängnissen von Bozen, Trient und Reggio Calabria mit zerbrochener Gesundheit heim. Im Gefängnis war er der gewesen, der seine Kameraden getröstet und aufgerichtet hatte. Wieder in Freiheit, kümmerte er sich um die Familien jener, denen es noch schlechter ging als ihm. Im Jahre 1986 starb er viel zu früh. 

Der Kaufmann Martin Koch in Bozen war einer der bedeutendsten Alpinisten Südtirols und hatte sich um die Errichtung des Bergrettungswesens verdient gemacht. Auch hier fällt auf, daß dieser Mann für das Gemeinwohl tätig gewesen war.

Martin Koch auf einer Bergtour

Nach Folter und Haft wurde auch er im Jahre 1975 viel zu früh in die Ewigkeit abberufen. Der Chefredakteur der „Dolomiten“, sein Bergkamerad Josef Rampold, hielt ihm die Grabrede. Er sagte: ‚Denken wir auf jedem Gipfel daran, denken wir immer auf jeder hohen Warte und in jedem stillen Tal, denken wir an unsern Marti, der sein ein und alles gegeben hat, der dafür gelebt hat, daß wir in diesem Lande leben können und leben dürfen und daß dieses Land unser Land geblieben ist.‘

 Abschließend will ich – auch stellvertretend für viele andere – des Frangarters Otto Petermair gedenken. Nach jahrelanger Haft kam Petermair wieder in seine Heimat zurück und stellte seine ihm verbliebene Kraft in den Dienst seiner Mitmenschen.

Otto Petermair bei seiner Vorführung vor Gericht

Am 26. April 1975 stand der Feuerwehrkommandant Otto Petermair auf dem Abhang von Matschatsch im Einsatz gegen einen lodernden Waldbrand, der menschliche Siedlungen zu bedrohen begann. Petermair wurde von den Flammen eingeschlossen und stürzte zu seinem Unglück noch in einen flammenumloderten Felsenspalt. Die Kameraden hörten ihn rufen. Er rief aber nicht: ‚Helft mir!‘, sondern er rief: ‚Rettet euch!‘ Das war Otto Petermair, und so wie er waren viele.

Das Gedenken an diese Menschen ist auch im Rückblick von Wehmut überschattet, auch wenn sie ein stolzes Werk der Freiheit vollbracht haben. Uns geziemt ehrendes Gedenken, auf daß sie in der Geschichte Tirols nicht vergessen werden.

Wenn wir auch mit Trauer der Toten gedenken, so dürfen wir uns doch darüber freuen, daß noch viele prächtige Menschen, die damals Schweres erlebt haben, unter uns weilen und ihre Kraft mit frischem Mut wiederum in den Dienst ihrer Mitmenschen und ihres Landes gestellt haben.

Stellvertretend für sie alle will ich Schicksal und Leistung eines Mannes aufzeigen.

Der 27jährige Maler und Anstreicher Josef Fontana stand im Jahre 1964 vor seinen Mailänder Richtern, die ihn mit lebenslanger Haftstrafe bedrohten. Fontana hatte einen Sprengstoffanschlag auf das zu einem Museum und zu einer faschistischen Wallfahrtsstätte umgewandelte ehemalige Wohnhaus des faschistischen Senators Ettore Tolomei verübt.

Josef Fontana in Haft

 Die Gerichtsverhandlung bot Fontana nun die Gelegenheit, dem Gericht und der Weltpresse zu erzählen, wer dieser Ettore Tolomei, der Erfinder der italienischen Ortsnamen Südtirols und der faschistischen Unterdrückungsgesetze, eigentlich gewesen war. Die Einvernahme des einfachen Handwerkers aus Neumarkt wurde zu einer beeindruckenden Anklage gegen eine staatliche Politik, welche die Entnationalisierungspolitik des Faschismus fortgeführt hatte. Josef Fontana erkrankte in Haft an Tbc, überwand die Krankheit mit eisernem Willen und legte im Gefängnis die Externistenmatura ab. Nach mehrjähriger Haft ging er nach Innsbruck an die Universität, studierte Geschichte, Germanistik und Philosophie und promovierte zum Doktor der Philosophie. Seit 1977 ist er am Südtiroler Kulturinstitut tätig und hat zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten über die politische Geschichte und Kulturgeschichte Tirols verfasst. Seine herausragende Leistung ist die Schriftleitung des vierbändigen Werkes ‚Die Geschichte des Landes Tirol‘, dessen dritten Band, ‚Die Zeit von 1848 bis 1918‘, er selbst verfasst hat. Auch als Wissenschafter bekennt sich Dr. Josef Fontana zu seiner Herkunft, zu seinen geistigen Wurzeln, zu seinem Land und zu dessen Leuten.

So wie er wirken zahlreiche andere ehemalige Häftlinge für das Gemeinwohl, jeder an seinem Platz und nach seinem besten Vermögen. Tirol darf stolz auf diese Männer und auch auf ihre Frauen sein, die in schwerer Zeit treu zu ihnen gehalten haben.“

Diesen Worten ist nichts hinzuzufügen.

In das Gedenken an diese aufrechten Menschen soll auch die dankbare Erinnerung an den großen Patrioten und Verteidiger der Menschenrechte, Dr. Wilhelm Steidl, eingeschlossen sein!




Die verschwiegenen Konzentrationslager Italiens

Die Wiederentdeckung des faschistischen Konzentrationslagers „Campo Isarco“

Als „kleine historische Sensation“ bezeichnete die Südtiroler Tageszeitung „Dolomiten“ am 17. August 2018 das von dem „Südtiroler Heimatbund“ (SHB) herausgegebene Enthüllungsbuch von Günther Rauch: „Italiens vergessenes Konzentrationslager Campo d’Isarco bei Bozen (1941-1943)“.

Das Umschlagbild der historischen Dokumentation zeigt das 12 Hektar große Gelände der ehemaligen Brauerei Blumau, deren Gebäude zu einem Konzentrationslager umgestaltet worden waren.

Der langjährige Gewerkschafter und Heimatforscher Günther Rauch aus Bozen hatte in der Vergangenheit vor allem über Sozialfragen und die Arbeiterbewegung publiziert. Mit diesem Werk hat er ein bedeutendes zeitgeschichtliches Thema wieder aus der Vergessenheit in das heutige Bewusstsein zurück geholt.

Unterstützt wurde er bei seiner Forschungsarbeit durch Karl Saxer aus Blumau, welcher ebenso wie Günther Rauch auf historische Belege über ein italienisches Konzentrationslager in Südtirol gestoßen war, welche er dem Autor zur Verfügung stellte.

Günther Rauch hatte einen Rohentwurf des Werkes seinem alten Freund Meinrad Berger zum 70. Geburtstag geschenkt. Dieser war Mitbegründer der Metallergewerkschaft im „Allgemeinen Südtiroler Gewerkschaftsbund (ASGB) und lange Betriebsrat in den Bozner Lancia-Werken gewesen, wo ihn der langjährige Vorsitzender des Allgemeinen Gewerkschaftsbundes AGB/CGIL, Günther Rauch, kennen und schätzen gelernt hatte.

Was weiter geschah, berichtet Günther Rauch so:

„Etwas später hat mich der SHB mit an der Spitze Obmann Roland Lang gefragt, ob sie das Schriftstück über „Campo Isarco“ veröffentlichen dürften. Ich habe zugesagt und die Schrift mit neuen Erkenntnissen ergänzt. Die Idee für den Gedenkstein kam vom Hobbyhistoriker und PD (Partito Democatico)-Gemeinderat von Karneid, Karl Saxer. Sie fand die Unterstützung des Obmannes des SHB, Roland Lang, der Bürgermeisterin Martina Lantschner, des Heimatpflegevereins und aller drei Karneider Schützenkompanien.“ (Günther Rauch in einem Leserbrief vom 14. September 2018 an die „Neue Südtiroler Tageszeitung“)

Auf 170 Seiten schildert nun das reich bebilderte zeitgeschichtliche Werk die Entstehungsgeschichte eines von vielen italienischen Anhaltelagern, des „campo di concentramento“ in Blumau bei Bozen Rauch weist auch darauf hin, dass in der Zeit des Faschismus ein Netz von 200 oder mehr solcher Konzentrationslager ganz Italien überzogen hatte.

Die Errichtung des Konzentrationslagers in Blumau

Während des italienischen Afrikafeldzuges und des Angriffes auf die Balkanstaaten hatte Ministerpräsident Benito Mussolini den Auftrag erteilt, nicht weit von der Brennergrenze ein Konzentrationslager zu errichten. Die Wahl war auf das 12 Hektar große Wirtschaftsgelände der ehemaligen Brauerei Blumau gefallen.

In diesem ab Neujahr 1941 bis September 1943 von schwerbewaffneten Armeesoldaten und faschistischen Milizen streng bewachten Konzentrationslager waren bereits in den ersten Wochen des Lagerbestandes mehr als 3000 (dreitausend) Gefangene interniert, die von 66 Scharfschützen bewacht wurden. Es waren dies Zivilisten aus den Balkanstaaten, Regimegegner und Kriegsgefangene.

 

Die Bezeichnung „campo di concentramento“ für diese Lager war eine offizielle und wurde in amtlichen Dokumenten, wie in diesem Schreiben der Bozener Präfektur, verwendet.

Diese Häftlinge aus Blumau waren von den Faschisten auch als Zwangsarbeiter zum Bau des Virgl-Tunnels eingesetzt worden, dessen Portal heute noch (!) ein auf dem Liktorenbündel hockender faschistischer Adler schmückt.

In den ersten Frühlingstagen 1943 wurden diese „verzweifelten Menschen aus Jugoslawien, deren Schicksal“ – laut Bericht eines KZ-Aufsehers – „gezeichnet war“, vom Konzentrationslager zum Bahnhof getrieben und mit mehreren Deportationszügen in völlig unbekannter Destination gebracht.

Das Lager in Bozen-Blumau war wie alle italienischen Konzentrationslager bald nach dem Zweiten Weltkrieg weitgehend in Vergessenheit geraten. Nach der Absetzung des „Duce“ durch den „Gran Cosiglio del Fascismo“ – den Faschistischen Großrat – im Jahre 1943 war Italien zu einem Verbündeten der Westmächte geworden, welche auch die seltsame Wandlung hochrangiger eingefleischter Faschisten zu nunmehrigen „Demokraten“ zu akzeptieren hatten.

Dies hatte zur Folge, dass die Westmächte auch über die mehr als 200 „campi di concentramento“ und die darin begangenen faschistischen Verbrechen hinwegsahen.

Keine Vernichtungslager auf italienischem Staatsgebiet

Die Lager auf dem italienischen Staatsgebiet waren keine Vernichtungslager gewesen, wenngleich die Haftbedingungen zum Teil durchaus unmenschlich und die Todesraten hoch gewesen waren.

Dazu schreibt Rauch in seinem Buch auf Seite 16:

„Der von den Internierten und vom italienischen Innenministerium verwendete Begriff „campo di concentramento“ suggeriert automatisch ein „Vernichtungslager“, das heißt massenhafte und systematische Hinrichtung menschlichen Lebens. Davon ist allerdings aus dem „KZ Campo d’Isarco“ nichts überliefert. Außer man hat, wie vieles andere in der Geschichte Südtirols, alles vertuscht und verschwiegen.

Im Lager „Campo d’Isarco“ dürften wohl eher die Einschüchterung, psychologische Erniedrigung und die Zwangsarbeit im Vordergrund gestanden sein. Es diente zur Internierung von Kriegsgefangenen und zur Bestrafung von Deportierten und Zwangsarbeitern.“ 

Die schlimmsten Lager hatten sich in den Kolonialgebieten und in den militärisch besetzten Gebieten befunden

Die schlimmsten Lager waren die „campi di concentramento“ – die „Konzentrationslager – in den damaligen italienischen Kolonialgebieten gewesen. In solchen in der lybischen Wüste angelegten Lagern wurden internierte Nomadenstämme, die italienischen Siedlern weichen mussten, einem grausamen Schicksal ausgeliefert, welches man als notdürftig getarnten Völkermord bezeichnen kann.

In den während des Zweiten Weltkriegs besetzten Gebieten Sloweniens und Griechenlands wurden ebenfalls Lager errichtet, in denen man tausende von Menschen an Hunger sterben ließ.

Näheres dazu findet sich in dem 2008 erschienenen Buch der Historikerin Alessandra Kersevan:„Lager italiani. Pulizia etnica e campi di concentramento fascisti per civili jugoslavi 1941-1943” (Auf Deutsch: „Italienische Lager. Ethnische Säuberung und faschistische Konzentrationslager für jugoslawische Zivilisten 1941-1943”)

Der Buchumschlag zeigt einen in dem Konzentrationslager auf der Insel Rab inhaftierten und bereits halb verhungerten Zivilisten. Das weitere Bild zeigt Kinder, die in diesem Konzentrationslager eingesperrt waren und von denen viele verhungern mussten.

Die Einweihung des Gedenksteins in Blumau

Der „Südtiroler Heimatbund“ (SHB) ließ nun einen Gedenkstein für die Internierten des „Campo di concentramento – Campo d‘Isarco“ in Bozen-Blumau errichten und lud zusammen mit dem Heimatschutzverein Karneid, den drei Schützenkompanien Karneid, Steinegg und Gummer sowie der Gemeinde Karneid zu dessen Einweihung und zur Segnung durch den Ortspfarrer Sepp Hollweck ein. Am 8. September 2018 nahmen mehr als 200 Personen daran teil.

Der Gedenkstein

Der Zug der Festteilnehmer zur Gedenkfeier

Die Tagezeitung „Dolomiten“ berichtete am 10. September 2018 über die Einweihung.

Karneids Bürgermeisterin Martina Lantschner dankte dem Buchautor Günther Rauch und dem Hobbyhistoriker Karl Saxer für deren wertvolle Arbeit und sagte: „Der Gedenkstein soll uns an das Internierungslager in Blumau vor über 70 Jahren erinnern. Solche Gräueltaten dürfen nie mehr passieren.“

Dank an einen Forscher und mahnende Erinnerung

In seiner Eröffnungsansprache dankte der Heimatbund-Obmann Roland Lang Günther Rauch und Karl Saxer für ihre wertvolle Arbeit. Dann fuhr er fort:

„Zeitweise waren hier an die 3.000 Personen eingesperrt! Daran, dass die Gefangenen ihrer Freiheit beraubt waren, ließen Stacheldraht, 66 Scharfschützen, Schwarzhemden und tägliche Appelle keinen Zweifel aufkommen. Für eine vorbereitete Massenerschießung wurden nun Belege gefunden.

Gerade in der heutigen Zeit, in der der römische Gruß vom italienischen Höchstgericht wieder legalisiert wurde und der Faschismus nicht allein in Gestalt von „CasaPound Italia“ und „Forza Nuova“ aufs Neue seine hässliche Fratze erhebt, muss auf die Verbrechen des italienischen Faschismus hingewiesen werden. 

Möge diese Gedenkfeier und der als Mahnung aufgestellte Gedenkstein uns stets daran erinnern, dass hier Menschen verschiedener Völker inhaftiert waren. Und eine Mahnung sein für unser aller Freiheit.“

Die Rede des Buchautors Rauch: Das Tagebuch eines KZ-Bewachers bestätigt unmenschliche Zustände im KZ Blumau

Günther Rauch hatte sich eine Woche vor der Veranstaltung mit einer Enkelin eines italienisch-faschistischen Wachsoldaten getroffen, die im „Veneto“ von seiner Recherche erfahren hatte. Unter dem Versprechen, ihre Identität nie preiszugeben, hatte er die Möglichkeit, Aufzeichnungen in einem Tagebuch ihres Großvaters zu lesen und Auszüge abzuschreiben. Darin hatte der Scharfschütze der Armee seine Erlebnise im „Campo di concentramento di Prato Isarco“ festgehalten.

Rauch konnte nun Folgendes berichten:

„Da im Buch die Geschichte des KZ „Campo di concentramento Prato Isarco“ ausführlich beschrieben ist, erzähle ich Ihnen kurz nur einige Episoden, die ein in diesem KZ tätiger Wachsoldat aufgezeichnet hat. Er war später als Mitglied der Alpinitruppe „Divisione Pusteria“ in Montenegro. Dort war er Augenzeuge brutaler Ermordungen von wehrlosen Dorfbewohnern und Kindern. Im KZ Blumau war er vom 6. Jänner bis Anfang Dezember 1941. Er hat miterlebt, wie 3000 halbverhungerte und im KZ zusammengepferchte Gefangene um jeden Krümel Brot kämpften. Bei den Gefangenen handelte es sich vornehmlich um kroatische, bosnische, serbische und montenegrinische Mussolini-Gegner und Widerstandskämpfer. In den ersten Frühlingstagen wurden diese verzweifelten und von Krieg und Hunger gezeichneten Menschen zum Bahnhof getrieben, auf Güterzüge verfrachtet und in eine unbekannte Destination gebracht. Diesen Häftlingen aus den Balkanstaaten folgten dann britische, irische, neuseeländische, australische, indische, kanadische und später sowjetische Kriegsgefangene. Gefangen genommene Zivilisten aus den Balkanstaaten wurden als Zwangsarbeiter zum Bau des Virgltunnels eingesetzt. Das Lager ‚Campo d’Isarco‘ war von doppelten Stacheldrahtzäunen umgeben. Nicht weniger als 66 mit scharfen Schusswaffen ausgerüstete Wachsoldaten sorgten Tag und Nacht dafür, dass jede Flucht unmöglich war.“

Die Ansprache der Historikerin Alessandra Kersevan

Ehrengast der Veranstaltung war die Buchautorin und Historikerin Alessandra Kersevan aus Udine, welche bereits in mehreren Publikationen über totgeschwiegene und vergessene faschistische Kriegsverbrechen berichtet hatte.

Heimatbund-Obmann Roland Lang und die Historikerin Alessandra Kersevan

 

In Ihrer Ansprache erklärte sie:

 „Der Anlass ist wichtig, vor allem im Hinblick auf die Geschichte, denn durch diese Initiative trägt Eure Gemeinschaft dazu bei, einen wichtigen Teil der Vergangenheit Italiens ins Rampenlicht zu stellen, von dem in dieser Nachkriegszeit wenig geredet wurde: ich meine das Vorhandensein im italienischen Staatsgebiet – in den ersten Jahren des Zweiten Weltkriegs – eines ausgedehnten Netzes von Konzentrationslagern, die vom Faschismus errichtet worden waren.

Eines von diesen Lagern war hier, in Blumau, in einem Gebiet, das bereits wegen der Unterdrückung der deutsch- und ladinischsprachigen Bevölkerung durch den Faschismus gelitten hatte. Bis vor kurzem war „Prati d’Isarco“ nur ein Name im Verzeichnis der über zweihundert vom Mussolini-Regime geführten Konzentrationslager. Jetzt aber können wir dank der Nachforschungen von Günther Rauch die Geschichte dieses Lagers kennenlernen.

Während der ungefähr zwanzigjährigen Faschistenherrschaft sperrte das Regime seine Gegner in Gefängnisse oder verbannte sie auf die zahlreichen Inseln wie Ventotene oder Lipari – wohin 1927 auch der Rechtsanwalt Josef Noldin gebracht wurde – oder in entlegene Dörfer, wie Aliano in der Basilicata.

Anlässlich des Kriegseintritts Italiens an der Seite Hitlers wurde 1940 die Errichtung von Konzentrationslagern beschlossen, um jene Personen zu internieren, die als „unter den Kriegsumständen gefährlich” bezeichnet wurden: nicht nur politische Gegner, sondern ganze Personenkategorien wie Juden, Roma und Sinti, Slowenen und Südtiroler oder in Italien ansässige Ausländer. …

Aber das faschistische Konzentrationslagersystem wuchs gewaltig an, als das italienische Heer 1941 mit der Aggression gegen Jugoslawien an der Seite der Nazi-Armeen einen guten Teil der Gebiete jenes Landes besetzte und annektierte. Damals wurden Zehntausende von Zivilpersonen, Männer, Frauen, alte Leute, Kinder interniert, die vom Heer und von den Schwarzhemden in den Balkanländern bei Razzien festgenommen und in Lager verbracht wurden, … jedes mit Tausenden von Internierten, hohen Stacheldrahtzäunen, Wachtürmen mit Maschinengewehrposten, ständigen Appellen, Strafmaßnahmen gegen jene, welche Fluchtversuche unternahmen, Krankheiten, Hunger.

Die italienische öffentliche Meinung ist sich der Existenz dieser ganz und gar italienischen Konzentrationslager kaum oder gar nicht bewusst. Man weiß von den Lagern, die nach dem 8.September 1943 errichtet wurden, als Italien vom nazideutschen Heer besetzt wurde … Aber von den früheren, faschistischen Konzentrationslagern und von den Verbrechen, die vom italienischen Heer in den Aggressionskriegen begangen wurden, oder von der brutalen Unterdrückung in Südtirol spricht man in Italien wenig.

Das, was Ihr hier tut, um an das Konzentrationslager „Prato d’Isarco“ zu erinnern, ist daher sehr wichtig. …

Wenn man auch von unbequemen oder wenig erfreulichen Fragen der italienischen Geschichte spricht, so bedeutet dies nicht, dass man anti-italienisch ist, sondern es bedeutet, dass man antifaschistisch ist, dass man allen Italienern die Möglichkeit bietet, über diesen Teil der Geschichte nachzudenken.“

 Verschwiegene Tatsachen aus der Vergessenheit geholt

Diese Gedenkfeier hat verschwiegene Tatsachen wieder in das Gedächtnis zurück gerufen. Das italienisch-faschistische Internierungslager in Bozen-Blumau war wie alle italienischen Konzentrationslager bald nach dem Zweiten Weltkrieg weitgehend in Vergessenheit geraten. Nach der Absetzung des „Duce“ durch den „Gran Consiglio del Fascismo“ – den Faschistischen Großrat – im Jahre 1943 war Italien zu einem Verbündeten der Westmächte geworden, welche auch die seltsame Wandlung hochrangiger eingefleischter Faschisten zu nunmehrigen „Demokraten“ zu akzeptieren hatten.

Die Rücksichtnahme auf dieses neue Bündnis hatte zur Folge, dass die Westmächte über die vergangenen faschistischen Verbrechen zumeist hinwegsahen.

Nach 1945 lenkten viele italienische Politiker von der eigenen faschistischen Vergangenheit und damit auch von den italienischen Konzentrationslagern ab.

Schreckliche Lager wie jenes auf der Insel Rab, von dem diese Bilder stammen, sollten so der Vergessenheit anheim gefallen. Ebenso wie auch das kleinere Lager von Blumau in Südtirol passten sie nicht in das sorgsam gepflegte offiziöse Geschichtsbild, worin der Duce und sein Faschismus vergleichsweise harmlos gewesen seien und nur sein Verbündeter Hitler ein Mörder und Verbrecher gewesen sei.

Eine oberstgerichtliche Entscheidung hat erst vor kurzem in Italien festgelegt, dass Mussolinis faschistischer Gruß, der „saluto romano“, bei Gedenkfeiern erlaubt sei. Ein Kommentar dazu ist überflüssig!

Keine Relativierung

Dass die Erinnerung an bislang sorgsam ausgeblendete Ereignisse in der Zeit des italienischen Faschismus keine Relativierung anderer Verbrechen bedeutet, das hat Heimatbund-Obmann Roland Lang im seinem Vorwort zu der Dokumentation von Günther Rauch klargestellt:

„Es gab in Südtirol zwei Internierungslager. Eines war das von den Nazis errichtete Durchgangslager in Bozen, das andere das von den Faschisten errichtete und in den amtlichen Papieren als Konzentrationslager (Campo di concentramento) bezeichnete Lager in Blumau. Beide Orte sollen uns daran erinnern, welche Opfer dafür gebracht wurden, um zwei verbrecherische Regime zu vernichten.“

Das Buch „Italiens vergessenes Konzentrationslager „Campo d‘Isarco“ ist gegen eine Spende beim Südtiroler Heimatbund erhältlich!




Hohe „Landesehrung“ für einen Totengräber der Selbstbestimmung Südtirols

Das Schloss Tirol ist ein Symbol für die Landeseinheit Tirols. Die SVP-Parteispitze ließ dort einen „Totengräber“ der Selbstbestimmung „ehren“.

Eine fragwürdige Ehrung mit schwammiger Begründung

Am 5. September 2018 fand auf Schloss Tirol, von dem das ganze Land seinen Namen hat, und welches eigentlich für die unzerstörbare Landeseinheit steht, eine höchst fragwürdige „Ehrung“ statt. Geehrt wurde ein Mann, der sich nicht für die Landeseinheit, sondern gegen die Landeseinheit Tirols engagiert hat.

Das Land Südtirol – sprich: die Parteispitze der „Südtiroler Volkspartei“ (SVP) – verlieh dem Leiter des Völkerrechtsbüros im österreichischen Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres, Dr. Helmut Tichy, den „Großen Verdienstorden“ des Landes Südtirol.

Die vom Südtiroler Landespresseamt am 5. September 2018 veröffentlichte Begründung für diese Ehrung war mehr als schwammig:

„Wann immer Südtirol um rechtliche Unterstützung ersuchte, war Botschafter Tichy zur Stelle. Helmut Tichy ist mit seinen umfassenden Fachkenntnissen im Völkerrecht und zusätzlich auch im Europarecht ein unverzichtbarer Berater und rechtspolitisch gewichtiger Unterstützer des Landes Südtirol.“

Die Tageszeitung „Dolomiten“ berichtete am 6. September 2018 über die „Ehrung“ des Dr. Tichy (ganz rechts im Bild). Wohl mangels konkreter Fakten bezeichnete  die Zeitung Tichy kurzerhand als „Freund“ und beschrieb seine angeblichen Verdienste mit folgenden Worten:

„Helmut Tichy hat als Völkerrechtler und österreichischer Botschafter Südtirols mittels Kleingedrucktem geschützt und weiterentwickelt…“

Tichy selbst wusste in seiner Dankesrede auch nicht mehr über seine eigenen Verdienste zu berichten, als dass er Südtirol „immer vor Augen“ habe.

Der Südtiroler Heimatbund (SHB) wies auf die politischen Hintergründe hin

Roland Lang
Roland Lang

Der „Südtiroler Heimatbund“ (SHB), eine von ehemaligen politischen Häftlingen Südtirols gegründete Vereinigung, welche für die Selbstbestimmung eintritt, wusste jedoch sehr wohl eine plausible Erklärung für diese seltsame „Ehrung“ zu liefern.

Der SHB-Obmann Roland Lang veröffentlichte am 3. September 2018 nachstehende Presseerklärung, welche von bedeutenden Internet-Nachrichtenportalen wie „Unser Tirol 24“, „SÜDTIROL NEWS“ und „SALTO“ verbreitet wurde:

Hohe „Landesehrung“ für einen Totengräber der Selbstbestimmung Südtirols

Am 5. September 2018 wird auf Schloss Tirol dem österreichischen Ministerialbeamten Dr. Helmut Tichy der „Große Verdienstorden des Landes Südtirol“ feierlich verliehen werden. Diese Ehrung erfolgt aber ausschließlich aus wahltaktischen Gründen, um die unterwürfige Politik der SVP gegenüber Rom zu bestätigen und das Selbstbestimmungsrecht ad Acta legen zu können, stellt SHB-Obmann Roland Lang fest.

Begründet wird die Verleihung des höchsten Landesordens an Dr. Tichy damit, dass er als Leiter des Völkerrechtsbüros im österreichischen Außenministerium „stets zur Stelle“gewesen sei, „wann immer Südtirol um rechtliche Unterstützung ersuchte.“(„Dolomiten“ vom 31. 8. 2018)

Am 18. November 2016 unterstützte Dr. Helmut Tichy den Südtiroler Landeshauptmann Dr. Arno Kompatscher bei dessen Ablehnung der Selbstbestimmung für Südtirol.

Er erklärte nämlich im November 2016 anlässlich der Gedenkveranstaltung „70 Jahre Pariser Vertrag“ in Bozen, dass Südtirol sein Selbstbestimmungsrecht bereits „in der Form weitgehender Autonomie“ausübe. (Quelle: RAI- Tagesschau sowie „Dolomiten“ vom 18. November 2016).

Damit lag der Beamte Dr. Tichy auch auf der politischen Linie seines damaligen ÖVP-Außenministers Kurz.

Nun ist es richtig, dass die Ausübung der Selbstbestimmung auch zu einer Autonomie führen kann, wenn sich die Bevölkerung in einer Volksabstimmung mit der Wahlmöglichkeit zwischen „Los von Rom“ und einer „Autonomielösung innerhalb Italiens“ für die zweite Variante entscheidet.

Dr. Helmut Tichy weiß aber sicherlich, dass eine solche Volksabstimmung in Südtirol nie stattgefunden hat.

Das heutige Autonomie-Paket wurde am 23. November 1969 von den Delegierten einer außerordentlichen Landesversammlung der Südtiroler Volkspartei (SVP) angenommen – also von den Funktionären eines Parteigremiums.

Das Autonomiestatut wurde sodann von dem italienischen Staatspräsidenten mit Dekret Nr. 670 vom 31. August 1972 in Kraft gesetzt. Der Artikel 1 des Statuts bekräftigt auch die politische Einheit „der einen und unteilbaren Republik Italien“, womit jegliches Streben nach Selbstbestimmung als verfassungsfeindlich qualifiziert wird.

 Es ist nicht anzunehmen, dass Dr. Helmut Tichy tatsächlich den Beschluss einer Partei-Delegiertenversammlung für die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts der gesamten Landesbevölkerung hält.

Der „Südtiroler Heimatbund“ (SHB) hat damals am 20. November 2016 in einer Presseerklärung festgehalten, dass Dr. Tichy hier im Sinne der damaligen österreichischen Bundesregierung eine Umdeutung des Begriffes „Selbstbestimmungsrecht“ versucht hat.

Die jetzige „Ehrung“ des dienstergebenen Beamten Dr. Tichy hat wohl wenig mit dessen „Verdiensten“ zu tun.

Sie dient wohl eher dazu, die SVP-Politik der ständigen Erfüllung der Wünsche Roms zu legitimieren. Daher wird die durch Dr. Tichy vertretene Politik der Beerdigung der Südtirol-Frage von Landeshauptmann Dr. Kompatscher und der SVP-Parteispitze als vorbildhaft hingestellt. Man „ehrt“ Dr. Tichy und meint sich selbst.

Einen Großteil der Bevölkerung wird man damit nicht täuschen können. Zu sehr fällt der falsche Zungenschlag auf.

Roland Lang
Obmann des „Südtiroler Heimatbundes“ (SHB)

Eine schwankende SVP und ein williger Dr. Arno Kompatscher

Die „Südtiroler Volkspartei“ (SVP) ist nimmt in Bezug auf die Zukunft des Landes mangels innerer Geschlossenheit oft eine schwankende Haltung ein. Der jetzige Landeshauptmann Dr. Arno Kompatscher hat sich aber in entscheidenden Augenblicken zusammen mit führenden österreichischen ÖVP-Politikern als williger Erfüllungsgehilfe der Interessen Roms erwiesen.

Absage an Selbstbestimmungsbefürworter in Südtirol

Am 3. Mai 2014 veröffentlichte die Südtiroler Tageszeitung „Dolomiten“ ein Interview mit dem damaligen österreichischen „Bundesministers für europäische und internationale Angelegenheiten“ Sebastian Kurz. In diesem Interview teilte Kurz den Südtirolern mit, dass von einem ÖVP-geführten Außenministerium keine Unterstützung für Selbstbestimmungsbestrebungen zu erwarten sei. Kurz sprach sich gegen das Selbstbestimmungsrecht der Volksgruppen in der Lombardei, im Veneto, in Friaul-Julisch-Venetien und in Südtirol mit folgenden Worten aus:

„Ich halte nichts davon, den Leuten das Blaue vom Himmel zu versprechen. Freistaats- und Unabhängigkeitsfantasien führen die Menschen in die Irre – man kann das Rad der Zeit nicht zurückdrehen.“

Wie die „Dolomiten“ am 5. Mai 2014 berichteten, wurde Kurz am gleichen Tag auf der Landesversammlung der Südtiroler Volkspartei in seiner Gastrede in beleidigender Weise noch deutlicher:

„In meiner Heimat, aber auch in Südtirol beobachte ich leider Ewiggestrige, die wieder vom Aufziehen neuer Grenzen träumen“.

Aus „Dolomiten“ vom 3./4. Mai 2014

Ein Jubelbrief des Landeshauptmannes

Der Südtiroler  Landeshauptmann Dr. Arno Kompatscher bedankte sich für diese Worte, die auch seine politische Linie unterstützten, mit einem Jubelbrief, in welchem er behauptete:

„… Ihre Aussagen sind in Südtirol mit großer Begeisterung aufgenommen worden. Sie haben die Herzen vieler Südtirolerinnen und Südtiroler im Sturm erobert.“

Dem ist nichts hinzuzufügen!




Ehrendes Gedenken an Hans Auer

Abschied von einem Tiroler Freiheitskämpfer

Am 26. Juni 2018 veröffentlichte Roland Lang, Obmann des „Südtiroler Heimatbundes“ (SHB), einer von ehemaligen Freiheitskämpfern und politischen Häftlingen gegründeten Vereinigung, welche für das Selbstbestimmungsrecht Südtirols eintritt, nachstehenden Nachruf auf einen verstorbenen ehemaligen Freiheitskämpfer:

Mit Trauer muss der Südtiroler Heimatbund (SHB) das Ableben eines liebenswerten Freundes und unbeugsamen Patrioten mitteilen. Der Freiheitskämpfer Hans Auer ist nicht mehr unter uns, teilt SHB-Obmann Roland Lang in einer Aussendung mit.

Nach der Feuernacht des Jahres 1961 hatte eine riesige Verhaftungswelle die Mehrzahl der Freiheitskämpfer in die Carabinieri-Kasernen unter die Folter und später in Mailand vor Gericht gebracht. In dieser Situation fasste der junge Johann (Hans) Auer aus Sand in Taufers zusammen mit einigen Freunden den folgenschweren Beschluss, Anschläge gegen Strommasten zu begehen. Darüber hat er später Freunden gegenüber ausgesagt:

Hätten wir und Andere den Freiheitskampf nicht fortgeführt, dann hätte die Gefahr bestanden, dass die Opfer unserer Kameraden von 1961 umsonst gewesen wären. Wir haben es als unsere Pflicht angesehen, durch die Anschläge den Druck auf die Staatsmacht und ihre Politik weiter aufrecht zu halten.

 Pusterer brutal von den Carabinieri gefoltert

Im März 1967 wurde Hans Auer zusammen mit anderen jungen Pusterern verhaftet und in die Carabinieri-Kaserne von Bruneck verbracht.

Die italienische Tageszeitung Alto Adige berichtete groß über die Verhaftung des jungen Hans Auer und seiner Freunde.Was dort mit ihm und seinen Freunden geschah, hat er später in aus dem Gefängnis geschmuggelten Briefen und in Gesprächen geschildert: Tage lang brutale Schläge, Stockhiebe, Fußtritte, herausgeschlagene Zähne, Schlafentzug, Erstickungsversuche, Blendung mit einer Quarzlampe, Durstqualen, Ausreißen eines Zehennagels. Dazu Quälereien am Unterleib, die blutigen Urin zur Folge hatten.

Als Hans Auer viele Jahre später auf einer Veranstaltung in Österreich aus einem damaligen Folterbrief das Erlebte vorlesen sollte, verschlug es ihm angesichts der schrecklichen Erinnerungen die Sprache. Er brachte kein Wort heraus und sein Sohn Hannes musste den Brief verlesen.

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In dem oben abgebildeten Brief hieß es:

„Liebe Landsleute! Da ich mich nun weit einiger Zeit in Haft befinde, so kann ich jedoch meine schlimmeren ersten Tage nie mehr vergessen. Ich will es auch nicht für mich behalten, sondern es soll auch die Öffentlichkeit erfahren, mit welchen Mitteln die italienische Polizei bei meinen Verhören vorgegangen ist.

Am 10.3.1967 wurde ich abends mit hinterlistigem Vorhaben in die Karabinieri Kaserne von Sand in Taufers gebracht. Lange Zeit wurde ich dort mit Drohungen verhört. Da mußte ich zwei Nächte in einer kalten Zelle verbringen, wobei ich mir starke Erkältungen zuzog. Wurde dann gefesselt nach Bruneck gebracht. Nach langem Verhör mußte ich ungefähr drei Stunden, mit den beiden Zeigefingern an die Wand haltend, mit den Füßen zwei Schritte zurücktreten und so auf den Schuhspitzen stehen. Als ich vor Schwäche einsackte schlugen sie auf mich drauf los, und rissen mich mit Gewalt hoch und wieder mußte ich das selbe machen, bis ich wirklich am Ende war. So mußte ich die Hände in die Höhe halten, nebenbei wurde mir ins Gesicht geschlagen, mit den Handkanten in die Rippen und auch mit den Fäusten in den Magen daß ich gar nicht mehr schreien konnte. Sie drohten mir daß ich nur mehr in Stücke nach Hause kommen werde. Sie verbanden mir die Augen, so eng es ging und fesselten mich. Sie führten mich in der Kaserne hin und her, auf und ab und endlich einem Ausgang zu, zu dem Auto und fuhren einen Feldweg entlang. Als wir am Ziel ankamen wurde ich radikal in eine Art Baracke gezogen. Ich stößte bald da und dort mit dem Kopf an die Wand. Ich mußte mich neben einen Hocker auf den Boden setzen, die Hände banden sie mir gefesselt über den Hocker hinten hinunter auf den Boden. Einer stand mir vorne auf die gebundenen, ausgestreckten Beine während einer von hinten die Hände immer tiefer gegen den Boden zog oder trieb. Einer packte meinen Hals von hinten und drückte meinen Oberkörper über den Hocker rückwärts daß ich glaubte jeden Augenblick müßte mein Körper und meine Knochen entzwei sein. Sie schlugen mir nebenbei ins Gesicht und mit den Fäusten überall hin, wo es ihnen Spaß machte. Sie lachten mit offenen Herzen, sie verspotteten mich und hießen mich dies und jedes. Es waren mindestens sechs von der Polizei unter denen selbstverständlich auch ein Deutscher. Nach langem Quälen brachten, brachten sie mich niedergemacht in das bereitstehende Auto und fuhren mich wieder in die Karabinieri Kaserne von Bruneck. Es war früh am Morgen als es bereits graute. Ich weiß nicht wie lange das alles gedauert hatte. Wurde dann mit hassenden Händen in eine Kanzlei gebracht und banden mir die Binde von den Augen. Schwankend stand ich da fast ohnmächtig ihnen eine lange Zeit gegenüber. Ich war das reinste Spielzeug für sie. Tage lang quälte mich der Durst, mein Mund war trocken wie Staub daß ich kaum ein Wort herausbrachte. Sie fragten mich, obwohl sie es genau wußten, ob ich Durst habe? Meine Antwort war selbstverständlich mit ‚Ja’. Sie brachten mir nach einiger Zeit ein Bier, als ich es für den größten Durst fast leerte, mußte ich feststellen daß mir schlecht, wie betäubend wurde. Es ist mit unwissentlich, wie lange ich ihnen wie ein Stück Holz zur Verfügung stand. Später wurde mir bewußt daß ich in eine Zelle gebracht wurde. Mit schwerem leidtragenem Schmerze verbrachte ich Tage und Nächte ohne Schlaf! Später wurde ich mit gebundenen Händen in eine Kanzlei geführt und durchsucht, dann nach Bozen in Gerichtsgefängnis überführt, wo ich auch öfters den Verhören zugezogen wurde. Endlich erhielt ich da meine Zelle wo ich nun meine jetzige Ruhe zu hoffen vermag. Doch all dies Geschehen ertrug ich aus Liebe und Treue zu meiner Heimat ‚Südtirol’ und werde desto inniger und eifriger zu ihr stehen doch auch keinen Zweifel daran verlieren oder haben.

Auer Hans, geb. 9.6.1944“

 

Hans Auer im Gefängnis
Hans Auer im Gefängnis

Schwere Krankheit bis zu seinem Tod

Als Hans Auer zusammen mit seinen Kameraden 1969 in Bologna vor Gericht gestellt wurde, hatte er bereits Anzeige gegen seine Folterer erstattet. Dies hatte ihm eine zusätzliche Anklage wegen „Verleumdung der Carabinieri“ eingetragen. In dem Urteil, welches ihn zu 27 Jahren Haft verdammte, wurde er als Lügner hingestellt.

Die Tageszeitung „Dolomiten“ bezeichnete den Spruch des Gerichtes in Bologna als „unfaßbares Urteil“.Dass Hans Auer nicht im Gefängnis sterben musste, sondern nach einigen Jahren wieder zu seiner Familie heimkehren konnte, war einer Amnestie im Zuge der politischen „Paket“-Autonomielösung zu verdanken.

Bis zu seinem Tod nach schwerer Krankheit hat Hans Auer unwandelbar zu seiner Heimat und deren Recht auf Freiheit gestanden. Wir verneigen uns vor diesem großen Sohn Tirols und den großen Opfern, die er erbracht hat.

Der Abschied von dem Freiheitskämpfer Hans Auer

Am den 29. Juni, um 14 Uhr von der Kirche in Mühlen ausgehend, setzte sich ein schier endloser Trauerzug zum Trauergottesdienst um 14.30 Uhr in die Pfarrkirche von Taufers in Bewegung. Viele Mitbürger und Schützenkameraden aus dem ganzen Land sowie die Vertreter des „Südtiroler Heimatbundes“ (SHB) erwiesen Hans Auer die letzte Ehre.

Als einziger österreichischer Politiker war der freiheitliche Nationalratsabgeordnete und FPÖ-Südtirolsprecher Werner Neubauer nach Südtirol zu dem Begräbnis von Hans Auer angereist.

 Von den Südtiroler Politikern waren Vertreter der Oppositionsparteien „Süd-Tiroler Freiheit“ und der „Freiheitlichen“ erschienen.

Die „Südtiroler Volkspartei“ (SVP), einst eine Sammelpartei aller Südtiroler, glänzte durch Abwesenheit.

Über Verabschiedung des Freiheitskämpfers Hans Auer hat Werner Neubauer einen ehrenden Bericht verfasst, welcher nachstehend auszugsweise wiedergegeben ist:

„Die Kirche in Taufers hatte wohl schon lange nicht mehr solchen Zustrom erfahren. Sie war zum Bersten voll und vor den Toren standen in Schweigen gehüllt, noch hunderte Menschen, um einen aus ihrer Gemeinde, Johann Auer, den „Jösile Hons“, in würdigem Rahmen auf seinem letzten Weg zu verabschieden.

Die Kirche konnte die Trauergäste nicht fassen. Noch auf dem Vorplatz standen hunderte Menschen. Foto: W. Neubauer

Alle Angehörigen der Familie Auer waren anwesend, als Sohn Hannes den Nachruf seines Vaters in der Kirche zu Gehör brachte. In bewegenden Worte schilderte er die schweren Jahre vom Zeitpunkt der Geburt im Jahr 1944 und der Nachkriegszeit in Südtirol.

Unter den Trompetenklängen des „Ich hatte‘ einen Kameraden“ und der „Tiroler Landeshymne“ verabschiedete die so zahlreich erschienene Trauergemeinde ihren großen Tiroler am Kirchen-Friedhof. Unter den Trauergästen befanden sich auch zahlreiche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und der Politik. Aus Südtirol nahmen Eva Klotz LAbg. a.D., der LAbg. Bernhard Zimmerhofer sowie Landesparteiobmann der Freiheitlichen, Andreas Leiter-Reber, Dr. Florian von Ach, F-Generalsekretär, Ex-LAbg. Pius Leitner und der Obmann des Südtiroler Heimatbundes, Roland Lang an den Trauerfeierlichkeiten teil.

Der freiheitliche Südtirol Sprecher NR Werner Neubauer war zu diesem Anlass aus Österreich angereist. Zahlreiche Abordnungen von Schützenverbänden gaben ihrem Schützenkameraden das letzte Geleit.

Als einziger österreichischer Politiker war der FPÖ-Südtirolsprecher und Nationalratsabgeordnete Werner Neubauer zu der Verabschiedung des Freiheitskämpfers Hans Auer erschienen. Der Abg. Neubauer ist auch Mitglied der Südtiroler Schützenkompanie Gries.

Es ist eine Schande des offiziellen Südtirols, keinen namhaften Vertreter zur Verabschiedung Hans Auers entsandt zu haben.

Es war das Verdienst der Männer und Frauen um Sepp Kerschbaumer, Hans Auer, Luis Amplatz und Georg Klotz, dass in diesem Land die deutsche Volksgruppe heute einigermaßen in Frieden leben kann. Dies hat letztlich auch der ehemalige Landeshauptmann Magnago zur Kenntnis nehmen müssen.

Wir verneigen uns vor diesem großen Sohn Tirols und den großen Opfern, die er erbracht hat.

Sein Leben für seine Heimat ist uns allen Auftrag und Verpflichtung.“

Foto: W. Neubauer

 

Foto: W. Neubauer