Einladung zur Buchpräsentation: „Südtirol – Opfer geheimer Parteipolitik“

Für sein neuestes Werk hat Südtirol-Experte und Buchautor Helmut Golowitsch erst kürzlich entdeckte, lange Zeit geheimgehaltene Dokumente erstmals ausgewertet. Bei der Präsentation seines Buches „Südtirol – Opfer geheimer Parteipolitik“ wird er selbst darüber berichten.

Ort: Hagenstraße 20
Datum: Mittwoch, 20. März 2019, 19 Uhr
Ort: Hagenstraße 20, 4040 Linz
Veranstalter: Akad. Burschenschaft Arminia Czernowitz zu Linz (Anreiseplan am Ende des Textes)

Bei der Veranstaltung besteht die Möglichkeit das Buch käuflich zu erwerben und es durch den Autor signieren zu lassen.

„Südtirol – Opfer geheimer Parteipolitik“

Bereits 2017 stellte Helmut Golowitsch seine sensationelle Dokumentation „Südtirol – Opfer für das westliche Bündnis“ vor. Darin ergründete er anhand von Geheimdokumenten die Geschichte des „Ausverkaufs“ Südtirols an Italien nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs durch führende österreichische Bundespolitiker (ein Interview mit Helmut Golowitsch dazu lesen Sie hier). Bereits in diesem Buch wurde deutlich, dass es sich bei den häufigen Beteuerungen von Politikern insbesondere der ÖVP, niemals auf Südtirol und die Rechte der dortigen angestammten deutschen Bevölkerung verzichten zu wollen, um kaum mehr als Lippenbekenntnisse handelte.

In der nun vorliegenden Fortsetzung „Südtirol – Opfer geheimer Parteipolitik“ widmet sich Helmut Golowitsch der Fortsetzung dieser Politik durch die ÖVP-Regierungen in den 1960er Jahren, welche sich unter teilweiser Umgehung staatlicher Institutionen auf der Ebene geheimer Absprachen zwischen ÖVP-Politikern und DC-Politikern vollzog. Rom blockierte den Beitritt Österreichs in den gemeinsamen europäischen Markt. Unter diesem erpresserischen Druck fand sich die österreichische Bundesregierung unter Bundeskanzler Josef Klaus auch zu geheimer Zusammenarbeit mit italienischen Sicherheitsdiensten und zu gesetzlich nicht gedeckten Maßnahmen gegen exilierte Südtiroler und eigene österreichische Staatsbürger bereit. All dies wird im neuesten Werk von Helmut Golowitsch eingehend dokumentiert.

Über den Autor

Helmut Golowitsch, geb. 1942, studierte Publizistik und Volkskunde in Wien; anschließend langjährige journalistische Tätigkeit. Als Zeithistoriker hat er zahlreiche Arbeiten zur Zeitgeschichte Südtirols publiziert, so u. a. über das Zustandekommen und die Hintergründe des Pariser Vertrags von 1946, den Gebirgskrieg am Ortler 1915–1918 sowie den Südtiroler Freiheitskampf der 1960er Jahre. Zuletzt erschien im Leopold Stocker Verlag „Südtirol – Opfer für das westliche Bündnis“ (Graz 2017).




Was bedeutet uns Heutigen das Leben und Sterben des Andreas Hofer?

Gedenkfeiern in Südtirol und Italien

In ganz Südtirol fanden in den letzten Tagen würdige Gedenkfeiern anlässlich des 209. Todestages des Freiheitshelden Andreas Hofer statt. Aus der großen Zahl dieser Veranstaltungen seien hier nur einige wenige bemerkenswerte Höhepunkte berichtet.

„Für ein freies, selbstbestimmtes und vereintes Land!“

Seit 35 Jahren gedenkt der Südtiroler Schützenbund alljährlich am 20. Februar in Mantua der Erschießung Andreas Hofers. Dieses Jahr richtete der Schützenbezirk Pustertal an dem Andreas-Hofer-Denkmal im Stadtteil Cittadella, an der Todesstätte des Freiheitskämpfers, die Feier aus. Der Einladung waren 35 Fahnenabordnungen mit rund 300 Schützen und Marketenderinnen, sowie Abordnungen von Traditionsverbänden gefolgt, die von Vertretern der Stadtgemeinde Mantua herzlich begrüßt wurden.

Der Landeskommandant-Stellvertreter des Südtiroler Schützenbundes, Schützenmajor Heinrich Seyr, hielt eine bemerkenswerte Rede, in der er Andreas Hofer kritisch in einen Vergleich mit heutigen Vertretern der Politik stellte:

„Man vergisst bei der kritischen Durchleuchtung Hofers allzu gern, dass Hofer keiner jener heutigen Doppelverdiener war, keiner jener viel zitierten Postenschächer, keiner, der seine eigenen Vorteile vor jenes der Allgemeinheit gesetzt hat. Hätte er es auf Wirtschaftlichkeit angelegt gehabt, hätte er sich am Sandwirtshaus nur stillhalten brauchen. Fleißig Vorspanndienste leisten müssen und dafür österreichisches, französisches und bayerisches Geld einstecken können. Aber er tat das Gegenteil, er rückte aus, hielt seinen Kopf hin für die vermeintliche Freiheit und verbreitete Hoffnung und Träume. Er war keiner, der nur große Worte schwang. Bescheiden, wortkarg und einfach war er, ein Mann der Tat, schon das allein lässt ihn im direkten Vergleich mit seinesgleichen der Gegenwart sehr wohl ein Held und Vorbild sein.“

Major Seyr richtete die Frage an die Teilnehmer, welche Menschen wohl vorzuziehen seien? Jene, die wie Andras Hofer für die Heimat eintreten, oder jene, die für augenblicklichen Gewinn die Zukunft verkaufen?

Der Schützenmajor forderte dazu auf, an eine Zukunft zu denken, in der Südtirol kein Teil des italienischen Staates mehr sein solle.

„Italien wird ein Fass ohne Boden bleiben, Italien ist nicht zu retten, für uns Tiroler im Süden braucht es neue Visionen. Träumen allein genügen dabei freilich nicht. Wir müssen erkennen, dass man diese erst dann verwirklichen kann, wenn wir uns entschließen, einmal daraus zu erwachen. … Wir müssen uns auf den Weg machen. Was heute als Zukunftsroman beginnt, wird man morgen vielleicht als Reportage einer Erfolgsgeschichte zu Ende schreiben können. … Deshalb braucht es Frauen und Männer, die gängige Denkmuster verlassen und über ihren geistigen Tellerrand hinausdenken. Die Geschichte lehrt uns, dass nichts bleibt wie es war, und vor allem, kein Staatsgebilde für die Ewigkeit bestimmt ist….  Deshalb muss für uns gelten, das Vermächtnis Hofers, und das Vermächtnis all unser Vorfahren weiterzutragen. Einzustehen für die Freiheit und gemeinsam, mit allen Menschen guten Willens, an der sicheren Zukunft für ein freies, selbstbestimmtes und vereintes Land zu arbeiten.

An der Vergangenheit kann man nichts ändern. Die Gegenwart kann man manchmal auch nicht ändern. Aber man kann die Zukunft gestalten! Man muss sie gestalten: Das ist unsere Pflicht der Heimat gegenüber.

Schützen Heil!“

Mit Feuer im Herzen etwas für Heimat bewegen

Auf der großen Südtiroler Landesfeier in Meran hielt die 18-jährige Miss Südtirol Felicia Gamper die Gedenkrede.

Die Festrednerin Felicia Gamper neben dem Landeskommandanten des Südtiroler Schützenbundes, Elmar Thaler

Sie sagte, dass der Freiheitskämpfer Andreas Hofer bereit gewesen sei, für unser wertvolles Tirol zu kämpfen und alles für seine Wertvorstellungen und das Erreichen seiner Ziele zu geben, sogar sein Leben.

„Andreas Hofer hatte den Antrieb, unserem Land zu helfen, unsere Kultur, unsere Traditionen, unseren Glauben und unsere Sprache zu bewahren. Es war auch später eine Herausforderung für das Tiroler Volk, seinen Wurzeln treu zu bleiben, trotz Weltkriegen, Nationalsozialismus und Faschismus.“

In Bezug auf die Menschen in Südtirol betonte die Rednerin, „dass sie es immer wieder geschafft haben, zusammenzuhalten und sich treu zu bleiben.“ An die Marketenderinnen und Schützen richtete Felicia Gamper, die auch Marketenderin der Schützenkompanie St. Pankraz in Ulten ist, die Botschaft:

„Erst, wenn wir das Feuer im Herzen spüren, können wir etwas bewegen. Ich wünsche euch, dass ihr täglich den Mut aufbringt, das ‚Warum‘ zu finden, zu leben und dadurch für euch und auch für unser schönes Heimatland etwas zu bewegen.“

Landeskommandant Elmar Thaler ging in seiner Begrüßungsrede darauf ein, dass die Zugehörigkeit Südtirols zum italienischen Staat für den südlichen Teil Tirols negativ sei. Er forderte die Festgäste dazu auf, „einen Blick auf die Geschichte zu werfen, als Tirol noch eins war, als wir nicht von italienischen Politikern, italienischer Verwaltung und italienischen Gewohnheiten … abhängig waren“.

Die Tradition des Eintretens für die Freiheit – von 1809 bis heute

In Margreid hielt Roland Lang, der Obmann des von ehemaligen Freiheitskämpfern und politischen Häftlingen gegründeten „Südtiroler Heimatbundes“ (SHB), die Rede, in welcher er den Bogen von der ruhmreichen Zeit Andreas Hofers bis hin in die Gegenwart spannte.

Es sei ihm eine Ehre, sagte Lang, hier in Margreid vor Schützen sprechen zu können, deren Vorgänger und Vorfahren in mehreren Jahrhunderten und zuletzt als Standschützen im Ersten Weltkrieg vielfach ihren Beitrag zur Landesverteidigung geleistet hatten.

Die Tiroler hätten 1809 allen unterworfenen Völkern ein Beispiel ihres Freiheitswillens gegeben. „Tirol musste sich dann 1915 wieder selbst verteidigen. Während im ersten Kriegsjahr die besten militärischen Verbände an der Ostfront gekämpft und geblutet haben, haben die Standschützen zuerst alleine, später dann mit zu Hilfe gekommenen bayrischen Soldaten und dem österreichischen Militär die Süd Front unsere Heimat verteidigt.

Wie im Sturmjahr 1809 hatte sich das Volk erhoben. Nach dem Gesetz noch nicht wehrpflichtige Knaben und für den Felddienst zu alte Männer eilten zu den Schießständen, um sich eintragen zu lassen. Auch wer schon vorher als Schütze einem Schießstand beigetreten war, hatte sich damit freiwillig zur Landesverteidigung verpflichtet gehabt und rückte jetzt an die bedrohte Grenze. Dann leisteten die Standschützen auf ihre altehrwürdigen Schützenfahnen das Gelöbnis, welches viele von ihnen bald mit ihrem Leben besiegeln sollten:

‚Wir schwören zu Gott dem Allmächtigen einen feierlichen Eid … gegen jeden Feind … tapfer und mannhaft zu streiten, unsere Truppen, Fahnen und Geschütze in keinem Falle zu verlassen … und auf diese Weise mit Ehren zu leben und zu sterben, so wahr uns Gott helfe! Amen!‘

In der Stunde höchster Bedrängnis bildeten sich auch in Oberösterreich, Salzburg und Steiermark freiwillige Schützenregimenter, die der bedrängten Südfront zu Hilfe eilten.

Es ist von höchster Symbolik, dass zu Kriegsende Tiroler Standschützen und die Freiwilligen Schützen Kärntens, Oberösterreichs, Salzburgs und der Steiermark auf dem höchsten Berg Tirols, dem Ortler, standen und ihre Stellungen hielten, bis im November 1918 Tirol dem Feinde kampflos preisgegeben werden musste.

Das Opfer der Standschützen und Freiwilligen Schützen war jedoch nicht vergebens gewesen. So wie das Beispiel Andreas Hofers und seiner Mitstreiter, so prägten auch die Helden von 1915 bis 1918 den Geist der nachfolgenden Generationen und vermittelten ihnen den Stolz auf die Taten der Väter und Großväter.“

Lang erinnerte an den Widerstand gegen den Faschismus und Nationalsozialismus und erinnerte dann an die Freiheitskämpfer der 1960er Jahre:

„Ein entschlossenes Nein zur Erniedrigung ihrer Heimat setzten die Freiheitskämpfer der sechziger Jahre der Weiterführung der faschistischen Unterdrückungspolitik durch das demokratische Italien entgegen. Vergessen wir die Opfer nicht, die selbstlose Männer und Frauen in den sechziger Jahren für die Heimat erbrachten.“

Dann kam der SHB-Obmann auf die aktuelle Lage in Südtirol zu sprechen und wies warnend auf die: „Politik der Anbiederung, der ängstlichen Nachgiebigkeit gegenüber Rom“ hin, die in Südtirol Einzug gehalten habe!

Es gelte nun, aus einem „Geist der Verantwortung vor der Heimat, vor Gott und den Menschen … wir in demokratischer Friedensgesinnung für unser Volk“ zu leben und zu handeln.

„Ehre, Treue, Gottvertrauen und die Liebe zum Land Tirol!“

In Olang hielt Werner Neubauer, Abgeordneter zum Österreichischen Nationalrat und FPÖ-Südtirol-Sprecher, die Gedenkrede. Der Abgeordnete Neubauer ist auch Mitglied der Schützenkompanie Major Josef Eisenstecken in Gries, welcher der im Auftrag des italienischen Staates 1964 ermordete Freiheitskämpfer Luis Amplatz angehört hatte.

Jede völkische Minderheit, sagte Neubauer, benötige für die Aufrechterhaltung seiner Identität ein geschlossenes Siedlungsgebiet, eine gemeinsame Sprache und gemeinsame Traditionen.

Wenn ein Staat einer Minderheit die Identität rauben wolle, so müssten sich die Betroffenen an jenen Menschen orientieren, „die selbst in schweren Zeiten das Tiroler Wesen gelebt, vorgelebt und es – selbst durch den Einsatz des eigenen Lebens – verteidigt haben! Sie wurden so zu Vorbildern in ganz Tirol, ja über die Landesgrenzen hinaus.“

Zu diesen großen Vorbildern gehöre Andreas Hofer, aber auch der Olanger Tharerwirt Peter Sigmair, der von den Franzosen hingerichtet wurde und sein Leben opferte, um das seines Vaters zu retten.

Diese Freiheitskämpfer, sagte Neubauer, stünden für die Tugenden „Ehre, Treue, Gottvertrauen und die Liebe zum Land Tirol! Andreas Hofer würde seine heutigen volkstumspolitischen Ziele nicht weniger hoch ansetzen als er es vor 200 Jahren tat. Deshalb sind wir ihm auch heute verpflichtet. Sein Erbe muss uns Auftrag und Verpflichtung sein.“

Seltsame Gedenkmesse in Gries

Wie der „Südtiroler Heimatbund“ (SHB) in einem Pressedienst mitteilt, hatte die Schützenkompanie Major Josef Eisenstecken in Gries zu einer Andreas Hofer-Gedenkfeier eingeladen, die traditionsgemäß auch mit einer Messfeier verbunden war.

Der eine offenbar sehr zeitgeistige Linie vertretende Pfarrer Dr. Ulrich Kössler sprach sowohl bei der Messfeier wie bei der anschließenden Kranzniederlegung nur allgemein von den Gefallenen aller Kriege und vermied jegliche Erwähnung der Freiheitskämpfer.

Er erinnerte weder an jene von 1809, noch an jene der 1960er Jahre einschließlich des Grieser Fahnenleutnants Luis Amplatz. Der Pfarrer fand es auch nicht der Mühe wert, an einen berühmten Mitstreiter Andreas Hofers zu erinnern, dessen Schicksal sich in Gries vollendet hatte: An Peter Mayr, der nur einige Hundert Meter von der Grieser Stiftskirche entfernt am 20. Februar 1810, am Todestag von Andreas Hofer, von den Franzosen erschossen wurde.

Viele Anwesende empfanden die Missachtung des Andenkens an die Freiheitskämpfer durch den Pfarrer durchaus nicht als Demonstration besonders christlichen Friedenswillens. Hier wurde ganz andere Kritik laut.

Dem Herrn Pfarrer sei für seine Weiterbildung die Lektüre nachstehender Dokumentation empfohlen!

Dokumentation zu dem Thema:

Was bedeutet uns Heutigen das Leben und Sterben des Andreas Hofer?

Authentisches Portrait Andreas Hofers (Gemälde von Placidus Altmutter)

Vor 209 Jahren, am 20. Februar 1810, wurde Andreas Hofer im Festungsgraben von Mantua von einem französischen Exekutionskommando, bestehend aus 12 Grenadieren und deren Kommandanten, dem aus Befort in Luxemburg stammenden Korporal Michel Eiffes, hingerichtet. Der napoleonische Vizekönig von Italien, Eugène Beauharnais, wollte Hofer das Leben retten, doch Napoleon befahl seinem Schwiegersohn persönlich die Exekution durch Erschießen:

„… verfüge augenblicklich die Bildung einer Militärkommission, die ihn aburteilen und erschließen lassen soll… All dies innerhalb von 24 Stunden.“

Der gefangene Andreas Hofer war für Napoleon noch eine Gefahr

Kriegsrat Andreas Hofers (Gemälde von Franz von Defregger)

Noch nach Hofers Niederlage und seiner Gefangennahme am 28. Jänner 1809 auf der Pfandleralm (durch Verrat wegen eines Judaslohns von 1.500 Gulden) erschien der Wirt vom Sandhof im Passeiertal dem mächtigsten Mann dieser Zeit als eine so große Gefahr, dass er ihn innerhalb von 24 Stunden erschießen ließ.

Was war es, das Napoleon so sehr fürchtete? Es war die Idee der Freiheit – und im Gefolge dieser Idee die offene Zuneigung in ganz Europa für Hofers Kampf, die ihn für Napoleon so hassenswert und vor allem politisch gefährlich machte. Napoleon wollte die Heroisierung eines lebenden Hofer verhindern. Durch das Urteil bewirkte er das Gegenteil! Hofers vorerst gescheiterter Kampf um die Tiroler Freiheit war ein Funke, der den Brand in Europa gegen den Diktator und selbstgekrönten Kaiser der Franzosen entfachen half.

Königin Luise von Preußen und Bettina von Arnim über Andreas Hofer

Königin Luise von Preussen

Bereits Zeitgenossen würdigten Hofers Charakter. Königin Luise von Preußen (10. März 1776, †19. Juli 1810) schrieb über Andreas Hofer folgende Gedanken nieder:

„Welch ein Mann dieser Andreas Hofer! Ein Bauer wird Feldherr, und was für einer! Seine Waffe – Gebet; sein Bundesgenosse – Gott. (…) Ein Kind an Gemüt, kämpft er wie die Titanen mit Felsstücken, die es von seinen Bergen niederrollt …“

Die Schriftstellerin Bettina von Arnim schrieb an Johann Wolfgang von Goethe: „Ach, lieber Goethe! Deine Zeilen kamen mir zu rechter Stunde, da ich eben nicht wußte, wohin mit aller Verzweiflung; zum erstenmal hab‘ ich die Weltbegebenheiten verfolgt mit großer Treue für die Helden, die ihr Heiligtum verfechten; dem Hofer war ich nachgegangen auf jeder Spur, wie oft hat er nach des Tages Last und Hitze sich in der späten Nacht noch in die einsamen Berge verborgen und mit seinem reinen Gewissen beratschlagt, und dieser Mann, dessen Seele frei von bösen Fehlen, offen vor jedem lag als ein Beispiel von Unschuld und Heldentum, hat nun endlich am 20. Februar zur Bestätigung seines großen Schicksals den Tod erlitten; wie konnt‘ es anders kommen, sollte er die Schmach mittragen? (…)“

Die Bürger von Mantua wollten Hofer freikaufen

Begüterte italienische Bürger von Mantua empfanden 1809 für Hofer eine derartige große  Zuneigung, dass sie Lösegeld für seine Freilassung anboten. Sie sahen in Hofer „einen Helden oder einen Heiligen“, wie Hofers Rechtsanwalt, Joachim Basevi aus Mantua, in seinem Tagebuch anmerkte. Basevi war von der Unschuld des „einfachen, redlichen Mannes“ überzeugt, dem „jede Lüge fremd ist“.

Heute noch erinnern in Mantua eine Gedenktafel, eine Stele und ein Denkmal an das Schicksal Andreas Hofers

„Auch wie schießt ihr schlecht! Ade mein Land Tirol!“

Am 20. Februar 1810 ging Andreas Hofer vor der Bastei der Festung Mantua mit einer aufrechten Haltung in den Tod, die sein letzter Beichtvater und Beistand im Tode, Giovanni Manifesti, der Propst und Erzpriester von Santa Barbara, bezeugte: „Con somma mia consolazione ed edificazione ho ammirato un uomo, ch’e andato alla morte come un eroe cristiano, e l’ha sostenuta  come martire intrepido.” („Ich bewunderte voll Trost und Erbauung einen Mann, der als christlicher Held zum Tode ging und ihn als unerschrockener Märtyrer erlitt.“)

Andreas Hofers letzter Gang. (Postkarte anlässlich der Hofer-Gedenkfeiern 1909)

Die Erschießung durch Militär fand nach festem Reglement statt. In Begleitung eines Priesters und unter Trommelwirbel wurde Andreas Hofer am Montag, 20.2.1809 um 10.45 Uhr, auf den Erschießungsplatz im Festungsgraben von Mantua geführt. Es wurde ihm das Urteil vorgelesen. Dann wurde aufgefordert, sich niederzuknien, es sollten ihm auch die Augen verbunden werden: beides verweigerte der 1,85 m große, kräftige und gefasste Hofer, er blieb stehen und sah den Soldaten des Erschießungskommandos in die Augen.

Die versuchte Erschießung von Andreas Hofer durch 12 französische Soldaten im Festungsgraben von Mantua (Gemälde von Leopold Puellacher, um 1820) sowie die Tötung Andreas Hofers durch den Korporal Eiffes (Zeitgenössische Darstellung)

 

In dem von Julius Mosen 1831 gedichteten Andreas-Hofer-Lied heißt es in der letzten Strophe:

„Und von der Hand die Binde nimmt ihm der Korporal, Andreas Hofer betet allhier zum letzten Mal; dann ruft er: „‘Nun so trefft mich recht! Gebt Feuer! Ach wie schießt ihr schlecht! Ade mein Land Tirol!‘“

Diese Darstellung war nicht der freien Erfindung des Dichters Mosen entsprungen, sondern hat einen realen Hintergrund, der nach der Erschießung im Volk bekannt gewesen sein muss.

Auf Kommando schossen die Soldaten auf den nur zehn Schritte entfernt stehenden Hofer. Auf diese sehr kurze Distanz kann normal kein Soldat fehlen. Aber auch Soldaten sind Menschen mit Nerven und Gewissen. Diese Soldaten zielten zwar, trafen Hofer offenbar unter starker Gemütsbewegung nur sehr schlecht, Hofer fiel auf die Knie, eine zweite Salve traf sein Gesicht, er brach zusammen, lebte jedoch noch, war schwer verwundet. Deshalb trat Korporal Eiffes auf Hofer zu, setzte den Lauf seines Gewehres an dessen linke Schläfe und erschoss ihn. Auch dieser Korporal muss unter der Ausführung des ihm erteilten Befehls sehr gelitten haben. In den Erinnerungen von Korporal Eiffes finden sich, laut der Buchautorin und Journalistin  Susanne Gurschler, nämlich sehr berührende Aussagen über Hofer:

„Diese Tiroler, ein Volk durchdrungen von der Liebe zur Freiheit und ihrer Heimath, muthig und voller Todesverachtung, besonders wenn es heißt, jene zu vertheidigen … Andreas Hofer, wie erhebend klingt dieser Name für einen jeden, der die Eigenschaften dieses Mannes zu würdigen weiß. Thränen kommen mir in die Augen, wenn ich von diesem tapferen Gebirgssohne singen oder sprechen höre.“ 

Wofür hatte Andreas Hofer gekämpft?

Die Antwort ist klar und einfach: Für die alten Freiheits- und Verteidigungsrechte Tirols, die in dem Freiheitsbrief von 1342 und im Landlibell von 1511 niedergelegt waren.

Der Tiroler Freiheitsbrief des Markgrafen Ludwig von Brandenburg von 1342 (Bild links) ist ein bedeutendes Verfassungsdokument der Grafschaft Tirol und sicherte die Rechte der Landstände. Das von Kaiser Maximilian 1511 erlassene „Landlibell“ (Bild rechts) war die älteste Wehrverfassung Tirols, welche alle Tiroler zur Landesverteidigung verpflichtete, sie dafür aber vom Kriegsdienst außerhalb des Landes befreite.

In den Napoleonischen Kriegen zog 1796 das Tiroler Landesaufgebot gegen den Feind. 1809 sollte Andreas Hofer das Landesaufgebot wieder zu den Waffen rufen.

Das Land Tirol kannte keine Leibeigenschaft. Der freie Bauer trug Waffen. Die Tiroler mussten zudem keine auswärtigen Kriegsdienste leisten, sondern nur das eigene Land und dessen Freiheitsrechte verteidigen. Zu diesen Freiheitsrechten, die Andreas Hofer mit dem Landesaufgebot verteidigte, hatte auch die Ausübung des Glaubens gehört.

Andreas Hofer im Kreis seiner Mitkämpfer am Vorabend der Schlacht auf dem Bergisel bei Innsbruck (Gemälde von Franz von Defregger)

Österreichische Offiziere bringen die sterblichen Überreste Hofers nach Tirol

1823 enterdigten österreichische Offiziere Hofers sterbliche Überreste in Mantua und brachten diese nach Innsbruck, wo sie in der Innsbrucker Hofkirche beigesetzt wurden.

Bild links: Die Enterdigung der Gebeine Andreas Hofers in Mantua (zeitgenössischer Stich). Bild rechts: Das Grabmal Andreas Hofers in der Hofkirche in Innsbruck. Die Fahne in der Hand Hofers trägt so lange einen Trauerflor, bis das Land Tirol in seinen alten Grenzen wieder vereinigt sein wird.

Erzherzog Johann verehrte den Tiroler Freiheitshelden

Erzherzog Johann von Österreich war ein großer Verehrer Andreas Hofers gewesen. Er liebte das Land Tirol, in welchem er seine späten Lebensjahre verbrachte. Im Jahre 1845 schrieb er, nachdem er wieder nach Tirol hatte zurückkehren können:

„Ich war wieder in Tirol, frei und unbehindert, dem Land angehörend durch Liebe und Treue, durch Besitztum, durch Weib und Kind. Jenem Land, von dem ich vor 15 Jahren eine Schachtel Erde holte, damit auf dieser einst mein Haupt im Grabe ruhe – wusste ich doch nicht, ob es mir einmal vergönnt sein werde, frei dasselbe zu betreten.“

(Aus Johanns Tagebuch von 1845. Zitiert bei Bernhard Wurzer: „Tiroler Freiheitskampf“, Schriftenreihe zur Zeitgeschichte Tirols, Bd. 5, Erw. Neuauflage, S. 89)

Johann hatte die Wiege des Freiheitshelden Andreas Hofer zu dessen Andenken auf sein Schloss Schenna bei Meran geholt. Dort ruht der Erzherzog, seinem letzten Wunsch gemäß, im Mausoleum des Schlosses, an seiner Seite ruhen seine Frau und sein Sohn.

Hofers Verfemung unter dem Faschismus und Nationalsozialismus

Unter dem faschistischen Regime, welches Südtirol bis hin zur Umwandlung der Orts- und Familiennamen italianisieren wollte, wurde selbstverständlich keine ehrende Erinnerung an Andreas Hofer geduldet. Aber auch in Nordtirol wurde der 1919 in Innsbruck gegründete „Andreas-Hofer-Bund für Tirol“, welcher laut seiner Satzung für den Schutz des deutschen und ladinischen Volkstums eingetreten war, im Jahre 1938 nach dem „Anschluss“ Österreichs verboten. Auch die alljährlichen Gedenkgottesdienste am Todestag Andreas Hofers im Wiener Stephansdom wurden nun untersagt. Hitler plante bereits die Preisgabe Südtirols an das faschistische Italien.

Andreas Hofer war noch im Jahr 1952 eine Gefahr für den italienischen Staat

In Südtirol war nach Kriegsende ebenso wie in der Faschistenzeit das öffentliche Zeigen der weiß-roten Tiroler Landesfarben ein strafrechtliches Vergehen. Die Polizei- und Justizbehörden stützten sich hierbei auf den Artikel 654 des „Codice Penale“, des nach wie vor in Geltung befindlichen Strafgesetzbuches aus der Faschistenzeit.

Diese Paragraph sah eine Gefängnisstrafe bis zu 1 Jahr für denjenigen vor, welcher sich in der Öffentlichkeit aufrührerischer Kundgebungen oder Ausrufe schuldig machte.

Am 27. April 1952 fand in Neumarkt eine Veranstaltung der Südtiroler Volkspartei (SVP) statt. Zu dieser Veranstaltung hatte Otto Thaler aus Tramin eine weiß-rote Tiroler Fahne mitgebracht. Sodann hatte sein Landsmann Johann Wiesthaler die Fahne im Versammlungssaal aufgehängt und überdies noch ein Bild Andreas Hofers in der Mitte der Fahne angebracht. Die beiden SVPler brachten zusätzlich noch einen roten Tiroler Adler an der Wand des Saales an.

Am 7. Oktober 1952 mussten sie sich vor dem Amtsrichter von Neumarkt, dem „Pretore“ Dr. Villacara, verantworten, welcher sie schuldig sprach.

Er verurteilte die beiden Männer nach dem Artikel 654 des „Codice Penale“ zu jeweils 4 Monaten Haft, bedingt auf 2 Jahre. Zudem wurden ihnen die aufgelaufenen Prozesskosten auferlegt.

In dem Urteil des „Pretore“ Dr. Villfranca wurde aus dem Angeklagten Johann Wiesthaler ein „Giovanni“ Wiesthaler. Bereits eingangs heißt es, dass die Angeklagten „aufrührerische Kundgebungen“ veranstaltet hätten, indem sie „die rot-weiße Tiroler Fahne“ und einen „roten Adler an einem der Öffentlichkeit zugänglichen Ort“ gezeigt hätten. Im „Zentrum“ der weiß-roten Fahne sei zudem „l’effigie di Andrea Hofer“ – das „Bild Andreas Hofers“ gezeigt worden.

In dem Urteil des „Pretore“ hieß es, dass die Handlungen der Angeklagten „die Prinzipien der Staatsverfassung“ missachtet hätten und überdies „feindselig gegenüber der Unversehrtheit, der Einheit und der Unabhängigkeit des Staates“ gewesen seien.

Es habe sich um eine Veranstaltung der SVP gehandelt, deren Ziele allgemein bekannt seien: „Rücksichtsloser Kampf gegen Italien und gegen die Italiener, welcher als Tiroler Irredentismus auf die Abtrennung des Alto Adige vom italienischen Vaterland abzielt“, um „die heiligen Grenzen der Nation zu missachten und zu zertrümmern.“

Tirol sei für die Leute dieser Partei „ein von Italien unterschiedliches und zu Italien im Gegensatz stehendes Land. … Ihre Nationalflagge trägt die weiß-roten Tiroler Farben und nicht jene der italienischen Tricolore.“

In Bezug auf die Anbringung des Andreas Hofer-Bildes hieß in dem Urteil des „Pretore“:

„Für die örtlichen Politiker stellt Andreas Hofer das Symbol für die Revolte gegen die Fremdherrschaft dar: damals gegen das napoleonische Regime, heute gegen Italien.“

Die Täter hätten in der Absicht gehandelt, „eine aufrührerische Kundgebung“ vorzunehmen, „in Übereinstimmung mit der Generallinie der Partei, deren Verfassung aufrührerisch ist.“ Daher seien sie zu verurteilen gewesen. (Eine Ausfertigung dieses Urteils samt Begründung wurde in der Folge nach Nordtirol gebracht und der Südtirol-Abteilung der Nordtiroler Landesregierung übergeben. Sie befindet sich heute in einer Aktensammlung im Tiroler Landesarchiv, Amt der Tiroler Landesregierung, Referat Südtirol, Jahr ca. 1957 – 1990, Karton 14.)

Die Schützen pflegen das Andenken an Andreas Hofer

In allen Landesteilen Tirol wird das Andenken an Andreas Hofer und sein Eintreten für die Freiheitsrechte des Landes vor allem durch die Schützen gepflegt und hochgehalten.

Die Schützen ehren Andreas Hofer auch in Mantua und legen dort Kränze an seinem Ehrenmal nieder. Sie werden dabei von den örtlichen Behörden und der Bevölkerung in Mantua auf das Freundlichste empfangen.




Buchbesprechung: „Der hohe Preis des Friedens. Die Geschichte der Teilung Tirols 1918 – 1922“

Marion Dotter/ Stefan Wedrak: „Der hohe Preis des Friedens. Die Geschichte der Teilung Tirols 1918 – 1922“; 2. Auflage Innsbruck 2019 (€ 25,41); ISBN (Athesia) 978-88-6839-360-1; Das Buch ist beispielsweise hier (Österreich) und hier (Südtirol) zu beziehen.

Seit 100 Jahren ist das Land Tirol geteilt. Die Behauptung der eigenen Identität trotz Jahrzehnte langer Unterdrückung unter Anwendung von Kolonialmethoden ist eine herausragende Leistung. Die Erringung einer Autonomie Südtirols in wichtigen Teilen der Gesetzgebung und Verwaltung hat jedoch viele Opfer gekostet. Es die Geschichte einer mutigen Selbstbehauptung.

Nach dem Willen der italienischen Besatzer des Jahres 1918 und der Machthaber in den folgenden Jahren hätte die Entwicklung wohl anders verlaufen sollen.

Von den Verlagen ATHESIA in Bozen und Tyrolia in Innsbruck gemeinsam herausgegeben, ist ein fachlich herausragendes und spannend geschriebenes Geschichtswerk über die Teilung Tirols in den Jahren 1918 bis 1922 erschienen.

In diesem Buch wird der Leser anhand von Zeitzeugenberichten und Dokumenten in ein dramatisches Geschehen einbezogen, über welches er sich sein eigenes Urteil zu bilden vermag.

Georg Dattenböck hat als Historiker nachstehende Buchbesprechung verfasst:

Auf 344 Seiten, ausgestattet mit 6 Karten, 136 vielfach bislang unbekannten Fotos, einem Personen- und Ortsregister, sowie 12 Seiten Literaturhinweisen, wird dem Leser von zwei jungen Historikern als „Ableger unserer Arbeit am Forschungsprojekt ‚Die rechtliche Bedeutung des Vertrages von St. Germain‘“, ein gelungenes und sehr berührendes Buch über die Teilung des Landes Tirol präsentiert. Es zeichnet sich auch dadurch aus, daß die Autoren ihre Forschungen in den diversen Archiven selbst durchführten und zusätzlich erstklassige Berater hatten. Die Autoren konnten einen „Sammelaufruf realisieren, um noch im Privatbesitz vorhandene persönliche Quellen zur Teilung Tirols ausfindig zu machen und für kommende Generationen zu konservieren“, was dankbar begrüßt werden muss!

Der Inhalt beschreibt die Vorgänge der Jahre 1918 bis 1922, als Politiker wie Woodrow Wilson, die uralte Einheit Tirols zerschlugen, neues Unrecht und ein Chaos schufen. Das Buch ist unterteilt in folgende Kapitel:

  • Das Kriegsende in Tirol 1918
  • Die Besetzung Nordtirols durch Bayern und Italiener
  • Die Militärverwaltung von Südtirol 1918/1919
  • Die Pariser Friedenskonferenz und Tirol
  • Die Politik in Deutschösterreich und die Teilung Tirols 1919
  • Ein Land wird geteilt – die Arbeit des österreichisch-italienischen Grenzregelungsausschusses in Tirol
  • Die zivile Verwaltung Südtirol unter Luigi Credaro
  • Die wirtschaftliche Entwicklung Gesamttirols in der Nachkriegszeit
  • Der italienische Faschismus in Südtirol bis 1922
  • Ausblick: Faschistische Machtübernahme und die Konsequenzen für Südtirol

In diesen Kapiteln wird das bis zum heutigen Tag heftig nachwirkende, traumatische Geschehen der Annexion Südtirols aufbereitet. In ihrem Vorwort schreiben die Autoren u.a.:

„Am Beginn stand das Drama des Ersten Weltkrieges mit hunderttausenden Toten vor der Haustüre des Landes. Es folgten die Auflösung der k. u. k. Armee im Chaos und die schwierige italienische Besatzungszeit, welche im Norden vorübergehend, im Süden jedoch dauerhaft sein sollte.

Große Hoffnungen auf eine neue, als gerecht vorgestellte Weltordnung aus Übersee gingen unter, als die Ergebnisse der Friedenskonferenz in Paris bekannt wurden. Die Österreicher konnten nur mehr zähneknirschend akzeptieren, was im kleinen Zirkel der Friedensmacher entschieden worden war.

Die Brennergrenze wurde Wirklichkeit, mit größten Auswirkungen auf Politik und Wirtschaft, aber vor allem auf das Leben der Tiroler nördlich und südlich davon. Während der Norden sich mehr oder weniger gut in die Erste Republik Österreichs einfügte, erlebten die Tiroler in Italien nach der Annexion 1920 den Aufstieg des Faschismus, der schon vor der Machtübernahme in Rom 1922 seine Schatten auf das Land warf.

Zur Teilung des Landes kam später noch die Unterdrückung. So spiegelt sich die von Anton Just geschilderte Gewalt in nahezu allen Teilen unserer Ausführungen wider: ob es nun die Gewalt der Sieger ist, die der jungen Republik Österreich den Frieden diktierten und auch in den Grenzkommissionen danach um jeden Meter des neuen Staatsgebietes kämpften, oder jene der Faschisten, die mit brutalen Worten und Taten das Gesetz in die eigene Hand nahmen. Ob es nun die Gewalt der Enttäuschten und Unzufriedenen war, die beispielsweise Grenzsteine zerstörten, Widerstand gegen die neuen Machthaber leisteten und den Anschluss an Deutschland wünschten, oder jene der Hungernden, die einen letzten Ausweg nur mehr in Diebstahl und Plünderungen sahen.“

Der Brenner wurde zur neuen Grenze
Der Brenner wurde zur neuen Grenze

Die in dem Vorwort auch geäußerte Meinung der Autoren, dass „Italien und Österreich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Schwierigkeiten der Südtirolfrage letztlich überwunden haben“ und weiter, dass „man zu einer zufriedenstellenden, vernünftigen Lösung fand,“ wird vom Rezensenten bezweifelt! Angesichts der inzwischen dokumentierten Geheimpolitik der österreichischen Regierungen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, hätte das Studium des Buches von Helmut Golowitsch: „Südtirol – Opfer für das westliche Bündnis. Wie sich die österreichische Politik ein unliebsames Problem vom Hals schaffte“ (Graz-Stuttgart 2017), den Autoren zu möglicherweise differenzierteren Schlussfolgerungen verholfen.

 Im 1. Kapitel wird u.a. die strategische Lage Österreich-Ungarns im Herbst 1918, die katastrophale Ernährungslage der k. u. k.-Soldaten und das unsägliche Elend der Bevölkerung beschrieben. Mit Erschütterung liest man vom Ende des alten Österreich und seiner Armeen, vom Elend der heimwärts strebenden Soldaten und den Drangsalen, welchem die Bevölkerung Tirols dadurch ausgesetzt war.

„Es gab kaum mehr Nahrungsmittel: ‚Viele Tage sahen die Truppen keinen Bissen Fleisch, kein Gramm Fett. Früh und abends nur leerer, schwarzer Kaffee, mittags ein inhaltsloses Dörrgemüse, eine mit allerlei minderwertigen Ersatzmitteln gestreckte, der Menge nach ebenfalls unzulängliche Brotportion, hiezu bestenfalls etwas Käse oder Kürbis. Anderes frisches Gemüse war nur selten zu sehen‘. Eine solche Kost ließ die Soldaten mitunter bis zum Skelett abmagern. Von einer Division wird berichtet, dass die Männer durchschnittlich nur noch 50 Kilogramm wogen. (…) Briefe aus der Heimat berichteten dem Kämpfer an der Front zumeist nur von dem unerträglichen elend daheim: besonders Frauen und Kinder seien am Verhungern“.

Zurückflutende österreichisch-ungarische Truppen – hier im Bahnhof von Bozen

Der „Sieg von Vittorio Veneto“

 Der nach dem Scheitern der letzten Offensive an der Piave unausweichliche, allgemeine Zusammenbruch Österreich-Ungarns, wird sehr gut dargestellt. Hoch interessant ist der Bericht, warum in den letzten Stunden des Krieges noch einige hunderttausend k. u. k. Soldaten in italienische Kriegsgefangenschaft geraten konnten:

„Generalstabschef Arz teilte schon am 3. November um ein Uhr zwanzig früh den Armeekommandanten mit, dass die Waffenstillstandsbedingungen angenommen worden waren und die Feindseligkeiten unverzüglich einzustellen seien. Dies war freilich verfrüht, denn der Waffenstillstand war noch gar nicht von beiden Seiten unterzeichnet worden. Zwar verlangte der Kaiser aus diesem Grund von Arz kurz darauf, den Befehl zurückzunehmen, es war jedoch bereits zu spät: Die Heeresgruppe Tirol etwa protestierte, dass der Befehl schon weitergegeben war und nicht mehr zurückgenommen werden könne. Erst um drei Uhr Nachmittag am gleichen Tag unterzeichnete Weber in der Villa Giusti tatsächlich den Waffenstillstand. Zuvor hatten die Italiener allerdings noch eine Bestimmung eingefügt, der zufolge erst 24 Stunden nach Unterzeichnung das Feuer eingestellt werden sollte, weil es so lange dauere, alle Truppen vom Inkrafttreten der Waffenruhe zu verständigen. Damit gingen die Kampfhandlungen zumindest von Seiten der Alliierten noch weiter. Um an diesem letzten Tag so viel Gelände wie möglich zu gewinnen, stießen britische und italienische Patrouillen weit in das Gebiet hinter der ehemaligen Front vor und überholten dabei viele österreichisch-ungarische Soldaten, die keinen Widerstand mehr leisteten und sehr überrascht waren, dass sie plötzlich zu Kriegsgefangenen wurden. Insgesamt gerieten so rund 380.000 Soldaten der Monarchie in italienische Gefangenschaft. Die Italiener verkauften dies als den ‚Sieg von Vittorio Veneto‘, der von den Zeitgenossen und Historikern vielfach als betrügerische Finte belächelt wurde. In Wirklichkeit ist die Schuld an dieser Misere aber dem letzten k. u. k. Armeeoberkommando anzulasten, das während der Waffenstillstandsverhandlungen unüberlegt und hastig gehandelt und den Befehl zur Einstellung der Feindseligkeiten zu früh gegeben hatte.“

 Italienische Truppen besetzen Tirol

Durch diesen raschen Zusammenbruch alarmiert, marschierten bayerische Truppen nach Tirol ein, „freundlich und erleichtert“ von der Bevölkerung empfangen. Bis zur alten Franzensfeste in Südtirol stießen die Bayern vor, mussten sich aber auf Grund der Lage rasch wieder zurückziehen.

Erste italienische Verbände kamen am 17. November 1918 nach Innsbruck. Die vorrückenden Italiener dachten sogar kurz daran, „das Deutsche Reich anzugreifen“.

„Die italienischen Offiziere und Soldaten verhielten sich größtenteils sehr respektvoll, höflich und diszipliniert, sodass die folgende zweijährige Besatzung in Nordtirol sehr friedlich ablief.“

Den italienischen Soldaten in Südtirol wurde aller Orten ein sehr kühler Empfang zuteil: „Trotz und Ablehnung der italienischen Präsenz“ standen auf der Tagesordnung, sogar die Angebote italienischer Offiziere, Lebensmittel zu spenden „wurde zum großen Staunen der Spender abgelehnt. (…) Der passive Widerstand gegen die Italiener wurde vom Klerus und der politischen Elite Südtirols getragen, welche sich um keinen Preis nach Rom orientieren wollten.“

Erste italienische Truppen in Bozen

Politische Versuche der Südtiroler Elite, an der Spitze Bozens Bürgermeister Julius v. Perathoner, in „Absprache mit Landeshauptmann Josef Schraffl“ am 4. November in Bozen einen „Provisorischen Nationalrat für Deutsch-Südtirol“ und am 16. November eine „Unteilbare Republik Südtirol“ zu gründen, wurden durch die Besatzungsmacht schnell unterbunden, Südtirol stand bis zur endgültigen Annexion 1920 unter Besatzungsrecht.

Dem Fanatiker Ettore Tolomei, dessen so verderbliches und hinterhältiges Wirken auch in verschiedenen Artikel im SID bereits behandelt wurde, wird in dieser Dokumentation auch die ihm gebührende Aufmerksamkeit gewidmet.

 US-Präsident Woodrow Wilson war nicht der gerechte Heilsbringer

 Im Zeitraum „zwischen der Ankunft des US-amerikanischen Präsidenten und der offiziellen Eröffnung der Friedenskonferenz fiel auch, unbemerkt von der Öffentlichkeit, die Entscheidung über die Teilung Tirols. Woodrow Wilson versprach den Italienern kurzerhand die Brennergrenze.“

Der US-Präsident hatte die „Teilung Tirols offenbar sehr schnell gegen seine augenscheinlichen Prinzipien entschieden…“. Wahrscheinlich war die „Unterredung zwischen Orlando, Sonnino und Wilson am 21. Dezember“ die Ursache der Tragödie.

Die Autoren arbeiten den gesamten Komplex der „Pariser Friedenskonferenz“ und aller Vorgänge bis zur Unterzeichnung des Vertrages von St. Germain, bis zur offiziellen Annexion Südtirols am 10.10.1920 sehr gut heraus und dokumentieren den Größenwahn und Chauvinismus italienischer Politik auch in Bezug betreff der Grenzforderungen gegenüber den Slawen.

Ein Land wird geteilt

 Der österreichisch-italienische „Grenzregelungsausschuss“ und dessen Arbeit ist weitestgehend der Öffentlichkeit nicht bekannt. Hier griffen die Autoren auf Akten im Österreichischen Staatsarchiv zurück und dokumentieren mit fünf Karten und vielen Fotos den Bericht über die Entstehung der neuen Grenze. Jene für diesen Ausschuss abgestellten österreichischen Beamten litten schwer unter der Grenzziehung zwischen Nord- und Südtirol, wie dieser Bericht zeigt:

„Im Großen und Ganzen hielt sich der italienische Unterkommissär strenge an die Wasserscheide, die an nicht klaren Punkten – speziell an den ersten Tagen – fast meterweise abgepflockt wurde und erst, als ich auf die Kompliziertheit und Gekünsteltheit einer solchen in keinem Dokument zu verzeichnenden Staatsgrenze hinwies, ferner, dass eine solche Art sicherlich nicht in der Absicht des Vertrages, der eine natürliche Grenze sucht, lag, (…) hatte sich der ital. Unterkommissär (…) zu ganz wenig toleranter Anschauung bekannt“.

 Der Versuch des Ethnozids

Das siebte Kapitel: „Die zivile Verwaltung Südtirols unter Luigi Credaro“ ist für den Leser sehr erhellend und löst auch heute noch Erschütterung aus. In seiner Antrittsrede im Juli 1919 vor Südtiroler Politikern sagte der von Rom als Generalzivilkommissar für Südtirol eingesetzte Luigi Credaro, der vorher auch Abgeordneter und vier Jahre lang italienischer Unterrichtsminister war, u.a.:

„Die Zimelien und Kunstschätze, die ihr Österreicher über die Jahrhunderte Italien geraubt habt, kehren dieser Tage über den Brenner zurück und nehmen ihre Stelle in unseren Bibliotheken und in unseren Museen ein. Nun müsst ihr uns auch die entnationalisierten Italiener und Ladiner wiedergeben. In dieser Hinsicht werde ich immer euer Gegner sein.“

Für Credaro bildete die Schule „das zentrale Werkzeug zur Festigung der Italianität (…). Dementsprechend hatte er bereits im Sommer 1919 die Gemeinden dazu aufgefordert, im ganzen Land Räumlichkeiten für die Einrichtung italienischer Schulen bereitzustellen (…).

Credaros Bemühen um Schüler für den italienischsprachigen Unterricht blieb erfolglos.

Die Zeitung ‚Der Tiroler‘ spottete noch im März 1920: ‚Es wurden Gebäude requiriert (angefordert) zu Schulzwecken usw. Eines aber war nicht zu requirieren, was zu einer Schule unbedingt gehört: Die Kinder. Die kamen nicht. Sie kamen nicht trotz Versprechungen von allerlei Sachen, die man ihnen geben wollte, sie kamen nicht trotz der Drohungen, die gegen sie und ihre Eltern ausgestoßen wurden. Und so blieben die italienischen Schulräume leer und Lehrer und Lehrerin konnten spazieren gehen‘. Um seinem Anliegen größeren Nachdruck zu verleihen, versuchte das Generalzivilkommissariat daraufhin, den italienischen Sprachunterricht als Pflichtfach zumindest in den Volksschulen des Unterlandes zwischen Salurn und Bozen zu verankern. Dem geschlossenen Widerstand der Südtiroler Gemeindevertreter und Politiker musste allerdings auch dieses Projekt weitgehend weichen (…).

Eine Volksschule bereits mit italienischer Aufschrift und der italienisierten Ortsbezeichnung für die Gemeinde Tisens und den Ortsteil Prissian.

Um den zivilen Ungehorsam der Menschen zu unterbinden, wurde (…) der zwingende Besuch italienischssprachiger Bildungseinrichtungen gesetzlich vorgeschrieben. (…) Hinzu kam, daß die Eltern keinerlei Mitspracherecht bei ihrer ethnischen Zuordnung hatten, also ob sie sich als ‚Italiener‘ oder ‚Tiroler fühlten. Die Entscheidung, welcher Gruppe eine Familie angehörte und welche Schule dementsprechend auch ihre Nachkommen besuchen durften, wurde von einer eigens begründeten Kommission des Zivilkommissariates getroffen, die die Befragung der Schüler vornahm und dabei wenig zimperlich vorging. (…)

Was die Eltern der Kinder sagten, war den Abgesandten des Generalzivilkommissariates vollkommen gleichgültig. Sie beschränkten sich vielmehr in einer Reihe von Fällen darauf, den Kindern, nachdem ihre Eltern fortgeschickt waren, italienische Fragen zu stellen, ob sie Schokolade, Orangen, Zuckerln bekommen hätten und wenn ein Kind […] mit seinem Kopf nickte, weil doch in ganz Europa jedes Kind versteht, was Schokolade und was Orangen sind, so wurde es kurzerhand als Italienisch erklärt und der italienischen Schule zugewiesen.“

 Der Rezensent sieht in diesem Bericht über die mit Heimtücke und Gewalt versuchte Umformung der Südtiroler, vor allem der Kindern zu Italienern, dem Verbot und der massiven Behinderung des Gebrauchs der Muttersprache, verbunden mit der zwangsweisen Einführung des Italienischen als Amtssprache, in der planmäßig durchgeführten Umbenennungen aller ladinischen und deutschen Ortsnamen durch die Besatzungsmacht, den staatlichen Versuch eines Ethnozids – eines kulturellen Völkermords.

Die Autoren berichten an Hand von Vorfällen, dass unliebsame Lehrer, Beamte, Richter, Eisenbahnangestellte, wegen „anti-italienischem Verhalten“ entlassen und aus dem Land gewiesen wurden.

 Der Widerstand der Politik und der Kirche in Südtirol nahm immer mehr zu

 In dem Bericht heißt es weiter:

„Der in einer deutschen Sprachinsel Welschtirols geborene ehemalige Kaiserjäger, Eduard Reut-Nicolussi, der in den Österreichischen Nationalrat nach Wien entsandt wurde, mußte 1927 mit seiner Familie nach Innsbruck flüchten. Er verfasste die bekannte Schrift „Tirol unterm Beil“ und „hatte als einer der wenigen das Gespräch mit der Sozialdemokratie gesucht und war stets entschieden gegen die Faschisten aufgetreten“.

Der Unbeugsame trat ebenso gegen das spätere NS-System und gegen jenes zwischen den ideologischen Freunden Hitler und Mussolini ausgehandelte „Optionsabkommen“ auf, welches die Südtiroler vor die grausame Wahl stellte: im Land bleiben und Italiener werden oder auswandern.

Dr. Eduard Reut-Nicolussi und das von ihm verfasste Werk „Tirol unterm Beil“

Die damalige Amtskirche, Bischof und alle Pfarrer, standen geschlossen im Widerstand auf Seite des Tiroler Volkes. Sogar Ordensfrauen traten in den Widerstand und Kommissar Credaro empfand dies als „hinterlistige Form des Kampfes gegen den Staat und machte sich für eine Anklage gegen alle Beteiligten stark.“

Die „Herz-Jesu-Feuer“, die bereits bei ihrer Entstehung im 18. Jahrhundert den Tiroler Widerstand gegen eine fremde Herrschaft symbolisiert hatten, wurden ab 1920 wieder zum nicht übersehbaren, friedlichen Protest eingesetzt:

„Credaro erkannte darin aber die deutliche politische Absicht und antiitalienische Botschaft. Er ergriff daher sofort ‚Sicherheitsmaßnahmen‘, die vor allem in Bozen zu großangelegten Straßensperren und einem hohen Polizei- sowie Militäraufkommen führten. (…) In Tramin und Branzoll untersagten die italienischen Beamten die Bergfeuer, die Beflaggung und das Böllerschießen und forderten sogar Verzichterklärungen der zuständigen deutschsprachigen Gemeindevertreter sowie des Pfarrers, was diese aber verweigerten.“

Credaro sah, daß „der Geist des Widerstandes und der Rebellion vor allem vom deutschsprachigen Klerus kultiviert werde. Tatsächlich war die Kirche auch in Zukunft im Dienst der Südtiroler Politik und der nationalen Einheit des Landes aktiv.“

Kirchliche Prozessionen und sogar Gottesdienste wurden von Soldaten gestürmt, das Mittragen uralter Kirchenfahnen bei Prozessionen untersagt. In Bozen löste das

Militär mit Waffen in der Hand eine große Kundgebung der Tiroler auf.

„Beamtenwillkür, Hausdurchsuchungen, ungerechtfertigte Verhaftungen – bis hin zu brutalen Gewalttaten der Carabinieri und Soldaten gegen die Bevölkerung – waren keine Seltenheit und beschäftigten regelmäßig die Zeitungen.“

Auch in Nordtirol verkündeten Bergfeuer und eine Feuerschrift auf der Nordkette „Bis Salurn“ im Jahre 1919 den Protest gegen die Landesteilung.

Nur die italienischen Sozialisten stimmten gegen eine Annexion Südtirols

Im August 1920 kam es in Rom zu jener denkwürdigen Parlamentssitzung, „die sich erstmals intensiv der Provinz widmete.“ In dieser Sitzung wurde „die Einverleibung durch Abstimmung beschlossen. Weitgehend geschlossen gegen diesen Schritt sprachen sich lediglich die italienischen Sozialisten aus, da eine ‚Berufung auf strategische Sicherheit‘ in keiner Weise die Annexion einer deutschen Bevölkerung und eines mit deutschen Traditionen erfüllten Landes begründen würde. ‚Österreich kann ja keine Gefahr mehr für Italien bilden‘. Sie forderten daher eine Volksabstimmung, konnten sich gegen die nationalistischen Kräfte aber nicht durchsetzen.“

(In diesem Kontext sei daran erinnert, daß es der sozialistische Außenminister (und spätere österr. Bundeskanzler) Dr. Bruno Kreisky war, der gegen starken Widerstand der ÖVP-Führung in Wien (aber nicht jener der Tiroler ÖVP) die kochende Südtirol-Frage 1959 vor die UNO-Vollversammlung brachte und damit erste Voraussetzungen zu ernsthafteren Verhandlungen über eine Art von Autonomie schuf. )

In Südtirol kam es zu Protestkundgebungen gegen die Annexion wie dieser in Meran, welche jedoch rasch verboten wurden

Einen Tag nach der Abstimmung im römischen Parlament „veranstaltete das offizielle Italien für den Anschluss der neuen Provinz eine Siegesfeier in Trient, zu der auch die Südtiroler Bürgermeister eingeladen waren“. Bozens Bürgermeister Perathoner lehnte die Einladung, wie auch seine Amtskollegen, „als ‚Zumutung‘ und ‚Frozzelei‘ ab: ‚Es ist ein altes deutsches Sprichwort. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu Sorgen. Nichts anderes als Spott ist es aber, wenn euer Hochwohlgeboren mich einladen, an einem Fest teilzunehmen, welches der Feier jenes Gewaltfriedens von St. Germain dient, durch welchen die Stadt Bozen […] losgetrennt und einem fremden Staatswesen einverleibt wurde“.

Es war auch Perathoner, der beim Besuch des italienischen Königs im Herbst 1921 für einen Skandal sorgte, weil er den König auf dem Bahnhof in Bozen in deutscher Sprache begrüßte und in seiner Ansprache „die herrschenden Zustände bemängelte. (…) Ohne den Bahnhof zu verlassen, um die Stadt zu besichtigen, reiste der Hofstaat über Klausen und Brixen bis zum Benner, wo, wie danach auch am Reschen, ein Grenzstein enthüllt wurde.“

Die Einweihung des Grenzsteins am Brenner in Gegenwart des italienischen Königs

Die Bürgermeister Südtirols wurden zur verpflichtenden Eidleistung auf den König und das Königreich Italien gezwungen. Bürgermeister Alois Hölzl aus Obermais sorgte für große Aufregung in Trient und Rom, als er erklärte, „daß ich diese Eidleistung lediglich als Erfüllung einer Formalität in ihre Hände abgelegt habe, nicht aber etwa als Ausfluss eines frohen inneren Gefühles […). Ein Liebe zu Ihrem Reich und Ihrer Regierung können Sie nicht verlangen“. Der italienische Generalkommissar für Südtirol, Luigi Credaro „fand aber einige Monate später einen Vorwand, um den Gemeinderat seines Amtes zu entheben“.

 Hunger, Not, Aufruhr, Plünderungen und Diebstahl

 Das achte Kapitel gibt einen umfassenden Einblick in „die wirtschaftliche Entwicklung Gesamttirols in der Nachkriegszeit“. Die Hungersnot und das allgemeine Elend unmittelbar nach dem Krieg waren groß.

In Südtirol „war die Ernährungssituation durch italienische Hilfe seit dem Kriegsende besser als jene nördlich des Brenners. Obwohl die Südtiroler Gemeinden die Spenden aus dem Königreich zum Teil ablehnten, war den Italienern bewusst, dass sie durch eine rasche Verbesserung der Versorgung die Akzeptanz der Besatzung in der Bevölkerung erhöhen und eine wirtschaftliche Verbindung zu der neuen Provinz aufbauen konnten“.

Die Autoren stellen fest, dass „die Teilung Tirols nicht nur das politische und geografische Gesicht des Landes, sondern auch den Tiroler Wirtschaftsstandort veränderte. (…)

Während sich im österreichischen Teil Tirols eine Erleichterung der prekären Lage nur zaghaft durchsetzen konnte, war Südtirol unter italienischer Mithilfe ein schnellerer Aufschwung beschieden. Eine ‚italienische Unterwanderung‘ der Wirtschaft ist erst in der Zeit des Faschismus erkennbar“.

 Terror und Faschismus in Südtirol

 In den letzten beiden Kapiteln werden der Faschismus und die Machtübernahme der Faschisten in Südtirol, wieder gut bebildert, abgehandelt. Am 16. Februar 1921 „trafen sich etwa 150 Männer – vor allem eine repräsentative Delegation aus Trient – im ehemaligen Restaurant ‚Kaiserkrone‘, um den sizilianischen Diplomkaufmann Attilio Crupi zum politischen Sekretär der Verbindung zu wählen. (…) Die Entstehung einer Bozner Faschistengruppe wurde demnach vor allem von der Trienter Fraktion gefördert, aber auch von Mussolini selbst gutgeheißen. In seiner Stellungnahme im ‚Popolo d’Italia‘, mit der er auf die Gründung der neuen Außenstelle reagierte, übergab er dem neuen Fascio die Pflicht, die Italianität am Brenner zu sichern und zu verteidigen. Die Südtiroler Faschisten verlangten zum Schutz der Italiener in der Provinz die Entfernung aller öffentlichen österreichisch-ungarischen Zeichen, die Auflösung des Deutschen Verbandes sowie der deutschsprachigen Bozner Stadtwache und die Entlassung aller italienfeindlichen Politiker und des Generalzivilkommissars Credaro. Weiters sollten Italiener bei der Besetzung von öffentlichen und privaten Ämtern bevorzugt, gesetzliche Höchstpreise eingeführt und die deutschen Banken liquidiert werden. Für den Kampf zur Durchsetzung dieser Forderungen entstanden bis in den Sommer 1922 noch fünf weitere Faschistenorganisationen (…).“

Ein österreichischer Doppeladler wird auf Anweisung der italienischen Behörden entfernt

Die Autoren berichten ausführlich über die Vorgeschichte und Ablauf des „Bozner Blutsonntags“ am 24. April 1921, wo Faschistenhorden, zusammengekarrt aus Mailand, Brescia, Padua, Venedig, Trient und Bologna mit Knüppeln, Totschlägern, Revolvern und Handgranaten, einen Trachtenfestzug überfielen:

Etwa fünfzig Tiroler trugen teils schwere Schussverletzungen und Knochenbrüche davon. (…) In diesem Chaos ereignete sich auch die Ermordung Franz Innerhofers“, der einen kleinen Knaben in der Tracht der Burggräfler retten wollte. „Kein Faschist wurde wegen des Tumults auf dem Obstmarkt oder des Mordes an Innerhofer angeklagt, obgleich sich mehrere Schwarzhemden rühmten, den Lehrer erschossen zu haben. Auch Mussolini brüstete sich in dem Artikel ‚Auf unsere Art‘ mit der Störaktion und setzte noch hinzu: ‚Wenn die Deutschen verprügelt und zerstampft werden müssen, um Vernunft anzunehmen, wohlan, wir sind bereit. Viele Italiener sind auf das Geschäft trainiert.“

Titelseiten deutscher Bozener Tageszeitungen, die später verboten wurden. (Diese beiden Faksimiles stammen aus dem Archiv des SID, alle anderen Bilder aus dem rezensierten Werk.)

Diesem „Blutsonntag“ folgten noch sehr viele weitere Terrorakte in Südtirol, wie die Autoren ausführlich dokumentieren. Der faschistische „Marsch auf Bozen“, „der von Mussolini selbst gelenkt wurde“, war wohl eine Art von Generalprobe seines Marsches auf Rom.

Die Autoren zitieren am Ende den Bozner Arzt, Sebastian Weberitsch, der zwei Jahre nach diesem Marsch zur Auswanderung nach Österreich gezwungen wurde. Weberitsch resümierte „resignierend das Erlebte: ‚Nun kamen traurige Tage für Bozen: der Einmarsch der Faschisten. Ich erlasse es mir, sie zu beschrieben. Dem deutschsprachigen Volk in Südtirol wurde seine Sprache genommen, und damit ist alles gesagt‘“.

Man kann allen Lesern des SID dieses erstklassig recherchierte Geschichtsbuch über die ersten Jahre der Teilung Tirols unbedingt zum Kauf empfehlen, es hat sich die weiteste Verbreitung verdient! Den beiden Autoren, aber auch den Verlagen Athesia und Tyrolia ist Dank für die Herausgabe dieses wertvollen Werkes zu sagen!




Letzter Abschied von einem Südtiroler Freiheitskämpfer

Todesanzeige in der Tageszeitung „Dolomiten“

Am 16. Jänner 2019 wurde in Tramin der ehemalige Südtiroler Freiheitskämpfer Luis Steinegger von seinen Angehörigen unter großer Anteilnahme vieler Landsleute zur letzten Ruhe gebettet.

Nachruf in der Tageszeitung „Dolomiten“

Für den von ehemaligen Freiheitskämpfern und politischen Häftlingen gegründeten „Südtiroler Heimatbund“ (SHB) hielt die ehemalige Südtiroler Landtagsabgeordnete Dr. Eva Klotz, die Tochter des legendären Freiheitskämpfers Georg Klotz, die Gedenkrede und auch der ehemalige Mithäftling und Ehrenobmann des SHB, Sepp Mitterhofer, war gekommen, sich von seinem Kameraden zu verabschieden.

Bild links: Kranz des SHB, Bild Mitte: Sepp Mitterhofer (rechts) am Grab seines Kameraden, Bild rechts: Dr. Eva Klotz bei ihrer Abschiedsrede

Mit einer Aussendung, welche in mehreren Zeitungen und auf mehreren Internetportalen veröffentlicht wurde, hatte der „Südtiroler Heimatbund“ (SHB) von Luis Steinegger Abschied genommen:

Südtiroler Freiheitskämpfer Luis Steinegger verstorben

Mit Trauer müssen wir das Hinscheiden unseres Freundes und Kameraden Luis Steinegger aus Tramin mitteilen.

Bereits als junger Bursch hatte unser Luis die faschistische Unterdrückungspolitik erleben müssen und war im Alter von 17 Jahren zusammen mit anderen jungen Burschen verhaftet und verprügelt worden, weil sie deutsche Lieder gesungen hatten.

Als nach 1945 die faschistische Politik der Unterdrückung und Unterwanderung ungebrochen fortgesetzt wurde, schloss sich der Kleinbauer und Familienvater dem von Sepp Kerschbaumer gegründeten „Befreiungsausschuss Südtirol“ (BAS) an.

Am 18. Juli 1961 wurde Luis Steinegger aus Tramin verhaftet, in die Carabinieri-Kaserne Eppan gebracht und schwer misshandelt. Er gestand nicht. Insgesamt dauerte sein Martyrium acht Tage, in den Folterpausen lag er im eigenen Blut. „Irgendwann habe ich nur gekeucht, wenn wieder einer zugeschlagen hat.“ (Zitiert nach: Hans Karl Peterlini: „Südtiroler Bombenjahre“, Bozen 2005, S. 149)

Wie immer bei solchen Anlässen war der Fotograf der italienischen Tageszeitung „Alto Adige“ rechtzeitig dabei: Nach der Folterung und ihren Geständnissen wurden die Unterlandler Luis Steinegger (vorne im Bild), Viktor Thaler (Bildmitte) und Albin Zwerger in das Bozener Gefängnis eingeliefert.

Luis Steineggers Schreie und die seiner Kameraden hörte man noch in der Umgebung der Carabinierikaserne.

Zwischen den Verhören und Schlägen brachten fünf Carabinieri Luis Steinegger einmal nach Hause, damit er ihnen ein Sprengstoffdepot verrate. Seine Frau, Irene Steinegger, erkannte ihn kaum wieder. Das Hemd war blutig und Steinegger schleppte sich langsam die Stufen hoch, „wie ein alter, gebrochener Mann“. (Siehe: Astrid Kofler: „Zersprengtes Leben“, Edition Raetia 2003, S. 45f)

Was Steinegger im Verhör widerfahren war, hat er später in einem Brief geschildert, den seine Frau aus dem Gefängnis schmuggelte und dem Ortsobmann der SVP in Tramin übergab. Dieser schickte den Brief am 21. Juni 1962 an die Landesleitung der SVP.

„Bozen Gefängnis

Wurde am 18. Juli 1961 vom Bett heraus geholt u. verhaftet. Bin nach Eppan überführt worden. Wie ich hinter der Tür der Karabinieri Kaserne war, haben sie mich den Gang entlang nur so durchgestoßen u. geworfen. Wurde an eine Wand gestellt, mußte mit erhobenen Händen auf den Zehenspitzen stehen, wenn ich nicht mehr imstande war, die Hände hochzuhalten so schlug mich ein Karabiniere mit der Faust in den Rippen, so ging es eine zeitlang, man verspottete mich u. schrie mir die brutalsten Wörter ins Gesicht. …

Am dritten Tag wurde ich in Begleitung von 5 Karabinieri nach Tramin nach Hause geführt, ich mußte in Eppan sagen, daß ich Sprengstoff habe, sollte ihn ihnen zeigen, ich hatte aber keinen.

Wie ich wieder in Eppan war, haben sie mich zu den anderen Traminern getan, auf einmal riß mich ein Brigadier (Anm.: Unteroffizier) heraus, führte mich ganz nach oben, dort mußte ich mit erhobenen Händen an einer Wand stehen, sie sagten, ich soll ihnen das Sprengmaterial geben, als ich verneinte, schlugen sie mich mit den Fäusten überall, habe noch heute zwei lockere Stockzähne, die wahrscheinlich nie mehr fest werden. So ging es in Eppan zu, man kann die dortige Kaserne als Folterkammer nennen.

Soweit haben sie uns gebracht, daß man alles unterschrieb, was sie einem vorlegten.

Alles dies mußten wir in einem christlichen demokratischen Staat erleben.

So habe ich einen Teil unserer Erlebnisse niedergeschrieben, was bestimmt der Wahrheit entspricht.

Steinegger Alois“

(Auszugsweise wörtliche Wiedergabe des Originalbriefes. SVP-Archivalien, Südtiroler Landesarchiv Bozen)

Magnago hat auf dieses Schreiben nicht reagiert.

Luis Steinegger (3. Häftling von links) und seine verhafteten Kameraden wurden wie Vieh aneinander gekettet dem Gericht vorgeführt

Am 21. Jänner 1964 sagte der 43-jährige Bauer Luis Steinegger, Vater von drei Kindern, als Angeklagter vor dem Schwurgericht in Mailand aus und setzte den Staat auf die Anklagebank. Er schilderte seine schweren Misshandlungen in der Carabinieri-Kaserne von Eppan. Er habe nur zwischen zwei Übeln wählen können:

„Entweder mußte ich zulassen, daß sie mich zusammenschlagen, oder ich musste alles auf mich nehmen, was sie mir vorwarfen. Ich habe den Carabinieri gesagt, daß ich alle Masten gesprengt habe. Ich habe ja kleine Kinder, die noch einige Jahre einen Vater brauchen.“

Das Gericht verurteilte ihn zu 8 Jahren und 8 Monaten Haft. Die Haft konnte ihn nicht brechen. Er blieb, was er immer gewesen war: Ein aufrechter und mutiger Sohn Tirols.

Steineggers junge Frau Irene hatte in diesen schweren Jahren unverbrüchlich zu ihrem Mann gehalten und nahezu Übermenschliches geleistet. Sie hatte sich und ihre drei Kinder über Wasser gehalten und dem Sohn Elmar sogar den Besuch einer höher bildenden Schule ermöglicht.

Die tapfere Frau Steinegger mit ihren Kindern nach der Verhaftung ihres Mannes.

Wir gedenken in Trauer des Verstorbenen und sind in Gedanken bei den Angehörigen.

Roland Lang
Obmann des Süd-Tiroler Heimatbundes

Meinrad Berger
Obmannstellvertreter des Süd-Tiroler Heimatbundes

Soweit der Nachruf des „Südtiroler Heimatbundes“ (SHB).

Luis Steinegger war es bis zuletzt stets ein Anliegen gewesen, für die Selbstbestimmung Südtirols einzutreten. Obiges Bild zeigt ihn bei einer Veranstaltung in Neumarkt, auf welcher er berichtete, welche Opfer er und seine Kameraden für diese Zielsetzung erbracht hatten.

Ehre dem Andenken dieses Mannes!




Die Entstehung des Landes Tirol

Der italienische politische Eiferer und spätere faschistische Senator Ettore Tolomei hatte bereits im Jahre 1886 mit ersten Versuchen zur Italianisierung Südtiroler Ortsnamen begonnen. Die von ihm propagierte These war, dass es sich bei der deutschen Südtiroler Bevölkerung um „germanisierte“ Romanen handle. Die Ladiner wurden von ihm ohnedies von vorne herein der italienischen Volksgruppe zugeordnet.

Im Jahre 1916 italienisierte Tolomei zusammen mit ein paar gleichgestrickten Helfern innerhalb von 40 Tagen (!) nicht weniger als 12.000 Tiroler Ortsnamen und behauptete, diese wissenschaftlich fundiert auf ihre italienischen Wurzeln zurückgeführt zu haben. In Tirol hielt man Tolomei und Seinesgleichen für Spinner.

Als Südtirol ab 1918 jedoch unter italienische und in der Folge unter faschistische Herrschaft geriet, wurde es ernst.

Der hochgeehrte faschistische Senator Ettore Tolomei (ganz links) zusammen mit seinem Gönner, dem „Duce“ Benito Mussolini (ganz rechts) hoch zu Ross bei einer Parade in Rom

Während das faschistische Regime in Bozen eine Industriezone und ausgedehnte Wohnviertel für südländische Zuwanderer errichtete und das Land mit faschistischen Prunkbauten und Denkmälern überzog, führte der nunmehrige hochgeehrte faschistische Senator Tolomei sein Ortsnamenswerk in dem Land Südtirol, welches nun zu einem „Alto Adige“ („Hochetsch“) geworden war, zu Ende. Die von Tolomei erfundenen italienischen Namen wurden zu den amtlichen Namen und mussten fortan verwendet werden.

Am 24. Oktober 1925 veröffentlichte die Südtiroler Zeitung „Der Landsmann“im behördlichen Auftrag die von Tolomei erfundenen Ortsnamen zusammen mit den ursprünglichen Namen, damit die Südtiroler nachschlagen konnten, welche Ortschaft mit einem neuen Namen nun eigentlich gemeint war.

Er ließ mit der Hilfe der Regierung in ganz Südtirol italienische Ortsnamenstafeln anbringen. Sodann wurde begonnen, auf die Südtiroler Druck auszuüben, auch ihre Familiennamen auf den „italienischen Ursprung“ zurückzuführen. Diesem Druck gaben aber nur relativ wenige Südtiroler nach, welche als Angestellte im öffentlichen Dienst um ihren Posten fürchten mussten.

Bis heute haben die erfundenen italienischen Ortsnamen ihre amtliche Gültigkeit behalten und werden von italienischen Nationalisten als „Beweis“ für den seit jeher gegebenen italienischen Charakter des Landes angeführt.

Die tatsächliche Geschichte der Entstehung Tirols ist jedoch eine andere und beginnt in der germanischen Völkerwanderungszeit. Sie ist auch eng mit der Entstehung des bairischen Stammes und dessen Landnahme im Tiroler Raum verbunden.

Der Historiker Georg Dattenböck hat sich mit dieser Frühgeschichte des süddeutschen Raumes und unter anderem auch mit dem Verfasser und der Entstehung des Nibelungenliedes eingehend befasst.

In dem nachstehenden Beitrag schildert Georg Dattenböck die Entstehungsgeschichte Tirols und stellt unseren Lesern auch einen frühen Historiker und dessen außerordentliche Forschungsberichte vor.

Johann Georg Turmair (Aventinus) berichtet über die Anfänge Tirols

von Georg Dattenböck

Johann Georg Turmair wurde am 4. Juli 1477 in Abensberg in Niederbayern geboren und starb am 9. Jänner 1534 in Regensburg. Er benannte sich „Aventinus“ = „der Abensberger“.

Aventinus war ein für seine Zeit erstaunlich unabhängiger Geist, er wurde noch weit über hundert Jahre nach seinem Tode verfemt und seine Arbeiten wurden nicht erwähnt, er passte nicht in das Weltbild seiner Zeit. Ab 1495 studierte er an den Hochschulen in Ingolstadt, Wien, Krakau und Paris und legte seinen Schwerpunkt auf humanistische Studienfächer. Intensiv beschäftigte er sich mit der griechisch-römischen Antike und deren Literatur und er wurde einer der Begründer einer neuen Geschichtsschreibung.

Hans Sebald Lautensack: Bildnis des Johann Aventinus, Druck, Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Graphische Sammlung, H 462a (Annales Boiorum libri septem, 1554).

Aventinus schloß sich an den älteren Conrad Pyckel (Bickel) an, der seinen Namen ebenfalls latinisierte und sich „Celtis“ nannte und als deutscher „Erzhumanist“ bezeichnet wurde. Er war der Gründer mehrerer wissenschaftlicher Gesellschaften, er entdeckte eine Straßenkarte des Römischen Reiches, die später den Namen „Tabula Peutingeriana“ erhielt und die uns wichtige Informationen über das Römische Reich der Spätantike überliefert.

Ausschnitt aus der „Tabula Peutingeriana“

Celtis war auch der deutsche Herausgeber der „Germania“ des Römers Tacitus. Diese „Germania“ wird in die Zeit nach 103–106 n. Chr. datiert und ist die wichtigste Quelle über die germanischen Stämme der Antike. Von Celtis kam die Idee, an der Universität Ingolstadt ein „Collegium“ mit vier Lehrern: zwei für Poetik und Rhetorik und zwei für mathematische Disziplinen zu gründen. Diese Gründungsurkunde, verfasst im Namen von Kaiser Maximilian I., ist datiert mit „Bozen, 31. Oktober 1501“. Es war auch Celtis, der die Aufmerksamkeit von Aventinus auf die eigene bairische Geschichte lenkte.

Mit dem akademischen Grad eines Magisters kehrte Aventinus von Paris nach Hause zurück und hielt ab 1507 Privatvorlesungen in Ingolstadt. Nach dem Tod von Herzog Albrecht IV. wurde er beauftragt, die zwei Söhne des Verstorbenen: Ludwig und Ernst, zu unterrichten und zu erziehen. Für diese schrieb er 1512 eine lateinische Grammatik und als Ernst 1516 an der Universität Ingolstadt studierte, schrieb er für ihn eine systematische Darstellung der Wissenschaften, die er „Enzyklopädia“ nannte und diese erstmals 1517 als Anhang zu seiner Grammatik veröffentlichte. Es ist die erstbekannte gedruckte Enzyklopädie mit dem Titel: „Enzyklopädie und Kreis der Lehren, das ist aller Künste, Wissenschaften, der Philosophie selbst Verzeichnis und Gliederung.“

Aventinus wurde 1517, in Anerkennung seiner Erziehertätigkeit, zum bairischen Hofhistoriographen ernannt und wurde beauftragt, ein Werk über die bairische Geschichte zu verfassen. Über dieses Werk wird treffend in „Deutsche Biographie“ geurteilt:

„Kein deutscher Geschichtsschreiber vor ihm hat in so umfassender Weise seinen Stoff gesammelt. Die Herzöge öffneten ihm ihre Archive und ermöglichten ihm Archivreisen im ganzen Land, auch in die Klöster. Zu Abensberg, in der Stille seines Heimatortes, arbeitete er 1519 bis 1521 die lateinisch geschriebenen „Annales ducum Boiariae“ aus. Die lateinischen „Annales“ sind inhaltlich und sprachlich eine glänzende Leistung. Mit freiem Geiste, fern von jeder Schablone, hat er den Stoff gemeistert und aus seiner humanistischen Gesinnung heraus neu gestaltet, wenn er sich dabei auch manchmal allzu nachgiebig seiner eigenartigen Phantasie überließ. Da eine Anzahl Quellen, die er noch benutzen konnte, inzwischen verlorengegangen sind, ist sein Text für den Inhalt jener heute maßgebend, wie sich z. B. erst vor kurzem nach der Auffindung alter Salzburger Annalen gezeigt hat.

Eine von Aventins Hand geschriebene Seite (Bayerische Staatsbibliothek Cgm 1558).

 1522 begann er im Auftrage der Herzöge die Verdeutschung dieses Werkes, doch unterbrach er die Arbeit immer wieder und schrieb erst 1533 das Schlusswort dieser volkstümlich gehaltenen ‚Bairischen Chronik‘, die nicht eine bloße Übersetzung, sondern eine viele Eigentümlichkeiten bietende freie Bearbeitung der ‚Annales‘ geworden ist. (…)

Die ‚Chronik‘ hat nicht den gleichen wissenschaftlichen Wert wie die ‚Annales‘. Für die älteren Zeiten viel zu phantastisch und weitschweifig, ermangelt sie der geschichtlichen Zuverlässigkeit. Aber als literarisches Denkmal ist sie von höchstem Wert“.

Die Titelseite der gedruckten „Bairischen Chronik“ vom Jahre 1566

Aventinus selbst berichtete in der Chronik seinen „durchlauchtigsten, hochgeborenen Fürsten und Herren, Hertzogen in Obern- und Nidern Baiern“, daß er wegen dieser Chronik „nach meinem vermögen gearbeit, tag und nacht keine ruhe gehabt, vil Hitz und Kelte, schweiß und staub, Regen und schnee, Winter und Sommer erlitten, das gantz Beyerland durchritten, alle Stift und Klöster durchfaren, Buchkammern, Kästen, fleißig durchsucht, allerley Handschrifften, alte Freyheit,, Übergab, Brieff, Chronica, Reimen, Sprüch, Lieder, Salbücher, Kalender, Register, der Heiligen leben durchlesen und abgeschrieben, alle winckel durchloffen und durchsucht habe“.

Je weiter Aventin in die Zeit der Antike, bis zur Arche Noa, dem Anbeginn der Welt und jenem der Deutschen zurückging, umso mehr wird der Leser mit freundlichem Schmunzeln seine phantastisch-historischen Darstellungen lesen. Trotzdem war im 19. Jahrhundert dem bayerischen Königshaus und der Münchner „Königlichen Akademie der Wissenschaften“ Aventins „Bairische Chronik“ so wertvoll und wichtig, daß diese 1877 vom berühmten Germanisten Matthias Lexer, Rektor der Universität Würzburg, von 1882 bis 1886 neu bearbeitet und herausgegeben wurde.

Bairische Stammessage, Annolied und Kaiserchronik

Für Aventin fußte die Berichterstattung über die Herkunft der Baiern auf der Bibel und u. a. auch auf der zunächst mündlich tradierten „bairischen Stammessage“. Diese wurde im „Annolied“ Ende des 11. Jhdts., vermutlich von einem Mönch im Kloster Siegburg, wohl im Auftrag von Reginhard v. Siegburg, Abt des Kloster Michaelsberg, möglicherweise nach Vorlagen altfränkischer Lieder/Chroniken, niedergeschrieben. Teile des „Annoliedes“ wurden fast wörtlich in die um 1140 entstandene „Kaiserchronik“ übernommen.

 Im „Annolied“ heißt es über die Herkunft der Baiern:

„dere geslehte dare quam wîlin ere von Armenie der hêrin, dâ Nôê ûz der arkin gîng, dur diz olizuî von der tûvin intfieng. iri ceichin noch du archa hât ûf den bergin Ararât. man sagit, daz dâr in halvin noch sîn, die dir Diutischin sprechin…“.

(„Ihr Geschlecht sich dorthin hatte gewandt, aus Armenien kommend, dem bergigen Land, wo Noah aus der Arche ging, als den Ölzweig er von der Taube empfing. Ihren Stand noch heute die Arche hat auf dem hohen Berge Ararat. Man sagt, es geb“ da noch Leute genug, die sich bedienten der deutschen Zung“….“)

Diese Herkunft aus Armenien vertritt ebenfalls die Mitte des 12. Jahrhunderts in Tegernsee entstandene „Passio secunda S. Quirini“ im Kapitel „Noriker“. Die Erzählung über einen bairischen Herzog Theodo beansprucht fast die Hälfte dieses Kapitels und weist damit eine Übereinstimmung mit der „Kaiserchronik“ und der darin enthaltenen Adelgersage auf.

Lugier und Alanen

Trotz vieler phantastischer Einschübe sollte man die Hinweise auf Armenien nicht voreilig beiseitelegen. Der Verfasser darf im Kontext auf den Großstamm der ursprünglich aus Norwegen stammenden Lugier – von den Römern „Vandali“ genannt – verweisen, die der Sage nach den Langobarden in Norddeutschland in einer Schlacht unterlagen, deshalb in das heute Polen genannte Land zogen und mit den dort bereits lebenden Kelten die wissenschaftlich gut dokumentierte, reiche „Przerworsk-Kultur“ begründeten. Ein Teil dieser Lugier, jene nach dem Bericht des röm. Historikers Tacitus kriegerischen Harrier (oder Hasdingen), zogen von Schlesien weiter nach Osten bis an den Dnjestr und bis nach Dacien, sehr nahe an die römische Reichsgrenze am Fluß Maros.

Die in Russland lebenden Völkerschaften, darunter die Ostgoten und das kriegerische Reitervolk der Alanen, flüchteten vor den anstürmenden Hunnen in den Westen. Die Alanen stammten ursprünglich aus dem Kaukasus, wo auch Armenien liegt. Bei diesen Alanen könnte nun theoretisch der Anknüpfungspunkt an die bairische Stammessage liegen, denn ein Stammesteil der Alanen ging mit den ebenfalls in Not geratenen Hasdingen in Dacien eine den Historikern bekannte „Stammesehe“ ein. Im Jahre 401 flüchtete dieser Stammesverband, im Gefolge u.a. auch die sich anschließenden pannonischen Sueben und Markomannen, nach Noricum und Rätien.

Im Rahmen einer wissenschaftlichen Ausstellung 2007 in Linz, konnte sich jeder Besucher freiwillig einem Gentest unterziehen. Bei 48 Prozent (2.377 Personen) wurde die „Haplogruppe H“ festgestellt, diese war in Schlesien beheimatet. Die Vorfahren dieser H-Gruppe kamen aus dem Gebiet des Kaukasus, mit der Bezeichnung „Haplogruppe R“.

Somit wird mit der heutigen Gen-Forschung die vielhundertjährige mündliche Kaukasus-Überlieferung bei einem Teil des Baiernstammes bestätigt. (Dr. Martin Pfosser: „Der gläserne Museumsbesucher. Auswertung der DNA-Tests der Evolutionsausstellung 2007/2008 in Linz“ in: „Schriftenreihe Österreichischer Museumstage“, Band 1, Graz 2010).

Drei Münzen nach 330: Die Hasdingen als römische Föderaten in West-Pannonien (Wikipedia).

Diptychon: Gefangene Alanen/Lugier in den Kämpfen des Flavius Constantinus III. (†2.9.421 in Ravenna), Bilder aus: Otto Fiebiger/Ludwig Schmidt: „Denkschriften“; 60. Band, 3. Abhandlung: „Inschriftensammlung zur Geschichte der Ostgermanen“; Wien 1917.

Was sagen anerkannte Historiker?

Der oberösterreichische Landeshistoriker Dr. Josef Reitinger schrieb:

„Eine der quellenmäßig überlieferten Germanenzüge ist der Zug der Vandalen und Sweben, denen sich auch die Alanen angeschlossen haben. Er fand im Jahre 401 n. Chr. statt. Der Zug wird auf den alten Römerstraßen entlang der Donau nach Westen geführt haben. Das Vordringen der Hunnen in die Ungarische Tiefebene wird die Vandalen wohl veranlaßt haben, ihre neugefundenen pannonischen Wohnsitze wieder aufzugeben und nach Westen abzuziehen. Vorher war die Hauptmacht der Vandalen, bei denen es sich um einen ostgermanischen Großstamm handelt, in Schlesien ansässig (…). Wenn auch der römische Heermeister Stilicho, selbst vandalischer Abstammung, bemüht war, die Eindringlinge in den Jahren 401 und 402 in heftigen Kämpfen wieder zurückzuschlagen, so scheint es doch wie bei allen anderen germanischen Einbrüchen auch diesmal wieder zu einem Kompromiß gekommen zu sein, denn ein Teil von ihnen wurde als Föderaten in Noricum zum Grenzschutz angesiedelt“. (Dr. Josef Reitinger: „Die Völker im oberösterreichischen Raum am Ende der Antike; S. 337/338, in: „Severin – Zwischen Römerzeit und Völkerwanderung. Ausstellungskatalog zur Landesausstellung“, Linz 1982)

Prof. Dr. Konrad Vössing analysierte, daß das Ziel der Lugier nur eines sein konnte:

„der Eintritt oder der Einbruch ins Römische Reich. Nur dort, so viel war klar, waren die Mittel vorhanden, die ausreichend Nahrung für Verbände mit bis zu sechsstelligen Bevölkerungszahlen erwarten ließen. (…) Man war prinzipiell auf fremde Ernten angewiesen, und selbst wenn man auf sie zugreifen konnte, war es nicht möglich, längere Zeit an einem Ort zu bleiben. Dieser unerbittlichen Notwendigkeit – man befand sich immer wieder am Rand des Hungers oder gar des Verhungerns – konnte nur entkommen, wem es gelang, sich irgendwie im Römischen Reich oder wenigstens an seinen Außengrenzen zu etablieren. Es boten sich im Wesentlichen zwei Möglichkeiten: entweder schloss man einen Vertrag mit der römischen Zentralgewalt, der meistens auf dem Prinzip: „Ernährung gegen Waffenhilfe“ basierte, was natürlich eine neue existentielle Abhängigkeit mit sich brachte, nämlich die vom Eintreffen der zugesagten Lieferungen. Oder es gelang irgendwie, den Kaiser dazu zu bewegen, dauerhaft römisches Provinzialgebiet zur Verfügung zu stellen, auf dem man sich einrichten konnte und dessen Erträge dann die Ernährung sicherten“. (Konrad Vössing: „Die Vandalen“, München 2018, S. 16ff,)

Der damaligen katastrophalen militärstrategischen Notlage des Römischen Reiches den Tribut zollend, machte dessen Feldherr Stilicho diesen großen Stammesverband zu Verbündeten  Roms, die er sofort als „dienstpflichtige Militärsiedler an bestimmte Sitze in Vindelicien und Noricum band“ (Hans Joachim Diesner: „Das Vandalenreich. Aufstieg und Untergang“, S. 23, Leipzig 1966).

Ob bei diesem Verhalten Stilichos gegenüber den Lugiern nur seine Notlage, oder aber auch seine Herkunft – sein Vater war Lugier und Führer eines Reiterregimentes in Pannonien – zum Tragen kam, kann heute nur noch vermutet werden. Hans Constantin Faußner bezeichnete Feldherr Stilicho jedenfalls mit Recht als „Begründer Bayerns“ (Constantin Faußner: „Die römische generalstabsmäßige Ansiedlung der Bajuwaren aus rechtshistorischer Sicht“, erster Teil: „Regensburg und Oberpfalz, Niederbayern“; zweiter Teil: „Schwaben und Oberbayern“ in: „Beiträge zur Staats- und Gesellschaftsordnung des Mittelalters“, Hildesheim 2013).

Der bairische Historiker Dr. Ernst Klebel zitierte eine in Latein verfasste Randbemerkung, die Papst Gregor d. Großen (†604) zugewiesen wird. (Ernst Klebel: „Baierische Siedlungsgeschichte; in: Zeitschrift für bayrische Landesgeschichte“ Band 15, Heft 2, S. 75-82)

Klebel fand diese Glosse im Archiv des Klosters St. Gallen, sie lautet: „Die Vandalen, die als Volk in der Vergangenheit nach Afrika zogen, sind die Baiern“.

Dieser schlichte Satz beinhaltet wohl eine historische Wahrheit: nicht alle Lugier zogen von Bayern fort, sondern nur etwa die Hälfte, vielleicht an die 150.000 Menschen. Bestätigt wird dies durch den spätantik-griechischen Geschichtsschreiber Prokopios von Caesarea (†῀562). Prokop war, im persönlichen Gefolge des oströmischen Feldherrn Belisar, beim Untergang der Lugier 533/34 in Karthago ein Augenzeuge des Dramas. Prokopios berichtete, dass die Lugier vor langer Zeit, „infolge einer Hungersnot, ihre Heimat verließen, aber ein Teil von ihnen zurückblieb“. Weiter berichtete er, dass die die Daheimgebliebenen nach längerer Zeit befürchteten, dass ihre ausgewanderten Stammesgenossen und deren Nachkommen einmal aus Afrika vertrieben werden könnten und wieder in ihre alten Wohnsitze zurückkehren wollten. Die Hiergebliebenen vermuteten, dass die Römer sie nicht auf Dauer in Afrika dulden würden. Deshalb schickten sie Boten zu ihrem König Geiserich und diese erklärten dem König, dass sie nicht mehr imstande wären, weiterhin das Land für die Ausgewanderten zu bewahren. Sie baten daher Geiserich, keinen Rechtsanspruch mehr auf die alten Wohnsitze zu stellen. Geiserich und seinen Ratgebern schien die Forderung zunächst berechtigt und vernünftig. Prokopios schrieb:

„Da erhob sich ein Greis, der bei ihnen wegen seiner Weisheit sehr angesehen war und sagte, man dürfe darauf niemals eingehen. Denn kein Menschending stehe auf unerschütterlichem Grunde, nichts auf Erden hätte für die Ewigkeit Bestand…“ Geiserich stimmte dem Greis beifällig zu und ließ die Gesandten wieder unverrichteter Dinge abziehen“. („Vandalenkrieg/ Gotenkrieg“, Nachdruck: Winkler-Verlag München 1966, S. 40)

Zur Zeit dieser Gesandtschaft (um etwa 470), saßen die Ausgewanderten bereits 40 Jahre lang in ihrem nordafrikanischen Königreich in und um Karthago. Folgendes Indiz weist ebenfalls auf die alte Heimat hin: im Ort Arten, nahe bei Fritilaburg/Felters/Feltria, dem heutigen Feltre im Tal der Piave, wurde am 20. Jänner 1875 auf dem markanten Berg Aurin (Odins-Berg) ein eindeutig staatliches Symbol der Lugier gefunden: die drei Kilogramm schwere Silberschale König Geiserichs mit der Inschrift: „Geilamir Rex Vandalorum et Analorum“.  Sie kann nur durch Überlebende des Unterganges von 533/34 in damals noch intaktes Stammesgebiet gebracht worden sein. Die Verwendung von Silberschalen bei Staatsempfängen der Antike, gerade in Nordafrika, war im Europa des 16. Jh. noch bekannt.

Die Kämpfe mit West- und Ostgoten

Zugleich mit dem lugischen Stammesverband drangen im November 401 die Visigoten (oder Westgoten) unter ihrem König Alarich, vom Balkan über den Birnbaumer Wald kommend, in Venetien ein. Der führende Gotenforscher, Univ.-Prof. Dr. Herwig Wolfram notierte:

„Niemand verteidigte die Paßstraße der Alpes Iuliae, den Birnbaumer Wald-Hrušica; erstaunlicherweise waren die militärischen Paßsperren nicht mehr intakt oder nicht besetzt. Auch mußte die halbherzige Abwehr an den Flüßen Isonzo und Timavo scheitern. So stießen die Goten ziemlich ungehindert bis Aquileia vor (…). Während des Winters erobern sie mehrere ungenannte Städte und das flache Land Venetiens. Dann bedrohten sie die Residenz Mailand. (…) In Rom besserte man hastig die aurelianische Stadtmauer aus.

[Kaiser] Honorius machte sich zur Flucht nach Gallien bereit; doch Stilicho veranlaßt ihn zu bleiben. Rechtzeitig trifft die römische Armee, um alanische Reiterkontingente aus Pannonien und neu aufgestellte vandalische Föderaten verstärkt, zum Entsatz Mailands ein“ (…) Der gotische Versuch, die Stadt Hasta-Asti am Tanaro zu nehmen, scheitert, worauf Alarichs weitere Bewegungen die Form eines Rückzugs annehmen. Flußaufwärts, etwa zwei Kilometer unterhalb der Mündung der Stura di Demonte, schlagen die Goten ihr Lager auf. Der Ort heißt Pollentia-Pollenzo, und in einiger Entfernung davon fließt die Urbs-Orba, ein Gewässer, das den Namen der ‚Stadt‘ trägt und Rom versinnbildlicht. Hier muß Alarich sein Schicksal erreichen. Am Ostersonntag, dem 6. April 402, übergibt Stilicho den Oberbefehl an den heidnischen Alanenführer Saul. Dieser greift die Goten, die an einem solchen Feiertag keinen Kampf erwarten, überraschend an. Alarich verliert sein Lager, die ganze Beute, zahlreiche Stammesangehörige, darunter selbst Frauen und Kinder seiner Verwandten, muss Verluste bei den unberittenen Abteilungen hinnehmen, kann jedoch die Kavallerie unversehrt erhalten. Im Gegenangriff werden die Alanen zurückgeschlagen, Saul fällt. Die Schlacht geht unentschieden aus. Nun greift Stilicho ein und behauptet den Platz, so daß er dem römischen Lobredner als Sieger gilt…“ (Herwig Wolfram: „Die Goten. Von den Anfängen bis zur Mitte des sechsten Jahrhunderts“; 5. Auflage 2009, S. 158ff, München 1979; Quelle: Ammianus Marcellinus XXXI 6, 1ff.)

Der „römische Lobredner“ war der Hofdichter Stilichos, Claudius Claudianus. Dieser schrieb historische Gedichte, die bedeutsamsten sind: „de bello Gothico“ und „de consulato Stiliciones liber“. Über die Schlacht am Ostersonntag 402 gegen die Westgoten schrieb Claudianus in „De bello Pollentino“:

„Wenn der [römische] Soldat erschöpft aus der Schlachtreihe weicht, setzt er [Stilicho] die Hilfstruppen [Lugier/Alanen] zur Behebung des Schadens ein. Durch diese schlaue List schwächt er die wilden Anrainer der Donau [Lugier] durch die Kraft der Blutsverwandten [Germanen] und wendet den Kampf zum doppelten Gewinn für uns, indem auf beiden Seiten Barbaren fallen“. (Nach Ernst Nischer-Falkenhof in: „Stilicho“, Wien 1947)

Durch Claudians Zeilen, voll von Häme und Zynismus gegenüber den verbündeten Lugiern, erhalten wir u.a. die Mitteilung, dass der Stammesverband auch im Alpenvorland saß, wie dies von Faußner exakt beschrieben wurde. Die Alanen und Lugier wurden zum mehrfachen Retter des Römischen Reiches: die Westgoten wurden besiegt und mit der Erlaubnis Stilichos, durften die geschlagenen Goten durch das Etsch-, Eisack- und Pustertal nach Noricum und Pannonien abziehen.

Der mit Stilicho verbündete und siegreiche lugische Stammesverband wurde vom römischen Generalstab in Rätien, Noricum und Friaul angesiedelt und sie wuchsen, nach dem Zusammenbruch des Weströmischen Reiches im Jahre 476, mit den im Land gebliebenen Kelten, Römern (=Walchen), mit den germanischen Juthungen, Sueben, Markomannen, Herulern, Rugiern/Skiren, Langobarden und Ostgoten, zum Neustamm der Baiern zusammen.

Die These über den bairischen Herzog Theodo I.

Lugierkönig Geiserich in Karthago (König von 428–477) hatte einen Sohn namens Theoderich (†῀478); dieser Theoderich hatte zwei uns namentlich unbekannte Söhne. Der Logik nach kann einer davon der bairische Herzog Theodo I. (deutsch: Dietrich) gewesen sein: in der „Vorauer Handschrift“ wird für die Jahre 508, 512 und 520 jeweils ein Herzog Theodo erwähnt. 511 starb Theodo I., sein Sohn: Theodo II. folgte ihm, er war verheiratet mit einer Langobardin aus dem Königsgeschlecht der Lethingen.

Hier nun steigen wir bei Aventinus und seiner Chronik ein: 512 weigerte sich Herzog Theodo II., die Oberhoheit des Kaisers und kaiserlichen Statthalters Theoderich d. Gr. (Ostgotenkönig Dietrich), anzuerkennen. Jahrelange Verhandlungen folgten, Theodo wurde immer wieder nach Ravenna vorgeladen, er ignorierte dies beharrlich und Theoderich d. Große erklärte daraufhin den Kriegszustand. Herzog Theodo II. zog sich in seine Residenz Otinga (Altötting) zurück, rüstete sich und wartete auf das Kommen des Heeres von Theoderich.

Das „Auctarium Garstense“ schrieb zum Jahre 520, daßss das Heer der Römer von den Baiern bei Ötting vernichtend durch Theodo den Herzog geschlagen wurde.

Aventinus berichtet im 3. Buch seiner Chronik von neun siegreichen Schlachten von Theodo II.: die erste erfolgte bei Oeting, „die ander Schlacht bey dem Kloster Roht“, die dritte bei Rosenheim, die vierte auf der Perlacher Heide zwischen München und Wolfratshausen, „die fünffte Schlacht und Scharmützel Hertzog Diethens im Berg bey Mittenwald“. Aventins Bericht über die  sechste, siebte, achte und neunte Schlacht wird folgend als Faksimile abgedruckt, weil es Tirol betrifft:

 

Aventinus berichtete also über diese letzte Schlacht bei Bozen: „Herzog dieth gewan also die Land alle und lag ob den Römern und Walhen, erschluegs, verjagts, behielt den streit und sig. Machet zwischen Potzen und Trient bei dem Eselbrun die gränitzen der Baiern und Walhen und richtet alda zu Potzen ainen marchgrafen der alten Brauch nach auf (…)“.

Baiern wurde unter Theodos Herrschaft zum Erbherzogtum. 537 verstarb er und hinterließ nach Aventinus drei Söhne:

  • Theodo III.: dieser erbte den Nordgau, Regensburg und das Land zwischen Isar, Rott und Donau; er starb 565.
  • Ott erbte das Land ob der Enns und das Oberland zwischen Inn und Lech; 545 starb er und Theodo III. „nam mit seinem sun herzog Dietbrecht das land ein“; Otts Schwester, Rodelinde, war mit Langobardenkönig Audoin verheiratet, sie erhielt von Kaiser Justinian das „Regnum Noricum“ als Erbe, wodurch Audoin dem Herzog Ott in der Herrschaft folgte. Aus der Ehe Rodelindes mit Audoin stammte Herzog Garibald I.
  • Diethwald erbte Bozen, „das Etschland und was an Wälschland hinan stöst und ietzo die Grafschaft Tyrol haist“.
  • Dietbrecht (Theodebert I.), beerbte seinen Vater und dessen Brüder, er war der letzte „Theodone“ der Herzogsdynastie und starb 577. Es folgte Herzog
  • Tassilo, der Sohn einer Tochter von Herzog Theodo II. mit einem Langobarden aus dem Geschlecht der Agilolfinger. Tassilo ehelichte eine langobardische Königstochter namens Luitpirc, das Symbol dieser Ehe ist der im Kloster Kremsmünster aufbewahrte „Tassilo-Kelch“. Herzog Tassilo starb in Klosterhaft, ihm folgte Garibald.

Räter/Ladiner und Freisassen

Das Territorium des rätischen Urvolkes, der späteren Ladiner, in ihrem Land im Gebirge, wurde Jahrhundertelang von den Römern beherrscht, um die Mitte des 6. Jahrhunderts erfolgte die sehr friedlich ablaufende Ansiedelung der Baiern. Sie waren nicht nur Krieger, sondern, wie sich zeigte, auch aufbauwillige Menschen und schufen, in enger Schicksalsgemeinschaft mit den Ladinern, in eineinhalb Jahrtausenden ein kultiviertes und blühendes Land Tirol.

Die Freisassen oder freie Sassen in Tirol werden die Nachkommen dieser ursprünglich bairischen Bauernkrieger gewesen sein. Otto Stolz schrieb in seiner „Wehrverfassung und Schützenwesen in Tirol von den Anfängen bis 1918“ (Innsbruck 1960), dass diese bäuerlichen Familien, obwohl nicht adelig, die Vorrechte des Adels genossen: sie unterstanden nicht der Gerichtsbarkeit des Landgerichtes, in dessen Sprengel sie mit ihren Gütern ansässig waren, sondern dem Gericht des Landeshauptmannes an der Etsch und sie zahlten die Steuern nicht in der Kurie ihrer Gemeinde, sondern in jener des Adels. Für diese Vorrechte mussten sie, auf Aufruf, dem Land Waffendienste zu Pferd und in Rüstung leisten.

In Nordtirol finden sich solche Freisassen in Nauders (1567), so Sigmund Überreiner (1532), in Musenatsch, Mitterhofen, Peschling (1427), den Sigmund Vischer Freisaß v. Nauders (1587), den Pinggera Freisaß v. Nauders (1659), die Eberle, Freisassen v. Straußeneck (1697). Im Ötztal saß auf den Rofen-Höfen bei Vent der Freisaß Peter v. Rofen (1348)

Die Rofenhöfe in Vent und sind die höchst gelegene Dauersiedlung der Ostalpen auf 2.014 m Seehöhe.

 In Prutz finden sich die Freisassen Payr zum Thurm und Palbyth, von denen Georg v. Payr, gestorben 1633, ältester Sohn des Georg v. Payr und der Eva Weinangl am 3.10.1634, und Friedrich v. Payr am 8.7.1651 ein Freisassen-Diplom erlangten.

In Südtirol finden sich Freisassen in Latsch, in Glurns (Hans Höß, Freisaß im Vintschgau 1622), in Schlanders, am Nonsberg, Sulzberg, in Pergen, z. B. Pankraz Freisaß v. Kuen (1489), in Stefansdorf bei Michaelsburg (Bruneck), bei Kloster Neustift die Freisassen-Höfe zu Holenwege, Mülgart und an dem Anger.

Auf der Malser Haide im oberen Vintschgau saßen im Dorfe Plawenn die Freisassen von und zu Plawenn, z. B. Hans Freisaß Plawenn (7.5.1582)

 

Der Ansitz Plawenn, ursprünglich ein fester Wohnturm mit quadratischem Grundriss und einer Mauerstärke bis zu 2 Metern, datiert bis auf das 12. Jh. zurück; die heutige Gestalt mit Zinnengiebel und Ecktürmchen erhielt das Gebäude nach dem Brand von 1708 erst um 1780. Der Ansitz war von Anbeginn an im Besitz der Herren von Plawenn (früher: Freisassen von Plawenn genannt), denen er bis auf den heutigen Tag gehört (Wikipedia, Foto: Markus W. Moriggl, St. Valentin auf der Haide / Bozen)

In Niederolang und Antholz lagen neun sehr zerstreute Bauernhöfe, deren Besitzer den Titel Freisaß führten, nämlich: Heidenburg, Mittermaier, Mooserhof, Gebelhof, Pfurnerhof, Neumeierhof in Michaelsburg, Mitterhofer-Hof in Schöneck und Urtalerhof in Altrasen, in der Gemeinde Afing (Jenesien) lagen vier Freisassen-Höfe der Freisassen v. Goldegg, nämlich: Weiffner, Mayer, Faigl und Schaller. In Innsbruck lebte 1677 Johann Anton Landsaß v. Grustner-Grißdorf aus Eppan, in Meran lebten die Freisassen v. Grießenstein, in Rodenegg die Freisassen v. Winkler (1608). Mit der Änderung der Verwaltung und der Steuerreform Maria Theresias 1774 kam auch die Freisassen-Würde außer Gebrauch.

Dieser historische Ausflug in die Vergangenheit kann naturgemäß nicht die ganze kulturelle, politische und rechtliche Entstehungsgeschichte Tirols abbilden. Er zeigt aber auf, dass wir es hier mit einem Kernland früher deutscher Kultur zu tun haben, vor dessen Hintergrund die Propaganda von der „Italianität“ Südtirols nur noch lächerlich wirkt.




Autonomie auf tönernen Füßen

In vielen Jahrhunderten haben die deutschen und ladinischen Südtiroler eine blühende Kulturlandschaft geschaffen.

Erschrecktes Erwachen: Die Autonomie könnte in Gefahr geraten

Auch nach einhundert Jahren Landesteilung haben die Südtiroler ihre Identität bewahrt. Allerdings hat sich im Laufe der Jahrzehnte die im Jahr 1945 als Selbstbestimmungspartei gegründete „Südtiroler Volkspartei“ (SVP) zu einer staatstreuen Systempartei gewandelt, welche einträgliche Pfründen zu verteilen hat.

Der Öffentlichkeit wurde in Bezug auf die unter großen Opfern errungene Autonomie verschwiegen, dass diese rechtlich nur mangelhaft abgesichert ist und dass die SVP daran wesentliche Mitschuld trägt. Stattdessen wird der Öffentlichkeit das Südtiroler Autonomiestatut als weltweit anzuwendende vorbildliche Lösung von Autonomiefragen verkauft.

Dass die Südtiroler Autonomie jedoch nicht stabil ist, sondern auf tönernen Füßen ruht, wurde der Südtiroler Öffentlichkeit wieder in Erinnerung gerufen, als im Verfassungsausschuss des Parlaments in Rom eine Verfassungsreform konzipiert wurde, mit welcher die Anzahl der Südtiroler Senatoren von 3 auf 2 verringert werden sollte.

Als der Verfassungsausschuss-Berichterstatter und Lega-Senator Roberto Calderoli von der „Radio Televisione Italiana“ (RAI) gefragt wurde, ob mit einer solchen Verfassungsreform nicht das „Pariser Abkommen“ von 1946 über die Südtirol-Autonomie verletzt würde, erklärte dieser: „Sie können mir nicht sagen, dass ein Vertrag, der 1948 (Anm.: tatsächlich war es 1946) in Paris abgeschlossen wurde, für alle Zeiten Gültigkeit besitze. Wenn die Verfassung abgeändert wird, gelten die Regeln für alle.“

Diese und ähnliche Wortmeldungen von anderen italienischen Politikern zeigen, dass es in der italienischen Politik einen breiten Konsens darüber gibt, dass die Südtirol-Autonomie eine inneritalienische Angelegenheit sei und von Italien einseitig abgeändert werden könne.

Rückblick in die geschichtliche Entwicklung

Ein trauriges Jubiläum

Im vergangenen Jahr 2018 musste man in Tirol der mittlerweile 100 Jahre andauernden Landesteilung gedenken.

Das mit Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich verbündete Italien war 1915 seinen eigenen Bundesgenossen in den Rücken gefallen und an der Seite der Entente-Mächte in den Krieg eingetreten.

Gegen Ende des Ersten Weltkriegs begann die ausgeblutete österreichisch-ungarische Monarchie in einzelne Nationalstaaten zu zerfallen und musste einen Waffenstillstand mit Italien eingehen, der am 4. November 1918 in Kraft trat und einer Kapitulation gleichkam. Die italienischen Truppen konnten nun kampflos Südtirol bis zum Brenner besetzen. Südtirol als versprochene Kriegsbeute geriet nun unter italienische Herrschaft.

November 1918: Italienisches Militär vor dem Waltherdenkmal in Bozen

Im verelendeten und hungernden Österreich musste man die Abtrennung Südtirols ohnmächtig zur Kenntnis nehmen. Diese Darstellung auf einem Notgeldschein der Nordtiroler Gemeinde Jochberg zeigt, welche Gefühle die Menschen bewegten.

Bereits unmittelbar nach der Besetzung Südtirols – noch vor der Machtergreifung des Faschismus – hatten Maßnahmen zur Beseitigung der deutschen Identität und Kultur eingesetzt. Dieses Bild aus dem Jahre 1919 zeigt, wie die Ortschaft Algund bei Meran mittels eines neuen Ortsschildes auf den erfundenen Namen „Lagundo“ umgetauft wurde.

Auf Postkarten demonstrierten die italienischen Postbeamten mittels eines Stempelaufdruckes, dass aus Südtirol nun „Alto Adige“ geworden war, welches zu „Italia“ gehörte.

Hitler und Mussolini: Der Versuch der „Endlösung“ der störenden Südtirol-Frage

Der Faschismus hatte sodann die kulturelle Auslöschung der Deutschen und Ladiner Südtirols zum politischen Programm erhoben und Hitler hatte zusammen mit seinem Freund Mussolini die Südtiroler durch die aufgezwungene „Option“ von 1939 vor eine schreckliche Wahl gestellt: Entweder in der Heimat verbleiben und dabei auf die eigene Sprache, Kultur und das Volkstum zu verzichten – oder die Heimat zu verlassen, um die eigene Identität bewahren zu können.

Die Kriegsereignisse hatten die endgültige Durchführung dieses perfiden Plans verhindert. Das „demokratische“ Italien, in welchem nach 1945 nach wie vor ehemals führende Faschisten das Sagen hatten, erschwerte dennoch durch zahlreiche Schikanen wie Verweigerung von Arbeitsplätzen und Wohnraum die Rückkehr der rund 75.000 bereits ausgesiedelten Optanten, sodass bis zu Beginn der 1950er Jahre nur rund 25.000 zurückkehren konnten.

Dieses von Rafael Thaler gestaltete Fassadenbild findet sich in Pradl bei Innsbruck in einer Wohnanlage umgesiedelter Südtiroler, welchen der Weg zurück in die alte Heimat versperrt blieb.

Der Pariser Vertrag und das betrügerische Autonomiestatut von 1948

Mit dem Kriegsende im Jahre 1945 war der Leidensweg der Südtiroler keineswegs zu Ende. Den Tirolern wurde die Aufhebung der Landesteilung verweigert. Unter dem Druck der westlichen Alliierten hatte der österreichische Außenminister Karl Gruber 1946 ohne Zustimmung des Österreichischen Nationalrates zusammen mit seinem italienischen Amtskollegen Degasperi den „Pariser Vertrag“ unterzeichnet gehabt, der nur rund 40 Maschinschreibzeilen lang, unpräzise und schwammig formuliert ist.

Darin war Südtirol in sehr allgemeinen Formulierungen eine Autonomie versprochen worden.

Mit dem ersten Autonomiestatut von 1948 wurde eine gemeinsame Autonomie für die Großregion Trentino-Südtirol eingerichtet, in welcher die Südtiroler in der Minderheit waren. Mit diesem Trick wurde das zum Schutze der Südtiroler gedachte Instrument der Autonomie in ein Instrument zu ihrer Beherrschung umgewandelt. Der Provinz Bozen wurde lediglich eine unbedeutende Subautonomie zuerkannt.

Die Fortführung der faschistischen Politik

Rom führte nun die faschistische Politik des „Ethnozid“, der kulturellen Zerstörung der Volksgruppe, weiterhin unter Anwendung alter faschistischer Gesetze entschlossen fort. Erneut wurde die staatlich geförderte Zuwanderung aus dem Süden in Gang gesetzt. Das Ziel war, die Südtiroler in ihrer eigenen Heimat zu einer entrechteten Minderheit zu machen.

Am 28. Oktober 1953 wies der „Dolomiten“-Chefredakteur und Herausgeber Kanonikus Michael Gamper in einem Leitartikel auf den „Todesmarsch“ hin, auf welchem sich die Südtiroler befanden.

Auch der Nordtiroler Landeshauptmann Alois Gauß rüttelte seine Landsleute in einem Interview mit der Tiroler Tageszeitung mit dem Hinweis auf den „Todesmarsch“ der Volksgruppe auf.

Trotz aller Proteste wurde die faschistische Politik weitergeführt, die Südtiroler in ihrem eigenen Land zur Minderheit zu machen.

Die Tageszeitung „Dolomiten“ zeigte diese dramatische Entwicklung am 5. Mai 1956 in einem großen Artikel auf.

Südländische Neuankömmlinge in Bozen

Für die südländischen Neuankömmlinge in Bozen wurde die von Mussolini gegründete Industriezone  in Bozen weiter ausgebaut und es wurden für sie große Wohnanlagen erreichtet, deren Bezug der einheimischen Bevölkerung verweigert wurde.

Die Bozener Industriezone bot den Neuankömmlingen Arbeitsplätze

Zunächst landeten die Zuwanderer aus dem Süden in Notunterkünften, hinter denen aber schon die neuen Wohnsiedlungen entstanden, welche sie aufnehmen sollten.

Am 16. Oktober 1957 veröffentlichte die Tageszeitung „Dolomiten“ einen wahren Notschrei und stellte fest, dass das Deutschtum in der Stadt Bozen bereits völlig abgewürgt sei.

Durch zahlreiche Repressionen sollten die Südtiroler willenlos gemacht werden. Schützentrachten wurden als verbotene „Uniformen“ eingestuft, Tiroler Fahnen wurden verboten und es wurde sogar eine Frau verurteilt, die ihre Fensterläden in den traditionellen Farben rot-weiß hatte streichen lassen.

Auf dem gesamttiroler Landesfestzug in Innsbruck trugen Südtiroler Schützen 1959 eine eiserne Dornenkrone als Zeichen des Schmerzes über die Landesteilung und die andauernde Unterdrückung.

Die unter großen Opfern errungene Autonomielösung von 1969

Das weitere Geschehen ist bekannt. 1961 kam es zu Widerstandshandlungen, vor allem in Form von Sprengstoffanschlägen gegen Strommasten, die bis 1969 andauerten. Rom antwortete mit gnadenloser Härte. Es kam zu Massenverhaftungen und gnadenlosen Folterungen in den Carabinieri-Kasernen.

Menschen wurden zu Krüppeln geschlagen und zwei Südtiroler, Franz Höfler und Anton Gostner, starben an den Folgen der Folter. Über inhaftierte Freiheitskämpfern wurden in Schauprozessen hunderte Jahre Kerker verhängt.

Am Ende musste Rom doch nachgeben und einer verbesserten Autonomielösung zustimmen, dem Autonomie-„Paket“ von 1969. Am 22.11.1969 nahm die 4. außerordentliche Landesversammlung der Südtiroler Volkspartei (SVP) mit knapper Mehrheit (52 % gegen 48 %) das neue Autonomie-„Paket“ an. Nach einer späteren Aussage von Landeshauptmann Magnago hatten die gegen Sachwerte und nicht Menschen gerichteten Widerstandshandlungen maßgeblich zu der Erlangung dieser Autonomie beigetragen.

Es ist eine unglaubliche Leistung, dass das „halsstarrige Volk“ in dieser Zeit trotz aller Unterdrückungen, Verfolgungen und Betrügereien die heutige Autonomie hatte erkämpfen können.

Es war den Südtirolern gelungen, das Bewusstsein der eigenen Identität aufrecht zu erhalten und das Streben nach Wiedererlangung der Landeseinheit nicht aus den Augen zu verlieren.

Das neue Autonomiestatut und die eingebauten Pferdefüße

Am 31. August 1972 setzte der italienische Staatspräsident das neue „Sonderstatut für Trentino-Südtirol“ in Kraft. Die italienischen Verfassungsjuristen hatten in das Statut sorgsam Pferdefüße eingebaut.

Der Artikel 1 des Statuts hielt und hält bis heute das Zwangskorsett der gemeinsamen Region Trentino-Südtirol aufrecht, innerhalb derer Südtirol eine Subautonomie besitzt. In diesem Artikel wurde auch die politische Einheit „der einen und unteilbaren Republik Italien“ bekräftig, womit jegliches Streben nach Selbstbestimmung als verfassungsfeindlich qualifiziert wird.

Nicht aufgehoben wurde auch die Zerreißung der ladinischen Volksgruppe und ihre Aufteilung auf drei Provinzen.

Nicht abgeschafft wurden die von den Faschisten aufgezwungenen erfundenen italienischen Ortsnamen. Sie blieben die amtlichen Namen, die deutschen und ladinischen Namen sind nur geduldet.

Für die weitere Entwicklung der Südtiroler Subautonomie innerhalb der Region war und ist bis heute vor allem das Zwangskorsett des Artikels 4 bedeutsam, in welchem es heißt:

„Die Region ist befugt, in Übereinstimmung mit der Verfassung und den Grundsätzen der Rechtsordnung des Staates, unter Achtung der internationalen Verpflichtungen und der nationalen Interessen – in welchen jenes des Schutzes der örtlichen sprachlichen Minderheiten inbegriffen ist – sowie der grundlegenden Bestimmungen der wirtschaftlich-sozialen Reformen der Republik Gesetzesbestimmungen … zu erlassen“.

Wie sich in den kommenden Jahren herausstellen sollte, waren diese wohl bewusst nicht näher definierten Klauseln die Hebel, welche die römischen Zentralisten gegen die Autonomie einsetzen konnten. Sie gaben dem Staat die Möglichkeit, Landesgesetze zurückzuweisen und im Falle eines Beharrungsbeschlusses durch den Landtag vor dem zentralistisch ausgerichteten Verfassungsgerichtshof anfechten zu lassen.

Der Verzicht auf eine international-rechtliche „Paket“-Verankerung

Das Autonomie-„Paket“ selbst wurde schrittweise im Rahmen eines zwischen Italien und Österreich vereinbarten „Operationskalenders“  umgesetzt.

Es war jedoch keine klare rechtliche Absicherung das „Pakets“ erfolgt. Die italienische Regierung hatte Österreich hier von Anfang an erpresst und die italienische Zustimmung zu dem österreichischen Beitritt in die „Europäische Wirtschaftsgemeinschaft“ (EWG) davon abhängig gemacht, dass Wien widerstandslos den Wünschen Roms entsprach. Die Österreichische Volkspartei (ÖVP), welche am 6. April 1966 bei den österreichischen Nationalratswahlen die absolute Mehrheit errungen hatte, beugte sich diesem Druck.

Ungeachtet aller Warnungen von Experten beschlossen die Regierungsparteien SPÖ und ÖVP gegen die Stimmen der Freiheitlichen im Österreichischen Nationalrat am 5. Juni 1992, dass Österreich nun mit einer Schlusserklärung den offenen Streit für beendet erklären solle.

Am 9. Juni 1988 ratifizierte der Österreichische Nationalrat zudem den von der Bundesregierung vorgelegten IGH-Vertrag. Damit wurde lediglich der 1946 geschlossene mangelhafte „Pariser Vertrag“ vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) einklagbar gemacht, nicht jedoch das Autonomiepaket selbst.

Die Streitbeendigungserklärung

Am 11. Juni 1992 übergab der österreichische Außenminister Dr. Alois Mock (ÖVP) dem italienischen Botschafter Quaroni die Schlusserklärung für den bisherigen Streitfall. In der Note hieß es, dass „die Beilegung der Streitigkeit ohne Präjudiz für die jeweiligen Rechtsstandpunkte der beiden Seiten“ erfolge.

Der österreichische Außenminister Alois Mock zog den Schlussstrich unter das Autonomie-„Paket“ – ohne dessen vertraglich-rechtliche Absicherung

Am 19. Juni 1992 wurde diese Erklärung den Vereinten Nationen übermittelt. Damit war der vor den Vereinten Nationen seit 1960 anhängig gewesene Streit nun beendet.

Italien hatte seinen Rechtsstandpunkt nicht aufgeben müssen, wonach Paketmaßnahmen innerstaatliche und Österreich gegenüber völkerrechtlich nicht verbindliche Rechtsakte darstellen. Österreich hatte in der Frage der rechtlichen Absicherung der Südtirol-Autonomie kapituliert. Wien hatte sich damit die Zustimmung Italiens für den österreichischen Beitritt zum gemeinsamen europäischen Wirtschaftsraum erkauft.

Die Kapitulation der SVP-Landesversammlung

Am 30. Mai 1992 erklärte die Landesversammlung der „Südtiroler Volkspartei“ (SVP) unter dem vereinten Druck Roms und Wiens, dass das Autonomie-„Paket“ nunmehr durch staatliche Gesetze und Durchführungsbestimmungen verwirklicht sei. Dieser Prozess hatte 20 Jahre gedauert und war von gleichzeitigen Autonomie-Aushöhlungen begleitet gewesen. Über die nach wie vor fehlende international-rechtliche Absicherung sah die Landesversammlung hinweg.

Der Parteiobmann Dr. Riz hatte zuvor erklärt:

„Der Eintritt Österreichs in die EG steht kurz bevor. Es ist nicht denkbar, daß wir unter diesen Perspektiven nein sagen und den Streit alleine und nur auf uns gestellt, offen halten. Wir würden durch ein solch einseitiges Verhalten in eine totale Sackgasse und Isolierung geraten. Auch Österreich würde uns nicht mehr verstehen“. (Südtiroler Volkspartei, 7. Außerordentliche Landesversammlung Samstag, 30. Mai 1992, Meran. Bericht des Parteiobmannes Sen. Dr. Roland Riz. Vervielfältigtes Manuskript.)

Kritik an der mangelhaften „Paket“-Absicherung

In der Nationalratsdebatte des 9. Juni 1988 hatte der freiheitliche Südtirolsprecher Dr. Siegfried Dillersberger vergebens davor vor einem endgültigen Abschluss gewarnt, bevor nicht auf dem Verhandlungswege mit Italien eine eindeutige Einklagbarkeit des Paketes vor dem IGH sichergestellt sei. Italien stehe bekanntlich auf dem Rechtsstandpunkt, daß das zum Großteil Paket aus freiwilligen Mehrleistungen Italiens bestehe, die weit über die Erfüllung des Pariser Vertrages hinausgingen und somit nicht einklagbar seien.

Der FPÖ-Nationalratsabgeordnete und Südtirolsprecher Dr. Siegfried Dillersberger (im weißen Hemd) bei einer Beratung mit den Südtiroler Landtagsabgeordneten Dr. Alfons Benedikter (1. von links), Dr. Eva Klotz (Tochter des legendären Freiheitskämpfers Georg Klotz, 2. von links) und Gerold Meraner (rechts).

In einem Gutachten des Völkerrechtsbüros im Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten hieß es dazu: „Aus heutiger Sicht erscheint es unmöglich, die in einem derartigen zukünftigen Streit eingenommenen Rechtspositionen und die Entscheidung des IGH in einem allfälligen Verfahren abzuschätzen. (Völkerrechtsbüro 25. Februar 1988; Zl. 1140.01/141-I.2.a/88; Südtirol; völkerrechtliche Konsequenzen des Abschlusses des Operationskalenders – IGH-Vertrag und österreichische Schlusserklärung)

In einem Gutachten für die österreichische Bundesregierung über die rechtliche Absicherung des Autonomie-„Paketes“ hatte der Universitätsprofessor für Zivilrecht Franz Matscher am 1. Mai 1992 erklärt, dass Italien seinen Rechtsstandpunkt nicht aufgegeben habe, wonach „die Paketmaßnahmen innerstaatliche, Österreich gegenüber völkerrechtlich nicht verbindliche Rechtsakte“ darstellten.

Eine erfolgreiche Einklagbarkeit von Paketmaßnahmen vor dem IGH sei nun davon abhängig, daß der Nachweis gelinge, daß verletzte Autonomiebestimmungen aus dem Pariser Vertrag ableitbar und zu dessen Erfüllung auch notwendig seien. Bei den Fällen unmittelbarer Ableitbarkeit aus dem Pariser Vertrag dürften dieser Nachweis und damit der Erfolg relativ leicht, bei den Fällen mittelbarer Ableitbarkeit schwierig und bei den Fällen entfernter Ableitbarkeit eher zu verneinen sein.

Das System der Autonomieaushöhlungen

Im Nachkriegs-Italien hat die Tradition eines starken Zentralstaates überlebt. So heißt es auch heute in der geltenden Fassung des Artikel 117 der Staatsverfassung:

„Staat und Regionen üben unter Wahrung der Verfassung sowie der aus der gemeinschaftlichen Rechtsordnung und aus den internationalen Verpflichtungen erwachsenden Einschränkungen die Gesetzgebungsbefugnis aus.“

Unter Bezug darauf kann der Staat die Autonomien der Regionen und Provinzen begrenzen, in diese eingreifen und Gesetzesvorlagen zurückverweisen.

Am 22. April 1992 wurde im römischen Außenamt dem österreichischen Botschafter eine Auflistung der Durchführungsbestimmungen zum Autonomiestatut übergeben. Darunter befand sich auch ein Dekret über eine neu erfundene staatliche „Ausrichtungs- und Koordinierungsbefugnis“ (AKB), welche somit zu einem Bestandteil des Autonomie-Pakets erklärt wurde.

Laufende Eingriffe in die Südtirol-Autonomie

Bereits vor Abgabe der Streitbeendigungserklärung hatte  der italienische Staat begonnen, laufend in die Südtiroler Autonomie einzugreifen. Am 20.April 1991 veröffentlichte der Südtiroler Völkerrechtsexperte und spätere SVP-Kammerabgeordnete und Senator DDr. Karl Zeller in den „Dolomiten“ einen Artikel unter dem Titel „Staatsinteresse gegen die Autonomie“. In diesem erklärte er: „Die römischen Zentralorgane haben seit Beginn der Siebzigerjahre eine Vielzahl von Instrumenten entwickelt, um mit Berufung auf ‚nationale Interessen‘ in die autonomen Kompetenzen einzugreifen … so dass heute ein nahezu lückenlos ausgebautes System der Autonomieaushöhlung besteht.“ Bislang habe der Verfassungsgerichtshof in 46 Urteilen diese Vorgangsweisen bestätigt.

Diese Karikatur aus der Zeitschrift „Der Tiroler“ (Jg. 1988) zeigte die Durchlöcherung des Autonomie-„Pakets“ durch den italienischen Staat auf.

Pläne für eine endgültige Autonomie-Beseitigung

2008 sorgte eine Ankündigung des designierten italienischen Außenminister Franco Frattini in einem italienischen Wirtschaftsblatt für Aufsehen:

„Man muss und kann das Südtiroler Statut im europäischen Sinne revidieren. Die EU sieht keine auf ethnischer Basis gegründeten regionalen Gebiete vor.“ (Zitiert nach: Tiroler Tageszeitung, 25. April 2008)

Am 8. Februar 2009 verkündete der italienische Minister für die öffentliche Verwaltung, Renato Brunetta, in einem Interview für die Zeitung „Il Gazzettino“, daß die autonomen Regionen mit Sonderstatuten bald der Vergangenheit angehören würden.

Im Zuge der italienischen Verfassungsreform müsste den „Sonderzugeständnissen“, welche vor 60 Jahren einigen Regionen gewährt wurden, ein Ende bereitet werden.

Mitte Februar 2009 erklärte der italienische Außenminister Franco Frattini in einem Interview, dass die SVP anachronistische Haltungen vertrete, „die fern jeder Realität sind“. „Die Privilegien für Südtirol müssen der Vergangenheit angehören“, betonte der Außenminister.

Wie die Bozner Tageszeitung „Dolomiten“ vom 26. August 2009 meldete, hatte der italienische Regionenminister Calderoli im Zuge einer bevorstehenden italienischen Verfassungsreform eine „Angleichung“ der Südtirolautonomie an die Regionen ohne Autonomiestatut angekündigt. Vor allem sollte die Südtirolautonomie massiv finanziell beschnitten werden. Solche Raubzüge Roms setzten in der Folge auch tatsächlich ein und konnten nur zum Teil rechtlich abgewehrt werden.

Italienischer Botschafter verlangt Aufgabe der österreichischen Schutzmachtrolle für Südtirol

 Ende November 2009 erschien der italienische Botschafter im Österreichischen Parlament und überreichte den Südtirol-Sprechern der FPÖ (Abg. Werner Neubauer) und der ÖVP (Abg. Gahr) eine Note der italienischen Regierung. Darin wurden Einwände gegen die vorgeschlagene Aufnahme der Schutzmachtrolle Österreichs für Südtirol in die österreichische Bundesverfassung sowie gegen die geplante Gewährung der österreichischen Staatsbürgerschaft für Südtiroler erhoben.

Der österreichische Nationalratsabgeordnete und FPÖ-Südtirolsprecher Werner Neubauer

Namens der FPÖ wies Neubauer diese italienische Einmischung in österreichische Verfassungsfragen zurück.

2016 – Der gescheiterte massive Angriff auf die Autonomie

Am 20. Jänner 2016 kam es nach einer endlosen Serie kleinerer Angriffe auf die Südtirol-Autonomie zu einem dramatischen Paukenschlag. Der Senat der Republik Italien genehmigte nun nach der Abgeordnetenkammer eine zentralistische Verfassungsreform, welche für die Sonderautonomien von Regionen und Provinzen gefährlich werden sollte. Eine sogenannte „Schutzklausel“ sollte diesen nämlich nur temporären Schutz bis zu einer Anpassung an die neue zentralistische Staatsordnung gewähren. Das letzte Wort sollte bei Streitfällen der bekannt zentralistisch orientierte Verfassungsgerichtshof in Rom haben.

Der italienische Premierminister Matteo Renzi hatte wohl in Verkennung der Stimmungslage das Verfassungsprojekt einer gesamtitalienischen Volksabstimmung unterworfen, welche am 4. Dezember 2016 mit einer klaren Niederlage für die Regierung endete und diesen Generalangriff auf den Föderalismus und die Autonomien vorläufig auf die Müllhalde warf.

Titelseite der „Dolomiten“ vom 6. Dezember 2016

Gerettet wurde diesmal die Südtiroler Autonomie nicht durch eine international-rechtliche Absicherung und auch nicht durch eine starke Schutzmachtrolle der Republik Österreich. Sie wurde durch die Mehrheit der italienischen Stimmberechtigten gerettet, welche keinen übermächtigen Zentralstaat installieren wollten.

Wer Italien und die dort herrschenden Interessensrichtungen kennt, weiß jedoch, dass dies nicht der letzte Versuch zur Schaffung eines autonomiefeindlichen zentralistischen Systems gewesen sein wird.

Die berechtigte Scheu vor dem IGH und die pragmatische Politik des ständigen Kuhhandels

Rom geht bei Autonomie-Aushöhlungen jeweils bis knapp an die Schmerzgrenze in Südtirol und Österreich, wobei in Wien angesichts der schlechten rechtlichen Absicherung der Südtirol-Autonomie die Bereitschaft, sich einen Rechtsstreit vor dem „Internationalen Gerichtshof“ (IGH) einzulassen, nur eine geringe ist.

Die Gefahr, eine solche Klage bereits formalrechtlich zu verlieren, war und ist zu groß. Eine österreichische Niederlage vor dem IGH hätte den italienischen Eingriffen in die Autonomie erst richtig Tür und Tor geöffnet.

Südtirols Politiker sind in der laufenden praktischen Auseinandersetzung mit Rom eingebunden in ein System intensiver Verflechtungen und Kooperationszwänge.

Mit dem neuen Autonomie-Paket war ein höchst kompliziertes Konstrukt geschaffen worden, welches dem Staat bis heute zahlreiche Auslegungs- und Eingriffsmöglichkeiten und dem italienischen Verfassungsgerichtshof ein weites Feld an Interpretationsmöglichkeiten bietet.

Um Schlimmes zu verhindern, müssen die parlamentarischen Vertreter der Südtiroler in Rom eine ständige Politik des Kuhhandels betreiben, in welchem die Regierung die Stimmen der Südtiroler Parlamentarier mit Zugeständnissen erkauft.

Der Südtiroler Jurist, Völkerrechtsexperte, SVP-Kammerabgeordnete und Senator Dr. Karl Zeller hat dies am 9. April 2018 in einem launigen Interview mit der „Neuen Südtiroler Tageszeitung“ beschrieben:

„Wir halten es wie Franz Beckenbauer, der sagte: Schau’n mer mal! Was willst du in diesem römischen Chaos auch anderes tun? Für uns ist das keine besonders angenehme Perspektive. … Wir bleiben immer offen für Gespräche. … In meinen 24 Jahren im Parlament hat es anfangs oft schlecht für uns ausgesehen, weil unsere Stimmen nicht ausschlaggebend waren. … Doch durch unsere gute Arbeit und dank des Sympathiefaktors, den eine Minderheit hat, haben wir trotzdem immer möglichst viel für Südtirol herausgeholt.“

Ausblick auf die Zukunft

Die Südtirol-Autonomie steht letztlich auf tönernen Füßen und ist immer wieder substantiell gefährdet. Es ist daher kein Wunder, dass die deutschen Oppositionsparteien in Südtirol die Forderung nach Selbstbestimmung auf ihre Fahnen geschrieben haben und dass auch aus Kreisen der SVP der Regierung in Rom immer dann die Rute der Selbstbestimmung als Drohung in das Fenster gestellt wird, wenn neue Autonomie-Beschneidungen drohen.

Am 7. Juni 2006 veröffentlichten die „Dolomiten“ das Ergebnis einer Meinungsumfrage in Südtirol:

Jeder zweite Südtiroler ist für die Trennung Südtirols von Italien. Das hat eine Umfrage des Innsbrucker Institutes Soffi ergeben. Demnach sprechen sich 33,4 Prozent der Südtiroler für einen eigenen Staat aus, 21,2 Prozent wollen eine Wiedervereinigung mit Tirol.“

Unter der Bevölkerung wächst jedenfalls der Wille, sich von Rom zu trennen. Dies kommt auf zahlreichen öffentlichen Veranstaltungen in Südtirol zum Ausdruck.

 

 Es ist auch kein Zufall, dass bei aller vorsichtigen Zurückhaltung des Südtiroler Landeshauptmannes Arno Kompatscher der Klub der Altmandatare der SVP mit Ex-Landeshauptmann Luis Durnwalder und Ex-Landesrat Bruno Hosp an der Spitze sich öffentlich dafür einsetzt, dass Österreich den Südtirolern die zusätzliche Staatsbürgerschaft ermöglichen möge, um auf diesem Weg die emotionale Verbundenheit mit dem Vaterland Österreich zu stärken.

Denn das letzte Wort ist auch nach einhundert Jahre Fremdherrschaft in Südtirol noch nicht gesprochen.




Frohe Weihnachten allen Lesern und Freunden!

Dies wünschen wir auch allen unseren Landsleuten in Südtirol. In diesem vergangenen Jahr mussten wir der Tatsache gedenken, dass Tirol seit nunmehr einhundert Jahren geteilt ist.

In die Trauer mischten sich aber auch Freude darüber, dass dieses „halsstarrige Volk“ im Süden des deutschen Sprachraums sich in dieser Zeit in einer unglaublichen Weise gegen alle Unterdrückungen, Verfolgungen und Betrügereien behauptet hat.

Neben den deutschen Südtirolern haben sich auch die Ladiner ihr Volkstum und ihre Kultur nicht nehmen lassen. Sie bekennen sich als Tiroler. Für diese Haltung hat Rom sie bestraft, indem ihre Volksgruppe zerrissen und auf drei Provinzen aufgeteilt wurde.

Die deutschen und ladinischen Südtiroler haben in den vergangenen Jahrzehnten unglaubliche Belastungen überstanden.

Der Faschismus hatte ihre kulturelle Auslöschung zum Programm erhoben gehabt. Brutale Verfolgungen sollten allen Widerspenstigen das Rückgrat brechen. Hitler hatte zusammen mit seinem Freund Mussolini sodann die Südtiroler durch die aufgezwungene „Option“ vor eine schreckliche Wahl gestellt: Entweder in der Heimat verbleiben und dabei auf die eigene Sprache, Kultur und das Volkstum zu verzichten – oder die Heimat zu verlassen, um die eigene Identität bewahren zu können.

Die Kriegsereignisse hatten Gottseidank die endgültige Durchführung dieses perfiden Plans verhindert. Das „demokratische“ Italien, in welchem nach 1945 nach wie vor ehemals führende Faschisten das Sagen hatten, erschwerte durch zahlreiche Schikanen wie Verweigerung von Arbeitsplätzen und Wohnraum die Rückkehr der rund 75.000 bereits ausgesiedelten Optanten, sodass bis zu Beginn der 1950er Jahre nur rund 25.000 zurückkehren konnten.

Mit dem Kriegsende im Jahre 1945 war der Leidensweg der Südtiroler keineswegs zu Ende. Rom führte die faschistische Politik des „Ethnozid“, der kulturellen Zerstörung der Volksgruppe, weiterhin unter Anwendung alter faschistischer Gesetze entschlossen fort.

Erneut wurde die staatlich geförderte Zuwanderung aus dem Süden in Gang gesetzt. Durch zahlreiche Repressionen sollten die Südtiroler willenlos gemacht werden.

Das weitere Geschehen ist bekannt. Auf den einsetzenden Widerstand antwortete der italienische Staat mit brutaler Gewalt, Massenverhaftungen, Folter und auch Mord.

Umso größer ist der Stolz darauf, dass es unseren Landsleuten dennoch gelungen ist, unter ungeheuren Opfern den Freiraum der heutigen Autonomie zu erkämpfen, das Bewusstsein der eigenen Identität aufrecht zu erhalten und das Streben nach Wiedererlangung der Landeseinheit nicht aus den Augen zu verlieren.

Wir gedenken der Opfer und wir gedenken der Tapferen, die mutig für die Menschenrechte eingetreten sind.

Wir wünschen unseren Landsleuten im Süden Tirols eine gute Zukunft und sind uns sicher, dass sie den Mut und die Zuversicht nicht verlieren werden!

Die Mitarbeiter der Redaktion des SID

PS: Herzlichen Dank an alle, die den „Südtiroler Informationsdienst“ 2018 mit einer Spende unterstützt haben!




„Symbol des Widerstandes gegen die Zerreißung Tirols“

Gedenken an Sepp Kerschbaumer

Der Frangarter Kleinkaufmann Sepp Kerschbaumer war ein frommer und grundsatztreuer Sohn seiner Heimat gewesen – mit beispielhafter Zivilcourage.

Sepp Kerschbaumer (3. von links) war ein frommer Mann, der mit seiner Familie zusammen den Rosenkranz betete. Das bewahrte ihn nicht davor, ebenso wie alle anderen Südtiroler „dinamitardi“ von zahlreichen italienischen Politikern und Journalisten als „nazista“ hingestellt zu werden.

Er lehnte sich gegen die Politik Roms auf, die Südtiroler in ihrer eigenen Heimat durch Unterdrückung und Förderung italienischer Zuwanderung aus dem Süden zur entrechteten Minderheit zu machen.

Da das Hissen Tiroler Fahnen streng verboten war, ließ Sepp Kerschbaumer heimlich Dutzende Tiroler Fahnen nähen und mithilfe von Freunden im Schutze der Dunkelheit auf Bäumen und Hochspannungsmasten anbringen. Er selbst schmückte für den Herz-Jesu-Sonntag 1957 die Kirche in Frangart mit der Tiroler Fahne. Das brachte ihm zehn Tage Haft ein.

Als alle zivilen Mittel nichts halfen, gründeten Sepp Kerschbaumer und seine Gesinnungsfreunde den „Befreiungsausschuss Südtirol“ (BAS). Die weitere Geschichte ist bekannt. Rom kam trotz erster warnender Anschläge ausschließlich gegen Sachwerte nicht zur Einsicht. Bald drohte den Südtirolern ein staatliches Ausbürgerungsgesetz. Es folgte die Herz-Jesu-Nacht des 11. Juni 1961 mit Anschlägen auf über 40 Hochspannungsmasten.

Sepp Kerschbaumer wurde am 15. Juli 1961 verhaftet und schwer gefoltert.

Links: Die Fahne auf dem Kirchturm in Frangart, die Sepp Kerschbaumer 10 Tage Haft einbrachte. Rechts: Zusammen mit seinem Mitstreiter Martl Koch (links) wurde Sepp Kerschbaumer (rechts) 1961 verhaftet und in die Carabinierikaserne von Eppan eingeliefert.

Er sollte sich von den Folgen der furchtbaren Misshandlungen nie mehr erholen. Am, 7. Dezember 1964 ereilte ihn im Kerker von Verona im Alter von 51 Jahren der Herztod.

Am 9. Dezember 1964 wurde die sterbliche Hülle Kerschbaumers von Verona nach Frangart überführt und dort auf dem Friedhof beigesetzt. Sein Begräbnis geriet zu einer stummen Volkskundgebung. Mehr als 20.000 Menschen erwiesen ihm die letzte Ehre. Bis heute ist er im Lande unvergessen.

Das Gedenken in St. Pauls: Mehr als 2.000 Teilnehmer – Bekenntnisse zur Selbstbestimmung

Auf dem Friedhof von St. Pauls in der Gemeinde Eppan erinnert eine Gedenktafel an Sepp Kerschbaumer und weitere Freiheitskämpfer, die ihr Leben für die Heimat gegeben haben. Auf der Tafel stehen hier die Namen von Franz Höfler und Anton Gostner, die an den Folgen der Folterungen verstorben waren, sowie der Name des von einem italienischen Agenten meuchlings ermordeten Luis Amplatz und die Namen von Georg Klotz und Kurt Welser.

Links: Die Gedenktafel in St. Pauls. Rechts: Portrait von Sepp Kerschbaumer.

Dort fand auch dieses Jahr am Samstag, den 8. Dezember 2018, wieder eine würdige Kerschbaumer-Gedenkfeier statt, zu welcher der Südtiroler Schützenbund und der Südtiroler Heimatbund eingeladen hatten und an der mehr als 2.000 Menschen teilnahmen.

Es wurde der verstorbenen und lebenden Tiroler Freiheitskämpfer der 1950er und 1960er Jahre gedacht, wie es in der Einladung hieß:

 „Wir Schützen wollen durch unsere Teilnahme an dieser Gedenkfeier unseren Respekt, unsere Achtung sowie unseren Dank für den selbstlosen und uneigennützigen Einsatz und Opfertod für Volk und Heimat Tirol zum Ausdruck bringen.“

Bei der Gedenkfeier waren auch die Schützen-Landeskommandanten von Nord- und Welschtirol sowie zahlreiche politische Vertreter anwesend, unter ihnen auch Landesrätin Martha Stocker und der österreichische Nationalratsabgeordnete und FPÖ-Südtirol-Sprecher Werner Neubauer. Musikalisch umrahmt wurde die Feier von der Musikkapelle Frangart.

Pater Rainald Romaner ( OFM)

Die Gedenkfeier begann mit einem Aufmarsch der Schützen zum „Dom auf dem Lande“ in St. Pauls. Dort zelebrierte Pater Rainald Romaner OFM die heilige Messe und sagte in seiner Predigt: „Wir erinnern an Sepp Kerschbaumer und an die Freiheitskämpfer der 1960-er Jahre, und wir tun es in Demut und Dankbarkeit.“ Sepp Kerschbaumer habe Ja gesagt zum Glauben wie auch zur Heimat – bis zur letzten Konsequenz.

Dann bewegte sich ein Zug von mehr als 2.000 Menschen zu dem Friedhof von St. Pauls, um Sepp Kerschbaumers und der anderen Freiheitskämpfer zu gedenken.

Roland Lang: Emotionale Bindungen an Österreich verstärken

Die Begrüßungsansprache hielt Roland Lang, der Obmann des Südtiroler Heimatbundes, einer von ehemaligen politischen Häftlingen und Freiheitskämpfern gegründeten Vereinigung, welche für die Selbstbestimmung eintritt.

Links im Bild der Landeskommandant der Südtiroler Schützen. Rechts: Roland Lang, Obmann des Südtiroler Heimatbundes (SHB). (Bilder: Südtiroler Schützenbund)

Roland Lang sagte: „Jedes Jahr kommen wir zu diesem würdigen Gedenken an Sepp Kerschbaumer zusammen. Wir gedenken eines beispielhaften Mannes, der sein Leben selbstlos in den Dienst der Heimat stellte und Opfer der Staatsgewalt wurde. Er lebte aus dem Geist Tirols, aus unverzichtbaren Werten, dem Streben nach dem Erhalt der Tiroler Volksgruppe in ihrer Eigenart.

Unter größten Opfern wurde dieses Ziel auch erreicht. Es ist heute allgemein anerkannt, dass die Politik der rücksichtslosen Überfremdung nur durch die Südtirol-Aktivisten gestoppt werden konnte. Bereits 1976 hat Silvius Magnago auf der SVP-Landesversammlung anerkannt, was die Südtirol-Aktivisten anstrebten und aus welchem Geist sie handelten.“

Dann kam Lang auf die von der österreichische Bundesregierung geplante Wiederverleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an Südtiroler zu sprechen und sagte: „Ein österreichischer Pass entspricht einem Wunsch vieler Südtiroler, die damit ihre Verbundenheit mit dem österreichischen Vaterland ausdrücken wollen. Sicher träumten auch die Freiheitskämpfer davon, einmal wieder eine österreichische Staatsbürgerschaft zu besitzen.“

Italien habe bereits vor Jahren in weitherziger Weise allen Auslandsitalienern in der ganzen Welt das Recht auf den italienischen Pass eingeräumt und sich ausdrücklich jede ausländische Einmischung verbeten.

Der italienische Innenminister Salvini habe kürzlich gemeint, nur allein Italien entscheide, wer welchen Pass erhalte. „Da irrt der kluge Salvini freilich. Kleine Nachhilfe dazu: Die Vergabe des nationalen Passes ist ein souveräner Akt des betreffenden Staates.“

Der Südtiroler Heimatbund habe dazu die Meinung der italienischen Bevölkerung erfahren wollen, um zu sehen, ob auch diese dem nationalistischen Geist ihrer Regierungsvertreter anhängt oder nicht. Das unabhängige italienische Meinungsforschungsinstitut DEMETRA in Mestre machte dazu im Oktober 2018 eine repräsentative Umfrage in ganz Italien. Die Überraschung sei perfekt gewesen, berichtete Lang: „Die italienische Bevölkerung erklärte mehrheitlich, mit klaren 59% Zustimmung, mit dem österreichischen Vorhaben einverstanden zu sein. Die jungen Italiener sind besonders fair. Mit 77% befürworteten sie die österreichische Staatsbürgerschaft für Südtiroler.

Mit ihrer negativen Haltung und ihren nationalistischen Äußerungen stehen die italienischen Politiker damit dem Willen des eigenen Volkes entgegen. Jene, die sich gerade in der neuen Regierung auf das italienische Volk berufen, sollten dies beherzigen.“

Die Republik Österreich sollte daher durch einen souveränen Akt dem italienischen Beispiel folgen und dem berechtigten Wunsch vieler Südtiroler entsprechen

Abschließend wies Roland Lang auf die in Bozen in der Laubengasse 9 eröffnete Ausstellung „BAS- Opfer für die Freiheit“ hin lud vor allem die Jugend zu deren Besuch ein. Anhand von Dokumenten, Zeitungsausschnitten, Radio- und Fernsehsendungen sowie Exponaten könne der Freiheitskampf der sechziger Jahre um Sepp Kerschbaumer nachverfolgt werden.

Die Gedenkrede eines ehemaligen Freiheitskämpfers: Entschuldigung Italiens gefordert!

Gedenkredner war dieses Jahr der ehemalige Freiheitskämpfer Hans Jürg Humer, der sich als junger Innsbrucker Student dem Freiheitskampf angeschlossen hatte. Er war am 12. September 1967 zusammen mit Karl Schafferer aus Schwaz verhaftet und in die Bozener Carabinierikaserne gebracht worden. Dort waren die beiden schrecklichen Misshandlungen mit Schlägen, Streckungen, Schlafentzug und der Erstickungs-Wasserfolter unterzogen worden. Nach 4 Jahren Haft konnte Humer im Jahre 1971 wieder nach Österreich zurückkehren.

Karl Schafferer (links) und Hans Jürg Humer (rechts) vor dem italienischen Gericht in Florenz im Gespräch mit ihren Anwälten

Am 8. Dezember 2018 hielt Hans Jürg Humer nun sichtlich bewegt die Gedenkrede. Er sagte:

„Wir gedenken heute des Todes von Josef Kerschbaumer, der 1964 im Kerker von Verona starb und auch aller seiner Kameraden, die nicht mehr unter uns weilen.

Josef Kerschbaumer wird für immer ein Symbol  des Widerstandes sein. Des Widerstandes gegen die Zerreissung Tirols nach dem 1. Weltkrieg und gegen eine nationalistische italienische Politik, die den deutschen Charakter Südtirols nicht akzeptieren konnte und wollte.

Hans Jürg Humer bei seiner Gedenkrede

Als vor 100 Jahren das Ende des Ersten Weltkriegs eingeläutet wurde, seien es keine Friedensglocken gewesen, erklärte Humer. Das von dem amerikanischen Präsidenten propagierte Selbstbestimmungsrecht der Völker wurde den Südtirolern vorenthalten.

Südtirol sei ein Opfer des italienischen Nationalismus und gleichzeitig seien die Versuche der Südtiroler, das angestammte deutsche Volkstum zu behaupten, vom offiziellen Italien als pangermanistische und damit angeblich nazistische Gefahr vor der Welt diffamiert worden.

Wie habe nun Italiens Präsident Mattarella, fragte Hans Jürg Humer, unlängst das Ende des Ersten Weltkriegs zelebriert? Er habe als Ursache des Krieges unter anderem den „aggressiven Nationalismus“ benannt.

„Und da fragt man sich schon, sagte Humer, wer denn 1915 der Aggressor war und seinem vormaligen Verbündeten den Krieg erklärte, nachdem er sich im Londoner Vertrag beträchtliche Gebietsgewinne garantieren ließ. Also wenn das ein „mea culpa“ sein sollte, müsste es anders und deutlicher formuliert sein. Wie wäre es mit einer Entschuldigung? Es gehört ja heute schon fast zum guten Ton, dass sich Staaten bei den Opfern ihrer früheren Politik entschuldigen“.

Von Einsicht in die Fehler der Vergangenheit und von selbstkritischer Geschichtsaufarbeitung sei man aber auch in der heutigen EU weit entfernt.

„Warum nimmt die EU – über den Schutz von Minderheiten hinaus – nicht auch das Selbstbestimmungsrecht der Völker in ihre Verfassung auf, mit der Garantie fairer und korrekter Volksabstimmungen?

Das Streben „von nationalen Minderheiten, die um ihr Selbstbestimmungsrecht kämpfen ist immer legitim.“

Abschließend sagte Humer:

„Lasst uns zum Abschluss noch daran erinnern, dass Josef Kerschbaumer auch ein Opfer war, ein Opfer des aggressiven Nationalismus, wie unzählige andere und lasst uns hoffen, dass solche Opfer in Zukunft nicht mehr notwendig werden.“

Einsatz aller für die Heimat gefordert

Am Ende der Feier zeigte sich der Schützen-Landeskommandant Elmar Thaler erfreut über die starke Teilnahme und zitierte den Eucharistinerpater Walter Marzari, der 1991 gesagt hatte, dass die Messe nicht allein für Sepp Kerschbaumer gefeiert werde, sondern auch für die Heimat.

„Alle gut eingestellten Personen sollen dafür weiterkämpfen, dass das Unrecht von damals wieder gutgemacht wird. Und wir sollen nicht nur über Landeseinheit reden, sondern auch etwas dafür tun“, erklärte der Landeskommandant abschließend.

Zum Abschluss erklang die Weise des „Guten Kameraden“ und dann stimmten die Teilnehmer in die Tiroler Landeshymne und in die Österreichische Bundeshymne ein.

Um Sepp Kerschbaumer zu ehren, war im Auftrag der Kameradschaft der Südtiroler Freiheitskämpfer auch in dessen Heimatort Frangart, wo ein Gedenkstein an ihn erinnert, ein Kranz mit weiß-roter Schleife niedergelegt worden.




Ladinische Gemeinde muss italienischen Ortsnamen tragen

Ein erhellendes Urteil des italienischen Verfassungsgerichtshofes

Ein vom Geist einer wenig rühmenswerten Vergangenheit geprägtes Urteil des italienischen Verfassungsgerichtshofes vom 25. September 2018 sorgt für berechtigte Aufregung in Südtirol, obwohl es zunächst formal vor allem Welschtirol – das heutige „Trentino“ – betrifft. Seine rechtlichen Auswirkungen auf Südtirol sind jedoch nicht zu übersehen.

Im ladinischen Fassatal hatten sich die Gemeinden Pozza und Vigo zu einer Großgemeinde zusammengeschlossen, welcher man den ladinischen Namen „Sen Jan“ gab, welcher für den Heiligen Johannes steht. Ergänzt hatte man den ladinischen Heiligennamen durch das italienische „di Fassa“ – auf Deutsch: „im Fassatal“.

Der ladinisch-italienische Mischname „Sen Jan di Fassa“ wurde durch ein Regionalratsgesetz festgeschrieben.

Dem aus 15 italienischen Richtern bestehenden Verfassungsgerichtshof in Rom war der Name zu wenig italienisch. Ungeachtet der Regionalautonomie für Trentino-Südtirol stellte der Gerichtshof fest, dass

„der Schutz der Minderheitssprachen nicht durch den Verzicht auf den Gebrauch der offiziellen Nationalsprache erfolgen kann.“

Der Verfassungsgerichtshof bezog sich hierbei auf die Staatsverfassung und auf den Artikel 1 des Staatsgesetzes N. 482 vom 15. Dezember 1999, in welchem es heißt:

„Die offizielle Sprache der Republik ist Italienisch“.

Daher erklärte der italienische Verfassungsgerichtshof in seiner Sitzung vom 25. September 2018 die Bezeichnung Sèn Jan di Fassa-Sèn Jan“ für illegitim. Der Ortsnamen müsse vielmehr zweisprachig heißen: „San Giovanni di Fassa-Sèn Jan“.

Heiligsprechung der erfundenen faschistischen Ortsnamen

Für Südtirol bedeutet dieses Urteil des italienischen Verfassungsgerichtshofes wiederum eine Heiligsprechung der erfundenen faschistischen Ortsnamen. In dem Urteil waren nämlich auch die deutschen Ortsnamen Südtirols kurz zur Sprache gekommen:

„Das Autonomiestatut beinhaltet zwar auch Bestimmungen zur Toponomastik – zutiefst beeinflusst von geschichtlichen Ereignissen in den ersten 50 Jahren des 20. Jahrhunderts –, aber dieses bringt keine Abweichung von der offiziellen italienischen Staatssprache mit sich. In verschiedenen Fällen können auch Namen auf Deutsch, Ladinisch, Zimbrisch oder Fersentalerisch zusätzlich verwendet werden“, hielten die Richter in ihrem Urteil fest.

Damit bekräftigte der Verfassungsgerichtshof auch in Bezug auf Südtirol wieder, dass die deutschen oder ladinischen Ortsnamen zwar verwendet werden dürften, ihnen aber kein offizieller Charakter und keine Rechtsgültigkeit zukommt. Offizielle Namen sind demnächst nur die erfundenen faschistischen Namen.

Damit bekräftigt der Verfassungsgerichtshof die faschistische Gesetzgebung von 1923 und 1940, mit welcher die von dem faschistischen Senator Ettore Tolomei zum größten Teil frei erfundenen italienischen Ortsnamen für offiziell alleine gültig erklärt worden waren.

Mit dem auch von Mussolini unterschriebenen Königlichen Dekret vom 29. März 1923 waren die erfundenen Ortsnamen in Südtirol eingeführt worden.

Mit einem weiteren Dekret vom 10. Juli 1940 wurde den über 8.000 italienischen Orts- und Flurnamen ihre amtliche Bedeutung nochmals bestätigt.

 

Dieses faschistische Dekret aus dem Jahre 1940 ist heute noch die einzige gesetzliche Grundlage für die unsägliche und zum Großteil lächerliche Ortsnamensgesetzgebung in Südtirol.

Bild Südtiroler Schützenbund

Widerspruch aus Südtirol

Das sehr unkonventionelle Internetportal „Brennerbasisdemokratie“ hat dazu am 23. November 2018 eine Abhandlung aus der Feder von Simon Constantini veröffentlich, welche inhaltlich interessant ist:

„Mit gestern veröffentlichtem Urteil (Nr. 210/2018) hat das italienische Verfassungsgericht beschlossen, dass die Gemeinde Sèn Jan künftig auch eine italienische Ortsbezeichnung (San Giovanni) braucht. Der Entscheid geht auf eine Anfechtung der angeblich weltoffenen und autonomiefreundlichen Mittelinksregierung von Paolo Gentiloni (PD) Ende Dezember 2017 zurück”.

Hierbei habe sich der Verfassungsgerichtshof, so Simon Constantini, über die Argumente der Region Südtirol-Trentino hinweggesetzt.

Diese hatte auf die Situation im französisch-sprachigen Aostatal und in Teilen des Piemont verwiesen, wo einnamig französiche bzw. frankoprovenzalische Ortsbezeichnungen existieren.

Die Region hatte auch auf das Unrecht der faschistischen Zwangsitalianisierung verwiesen. Des weiteren hatte sie festgestellt, dass sich die italienischsprachige Gemeinschaft vor Ort mit dem Namen Sèn Jan (di Fassa) voll identifiziert und dass die Ortsbezeichnung von der Stimmbevölkerung direktdemokratisch abgesegnet worden sei.

Der seinerzeitige Präsident der italienischen verfassunggebenden Nationalversammlung, Umberto Terracini, habe in Bezug auf das Aosta-Tal erklärt gehabt: die Ortsnamen und die Eigennamen sind nicht Teil der anderen Sprache, sondern sie sind was sie sind”.  Daher, so Constantini: Mehrsprachigkeit ist nicht Mehrnamigkeit.”

Auch darüber fährt das Gericht laut Constantini mit einer Argumentationsweise drüber, die fassungslos macht”.

„So dürften die Vorherrschaft der italienischen Sprache – als alleinige Staatssprache und alleinige Sprache des Verfassungssystems (!!) – durch den Minderheitenschutz nicht infrage gestellt und die italienische Mehrheitsbevölkerung nicht benachteiligt werden. Dies gelte ausdrücklich auch für die Ortsnamengebung und dürfe niemals dazu führen, dass eine Minderheitensprache alternativ zur italienischen benutzt wird. Außerdem sei das Primat der italienischen Sprache – Achtung Brechreizgefahr – entscheidend für die fortwährende Weitergabe des historischen Erbes und der Identität der Republik, zudem Gewährleistung für den Fortbestand der italienischen Sprache an sich.

Was ist das für ein Verfassungssystem, das solche Urteile hervorbringt?

Was soll das für eine bemitleidenswerte Identität sein, die sich von einer kleinen Minderheit wie der ladinischen und einem Ortsnamen gefährdet sieht?

Und was können wir uns von einem Staat erwarten, der gleichberechtigte Mehrsprachigkeit so fürchtet und daher vehement bekämpft?

Nachbemerkung vom 27. November 2018: Auch in Frankreich hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Zweisprachigkeit nicht Zweinamigkeit ist — weshalb ein öffentliches Büro in der Bretagne den Gemeinden ausdrücklich bretonische Einnamigkeit empfiehlt. Aber was selbst im jakobinischen Frankreich möglich ist, geht in Italien offenbar ganz und gar nicht.”

„Das Urteil ist ein Warnschuss für uns“

Unter diesem Titel veröffentlichte der ehemalige SVP-Parlamentsabgeordnete, Senator und Autonomiefachmann Dr. Karl Zeller am 26. November 2018 eine Warnung in der Tageszeitung „Dolomiten“.

Karl Zeller ist nicht irgendwer. Er hatte 1989 an der Universität Innsbruck über das Thema „Die Eingriffsmöglichkeiten der römischen Zentralorgane in die autonome Gesetzgebungs- und Vollzugsgewalt des Landes Südtirol“ dissertiert und er hatte vier Jahre lang als Assistent am Institut für Völkerrecht und Internationale Beziehungen an der Universität Innsbruck gewirkt. In seiner Stellungnahme in den „Dolomiten“ sagt Dr. Karl Zeller voraus, dass „die Frage nicht beantwortet wird, was zu tun ist, wenn es keinen italienischen Ortsnamen gibt“. Was werde nun im einsprachig-französischsprachigen Aosta passieren, frägt Zeller, „müssen da dann italienische Ortsnamen erfunden werden?“

Zeller sieht sogar die jetzige Landesgesetzgebung Südtirols gefährdet, mit welcher die deutschen und ladinischen Ortsnamen bestätigt wurden. Er ruft die Politik zur Wachsamkeit auf.

„Skandalös und beschämend“

Als skandalös und beschämend bezeichnet die Süd-Tiroler Freiheit (STF) das Urteil des italienischen Verfassungsgerichtshofes.

Der Verfassungsgerichtshof macht sich laut der Südtiroler Freiheit damit zum Vollstrecker des italienischen Nationalismus und führe Südtirol deutlich vor Augen, was man von Italien zu erwarten habe.

„Der Verfassungsgerichtshof stellt mit einer abgeschmackten Überheblichkeit die italienische Kultur über die anderen Kulturen und setzt sich nicht nur über wissenschaftliche Erkenntnisse hinweg, sondern ignoriert auch alle internationalen Empfehlungen im Umgang mit Ortsnamen in Minderheitengebieten. Das ist Sprachimperialismus in Reinform“, so der Ortsnamenexperte Cristian Kollmann.

Die Süd-Tiroler Freiheit sehe sich in ihrer Haltung bestätigt, dass nur eine Abschaffung der faschistischen Ortsnamendekrete zu einer Lösung der Ortsnamenfrage in Südtirol führen könne. Faschistische Ortsnamen seien laut der Süd-Tiroler Freiheit demnach kein Kulturgut, sondern ein „Kulturverbrechen“.

Anmerkung des SID dazu: Das ist alles richtig. Es zeigt sich jedoch, dass es in der italienischen Politik parteiübergreifend einen breiten Konsens gibt, die behauptete „Italianita“ Südtirols weiterhin festzuschreiben.

Eine solche Einigkeit in Grundsatzfragen ist auf der Seite der österreichisch-tirolerischen Politik bislang noch nicht vorhanden. Hier ist zwischen den Parteien noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten, bevor man hoffen kann, Rom wirksam unter Druck setzen zu können.




100 Jahre Landesteilung – Zwei unterschiedliche Gedenken

Im Jahre 1915 war das mit Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich verbündete Italien seinen eigenen Bundesgenossen verräterisch in den Rücken gefallen, indem es sich zunächst für neutral erklärt hatte und dann an der Seite der Entente-Mächte in den Krieg eingetreten war. Diese hatten Italien unter anderem Südtirol als Kriegsbeute versprochen.

Als gegen Ende des Ersten Weltkriegs die ausgeblutete österreichisch-ungarische Monarchie zusammenbrach und in einzelne Nationalstaaten zu zerfallen begann, musste sie einen Waffenstillstand mit Italien eingehen, der am 4. November 1918 in Kraft trat und einer bedingungslosen Kapitulation gleichkam.

Titelseite der Innsbrucker „Tiroler Stimmen“ vom 4. November 1918

Die italienischen Truppen konnten nun kampflos Südtirol bis zum Brenner besetzen, den sie am 11. November 1918 erreichten. Italien feiert dies bis heute als großartigen Sieg.

Italienisches Militär auf dem Bozener Waltherplatz im Jahre 1918

Die ersten Carabinieri sind in Meran eingetroffen (Bildarchiv Haller, Meran)

Noch ahnte die Bevölkerung nicht, welch schwere Zeiten auf sie zukommen würden, denn die italienische Armee hatte auf großen Plakaten verkünden lassen, dass Italien die „Staatsangehörigen fremder Zunge mit Gerechtigkeit und Liebe behandeln“ werde. Mit dieser Proklamation wurde den Südtirolern auch die „Erhaltung eigener Schulen, eigener Anstalten und Vereine“ zugesichert und verkündet, „dass jede Sprach- und Kulturfrage baldige friedliche Regelung finden wird.“

Die Proklamation der italienischen Armee mit ihren nicht eingehaltenen Versprechungen

Diese schönen Versprechungen wurden dann Jahrzehnte lang weder in der Zeit des Faschismus noch im demokratischen Italien nach 1945 eingehalten, bis die unter großen Opfern erreichte heutige Autonomielösung eine wesentliche Verbesserung der Verhältnisse bewirkte.

Die italienischen Gedenkfeiern

Der Erste Weltkrieg hatte auf italienischer und österreichischer Seite zusammen an die 1,2 Millionen Menschenleben gekostet. Ungeachtet dessen feiert das demokratische Italien am 4. November bis heute mit provokanten militärischen Aufmärschen im „eroberten“ Gebiet diese Tragödie als erfreuliches Geschehen.

Trompetentöne in Bozen: Annexion Südtirols – „das schöne Ziel des Ersten Weltkrieges“

Am 4. November 2018 marschierte – wie schon seit Jahrzehnten – wieder italienisches Militär auf dem Bozener Waltherplatz auf. Der Alpini-General Claudio Berto hielt eine Rede, in  welcher er die Annexion Südtirols „als das schöne Ziel des 1. Weltkrieges“ bezeichnete.

Der Alpini-General Claudio Berto (Bild: Aus einem Video Süd-Tiroler Freiheit – RAI)

Der Landtagsabgeordnete Sven Knoll von der „Süd-Tiroler Freiheit“ erklärte dazu in einer Presseaussendung:

„Die Folgen des 1. Weltkrieges haben … direkt zu Faschismus und Nationalsozialismus geführt und ganz Europa damit in ein noch größeres Verderben gestürzt. Die Teilung Tirols und die unfreiwillige Annexion Süd-Tirols an Italien sind und bleiben ein Unrecht. Auch nach 100 Jahren wird Unrecht nicht zu Recht! Die Aussagen des Alpini-Kommandanten Berto sind nicht nur dumm, sondern eine unnötige Provokation und böswillige Beleidigung für Süd-Tirol, die mit aller Deutlichkeit verurteilt werden müssen. Die Süd-Tiroler Freiheit fordert angesichts dieser verabscheuenswürdigen Provokation eine öffentliche Distanzierung und Entschuldigung der Alpini-Generalität.“

Selbstverständlich gab es keine Entschuldigung der Alpini-Generalität und es wird auch keine geben.

Alpini-Feier in Meran vor faschistischem Denkmal

In Meran steht ein Denkmal, welches einen Alpini-Soldaten zeigt, welcher heroisch einen Stein gegen seine Gegner schleudert. Dieses Denkmal wurde in der Zeit des Faschismus 1938 errichtet und verherrlicht den Einsatz des 5. Alpini-Regimentes im italienischen Kolonialkrieg in Libyen von 1911 bis 1912, in dessen Folge bis zum Jahre 1931 ein wahrer Vernichtungskrieg gegen die aufständische einheimische Bevölkerung stattfand.

Massenerhängungen von Arabern und Einsatz von Giftgas sollten Libyen „befrieden“

Trotz vieler Südtiroler Proteste hält der Staat Italien bis heute dieses Völkermord-Denkmal in Ehren.

Auch am 4. November 2018 hielten es die Alpini für angebracht, vor diesem Denkmal feierlich aufzumarschieren und der „Eroberung“ Südtirols zu gedenken.

Der Gemeinderat der „Süd-Tiroler Freiheit“ in Meran, Christoph Mitterhofer, erklärte dazu in einer Presseaussendung:

Jeder versteht, dass die Streitkräfte ihrer gefallenen Kameraden gedenken wollen. Jedoch vor einem Denkmal mit terrorverherrlichendem Hintergrund ist das deplatziert. Dieses Denkmal gehört geschliffen!“

Die Tiroler Gedenkfeiern

Etwas anders als die italienischen Feiern gestalteten sich die Tiroler Gedenkfeiern.

Gedenken auf dem Tummelplatz in Innsbruck

Oberhalb des Innsbrucker Stadtteiles Amras befindet sich auf einer Waldlichtung namens „Tummelplatz“ eine Landesgedenkstädte mit einem Militärfriedhof und einigen Kapellen.

Dort fand am 4. November 2018 eine würdige Feier statt, auf welcher der für die Einheit und Freiheit Tirols Gefallenen gedacht wurde.

Die Gedenkstätte Tummelplatz

Vor dem Erinnerungsstein für Franz Innerhofer, ehemals Oberlehrer im Südtirolerischen Marling, legte eine Abordnung des „Andreas Hofer-Bundes“ mit deren Obmann Winfried Matuella einen Kranz nieder, welcher an die Ermordung des „Blutzeugen für das deutsche Südtirol“ durch Faschisten im Jahre 1921 erinnert.

Die Dornenkrone auf dem „Siegesplatz“ in Bozen

Auf dem Landesfestzug im Jahre 1959, welcher an das Tiroler Heldenjahr 1809 erinnerte, wurde von Schützen aus ganz Tirol erstmals eine schmiedeeiserne Dornenkrone mitgeführt, welche dem Schmerz über die Landesteilung und Unterdrückung der Südtiroler Landsleute Ausdruck verleihen sollte.

1984 wurde wiederum unter nicht enden wollendem Beifall der Bevölkerung eine schmiedeeiserne Dornenkrone mitgeführt, welcher auf einem Transparent die Losung „Selbstbestimmung für Südtirol – Tirol den Tirolern“ vorangetragen wurde. Der Nordtiroler Landeshauptmann Wallnöfer hatte vor diesem Symbol des Leids salutiert.

Am 4. November 2018 wurde in Bozen wiederum eine Dornenkrone der Öffentlichkeit gezeigt und es wurde dabei eine besondere symbolische Handlung vorgenommen.

Mit einem Plakat hatte der Welschtiroler Verein „Associazione Culturale Kulturverein NOI TIROLESI – WIR TIROLER“ unter dessen Präsidenten Vittorino Matteotti auf diese Veranstaltung hingewiesen. Mitveranstalter war der von ehemaligen politischen Häftlingen gegründete „Südtiroler Heimatbund“ (SHB) unter dessen Obmann Roland Lang.

Als passender Ort war ein Platz in unmittelbarer Nähe des faschistischen „Siegesdenkmals“ gewählt worden.

Die hier präsentierte Dornenkrone war mit 99 Stacheln versehen und nun wurde ihr ein hundertster Stachel eingeschlagen, um damit anzuzeigen, dass die Zerreißung Tirols nunmehr bereits 100 Jahre andauert.

Darüber berichtete die „Neue Südtiroler Tageszeitung“ ausführlich.

Bericht in der „Neuen Südtiroler Tageszeitung“

 Es sollte eine symbolische Aktion des Gedenkens an die Opfer der Zerreißung Tirols vor hundert Jahren werden, so hatte der SHB-Obmann Roland Lang in einer Aussendung erklärt. Dazu wurde absichtlich jener Platz ausgesucht, der von den Faschisten zur Feier eines Sieges errichtet wurde, der nie stattgefunden hat.

„Mit der italienischen Besetzung Tirols zwischen Borghetto und Brenner vor 100 Jahren begann der Leidensweg des südlichen Tirols. Er begann mit der Verfolgung der Soldaten, die die österreichische Uniform getragen hatten und erreichte mit der Unterdrückung jeder Tiroler Identität unter dem Faschismus ihren traurigen Höhepunkt. Auch nach dem Untergang des Faschismus verfolgt Italien weiterhin das Ziel, Südtirol zu einer italienischen Provinz zu machen“, so SHB-Obmann Roland Lang in seiner Ansprache.

Eva Klotz erinnerte in ihrer Ansprache an das große Unrecht der gewaltsamen Teilung Tirols, das viele vergessen machen wollten. Wahrer Frieden könne nur auf dem Boden der Gerechtigkeit gedeihen. Als schmerzlich empfinde man die Leugnung der Tiroler Geschichte auch durch einen Lügentempel, der den Namen „Siegesdenkmal“ trägt.

Sie ermunterte vor allem die Jugendlichen, sich mit der Geschichte Tirols vertraut zu machen, um mit demokratischen Mitteln und in wahrhaft europäischem Geiste das Unrecht eines Tages zu beenden. Den vielen anwesenden Welschtirolern sprach sie Mut zu, empfinden sie doch die Dornen besonders, da sie ihrer Identität und Geschichte regelrecht beraubt worden seien.

Das Land Tirol in Trauer

Einem Aufruf des „Südtiroler Schützenbundes“ folgend, hissten zahlreiche Kompanien am 11. November, dem Tag der Trauer für Südtirol, an gut sichtbarer Stelle die Tiroler Fahne mit Trauerflor.

Damit folgten sie wohl den Gefühlen vieler Mitbürger, die bis heute die Landesteilung ablehnen und diese nicht als ewig anerkennen.

Bei dieser Gelegenheit darf gesagt werden:

Es spricht für unsere Südtiroler Landsleute, dass diese nach 100 Jahren der Unterdrückung, der sprachlichen und kulturellen Beraubung sowie der versuchten und teilweise durchgeführten Aussiedlung, sich immer noch als deutsche und ladinische Volksgruppe behaupten.

Sie bestehen darauf, Tiroler zu sein und bleiben zu wollen!

Respekt vor dieser Haltung!