Vorstellung einer bedeutenden Buchtrilogie in Wien
Am 14. November 2019 stellte der Leopold Stocker Verlag in Wien eine für Südtirol zeitgeschichtlich bedeutsame Buchtrilogie des Autors Dr. Helmut Golowitsch vor.
Nach einleitenden Worten des Verlagsleiters Mag. Wolfgang Dvorak-Stocker (links im Bild) stellte der Autor Dr. Helmut Golowitsch (rechts im Bild) das Ergebnis seiner zeitgeschichtlichen Forschungen vor.
Der ehemalige Südtiroler Regionalratspräsident, Regionalrats- und Landtagsabgeordnete Dr. Franz Pahl (Südtiroler Volkspartei – SVP) war eigens zu dieser Buchpräsentation nach Wien gekommen und fand lobende Worte:
„Der Autor der drei Bände der „Schriftenreihe zur Südtiroler Zeitgeschichte“ hat sich durch seinen neuen dritten Band, „Südtirol – Opfer politischer Erpressung“ erneut als Autor von hohem Rang erwiesen. Die drei Bände stellen ein „Jahrhundertwerk“ dar durch das unerschütterliche, akribische Bemühen um die historische Wahrheit. Der Autor hat in umfassendem Studium bisher unbekannter Dokumente die von anderen immer ausgeblendete Wahrheit über die Politik der Regierungspartei ÖVP in den Sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts beweiskräftig und gegen den opportunistischen Zeitstrom ans Licht gebracht. Jede staatstragende Partei ist vor ihrem politischen Gewissen verpflichtet, sich der Wahrheit ihrer Politik auch in der Vergangenheit zu stellen. Die heutige ÖVP sei nicht verantwortlich für die bedenklich opportunistische und willfährige Politik gegenüber den nationalistischen Forderungen der wechselnden italienischen Regierungen auf Kosten der Südtiroler in jener Zeit. Wenn die ÖVP von einem menschenrechtlich-rechtsstaatlichen Geist getragen sei, müsse sie sich um der historischen Wahrheit und ihrer Glaubwürdigkeit willen ihrem Versagen, ihrer Unredlichkeit und ihrem schwerwiegenden Opportunismus besonders der Regierungen Klaus stellen, die sogar Außenminister Kreisky in seiner entschlossenen Verteidigung der Südtiroler Interessen zu umgehen versucht habe. Wie die vorausgehenden Bände ist der dritte Band von großer Bedeutung für die unbestechliche historische Tatsachenschilderung der österreichischen Regierungspolitik in der Zeit des Südtiroler Freiheitskampfes.“
Der österreichische Militärhistoriker Oberst Mag. Dr. Hubert Speckner schilderte, wie er anhand bislang unbekannter und von ihm erstmals ausgewerteter Dokumente nachweisen hatte können, dass die offiziellen italienischen Behauptungen bezüglich des sogenannten „Porze-Scharte-Attentats“ von 1967 falsch waren und falsch sind. Dieses angebliche „Attentat“, das Österreichern in die Schuhe geschoben worden war, hatte dazu gedient, die österreichische Politik unter Erpressungsdruck zu setzen. Italien hatte 1967 mit einem Veto den Zugang Österreichs in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) blockiert und erst wieder freigegeben, als Wien alle Wünsche Roms bezüglich der Verfolgung Südtiroler Freiheitskämpfer und durch einen Verzicht auf eine international-rechtliche Verankerung des Südtirol-Autonomiepakets erfüllt hatte.
Speckners Forschungsergebnisse, die er in einem eigenen Buch veröffentlicht hatte, stellten mit eine bedeutende Grundlage für die zeitgeschichtliche Darstellung des Autors Golowitsch dar.
Der Zeitzeuge Egon Kufner schilderte als damals in der Causa „Porze-Scharte“ aufgrund der falschen italienischen Behauptungen in Österreich unschuldig Inhaftierter, was er in seiner Haft auch an Schikanen hatte mitmachen müssen, bis ein österreichisches Schwurgericht ihn freisprach, weil er und seine Mitangeklagten einer klaren Beweislage mit Sachverständigengutachten zufolge das ihnen angelastete „Attentat“ nicht begangen haben konnten.
Auch Univ.-Prof. Dr. Erhard Hartung (links im Bild – hier im Gespräch mit Oberst Mag. Dr. Speckner) schilderte als damals Mitangeklagter in der Causa „Porze“ und sodann Freigesprochener, wie die unter italienischer politischer Erpressung stehende österreichische Bundesregierung sich damals verhalten hatte.
Auch er würdigte als Zeitzeuge die Forschungsergebnisse von Speckner und Golowitsch.
Buchbesprechung in den „Dolomiten“:
Südtiroler Tageszeitung „Dolomiten“ vom 12. November 2019 über Band II:
Weitere Informationen und die Möglichkeit das Buch zu bestellen, finden Sie hier: Stocker-Verlag
Vor 80 Jahren – Die aufgezwungene Option und der Weg in den Untergang
Bild von Thomas Walch: „Die Heimatlosen“.
Eine traurige Erinnerung
Der Südtiroler Schützenbund (SSB) nimmt seine sozialen und kulturellen Aufgaben ernst und hat mit einer nachdenklich machenden Aktion daran erinnert, dass vor 80 Jahren – am 21. Oktober 1939 – Hitler und Mussolini ein Abkommen zur Umsiedlung der deutschsprachigen Südtiroler vereinbart hatten, das nach dem Willen der beiden Diktatoren die kulturelle Auslöschung der deutschen Volksgruppe hätte bewirken sollen.
In einer Aussendung schrieb der Schützenbund am 21. Oktober 2019:
Rund 274.000 Südtiroler waren gezwungen sich bis zum 31. Dezember 1939 zu entscheiden, ob sie deutsch bleiben und ins Deutsche Reich auswandern wollten, oder in der Heimat blieben und „walsch wählten“. Wer sich fürs „Gehen“ entschied, hatte die Heimat unwiderruflich zu verlassen.
Es wurde ihm eine Ansiedlung in teilweise noch zu erobernden Gebieten in Aussicht gestellt. Wer sich hingegen fürs „Bleiben“ entschied, ging ebenso einer ungewissen Zukunft entgegen.
Eine Zwangsumsiedlung in den Süden Italiens stand – vor allem zum Zwecke einer Mobilisierung für die Auswanderung im Raum, erinnert der Südtiroler Schützenbund.
„Die Option spaltete das Land, entzweite Familien. Dableiber wurden als Volksverräter, Optanten als Heimatverräter bezeichnet. Aufrufe und Stellungnahmen für das Verbleiben in der Heimat gab es ebenso wie Flugblätter und Kundgebungen für das Abwandern“, so der SSB-Landeskommandant Jürgen Wirth Anderlan.
Das Ergebnis: 86 Prozent der Südtiroler entschieden sich für das Gehen. Tatsächlich abgewandert sind rund 75.000. An die 20.000 Optanten kehrten nach Kriegsende zurück, 130.000 waren staatenlos, weil sie zwar für Deutschland gestimmt hatten, aber nicht ausgewandert sind.
Sie alle haben eines gemeinsam: ihre Geschichte, ihr Schicksal geprägt von der Entscheidung 1939. Der Entscheidung von Hitler und Mussolini. Ihrer eigenen Entscheidung.
160 rote Koffer im ganzen Land
Die Südtiroler Schützen erinnerten nun an diese schreckliche Zeit mit einer landesweiten Aktion.
Im ganzen Land wurden 160 rote Koffer mit der Aufschrift „schicksal39.com – Option, Gehen oder Bleiben“ an zentralen Stellen in allen Gemeinden aufgestellt.
An den roten Koffern waren Postkarten mit Gedichten und Liedern der Dableiber als auch der Optanten angebracht.
Weitere Informationen zu dieser Aktion und zu dem Thema Option finden sich im Internet unter: https://schicksal39.com/
Dokumentation zum Optionsabkommen:
Geschichtlicher Rückblick – Wie war es zu der Katastrophe von 1939 gekommen?
von Jürgen Fingeller
Hitlers Kurswechsel
Vor Mussolinis Machtantritt hatte Hitler in öffentlichen Reden durchaus noch die Rückgabe Südtirols gefordert gehabt. Das stand im Einklang mit dem Parteiprogramm der NSDAP vom 24. Februar 1920, in welchem es hieß:
„1. Wir fordern den Zusammenschluss aller Deutschen auf Grund des Selbstbestimmungsrechtes der Völker … “
In den parteiamtlichen Erläuterungen dazu hatte es geheißen: „Wir verzichten auf keinen Deutschen im Sudetenland, in Südtirol, in Polen, in der Völkerbundkolonie Österreich und in den Nachfolgestaaten des alten Österreich.“ (G. Feder: „Das Programm der NSDAP und seine weltanschaulichen Grundgedanken“, München 1933, S. 42)
Als Benito Mussolini jedoch Ende Oktober 1922 begann, Italien in eine Diktatur umzuwandeln, wurde er zum großen Vorbild Adolf Hitlers, der ein Bündnis mit ihm anstrebte. Hitler betonte ab nun die Freundschaft mit dem Faschismus und erklärte ab 1922 wiederholt in Reden und Zeitungsinterviews, dass er die Brennergrenze als endgültig betrachte.
Unter der Federführung des vor den Faschisten aus Südtirol geflüchteten Univ.-Prof. Dr. Eduard Reut-Nicolussi wurde damals von der „Arbeitsstelle für Südtirol“ in Innsbruck eine Zeitung mit dem Namen „Der Südtiroler“ herausgegeben. In einem Sonderdruck dieser Zeitung aus dem Jahr 1932 kritisierte Reut-Nicolussi das Verhalten Hitlers und zitierte aus dessen abfälligen Äußerungen über Südtirol.
Am 10. Oktober 1923 konnte die italienische Zeitung „Corriere Italiano“ ein Gespräch mit Hitler veröffentlichen, in welchem dieser erklärte: „Als Nationalist vermag ich mich durchaus in die italienischen Gedankengänge zu versetzen und verstehe sogar den italienischen Anspruch auf eine gesicherte Grenze.“ (Wiedergegeben in: Karl Heinz Ritschel: „Diplomatie um Südtirol“, Stuttgart 1966, S. 130)
Göring verkauft Südtirol gegen Geld
Am 8. November 1923 scheiterte der NS-Putsch in München und Hitler bezog für eine kurze Zeit eine Zelle in der Festung Landsberg. Der Führer der SA, Hermann Göring, ging 1924 für eine Zeit lang nach Italien ins Exil. Dort nahm er im Juni 1924 Kontakt mit dem Diplomaten Giuseppe Bastianini auf, welcher Mitglied des „Gran Consiglio del Fascismo“, des „Faschistischen Großrats“ und ein Vertrauter von Benito Mussolini war.
Göring erbat ein Zwei-Millionen-Lire-Darlehen für die NSDAP und verpflichtete in seiner Eigenschaft als „NS-Generalbevollmächtigter in Italien“ im August 1924 in einem Vertragsentwurf seine eigene Partei zu Folgendem:
„… klar zu machen, dass es für sie keine Alto-Adige-Frage gebe und dass sie absolut und ohne Umschweife den Status quo der italienischen Besitzungen anerkenne … Die NSDAP wird ab sofort alles tun, um revisionistischen Bestrebungen in Bezug auf Alto Adige in Deutschland entgegenzutreten …“ (Vertragsentwurf im Nachlass von Dott. Leo Negrelli von Mussolinis Regierungs-Presseamt. Wiedergegeben in: David Irving: „Göring – Eine Biographie“, Kiel 1986, S. 61f)
Görings erneutes Angebot, den „Südtiroler Irredentismus auszumerzen“
Am 9. März 2006 berichtete die Südtiroler Tageszeitung „Dolomiten“ über einen sensationellen Fund. Das Südtiroler Landesmuseum Schloss Tirol hatte soeben aus dem Nachlass eines früheren Göring-Freundes, des Hoteliers Rodolfo Walther in Venedig, ein Schriftstück erworben, aus dem die „Dolomiten“ nun zitierten.
Es handelt sich um ein weiteres Memorandum in italienischer Sprache, welches Göring im November 1924 in Venedig für seinen Gastgeber und Freund Rodolfo Walther verfasste, der dem „Duce“ nochmals das Projekt eines Abkommens zwischen der NSDAP und der Faschistischen Partei unterbreiten sollte.
Göring verwies in dem von ihm persönlich unterzeichneten Memorandum darauf, dass die Nationalsozialisten bereit seien, ein für alle Mal auf Südtirol offiziell zu verzichten. Wiederum erbat Göring auch finanzielle Hilfe. Dadurch würde man ermuntert sein, so berichteten die „Dolomiten“ über den Inhalt des Schriftstücks, „sich für eine Annäherung an das faschistische Italien weiterhin einzusetzen und jedwede Art des Südtiroler Irredentismus auszumerzen. Hermann Göring schließt mit ‚… della S. E. Ill.ma obbligatissimo Hermann Göring, rappresentante incaricato della Nationalsozialistischen Freiheitsbewegung Deutschlands.“ (Auf Deutsch: „ … der Ihrer hervorragendsten Exzellenz zutiefst ergebener Hermann Göring, beauftragter Repräsentant der Nationalsozialistischen Freiheitsbewegung Deutschlands.“)
Das italienische Geld fließt
Nun begann das italienische Geld für die NSDAP zu fließen. Der ehemalige Diplomat Pietro Quaroni berichtete dazu: „Die Hitler-Bewegung wurde von der italienischen Seite her mit Sympathie betrachtet. Sie wurde auch zumindest einige Male seitens Italiens mit bedeutenden Geldmitteln unterstützt“. (Zitiert in: Jens Petersen: „Hitler – Mussolini. Die Entstehung der Achse Berlin-Rom 1933 – 1936“, Tübingen 1973, S. 24f)
Hitler dankt und bezeugt seine Treue
Im 1926 veröffentlichte Adolf Hitler im Münchner Eher-Verlag, in welchem vor einem Jahr bereits der erste Band von „Mein Kampf“ erschienen war, eine Broschüre. Diese trug den Titel „Die Südtiroler Frage und das deutsche Bündnisproblem“, und stellte einen teilweisen Vorabdruck aus dem zweiten Band von „Mein Kampf“ dar, welcher im Dezember 1926 erscheinen sollte. Hitler hatte es aber eilig, seine unwandelbare Treue zu dem Faschismus und Mussolinis Italien zu betonen. Er veröffentlichte daher die Südtirol betreffenden Abschnitte vorweg als Sonderdruck.
In seinem Vorwort bezeichnete er Mussolini als „den Mann, der als überragendes Genie das nationale Gewissen Italiens verkörpert.“ Man müsse zu Opfern bereit sein. „Die Südtiroler Frage ist für uns ein Problem, das nur im Rahmen der für Deutschland möglichen europäischen Bündnispolitik die richtige Lösung finden kann.“ (Adolf Hitler: „Die Südtiroler Frage und das deutsche Bündnisproblem“, München 1926, S. 6f)
Hitler: „Der Jude“ reitet das Steckenpferd Südtirol
Die richtige Lösung, so führte Hitler weiter aus, sei das Bündnis mit dem faschistischen Italien.“ (Adolf Hitler: a. a. O., S. 43) Um aber solche Bündnisse mit Deutschland zu verhindern, reite „der Jude mit außerordentlicher Geschicklichkeit“ ein besonderes Steckenpferd: „Südtirol“. Er werde dabei unterstützt von „jenem allerverlogensten Pack, das, auf die Vergeßlichkeit und Dummheit unserer breiteren Schichten bauend, sich hier anmaßt, eine nationale Empörung zu mimen”. (Adolf Hitler: a. a. O., S. 30)
Hitler verkündet öffentlich den Verzicht auf Südtirol
Am 15. Juli 1928 unterstrich Hitler seine politische Linie in Bezug auf Südtirol und Italien in einer von der Parteileitung der NSDAP einberufenen Versammlung vor 3.000 geladenen Gästen. Er hielt eine Rede, über welche die Innsbrucker Tageszeitung „Tiroler Anzeiger“ einen Tag später berichtete:
„Hitler … trat für ein Bündnis mit Italien ein … Um zum Bündnis mit Italien gelangen zu können, will Hitler Südtirol preisgeben. Südtirol ist, wie er sagte, nicht von mir, sondern von jenen verraten worden, die Deutschland jahrzehntelang so geschwächt haben, daß es unfähig geworden ist, seine sämtlichen Brüder zu verteidigen. Außerdem ist in bindenden Staatsverträgen ein Verzicht auf Südtirol bereits niedergelegt.“
Im Gespräch mit Ettore Tolomei: Bekräftigung des Verzichts
Am 14. August 1928 traf sich Hitler über Vermittlung des italienischen Generalkonsulats in München mit dem faschistischen Senator Ettore Tolomei. Das Treffen mit dem Architekten der faschistischen Entnationalisierungspolitik in Südtirol, dem Erfinder der italienischen Ortsnamen in Südtirol und engen Vertrauten Benito Mussolinis fand in einer versteckt gelegenen Villa in Nymphenburg am Stadtrand von München statt.
Tolomei fertigte handschriftliche Notizen über sein Gespräch mit Hitler an und berichtete anschließend an Mussolini in Rom:
Hitler äußerte sich zu dem Thema der „italienischen Assimilierung des Alto Adige“ zur Freude Tolomeis eindeutig: „Er sprach sich sehr rüde in Worten, die ich geradezu als grob bezeichnen könnte, aus. („ganz wurst“, „ich pfeif darauf“); jene vier Älpler von Bozen und Meran dürfen Deutschland nicht hindern, das im Spiel seiner außenpolitischen Beziehungen frei sein will, für seine großen Interessen in der Welt … zu sorgen, … wobei man sich von der Behinderung durch kleine gefühlvolle Rückstände befreien muss, wie es gerade die irritierende Frage des Alto Adige ist. …
Er legt sich Rechenschaft ab, dass in einem kurzen Zeitraum die größeren Zentren des Alto Adige soweit italianisiert werden, dass sogar die Pangermanisten den Eindruck einer verlorenen Partie erhalten werden und dass folglich die Assimilierung der Hochtäler und der abgelegenen Täler nur eine Frage der Zeit sein wird.“ (Wiedergegeben in deutscher Übersetzung in: Karl Heinz Ritschel: „Diplomatie um Südtirol“, Stuttgart 1966, S. 134ff)
Ständige Bekundungen der Freundschaft
Nun kam es zu laufenden Freundschaftbekundungen von beiden Seiten, die bald den Protest der österreichischen Sozialdemokraten hervorriefen. Diese prangerten Anfang 1932 in einer Broschüre mit dem Titel „Südtirol verrecke!!“ die „restlose Preisgabe der Deutschen Südtirols durch die Nationalsozialisten“ an.
Nachstehend ein interessanter Auszug aus dieser Schrift:
Der 28. Oktober 1932 war der 10. Jahrestag des faschistischen „Marsches auf Rom“. Aus diesem Anlass begrüßte der Herzog von Pistoia, ein Vetter des italienischen Königs, auf dem „Siegesplatz“ vor dem „Siegesdenkmal“ in Bozen eine nationalsozialistische Delegation. Nach der Feier zur Erinnerung an die faschistische Machtergreifung posierten dann die Faschisten und Nationalsozialisten gemeinsam vor dem Siegesdenkmal für Erinnerungsfotos.
Am 30 Januar 1933 war Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt worden. Am 3. Februar 1933 versicherte er dem italienischen Generalkonsul in München, er könne „voll und ganz die strategischen Notwendigkeiten verstehen, die Italien die Aufrechterhaltung der Brennergrenze als unerlässlich erscheinen ließen.“
Jedenfalls dürfe das Schicksal einiger Tausend früherer österreichischer Bürger die Beziehungen zwischen Italien und Deutschland nicht beeinflussen. (Wiedergegeben in: Jens Petersen: „Hitler – Mussolini. Die Entstehung der Achse Berlin-Rom 1933 – 1936“, Tübingen 1973, S. 68)
Bei einem Staatsbesuch erklärte der preußische Ministerpräsident Göring am 7. November 1933 in Rom gegenüber Mussolini, er könne auch im Namen seines Kanzlers die feierliche Erklärung abgeben, dass die Südtirolfrage niemals von deutscher Seite aufgerollt werden würde. (Mario Toscano: „Storia diplomatica della questione dell’Alto Adige“, Bari 1968, S. 124f)
Die Achse Berlin – Rom
Nachdem Hitler Italien im Abessinien-Krieg unterstützt hatte, schlossen der italienische Außenminister Graf Ciano und der Reichaußenminister Von Neurath am 22. Oktober 1936 ein Abkommen über enge Zusammenarbeit beider Staaten und Regime. Der „Duce“ erklärte in einem Interview für den „Völkischen Beobachter“ vom 17. Januar 1937: „Wir haben die Achse Berlin-Rom geschmiedet.“
Hitler: Die unantastbare ewige Grenze!
Am 2. Mai 1938 traf Adolf Hitler zu seinem zweiten Staatsbesuch in Italien in einem Sonderzug am Brenner ein und wurde von dem Herzog von Pistoia, einem Vetter des italienischen Königs Vittorio Emanuele III. begrüßt. Bei der Weiterfahrt nach Rom ließ Hitler die Vorhänge vor den Fenstern seines Salonwagens während der Fahrt durch Südtiroler Gebiet zuziehen.
In Rom feierten der „Duce“ und der „Führer“ am 7. Mai 1938 nach einer Reihe von Veranstaltungen und Paraden bei einem Abendessen im Palazzo Venezia in Rom die deutsch-italienische Freundschaft.
Hitler sagte in einem Trinkspruch: „Es ist mein unerschütterlicher Wille und mein Vermächtnis an das deutsche Volk, dass es … die von der Natur zwischen uns beiden aufgerichtete Alpengrenze für immer als eine unantastbare ansieht, die die Vorsehung und Geschichte unseren beiden Völkern ersichtlich gezogen haben.“ (Zitiert nach: Paul Bruppacher: „Adolf Hitler und die Geschichte der NSDAP“, Teil 2: 1938 bis 1945“, 2. Auflage, Norderstedt 2013, S 39)
Der „Stahlpakt“ für den eigenen Untergang
Am 22. Mai 1929 schlossen das Deutsche Reich und das Königreich Italien zur Besiegelung ihrer unzerstörbaren Freundschaft einen militärischen Beistandspakt, der als „Stahl-Pakt“ in die Geschichte einging.
Mit diesem Abkommen verpflichteten sich beide Seiten, dem jeweiligen anderen Partner militärisch zu Hilfe zu kommen, wenn dieser „in kriegerische Verwicklungen mit einer anderen Macht oder anderen Mächten gerät“.
Der Bündnisfall war diesem Abkommen zufolge auch dann gegeben, wenn einer der Bündnispartner einen Angriffskrieg begann, ohne zuvor die Zustimmung des anderen Partners einzuholen. Das war der Weg in den Untergang.
Das letzte Kapitel: Option und Bevölkerungsaustausch als endgültige „Lösung“ der Südtirol-Frage
Nach wie vor war Südtirol ein Stolperstein auf dem gemeinsamen Weg der beiden Diktatoren in das Unglück ihrer Völker.
Der katholische Klerus Südtirols mit dem Brixener Fürstbischof Johannes Geisler an der Spitze hatte sich dabei als Fels in der Brandung erwiesen. In Südtirol sicherte die Kirche den deutschen Gottesdienst, den deutschen Religionsunterricht und einen Restbestand an deutschem Vereinsleben. Mit Unterstützung zahlreicher Priester förderte sie den heimlichen „Katakombenunterricht“ in deutscher Sprache und die kulturelle Tätigkeit katholischer Jugendgruppen.
Um dem ein Ende zu bereiten, vereinbarten am 23. Juni 1939 nationalsozialistische und faschistische Delegierte unter dem Vorsitz des Reichsführers-SS, Heinrich Himmler, bei einem geheimen Treffen im Hauptquartier der Geheimen Staatspolizei in Berlin die Umsiedlung der Südtiroler durch das sogenannte Optionsabkommen.
Dieses sollte in der Folge die Südtiroler vor die schreckliche Wahl stellen, entweder das Volkstum zu bewahren und dabei die Heimat aufzugeben oder in der Heimat zu bleiben und dabei der Italianisierung ausgeliefert zu werden.
Als das schändliche Abkommen Ende Juni 1939 in Südtirol bekannt wurde, wurde der Gedanke der Auswanderung in Südtirol von Vertretern deutscher Verbände, die sich bei Kanonikus Michael Gamper im Bozner Marieninternat zu einer Beratung getroffen hatten, entschieden abgelehnt. Man war sich einig, geschlossen für den Verbleib in der Heimat zu stimmen.
Faschistische Pläne und Drohungen – das NS-Regime will die „Dableiber“ dem nationalen Untergang überlassen
Am 1. August 1939 wurde im Verlautbarungsblatt der Staatsbahnen angekündigt, daß in nächster Zeit Transporte von Personen und Sachen aus Südtirol in südliche Provinzen abgehen sollten. Der Präfekt Mastromattei verkündete im Augustheft der Zeitschrift „Atesia Augusta“, daß nur jene, „die immer Treue zu Italien und zu den Einrichtungen des Regimes bewiesen haben“, im angestammten Lande bleiben dürften.
Dies bedeutete, daß die Mehrzahl der keineswegs faschistisch eingestellten Südtiroler von der Deportation in die südlichen Provinzen bedroht war.
Am 2. August 1939 hatten sich verzweifelte Südtiroler direkt an den Reichsführers-SS Heinrich Himmler gewandt, der ihnen nun bei einem Treffen unverblümt erklärte, daß das Deutsche Reich die Italienoptanten – die sogenannten „Dableiber“ – ihrem Schicksal, dem unabwendbaren nationalen Untergang, überlassen werde.
Ende August 1939 erklärte der faschistische Senator Ettore Tolomei, die Italienoptanten müssten ihre „ursprünglichen lateinischen Familiennamen wieder annehmen“ und die Regierung werde mit allen Mitteln die Abwanderung der „Fremdsprachigen“ betreiben, um sie durch Italiener zu ersetzen.
Man sah sich nun auf Gedeih und Verderb der römischen Willkür ausgeliefert.
Option und Rettung – warum das Volk bei dem Einmarsch deutscher Truppen jubelte
Die Geschlossenheit des Widerstandswillens zerbrach nun angesichts der um sich greifenden Überzeugung, daß Italien Mittel und Wege suchen und finden werde, die Italienoptanten aus dem Lande zu drängen. Es begann in Südtirol eine Werbung für eine möglichst geschlossene Option für das Deutsche Reich. So hoffte man, bei Verlust der Heimat zumindest das Volkstum zu retten.
Kanonikus Michael Gamper und sein Freundeskreis hingegen waren überzeugt, daß man im Lande bleiben und auf eine Änderung der Verhältnisse hoffen müsse.
Die emotionalen Auseinandersetzungen führten zu einer tiefgreifenden Spaltung der Bevölkerung, die durch die Dörfer und teilweise auch durch die Familien ging.
Das Optionsergebnis ist bekannt: Rund 86 Prozent optierten in ihrer Verzweiflung für Deutschland. Nach verlässlichen Statistiken hatten sich von den 246.036 Abstimmungsberechtigten in der damaligen Provinz Bozen sowie dem damals zur Provinz Trient gehörenden Unterland 211.799 für die deutsche Staatsbürgerschaft und damit zum Verlassen der Heimat entschieden. (Zahlen aus: Südtiroler Landesregierung (Hrsg.): „Südtirol Handbuch 2005)
Nun begann die Umsiedlung nach Norden über den Brenner. Etwa 75.000 Südtiroler verließen die Heimat.
Der Fortgang des Weltkrieges mit dem Kriegseintritt Italiens brachte dieses Unheil im Jahre 1940 zum Stehen, die Aussiedlung wurde gestoppt und die Fortführung auf die Nachkriegszeit vertagt.
Für die Südtiroler war das ein Glück. Für das deutsche Volk insgesamt und für eine Reihe anderer Völker bedeutete dieser Krieg jedoch die denkbar größte Katastrophe.
Der Abfall Italiens vom gemeinsamen Bündnis im Jahre 1943 und der Einmarsch der deutschen Truppen nach Südtirol befreiten das Land von dem Albtraum einer Vollendung der Aussiedlung.
Nur dadurch ist die Begeisterung zu erklären, mit welcher die einlangenden deutschen Truppen begrüßt wurden. Die katholischen Südtiroler jubelten mit wohl wenigen Ausnahmen nicht der nationalsozialistischen Ideologie zu. Die Freude galt der Hoffnung, nun als Tiroler mit eigener Sprache und Kultur endgültig in der angestammten Heimat bleiben zu dürfen.
Nur rund ein Drittel der Ausgesiedelten konnte zurückkehren
Nach 1945 versuchte der italienische Präfekt De Angelis, ein Mann mit faschistischer Vergangenheit, auch die Aussiedlung der noch im Lande verbliebenen Optanten zu erreichen. Die Alliierten erlaubten dies aber nicht und im „Pariser Vertrag“ von 1946 wurde das Rückkehrrecht der bereits Ausgesiedelten vereinbart.
Rom verzögerte jedoch mit allen Kniffen und Tricks die Durchführung, so daß schließlich nur etwa 21.000 bis 22.000 bis zum Jahre 1952 wieder in die Heimat zurück kehrten. Das war nur rund ein Drittel der Ausgesiedelten. (Zahlen aus: Adolf Leidlmair: „Bevölkerung und Wirtschaft seit 1945“, in: Franz Huter (Hrsg.): „Südtirol – eine Frage des europäischen Gewissens“, Wien-München 1965, S. 564)
Welche Methoden dabei angewandt wurden, zeigte im Jahre 1949 die Beschlagnahme des Vermögens jener Deutschlandoptanten, denen Italien die Wiederverleihung der Staatsbürgerschaft verweigerte. Damit hoffte man weitere Rückwanderungswillige abzuschrecken.
Erst im Jahre 1951 gelang es dem „Dableiber“, Gamper-Vertrauten, ehemaligen KZ-Häftling und nunmehrigen Südtiroler Parlamentsabgeordneten Dr. Friedl Volgger, mithilfe einer von ihm organisierten alliierten Unterstützung die römische Regierung dazu zu zwingen, die Vermögensbeschlagnahme wieder aufzuheben.
Das Versöhnungswerk Gampers und das endgültige Scheitern des faschistischen Vernichtungsplans – Südtirols Freiheitskämpfer verhinderten 1961 den letzten Anschlag auf ihre Volksgruppe
Der groß angelegte faschistische Plan der Zerstörung und Auflösung der deutschen und ladinischen Volksgruppe war so gut wie gescheitert.
Kanonikus Gamper leitete nun das Versöhnungswerk zwischen „Dableibern“ und Optanten ein. Durch sein leuchtendes Beispiel der Nächstenliebe und Toleranz führten er und seine Freunde die Südtiroler nach Kriegsende wieder zu einer entschlossenen und handlungsfähigen Schicksalsgemeinschaft zusammen. Ohne diese Versöhnung wäre das Land nach 1945 ein willenloser Spielball der Fortführung der faschistischen Spaltungs- und Entnationalisierungspolitik geworden.
Ein letzter bedrohlicher Anschlag auf den Bestand der Südtiroler Volksgruppe fand am 6. Februar 1961 statt, als italienische Senatoren ein Ausbürgerungsgesetz im Senat in Rom einbrachten, welches ehemaligen Optanten die willkürliche Ausbürgerung und damit die Vertreibung über die Grenze auf rein administrativem Wege bringen hätte sollen.
Eine Durchführung dieses perfiden Plans hätte mit einem Schlag die rasche Herbeiführung einer italienischen Mehrheit im Lande ermöglicht.
Am 27. April 1961 wurde das Gesetz im Senat beschlossen, nun fehlte nur noch die Bestätigung durch die römische Abgeordnetenkammer.
In dieser Situation entschlossen sich die Südtiroler Freiheitskämpfer zu dem großen Schlag der Feuernacht, welcher die Aufmerksamkeit der Welt auf das ungelöste Problem Südtirol lenkte und das verbrecherische Vorhaben der Fortsetzung der faschistischen Aussiedlungspolitik endgültig auf den Müllhaufen der Geschichte beförderte. Es kam nie zur Bestätigung des Schandgesetzes durch die Abgeordnetenkammer, sondern stattdessen zur Aufnahme von Autonomieverhandlungen mit der Südtiroler Volkspartei.
An der römischen Heuchelei hat sich nichts geändert
Am Wochenende des 23. und 24. November 2019 weilte der italienische Staatspräsident Mattarella in Bozen und wurde von lokalen Politikern untertänig bejubelt. Über die aufgezwungene Option von 1939 und deren politische Behandlung nach 1945 wusste er Erstaunliches zu vermelden.
Am 25. November 2019 stand in der Südtiroler Tageszeitung „Dolomiten“ zu lesen:
„Sergio Mattarella hat als erstes italienisches Staatsoberhaupt in seiner Rede offen gesagt, dass den Südtirolern in der Geschichte mehrmals Unrecht angetan wurde. Mattarella hat aber auch sachlich darauf verwiesen, dass Italien nach dem Zweiten Weltkrieg das einzige Land in Europa war, das Flüchtlingen (den Optanten, also italienischen Bürgern, die freiwillig auf die italienische Staatsbürgerschaft verzichtet und die deutsche angenommen hatten) die Rückkehr in die Heimat mit Gewährung aller Bürgerrechte zugestand.“
Es hat sich an der römischen Heuchelei nichts geändert. Kein Mensch kann uns erzählen, dass dem politischen Beraterstab rund um den italienischen Staatspräsidenten nicht bekannt sei, dass den Optanten die Rückkehr mit allen möglichen Schikanen erschwert worden war und daher nur rund ein Drittel der Optanten wieder in die Heimat hatte zurückkehren können.
Erinnerung an einen der bedeutendsten Künstler Tirols: Heinrich Natter (1844 – 1892)
Auf dem Bergisel in Innsbruck erinnert ein großes Denkmal an den Tiroler Freiheitshelden Andreas Hofer, der hier vor 210 Jahren als Sieger aus einer bedeutenden Schlacht hervorging. Dieses Denkmal auf geschichtsträchtigem Boden ist seitdem Zeuge großer Versammlungen und großer Protestkundgebungen gewesen, die alle in Zusammenhang mit der nach wie vor ungelösten Südtirol-Frage standen und stehen.
Der Schöpfer dieses großartigen Denkmals ist jedoch weitgehend in Vergessenheit geraten und nur wenige Landsleute wissen, dass es sich bei ihm eine herausragende Persönlichkeit der österreichischen Kunstgeschichte handelt.
Sein Urenkel, Dr. Norbert Freiherr van Handel, hat dem SID dankenswerter Weise nachstehende Biographie seines Urgroßvaters zur Verfügung gestellt.
Über den Autor:
Dr. Norbert Freiherr van Handel (*6.4.1942) ist in Steinerkirchen (Oberösterreich) im Schloss Almegg zu Hause. Von Beruf ist er Unternehmer. Die Familie van Handel kam im 13. Jh. aus der Ortschaft Handel im holländischen Nordbrabant und stand bis 1806 im Dienste des Deutschen Ordens, zuletzt mit Sitz in Mergentheim.
In der Folge trat Paul Anton Freiherr von Handel, Ministerresident des deutschen Bundes in Frankfurt, in kaiserliche Dienste. Er und seine Nachfahren waren mit den Herrschaften Hagenau und Almegg erbliche Mitglieder des „ob der ennsischen Herren- und Ritterstandes“. Die Familie diente dem kaiserlichen Haus und Österreich in zahlreichen militärischen und politischen Funktionen. Sehr bekannte Persönlichkeiten der Familie sind vorzuweisen: u.a. die Autorin Enrica von Handel-Mazetti, der Schriftsteller Clemens Brentano, sowie der berühmte Bildhauer Heinrich Natter, Urgroßvater des Autors, dem der heutige Beitrag gilt. Auch als Buchautor ist Norbert van Handel zu erwähnen: „Doppelmord. Sommer 1914: Von Sarajewo bis zur Kriegserklärung“, erschienen im Eigenverlag.
2008 erfolgte durch Norbert van Handel eine Neugründung des „St. Georgs-Ritterordens“, dessen Großmeister Karl v. Habsburg und dessen stellvertretender Großmeister Georg v. Habsburg ist. Bekannte Politiker aus verschiedenen Parteien gehören diesem Orden an: Landeshauptmann a.D. Dr. Luis Durnwalder, Landeshauptmann a.D. Dr. Erwin Pröll, Landeshauptmann a.D. Dr. Josef Pühringer, Bundesminister a.D. Dipl.-Ing. Andrä Rupprechter, Landeshauptmann a.D. Univ. Prof. Dr. Franz Schausberger, Landeshauptmann a.D. Univ. Prof. DDr. Herwig van Staa, Landeshauptmann von Oberösterreich Mag. Thomas Stelzer, Bundesminister a.D. Dr. Werner Fasslabend, NR-Abg. Dr. Karlheinz Kopf, NR-Abg. Dr. Reinhold Lopatka, Bgm. Mag. Siegfried Nagl, Bundesminister a.D. Mag. Karl Schlögl, Bundesminister a.D. Dr. Harald Ofner, Vizekanzler a.D. Mag. Herbert Haupt, FPÖ-Bundesparteiobmann Ing. Norbert Hofer, Abg. Dr. Ursula Stenzel und viele andere mehr.
Dr. Norbert van Handel war Mitglied der ÖVP, wechselte jedoch vor kurzem zur FPÖ.
Der Tiroler Bildhauer Heinrich Natter (1844 – 1892)
von Dr. Norbert Freiherr van Handel
Als Heinrich Natter am 13. April 1892 starb, kam Gustav Klimt, der Natter besonders schätzte, gerade nach Wien von einer Auftragsreise zurück.
Er eilte direkt vom Bahnhof zu Natter, den er Meister nannte und entwarf das rührende Bildnis des dem Leben Entrissenen.
Mein Urgroßvater wurde nur 48 Jahre alt. Er war nicht nur der bedeutendste Tiroler Bildhauer, sondern auch einer der namhaftesten Vertreter seiner Zunft im Kaiserreich und in den umliegenden Ländern.
Wie viel er noch geschaffen hätte, weiß man nicht, wie das bei allen jung verstorbenen Künstlern der Fall ist. Da er aber bis zuletzt zahlreiche Pläne hatte, darf man wohl erwarten, dass der Kunstwelt vieles entgangen ist.
Sehr gut wird Natter von seinen Freunden nach seinem Tod beschrieben:
„Er konnte so recht von Herzen lachen und mit seiner echten Lustigkeit mitreißen. Manchmal ein heftiger Berserker, oft ein Kind, das auch in launigen Märchen und Legenden aus dem Stegreif seinen natürlichen Kindersinn kundgab. Andreas Hofer ist Natters eigenes Denkmal, so stämmig stand er selber da, so fest hielt er das Banner und mit so entschiedener Geste wies er auf sein Gebiet, die Kunst (das er beherrschte) hin“.
Familie und Kindheit
Die Familie Natter kam ursprünglich aus dem Schwabenland, wo sie sich bis ins 15. Jahrhundert zurückverfolgen lässt. 1629 ließ sie sich in Rietz im Oberinntal nieder.
Der Vater des Künstlers, Anton Natter, studierte Biologie und Medizin und wurde Gemeindearzt im Südtiroler Graun. Dort übte Dr. Natter über 40 Jahre seinen Beruf aus, (sein Ruf als tüchtiger Arzt hatte sich verbreitet und er wurde auch zu gefährlichen Operationen in die Schweiz berufen).
Nach achtjähriger Trauzeit heiratete er 1837 die Gerberstochter Maria Stanger – die Mutter unseres Künstlers Heinrich – der das dritte von fünf Kindern war und am 16. März 1844 zur Welt kam.
Schon drei Jahre später aber ereilte die Familie ein tragisches Geschick. Auf dem Rückweg von einem Kirchenbesuch stürzte Maria mit ihrem achtjährigen Sohn Josef in einen reißenden Bach und konnte nur noch tot geborgen werden.Die Kinder hatten ihr gute Mutter verloren – der Vater eine liebende Gattin.
Da die vier übriggebliebenen Kinder eine weibliche Hand benötigten, heiratete Dr. Natter ein zweites Mal. Auch seine zweite Frau bemühte sich, die temperamentvollen Kinder entsprechend zu erziehen, was sicher nicht ganz leicht war. „Ich tausche mit keinem wohlbehüteten Stadtkind meine freie, schöne Jugendzeit, die ich am Lande verlebt habe. Dort werden die Kinder manuell geschickt, man sieht oft Fünfjährige weiches Holz spalten. Sie lernen sich selbst helfen, werden findig, bekommen frühzeitig Selbstvertrauen.“, pflegte Heinrich Natter in Erinnerung an seine Jugend zu sagen.
Als Heinrich schulpflichtig wurde, wurde er in die Volksschule nach Rietz geschickt, wo er einen besseren Unterreicht als in Graun genießen konnte. Er besuchte später das Realgymnasium in Innsbruck.
Da der Schulerfolg nicht entsprach, beschloss Heinrich aus Angst vor der Strafe des Vaters durchzubrennen und begab sich mit seinem Bruder auf Wanderschaft, die sie bis nach Italien brachte. Endlich, nach zweimonatigem Herumziehen, sahen sich die Knaben gezwungen, heimzukehren, denn der jüngere Bruder Natters, Eduard, war erkrankt. Die Aufnahme des Vaters war liebevoll, obwohl die Buben eine harte Strafe fürchteten.
Lehrjahre
Jetzt schon zeigte Heinrich eine auffallende Geschicklichkeit beim Schnitzen, sodass er für fünf Jahre in die Lehre zum Steinmetz und Bildhauer Pendel in Meran gegeben wurde.
(Sein Bruder Eduard, mit dem er von der Schule ausgerissen war, wanderte nach Mexiko aus, wo er unter Kaiser Maximilian am Bürgerkrieg teilnahm und seitdem verschollen blieb.)
Heinrich zeigte sich sehr talentiert und renovierte vorerst vor allem Kapellen, schnitzte Heiligenfiguren und bewegte sich immer häufiger in höheren Kreisen.
Wir hören von Vladimir von Rilsky, einem jungen polnischen Aristokraten oder von Romet von Atzwang aus einer alten Tiroler Adelsfamilie mit hübschen jungen Töchtern, die Heinrich verehrte. Das Verhältnis zu seinem Lehrherren Pendel wurde aber immer schlechter und Heinrich sehnte das Ende der Lehrzeit herbei. Es war ihm klar geworden, dass nur ein richtiges Kunststudium seine Talente entfalten konnte.
Natter zog es an die Akademie nach München. Dort angekommen wurde der 19-Jährige zwar aufgenommen, gleichzeitig wurde ihm aber bedeutet, dass ihm eine gediegene Vorbildung im Zeichnen fehle. Diese Ausbildung holte er an der Polytechnischen Schule in Augsburg nach.
Gleichzeitig verdiente er aber durch Holzschnitzarbeiten, die ihm sein polnischer Freund Vladimir von Rilsky vermittelte – ein lateinisches Kreuz wurde sogar als Geschenk an den Bischof von Lemberg gesandt. Auch der Bischof von Augsburg kaufte einen Christus am Kreuz und auch profane Werke fanden ihre Abnehmer.
Im Frühjahr 1864 kehrte Natter nach München zurück, erkrankte aber an einem schweren Hungertyphus, wie man damals sagte, und schwebte zeitweise zwischen Leben und Tod. Um sich gänzlich zu erholen reiste er in seine Heimat, verweilte bei seinen Freunden Atzwang in Meran und besuchte seine Schwester Agnes in Riva, die kürzlich den Oberstleutnant Heinrich Seidl geheiratet hatte.
In die Akademie nach München, damals unter der Leitung Wilhelm von Kaulbachs, zurückgekehrt, lernte Natter auch Moritz von Schwind kennen. In Ferienzeiten fand Natter, nun Akademiker, im Kloster Pfaffenhofen in Tirol Beschäftigung. Pater Lener, der dem Kloster vorstand, ließ große Schnitzwerke von ihm ausführen und entlohnte ihn reichlich.
Durch die Freigiebigkeit des Paters kam schließlich ein ansehnliches Sümmchen zustande und Natter beschloss, nach Venedig zu gehen. Doch dort ging ihm bald das Geld aus und die Rettung war das Zusammentreffen mit dem Engländer Josef Geldart. Geldart war Maler und beschäftigte sich vor allem mit den Geheimnissen der Farben der großen Italiener des 16. Jahrhunderts.
Die Begegnung mit Geldart vertraute Natter später seinem Freund, dem bekannten Kunstkritiker Ludwig Speidel an, ebenso wie ein märchenhaftes Jugenderlebnis das Natter lebenslang begleitete:
Er, Natter, sei einmal, so berichtet Speidel, wie es Landessitte in Tirol ist, an einem Sonntag mit einer Speckschwarte und einem Stück Brot in den Wald gegangen und habe an einer Quelle, die den Trunk bot, mit anderen jungen Leuten seinen Imbiss verzehrt. Auf einmal hörte er einen fremden Vogel singen, der sich immer tiefer in den Wald verzog. Er sei ihm neugierig nachgegangen und endlich sei der große, bunt befiederte Vogel, den er nachmals vergeblich in der Naturgeschichte gesucht habe, auf einer Buche sitzen geblieben und habe ihm gar wunderliche Dinge zugesungen. ‚Merk auf, Heini’, habe er ihm zugerufen, ‚Was ich dir sage: In zehn Jahren werde ich silberne Eier legen und wieder in zehn Jahren goldene. Wenn du nicht dumm bist, so wirst du sie finden.’ Und damit sei der Vogel verschwunden. „Natter“, so Speidel, „meinte, dass alles eingetroffen sei. Nach zehn Jahren verweilte er als armer Handwerksbursche in Venedig. Ein fremder Mann, ein Engländer, habe sich seiner aus eigenem Antrieb hilfreich angenommen. Nach wieder zehn Jahren aber habe er in München seine Existenz als Mann und Künstler begründet.“
Kunstreisen
Die Zeit nach 1866, also nach der Niederlage von Königgrätz, war der Anfang der längsten Friedensepoche der Monarchie. Man kann vielleicht von einem zweiten Biedermeier oder auch von einer zweiten Romantik sprechen, die vor allem sensible künstlerische Menschen in ihren Bann zog.
Im Krieg gegen Italien, 1866, wurde Natter dem Tiroler Jägerregiment zugeteilt, wo er sich sehr tapfer verhalten haben muss, denn ihm wurde die Tapferkeitsmedaille verliehen.
Natter arbeitete nun rastlos. Er ging nach Florenz und fand rasch Zutritt zur künstlerischen Gesellschaft der Hauptstadt der Toskana, wo er neben vielen anderen auch den großen Architekten Gottfried Semper – den Erbauer der Semperoper in Dresden – kennen lernte.
Nach Florenz ging Natter nach Rom, um die Wunderwerke der bildenden Kunst in der italienischen Hauptstadt zu studieren. Ständig stand der junge Tiroler mit seinem Vater in Kontakt, der einmal resigniert schrieb:
„Es ist mir unendlich leid, dass ich Dich wieder ohne Hilfe in der weiten Welt wissen muss.“
Und mit leisem Humor ergänzte er:
„Indessen bist Du mit den Launen der Fortuna so gut bekannt und daher kommt es, dass Du Dich in alle Lagen schicken kannst.“
Erste Erfolge 1868-1874
Im Herbst 1868 begab sich Natter wieder nach München. Viele Freunde waren bemüht, den jungen Künstler – Natter war 24 Jahre alt – zu fördern.
In kürzester Zeit hatte Natter einen Freundeskreis, worunter nicht nur Richard Wagner, Franz Liszt oder Richard Nietzsche, sondern auch Herzog Max in Bayern, der Vater der Kaiserin Elisabeth von Österreich, waren.
Mit Max von Bayern pflegte er regelmäßig an bestimmten Abenden in einem Trio die Flöte zu blasen. Die Aufträge des jungen Bildhauers mehrten sich rasch. Im Erdgeschoss des Münchner Kunstvereins fand er ein passendes Atelier, wo Werk um Werk entstand.
Portraits wechselten sich mit Fantasiegestalten, Ernstes sich mit Heiterem ab. Immer freier wurde der Künstler in seiner Manier, immer größer in seiner Auffassung. Mit der Büste der Pianistin Sophie Menter zeigte er erstmalig sein vollendetes Können im Portraitfach.
In kürzester Zeit fand sich sein Atelier im Mittelpunkt der öffentlichen Anerkennung. Auch Prinz Luitpold versäumte es nie, dem Künstler – übrigens auch später in Wien – die Ehre seines Besuches zu schenken.
Es war die Zeit, in der die Verherrlichung des Deutschtums nach dem Tag von Sedan von der allgemeinen Stimmung getragen wurde. Wagners Ring der Nibelungen beschäftigte die Menschen und Natter beschäftigte sich mit den germanischen Heldensagen. Er erfüllte sich seinen größten Wunsch, eine Kollosalfigur des Wotans im Kehlheimer Marmor auszuführen, die im Jahr 1873 nach Wien in die Weltausstellung geschickt wurde.
Zahlreiche Portraitbüsten entstanden. Für den plastischen Schmuck von Gebäuden modellierte Natter Karyatiden, dekorative Kollosalbüsten. Die zahlreichen Aufträge aus Deutschland und der österreich-ungarischen Monarchie machten aus Natter einen fahrenden Bildhauer:
In Wien, in Prag, in Leipzig, in Darmstadt, in Frankfurt und in zahlreichen anderen Orten hatte er Bestellungen erhalten. Anlässlich einer sommerlichen Rast in Graun modellierte er das rührende Bild seines Vaters.
Natter arbeitete mit unglaublicher Schnelligkeit. Damals war er noch lebensstark, schuf gewaltig, trank gewaltig und genoss das Leben.
Wotan stellte er in düsterer, protziger Kraft als Urgott der Deutschen dar. Den Flügelhelm auf dem gesenkten Haupte blickt er finsteren Auges aus dem bartumhüllten Antlitz.
Familiengründung
Es war nun die Zeit gekommen, wo Natter ernstlich daran dachte, seinem unsteten Künstlerleben ein Ende zu bereiten und eine eigene Familie zu gründen. Seine Wahl fiel auf Ottilie Porges die junge Witwe, geb. Hirschl, die aus einem künstlerischen Haus stammte, in dem Natter nicht nur häufig verkehrte, sondern das auch von Anfang an in Natter den gottbegnadeten Künstler sah, der wie ein Wirbelwind durch die damals so lebendige Kunstgesellschaft stürmte.
Natters zukünftige Frau beschreibt in der Sprache der damaligen Zeit berührend, wie sie den Vater des Künstlers, Dr. Anton Natter, kennenlernte. Lassen wir sie in eigenen Worten sprechen:
„Wir verabredeten ein Zusammentreffen in Martinsbruck, nebst der Heimat meines Verlobten. Heinrich und ich langten vor dem Vater dort ein. Um dem alten Herren ein Stück entgegen zu gehen, stiegen wir die steilen Windungen der Poststraße hinan. An einer Biegung des Weges kam ein Landwägelchen zum Vorschein. Sogleich erkannte ich den Vater an seinem breiten, von weißen Haaren und Bart umrahmten Gesicht. Er lenkte selbst sein berüchtigtes Maultier, und ihm zur Seite saß sein Freund, der hagere Bürgermeister von Graun, in seiner bäuerlichen Kleidung. Das gemütlich trabende ‚Muli’ wollte bei unserer Begegnung nicht halt machen. Es sträubte sich, schlug aus, versuchte Ansätze zu einem Galopp, bis Heinrich ihm in die Zügel fiel und es anhielt. Der Starrsinn des ‚Muli’ gab der Förmlichkeit unserer ersten Begegnung eine humorvolle Wendung. Das Bild, das ich mir vom Vater gemacht hatte, wurde durch ihn selbst weit übertroffen. Eine patriarchalische Vornehmheit und eine herzliche Güte lagen in dem strammen, selbstbewussten Wesen des ehrwürdigen Mannes. In wohlgesetzten Worten sprach er seine heimische Mundart. Er beglückte mich mit seiner ganzen väterlichen Liebe, wodurch der Herzensbund zischen Heinrich und mir erst seine Weihe erhielt.“
Nicht so leicht war, die Einwilligung der Eltern der Braut zu erhalten. Der Vater, Moritz Hirschl, ein erfolgreicher Industrieller, hielt an hergebrachten Anschauungen fest, die nicht leicht zu erschüttern waren. Die entscheidende Auseinandersetzung zwischen ihm und Heinrich fand in Salzburg statt. Es war eine harte Werbung. Schließlich gelang es Natter aber, den besorgten Vater durch den Ernst seines Auftretens für sich einzunehmen – nach einer vierstündigen Unterredung hatten sich die beiden geeinigt. Nicht so leicht war es bei der Mutter: Sie konnte nicht an das Glück ihres Kindes an der Seite eines Künstlers glauben. Schließlich gab sie aber kurz vor der Heirat, die am 17. Oktober 1874 in Wien stattfand, ihre Zustimmung.
Professor Caspar Zumbusch, von dem wir noch hören werden, war der Trauzeuge Natters. Gleich nach der Vermählung fuhr das junge Ehepaar nach München und Natter stürzte sich wieder in die Arbeit. Die Natters führten ein offenes Haus und zahlreiche Künstler und Freunde nahmen gerne ihre nie versiegende Gastfreundschaft an.
Oft saßen die Freunde bis spät in die Nacht bei einem Krug Tiroler Rotwein zusammen, deklamierten Gedichte, wobei vor allem das „Trinklied eines fahrendes Landsknechtes“ mit dem Refrain „Herr Wirt noch eine Kanne, noch eine Kanne her“ den Höhepunkt bildete, wenn der Humor bereits in eine bacchantische Stimmung übergegangen war.
Fast mit allen bedeutenden Künstlern seiner Zeit, vor allem auch mit Franz Defregger und Franz Lenbach, verband Natter eine tiefe Freundschaft.
Aus Wien erreichte Natter erstmals die Nachricht, dass man für ein Standbild Walthers von der Vogelweide sammelte. Alte Dichtungen der Minnesänger Zeit wollte man neu aufleben lassen. Gleichzeitig arbeitete Natter an einem Siegfried-Denkmal.
Immer mehr wandte sich Natter aber Wien zu, das damals glänzende Hauptstadt, nicht nur eines großen Reiches, sondern auch eines Mekkas der Kunst war. Sein Schwiegervater stellte ihm in Aussicht, ein passendes Atelier zu bauen, in dem seine Schaffenskraft entsprechend zur Geltung kommen würde. Auch Gmunden, wo seine Schwiegereltern eine Villa hatten, besuchte Natter oft.
Neben dem kunstsinnigen Anton Sartori knüpfte der Künstler vor allem mit Graf und Gräfin Prokesch-Osten und dem Hofschauspieler La-Roche weitere Beziehungen an. Kurze Zeit später wurde La-Roche von ihm modelliert.
Haydndenkmal
Nachdem Natter seinen Wohnsitz nach Wien verlegt hatte, dauerte es einige Zeit, bis er dort wirklich Fuß fasste. Die ungezwungene Geselligkeit in der Kaiserstadt sagte seinem frischen Temperament zu. Auch sein alter Vater reiste von Tirol an und wohnte bei ihm. Mit dem Komponisten Karl Goldmark, der zu der Zeit in Fusch im Glocknergebiet wohnte, verband ihn eine herzliche Freundschaft, die in dessen Portrait zum Ausdruck kam.
Goldmark liebte die Einsamkeit, nannte sich „Der Alte vom Berge“ und gesellte sich nur hie und da zu seinen Freunden, die ihn besuchen kamen.
Nun stellte Natter auch das schon in München vorbereitete Siegfried-Denkmal fertig, das später im Parke des Fürsten Wilhelm von Hanau, des Sohnes des letzten Kurfürsten Friedrich Wilhelm I. von Kassel, seinen Platz fand.
Am wichtigsten aber war in jenen Tagen, dass sich ein Haydnkomitee bildete und man Natter um eine Skizze für ein mögliches Denkmal bat. Vorbild war ein Wachsminiaturenbildnis, vor dem Haydn selbst im Jahre 1803 gesessen hat und das sich noch in Familienbesitz befindet. Natter gelang es auch, die Totenmaske des großen Komponisten ausfindig zu machen, die im Privatbesitz der berühmten Tänzerin Fanny Elßler war.
Als Fanny Elßler erfuhr, dass Natter sich die Maske ausgeborgt hatte, schrieb ihre Nichte sehr höflich unter anderem:
„Meiner Tante wäre es deshalb sehr angenehm, wenn Herr Natter ihr das Vergnügen seines Besuches geben wollte. Freitag und Sonntag ist sie von 11 bis 3 Uhr immer zu sprechen. Herr Natter würde ihr dann am besten sagen können, wann und ob sie sein Atelier besuchen könnte.“
Man kann sich vorstellen, mit welcher Freude der Künstler Fanny Elßler besuchte, die schon zu Lebzeiten eine Legende war.
Natters Entwurf fand in allen Punkten die Zustimmung des Haydnkomitees, das sich um die Finanzierung bemüht hatte, sodass es dem Künstler zur Ausführung übergeben wurde. Seine künstlerische Stellung in Wien endgültig war endgültig gefestigt.
Fürst Bismarck
Nun häuften sich die Anfragen für Aufträge. Von einem Freund im Rheinland kam die Anfrage, ob Natter eine Bismarck-Büste modellieren könnte.
Er begab sich nach Berlin und berichtete: „Berlin ist teuer, hat lange nicht den fröhlichen, heiteren Charakter von unserem Wien. Gewaltige, großartige Bauten, herrliche Architekturen, festliche Frauen und brummige Herren, sehr schmutzige Gassen. Umgebung gräulich. Plätze herrlich, Auslagen geschmackvoll“.
Und über Bismarck: „Den Allgewaltigen habe ich heute morgens 9 ¼ Uhr gut und deutlich gesehen, auch später noch durchs Fenster, wo er mit dem Kaiser sprach, die beiden nebeneinander; Hinter ihnen eine Menge hoher Militärs, gewaltige und großartige Menschen. Hier sind die meisten Menschen um zwei Köpfe höher als unser österreichischer Schlag, ich habe großen Respekt vor diesem Militär. Die armen Franzosen, die solche Fäuste spüren mussten!“
Es war aber nicht leicht für Natter, Bismarck persönlich zu treffen. Hören wir ihn selbst:
„Es ist vollbracht, ich bin gestern im Abgeordnetenhaus dem Bismarck vorgestellt worden, und konnte ihn durch volle vier Stunden studieren. Er war sehr erregt, hat mich aber sehr freundlich, soweit es seine Zeit erlaubte, gesprochen. Und er hielt eine prachtvolle Rede. Grandios! ‚Herr Natter’, sagte der Gewaltige zu mir, ‚Genieren Sie sich nicht, schauen Sie mich nur gut an. Aber ich muss arbeiten.’“
Nach Wien zurückgekehrt überließ sich der Künstler temperamentvoll und freudig seinen zwei schönen Aufträgen, der Bismarck-Büste und der endgültigen Ausführung der Haydn-Statue, die 1887 fertig gestellt wurde und heute noch an ihrem ursprünglichen Platz an der Mariahilfer Straße bewundert werden kann.
Immer wieder zog es Natter im Sommer, als die Stadt zu heiß wurde, nach Tirol. Heitere Gesellschaften, lokale Feste, Jagden, führten Natter in das Milieu seiner Heimat zurück, mit der er im Grunde genommen immer, so sehr er auch Weltmann geworden war, vom Herzen her verbunden war.
Erzherzog Franz Karl
In Wien kam Fürst Hohenlohe, der Obersthofmeister des Kaisers, auf Natter zu, der eine Büste des Erzherzogs Franz Karl in Marmor als Geschenk für Kaiser Franz Joseph ausführen sollte. Das Portrait gelang vorzüglich. Der liebe, gütige Gesichtsausdruck war von sprechender Ähnlichkeit und besonders gut getroffen.
Ottilie, die Frau des Künstlers, erinnerte sich an den Erzherzog, „wenn er im Prater langsam daher schritt oder im großen, goldgelben Glaswagen mit den sechs Schimmeln und dem Vorreiter die Praterstraße entlang fuhr und mit unbedecktem Haupte immerfort grüßend, seinen Wienern freundlich zunickte.“
Ottilie Natter erinnerte sich vor allem auch an eine lange zurückliegende Begegnung mit dem Erzherzog, der sie als Kind einmal im Prater liebreich ansprach: „Du sollst nicht gegen den Wind laufen“, sagte er, „sonst kriegst an Husten, Mäderl.“
Nun kam es aber zur großen Enttäuschung: Die Frühlingsausstellung im Künstlerhaus sollte die Büste des Erzherzog Franz Karl an einem günstigen Platz präsentieren. Der Obmann der Ausstellung, Professor Zumbusch – obwohl sein Trauzeuge – der eifersüchtig auf Natter war, veranlasste jedoch, dass vor dem Rundgang des Kaisers die Werke Natters weggeschafft wurden. Natters offener, fröhlicher Charakter war den Intrigen des Künstlerlebens in Wien schutzlos ausgeliefert.
Zwingli Denkmal in Zürich
Eines der bedeutendsten künstlerischen Ereignisse im Leben Natters sollte die Ausschreibung eines Zwingli-Denkmals in Zürich werden. 41 Künstler reichten ihre Entwürfe ein. Natter schrieb: „Es wäre unter solchen Verhältnissen vermessen, anzunehmen, dass ich gewinnen würde.“
Am 15. Juni 1882 erreichte ihn, der gerade in Gmunden weilte, die telegraphische Nachricht eines Freundes: „Du hast den ersten Preis!“
Seine Frau Ottilie schreibt: „Ich vergesse den Augenblick nie, als ich meinem Gatten, der gerade in unser Höfchen trat, das Telegramm mit den Worten übergab: ‚Heinrich, du hast den ersten Preis.’ Bleich wie eine Statue bleib er stehen, nahm den Hut ab, feierlich wie zum Gebete: ‚Gott sei Dank’, bracht er mit gepresster, tiefer Stimme hervor und Tränen rollten über seine Wangen.“
Die Plätze nach Natter wurden vom Erzgießer und Bildhauer Ferdinand von Miller junior aus München und dem Schweizer Bildhauer Ferdinand Schlöth, die Natter aus Rom kannte, besetzt. Diese drei Künstler wurden nun vom Zürcher Auswahlkomitee, das noch einige Änderungswünsche hatte, für die endgültige Errichtung des Denkmals in Aussicht genommen.
Natter reiste mit etwas modifizierten Skizzen nach Zürich, wo der als zweiter in die engere Auswahl Einbezogene, der Schweizer Bildhauer Ferdinand Schlöth, einen neuen Vorschlag für das Monument vorgelegt hatte. Natter meinte „Nun habe ich meinen Gegner gesehen, die Statue des Herrn Schlöth, und finde diese durchaus nicht schön und noch weniger bedeutend.“
Auch das Zwingli-Komitee war dieser Meinung „Ihre Statue hat einstimmig gesiegt, kommen Sie beförderlichst hier her.“
Natter reiste also froh gestimmt mit seiner Frau wieder nach Zürich, wurde dort festlich empfangen, der Vertrag wurde sofort geschlossen: Er war kurz, klar und vorteilhaft.
Am 27. August 1885 fand mit großen geistlichen und weltlichen Feiern die Enthüllung des Zwingli Denkmals in Zürich statt.
Das Zwingli Komitee schrieb an Natter: „Ihnen war es gegeben ein Meisterwerk zu schaffen, das allen unseren Intentionen den schönsten und würdigsten Ausdruck gab. Ihre Zwingli Statur, das erste große Denkmal, das in Zürich errichtet worden ist, bildet nicht nur einen herrlichen Schmuck unserer Stadt, sondern es ist auch bereits die Freude aller Zürcher geworden. Ihr Name aber wird mit dem Denkmal unzertrennlich verbunden bleiben.“
Im Atelier
Immer mehr Prominente des Wiener Kunstlebens, darunter vor allem auch Gustav Klimt, schlossen sich dem Freundeskreis um Natter an.
Der berühmte und gefürchtete Kritiker Gottlieb Speidel, der Natter besonders schätzte und ihn oft besuchte, schilderte später: „Von beiden Seiten des Weges zu Natters Atelier rüsten üppige Ranken wilden Weins. Und vor die Schwelle des bescheidenen Gebäudes kam mir der kaum mittelgroße, stämmige Hausherr, das Schurzfell um die Lenden und die Hände vor Lehm starrend, mit freundlicher Mine entgegen. Wie er nur lacht und aus dem dunklen Vollbart ein Mund voll herrlicher Zähne hervorblickt! Mit solchem Sonnenschein betritt man die Werkstatt, die nicht zum Prunke, sondern zur Arbeit geschaffen ist.“
Die germanische Zeit
Ein Auftraggeber, der begeisterter Anhänger von Richard Wagner war, ließ Natters Fantasie über die heidnische Götterwelt Hand in Hand mit seinem christlichen Glauben wachsen.
Einerseits war es der wälderdurchschreitende finstere Kraftgott Thor, andererseits ein berührender Christus, mit denen Natter sich nun beschäftigte.
Christus – Zwingli – Thor, welche Kombination!
Zwischen seinen Arbeiten erholte sich Natter auch immer wieder in Tirol und besuchte regelmäßig den alten Vater.
Kaiserlicher Besuch
Nach Fertigstellung des Haydndenkmals besuchte Kaiser Franz Josef das Atelier Natters, was mit einem Schlag den Ruf des großen Künstlers in Wien begründete. Dem Beispiel des Monarchen folgten auch die Erzherzöge und Persönlichkeiten aus allen Schichten der Bevölkerung.
In hellen Scharen zogen die Wiener herbei, um Natters Werke zu sehen. Im großen Saal trafen sich alle: aus dunklem Erz, in schlichtem Priestergewande, hoch aufgerichtet der Reformator Ulrich Zwingli, nicht weit von ihm, in glänzend weißem Marmor Josef Haydn, neben diesen beiden sah man Siegfried aus rauem Stein gebildet, auf seinem erschlagenem Lindwurm sitzen.
Fremdartig wirkten Gott Wodan, der finster dahinstürmende Gott Thor und die drei furchterregenden Gestalten. Die Büste des gütigen alten Kaiservaters Erzherzog Franz Karl, mit seinem freundlichen Lächeln, ergänzte die des gefeierten Burgtheater Schauspielers La Roche. Aus allen Ecken des Ateliers lachten liebliche Genre Köpfe, Bachanten, Faune, Nymphen dem Besucher entgegen.
Walter von der Vogelweide
Nun konzentrierte sich Natter vor allem auf das Walter Denkmal. Seine Frau Ottilie schreibt:
„Walter von der Vogelweide, der in Österreich Singen und Sagen gelernt, der Dichterfürst, sollte Wacht halten an der Grenze der Südmark, dort, wo die weingesegneten Gefilde Südtirols das Auge erfreuen, wo stolze Burgen steile Höhen krönen, welche ja die Wiege so mancher Minnesänger bargen“.
Seit 1875 bemühten sich die Bozner um das Denkmal. Der vaterländische Germanist Ignaz Zingerle, Professor in Innsbruck, aber auch Professor Julius von Ficker unterstützten mit warmen Worten die Bemühungen.
Sieben verschiedene Gesangvereine vom Süden bis zum Norden sammelten für das nationale Unternehmen. Bozens deutsche Frauen riefen ihre Schwestern in allen deutschen Gauen zur Beteiligung auf. Und auch in der Kaiserstadt Wien verpflanzte sich die Bewegung, welche von hervorragenden Männern Wiens getragen wurde. Der Obmann des Bozner Walter Komitees, Dr. G. von Kofler, war einer der treibenden Kräfte.
Natter verstand Walter als Boten seines Volkes zur Zeit des beginnenden Verfalls der Hohenstauffen. Die Sammlungen für das Denkmal wurden von Männern, wie Ludwig Anzengruber, Johannes Brahms, Felix Dahn, Franz von Defregger, Peter Rosegger und vielen anderen unterstützt.
Bei der endgültigen Entscheidung des Komitees war Natter an vielen Fronten tätig. Besonders die beiden Welfen Figuren Heinrich der Löwe und Ernst August, das Schloss des Herzog Ernst August von Cumberland in Gmunden, so wie die Porträtstatuen Laube und Dingelstädt für das Wiener Burgtheater beschäftigten ihn.
Nachdem er den endgültigen Auftrag zur Errichtung des Walter Denkmals erhalten hatte, begab er sich, wohl um seine Gedanken für das Monument zu sortieren, nach Prag, Weimar, Dresden und Berlin, um mit erneuter Kraft im Atelier tätig zu werden.
Das, was ihn bei Walter so beschäftigte war, dass ihn die starre Darstellung des Sängers des 13. Jahrhunderts, die er in alten Holzschnitten im Münchner und Nürnberger Nationalmuseum gesehen hatte, nicht befriedigten. Er wollte Lebenswahres, Individuelles finden, bemühte sich Walter zu einer einheitlichen, lebensnahen Charaktererscheinung zu verwirklichen. Es war ihm gelungen.
Kein Lob freute ihn mehr, als die Worte des großen deutschen Hermann Grimm, der meinte:
„einfacher kann ein blühender männlicher Mann nicht hingestellt werden. Die Echtheit einer Persönlichkeit ist dem Steinbilde aufgeprägt.“
Inzwischen fand endlich auch die Enthüllung des Haydn Denkmals am 31. Mai 1887 in Gegenwart des Kaisers, des Kronprinzen Rudolf, einiger Erzherzöge und anderer hoher Persönlichkeiten statt.
Nach einer bewegenden Feier verlieh der Kaiser dem Künstler den Franz Josef Orden. Eine Ehre, die nur selten Künstlern widerfahren war. Wichtig war es Natter gewesen, dass Haydn an einer der stärksten Verkehrsadern der Stadt stand, weil dies trefflich zu einem Manne „der aus dem Schoße des Volkes hervorgegangen und der volkstümlichsten Tonkünstler unter unseren Klassikern ist“ passte.
Kaiser Franz Josef empfing Natter zu einer Privataudienz und meinte: „So oft ich nach Schönbrunn fahre, werde ich das Haydn Monument mit Vergnügen sehen“. Haydn hatte ja auch die österreichische Volkshymne geschrieben „Ein Lied, das so stark ist, wie unsere bewaffnete Macht“, schrieb die Neue Freie Presse.
Andreas Hofer – ein Höhepunkt in Natters Schaffens
Natter war international berühmt geworden. Nicht nur Bozen, sondern auch Innsbruck wollte nun ein Werk des Künstlers und wer wäre da eher in Frage gekommen, als der Volksheld Andreas Hofer?
Das Andreas Hofer Komitee hatte 25 Millionen Gulden gesammelt und schrieb unter anderem an Natter: „Es ist begreiflich, dass das Komitee hiebey in erster Linie an Euer Wohlgeboren, als den hervorragendsten Meister plastischer Kunst und zugleich opferwilligsten Landsmann gedacht hat, daher das selbe durch den ergebenst Unterzeichneten sich die höfliche Anfrage erlaubt, ob Euer Wohlgeboren überhaupt geneigt wären, diesem vaterländischen Unternehmen, wenn auch für dasselbe keine glänzenden Mittel zu Gebote stehen, den Stempel Ihrer und außer der Heimath gepriesenen Kunst aufzudrücken.“
Der einfache Mann aus Tirol wurde nun mit „Euer Wohlgeboren“ angeredet, was wohl nicht nur aus der Höflichkeit der Zeit zu verstehen war, sondern vor allem auch, weil man wusste, dass die Gunst des Kaisers dem Künstler galt. Das Schreiben des Komitees war von Karl Adam, dem Altbürgermeister unterschrieben.
Natter stand am Höhepunkt seines Lebens und dennoch rief er mitten in sprudelnden Tätigkeiten aus:
„Meine Jahre sind gezählt!“.
In der Tat, nur fünf Jahre waren im noch vergönnt, nur drei davon in voller Lebenskraft. Aber auch damals schon und je größer der Ruf des Künstlers wurde, versammelten sich seine Gegner.
Als bekannt wurde, Natter solle den Andreas Hofer zur Ausführung erhalten, brauste ein böser Sturm auf. Sogar als abtrünniger Sohn seiner Kirche wurde er angegriffen; hatten ja schon im Jahr 1884 die öffentlichen Worte: „Das Zwingli Denkmal von einem Tiroler“ das Zeichen dazu gegeben. „Ein Heer von Feinden trat auf den Kampfplatz. Seine Kunst wurde herabgesetzt, seine Ehre verletzt, die Familie nicht geschont“, schreibt seine Gattin.
Diese Anfeindungen führten wohl auch dazu, dass die erste schwere Krankheit den Künstler überfiel und ihn an den Rand des Grabes brachte. Die Kraftnatur siegte, doch das Herz blieb geschwächt.
Andreas Hofer blieb sein letztes Werk, sein Vermächtnis war in Bronzeguss vollendet, sodass das Monument ganz im Sinne des Meisters errichtet werden konnte.
Um die Persönlichkeit Andreas Hofers näher zu erforschen, traf sich Natter mit einem der letzten Überlebenden, die den Wirt in Passeier noch persönlich kannten, der Josef Schwarz hieß und als „Steiner-Josele“ bekannt war.
Natter begab sich bei strömendem Regen auf fast ungangbaren Wegen zum Gasthaus „Zum Sand“, dem Geburtshaus Hofers. Der damalige Wirt, ein entfernter Verwandter Hofers, verwies ihn zum Steiner-Josele, der eineinhalb Gehstunden entfernt in der Ortschaft Walten wohnte.
Er war schon 96, aber immer noch in seiner Landwirtschaft tätig. Das Gespräch ging bald zurück in die Zeit von 1809. Lebendig wusste der alte Mann zu erzählen von der Aufregung, vom Zusammenhalten im ganzen Tale, dann von den Kämpfen und dem darauffolgenden Elend.
„War der Hofer ein großer Mann?“, fragte Natter. „Ja, sell woll, dös war a starker Mann; solchene san im Tal wenig gwochsn.“
„Habt Ihr oft mit ihm verkehrt?“, fragte Natter. „O ja, wie oft hon i die Staffetn übern Jaufn noch Sterzing trogn. I wor a flinker Bua, wie i nu jung gwesn bin und hon so viel guat laffn konnt. Do hobns ollwei mi gschickt.“ Erzählte er weiter. „Seppele, geh nu gschwind und loss di net dawischn. Hot da Hofer gsogt. Gib des Papier beim Wirt in Sterzing ab und wenn si dir wos mitgebn, kimmst wieda boid zruck. Einmoi hot er mir an Sübazwanzga geschenk, den hon i heit nu.“
Natter berichtet weiter: „Ich erfuhr weiter vom Josele Auskunft über die Kleidung Hofers und Farbe derselben; Am liebsten is er in Hemsärmeln gwesn, der Hofer, meinte Josele.
Das Gedächtnis von Josele war ausgezeichnet. Auf viele Kleinigkeiten und Eigentümlichkeiten erinnert er sich und ich habe Manches von ihm erfahren, wofür ich heute noch dankbar bin. Plötzlich erhob sich der alte Mann ‚Jetzt muss i zur Orbeit‘ sagte er.
Ich merkte wohl, dasses sein Ernst war und fragte noch schnell: ‚Es muss wohl ein trauriger Tag gwesn sein, an dem man Hofer gefesselt aus dem Tal schleppte‘.
‚Jo Herr‘, entgegnete Josele, ‚Dos wor woi da loadetste Tog in mein Leben.‘“
Natter drückte ihm ein paar Silbergulden in die Hand, die er nicht annehmen wollte: „‘Füa wos gebt ihr mirs Göd?‘ fragte er. Ich erwiderte, dass er Zeit verloren habe und die möchte ich ihm vergüten. So nahm er das Geld und behielt es in der Hand. Sein letztes Wort war: ‚Gelobt sei Jesus Christus.‘ Er griff auf der Türschwelle noch in den Weihbrunn und verschwand“.
Natter arbeitete immer an verschiedensten Kunstwerken zugleich.
In dieser Zeit erhielt er auch eine Einladung des Fürsten Wilhelm von Hanau, mit dem er eine fröhliche Wagenfahrt durch das Salzburgische bis nach Tirol hinein machte.
Auch eine Bergwanderung machte er mit dem Fürsten, bei der er Bergknappen begegnete, die einen eben gebrochenen großen schönen Kristall herab trugen, den er erwarb und im Denkmal „Gnom mit dem Kristall“ einbaute, das heute am Beginn der Esplanade in Gmunden steht.
Im Sommer 1888 mietete sich Natter am Achensee das einsame sogenannte „Fischerhaus“. Auch dort fand er nicht die Ruhe, die er brauchte und viele Freunde besuchten ihn. Vor allem suchte Fürst Wilhelm von Hanau des Meisters Nähe. Er hatte sich in der Nachbarschaft eingemietet.
Erst im Herbst 1888 erhielt Natter den endgültigen Auftrag, der durch zahlreiche Intrigen in Tirol und Wien verschleppt worden war, um das Andreas Hofer Denkmal zu errichten. Aber auch das Walter Denkmal war noch nicht fertig. Im Frühjahr 1889 besprach Natter mit dem Architekten Hieser die Walter Postamentarbeiten in Südtirol.
Danach meldete sich wieder Fürst Hanau, berief ihn auf seinen Besitz nach Horowitz, um ihm eine Reihe von Aufträgen zu übergeben: „Erstens ein überlebensgroßes Standbild des Kurfürsten, Vater des Fürsten, zweitens eine überlebensgroße Walküre, drittens einen Wodan, viertens eine Richard Wagner Büste und fünftens die Büste des verstorbenen Bruders des Fürsten.“
Man kann sich kaum vorstellen, wie in jener Zeit, da die Verkehrsmöglichkeiten ja noch langwierig und beschränkt waren, die weiten Wegstrecken bewältigt werden mussten.
Wieder nach Wien gekommen, musste der Künstler noch das Antlitz der Walter Statue ausführen.
Dann aber widmete er sich zur Gänze dem Andreas Hofer Denkmal. Diese arbeitsreiche Zeit hielt den übermenschlich tätigen Meister fast den ganzen Sommer in Wien zurück.
Auch das Interesse des Kaisers, der der Enthüllung der Walter Statue nicht beiwohnen konnte, war groß.
Natter fuhr dann unmittelbar wieder nach Horowitz zum Fürsten von Hanau, um die Skizze für das Monument des verstorbenen Kurfürsten vorzustellen.
Plastisch beschreibt seine Frau die Ereignisse in Horowitz: „Drei der ältesten Beamten wurden befohlen, die noch bei dem Kurfürsten gedient hatten und ihn genau kannten. Jeder musste einzeln erscheinen, feierlich im Frack und auf die Frage des Fürsten: ‚Wissen Sie, wer das sein soll?‘, war die Antwort sofort, wie aus einem Mund: ‚Seine königliche Hoheit, der hochselige Fürst.‘
‚Lieber Herr Natter, Sie haben die Probe glänzend bestanden. Ich danke Ihnen von ganzem Herzen und machen Sie uns das Standbild ganz so, wie ihn diese kleine Skizze darstellt.‘“
Aber der Fürst ließ den Künstler nicht sogleich zu seiner Arbeit eilen, er wünschte dessen Begleitung nach Bayreuth zur Vorstellung des „Parzival“. Dieser hohe Genuss ward Natter gerade noch gegönnt, als ein angekündigter Besuch des Kaisers ihn schnellstens nach Wien berief.
Im Herbst 1889 fand die Enthüllung des Walter Denkmals in Bozen statt.
Tiefblauer Himmel mit glänzender Sonne überwölbte den großen langgestreckten Johannesplatz, der tausende von Menschen umschloss. Im Hintergrund umringten die Berge mit ihren spitzen Kirchlein, Burgen und Gehöften die Festversammlung.
Erzherzog Heinrich war als Vertreter des Kaisers erschienen.
Als die Hülle fiel, erstand, wie die Frau Natters schreibt: „das schlanke, weiß schimmernde Marmorbild Walters in seiner hehren Schönheit.“
Die Menge brach in Jubel aus, Natter wurde von allen umringt, beglückwünscht, Freunde und Fremde wollten ihn sehen und sprechen – das bald darauf folgende Festessen mit seinen langatmigen Reden wirkte beruhigend. Die Vogelweider – eine damals sehr bekannte Gruppe Südtiroler Musiker – mussten immer wieder singen. Dem Meister wurde zugetrunken, der schäumende Wein kreiste. Die Gläser erklangen von einem zum anderen und alle verband höchste Freudseligkeit.
An die Schaffenskraft Natters wurden immer neue Anforderungen gestellt.
Fürst Wilhelm von Hanau hatte sich beim Kaiser die Gnade erbeten, dessen Büste, nach dem Leben, von Natter modellieren lassen zu dürfen.
Als Natter mit dem Kaiser allein war, um die Büste anzufertigen, entspann sich bald ein lebhaftes Gespräch. Korrekt, wie der alte Kaiser war, verhielt er sich musterhaft ruhig und im Eifer der Arbeit vergaß der Künstler seine Majestät daran zu erinnern, sich auszuruhen. Erst als das Gespräch verstummte, blickte Natter auf und merkte, wie der Kaiser ganz ermüdet aussah. Völlig erschrocken entschuldigte er sich und gütig erwiderte der Monarch: „Sie waren so im Eifer, Herr Natter, ich wollte Sie nicht stören.“
Da der Künstler mit seiner Arbeit noch nicht fertig geworden war, bat er um eine zweite Sitzung, die ihm huldvoll gewährt wurde.
Später schrieb er an den Fürsten Hanau: „Dass es mir gegönnt worden ist, die Majestät, unseren lieben Kaiser, so kennenzulernen, wie er in seiner ganzen liebenswürdigen Menschlichkeit ist, wenn er alles Zeremoniell abstreift, ist wohl das tiefgehendste Ereignis meines Lebens, was ich nur Ihnen, verehrte Durchlaucht, zu danken habe.
Der Kaiser sprach von Tirol und den dortigen Lokalverhältnissen, wie ein Eingeborener; Er hat ein unglaubliches Gedächtnis und interessierte sich für die kleinsten Verhältnisse. Reizend war es, wie er von sich und der Kaiserin erzählte: ‚Ich habe leider den einzigen schönen Tag, den wir in Meran hatten, so viel zu arbeiten gehabt, dass ich nicht einmal hab können mit der Kaiserin spazieren gehen.‘ Dann weiter: ‚Ich hab das Schloss Planta mit seinem schönen Efeu schon vor Jahren in Erinnerung gehabt und habe die Kaiserin hinführen wollen. Der Weg ist lang, wir haben uns gefürchtet ihn zu verfehlen und da war am Weg ein Mädel mit Kühen, die hab ich gefragt: Da oben ischt´s ja, hat sie gesagt und ist ein Stück mit hinaufgegangen, das war doch nett.‘“
Künstler und Herrscher verstanden sich ausgesprochen gut. Franz Josef durfte froh gewesen sein, dem steifen Hofzeremoniell zu entkommen und einen waschechten Tiroler bei sich zu haben.
Natter schrieb weiter an Hanau:
„Ich habe meinen Kaiser kennengelernt, wie kaum einer seiner Untertanen. Er hat sich mir in seiner ganzen leutseligen Herzensgüte erschlossen.“
Noch im Nachhinein kann man feststellen, wie sehr die Persönlichkeit Kaiser Franz Josefs die Menschen beeindruckte und wie sehr auch heute noch das Bild des alten Kaisers die seltsamen Maßnahmen, die die Republik gegen die Habsburger für richtig hält, überstrahlt.
Seine ganz Kraft widmete Natter nun dem Andreas Hofer Denkmal. Es wurde am 9. März 1890 begonnen, konnte aber wegen einer Erkrankung des Meisters erst im Frühjahr 1891 beendet werden. Wie akribisch Natter arbeitete, geht daraus hervor, dass er extra noch einmal zum Sandwirt fuhr, der noch Kleider des Freiheitshelden hatte. Natter bat, dass ein Knecht, der in etwa die Größe Hofers hatte, die Kleider anziehen sollte, um ein möglichst exaktes Bild Hofers aus seiner Zeit modellieren zu können.
Die Zeiten der Krankheit wurden jedoch häufiger und ließen vielfach Natter leidend zurück, was ihn nicht daran hinderte, sich ins Atelier bringen zu lassen, um zu korrigieren und Arbeiten für seine Leute vorzubereiten.
Dem Rat seines Arztes, den Winter im Süden zu verbringen, folgte er leider nicht.
Wohl vorausahnend, beschäftigte er sich schon mit seiner eigenen Grabstätte. Als Ergänzung zum anstrengenden Leben eines Bildhauers, beschäftigte sich der vielseitige Künstler auch mit Fabulieren und Schreiben. Seine „Kleinen Schriften“, sowie sein Bericht über das Steiner Josele, den Meldegänger Hofers, ernteten ungeahnten öffentlichen Erfolg, der von seinem Freund Speidel entsprechend begleitet wurde.
Die Gesundheit Natters verschlechterte sich nun zusehends. Im Sommer 1891 war er noch in der Schweiz, um als Preisrichter für ein Denkmal zu fungieren. Er traf dort auch seinen alten Freund, den berühmten Schweizer Maler, Zeichner, Grafiker und Bildhauer des Symbolismus, Arnold Böcklin.
Nach Wien zurückgekehrt, war er wieder rastlos tätig und fuhr im Herbst nach München, wo er sich das bunte Treiben, das sich auf der Oktoberfestwiese entfaltete, gönnte und auch mit Defregger einige schöne Stunden verbrachte.
Auch sein Haus in Gmunden besuchte er noch, soweit es seine Zeit zuließ.
In Innsbruck nahm er an stürmischen Komiteesitzungen, die das eine oder andere Detail seiner Andreas Hofer Statue besprochen haben wollte, teil.
All dies strengte ihn an, da er überall mit der vollen Kraft seiner Persönlichkeit seine künstlerischen Vorstellungen einbrachte.
In der Folge wurde er bettlägerig und verfolgte vom Krankenlager aus den Verlauf seiner Arbeiten. Anfangs empfing der Meister noch seine Freunde am Krankenlager und ergötzte sich an ihren harmlosen Scherzen.
Anfang April verschlimmerte sich sein Zustand. Nur mehr kurze Besuche durften vorgelassen werden. Eine junge Verehrerin überreichte ihm noch duftende Rosen und er freute sich: „So, jetzt kommt gar noch der Frühling zu mir herein.“
Zu ihm aber kam mit eilenden Schritten der Tod. Seine letzten Worte waren:
„Ich habe keinen Willen mehr.“
Zwei Tage, nachdem der Meister die blühenden Rosen empfangen hatte, am 13. April 1892, hauchte er seine Seele aus.
Es war ein endloses Abschiednehmen, als der zu früh aus seinem Schaffen gedrängte Künstler jetzt seine Fahrt zur Feuerbestattung nach Zürich antrat.
Vom verödeten, für immer verlassenen Heim hinweg, zog der lange Zug durch sein liebes Wien, da und dort senkten sich breite schwarze Flaggen grüßend zum Trauerwagen nieder. Eine erdrückende Fülle von Blumen und Kränzen begleite den verstorbenen Künstler.
Zürich hatte für den Erbauer des Zwingli Denkmals die Ehrenbestattung vorbereitet. Aus allen Orten kamen die Freunde heran.
Die Enthüllung des Andreas Hofer Denkmals, die in Gegenwart seiner Majestät des Kaisers Franz Josef I. stattfand, erlebte der Meister nicht mehr.
Es war ein überwältigendes Bild, die Volksmassen zu sehen, welche im wohlgeordneten Zug, angetan mit ihrer nationalen Kleidung, in schwerem rhythmischen Gange, mit hochgehobenen wehenden Kriegsfahnen die breite Straße zum Iselberg hinanschritten.
Zu ihrem Helden hinauf zogen sie, vor ihren Kaiser hin, der sein Volk erwartete und es leutselig empfing.
Hofer steht auf der Stätte seines Ruhmes, wie er seinerzeit als Befehlshaber dagestanden haben mag, mit dem rechten vorgestreckten Arm, auf den Feind unten hinweisend.
Natter war wohl der größte Bildhauer Tirols
Bildhauer sind zum Unterschied von Malern, Architekten oder Komponisten eher weniger bekannt. Heute kennen viele Natters Namen nicht mehr.
Diese Lebensbeschreibung möge dazu beitragen, die Erinnerung an diesen bedeutenden Tiroler Landsmann wach zu halten.
Ein trauriges Jubiläum und eine mahnende Erinnerung an Österreichs Pflichten
Vor 100 Jahren wurde Südtirol von Österreich abgetrennt
Als der Erste Weltkrieg zu Ende gegangen war, hatte die italienische Besatzungsmacht begonnen, überall die Tricolore zu hissen und die althergebrachten Tiroler Fahnen zu verbieten und zu beschlagnahmen.
Die deutschen Ortstafeln wurden abmontiert und durch italienische Ortnamensschilder ersetzt. Sogar auf Postkarten musste der verordnete Aufdruck „Alto Adige“ gestempelt werden.
Der Austausch der Ortsschilder
Proteste aus der Bevölkerung
Es zeichnete sich ab, dass Südtirol als Kriegsbeute bei Italien verbleiben würde. Nun regte sich erster Protest, der sich angesichts der italienischen Repressionsmaßnahmen einschließlich zahlreicher Verhaftungen freilich nur versteckt und nicht in großen Volkskundgebungen äußern konnte.
Vier Meraner Bergsteiger beschlossen, auf der Santnerspitze, der steilen Felsnadel am Schlern, eine weiß-rote Fahne aufzuhängen.
In das Santner-Gipfelbuch schrieben sie hinein: „Treu deutsch immerdar“.
Dann nahmen die Bergsteiger noch ein Erinnerungsbild auf und stiegen bei Nacht wieder ab. Am nächsten Tag war die Tiroler Fahne auf dem Santner zur Freude der Landsleute und zum Ärger der Italiener weithin im Seiser Mittelgebirge und auch drüben am Ritten sichtbar.
Petition aller Südtiroler Gemeinden mit der Forderung nach Selbstbestimmung – Großkundgebung in Innsbruck
Im Februar 1919 richteten sämtliche Gemeinden Deutsch-Südtirols sowie die zwölf ladinischen Gemeinden von Gröden, Enneberg, Buchenstein und Fassa eine Petition an den US-Präsidenten W. Wilson mit der flehentlichen Bitte, „unserem Volkstum, unserem Lande der gerechte Richter“ zu sein.
In einem Memorandum teilte die Tiroler Landesregierung am 26. Februar 1919 W. Wilson mit: „…hat… die Tiroler Landesversammlung in ihrer Sitzung vom 21. Februar 1919 den einstimmigen, feierlichen Beschluss gefasst: ,Die Frage der ungeteilten Erhaltung der gesamten deutschen und ladinischen Gebiete Tirols erfüllt das ganze Volk mit schwerer Besorgnis. Wir Tiroler erklären, daß wir unter keiner Bedingung in eine Abtretung Südtirols willigen und lieber alle, auch die schwersten Opfer bringen, bevor wir auf die Zugehörigkeit mit unseren Brüdern im deutschen Südtirol verzichten.“
Alle Protestmaßnahmen wie eine Großkundgebung auf dem Bergisel in Innsbruck am 13. Juni 1919 und alle Bitten waren jedoch vergeblich.
Auch als dankenswerter Weise der italienische Sozialistenchef Filippo Turati am 16. Juli 1919 eine von allen 173 deutsch- und ladinischsprachigen Südtiroler Gemeinden unterzeichnete Petition gegen die Annexion und mit der Forderung nach Selbstbestimmung im italienischen Parlament einbrachte, änderte dies nichts.
Die Ententemächte blieben dabei, dass Österreich den aufgezwungenen Diktatfrieden am 10. September 1919 unterzeichnen musste, mit welchem Südtirol an das Königreich Italien fiel.
Abschied vom Vaterland
Am 6. September 1919 nahm der aus Lusern stammende und nun vom Land Tirol nach Wien entsandte Nationalrat Dr. Eduard Reut-Nicolussi im österreichischen Parlament Abschied von dem Vaterland. Der mit der Goldenen Tapferkeitsmedaille ausgezeichnete Kaiserjäger sagte unter anderem: „Der Tiroler Landesrat hat nun seinen Standpunkt zu diesem Friedensvertrage vor einigen Tagen in folgenden Worten niedergelegt:
‚Entscheidend erscheint der Vertretung des Landes Tirol, dass kein Rechtsfriede, sondern ein Gewaltfriede vorliegt … Tirol erkennt daher den Zustand, der durch den Frieden geschaffen werden soll, nicht als Rechtszustand an und wendet sich schon jetzt an den Völkerbund, damit er dem, betreffs Südtirol mit Füßen getretenen Selbstbestimmungsrechte Anerkennung verschaffe und … das schwere Unrecht beseitige, das dem Land Tirol widerfahren ist.“
Gegen Ende seiner Rede eröffnete Reut-Nicolussi einen düsteren Ausblick: „Es wird jetzt in Südtirol ein Verzweiflungskampf beginnen um jeden Bauernhof, um jedes Stadthaus, um jeden Weingarten. Es wird ein Kampf sein mit allen Waffen des Geistes und mit allen Mitteln der Politik. Es wird ein Verzweiflungskampf deshalb, weil wir – eine Viertelmillion Deutscher – gegen vierzig Millionen Italiener stehen, wahrlich ein ungleicher Kampf.“
Bei Stimmenthaltung der Tiroler Abgeordneten musste sodann der Nationalrat notgedrungen die Unterfertigung des Friedensvertrages beschließen. Der Staatskanzler Dr. Renner fuhr nach St. Germain – das Beil der politischen Guillotine war gefallen.
Protest des Tiroler Landtages gegen den Raubfrieden
Am 23. September 1919 fasste der Tiroler Landtag nach dem bereits von Dr. Reut-Nicolussi zitierten Beschluss des Tiroler Landesrates, welcher aus den Abgeordneten des Tiroler Landtages und den Mitgliedern der Landesregierung bestand, in einer Protestsitzung einen weiteren einstimmigen Beschluss, in welchem er feststellte, dass er in dem „sogenannten Friedensvertrage“ eine „unerhörte Vergewaltigung des Landes Tirol“ erblicke.
In dem Beschluss hieß es weiter:
„Vor Gott und der Welt bekundet der verfassungsgebende Landtag von Tirol, dass er nicht ruhen und rasten wird, bis diese Schändung der Freiheit des Landes wieder gut gemacht ist und sich Norden und Süden des Landes in gemeinsamer Staatlichkeit zu friedlicher Kulturarbeit vereinigt haben werden.“
Hundert Jahre später eine mahnende Erinnerung an Österreichs Pflichten durch einen Nationalratsbeschluss
Einhundert Jahre später, als heimatbewusste Südtiroler der Tragödie gedachten, indem sie Fahnen mit Trauerflor hissten, kam es auf Initiative des freiheitlichen Südtirol-Sprechers und Nationalratsabgeordneten Werner Neubauer am 19. September 2019 zu einem denkwürdigen Beschluss des Österreichischen Nationalrats für die Ermöglichung einer doppelten Staatsbürgerschaft für Südtiroler.
Zähe Verhandlungen mit der ÖVP
Vorangegangen waren lange und zähe Verhandlungen mit der ÖVP, welche sich anfangs heftig dagegen gesträubt hatte. Es gab Bestrebungen gewisser „Granden“ in der Volkspartei, die um Gottes Willen das gute Klima mit Rom nicht gestört haben wollten
Dort lehnten nämlich alle namhaften Politiker dieses Vorhaben ab, obwohl Italien zehntausenden von Auslandsitalienern die italienische Staatsbürgerschaft zusätzlich zuerkannt hat, ohne die anderen Staaten deshalb um Erlaubnis gefragt zu haben. In Bezug auf die Südtiroler freilich hatten die politischen Spitzen im Rom gemeint, dass eine Doppelstaatsbürgerschaft gegen den Willen der italienischen Regierung nicht gewährt werden dürfe.
Widerstand aus der Südtiroler Volkspartei (SVP) und der Nordtiroler ÖVP
Dieser Haltung gegenüber waren der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP) und sein Nordtiroler Kollege Günther Platter (ÖVP) eingeknickt.
Am 9. Mai 2019 hatte das Büro des Nordtiroler Landeshauptmannes Günther Platter dem Obmann des Südtiroler Heimatbundes (SHB), Roland Lang, unter korrekter Verwendung des Binnen-I für „SüdtirolerInnen“ per Email mitgeteilt: „…dürfen wir Ihnen mitteilen, dass dieses Thema aktuell von Herrn Landeshauptmann nicht forciert wird, denn eine Einführung darf nur im Einvernehmen zwischen allen Beteiligten passieren. Dieses Einvernehmen gibt es momentan nicht, wie Aussagen von Minister Salvini und Landeshauptmann Kompatscher zeigen. Deshalb birgt der Doppelpass für SüdtirolerInnen mit deutscher und ladinischer Muttersprache momentan mehr Gefahren als Potenzial in sich.“
Und am 13. Mai 2019 hatte die Austria Presse Agentur (APA) vermeldet, dass der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher das Thema offenbar gerne in eine unendliche Zukunft verschoben hätte:„Doppelpass – Kompatscher sieht EU-Staatsbürgerschaft als Lösung“(APA0283 5 AI 0337 II)
Der FPÖ-Südtirol-Sprecher setzte sich durch
Letztendlich war es dem freiheitlichen Mandatar Werner Neubauer unter Hinweis auf das seinerzeitige Türkis-blaue Regierungsabkommen dann doch gelungen, die ÖVP zu einer eher zähneknirschenden Zustimmung zu gewinnen. In dem seinerzeitigen Regierungsübereinkommen hatte es nämlich geheißen:
„Doppelstaatsbürgerschaft Südtirol und Alt-Österreicher: Im Geiste der europäischen Integration und zur Förderung einer immer engeren Union der Bürgerinnen und Bürger der Mitgliedstaaten wird in Aussicht genommen, den Angehörigen der Volksgruppen deutscher und ladinischer Muttersprache in Südtirol, für die Österreich auf der Grundlage des Pariser Vertrages und der nachfolgenden späteren Praxis die Schutzfunktion ausübt, die Möglichkeit einzuräumen, zusätzlich zur italienischen Staatsbürgerschaft die österreichische Staatsbürgerschaft zu erwerben.“
Sich jetzt davon zu distanzieren, fiel offenbar doch ein wenig schwer. Am 19. September 2019 konnte der FPÖ-Abgeordnete Werner Neubauer daher im Österreichischen Nationalrat an das Rednerpult treten und auch im Namen des ÖVP-Südtirol-Sprechers Hermann Gahr folgenden Entschließungsantrag einbringen:
Der Nationalrat wolle beschließen:
„Der Bundesminister für Inneres und der Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres werden aufgefordert, zeitnah mit ihrer italienischen Kollegin und ihrem italienischen Kollegen sowie den Vertreterinnen und Vertretern der Bevölkerung in Südtirol in bilaterale Gespräche zu treten, um das Thema ,Doppelstaatsbürgerschaft für Südtiroler‘ zu erörtern. Nach diesen Gesprächen wird der Bundesminister für Inneres aufgefordert, dem Nationalrat einen Gesetzesvorschlag für eine Doppelstaatsbürgerschaft für Südtiroler vorzulegen.“
Der Antrag wurde mit den Stimmen der FPÖ und ÖVP angenommen, von den anderen Parteien kam keine Zustimmung.
Ablehnung aus Rom
Meldung der Südtiroler Tageszeitung „Dolomiten“ vom 24. Jänner 2019:
„Der Staatssekretär im Außenministerium, Guglielmo Picchi (Lega), unterstrich am Montag die ablehnende Haltung des Kabinetts Conte. Man habe keine Absicht, mit Wien über die österreichische Staatsbürgerschaft für Südtiroler zu sprechen, wird der Staatssekretär zitiert.“
„Danke Österreich!“
Grundsätzlich ist die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an Südtiroler eine souveräne Angelegenheit des österreichischen Staates. Auch Italien hat zehntausenden Auslandsitalienern eine doppelte Staatsbürgerschaft zuerkannt, ohne irgendjemanden um Erlaubnis zu bitten. Es geht daher in Österreich darum, über wie viel Rückgrat die Politiker verfügen, um trotz Unmutsäußerungen aus Rom das Richtige zu tun.
Der Entschließungsantrag hat keine rechtliche Bindewirksamkeit für die jetzige und für künftige österreichische Bundesregierungen, tatsächlich einen entsprechenden Gesetzesantrag einzubringen. Es handelt sich um eine Aufforderung.
Daher können die altbekannten Kräfte in der ÖVP, denen das herzliche Einvernehmen mit Rom an wichtigster Stelle steht, eine rasche Umsetzung unter vielerlei Bedenken und Vorwänden verhindern. Mit der Begründung, es müsse auf jeden Fall die – nicht erreichbare – Zustimmung Roms erreicht werden, kann das Thema natürlich auf den Sanktnimmerleinstag verschoben werden.
Immerhin gibt die Annahme des Antrages aber allen Engagierten in Südtirol und in Österreich die Möglichkeit, nicht locker zu lassen und das Thema in der österreichischen Innenpolitik immer wieder zur Sprache zu bringen.
Freude der SVP-Altmandatare
Der ehemalige SVP-Landessekretär, Landtags- und Regionalratsabgeordnete und Landesrat für deutsche und ladinische Kultur, Dr. Bruno Hosp ist Vorsitzender im SVP-Club der Altmandatare. Diese vertreten in der SVP eine volkstumspolitische Linie und erheben ihre Stimme, wann immer es ihnen im öffentlichen Interesse als notwendig erscheint.
Eine Presseaussendung aus Südtirol vom 20. September 2019:
„SVP-Altmandatare erfreut über Zustimmung für Doppelpass in Wien – Die geplante Wiederverleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an Südtiroler sei ein „bedeutendes europäisches Zeichen des österreichischen Vaterlandes. Die Resolution des Nationalrates sei „richtungsweisend und eine klare politische Willensbekundung.“ Dies stellt der Vorsitzende des SVP-Clubs der ehemaligen Mandatare, Dr. Bruno Hosp fest. Der Nationalrat habe damit zum ersten Mal für Österreich das Prinzip der Doppelstaatsbürgerschaft vorgegeben.“
Südtiroler Heimatbund (SHB): Freude und Vorsicht
Roland Lang, der Obmann des „Südtiroler Heimatbundes“ (SHB), einer von ehemaligen Freiheitskämpfern und politischen Häftlingen gegründeten Vereinigung für die Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechtes, hat in einer Presseaussendung erklärt:
„Auch wenn sich im österreichischen Parlament eine große Mehrheit für die Wiedererlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft für die Südtiroler ausgesprochen hat, muss man das Ganze politisch vorsichtig sehen. Ein Grund zur überschwänglichen Freude besteht leider noch nicht, aber es war ein wichtiger Schritt, so SHB-Obmann Roland Lang. … Das gekonnte Intrigenspiel italienischer Politik hat bisher ja verhindert, dass Österreich in Sachen Doppelstaatsbürgerschaft jene Freiheit hat, die Italien seit Jahrzehnten ohne jedes Bedenken anwendet.“
Es könne, sagt Lang, der Beschluss letztendlich auch „in den Schubläden der Politik fern der Tagesaktualität verschwinden … Daher muss man warten, wie sich die Lage entwickelt. … So kann der weitere Weg zur Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft für Südtiroler leider lang und beschwerlich werden. Trotzdem ein aufrichtiger Dank an unser Vaterland Österreich.“
Freudige Zustimmung der deutschen Oppositionsparteien im Südtiroler Landtag
Der Südtiroler Landtagsabgeordnete Sven Knoll von der „Süd-Tiroler Freiheit“ erklärte in einer Pressemitteilung: „Für Südtirol eröffnet sich mit dem Beschluss des österreichischen Parlaments eine historisch einmalige Chance, die es zu nutzen gilt. Die Wiedererlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft brächte für Südtirol eine unverrückbare Absicherung der Autonomie, die Spaltung der Tiroler Gesellschaft nördlich und südlich des Brenners könnte überwunden werden und völlig neue Möglichkeiten der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit würden sich ergeben.“
Der Parteiobmann der Südtiroler Freiheitlichen, Andreas Leiter Reber, zeigte sich ebenfalls erfreut über den Nationalratsbeschluss und sprach in einer Pressemitteilung von einem „bedeutenden Schritt zur Verwirklichung eines parteiübergreifenden Südtirolanliegens … Wenngleich der Entschließungsantrag nicht bindend ist, besitzt er doch großes politisches Gewicht.“
SVP – ÖVP – „Grüne“: Vielsagendes Schweigen im Walde
Man darf gespannt sein, wie sich die ÖVP als künftige Regierungspartei verhalten wird. Man sollte sie aber nicht aus der Pflicht entlassen.
Trauerndes Gedenken an Sepp Innerhofer – einen Freiheitskämpfer der ersten Stunde
Die traurige Nachricht von dem Ableben
Am 16. Mai 2019 musste Roland Lang, Obmann des von Südtiroler ehemaligen politischen Häftlingen gegründeten „Südtiroler Heimatbundes“ (SHB), der Öffentlichkeit eine traurige Mitteilung übermitteln:
„Es erreicht uns eine traurige Nachricht: Im Alter von 91 Jahren ist Sepp Innerhofer, Gojenbauer in Schenna und Träger des Tiroler Verdienstkreuzes, von uns gegangen. Er war das letzte noch lebende Gründungsmitglied des Befreiungsausschusses Südtirol (BAS). Nacht auf den 30. Jänner 1960 sprengte er zusammen mit Kurt Welser, Heinrich Klier, und Martl Koch ein besonders verhasstes Symbol faschistischer Herrschaft, das damals immer noch bestehende Reiterstandbild des „Duce“ vor dem Kraftwerk in Waidbruck.
Nach den Anschlägen der Herz-Jesu-Nacht des Jahres 1961 auf Strommasten wurde er verhaftet und in der Carabinieri-Kaserne in Eppan schwer gefoltert. In einem aus dem Gefängnis herausgeschmuggelten Brief an Landeshauptmann Dr. Magnago schilderte Innerhofer am 22. September 1961 die erlittenen Misshandlungen: Stehen vor einer Glühlampe direkt vor dem Gesicht – Faustschläge und Schläge mit Gewehrriemen und Gewehrkolben ins Gesicht und auf den nackten Körper – ein Zahn ausgeschlagen – ohne Essen und Trinken 24 Stunden im Keller – neuerliche Misshandlungen an den Geschlechtsteilen – Bewusstlosigkeit – zuletzt Unterschrift unter ein vorgelegtes „Geständnisprotokoll“, ohne dieses gelesen zu haben.
Magnago reagierte nicht auf diesen Brief.
Sepp Innerhofer saß 3 Jahre im Gefängnis und hatte nach seiner Entlassung 35 Jahre lang keine Bürgerrechte. Er durfte keinen Besitz haben, keine öffentlichen Ämter bekleiden und musste sich regelmäßig bei den Carabinieri melden. Erst im Jahre 2000 durfte er wieder sein Wahlrecht ausüben.
Innerhofer trat stets öffentlich für das Recht auf Selbstbestimmung ein und hielt noch im hohen Alter zahlreiche Vorträge an Schulen und auf Abendveranstaltungen. Damit erfüllte er im Dienste der Wahrheit eine Aufgabe, welche von der Landespolitik nicht wahrgenommen wurde. Innerhofer berichtete den Schülern über den Faschismus, die Katakombenschule, die aufgezwungene Option von 1939, den Pariser Vertrag, die Gründung des BAS, die Anschläge der Feuernacht, die Verhaftungswelle, die schrecklichen Folterungen und die Gerichtsverhandlungen in Mailand. Am 20. April 2018 hatte die Tageszeitung „Dolomiten“ ein ausführliches Interview mit dem Freiheitskämpfer gebracht und diesen damit gewürdigt.
Wir nehmen voll Bewegung Abschied von einem mutigen und aufrichtigen Tiroler und trauern mit den Angehörigen.“
Auch der Südtiroler Schützenbund (SSB) ehrte Sepp Innerhofer mit einem Nachruf, in welchem es hieß:
„Nun aber ist Sepp Innerhofer, der zu Recht als einer der wichtigsten Freiheitskämpfer Südtirols bezeichnet werden kann, zu Gott heimgekehrt. Sein Mut, seine Tapferkeit und seine Überzeugung für Gerechtigkeit werden jedoch niemals in Vergessenheit geraten.“
Auch die Tageszeitung „Dolomiten“ veröffentlichte am 17. Mai 2019 einen würdigen Nachruf:
Innerhofer und die Entstehung des Befreiungsausschusses Südtirol (BAS)
Über die Gründung des „Befreiungsausschusses Südtirol“ (BAS) berichtete Sepp Innerhofer in einem Video-Interview, welches die Landtagspartei „Süd-Tiroler Freiheit“ auf ihre Internetseite gestellt hat.
Nachstehend einige Auszüge aus diesem Interview (Mundartausdrücke sind der besseren Verständlichkeit halber hier durch hochdeutsche Formulierungen ersetzt):
Ausschlaggebend für die Entwicklung in jenen Jahren sei die politische, kulturelle und soziale Entrechtung der Südtiroler durch den italienischen Staat gewesen. Darauf habe der Kanonikus Michael Gamper, „eine bekannte Südtiroler Widerstandspersönlichkeit“ mit seiner berühmten Aussage „Wir befinden uns auf dem Todesmarsch“ hingewiesen. „Da hat er auch Recht gehabt. Ich habe das selbst mitgekriegt. Ich habe zufällig eine gute Bekanntschaft gehabt mit dem Friedl Volgger. Wir haben zusammen in Schenna auf einem Berghof immer Urlaub gemacht und der hat mir dann die frischen Notizen von der Partei und von der Zeitung überbracht. Er war ja Politiker. Er hat dann gesagt: Was wirst denn Du einmal mit deinen Buben tun? Jetzt haben wir 12.000 bis 15.000 junge Südtiroler, die in der Schweiz, Österreich und Deutschland auf Arbeitssuche sind, weil wir da keine Arbeit mehr haben. Die Arbeit nehmen uns die zugewanderten eingeschleusten Italiener weg. Wir haben keine öffentlichen Arbeitsstellen mehr, wir kriegen Garnichts mehr. Alles was im Pariser Vertrag zugesagt worden ist, ist uns vorenthalten worden. … Das war dann der Grund, dass einige von uns sich auf irgendeiner Versammlung in Fran gart oder Bozen getroffen haben. Da waren der Sepp Kerschbaumer, der Jörg Pircher, Franz Muther vom Vinschgau und noch einige vom Unterland, vom Eisacktal. Da hat man sich zusammengesetzt und wir waren reifere junge Leute, alle schon verheiratet. Und da hat man gesagt: Wir müssen etwas unternehmen, so geht es nicht mehr weiter. Da werden unsere Familien und unsere Jugend kaputt, wenn wir keine Arbeit, keine Wohnung, keine Sprache und keine Schulen – das war das Schlimmste – mehr haben.
Dann hat man sich das erste Mal in Frangart getroffen, das war 1956 im November und später dann einmal in Eppan oben.
Wir haben gewusst, dass wir im Untergrund arbeiten müssen, wenn wir etwas tun müssen und dass wir nicht offiziell auftreten können. Da wären wir ja gleich polizeilich verfolgt worden.
… Bei den ersten Treffen ist nie gesprochen worden über Sprengstoff oder über Anschläge. Überhaupt nicht. Im ersten Jahr ist darüber überhaupt nicht gesprochen worden. … Der Kerschbaumer war der Älteste von uns. Dem haben wir die Führung übergeben. Der hat gleich am Anfang einmal gesagt: Meine lieben Freunde, wenn wir etwas tun, – ihr könnt zur Verteidigung alles tun – dann passt mir auf … den Menschen darf nichts zugefügt werden. Dieser Vorsatz ist Gottseidank geblieben.“
Innerhofer berichtet sodann, wie diese Widerstandsgruppe durch das Verteilen von Flugzetteln und durch organisatorische Arbeit tatkräftig mitgeholfen hat, die große Volksversammlung von Sigmundskron im Jahre 1957 zu einer machtvollen Protestveranstaltung des Landes gegen die Unterdrückung zu gestalten.
„Wir haben dann gewartet und gehofft und gehofft. Es ist 1958 geworden, passiert ist nichts. da ist uns die Geduld ausgegangen. Und da ist dann das erste Mal bei verschiedenen Zusammenkünften … beschlossen worden: Jetzt müssen wir lauter werden, sonst hören die uns nicht.“
Es sei nun zu den ersten Protestanschlägen der Widerstandsgruppe gegen Objekte wie unbewohnte Rohbauten von Volkswohnbau-Blocks für zuwandernde Italiener gekommen. Diese Anschläge hätten von 1959 bis 1960 zugenommen.
Politiker der Südtiroler Volkspartei (SVP) waren über die bevorstehenden Widerstandshandlungen informiert
In der Video-Aufzeichnung finden sich einige zeitgeschichtlich wichtige Aussagen Innerhofers. In der Südtiroler Volkspartei (SVP) seien damals einige Spitzenpolitiker durchaus darüber informiert gewesen, dass es zu Widerstandshandlungen kommen werde. Der Obmann-Stellvertreter der Südtiroler Volkspartei (SVP), Hans Dietl, habe diesbezüglich ein Gespräch zwischen dem österreichischen Außenminister Dr. Bruno Kreisky und den BAS-Leuten Sepp Kerschbaumer und Jörg Pircher vermittelt. Dabei habe Kreisky nach einem einstündigen Gespräch zu den Südtiroler gesagt:
„Ich sage euch nicht, tut etwas, aber ich sage auch nicht, tut nichts!
Dies sei für die Südtiroler letztendlich „der Startschuss“ für die Herz-Jesu-Nacht des Jahres 1961 gewesen.
Am 20. April 2018 veröffentlichte die Tageszeitung „Dolomiten“ ein ausführliches Interview mit Sepp Innerhofer, in welchem dieser weitere tiefe Einblicke in die Entstehungsgeschichte des BAS gab. Sensationell ist seine Mitteilung, dass der damalige Obmann-Stellvertreter der Südtiroler Volkspartei (SVP), Dr. Friedl Volgger, sogar führend an der Gründung des BAS beteiligt gewesen war.
Innerhofer berichtete: „Ich bin das letzte lebende BAS-Gründungsmitglied. Politiker und Journalist Friedl Volgger hat mich damals telefonisch zur Gründungsversammlung in Frangart eingeladen.
Ich habe ihn persönlich kennengelernt, als er und seine Frau und meine Frau und ich 1955 und 1956 unseren Urlaub am Taserhof in Schenna verbrachten.
Die Gründungsversammlung im Herbst 1956 in Frangart und die zweite Versammlung des Befreiungsausschusses im Frühjahr 1957 im Lanserhaus in Eppan waren noch nicht geheim. Volgger und Sepp Kerschbaumer waren der Kopf des Ausschusses. Volgger rief dazu auf, dass wir uns zusammentun müssen, um wirkungsvoll für unsere Rechte, die im Pariser Vertrag festgeschrieben sind, einzustehen. Als Volgger bei der zweiten Versammlung aber gemerkt hat, dass wir zu schärferen Mitteln greifen wollen, verabschiedete er sich aufgrund seiner Stellung als Politiker und Journalist. Er hat sich von uns aber nie distanziert. Dann hat Sepp Kerschbaumer alleine die Leitung übernommen.
Dolomiten: Welche Rolle haben Sie in der Feuernacht 1961 gespielt?
Innerhofer:„In dieser Nacht war ich – so wie viele andere – dafür zuständig, ein Objekt zu sprengen. Ich habe mit 2 Kameraden einen Strommast in Sinich in die Luft gesprengt. Es war uns immer wichtig, mit unseren Sprengungen ein Zeichen zu setzen und aufzurütteln, damit wir zu unseren Rechten kommen. Es war aber von vorneherein ausgemacht, dass unsere Aktionen keine Menschenleben kosten dürfen.
Besonders stolz bin ich auf die Sprengung des Mussolini-Denkmals beim E-Werk in Waidbruck im Jahr 1961 – einige Monate vor der Feuernacht. Heinrich Klier und Kurt Welser aus Nordtirol, Martl Koch aus Bozen und ich waren an der Sprengung beteiligt. Mit dieser Aktion haben wir viel Aufsehen erregt. Trotz der Folterungen bei den Verhören in den Carabinieri-Kasernen in Meran, Lana, Eppan und Bozen habe ich nie eine Sprengung zugegeben. Irgendwie wurde dann aber bei Verhören bekannt, dass ich bei Sprengungen mit dabei war.“
Verhaftung und Folterung – Der SVP-Obmann und Landeshauptmann Magnago war informiert und schwieg
Am 17. Juli 1961 wurde Sepp Innerhofer von den Carabinieri abgeholt. Was ihm dann in den Carabinieri-Kasernen wiederfuhr, schilderte er in einem Brief, welchen er nach überstandener Folter und anschließender Einlieferung in das Gefängnis an Dr. Silvius Magnago schrieb:
„Sehr geehrter Herr Dr. Magnago!
Entschuldigen Sie nochmals, daß ich Ihnen durch mein Schreiben noch mehr Arbeit bereite, aber da ich gehört habe, daß die Öffentlichkeit über die Art und Weise der Mißhandlungen nicht im Bilde ist, möchte ich durch eine, nur die wichtigsten Angaben umfassende Schilderung, Ihnen diesen Brief schreiben.
Nach meiner Verhaftung am 17. Juli (Montag. nachts) mußte ich den ganzen Dienstag und Mittwoch ununterbrochen aufrecht stehen, ohne Essen und Trinken. Bin immer wieder inzwischen vorgeführt worden, um verhört zu werden. Gleich am Dienstag schon bekam ich die ersten Schläge ins Gesicht und in den Rippen.
Da ich von der ganzen Sache überhaupt nichts wußte, habe ich jedes Mal auf ihre Fragen verneinen müssen. 2 Stunden wurde ich dann unter eine starke Glühlampe gestellt. Beim nächsten Verhör hatte mir dann ein bestimmter Herr Pozzer (in Zivil) mit der Faust so stark ins Gesicht geschlagen, daß mir die Lippe aufsprang und ein Oberzahn losgeschlagen wurde. Dann mußte ich wieder im Gang stehen, und die Wache wurde beauftragt, mir bei unaufrechtem Stehen, die Fußspitzen zu treten, was auch etliche Male geschehen ist, da ich fast nicht mehr imstande war aufrecht zu stehen. Nach meiner Verneinung am Mittwoch vor dem Staatsanwalt wurde ich 24 Stunden in den Keller, auch wieder ohne Essen und Trinken, gesperrt. Am Donnerstag nachts wurde ich dann zu einer „Sonderbehandlung“ nach Eppan gebracht. Wurde nach einem weiteren Verhör in eine Kammer gebracht, wo ich mich vollständig nackt ausziehen mußte. Wurde dann mit Hosen und Gewehrriemen furchtbarüber dem ganzen Körper über geschlagen. Als ich um Wasser bat, wollte man mir etwas Anderes (Gelbes Wasser) einschütten. Da ich den Mund nicht auftat, wurden mir bei den Geschlechtsteilen die Haare ausgezupft!! um mich dadurch zum Schreien zu bringen. Da alle meine Kraft zu Ende war, hab ich um ein Verhör gebeten, und habe mich dann durch eine ausgedachte Lüge, vor weiteren Mißhandlungen geschützt. (In d) Am Freitag früh kam ich dann wieder nach Meran und glaubte, daß ich endlich Ruhe finden würde. Jedoch ging es gleich mit Verhören und weiteren Schlägen wieder weiter. Am Freitag Mittag bekam ich das erste Mal nach 4 Tagen einen Klumpen kalte Pasta, und Wasser. Nachmittag kamen dann furchtbare Stunden. Wurde wiederum beim Verhör mit harten Faustschlägen auf den Hinterkopf behandelt. Zweimal fiel ich vom Stuhl zu Boden. Nach einem weiteren starken Schlag weiß ich nichts mehr. Bin am Samstagfrüh noch ganz benommen aufgewacht, und mir wurde dann ein langes Protokoll vorgelegt, das ich ohne zu lesen unterschrieben habe. Weiß heute noch nicht was darin steht, da ich der ital. Sprache nicht mächtig bin, und ebenso noch nicht vor dem Untersuchungsrichter war. Habe heute noch, nach 2 Monaten Haft, mit dem Kopf zu leiden. Wurde hier in Bozen behandelt, sowie 14 Tage nach Trient ins Krankenhaus gebracht, jedoch mein Kopfweh blieb, und kann fast gar nicht schlafen.
Mit diesen meinen furchtbarsten Erlebnis, nach Krieg und Militär, möchte ich diesen Bericht abschließen mit besten Grüßen an Ihnen für Ihr Verständnis dankend ergebenst Sepp Innerhofer, Meran, Schloß Goyen – derzeit Dantestr. 28a Bozen.“
Sepp Innerhofer hatte den Brief an Magnago geschrieben, da, wie er sagte, die Öffentlichkeit über die Misshandlungen nicht informiert sei. Noch deutlicher konnte man den Wunsch nach Öffentlichmachung des Folterskandals wohl nicht ausdrücken. Magnago aber reagierte nicht – wohl aus politischen Rücksichtnahmen und Gründen der Verhandlungstaktik. Er unterschlug der Öffentlichkeit alle an ihn und die SVP gerichteten erschütternden Briefe inhaftierter politischer Gefangener mit Berichten über die erlittenen Folterungen.
Mit diesem Verhalten ermöglichte er aber die weitere Fortsetzung dieser unmenschlichen Methoden. Innerhofers Bericht verschwand so wie viele andere in der Versenkung. Erst Jahrzehnte später gelang es Roland Lang vom „Südtiroler Heimatbund“ (SHB), der Vereinigung ehemaliger politischer Häftlinge, diesen Brief zusammen mit zahlreichen anderen von Magnago geheim gehaltenen Folterberichten in den SVP-Akten im Südtiroler Landesarchiv aufzufinden. Diese unter Verschluss gehaltenen erschütternden Berichte wurden dann im Jahre 2009 in dem Buch des Historikers Dr. Helmut Golowitsch „Für die Heimat kein Opfer zu schwer“ veröffentlicht.
Das Innerhofer durch Folter aufgezwungene vorgefertigte „Geständnis“ sollte ihm im Mailänder Südtirol-Prozess 3 Jahre und 3 Monate Kerker und den Verlust der Bürgerrechte für einen Zeitraum von 35 Jahren einbringen.
Aufklärungsarbeit an Schulen und in Abendvorträgen
Seit dem Jahr 2000 widmete sich Sepp Innerhofer einer zeitgeschichtlichen Aufklärungsarbeit, welche von der Landespolitik vernachlässigt wurde. Er hielt jährlich an die 30 Vorträge in Schulen und auf Abendveranstaltungen über die jüngere Südtiroler Landesgeschichte von der Faschistenzeit bis heute. Er berichtete auch über den Freiheitskampf der 1960er Jahre, die Folterungen und die Prozesse. Er bekannte sich zu dem grundlegenden Menschenrecht auf Selbstbestimmung.
Der letzte Abschied
Am 20. Mai 2019 nahmen die Angehörigen und zahlreiche Freunde an der Verabschiedung in der Martinskapelle in Schenna und an der anschließenden Beisetzung auf dem Ortsfriedhof teil.
Die mit Innerhofer befreundete ehemalige SVP-Landesrätin Martha Stocker hielt eine bewegende und politisch mutige Abschiedsrede. Sie nannte den Bauern und Freiheitskämpfer Sepp Innerhofer wegen seines mutigen Eintretens für die Menschenrechte „einen großen Europäer“.
Eine Abordnung des „Südtiroler Heimatbundes“ (SHB) legte einen Kranz an seinem Grab zusammen mit Säckchen nieder, welche Erde aus Nord-, Süd- und Welschtirol enthielten.
Ein Dokumentarwerk enthüllt Hintergründe in der Südtirol-Politik
Dieser Tage ist ein neues, spannend zu lesendes Dokumentarwerk erschienen. Es wurde am 13. April 2019 durch den Autor Dr. Helmut Golowitsch auf einer Buchpräsentation in Innsbruck vorgestellt.
Neuerscheinung Helmut Golowitsch: „SÜDTIROL – OPFER GEHEIMER PARTEIPOLITIK“ Schriftenreihe zur Südtiroler Zeitgeschichte – Band 2
Leopold Stocker Verlag Graz – Stuttgart ISBN 978-3-7020-1772-9 Das Werk ist im Buchhandel erhältlich. HIER zur Buchbestellung beim Stocker Verlag.
Über den Autor:
Bereits 2017 hatte der Verfasser Dr. Helmut Golowitsch seine Dokumentation „Südtirol – Opfer für das westliche Bündnis“ vorgestellt. Darin hatte er anhand von Geheimdokumenten die Geschichte des „Ausverkaufs“ Südtirols an Italien nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs durch führende österreichische Bundespolitiker erforscht.
In der nun vorliegenden Fortsetzung „Südtirol – Opfer geheimer Parteipolitik“ widmet sich der Verfasser der Fortsetzung dieser Politik in den 1960er Jahren. Diese vollzog sich unter Umgehung der Tiroler Landespolitiker sowie der staatlichen Institutionen auf der Ebene geheimer Absprachen zwischen bestimmten ÖVP-Bundespolitikern und Politikern der „Democrazia Cristiana“ (DC). Rom blockierte damals den Beitritt Österreichs in den gemeinsamen europäischen Markt. Unter diesem erpresserischen Druck des EWG-Vetos fand sich Bundeskanzler Dr. Josef Klaus auch zu geheimer Zusammenarbeit mit italienischen Sicherheitsdiensten und zu gesetzlich nicht gedeckten Maßnahmen gegen exilierte Südtiroler und eigene österreichische Staatsbürger bereit.
All dies wurde auf der Buchpräsentation in Innsbruck vorgestellt.
Bedeutende Zeitzeugen und Fachleute waren der der Einladung des Andreas Hofer Bundes Tirol gefolgt und hatten an der anschließenden Podiumsdiskussion teilgenommen.
Im Publikum sah man noch Sven Knoll, den Landtagsabgeordneter der Süd-Tiroler Freiheit und deren Pressesprecher Cristian Kollmann, den Experte für die Umsetzung der doppelten Staatsbürgerschaft für Südtiroler, DDr. Franz Watschinger, den Landeskommandanten des Südtiroler Schützenbundes Elmar Thaler und Univ. Prof. Dr. Erhard Hartung als früher betroffenen Zeitzeugen.
Der Autor Dr. Helmut Golowitsch sprach dem Historiker Oberst Mag. Dr. Hubert Speckner seinen großen Dank für dessen bahnbrechende Forschungsarbeit und die kollegiale Unterstützung durch Übermittlung wertvoller Dokumente und Akten aus.
In der Podiumsdiskussion erklärte Dr. Bruno Hosp, dass dieses Werk in Einblick in große Ungerechtigkeiten gebe, welche die Menschen damals ertragen mussten. Ihnen widerfahre nun Gerechtigkeit und die Geschichte werde endlich wahrheitsgetreu dargestellt.
Dr. Eva Klotz dankte dem Autor und dem Historiker Dr. Hubert Speckner für ihren Einsatz, mit welchem sie der Menschlichkeit, der Gerechtigkeit und der Wahrheit einen großen Dienst erwiesen hätten.
Dr. Franz Pahl erklärte: „Der Historiker Helmut Golowitsch stellt die Wahrheitsfrage, er schürft in der Tiefe, räumt täuschende Kulissen ab, zerpflückt geschönte Mythen und liefert beweiskräftiges Originalmaterial schwarz auf weiß. Wer sich der Wahrheit stellt, hat niemals etwas zu verlieren, sondern nur zu gewinnen, vor allem aber Selbstachtung und die Achtung aller Zeitgenossen.”
Dokumentation zum Inhalt
Der angebliche „Terroranschlag“ auf der Porze-Scharte
Als es am 25. Juni 1967 auf der Porzescharte im Grenzgebiet zu Österreich zu einem angeblichen „Terroranschlag“ kam, welcher auf der italienischen Seite Menschenleben zum Opfer fielen, blockierte Italien den von Österreich angestrebten EWG-Beitritt. Rom forderte von der Regierung in Wien ultimativ, dass in der Südtirol-Frage den Vorstellungen der italienischen Regierung folge.
Italien beschuldigte fälschlicher weise österreichische Staatsbürger, auf der Porze-Scharte im österreichisch-italienischen Grenzgebiet Minenfallen gelegt und dadurch 4 italienische Soldaten getötet zu haben.
Der Historiker und Mitglied der Österreichischen Landesverteidigungsakademie, Oberst Mag. Dr. Hubert Speckner hat dazu wesentliche Akten im österreichischen Staatsarchiv entdeckt, die der Forschung bislang noch nicht bekannt waren. Er hat sie dem Autor Dr. Golowitsch zugänglich gemacht, vor allem aber auch selbst wissenschaftlich ausgewertet.
Die von Dr. Speckner entdeckten Akten sind ein wesentliches Fundament der neuen Dokumentation.
Dr. Speckner hat selbst in einem Aufsehen erregenden Werk dargelegt, dass die italienischen Darstellungen dem angeblichen „Attentat“ nicht stimmten und sich die Dinge nicht wie behauptet abgespielt haben konnten.
In der nun vorliegenden Dokumentation von Dr. Helmut Golowitsch werden zwei neue Sprengsachverständigen-Gutachten wiedergegeben, welche die Untersuchungsergebnisse von Dr. Speckner aufgrund der physikalischen Gegebenheiten voll bestätigen.
Österreichische Zeugen: Keine Tatspuren am „Tatort“
Einen Tag am 26. Juni später hatte sich der Lienzer Bezirkshauptmann Dr. Othmar Doblander zusammen mit dem Bezirksgendarmerie-Kommandanten Scherer mit einem Hubschrauber zu dem unmittelbar an der österreichischen Grenze gelegenen angeblichen „Tatort“ hinauffliegen lassen.
Er konnte überhaupt keine „Tatspuren“ feststellen. Es waren auch keine Italiener in dem gesamten Gebiet zu sehen. Nach einer solchen „Tat“ hätten zahlreiche mit der Spurensicherung befasste Polizeibeamte auf der Porzescharte sein müssen. Nichts! Keine Spuren, keine Tatortkommission!
Am 26. Juni besichtigten ein oder mehrere Berichterstatter der „Tiroler Tageszeitung“ den angeblichen „Tatort“ auf der Porzescharte. Das Ergebnis dieser Ortsbegehung bestätigte die Beobachtungen des Bezirkshauptmannes Doblander, die damals freilich nicht öffentlich bekannt waren. Die TT“ berichtete am 27. Juni 1967: Der angebliche „Tatort war völlig unberührt und es gab keinerlei „Tatort“-Spuren.
Es gibt noch weitere Zeugenaussagen von Mitarbeitern der österreichischen Verbundgesellschaft, die ebenfalls bestätigen, dass es zunächst auf der Porzescharte keinen „Tatort“ gab.
Waren die Toten Opfer einer Verminungs-Übung?
Damalige Berichte der einheimischen Bevölkerung lauteten dahingehend, dass die italienischen Toten Unfallopfer einer Verminungsübung auf dem nahe gelegenen italienischen Militärgelände im Gebiet des Kreuzbergpasses gewesen waren.
Dieses italienische Militärgelände war das Übungsgebiet italienischer Spezialeinheiten. So übte dort eine Spezialeinheit „Sabotatori-Paracadutisti“ („Fallschirmjäger – Saboteure“), zu deren Aufgaben das Legen von Minenfallen gehörte.
Nachstehen damalige Schlagzeilen der „Tiroler Tageszeitung“:
Demnach hätten die Italiener die Körper der Verunfallten dazu benutzt, um nachträglich einen „Tatort“ zu arrangieren, Österreicher zu beschuldigen und die Republik Österreich politisch unter Druck zu setzen. Dokumente und Augenzeugenberichte stützten diese These. Um dafür endgültige und detaillierte Beweise zu erhalten, wäre aber ein Zugang in die italienischen Geheimdienstarchive nötig. Dieser wird wohl nie gewährt werden.
Ein Österreicher darf „Bekennerschreiben“ finden
Als der „Tatort“ fertig war, ließ man den österreichischen Polizeioberstleutnant namens Alois Massak zu einer „Untersuchung“ zu. Er durfte eine kleines Holzgehäuse mit einer Zündvorrichtung finden, welches seltsamer Weise die Minenexplosion so unbeschadet überlebt hatte, dass auf dem Holzdeckel ein Bekennerschreiben des „Befreiungsausschusses Südtirol“ (BAS) deutlich lesbar war. Ein Foto dieses „Beweisstückes“ durfte Massak seiner Regierung übermitteln.
Wenige Zeit später übergaben die italienischen Behörden ebenfalls ein Foto dieser Selbstbezichtigung der „assassini neonazisti“ – der „neonazistischen Mörder“ der italienischen Presse. Seltsamer Weise hieß es in der Aufschrift auf diesem „Beweisstück“ plötzlich „MUESST“ statt „MUßT“, wie noch in der Aufschrift des an den Österreicher Massak übergebenen Foto des „Beweisstücks“ geheißen hatte. Bei allem Einfallsreichtum arbeiten italienische Geheimdienste offenbar nicht immer sorgsam genug. Hier hatte man wohl zwei ursprünglich angefertigte Vorlagen miteinander verwechselt.
Das EWG-Veto
Rom hatte bereits seit 1963 Wien unter starken politischen Druck gesetzt, indem Österreichs beabsichtigter EWG-Beitritt inoffiziell hinter den politischen Kulissen hintertrieben wurde.
Rom nahm das „Attentat“ auf der Porze-Scharte zum Anlass, am 29. Juni 1967 öffentlich den Beitritt Österreichs in den gemeinsamen europäischen Markt mit einem offiziellen Veto zu blockieren, da Österreich nichts gegen den Südtiroler „Terrorismus“ unternehme.
Rom stellte nun weitgehende Forderungen.
Wien anerkennt italienische Attentats-Version
Die ÖVP stand ab nun unter dem ständigen Druck Roms, ihrer europäischen christdemokratischen Alliierten, aber auch ihres eigenen mächtigen Wirtschaftsbundes. Die ÖVP-Alleinregierung unter Dr. Klaus schwenkte in allen Südtirol-Fragen zunehmend auf die italienischen Vorstellungen ein.
Wien anerkannte nun auch offiziell die italienische Version des angeblichen Geschehens auf der Porze-Scharte.
Die geheime Zusammenarbeit mit den italienischen Sicherheitsdiensten
Unter dem erpresserischen Druck des EWG-Vetos fand sich Bundeskanzler Dr. Josef Klaus unter Umgehung der Rechtshilfe-Vorschriften zu geheimer Zusammenarbeit mit italienischen Sicherheitsdiensten und zu gesetzlich nicht gedeckten Maßnahmen gegen exilierte Südtiroler und eigene österreichische Staatsbürger bereit.
Bundeskanzler Dr. Josef Klaus stand bereits seit Jahren in engem persönlichem Kontakt mit führenden Politikern der „Democrazia Cristiana“ (DC), vertrat die enge politische Anbindung an die Interessen der Westmächte und war nur allzu bereit, Rom gegenüber willfährig zu sein.
In einer Ministerratssitzung erklärte Klaus am 4. Juli 1967 nun, dass alle Südtiroler Freiheitskämpfer – in seiner Diktion „Terroristen“ – hinter „Schloss und Riegel“ gehörten.
In seinem Bestreben, Italien zur Aufhebung seines Vetos gegen Österreichs Eintritt in die „Europäische Wirtschaftsgemeinschaft“ (EWG) zu bewegen, nahm es die ÖVP-Alleinregierung Dr. Klaus in Angriff, alle noch in Freiheit befindlichen Südtirol-Aktivisten in geheimer Zusammenarbeit mit den italienischen Sicherheitsdiensten auszuschalten.
*Es wurde das Bundesheer mobilisiert und eingesetzt, um Südtirol-„Terroristen“ bei einem allfälligen Überschreiten der Grenze abzufangen.
*Achtzehnjährige Grundwehrdiener erhielten einen mehr als problematischen Schießbefehl gegen Menschen.
Junge unerfahrene Buben sollten diesem unsäglichen Befehl zufolge auch in der Dämmerung und über größere Distanzen sofort erkennen, wer ein „Sprengstoffverbrecher“ sei und dann „nur auf Beine“ zielen. Gott sei Dank kam es in der Folge jedoch zu keinem derartigen Zwischenfall.
Zwangsaufenthalt für geflüchtete Südtiroler
*Nach Österreich geflüchteten Südtirolern wurden Zwangsaufenthalten angewiesen oder sie wurden unter allerlei Vorwänden in Polizeigewahrsam genommen.
Es gab Protestplakate und Protestkundgebungen gegen die Vorgangsweisen der österreichischen Bundesregierung.
*Da aufgrund der österreichischen Rechtslage eine Rechtshilfe an die italienische Justiz in politischen Fällen nicht zulässig war, wurde dieses Verbot umgangen, indem auf geheimen Treffen italienischer und österreichischer Sicherheitsbeamter in der Schweiz den Italienern das gewünschte Material zur Verfolgung Südtiroler Freiheitskämpfer ausgehändigt wurde.
Es wurden den Italienern Namen, Verhörergebnisse und auch Polizeifotos von Exil-Südtirolern heimlich zur Verfügung gestellt.
Prozess gegen Österreicher – Beweismittelunterdrückung durch das Innenministerium – falsche Zeugenaussage
*Gegen die von Italien in der Causa Porze-Scharte beschuldigten Österreicher Peter Kienesberger, Dr. Erhard Hartung und Egon Kufner wurde ein Prozess angesetzt. Der ÖVP-Innenminister Dr. Hetzenauer enthielt dem Gericht wesentliche in den österreichischen Akten aufliegende entlastende Beweise vor und es kam sogar zu einer Falschaussage eines hohen Polizeibeamten. Den anschließenden Schuldspruch hob allerdings der Oberste Gerichtshof wieder auf und in der folgenden Verhandlung kam es 1971 dann zu einem klaren Freispruch. Eindeutige Beweise hatten ergeben, dass die von Italien Beschuldigten keine Täter waren.
*In Italien kam es ebenfalls zu einem Prozess gegen die drei Österreicher – in Abwesenheit und geführt nach der alten faschistischen Strafprozessordnung. Hier kam es selbstverständlicher Weise zu einer Verurteilung.
Wien duldet Folterungen eigener Staatsbürger
*Angesichts der überaus kooperativen Haltung der Regierung Klaus ließ man in Italien auch gegenüber verhafteten Österreichern alle Hemmungen fallen. Die österreichischen Staatsbürger Hans Jürg Humer und Karl Schafferer wurden schwer gefoltert. Dem österreichischen „Bergisel-Bund“ war ein detaillierter Bericht der Mutter eines der Gefolterten zugekommen. Ihr Sohn hatte ihr bei einem Besuch im Gefängnis flüsternd mitgeteilt, wie schwer er zwecks Erpressung eines Geständnisses gefoltert worden war. Dieser Bericht wurde Bundeskanzler Dr. Josef Klaus und seinem Außenminister Dr. Waldheim übermittelt und verschwand dort auf Nimmerwiedersehen, ohne dass Wien einen Finger für die gefolterten eigenen Staatsbürger rührte. Die Berichte müssen damals vernichtet worden ein, denn sie sind auch heute im Staatsarchiv nicht mehr auffindbar.
Der Autor Helmut Golowitsch – damals Mitarbeiter im Bergisel-Bund – hatte jedoch Kopien verfertigt gehabt, die jetzt in der vorliegenden Dokumentation wiedergegeben sind.
Widerstand von ÖVP-Landespolitikern und des Justizministers
Das geheimdienstliche und sicherheitspolizeiliche Zusammenspiel mit Rom hatte man damals nicht nur vor der österreichischen Bevölkerung, sondern vor allem auch vor den Nordtiroler Landespolitikern geheim gehalten.
Widerstand dagegen leistete der auf Rechtsstaatlichkeit bedachte parteifreie Justizminister Univ.-Prof. Dr. Hans Klecatsky. Er lehnte die Schaffung von Sondergesetzen ab.
Nordtiroler Politiker wie der Landeshauptmann Eduard Wallnöfer (ÖVP) und ehemalige altösterreichische Offiziere wie der oberösterreichische Landeshauptmann Dr. Heinrich Gleißner (ÖVP) opponierten ebenfalls gegen die Wiener Linie, ließen Demonstrationen von Südtirol-Freunden zu und unterstützten finanziell die Familien inhaftierter Südtiroler Freiheitskämpfer.
Die vorliegende Dokumentation behandelt die Geschehnisse bis zu dem Jahr 1968. Ein noch in Ausarbeitung befindlicher weiterer Band soll im Herbst erscheinen und Verfolgungen von Südtirolern in Österreich und die politische „Erledigung“ der Südtirol-Frage durch die Autonomie-Lösung und Streitbeilegungserklärung behandeln. Hierbei hat Österreich im Interesse Roms auf eine international-rechtliche Absicherung des Autonomie-„Pakets“ verzichtet, um so die Aufhebung des EWG-Vetos zu erreichen.
Tatsächlich sollte Italien sein Veto gegen einen österreichischen EWG-Beitritt auch erst am 8. Dezember 1969 zurückziehen, nachdem am 22. November 1969 die Landesversammlung der „Südtiroler Volkspartei“ (SVP) das unter Mithilfe Österreichs ausgehandelte, international nicht abgesicherte „Autonomie-Paket“ angenommen hatte.
Einladung zur Buchpräsentation: „Südtirol – Opfer geheimer Parteipolitik“
Für sein neuestes Werk hat Südtirol-Experte und Buchautor Helmut Golowitsch erst kürzlich entdeckte, lange Zeit geheimgehaltene Dokumente erstmals ausgewertet. Bei der Präsentation seines Buches „Südtirol – Opfer geheimer Parteipolitik“ wird er selbst darüber berichten.
Ort: Hagenstraße 20 Datum: Mittwoch, 20. März 2019, 19 Uhr Ort: Hagenstraße 20, 4040 Linz Veranstalter: Akad. Burschenschaft Arminia Czernowitz zu Linz (Anreiseplan am Ende des Textes)
Bei der Veranstaltung besteht die Möglichkeit das Buch käuflich zu erwerben und es durch den Autor signieren zu lassen.
„Südtirol – Opfer geheimer Parteipolitik“
Bereits 2017 stellte Helmut Golowitsch seine sensationelle Dokumentation „Südtirol – Opfer für das westliche Bündnis“ vor. Darin ergründete er anhand von Geheimdokumenten die Geschichte des „Ausverkaufs“ Südtirols an Italien nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs durch führende österreichische Bundespolitiker (ein Interview mit Helmut Golowitsch dazu lesen Sie hier). Bereits in diesem Buch wurde deutlich, dass es sich bei den häufigen Beteuerungen von Politikern insbesondere der ÖVP, niemals auf Südtirol und die Rechte der dortigen angestammten deutschen Bevölkerung verzichten zu wollen, um kaum mehr als Lippenbekenntnisse handelte.
In der nun vorliegenden Fortsetzung „Südtirol – Opfer geheimer Parteipolitik“ widmet sich Helmut Golowitsch der Fortsetzung dieser Politik durch die ÖVP-Regierungen in den 1960er Jahren, welche sich unter teilweiser Umgehung staatlicher Institutionen auf der Ebene geheimer Absprachen zwischen ÖVP-Politikern und DC-Politikern vollzog. Rom blockierte den Beitritt Österreichs in den gemeinsamen europäischen Markt. Unter diesem erpresserischen Druck fand sich die österreichische Bundesregierung unter Bundeskanzler Josef Klaus auch zu geheimer Zusammenarbeit mit italienischen Sicherheitsdiensten und zu gesetzlich nicht gedeckten Maßnahmen gegen exilierte Südtiroler und eigene österreichische Staatsbürger bereit. All dies wird im neuesten Werk von Helmut Golowitsch eingehend dokumentiert.
Über den Autor
Helmut Golowitsch, geb. 1942, studierte Publizistik und Volkskunde in Wien; anschließend langjährige journalistische Tätigkeit. Als Zeithistoriker hat er zahlreiche Arbeiten zur Zeitgeschichte Südtirols publiziert, so u. a. über das Zustandekommen und die Hintergründe des Pariser Vertrags von 1946, den Gebirgskrieg am Ortler 1915–1918 sowie den Südtiroler Freiheitskampf der 1960er Jahre. Zuletzt erschien im Leopold Stocker Verlag „Südtirol – Opfer für das westliche Bündnis“ (Graz 2017).
Was bedeutet uns Heutigen das Leben und Sterben des Andreas Hofer?
Gedenkfeiern in Südtirol und Italien
In ganz Südtirol fanden in den letzten Tagen würdige Gedenkfeiern anlässlich des 209. Todestages des Freiheitshelden Andreas Hofer statt. Aus der großen Zahl dieser Veranstaltungen seien hier nur einige wenige bemerkenswerte Höhepunkte berichtet.
„Für ein freies, selbstbestimmtes und vereintes Land!“
Seit 35 Jahren gedenkt der Südtiroler Schützenbund alljährlich am 20. Februar in Mantua der Erschießung Andreas Hofers. Dieses Jahr richtete der Schützenbezirk Pustertal an dem Andreas-Hofer-Denkmal im Stadtteil Cittadella, an der Todesstätte des Freiheitskämpfers, die Feier aus. Der Einladung waren 35 Fahnenabordnungen mit rund 300 Schützen und Marketenderinnen, sowie Abordnungen von Traditionsverbänden gefolgt, die von Vertretern der Stadtgemeinde Mantua herzlich begrüßt wurden.
Der Landeskommandant-Stellvertreter des Südtiroler Schützenbundes, Schützenmajor Heinrich Seyr, hielt eine bemerkenswerte Rede, in der er Andreas Hofer kritisch in einen Vergleich mit heutigen Vertretern der Politik stellte:
„Man vergisst bei der kritischen Durchleuchtung Hofers allzu gern, dass Hofer keiner jener heutigen Doppelverdiener war, keiner jener viel zitierten Postenschächer, keiner, der seine eigenen Vorteile vor jenes der Allgemeinheit gesetzt hat. Hätte er es auf Wirtschaftlichkeit angelegt gehabt, hätte er sich am Sandwirtshaus nur stillhalten brauchen. Fleißig Vorspanndienste leisten müssen und dafür österreichisches, französisches und bayerisches Geld einstecken können. Aber er tat das Gegenteil, er rückte aus, hielt seinen Kopf hin für die vermeintliche Freiheit und verbreitete Hoffnung und Träume. Er war keiner, der nur große Worte schwang. Bescheiden, wortkarg und einfach war er, ein Mann der Tat, schon das allein lässt ihn im direkten Vergleich mit seinesgleichen der Gegenwart sehr wohl ein Held und Vorbild sein.“
Major Seyr richtete die Frage an die Teilnehmer, welche Menschen wohl vorzuziehen seien? Jene, die wie Andras Hofer für die Heimat eintreten, oder jene, die für augenblicklichen Gewinn die Zukunft verkaufen?
Der Schützenmajor forderte dazu auf, an eine Zukunft zu denken, in der Südtirol kein Teil des italienischen Staates mehr sein solle.
„Italien wird ein Fass ohne Boden bleiben, Italien ist nicht zu retten, für uns Tiroler im Süden braucht es neue Visionen. Träumen allein genügen dabei freilich nicht. Wir müssen erkennen, dass man diese erst dann verwirklichen kann, wenn wir uns entschließen, einmal daraus zu erwachen. … Wir müssen uns auf den Weg machen. Was heute als Zukunftsroman beginnt, wird man morgen vielleicht als Reportage einer Erfolgsgeschichte zu Ende schreiben können. … Deshalb braucht es Frauen und Männer, die gängige Denkmuster verlassen und über ihren geistigen Tellerrand hinausdenken. Die Geschichte lehrt uns, dass nichts bleibt wie es war, und vor allem, kein Staatsgebilde für die Ewigkeit bestimmt ist…. Deshalb muss für uns gelten, das Vermächtnis Hofers, und das Vermächtnis all unser Vorfahren weiterzutragen. Einzustehen für die Freiheit und gemeinsam, mit allen Menschen guten Willens, an der sicheren Zukunft für ein freies, selbstbestimmtes und vereintes Land zu arbeiten.
An der Vergangenheit kann man nichts ändern. Die Gegenwart kann man manchmal auch nicht ändern. Aber man kann die Zukunft gestalten! Man muss sie gestalten: Das ist unsere Pflicht der Heimat gegenüber.
Schützen Heil!“
Mit Feuer im Herzen etwas für Heimat bewegen
Auf der großen Südtiroler Landesfeier in Meran hielt die 18-jährige Miss SüdtirolFelicia Gamper die Gedenkrede.
Sie sagte, dass der Freiheitskämpfer Andreas Hofer bereit gewesen sei, für unser wertvolles Tirol zu kämpfen und alles für seine Wertvorstellungen und das Erreichen seiner Ziele zu geben, sogar sein Leben.
„Andreas Hofer hatte den Antrieb, unserem Land zu helfen, unsere Kultur, unsere Traditionen, unseren Glauben und unsere Sprache zu bewahren. Es war auch später eine Herausforderung für das Tiroler Volk, seinen Wurzeln treu zu bleiben, trotz Weltkriegen, Nationalsozialismus und Faschismus.“
In Bezug auf die Menschen in Südtirol betonte die Rednerin, „dass sie es immer wieder geschafft haben, zusammenzuhalten und sich treu zu bleiben.“ An die Marketenderinnen und Schützen richtete Felicia Gamper, die auch Marketenderin der Schützenkompanie St. Pankraz in Ulten ist, die Botschaft:
„Erst, wenn wir das Feuer im Herzen spüren, können wir etwas bewegen. Ich wünsche euch, dass ihr täglich den Mut aufbringt, das ‚Warum‘ zu finden, zu leben und dadurch für euch und auch für unser schönes Heimatland etwas zu bewegen.“
Landeskommandant Elmar Thaler ging in seiner Begrüßungsrede darauf ein, dass die Zugehörigkeit Südtirols zum italienischen Staat für den südlichen Teil Tirols negativ sei. Er forderte die Festgäste dazu auf, „einen Blick auf die Geschichte zu werfen, als Tirol noch eins war, als wir nicht von italienischen Politikern, italienischer Verwaltung und italienischen Gewohnheiten … abhängig waren“.
Die Tradition des Eintretens für die Freiheit – von 1809 bis heute
In Margreid hielt Roland Lang, der Obmann des von ehemaligen Freiheitskämpfern und politischen Häftlingen gegründeten „Südtiroler Heimatbundes“ (SHB), die Rede, in welcher er den Bogen von der ruhmreichen Zeit Andreas Hofers bis hin in die Gegenwart spannte.
Es sei ihm eine Ehre, sagte Lang, hier in Margreid vor Schützen sprechen zu können, deren Vorgänger und Vorfahren in mehreren Jahrhunderten und zuletzt als Standschützen im Ersten Weltkrieg vielfach ihren Beitrag zur Landesverteidigung geleistet hatten.
Die Tiroler hätten 1809 allen unterworfenen Völkern ein Beispiel ihres Freiheitswillens gegeben. „Tirol musste sich dann 1915 wieder selbst verteidigen. Während im ersten Kriegsjahr die besten militärischen Verbände an der Ostfront gekämpft und geblutet haben, haben die Standschützen zuerst alleine, später dann mit zu Hilfe gekommenen bayrischen Soldaten und dem österreichischen Militär die Süd Front unsere Heimat verteidigt.
Wie im Sturmjahr 1809 hatte sich das Volk erhoben. Nach dem Gesetz noch nicht wehrpflichtige Knaben und für den Felddienst zu alte Männer eilten zu den Schießständen, um sich eintragen zu lassen. Auch wer schon vorher als Schütze einem Schießstand beigetreten war, hatte sich damit freiwillig zur Landesverteidigung verpflichtet gehabt und rückte jetzt an die bedrohte Grenze. Dann leisteten die Standschützen auf ihre altehrwürdigen Schützenfahnen das Gelöbnis, welches viele von ihnen bald mit ihrem Leben besiegeln sollten:
‚Wir schwören zu Gott dem Allmächtigen einen feierlichen Eid … gegen jeden Feind … tapfer und mannhaft zu streiten, unsere Truppen, Fahnen und Geschütze in keinem Falle zu verlassen … und auf diese Weise mit Ehren zu leben und zu sterben, so wahr uns Gott helfe! Amen!‘
In der Stunde höchster Bedrängnis bildeten sich auch in Oberösterreich, Salzburg und Steiermark freiwillige Schützenregimenter, die der bedrängten Südfront zu Hilfe eilten.
Es ist von höchster Symbolik, dass zu Kriegsende Tiroler Standschützen und die Freiwilligen Schützen Kärntens, Oberösterreichs, Salzburgs und der Steiermark auf dem höchsten Berg Tirols, dem Ortler, standen und ihre Stellungen hielten, bis im November 1918 Tirol dem Feinde kampflos preisgegeben werden musste.
Das Opfer der Standschützen und Freiwilligen Schützen war jedoch nicht vergebens gewesen. So wie das Beispiel Andreas Hofers und seiner Mitstreiter, so prägten auch die Helden von 1915 bis 1918 den Geist der nachfolgenden Generationen und vermittelten ihnen den Stolz auf die Taten der Väter und Großväter.“
Lang erinnerte an den Widerstand gegen den Faschismus und Nationalsozialismus und erinnerte dann an die Freiheitskämpfer der 1960er Jahre:
„Ein entschlossenes Nein zur Erniedrigung ihrer Heimat setzten die Freiheitskämpfer der sechziger Jahre der Weiterführung der faschistischen Unterdrückungspolitik durch das demokratische Italien entgegen. Vergessen wir die Opfer nicht, die selbstlose Männer und Frauen in den sechziger Jahren für die Heimat erbrachten.“
Dann kam der SHB-Obmann auf die aktuelle Lage in Südtirol zu sprechen und wies warnend auf die: „Politik der Anbiederung, der ängstlichen Nachgiebigkeit gegenüber Rom“ hin, die in Südtirol Einzug gehalten habe!
Es gelte nun, aus einem „Geist der Verantwortung vor der Heimat, vor Gott und den Menschen … wir in demokratischer Friedensgesinnung für unser Volk“ zu leben und zu handeln.
„Ehre, Treue, Gottvertrauen und die Liebe zum Land Tirol!“
In Olang hielt Werner Neubauer, Abgeordneter zum Österreichischen Nationalrat und FPÖ-Südtirol-Sprecher, die Gedenkrede. Der Abgeordnete Neubauer ist auch Mitglied der Schützenkompanie Major Josef Eisenstecken in Gries, welcher der im Auftrag des italienischen Staates 1964 ermordete Freiheitskämpfer Luis Amplatz angehört hatte.
Jede völkische Minderheit, sagte Neubauer, benötige für die Aufrechterhaltung seiner Identität ein geschlossenes Siedlungsgebiet, eine gemeinsame Sprache und gemeinsame Traditionen.
Wenn ein Staat einer Minderheit die Identität rauben wolle, so müssten sich die Betroffenen an jenen Menschen orientieren, „die selbst in schweren Zeiten das Tiroler Wesen gelebt, vorgelebt und es – selbst durch den Einsatz des eigenen Lebens – verteidigt haben! Sie wurden so zu Vorbildern in ganz Tirol, ja über die Landesgrenzen hinaus.“
Zu diesen großen Vorbildern gehöre Andreas Hofer, aber auch der Olanger Tharerwirt Peter Sigmair, der von den Franzosen hingerichtet wurde und sein Leben opferte, um das seines Vaters zu retten.
Diese Freiheitskämpfer, sagte Neubauer, stünden für die Tugenden „Ehre, Treue, Gottvertrauen und die Liebe zum Land Tirol! Andreas Hofer würde seine heutigen volkstumspolitischen Ziele nicht weniger hoch ansetzen als er es vor 200 Jahren tat. Deshalb sind wir ihm auch heute verpflichtet. Sein Erbe muss uns Auftrag und Verpflichtung sein.“
Seltsame Gedenkmesse in Gries
Wie der „Südtiroler Heimatbund“ (SHB) in einem Pressedienst mitteilt, hatte die Schützenkompanie Major Josef Eisenstecken in Gries zu einer Andreas Hofer-Gedenkfeier eingeladen, die traditionsgemäß auch mit einer Messfeier verbunden war.
Der eine offenbar sehr zeitgeistige Linie vertretende Pfarrer Dr. Ulrich Kössler sprach sowohl bei der Messfeier wie bei der anschließenden Kranzniederlegung nur allgemein von den Gefallenen aller Kriege und vermied jegliche Erwähnung der Freiheitskämpfer.
Er erinnerte weder an jene von 1809, noch an jene der 1960er Jahre einschließlich des Grieser Fahnenleutnants Luis Amplatz. Der Pfarrer fand es auch nicht der Mühe wert, an einen berühmten Mitstreiter Andreas Hofers zu erinnern, dessen Schicksal sich in Gries vollendet hatte: An Peter Mayr, der nur einige Hundert Meter von der Grieser Stiftskirche entfernt am 20. Februar 1810, am Todestag von Andreas Hofer, von den Franzosen erschossen wurde.
Viele Anwesende empfanden die Missachtung des Andenkens an die Freiheitskämpfer durch den Pfarrer durchaus nicht als Demonstration besonders christlichen Friedenswillens. Hier wurde ganz andere Kritik laut.
Dem Herrn Pfarrer sei für seine Weiterbildung die Lektüre nachstehender Dokumentation empfohlen!
Dokumentation zu dem Thema:
Was bedeutet uns Heutigen das Leben und Sterben des Andreas Hofer?
Vor 209 Jahren, am 20. Februar 1810, wurde Andreas Hofer im Festungsgraben von Mantua von einem französischen Exekutionskommando, bestehend aus 12 Grenadieren und deren Kommandanten, dem aus Befort in Luxemburg stammenden Korporal Michel Eiffes, hingerichtet. Der napoleonische Vizekönig von Italien, Eugène Beauharnais, wollte Hofer das Leben retten, doch Napoleon befahl seinem Schwiegersohn persönlich die Exekution durch Erschießen:
„… verfüge augenblicklich die Bildung einer Militärkommission, die ihn aburteilen und erschließen lassen soll… All dies innerhalb von 24 Stunden.“
Der gefangene Andreas Hofer war für Napoleon noch eine Gefahr
Noch nach Hofers Niederlage und seiner Gefangennahme am 28. Jänner 1809 auf der Pfandleralm (durch Verrat wegen eines Judaslohns von 1.500 Gulden) erschien der Wirt vom Sandhof im Passeiertal dem mächtigsten Mann dieser Zeit als eine so große Gefahr, dass er ihn innerhalb von 24 Stunden erschießen ließ.
Was war es, das Napoleon so sehr fürchtete? Es war die Idee der Freiheit – und im Gefolge dieser Idee die offene Zuneigung in ganz Europa für Hofers Kampf, die ihn für Napoleon so hassenswert und vor allem politisch gefährlich machte. Napoleon wollte die Heroisierung eines lebenden Hofer verhindern. Durch das Urteil bewirkte er das Gegenteil! Hofers vorerst gescheiterter Kampf um die Tiroler Freiheit war ein Funke, der den Brand in Europa gegen den Diktator und selbstgekrönten Kaiser der Franzosen entfachen half.
Königin Luise von Preußen und Bettina von Arnim über Andreas Hofer
Bereits Zeitgenossen würdigten Hofers Charakter. Königin Luise von Preußen (10. März 1776, †19. Juli 1810) schrieb über Andreas Hofer folgende Gedanken nieder:
„Welch ein Mann dieser Andreas Hofer! Ein Bauer wird Feldherr, und was für einer! Seine Waffe – Gebet; sein Bundesgenosse – Gott. (…) Ein Kind an Gemüt, kämpft er wie die Titanen mit Felsstücken, die es von seinen Bergen niederrollt …“
Die Schriftstellerin Bettina von Arnim schrieb an Johann Wolfgang von Goethe: „Ach, lieber Goethe! Deine Zeilen kamen mir zu rechter Stunde, da ich eben nicht wußte, wohin mit aller Verzweiflung; zum erstenmal hab‘ ich die Weltbegebenheiten verfolgt mit großer Treue für die Helden, die ihr Heiligtum verfechten; dem Hofer war ich nachgegangen auf jeder Spur, wie oft hat er nach des Tages Last und Hitze sich in der späten Nacht noch in die einsamen Berge verborgen und mit seinem reinen Gewissen beratschlagt, und dieser Mann, dessen Seele frei von bösen Fehlen, offen vor jedem lag als ein Beispiel von Unschuld und Heldentum, hat nun endlich am 20. Februar zur Bestätigung seines großen Schicksals den Tod erlitten; wie konnt‘ es anders kommen, sollte er die Schmach mittragen? (…)“
Die Bürger von Mantua wollten Hofer freikaufen
Begüterte italienische Bürger von Mantua empfanden 1809 für Hofer eine derartige große Zuneigung, dass sie Lösegeld für seine Freilassung anboten. Sie sahen in Hofer „einen Helden oder einen Heiligen“, wie Hofers Rechtsanwalt, Joachim Basevi aus Mantua, in seinem Tagebuch anmerkte. Basevi war von der Unschuld des „einfachen, redlichen Mannes“ überzeugt, dem „jede Lüge fremd ist“.
„Auch wie schießt ihr schlecht! Ade mein Land Tirol!“
Am 20. Februar 1810 ging Andreas Hofer vor der Bastei der Festung Mantua mit einer aufrechten Haltung in den Tod, die sein letzter Beichtvater und Beistand im Tode, Giovanni Manifesti, der Propst und Erzpriester von Santa Barbara, bezeugte: „Con somma mia consolazione ed edificazione ho ammirato un uomo, ch’e andato alla morte come un eroe cristiano, e l’ha sostenuta come martire intrepido.” („Ich bewunderte voll Trost und Erbauung einen Mann, der als christlicher Held zum Tode ging und ihn als unerschrockener Märtyrer erlitt.“)
Die Erschießung durch Militär fand nach festem Reglement statt. In Begleitung eines Priesters und unter Trommelwirbel wurde Andreas Hofer am Montag, 20.2.1809 um 10.45 Uhr, auf den Erschießungsplatz im Festungsgraben von Mantua geführt. Es wurde ihm das Urteil vorgelesen. Dann wurde aufgefordert, sich niederzuknien, es sollten ihm auch die Augen verbunden werden: beides verweigerte der 1,85 m große, kräftige und gefasste Hofer, er blieb stehen und sah den Soldaten des Erschießungskommandos in die Augen.
In dem von Julius Mosen 1831 gedichteten Andreas-Hofer-Lied heißt es in der letzten Strophe:
„Und von der Hand die Binde nimmt ihm der Korporal, Andreas Hofer betet allhier zum letzten Mal; dann ruft er: „‘Nun so trefft mich recht! Gebt Feuer! Ach wie schießt ihr schlecht! Ade mein Land Tirol!‘“
Diese Darstellung war nicht der freien Erfindung des Dichters Mosen entsprungen, sondern hat einen realen Hintergrund, der nach der Erschießung im Volk bekannt gewesen sein muss.
Auf Kommando schossen die Soldaten auf den nur zehn Schritte entfernt stehenden Hofer. Auf diese sehr kurze Distanz kann normal kein Soldat fehlen. Aber auch Soldaten sind Menschen mit Nerven und Gewissen. Diese Soldaten zielten zwar, trafen Hofer offenbar unter starker Gemütsbewegung nur sehr schlecht, Hofer fiel auf die Knie, eine zweite Salve traf sein Gesicht, er brach zusammen, lebte jedoch noch, war schwer verwundet. Deshalb trat Korporal Eiffes auf Hofer zu, setzte den Lauf seines Gewehres an dessen linke Schläfe und erschoss ihn. Auch dieser Korporal muss unter der Ausführung des ihm erteilten Befehls sehr gelitten haben. In den Erinnerungen von Korporal Eiffes finden sich, laut der Buchautorin und Journalistin Susanne Gurschler, nämlich sehr berührende Aussagen über Hofer:
„Diese Tiroler, ein Volk durchdrungen von der Liebe zur Freiheit und ihrer Heimath, muthig und voller Todesverachtung, besonders wenn es heißt, jene zu vertheidigen … Andreas Hofer, wie erhebend klingt dieser Name für einen jeden, der die Eigenschaften dieses Mannes zu würdigen weiß. Thränen kommen mir in die Augen, wenn ich von diesem tapferen Gebirgssohne singen oder sprechen höre.“
Wofür hatte Andreas Hofer gekämpft?
Die Antwort ist klar und einfach: Für die alten Freiheits- und Verteidigungsrechte Tirols, die in dem Freiheitsbrief von 1342 und im Landlibell von 1511 niedergelegt waren.
Das Land Tirol kannte keine Leibeigenschaft. Der freie Bauer trug Waffen. Die Tiroler mussten zudem keine auswärtigen Kriegsdienste leisten, sondern nur das eigene Land und dessen Freiheitsrechte verteidigen. Zu diesen Freiheitsrechten, die Andreas Hofer mit dem Landesaufgebot verteidigte, hatte auch die Ausübung des Glaubens gehört.
Österreichische Offiziere bringen die sterblichen Überreste Hofers nach Tirol
1823 enterdigten österreichische Offiziere Hofers sterbliche Überreste in Mantua und brachten diese nach Innsbruck, wo sie in der Innsbrucker Hofkirche beigesetzt wurden.
Erzherzog Johann verehrte den Tiroler Freiheitshelden
Erzherzog Johann von Österreich war ein großer Verehrer Andreas Hofers gewesen. Er liebte das Land Tirol, in welchem er seine späten Lebensjahre verbrachte. Im Jahre 1845 schrieb er, nachdem er wieder nach Tirol hatte zurückkehren können:
„Ich war wieder in Tirol, frei und unbehindert, dem Land angehörend durch Liebe und Treue, durch Besitztum, durch Weib und Kind. Jenem Land, von dem ich vor 15 Jahren eine Schachtel Erde holte, damit auf dieser einst mein Haupt im Grabe ruhe – wusste ich doch nicht, ob es mir einmal vergönnt sein werde, frei dasselbe zu betreten.“
(Aus Johanns Tagebuch von 1845. Zitiert bei Bernhard Wurzer: „Tiroler Freiheitskampf“, Schriftenreihe zur Zeitgeschichte Tirols, Bd. 5, Erw. Neuauflage, S. 89)
Johann hatte die Wiege des Freiheitshelden Andreas Hofer zu dessen Andenken auf sein Schloss Schenna bei Meran geholt. Dort ruht der Erzherzog, seinem letzten Wunsch gemäß, im Mausoleum des Schlosses, an seiner Seite ruhen seine Frau und sein Sohn.
Hofers Verfemung unter dem Faschismus und Nationalsozialismus
Unter dem faschistischen Regime, welches Südtirol bis hin zur Umwandlung der Orts- und Familiennamen italianisieren wollte, wurde selbstverständlich keine ehrende Erinnerung an Andreas Hofer geduldet. Aber auch in Nordtirol wurde der 1919 in Innsbruck gegründete „Andreas-Hofer-Bund für Tirol“, welcher laut seiner Satzung für den Schutz des deutschen und ladinischen Volkstums eingetreten war, im Jahre 1938 nach dem „Anschluss“ Österreichs verboten. Auch die alljährlichen Gedenkgottesdienste am Todestag Andreas Hofers im Wiener Stephansdom wurden nun untersagt. Hitler plante bereits die Preisgabe Südtirols an das faschistische Italien.
Andreas Hofer war noch im Jahr 1952 eine Gefahr für den italienischen Staat
In Südtirol war nach Kriegsende ebenso wie in der Faschistenzeit das öffentliche Zeigen der weiß-roten Tiroler Landesfarben ein strafrechtliches Vergehen. Die Polizei- und Justizbehörden stützten sich hierbei auf den Artikel 654 des „Codice Penale“, des nach wie vor in Geltung befindlichen Strafgesetzbuches aus der Faschistenzeit.
Diese Paragraph sah eine Gefängnisstrafe bis zu 1 Jahr für denjenigen vor, welcher sich in der Öffentlichkeit „aufrührerischer Kundgebungen oder Ausrufe“ schuldig machte.
Am 27. April 1952 fand in Neumarkt eine Veranstaltung der Südtiroler Volkspartei (SVP) statt. Zu dieser Veranstaltung hatte Otto Thaler aus Tramin eine weiß-rote Tiroler Fahne mitgebracht. Sodann hatte sein Landsmann Johann Wiesthaler die Fahne im Versammlungssaal aufgehängt und überdies noch ein Bild Andreas Hofers in der Mitte der Fahne angebracht. Die beiden SVPler brachten zusätzlich noch einen roten Tiroler Adler an der Wand des Saales an.
Am 7. Oktober 1952 mussten sie sich vor dem Amtsrichter von Neumarkt, dem „Pretore“ Dr. Villacara, verantworten, welcher sie schuldig sprach.
Er verurteilte die beiden Männer nach dem Artikel 654 des „Codice Penale“ zu jeweils 4 Monaten Haft, bedingt auf 2 Jahre. Zudem wurden ihnen die aufgelaufenen Prozesskosten auferlegt.
In dem Urteil des „Pretore“ Dr. Villfranca wurde aus dem Angeklagten Johann Wiesthaler ein „Giovanni“ Wiesthaler. Bereits eingangs heißt es, dass die Angeklagten „aufrührerische Kundgebungen“ veranstaltet hätten, indem sie „die rot-weiße Tiroler Fahne“ und einen „roten Adler an einem der Öffentlichkeit zugänglichen Ort“ gezeigt hätten. Im „Zentrum“ der weiß-roten Fahne sei zudem „l’effigie di Andrea Hofer“ – das „Bild Andreas Hofers“ gezeigt worden.
In dem Urteil des „Pretore“ hieß es, dass die Handlungen der Angeklagten „die Prinzipien der Staatsverfassung“ missachtet hätten und überdies „feindselig gegenüber der Unversehrtheit, der Einheit und der Unabhängigkeit des Staates“ gewesen seien.
Es habe sich um eine Veranstaltung der SVP gehandelt, deren Ziele allgemein bekannt seien: „Rücksichtsloser Kampf gegen Italien und gegen die Italiener, welcher als Tiroler Irredentismus auf die Abtrennung des Alto Adige vom italienischen Vaterland abzielt“, um „die heiligen Grenzen der Nation zu missachten und zu zertrümmern.“
Tirol sei für die Leute dieser Partei „ein von Italien unterschiedliches und zu Italien im Gegensatz stehendes Land. … Ihre Nationalflagge trägt die weiß-roten Tiroler Farben und nicht jene der italienischen Tricolore.“
In Bezug auf die Anbringung des Andreas Hofer-Bildes hieß in dem Urteil des „Pretore“:
„Für die örtlichen Politiker stellt Andreas Hoferdas Symbol für die Revolte gegen die Fremdherrschaft dar: damals gegen das napoleonische Regime, heute gegen Italien.“
Die Täter hätten in der Absicht gehandelt, „eine aufrührerische Kundgebung“ vorzunehmen, „in Übereinstimmung mit der Generallinie der Partei, deren Verfassung aufrührerisch ist.“ Daher seien sie zu verurteilen gewesen. (Eine Ausfertigung dieses Urteils samt Begründung wurde in der Folge nach Nordtirol gebracht und der Südtirol-Abteilung der Nordtiroler Landesregierung übergeben. Sie befindet sich heute in einer Aktensammlung im Tiroler Landesarchiv, Amt der Tiroler Landesregierung, Referat Südtirol, Jahr ca. 1957 – 1990, Karton 14.)
Die Schützen pflegen das Andenken an Andreas Hofer
In allen Landesteilen Tirol wird das Andenken an Andreas Hofer und sein Eintreten für die Freiheitsrechte des Landes vor allem durch die Schützen gepflegt und hochgehalten.
Die Schützen ehren Andreas Hofer auch in Mantua und legen dort Kränze an seinem Ehrenmal nieder. Sie werden dabei von den örtlichen Behörden und der Bevölkerung in Mantua auf das Freundlichste empfangen.
Buchbesprechung: „Der hohe Preis des Friedens. Die Geschichte der Teilung Tirols 1918 – 1922“
Marion Dotter/ Stefan Wedrak: „Der hohe Preis des Friedens. Die Geschichte der Teilung Tirols 1918 – 1922“; 2. Auflage Innsbruck 2019 (€ 25,41); ISBN (Athesia) 978-88-6839-360-1; Das Buch ist beispielsweise hier (Österreich) und hier (Südtirol) zu beziehen.
Seit 100 Jahren ist das Land Tirol geteilt. Die Behauptung der eigenen Identität trotz Jahrzehnte langer Unterdrückung unter Anwendung von Kolonialmethoden ist eine herausragende Leistung. Die Erringung einer Autonomie Südtirols in wichtigen Teilen der Gesetzgebung und Verwaltung hat jedoch viele Opfer gekostet. Es die Geschichte einer mutigen Selbstbehauptung.
Nach dem Willen der italienischen Besatzer des Jahres 1918 und der Machthaber in den folgenden Jahren hätte die Entwicklung wohl anders verlaufen sollen.
Von den Verlagen ATHESIA in Bozen und Tyrolia in Innsbruck gemeinsam herausgegeben, ist ein fachlich herausragendes und spannend geschriebenes Geschichtswerk über die Teilung Tirols in den Jahren 1918 bis 1922 erschienen.
In diesem Buch wird der Leser anhand von Zeitzeugenberichten und Dokumenten in ein dramatisches Geschehen einbezogen, über welches er sich sein eigenes Urteil zu bilden vermag.
Georg Dattenböck hat als Historiker nachstehende Buchbesprechung verfasst:
Auf 344 Seiten, ausgestattet mit 6 Karten, 136 vielfach bislang unbekannten Fotos, einem Personen- und Ortsregister, sowie 12 Seiten Literaturhinweisen, wird dem Leser von zwei jungen Historikern als „Ableger unserer Arbeit am Forschungsprojekt ‚Die rechtliche Bedeutung des Vertrages von St. Germain‘“, ein gelungenes und sehr berührendes Buch über die Teilung des Landes Tirol präsentiert. Es zeichnet sich auch dadurch aus, daß die Autoren ihre Forschungen in den diversen Archiven selbst durchführten und zusätzlich erstklassige Berater hatten. Die Autoren konnten einen „Sammelaufruf realisieren, um noch im Privatbesitz vorhandene persönliche Quellen zur Teilung Tirols ausfindig zu machen und für kommende Generationen zu konservieren“, was dankbar begrüßt werden muss!
Der Inhalt beschreibt die Vorgänge der Jahre 1918 bis 1922, als Politiker wie Woodrow Wilson, die uralte Einheit Tirols zerschlugen, neues Unrecht und ein Chaos schufen. Das Buch ist unterteilt in folgende Kapitel:
Das Kriegsende in Tirol 1918
Die Besetzung Nordtirols durch Bayern und Italiener
Die Militärverwaltung von Südtirol 1918/1919
Die Pariser Friedenskonferenz und Tirol
Die Politik in Deutschösterreich und die Teilung Tirols 1919
Ein Land wird geteilt – die Arbeit des österreichisch-italienischen Grenzregelungsausschusses in Tirol
Die zivile Verwaltung Südtirol unter Luigi Credaro
Die wirtschaftliche Entwicklung Gesamttirols in der Nachkriegszeit
Der italienische Faschismus in Südtirol bis 1922
Ausblick: Faschistische Machtübernahme und die Konsequenzen für Südtirol
In diesen Kapiteln wird das bis zum heutigen Tag heftig nachwirkende, traumatische Geschehen der Annexion Südtirols aufbereitet. In ihrem Vorwort schreiben die Autoren u.a.:
„Am Beginn stand das Drama des Ersten Weltkrieges mit hunderttausenden Toten vor der Haustüre des Landes. Es folgten die Auflösung der k. u. k. Armee im Chaos und die schwierige italienische Besatzungszeit, welche im Norden vorübergehend, im Süden jedoch dauerhaft sein sollte.
Große Hoffnungen auf eine neue, als gerecht vorgestellte Weltordnung aus Übersee gingen unter, als die Ergebnisse der Friedenskonferenz in Paris bekannt wurden. Die Österreicher konnten nur mehr zähneknirschend akzeptieren, was im kleinen Zirkel der Friedensmacher entschieden worden war.
Die Brennergrenze wurde Wirklichkeit, mit größten Auswirkungen auf Politik und Wirtschaft, aber vor allem auf das Leben der Tiroler nördlich und südlich davon. Während der Norden sich mehr oder weniger gut in die Erste Republik Österreichs einfügte, erlebten die Tiroler in Italien nach der Annexion 1920 den Aufstieg des Faschismus, der schon vor der Machtübernahme in Rom 1922 seine Schatten auf das Land warf.
Zur Teilung des Landes kam später noch die Unterdrückung. So spiegelt sich die von Anton Just geschilderte Gewalt in nahezu allen Teilen unserer Ausführungen wider: ob es nun die Gewalt der Sieger ist, die der jungen Republik Österreich den Frieden diktierten und auch in den Grenzkommissionen danach um jeden Meter des neuen Staatsgebietes kämpften, oder jene der Faschisten, die mit brutalen Worten und Taten das Gesetz in die eigene Hand nahmen. Ob es nun die Gewalt der Enttäuschten und Unzufriedenen war, die beispielsweise Grenzsteine zerstörten, Widerstand gegen die neuen Machthaber leisteten und den Anschluss an Deutschland wünschten, oder jene der Hungernden, die einen letzten Ausweg nur mehr in Diebstahl und Plünderungen sahen.“
Die in dem Vorwort auch geäußerte Meinung der Autoren, dass „Italien und Österreich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Schwierigkeiten der Südtirolfrage letztlich überwunden haben“ und weiter, dass „man zu einer zufriedenstellenden, vernünftigen Lösung fand,“ wird vom Rezensenten bezweifelt! Angesichts der inzwischen dokumentierten Geheimpolitik der österreichischen Regierungen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, hätte das Studium des Buches von Helmut Golowitsch: „Südtirol – Opfer für das westliche Bündnis. Wie sich die österreichische Politik ein unliebsames Problem vom Hals schaffte“ (Graz-Stuttgart 2017), den Autoren zu möglicherweise differenzierteren Schlussfolgerungen verholfen.
Im 1. Kapitel wird u.a. die strategische Lage Österreich-Ungarns im Herbst 1918, die katastrophale Ernährungslage der k. u. k.-Soldaten und das unsägliche Elend der Bevölkerung beschrieben. Mit Erschütterung liest man vom Ende des alten Österreich und seiner Armeen, vom Elend der heimwärts strebenden Soldaten und den Drangsalen, welchem die Bevölkerung Tirols dadurch ausgesetzt war.
„Es gab kaum mehr Nahrungsmittel: ‚Viele Tage sahen die Truppen keinen Bissen Fleisch, kein Gramm Fett. Früh und abends nur leerer, schwarzer Kaffee, mittags ein inhaltsloses Dörrgemüse, eine mit allerlei minderwertigen Ersatzmitteln gestreckte, der Menge nach ebenfalls unzulängliche Brotportion, hiezu bestenfalls etwas Käse oder Kürbis. Anderes frisches Gemüse war nur selten zu sehen‘. Eine solche Kost ließ die Soldaten mitunter bis zum Skelett abmagern. Von einer Division wird berichtet, dass die Männer durchschnittlich nur noch 50 Kilogramm wogen. (…) Briefe aus der Heimat berichteten dem Kämpfer an der Front zumeist nur von dem unerträglichen elend daheim: besonders Frauen und Kinder seien am Verhungern“.
Der „Sieg von Vittorio Veneto“
Der nach dem Scheitern der letzten Offensive an der Piave unausweichliche, allgemeine Zusammenbruch Österreich-Ungarns, wird sehr gut dargestellt. Hoch interessant ist der Bericht, warum in den letzten Stunden des Krieges noch einige hunderttausend k. u. k. Soldaten in italienische Kriegsgefangenschaft geraten konnten:
„Generalstabschef Arz teilte schon am 3. November um ein Uhr zwanzig früh den Armeekommandanten mit, dass die Waffenstillstandsbedingungen angenommen worden waren und die Feindseligkeiten unverzüglich einzustellen seien. Dies war freilich verfrüht, denn der Waffenstillstand war noch gar nicht von beiden Seiten unterzeichnet worden. Zwar verlangte der Kaiser aus diesem Grund von Arz kurz darauf, den Befehl zurückzunehmen, es war jedoch bereits zu spät: Die Heeresgruppe Tirol etwa protestierte, dass der Befehl schon weitergegeben war und nicht mehr zurückgenommen werden könne. Erst um drei Uhr Nachmittag am gleichen Tag unterzeichnete Weber in der Villa Giusti tatsächlich den Waffenstillstand. Zuvor hatten die Italiener allerdings noch eine Bestimmung eingefügt, der zufolge erst 24 Stunden nach Unterzeichnung das Feuer eingestellt werden sollte, weil es so lange dauere, alle Truppen vom Inkrafttreten der Waffenruhe zu verständigen. Damit gingen die Kampfhandlungen zumindest von Seiten der Alliierten noch weiter. Um an diesem letzten Tag so viel Gelände wie möglich zu gewinnen, stießen britische und italienische Patrouillen weit in das Gebiet hinter der ehemaligen Front vor und überholten dabei viele österreichisch-ungarische Soldaten, die keinen Widerstand mehr leisteten und sehr überrascht waren, dass sie plötzlich zu Kriegsgefangenen wurden. Insgesamt gerieten so rund 380.000 Soldaten der Monarchie in italienische Gefangenschaft. Die Italiener verkauften dies als den ‚Sieg von Vittorio Veneto‘, der von den Zeitgenossen und Historikern vielfach als betrügerische Finte belächelt wurde. In Wirklichkeit ist die Schuld an dieser Misere aber dem letzten k. u. k. Armeeoberkommando anzulasten, das während der Waffenstillstandsverhandlungen unüberlegt und hastig gehandelt und den Befehl zur Einstellung der Feindseligkeiten zu früh gegeben hatte.“
Italienische Truppen besetzen Tirol
Durch diesen raschen Zusammenbruch alarmiert, marschierten bayerische Truppen nach Tirol ein, „freundlich und erleichtert“ von der Bevölkerung empfangen. Bis zur alten Franzensfeste in Südtirol stießen die Bayern vor, mussten sich aber auf Grund der Lage rasch wieder zurückziehen.
Erste italienische Verbände kamen am 17. November 1918 nach Innsbruck. Die vorrückenden Italiener dachten sogar kurz daran, „das Deutsche Reich anzugreifen“.
„Die italienischen Offiziere und Soldaten verhielten sich größtenteils sehr respektvoll, höflich und diszipliniert, sodass die folgende zweijährige Besatzung in Nordtirol sehr friedlich ablief.“
Den italienischen Soldaten in Südtirol wurde aller Orten ein sehr kühler Empfang zuteil: „Trotz und Ablehnung der italienischen Präsenz“ standen auf der Tagesordnung, sogar die Angebote italienischer Offiziere, Lebensmittel zu spenden „wurde zum großen Staunen der Spender abgelehnt. (…) Der passive Widerstand gegen die Italiener wurde vom Klerus und der politischen Elite Südtirols getragen, welche sich um keinen Preis nach Rom orientieren wollten.“
Politische Versuche der Südtiroler Elite, an der Spitze Bozens Bürgermeister Julius v. Perathoner, in „Absprache mit Landeshauptmann Josef Schraffl“ am 4. November in Bozen einen „Provisorischen Nationalrat für Deutsch-Südtirol“ und am 16. November eine „Unteilbare Republik Südtirol“ zu gründen, wurden durch die Besatzungsmacht schnell unterbunden, Südtirol stand bis zur endgültigen Annexion 1920 unter Besatzungsrecht.
Dem Fanatiker Ettore Tolomei, dessen so verderbliches und hinterhältiges Wirken auch in verschiedenen Artikel im SID bereits behandelt wurde, wird in dieser Dokumentation auch die ihm gebührende Aufmerksamkeit gewidmet.
US-Präsident Woodrow Wilson war nicht der gerechte Heilsbringer
Im Zeitraum „zwischen der Ankunft des US-amerikanischen Präsidenten und der offiziellen Eröffnung der Friedenskonferenz fiel auch, unbemerkt von der Öffentlichkeit, die Entscheidung über die Teilung Tirols. Woodrow Wilson versprach den Italienern kurzerhand die Brennergrenze.“
Der US-Präsident hatte die „Teilung Tirols offenbar sehr schnell gegen seine augenscheinlichen Prinzipien entschieden…“. Wahrscheinlich war die „Unterredung zwischen Orlando, Sonnino und Wilson am 21. Dezember“ die Ursache der Tragödie.
Die Autoren arbeiten den gesamten Komplex der „Pariser Friedenskonferenz“ und aller Vorgänge bis zur Unterzeichnung des Vertrages von St. Germain, bis zur offiziellen Annexion Südtirols am 10.10.1920 sehr gut heraus und dokumentieren den Größenwahn und Chauvinismus italienischer Politik auch in Bezug betreff der Grenzforderungen gegenüber den Slawen.
Ein Land wird geteilt
Der österreichisch-italienische „Grenzregelungsausschuss“ und dessen Arbeit ist weitestgehend der Öffentlichkeit nicht bekannt. Hier griffen die Autoren auf Akten im Österreichischen Staatsarchiv zurück und dokumentieren mit fünf Karten und vielen Fotos den Bericht über die Entstehung der neuen Grenze. Jene für diesen Ausschuss abgestellten österreichischen Beamten litten schwer unter der Grenzziehung zwischen Nord- und Südtirol, wie dieser Bericht zeigt:
„Im Großen und Ganzen hielt sich der italienische Unterkommissär strenge an die Wasserscheide, die an nicht klaren Punkten – speziell an den ersten Tagen – fast meterweise abgepflockt wurde und erst, als ich auf die Kompliziertheit und Gekünsteltheit einer solchen in keinem Dokument zu verzeichnenden Staatsgrenze hinwies, ferner, dass eine solche Art sicherlich nicht in der Absicht des Vertrages, der eine natürliche Grenze sucht, lag, (…) hatte sich der ital. Unterkommissär (…) zu ganz wenig toleranter Anschauung bekannt“.
Der Versuch des Ethnozids
Das siebte Kapitel: „Die zivile Verwaltung Südtirols unter Luigi Credaro“ ist für den Leser sehr erhellend und löst auch heute noch Erschütterung aus. In seiner Antrittsrede im Juli 1919 vor Südtiroler Politikern sagte der von Rom als Generalzivilkommissar für Südtirol eingesetzte Luigi Credaro, der vorher auch Abgeordneter und vier Jahre lang italienischer Unterrichtsminister war, u.a.:
„Die Zimelien und Kunstschätze, die ihr Österreicher über die Jahrhunderte Italien geraubt habt, kehren dieser Tage über den Brenner zurück und nehmen ihre Stelle in unseren Bibliotheken und in unseren Museen ein. Nun müsst ihr uns auch die entnationalisierten Italiener und Ladiner wiedergeben. In dieser Hinsicht werde ich immer euer Gegner sein.“
Für Credaro bildete die Schule „das zentrale Werkzeug zur Festigung der Italianität (…). Dementsprechend hatte er bereits im Sommer 1919 die Gemeinden dazu aufgefordert, im ganzen Land Räumlichkeiten für die Einrichtung italienischer Schulen bereitzustellen (…).
Credaros Bemühen um Schüler für den italienischsprachigen Unterricht blieb erfolglos.
Die Zeitung ‚Der Tiroler‘ spottete noch im März 1920: ‚Es wurden Gebäude requiriert (angefordert) zu Schulzwecken usw. Eines aber war nicht zu requirieren, was zu einer Schule unbedingt gehört: Die Kinder. Die kamen nicht. Sie kamen nicht trotz Versprechungen von allerlei Sachen, die man ihnen geben wollte, sie kamen nicht trotz der Drohungen, die gegen sie und ihre Eltern ausgestoßen wurden. Und so blieben die italienischen Schulräume leer und Lehrer und Lehrerin konnten spazieren gehen‘. Um seinem Anliegen größeren Nachdruck zu verleihen, versuchte das Generalzivilkommissariat daraufhin, den italienischen Sprachunterricht als Pflichtfach zumindest in den Volksschulen des Unterlandes zwischen Salurn und Bozen zu verankern. Dem geschlossenen Widerstand der Südtiroler Gemeindevertreter und Politiker musste allerdings auch dieses Projekt weitgehend weichen (…).
Um den zivilen Ungehorsam der Menschen zu unterbinden, wurde (…) der zwingende Besuch italienischssprachiger Bildungseinrichtungen gesetzlich vorgeschrieben. (…) Hinzu kam, daß die Eltern keinerlei Mitspracherecht bei ihrer ethnischen Zuordnung hatten, also ob sie sich als ‚Italiener‘ oder ‚Tiroler fühlten. Die Entscheidung, welcher Gruppe eine Familie angehörte und welche Schule dementsprechend auch ihre Nachkommen besuchen durften, wurde von einer eigens begründeten Kommission des Zivilkommissariates getroffen, die die Befragung der Schüler vornahm und dabei wenig zimperlich vorging. (…)
Was die Eltern der Kinder sagten, war den Abgesandten des Generalzivilkommissariates vollkommen gleichgültig. Sie beschränkten sich vielmehr in einer Reihe von Fällen darauf, den Kindern, nachdem ihre Eltern fortgeschickt waren, italienische Fragen zu stellen, ob sie Schokolade, Orangen, Zuckerln bekommen hätten und wenn ein Kind […] mit seinem Kopf nickte, weil doch in ganz Europa jedes Kind versteht, was Schokolade und was Orangen sind, so wurde es kurzerhand als Italienisch erklärt und der italienischen Schule zugewiesen.“
Der Rezensent sieht in diesem Bericht über die mit Heimtücke und Gewalt versuchte Umformung der Südtiroler, vor allem der Kindern zu Italienern, dem Verbot und der massiven Behinderung des Gebrauchs der Muttersprache, verbunden mit der zwangsweisen Einführung des Italienischen als Amtssprache, in der planmäßig durchgeführten Umbenennungen aller ladinischen und deutschen Ortsnamen durch die Besatzungsmacht, den staatlichen Versuch eines Ethnozids – eines kulturellen Völkermords.
Die Autoren berichten an Hand von Vorfällen, dass unliebsame Lehrer, Beamte, Richter, Eisenbahnangestellte, wegen „anti-italienischem Verhalten“ entlassen und aus dem Land gewiesen wurden.
Der Widerstand der Politik und der Kirche in Südtirol nahm immer mehr zu
In dem Bericht heißt es weiter:
„Der in einer deutschen Sprachinsel Welschtirols geborene ehemalige Kaiserjäger, Eduard Reut-Nicolussi, der in den Österreichischen Nationalrat nach Wien entsandt wurde, mußte 1927 mit seiner Familie nach Innsbruck flüchten. Er verfasste die bekannte Schrift „Tirol unterm Beil“ und „hatte als einer der wenigen das Gespräch mit der Sozialdemokratie gesucht und war stets entschieden gegen die Faschisten aufgetreten“.
Der Unbeugsame trat ebenso gegen das spätere NS-System und gegen jenes zwischen den ideologischen Freunden Hitler und Mussolini ausgehandelte „Optionsabkommen“ auf, welches die Südtiroler vor die grausame Wahl stellte: im Land bleiben und Italiener werden oder auswandern.
Die damalige Amtskirche, Bischof und alle Pfarrer, standen geschlossen im Widerstand auf Seite des Tiroler Volkes. Sogar Ordensfrauen traten in den Widerstand und Kommissar Credaro empfand dies als „hinterlistige Form des Kampfes gegen den Staat und machte sich für eine Anklage gegen alle Beteiligten stark.“
Die „Herz-Jesu-Feuer“, die bereits bei ihrer Entstehung im 18. Jahrhundert den Tiroler Widerstand gegen eine fremde Herrschaft symbolisiert hatten, wurden ab 1920 wieder zum nicht übersehbaren, friedlichen Protest eingesetzt:
„Credaro erkannte darin aber die deutliche politische Absicht und antiitalienische Botschaft. Er ergriff daher sofort ‚Sicherheitsmaßnahmen‘, die vor allem in Bozen zu großangelegten Straßensperren und einem hohen Polizei- sowie Militäraufkommen führten. (…) In Tramin und Branzoll untersagten die italienischen Beamten die Bergfeuer, die Beflaggung und das Böllerschießen und forderten sogar Verzichterklärungen der zuständigen deutschsprachigen Gemeindevertreter sowie des Pfarrers, was diese aber verweigerten.“
Credaro sah, daß „der Geist des Widerstandes und der Rebellion vor allem vom deutschsprachigen Klerus kultiviert werde. Tatsächlich war die Kirche auch in Zukunft im Dienst der Südtiroler Politik und der nationalen Einheit des Landes aktiv.“
Kirchliche Prozessionen und sogar Gottesdienste wurden von Soldaten gestürmt, das Mittragen uralter Kirchenfahnen bei Prozessionen untersagt. In Bozen löste das
Militär mit Waffen in der Hand eine große Kundgebung der Tiroler auf.
„Beamtenwillkür, Hausdurchsuchungen, ungerechtfertigte Verhaftungen – bis hin zu brutalen Gewalttaten der Carabinieri und Soldaten gegen die Bevölkerung – waren keine Seltenheit und beschäftigten regelmäßig die Zeitungen.“
Nur die italienischen Sozialisten stimmten gegen eine Annexion Südtirols
Im August 1920 kam es in Rom zu jener denkwürdigen Parlamentssitzung, „die sich erstmals intensiv der Provinz widmete.“ In dieser Sitzung wurde „die Einverleibung durch Abstimmung beschlossen. Weitgehend geschlossen gegen diesen Schritt sprachen sich lediglich die italienischen Sozialisten aus, da eine ‚Berufung auf strategische Sicherheit‘ in keiner Weise die Annexion einer deutschen Bevölkerung und eines mit deutschen Traditionen erfüllten Landes begründen würde. ‚Österreich kann ja keine Gefahr mehr für Italien bilden‘. Sie forderten daher eine Volksabstimmung, konnten sich gegen die nationalistischen Kräfte aber nicht durchsetzen.“
(In diesem Kontext sei daran erinnert, daß es der sozialistische Außenminister (und spätere österr. Bundeskanzler) Dr. Bruno Kreisky war, der gegen starken Widerstand der ÖVP-Führung in Wien (aber nicht jener der Tiroler ÖVP) die kochende Südtirol-Frage 1959 vor die UNO-Vollversammlung brachte und damit erste Voraussetzungen zu ernsthafteren Verhandlungen über eine Art von Autonomie schuf. )
Einen Tag nach der Abstimmung im römischen Parlament „veranstaltete das offizielle Italien für den Anschluss der neuen Provinz eine Siegesfeier in Trient, zu der auch die Südtiroler Bürgermeister eingeladen waren“. Bozens Bürgermeister Perathoner lehnte die Einladung, wie auch seine Amtskollegen, „als ‚Zumutung‘ und ‚Frozzelei‘ ab: ‚Es ist ein altes deutsches Sprichwort. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu Sorgen. Nichts anderes als Spott ist es aber, wenn euer Hochwohlgeboren mich einladen, an einem Fest teilzunehmen, welches der Feier jenes Gewaltfriedens von St. Germain dient, durch welchen die Stadt Bozen […] losgetrennt und einem fremden Staatswesen einverleibt wurde“.
Es war auch Perathoner, der beim Besuch des italienischen Königs im Herbst 1921 für einen Skandal sorgte, weil er den König auf dem Bahnhof in Bozen in deutscher Sprache begrüßte und in seiner Ansprache „die herrschenden Zustände bemängelte. (…) Ohne den Bahnhof zu verlassen, um die Stadt zu besichtigen, reiste der Hofstaat über Klausen und Brixen bis zum Benner, wo, wie danach auch am Reschen, ein Grenzstein enthüllt wurde.“
Die Bürgermeister Südtirols wurden zur verpflichtenden Eidleistung auf den König und das Königreich Italien gezwungen. Bürgermeister Alois Hölzl aus Obermais sorgte für große Aufregung in Trient und Rom, als er erklärte, „daß ich diese Eidleistung lediglich als Erfüllung einer Formalität in ihre Hände abgelegt habe, nicht aber etwa als Ausfluss eines frohen inneren Gefühles […). Ein Liebe zu Ihrem Reich und Ihrer Regierung können Sie nicht verlangen“. Der italienische Generalkommissar für Südtirol, Luigi Credaro „fand aber einige Monate später einen Vorwand, um den Gemeinderat seines Amtes zu entheben“.
Hunger, Not, Aufruhr, Plünderungen und Diebstahl
Das achte Kapitel gibt einen umfassenden Einblick in „die wirtschaftliche Entwicklung Gesamttirols in der Nachkriegszeit“. Die Hungersnot und das allgemeine Elend unmittelbar nach dem Krieg waren groß.
In Südtirol „war die Ernährungssituation durch italienische Hilfe seit dem Kriegsende besser als jene nördlich des Brenners. Obwohl die Südtiroler Gemeinden die Spenden aus dem Königreich zum Teil ablehnten, war den Italienern bewusst, dass sie durch eine rasche Verbesserung der Versorgung die Akzeptanz der Besatzung in der Bevölkerung erhöhen und eine wirtschaftliche Verbindung zu der neuen Provinz aufbauen konnten“.
Die Autoren stellen fest, dass „die Teilung Tirols nicht nur das politische und geografische Gesicht des Landes, sondern auch den Tiroler Wirtschaftsstandort veränderte. (…)
Während sich im österreichischen Teil Tirols eine Erleichterung der prekären Lage nur zaghaft durchsetzen konnte, war Südtirol unter italienischer Mithilfe ein schnellerer Aufschwung beschieden. Eine ‚italienische Unterwanderung‘ der Wirtschaft ist erst in der Zeit des Faschismus erkennbar“.
Terror und Faschismus in Südtirol
In den letzten beiden Kapiteln werden der Faschismus und die Machtübernahme der Faschisten in Südtirol, wieder gut bebildert, abgehandelt. Am 16. Februar 1921 „trafen sich etwa 150 Männer – vor allem eine repräsentative Delegation aus Trient – im ehemaligen Restaurant ‚Kaiserkrone‘, um den sizilianischen Diplomkaufmann Attilio Crupi zum politischen Sekretär der Verbindung zu wählen. (…) Die Entstehung einer Bozner Faschistengruppe wurde demnach vor allem von der Trienter Fraktion gefördert, aber auch von Mussolini selbst gutgeheißen. In seiner Stellungnahme im ‚Popolo d’Italia‘, mit der er auf die Gründung der neuen Außenstelle reagierte, übergab er dem neuen Fascio die Pflicht, die Italianität am Brenner zu sichern und zu verteidigen. Die Südtiroler Faschisten verlangten zum Schutz der Italiener in der Provinz die Entfernung aller öffentlichen österreichisch-ungarischen Zeichen, die Auflösung des Deutschen Verbandes sowie der deutschsprachigen Bozner Stadtwache und die Entlassung aller italienfeindlichen Politiker und des Generalzivilkommissars Credaro. Weiters sollten Italiener bei der Besetzung von öffentlichen und privaten Ämtern bevorzugt, gesetzliche Höchstpreise eingeführt und die deutschen Banken liquidiert werden. Für den Kampf zur Durchsetzung dieser Forderungen entstanden bis in den Sommer 1922 noch fünf weitere Faschistenorganisationen (…).“
Die Autoren berichten ausführlich über die Vorgeschichte und Ablauf des „Bozner Blutsonntags“ am 24. April 1921, wo Faschistenhorden, zusammengekarrt aus Mailand, Brescia, Padua, Venedig, Trient und Bologna mit Knüppeln, Totschlägern, Revolvern und Handgranaten, einen Trachtenfestzug überfielen:
„Etwa fünfzig Tiroler trugen teils schwere Schussverletzungen und Knochenbrüche davon. (…) In diesem Chaos ereignete sich auch die Ermordung Franz Innerhofers“, der einen kleinen Knaben in der Tracht der Burggräfler retten wollte. „Kein Faschist wurde wegen des Tumults auf dem Obstmarkt oder des Mordes an Innerhofer angeklagt, obgleich sich mehrere Schwarzhemden rühmten, den Lehrer erschossen zu haben. Auch Mussolini brüstete sich in dem Artikel ‚Auf unsere Art‘mit der Störaktion und setzte noch hinzu: ‚Wenn die Deutschen verprügelt und zerstampft werden müssen, um Vernunft anzunehmen, wohlan, wir sind bereit. Viele Italiener sind auf das Geschäft trainiert.“
Titelseiten deutscher Bozener Tageszeitungen, die später verboten wurden. (Diese beiden Faksimiles stammen aus dem Archiv des SID, alle anderen Bilder aus dem rezensierten Werk.)
Diesem „Blutsonntag“ folgten noch sehr viele weitere Terrorakte in Südtirol, wie die Autoren ausführlich dokumentieren. Der faschistische „Marsch auf Bozen“, „der von Mussolini selbst gelenkt wurde“, war wohl eine Art von Generalprobe seines Marsches auf Rom.
Die Autoren zitieren am Ende den Bozner Arzt, Sebastian Weberitsch, der zwei Jahre nach diesem Marsch zur Auswanderung nach Österreich gezwungen wurde. Weberitsch resümierte „resignierend das Erlebte: ‚Nun kamen traurige Tage für Bozen: der Einmarsch der Faschisten. Ich erlasse es mir, sie zu beschrieben. Dem deutschsprachigen Volk in Südtirol wurde seine Sprache genommen, und damit ist alles gesagt‘“.
Man kann allen Lesern des SID dieses erstklassig recherchierte Geschichtsbuch über die ersten Jahre der Teilung Tirols unbedingt zum Kauf empfehlen, es hat sich die weiteste Verbreitung verdient! Den beiden Autoren, aber auch den Verlagen Athesia und Tyrolia ist Dank für die Herausgabe dieses wertvollen Werkes zu sagen!
Letzter Abschied von einem Südtiroler Freiheitskämpfer
Todesanzeige in der Tageszeitung „Dolomiten“
Am 16. Jänner 2019 wurde in Tramin der ehemalige Südtiroler Freiheitskämpfer Luis Steinegger von seinen Angehörigen unter großer Anteilnahme vieler Landsleute zur letzten Ruhe gebettet.
Für den von ehemaligen Freiheitskämpfern und politischen Häftlingen gegründeten „Südtiroler Heimatbund“ (SHB) hielt die ehemalige Südtiroler Landtagsabgeordnete Dr. Eva Klotz, die Tochter des legendären Freiheitskämpfers Georg Klotz, die Gedenkrede und auch der ehemalige Mithäftling und Ehrenobmann des SHB, Sepp Mitterhofer, war gekommen, sich von seinem Kameraden zu verabschieden.
Mit einer Aussendung, welche in mehreren Zeitungen und auf mehreren Internetportalen veröffentlicht wurde, hatte der „Südtiroler Heimatbund“ (SHB) von Luis Steinegger Abschied genommen:
Südtiroler Freiheitskämpfer Luis Steinegger verstorben
Mit Trauer müssen wir das Hinscheiden unseres Freundes und Kameraden Luis Steinegger aus Tramin mitteilen.
Bereits als junger Bursch hatte unser Luis die faschistische Unterdrückungspolitik erleben müssen und war im Alter von 17 Jahren zusammen mit anderen jungen Burschen verhaftet und verprügelt worden, weil sie deutsche Lieder gesungen hatten.
Als nach 1945 die faschistische Politik der Unterdrückung und Unterwanderung ungebrochen fortgesetzt wurde, schloss sich der Kleinbauer und Familienvater dem von Sepp Kerschbaumer gegründeten „Befreiungsausschuss Südtirol“ (BAS) an.
Am 18. Juli 1961 wurde Luis Steinegger aus Tramin verhaftet, in die Carabinieri-Kaserne Eppan gebracht und schwer misshandelt. Er gestand nicht. Insgesamt dauerte sein Martyrium acht Tage, in den Folterpausen lag er im eigenen Blut. „Irgendwann habe ich nur gekeucht, wenn wieder einer zugeschlagen hat.“ (Zitiert nach: Hans Karl Peterlini: „Südtiroler Bombenjahre“, Bozen 2005, S. 149)
Wie immer bei solchen Anlässen war der Fotograf der italienischen Tageszeitung „Alto Adige“ rechtzeitig dabei: Nach der Folterung und ihren Geständnissen wurden die Unterlandler Luis Steinegger (vorne im Bild), Viktor Thaler (Bildmitte) und Albin Zwerger in das Bozener Gefängnis eingeliefert.
Luis Steineggers Schreie und die seiner Kameraden hörte man noch in der Umgebung der Carabinierikaserne.
Zwischen den Verhören und Schlägen brachten fünf Carabinieri Luis Steinegger einmal nach Hause, damit er ihnen ein Sprengstoffdepot verrate. Seine Frau, Irene Steinegger, erkannte ihn kaum wieder. Das Hemd war blutig und Steinegger schleppte sich langsam die Stufen hoch, „wie ein alter, gebrochener Mann“. (Siehe: Astrid Kofler: „Zersprengtes Leben“, Edition Raetia 2003, S. 45f)
Was Steinegger im Verhör widerfahren war, hat er später in einem Brief geschildert, den seine Frau aus dem Gefängnis schmuggelte und dem Ortsobmann der SVP in Tramin übergab. Dieser schickte den Brief am 21. Juni 1962 an die Landesleitung der SVP.
„Bozen Gefängnis
Wurde am 18. Juli 1961 vom Bett heraus geholt u. verhaftet. Bin nach Eppan überführt worden. Wie ich hinter der Tür der Karabinieri Kaserne war, haben sie mich den Gang entlang nur so durchgestoßen u. geworfen. Wurde an eine Wand gestellt, mußte mit erhobenen Händen auf den Zehenspitzen stehen, wenn ich nicht mehr imstande war, die Hände hochzuhalten so schlug mich ein Karabiniere mit der Faust in den Rippen, so ging es eine zeitlang, man verspottete mich u. schrie mir die brutalsten Wörter ins Gesicht. …
Am dritten Tag wurde ich in Begleitung von 5 Karabinieri nach Tramin nach Hause geführt, ich mußte in Eppan sagen, daß ich Sprengstoff habe, sollte ihn ihnen zeigen, ich hatte aber keinen.
Wie ich wieder in Eppan war, haben sie mich zu den anderen Traminern getan, auf einmal riß mich ein Brigadier (Anm.: Unteroffizier) heraus, führte mich ganz nach oben, dort mußte ich mit erhobenen Händen an einer Wand stehen, sie sagten, ich soll ihnen das Sprengmaterial geben, als ich verneinte, schlugen sie mich mit den Fäusten überall, habe noch heute zwei lockere Stockzähne, die wahrscheinlich nie mehr fest werden. So ging es in Eppan zu, man kann die dortige Kaserne als Folterkammer nennen.
Soweit haben sie uns gebracht, daß man alles unterschrieb, was sie einem vorlegten.
Alles dies mußten wir in einem christlichen demokratischen Staat erleben.
So habe ich einen Teil unserer Erlebnisse niedergeschrieben, was bestimmt der Wahrheit entspricht.
Steinegger Alois“
(Auszugsweise wörtliche Wiedergabe des Originalbriefes. SVP-Archivalien, Südtiroler Landesarchiv Bozen)
Magnago hat auf dieses Schreiben nicht reagiert.
Am 21. Jänner 1964 sagte der 43-jährige Bauer Luis Steinegger, Vater von drei Kindern, als Angeklagter vor dem Schwurgericht in Mailand aus und setzte den Staat auf die Anklagebank. Er schilderte seine schweren Misshandlungen in der Carabinieri-Kaserne von Eppan. Er habe nur zwischen zwei Übeln wählen können:
„Entweder mußte ich zulassen, daß sie mich zusammenschlagen, oder ich musste alles auf mich nehmen, was sie mir vorwarfen. Ich habe den Carabinieri gesagt, daß ich alle Masten gesprengt habe. Ich habe ja kleine Kinder, die noch einige Jahre einen Vater brauchen.“
Das Gericht verurteilte ihn zu 8 Jahren und 8 Monaten Haft. Die Haft konnte ihn nicht brechen. Er blieb, was er immer gewesen war: Ein aufrechter und mutiger Sohn Tirols.
Steineggers junge Frau Irene hatte in diesen schweren Jahren unverbrüchlich zu ihrem Mann gehalten und nahezu Übermenschliches geleistet. Sie hatte sich und ihre drei Kinder über Wasser gehalten und dem Sohn Elmar sogar den Besuch einer höher bildenden Schule ermöglicht.
Wir gedenken in Trauer des Verstorbenen und sind in Gedanken bei den Angehörigen.
Roland Lang Obmann des Süd-Tiroler Heimatbundes
Meinrad Berger Obmannstellvertreter des Süd-Tiroler Heimatbundes
Soweit der Nachruf des „Südtiroler Heimatbundes“ (SHB).
Luis Steinegger war es bis zuletzt stets ein Anliegen gewesen, für die Selbstbestimmung Südtirols einzutreten. Obiges Bild zeigt ihn bei einer Veranstaltung in Neumarkt, auf welcher er berichtete, welche Opfer er und seine Kameraden für diese Zielsetzung erbracht hatten.