Nachruf für Alois Ebner – ein Opfer politisierter Justiz
Wie der „Südtiroler Heimatbund“ (SHB) mitteilt, ist Alois Ebner aus Pfunders in der Nacht vom 17. auf den 18. Juli 2020 im Alter von 85 Jahren verstorben. Er hatte in seiner Jugend Schweres erleben müssen.
Der nachstehende Beitrag, welchen der SHB den Medien zur Verfügung gestellt hat, zeigt das damalige Geschehen auf:
„Justiz in Südtirol“
Die Titelseite einer in Österreich erschienenen Schrift „Schändung der Menschenwürde in Südtirol“, welche die Misshandlungen politischer Gefangener in Südtirol dokumentierte, zeigte den verhafteten und in Ketten abgeführten jungen Pfunderer Alois Ebner.
Die österreichische „Liga für Menschenrechte“ veröffentlichte im Jahre 1958 unter dem Titel „Justiz in Südtirol“ eine Broschüre, in welcher das Vorgehen der italienischen Justiz gegen die Pfunderer Burschen eingehend untersucht und dargestellt wurde. Auf dem Umschlagbild ist der junge Pfunderer Bernhard Ebner zu sehen, der Bruder des jetzt verstorbenen Alois Ebner.
Ein tragisches Geschehen im Jahre 1956
Der Südtiroler „Gemeindebote Vintl“ berichtete 50 Jahre später darüber, was sich am 15. August 1956 ereignet hatte:
„In jenen Jahren befand sich in Pfunders im ‚Lettahaisl‘ ein kleines ‚ENAL-Gasthaus‘. Am Abend des 15. August 1956 waren mehrere Burschen und Männer aus dem Dorf dort, als plötzlich zwei ‚Finanzer‘ mit einer kleinen Gruppe Pfunderer -in Pfunders gab es in jenen Jahren eine Finanzstation- das Gasthaus betraten.
Es handelte sich hierbei um Raimondo Falqui aus Sardinien und Francesco Lombardi. Sie feierten gemeinsam (Anmerkung: Wie die Familie des Verstorbenen jetzt korrigierend mitteilt, waren die beiden Gruppen in dem Wirtshaus nicht zusammen, sondern getrennt), doch plötzlich kehrten die Italiener die Amtsperson hervor, obwohl sie nur Zivilkleidung trugen, und forderten die Pfunderer auf, sofort die Wirtschaft zu verlassen, da die Sperrstunde bereits herangerückt sei. Dies taten die Männer so lange nicht, bis die Italiener verschwanden und mit einem Messer zurückkamen. Daraufhin verließen die Pfunderer die Wirtschaft, verfolgt von den Finanzern. Nach einer kurzen Wegstrecke ließen sich die Pfunderer dies nicht mehr gefallen und drehten den Spieß um. Sie wehrten sich und verfolgten die Finanzer bis zu der einstigen ‚Kirchbrugge‘, die damals etwa 50 Meter weiter oberhalb lag. Dort -so erzählt Alois Ebner, einer der Pfunderer- fasste er Falqui nochmals am Hemd, doch der ‚Finanzer‘ riss aus und rannte in die Dunkelheit hinaus, in Richtung ‚Roanaboch-Brugge‘.
Diese Brücke gibt es auch heute noch, damals hatte sie jedoch kein Geländer und so besteht die Vermutung, dass der ‚Finanzer‘, nachdem er sich von Alois Ebner losgerissen hatte, die Brücke verfehlte und in das Bachbett stürzte.
Die jungen Pfunderer merkten davon nichts mehr, denn nachdem die ‚Finanzer‘ weggelaufen waren, gingen sie nach Hause bzw. zu dem jeweiligen Bauernhof, auf dem sie arbeiteten.“ („Gemeindebote Vintl“, 28. Februar 2007)
Der Finanzer wurde am nächsten Morgen tot unter der Brücke im ausgetrockneten Bachbett aufgefunden. Er hatte sich bei seinem Sturz einen Schädelbruch zugezogen.
Von dieser Brücke ohne Geländer war Falqui in das3 Meter tiefe trockene Bachbett hinunter gestürzt.
Bereits am 17. August 1956 meldete die Bozener italienische Tageszeitung „Alto Adige“ auf ihrer Titelseite, dass es sich um Mord gehandelt habe. Der Finanzer sei angegriffen und umgebracht worden („aggredita ed uccisa“).
Aus „Alto Adige“ vom 17. August 1956
In Rom gab das „Giornale d’Italia“, das Zeichen zur Hetzjagd: Es sei Mord gewesen und zwar ein „politischer Mord … Die Gründe sind noch nicht bekannt, aber sie sind zweifellos in dem Klima des Hasses zu suchen, den die Vertreter einer Partei seit Jahren säen …“ Gemeint war damit die „Südtiroler Volkspartei“.
Wenige Tage später wusste es die italienische Wochenillustrierte „Oggi“ ganz genau: „Dies ist ein grausames sinnloses Verbrechen, geboren aus dem Hassfeldzug, der von einigen Exponenten der örtlichen Minderheit geführt wurde. Der Mord an dem jungen Beamten stellt das letzte und blutige Glied in einer Kette von Übergriffen und Gewalttaten dar.“ (Zitiert in: Österreichische Liga für Menschenrechte, Sektion Tirol: „Justiz in Südtirol“, Innsbruck 1958, S. 10)
Ein politischer Mord also! Die gesamte Südtiroler Volksgruppe und ihre Führung als angebliche Anstifterin eines hinterhältigen und grausamen Verbrechens, zitiert vor die Schranken der italienischen Nation.
Verhaftung und Misshandlung – „Geständnisse“
Die verhafteten Burschen wurden in schwere Ketten gelegt dem Gericht vorgeführt.
Die sieben jungen Pfunderer Burschen wurden verhaftet und nach ihrer eigenen späteren Aussage vor Gericht so lange geschlagen, bis sie die auf Italienisch verfassten Protokolle unterschrieben hatten, deren Inhalt sie nicht verstanden. Diese Protokolle enthielten jedoch „Geständnisse“, die zur Grundlage der Verurteilung der Burschen wurde.
Im Prozess widerriefen die Burschen diese „Geständnisse“ und berichteten, dass diese durch Misshandlungen erzwungen worden waren. Alois Ebner erklärte:
„Vor den Carabinieri habe ich nicht mehr gewusst, was ich sage, so sehr haben sie mich geschlagen.“
Eine Untersuchung der von den Angeklagten berichteten Misshandlungen wurde nicht eingeleitet.
Staatsanwalt fordert Schuldspruch gemäß „dem Gefühl des Volkes“
Der Staatsanwalt Mario Martin forderte für sechs Angeklagte lebenslängliches Zuchthaus, ein Angeklagter solle aus „Mangel an Beweisen“ freigehen. Demnach hätten sechs Angeklagte gemeinsam Falqui den Schädel eingeschlagen. Falqui sei geradezu „gelyncht“ worden. Dieser Staatsanwalt, der sich auch 1961 noch durch die Duldung der Folterungen politischer Südtiroler Häftlinge einen traurigen Ruf erwerben sollte, rief den Geschworenen und den Richtern zu: „Ich verlange von euch Richtern eine Mutprobe! … Euer Schuldspruch stimme überein mit dem Gefühl des Volkes, von dem ihr delegiert worden seid.“
Die christlich-demokratisch orientierte Trentiner Zeitung „L’Adige“ lobte in einem Bericht diese mehr als seltsame Rechtsauffassung und schrieb, „dass gerade der Vertreter der öffentlichen Anklage die Pflicht hat, der öffentlichen Meinung Rechnung zu tragen.“
Noch ungeheuerlicher äußerten sich die Vertreter der Privatanklage. Sie nannten die Angeklagten „Hyänen“, „Bestien“, „hündische Meute“, „halbe Kannibalen, Wegelagerer und Mörder“. Alle Bewohner des „finsteren und zurückgebliebenen Südtiroler Tales Pfunders“ hätten, politisch von der einheimischen Presse verhetzt, im sardischen Finanzer Falqui „den Bringer des Fortschritts und der Kultur“ gehasst und mit Mordlust verfolgt. (Zitiert aus: Österreichische Liga für Menschenrechte, Sektion Tirol: „Justiz in Südtirol“, Innsbruck 1958, S. 20 und 22)
Ein politisch geprägter Prozess mit schweren Fehlern
Der Richter duldete diese Sprache. Der Prozess wurde entgegen des im „Pariser Vertrag“ von 1946 festgelegten Gebrauches der Muttersprache im öffentlichen Leben und vor Gericht nur in italienischer Sprache geführt. Die Bauernburschen aus Pfunders konnten so weder den Aussagen von Zeugen noch den Beweisführungen der Anklage folgen.
Die Prozessführung war mehr als seltsam: Wichtige Entlastungszeugen wurden nicht angehört. Am „Tatort“ war keine Spurensicherung vorgenommen worden. In die Aufklärung des Geschehens war keine Morduntersuchungskommission mit Spezialisten eingeschaltet worden. Die Untersuchungen wurden nur durch gewöhnliche Carabinieri vorgenommen. All das wurde durch den Gerichtshof nicht einmal beanstandet.
In dem Verfahren blieb ein entlastendes Gutachten des Gerichtsmediziners Professor Aldo Franchini von der Universität Padua unberücksichtigt, der festgestellt hatte, dass Falchi’s Schädelbruch mutmaßlich durch den Sturz in das Bachbett verursacht worden sei.
So denkwürdig wie das Verfahren, war auch die erst Monate später ausgefertigte Begründung des Urteils durch das Gericht. Darin steht folgender bezeichnender Satz:
„Was den Zeitpunkt des Todes von Falqui angeht, tappen wir völlig im Dunkeln. Wir können nicht mit ruhigem Gewissen ein abschließendes Urteil abgeben, da die Voruntersuchungen uns nicht die notwendigen Beweise geliefert haben.“(Zitiert aus: Österreichische Liga für Menschenrechte, Sektion Tirol: „Justiz in Südtirol“, Innsbruck 1958, S. 22)
Nicht einmal die Tatsache, daß Falqui vollkommen betrunken war, als das Unglück geschah, daß sich zehn Stunden nach dem Tod in seinem Blut 1,7 Promille Alkohol, ja in seinem Magen unverdauter Alkohol befand, hatte das Gericht in seiner Urteilsbildung auch nur im geringsten beeinflusst. Unglücksfall durch Sturz eines schwer betrunkenen italienischen Finanzbeamten in der Dunkelheit? Unmöglich! Das Gericht erklärte vielmehr: „Die Behauptung, daß Falqui betrunken gewesen wäre, ist eine letzte Schmähung des Opfers.Es stimmt, daß das gerichtsärztliche Gutachten 1,7 Promille Alkohol im Blut festgestellt hat. Trotzdem nimmt das Gericht nicht an, daß Falqui betrunken gewesen ist. Denn wenn die ärztliche Blutuntersuchung nicht gewesen wäre, dann würde kein Mensch es wagen, zu behaupten, daß das Opfer betrunken war.“ (Zitiert aus: Österreichische Liga für Menschenrechte, Sektion Tirol: „Justiz in Südtirol“, Innsbruck 1958, S. 23)
Fürwahr eine seltsame Logik!
Ein furchtbares Urteil
Das Urteil erster Instanz wurde am 16. Juli 1957 gesprochen. Als des Mordes schuldig gesprochen erhielten: Alois Ebner 24 Jahre Kerker, Florian Weissteiner 16 Jahre Kerker, Georg Knollseisen 16 Jahre Kerker, Paul Unterkircher l0 Jahre Kerker, Bernhard Ebner 16 Jahre Kerker, Isidor Unterkircher 16 Jahre Kerker, Johann Huber, der nachweislich nicht einmal am Raufhandel beteiligt war und für den selbst der Staatsanwalt Freispruch beantragt hatte: 13 Jahre Kerker.
Schlagzeile in einer österreichischen Tageszeitung vom 18. Juli 1957.
Ein „Urteil – würdig der vornehmen Traditionen der italienischen Justiz“
Das Urteil rief in ganz Tirol Entsetzen hervor. Bis jetzt hatte man der Korrektheit der italienischen Justiz vertraut. Österreichs Bundeskanzler Dr. Ing. Julius Raab bezeichnete am 4. August 1957 das Urteil als „unverständlich“.
Hierauf antwortete der italienische Justizminister Gonella: „Das Urteil muss als Akt klarer Gerechtigkeit bezeichnet werden, durchaus würdig der vornehmen Traditionen der italienischen Justiz …“ („Dolomiten“ vom 8. August 1957)
Verschärfung in der Berufungsinstanz
Die Illustrierte STERN veröffentlichte dieses Bild von den Pfunderer Burschen in der Berufungsverhandlung in Trient. Ganz links im Bild: Alois Ebner.
In der Berufungsinstanz wurde das erstinstanzliche Urteil 1958 für 6 Angeklagte noch verschärft. Alois Ebner erhielt nun eine lebenslängliche Freiheitsstrafe. Lediglich Johann Huber wurde von der Mordanklage mangels an Beweisen freigesprochen und auf freien Fuß gesetzt.
Auch dieses Urteil rief wiederum in ganz Tirol Entsetzen hervor. In Südtirol fasste die „Südtiroler Volkspartei“ (SVP) am 31. März 1958 nachstehende Entschließung:
Aus „Dolomiten“ vom 1. April 1958.
Am 1. April 1958 ruhte in ganz Nordtirol von 10 Uhr bis 10.05 Uhr alle Arbeit zu einem Gedenken an die Pfunderer Burschen. Landeshauptmann Dr. Tschiggfrey, erklärte während dieser Gedenkminuten über den Rundfunk:
„In diesen Augenblicken ruht die Arbeit in Stadt und Land. In Häusern und Fabrikhallen schweigt der Lärm. Das Tiroler Volk denkt, von tiefstem Leid erfasst, an jene sechs jungen Bauernsöhne eines entlegenen Südtiroler Bergdorfes, deren Leben durch einen Richterspruch ganz oder teilweise vernichtet wird.“
Zahlreiche österreichische und bundesdeutsche Zeitungen berichteten über das Schicksal der Pfunderer Burschen.
Am 16. Januar 1960 änderte der italienische Kassationsgerichtshof das unglaubliche Urteil gegen die Pfunderer, nur unwesentlich ab. Alois Ebner erhielt nun 25 Jahre und 4 Monate Kerker statt lebenslanger Haft.
Europaweit hatte jedoch die Kritik an dieser politisch geprägten Justiz zugenommen.
In einem Gutachten hatte 1958 der international renommierte Kriminologe Prof. Dr. Armand Mergen, Universitätsprofessor für Kriminologie an der Universität Mainz, schwerste Unterlassungen der Erhebungsbehörden und des Gerichtes festgestellt und war zu dem Schluss gekommen, dass die Schuld der Verurteilten nicht bewiesen worden sei.
Dieses Gutachten wurde auch in gedruckter Form veröffentlicht und fand weites Echo in der europäischen Presse.
Die Menschenrechtskommission des Europarates empfahl am 23. Oktober 1963 eine Begnadigung. Die römische Regierung benützte nun diesen Ausweg aus dem Dilemma, in welches sich Italien selbst durch dieses Verfahren gebracht hatte. 1964 wurde Paul Unterkircher begnadigt, der seine Haftstrafe schon nahezu abgesessen hatte. Am 18. Dezember begnadigte der italienische Staatspräsident die vier Pfunderer Burschen Bernhard Ebner, Florian Weißsteiner, Isidor Unterkircher und Georg Knollseisen. Der letzte Begnadigte, Alois Ebner, wurde erst am 25. November 1969 begnadigt und kehrte am 27. November 1969 nach 13 Jahren ungerechtfertigter Haft nach Hause.
Ein italienisches Sprichwort sagt in Hinblick auf die Justiz: „Wo die Politik eintritt, entfernt sich die Gerechtigkeit!“
Am 21. Juli 2020 veröffentlichte die Südtiroler Tagezeitung „Dolomiten“ ausführlich den Bericht des „Südtiroler Heimatbundes“.
Moskauer Nächte
Der deutsch-österreichische Historiker und Publizist Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhard Olt, hat uns dankenswerter Weise nachstehenden Beitrag über tragische Schicksale zur Verfügung gestellt, die nicht der Vergessenheit anheimfallen sollten.
Im „Massengrab mit nicht abgeholter Asche“ verschwanden Stalins letzte Opfer aus Österreich und Deutschland
Von Reinhard Olt
Ein berühmter österreichischer Kammersänger Südtiroler Abstammung
Unlängst beging der weit über die Grenzen Österreichs hinaus bekannte und an zahlreichen internationalen Opernbühnen wirkende Tenor Adolf Dallapozza seinen 80. Geburtstag. Kammersänger Dallapozza, Ehrenmitglied der Wiener Volksoper, entstammt einer Südtiroler Familie. Vater Virginius war kunstgewerblicher Maler aus Bozen, die musisch begabte Mutter Gisela, eine gebürtige Bartolotti, aus Branzoll im Südtiroler Unterland. Aus der am 21. Juni 1921 geschlossenen Ehe gingen neun Kinder hervor. Adolf Dallapozza, der jüngste Sohn, war, wie seine Geschwister, noch in Südtirol geboren worden. Er kam, noch in seinem Geburtsjahr 1940, mit der gesamten Familie infolge des zwischen Hitler und Mussolini geschlossenen Optionsabkommens, zufolge dessen sich die Südtiroler entscheiden mussten, entweder ihre Heimat zu verlassen und ins Reich umzusiedeln, oder in Italien zu bleiben und damit durch erzwungene Assimilation letztlich ihre national-kulturelle Identität an die Italianità zu verlieren, schließlich nach Wien, wo seine internationale Karriere ihren Anfang nahm, und wo er als gefeiertes Ehrenmitglied der Volksoper seinen Lebensabend verbringt.
Das tragische Schicksal des jüngeren Bruders
Anders sein um 15 Jahre älterer Bruder: Emil Dallapozza, am 19. September 1925 noch in Branzoll geboren, ereilte elf Jahre nach der Umsiedlung ein besonders tragisches Schicksal, über dessen nähere Umstände die Eltern – der Vater verstarb 1964, die Mutter 1980 – niemals etwas, die Geschwister, soweit sie noch lebten, erst nahezu 60 Jahre später die Wahrheit erfuhren. Zwar hatte die Familie neun Jahre nach seinem plötzlichen Verschwinden über Nachforschungen des Roten Kreuzes die Mitteilung erhalten, dass er in der Sowjetunion verstorben sei. Nähere Auskünfte waren aber aufgrund des apodiktischen Hinweises, weitere Nachforschungen seien zwecklos, unterblieben.
Emil Dallapozza
Mit Bitterkeit in der Stimme hatte sich Anna-Maria Melichar, eine Schwester, seinerzeit gegenüber Historikern des in Graz ansässigen „Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgenforschung“ (BIK), die anhand von Akten aus russischen Archiven den verhängnisvollen Weg nachzeichneten, der für ihren Bruder in einem Moskauer Massengrab endete, und damit den Angehörigen die Augen über das Schicksal des Bruders öffneten, jenes Tages erinnert, da sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte:
„Er ist in der Früh weggegangen und nie mehr wiedergekommen. Meine Mutter hat immer wieder verzweifelt nachgefragt, aber erst 1960 erfahren, dass er gestorben ist – mehr nicht.“
Es war der 11. Juni 1951, als Emil Dallapozza spurlos verschwand. Er war in die Fänge von Häschern der sowjetischen Spionageabwehr-Sondereinheit SmerSch (Смерш) – das Akronym steht übersetzt für „Tod den Spionen“ – und damit in die tödliche Mühle von Stalins erbarmungsloser Justiz geraten. Grund seiner Festnahme: „Spionage für den französischen Geheimdienst“.
Erschießung im sowjetischen Gefängnis
Aus den Akten geht hervor, dass Emil Dallapozza in St. Pölten die Kennzeichen zweier sowjetischer Kraftfahrzeuge notiert sowie Notizen über eine dort stationierte Militäreinheit gemacht hatte und auf „frischer Tat“ beim „Sammeln von Informationen“ ertappt und festgenommen worden war. Laut Protokoll des Militärtribunals bekannte er sich im Verhör in Baden bei Wien, wohin man ihn schaffte, zu seiner Schuld. Am 25. August 1951 verurteilte es ihn zur Höchststrafe, zum Tode durch Erschießen; Grundlage war der berüchtigte Paragraph 58 Absatz 6 des Strafgesetzbuchs der UdSSR. Man verbrachte ihn ins Butyrka-Gefängnis nach Moskau, eine wegen vorherrschender Brutalität und entwürdigender Haftbedingungen berüchtigte Anstalt. Dort schrieb er ein Gnadengesuch, in welchem er darlegte, dass er nicht aus politischen Motiven gehandelt habe:
„Der ergebenst Gefertigte Emil Dallapozza […] macht von der sowjetischen Rechtswohltat Gebrauch und bittet um Umwandlung der Todesstrafe in eine Freiheitsstrafe. Zur Bekräftigung seiner Bitte weist er noch auf seine Unbescholtenheit und seine Parteilosigkeit hin, wodurch erwiesen ist, dass seine Straftat keinem politischen Hassgefühl entsprungen ist.“
Am 29. September 1951 lehnte das Oberste Gericht der UdSSR, am 23. Oktober das Präsidium des Obersten Sowjets sein Gnadengesuch ab. Emil Dallapozza wurde am 10. November 1951 erschossen, sein Leichnam eingeäschert und die Asche auf den Donskoje-Friedhof verbracht.
Der Eingang zum Moskauer Friedhof Donskoje
Weitere tragische Schicksale
Wie dem Österreicher aus Südtirol, den die russische Hauptmilitärstaatsanwaltschaft (GVP) am 15.Mai 1998, zehn Jahre, bevor seine Angehörigen durch die Grazer Forscher davon Kenntnis erhielten, förmlich rehabilitierte, erging es auch dem 1923 geborenen Deutschen Herbert Killian. Der 1946 aus amerikanischer Gefangenschaft entlassene vormalige Wehrmachts-Leutnant wurde am 12. April 1950 in Radebeul verhaftet, am 28. September wegen Spionage zum Tode verurteilt und am 12. Februar 1951 in Moskau erschossen. In seinem Gnadengesuch beteuerte er, „nur unter Zwang“ gehandelt zu haben. Dreimal sei er für seinen Auftraggeber in die SBZ (Sowjetische Besatzungszone des geteilten Deutschland, später DDR) gereist. Wegen „Spionage für den amerikanischen Nachrichtendienst“ – dem Sammeln von Datenüber sowjetische Einheiten und Flugplätze in Berlin, Chemnitz, Cottbus, Bautzen und Berlin – verurteilte ihn ein Militärtribunal in Berlin zum „Tode durch Erschießen“. Zusammen mit Killian wurden zwei weitere Deutsche, Erich Reinhold und Felix Müller, zum Tode verurteilt; gegen 21 weitere Deutsche wurden hingegen „nur“ 25 Jahre Arbeitslager im sibirischen GULag als Strafmaß verhängt. 1994 erklärte die GVP Herbert Killian für rehabilitiert.
Das tatsächliche Schicksal all derer, die kurz nach dem Zweiten Weltkrieg unter solchen oder ähnlichen Umständen ums Leben kamen, war bis vor wenigen Jahren völlig unbekannt. Zwar hatten Angehörige der Vermissten während der „Tauwetterperiode“ und „Entstalinisierung“ unter Nikita Chruschtschow 1956/57 offizielle Todesmitteilungen erhalten, doch die Todesursachen waren allesamt fingiert: Lungen-Tbc, Nierenversagen, Gehirnblutung. Der entscheidende Hinweis auf ihr wahres Ende kam Jahrzehnte später von Arsenij Roginskij, Chef der einst von Andrej Sacharow gegründeten Bürgerrechtsorganisation „Memorial“. Laut „Memorial“ wurden zwischen 1945 und Stalins Todesjahr 1953 insgesamt siebentausend Menschen in der „Butyrka“ erschossen, unter ihnen mehr als tausend deutsche und 132 österreichische „Spione“. Roginskij nahm Kontakt zu Stefan Karner auf, dem damaligen Leiter des BIK in Graz. Dank „Entgegenkommens des Moskauer Staatsarchivs aufgrund jahrelanger vertrauensvoller Zusammenarbeit“ sei es dann, so Karner, „möglich geworden, die Schicksale dieser besonderen Gruppe unter den letzten Opfern Stalins zu rekonstruieren. Wir haben die Gnadengesuche der zum Tode Verurteilten und die Antworten – sie wurden alle mit einer unvorstellbaren Brutalität abgelehnt.“
Die 24 Jahre alten Buchhalterin Hermine Rotter aus Wien schrieb in ihrem Gnadengesuch: „Ich flehe zu Ihnen, ohne Eltern, ohne Heimat, da ich sonst niemand mehr habe, mein nacktes Leben zu retten und mich von dem grässlichen Tode freizusprechen. Ich schwöre dem russischen Staat meinen heiligen Eid, sollte das Hohe Gericht mir diese Gnade des Lebens erteilen, meine ganze Kraft, Arbeit, Fleiß und guten Willen zu geben und Ihnen in der Sowjetunion zu beweisen, dass ein junges Wiener Mädchen einen großen Fehler begangen hatte, aber als Wiedergutmachung Ihnen ihr Leben durch Arbeit und ein gutes Herz schenkt. Ich zünde für jeden Soldaten Ihres Landes, welcher im Kriege starb, abends in meinem Herzen ein Lichtlein an und denke dabei als Wienerin, alles gutzumachen, was ich an Ihnen verbrochen habe.“ Es half nichts: Am 9. Oktober 1951 wurde Hermine Rotter im Keller der „Butyrka“ erschossen – wegen „antisowjetischer Spionage“. In derselben Nacht wurde ihr noch nicht erkalteter Leichnam im Krematorium auf dem Friedhof des ehemaligen Klosters Donskoje verbrannt. Ihre Asche schüttete man ins wenige Schritte entfernte Grab Nr. 3, das „Massengrab mit nicht abgeholter Asche aus den Jahren von 1945 bis 1989“, als das es heute offiziell bekannt ist.
Das heute schön gepflegte Massengrab im Moskauer Friedhof Donskoje
Ihre Angehörigen erhielten nach dem Abschluss des Staatsvertrages und dem Abzug der sowjetischen Besatzungstruppen aus Österreich 1955 eine Todesnachricht mit fingierter „natürlicher“ Todesursache.
Von 2201 Zivilisten, die sowjetische Organe bis 1955 in Österreich verhafteten, erhielten mehr als tausend hohe Haft- und Lagerstrafen.132 Personen verurteilte das Militärtribunal zum Tode: 39 in den Jahren 1945 bis 1947; 93 zwischen 1950 und Stalins Tod am 5. Februar 1953.1947 hatte Stalin die Todesstrafe vorübergehend ausgesetzt; drei Jahre später führte er sie wieder ein. Niemand in Österreich wusste, dass im Kurort Baden bei Wien derartige „Prozesse“ stattfanden, bei denen die Beschuldigten keine Chance hatten, sich zu verteidigen. Die Anklage war stets dieselbe: Spionage; ebenso das Urteil: Tod durch Erschießen.
In den meisten Fällen waren es aber wohl Lappalien, derer sich die Verhafteten „schuldig“ gemacht hatten, getrieben oft aus schierer materieller Not. So im Falle des Stefan Buger. Dieser war Fahrdienstleiter bei der österreichischen Eisenbahn. Im Verhör vor dem Militärtribunal legte er seine „finanzielle und materielle Not“ dar, die ein Angehöriger des französischen Geheimdienstes namens Fuczik „erbärmlich und schändlich ausgenutzt“ habe: „Ich hatte einen Monatslohn von 690 Schilling, auf Lebensmittelkarten nichts bekommen, alles nur am schwarzen Markt. 1 kg Schmalz 400 Schilling, Zucker 220Schilling, Mehl 45 Schilling, ein Ei 230 Schilling, Fleisch 300-350 Schilling. Meine Familie unterernährt, Kinder hatten Hunger und nicht einmal das Notwendigste an Brot und Fett zuhause“, gab Buger zu Protokoll. Als Gegenleistung für Informationen über Fracht und Häufigkeit des Verkehrs sowjetischer Güterzüge soll Buger „4000-4500 Schilling an Geld oder Produkten wie Schmalz, Mehl, Zucker“ erhalten haben. 1948, nach Fucziks „Verschwinden“, brach er jeglichen Kontakt zum Geheimdienst ab.
Fahrdienstleiter Stefan Buger
Was Buger nicht wusste: Fuczik war wegen Spionage zu 25Jahren GULag verurteilt worden und hatte seinen Namen preisgegeben. Buger wurde am 11. Juli 1952 in Moskau hingerichtet. Daheim rätselte seine ahnungslose Familie jahrelang über die Gründe für sein plötzliches Verschwinden: „Wir haben halt immer wieder spekuliert, ob er als Fahrdienstleiter vielleicht einen Zug mit Juden ins KZ gebracht hat“, sagte sein Sohn.
Ein anderer Fall, den die Grazer Wissenschaftler klärend rekonstruierten, ist der des Leo Thalhammer. „Der Fabrikarbeiter Leo Thalhammer wurde aufgefordert, auf die Kommandantur zu kommen und wurde seither nicht mehr gesehen“, hieß es in einer Meldung der „Arbeiterzeitung“ Ende September 1951. Seine Frau Anna ahnte sogleich, dass etwas Schlimmes passiert sein musste: „Den Leo ham’s sicha daschossn.“ Sein Schwager Ernst Feichtinger, laut KGB-Akten ein Agent des amerikanischen Geheimdienstes CIC, hatte Thalhammer als Informanten angeworben. Er sollte berichten, was bei den Messerschmitt-Werken in Wiener Neustadt hergestellt wurde. In seinem Gnadengesuch vom 6. Dezember 1951 bot Thalhammer „ … mein „ganzes Können für den Aufbau von Russland an, um meine Tat gutzumachen“.
Das abgelehnte Gnadengesuch des Leo Thalhammer
Vergeblich: Am 1.März 1952 wurde er zusammen mit seinem Schwager Feichtinger in Moskau exekutiert. 1956 erhielt die Familie die Nachricht, er sei infolge „Zerreißens der Aorta“ verstorben – eine vordergründig zwar korrekte, aber doch zutiefst zynische Darstellung.
Isabella Maria Lederer wiederum wurde die leibliche Verwandtschaft mit einem vormaligen SS-Offizier zum Verhängnis, der für den amerikanischen Geheimdienst arbeitete. Die Grazerin wurde von ihrem Bruder angeworben. Ob sie bloß an Geld kommen wollte, um ihre drei Kinder durchzubringen oder tatsächlich politische Motive hatte, bleibt ungeklärt. Sie fuhr oft nach Wien, um Flugblätter zu verteilen, auf denen namens eines „Nationalen Arbeitskreises“, einer weißrussischen Organisation, dazu aufgefordert wurde, die Fronten zu wechseln. Stets mit dabei waren ihr 17 Jahre alter Sohn Horst und ihre vier Jahre alte Tochter Roswitha. Über ihre Festnahme berichtete im Mai 1952 sogar die „Austria Presse Agentur“. Am 18. Juli 1952 sah Horst Lederer seine Mutter zum letzten Mal im „Gerichtssaal“ des sowjetischen Militärs in Baden. Als die Übersetzung des Urteils verlesen wurde, konnten beide das Gehörte kaum fassen: wegen „antisowjetischer Agitation“ Tod durch Erschießen für die 42 Jahre alte Soldatenwitwe und Mutter dreier Halbwaisen; 25 Jahre „Arbeitsbesserungslager“ für den minderjährigen Sohn. „Sie war wie versteinert“, erinnerte sich Lederer, „ich streichelte ihr die Hand und sagte ,Es tut mir so leid‘.“
Bild der Familie Lederer aus dem Jahre 1949
Drei Tage nach dem Urteilsspruch schrieb auch Isabella Lederer ein Gnadengesuch: „Ich bitte aus tiefstem Herzen das Präsidium die verzweifelte Bitte einer Mutter zu erfüllen, das furchtbare Urteil zu ändern und mir die Möglichkeit zu geben, einmal wieder mein Leben bei meinen Kindern zu verbringen.“ Am 11. September wurde die Bitte um Gnade abgelehnt, vier Wochen später vollstreckte Wassilij Michailowitsch Blochin im Keller der Moskauer „Butyrka“ das Urteil. Horst Lederer, sein Leben lang erfüllt vom Schmerz über das Schicksal seiner Mutter, hatte Glück: die Sowjetmacht verfrachtete ihn „nur“ nach Alexandrowsk in Sibirien, im Juni 1955 schickte sie ihn nach Hause.
Blochin war von 1924 bis 1953 für die Exekution von „Staatsfeinden“ verantwortlich. Der Gebieter über das „Untersuchungsgefängnis Nr. 2“ trat dabei stets auf, als wolle er die Delinquenten eher köpfen denn ihnen den Genickschuss zu verpassen; er hatte die Kleidung eines Schlächters angelegt: braune Schirmmütze, lange Lederschürze und Handschuhe, die bis über die Ellbogen reichten. Seine sorgfältig gepflegte Ruhestätte befindet sich keinen Steinwurf entfernt vom Massengrab seiner Opfer.
Der erbarmungslose sowjetische Schlächter Blochin und sein Grabstein auf dem Moskauer Friedhof, wo auch die Asche seiner Opfer beerdigt ist
Dank der Forschungen der Grazer Historiker bekamen sie wie der gebürtige Südtiroler Emil Dallapozza und seinesgleichen zumindest ihre Namen zurück und die Angehörigen sowie die Nachgeborenen Einsichten über ihr gnadenlos-trauriges und menschenverachtendes Schicksal. Tiefschürfende, dokumentierte Befunde und Erkenntnisse darüber bietet das von Stefan Karner und Barbara Stelzl-Marx herausgegebene Buch „Stalins letzte Opfer. Verschleppte und erschossene Österreicher in Moskau 1950-1953“.
Staatsterror gegen die Herz-Jesu-Feiern
Vor 100 Jahren: Landesteilung Tirols 1920 – der Weg in die Knechtschaft!
Die Unterdrückung von Freiheitsbekundungen und das Aufbegehren der Bevölkerung
Unmittelbar nach der Besetzung Südtirols durch italienische Truppen im November 1918 wurden alle Bestrebungen der Südtiroler Bevölkerung unterdrückt, ihren Willen zur Erhaltung der Landeseinheit kundzutun.
In Nordtirol konnte die Bevölkerung ihren Gefühlen und Forderungen noch Ausdruck verleihen. Im Juni 1919 versammelte sich eine unübersehbare Menschenmenge auf dem Bergisel oberhalb von Innsbruck vor dem Andreas-Hofer-Denkmal, um für die Landeseinheit Tirols zu demonstrieren.
Der Tiroler Landeshauptmann Schraffl appellierte in seiner Rede an die Siegermächte: „Gebt uns Gerechtigkeit, gebt uns das freie Selbstbestimmungsrecht, wir werden niemanden bedrohen und keinen Frieden stören. Die Vergewaltigung Tirols, die Knechtung einer Viertelmillion Deutscher und Ladiner wird niemals zu einem dauernden Frieden führen.“ (Aus: „Allgemeiner Tiroler Anzeiger“, Innsbruck, vom 14. Juni 1919)
Dann bewegte sich der Demonstrationszug hinunter nach Innsbruck und durch den Burggraben zur Hofkirche, die bei weitem nicht alle Teilnehmer fassen konnte. Vor dem Grabmal Andreas Hofers endete die Kundgebung mit einer Ansprache des Geistlichen und Dichters Msgr. Anton Müller („Bruder Willram“) und dem gemeinsamen Absingen des Andreas Hofer-Liedes.
Die damalige Stimmung im Lande gab ein Lied wieder, dessen Text die Innsbrucker Ärztin Dr. Ehrentraut Lanner verfasste und der am 3. Juli 1919 von der Tageszeitung „Allgemeiner Tiroler Anzeiger“ erstmals auf der Titelseite als „Südtiroler Trutzlied” veröffentlicht wurde. Dieses Lied wurde vielfach publiziert, erlangte rasch Berühmtheit und wurde zu einem Volkslied in ganz Tirol.
Südlich des Brenners herrschte bereits Unterdrückung. Zeitungen durften über das Thema Selbstbestimmung nicht schreiben, öffentliche Auftritte waren verboten und sogar in den Gaststuben der Wirtshäuser lauerten Spitzel, die Äußerungen mit Freiheitsbekundungen den Behörden meldeten.
Die Zensur schlug bei den Zeitungen zu.
Trotz dieser Repressionsmaßnahmen hatten Vertreter aller 172 Gemeinden Südtirols bis Ende März 1919 heimlich eine Denkschrift unterzeichnet, welche dem amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson übermittelt wurde.
Aus: „Allgemeiner Tiroler Anzeiger“, Innsbruck, vom 18. Juni 1919
In dieser Denkschrift hieß es: „Wir – alle Gemeinden Deutsch-Südtirols – wenden uns … mit diesem Hilferuf an die ganze Welt … zu jedem Opfer sind wir bereit – wenn es so sein muss – , nur unser heiliges Selbstbestimmungsrecht darf nicht verletzt werden, deutsche Tiroler müssen wir bleiben, wir werden für Italien sichere Nachbarn sein – wir wären ihm tief unglückliche, verbitterte Untertanen!“ (Zitiert aus: „Allgemeiner Tiroler Anzeiger“, Innsbruck, vom 18. Juni 1919)
Dr. Karl Renner musste am 10. September 1919 in St. Germain den Friedensvertrag unterzeichnen.
Nichterfüllung der Autonomie-Forderungen
Nachdem aber 1919 auf der Friedenskonferenz in Paris die Abtrennung Südtirols beschlossen worden war und der österreichische Staatskanzler Dr. Karl Renner am 10. September 1919 den aufgezwungenen Schandvertrag unterzeichnen musste, forderten die deutschen Parteien Südtirols, dass dem Lande zumindest eine eigene Autonomie mit weitgehender Selbstverwaltung gewährt werden möge. Es kam zu großen Demonstrationen im Lande, die zu unterdrücken dir Behörden zunächst nicht wagten.
Die Kundgebung „Heraus mit der Autonomie“ der „Tiroler Volkspartei“ am 18. April 1920 auf dem Domplatz in Brixen.
Trotz aller Repressionsmaßnahmen traten am 9. Mai 1920 in Meran vor dem Andreas-Hofer-Denkmal laut einem Bericht der deutschen „Reclams Universum Weltrundschau“ an die „15.000 Vertreter der Gemeinden des Burggrafenamtes Passeier, Ulten und Vinschgau zusammen, um der italienischen Regierung zu bekunden, dass die deutschen Südtiroler unbeugsam auf dem Rechte der Selbstbestimmung bestehen, und solange dieses nicht durchführbar ist, eine deutsche Selbstverwaltung fordern.“ („Reclams Universum Weltrundschau, 1920)
Autonomieversammlung in Meran am 9. Mai 1920, an der mehr als 10.000 Menschen aus dem Burggrafenamte teilnahmen. (Bild aus: „Reclams Universum Weltrundschau, 1920)
Die deutschen Parteien des Landes hatten sich zum „Deutschen Verband“ zusammengeschlossen, welcher in Rom vorstellig wurde und der Regierung einen fertigen Autonomieentwurf überreichte. Es wurde die Schaffung einer Provinz Südtirol unter Einschluss der Ladiner mit eigener Landesverwaltung und eigener Gesetzgebungskompetenz eines frei zu wählenden Landtages gefordert.
Dagegen liefen in der Folge die Trentiner mit Alcide Degasperi, dem späteren Ministerpräsidenten Italiens nach dem Zweiten Weltkrieg, erfolgreich Sturm. Die Regierung kam unter diesem Druck den Südtiroler Forderungen nicht nach.
Angesichts der bevorstehenden gesetzlichen Annexion Südtirols und angesichts der Vorenthaltung der verlangten Autonomieregelung war nun im Lande eine gespannte Stimmung entstanden.
Die römische Angst vor den Herz-Jesu-Feiern
Angesichts dieser Situation sahen die italienischen Behörden den bevorstehenden Feiern zum Herz-Jesu-Sonntag im Juni 1920 mit Spannung und mit Furcht entgegen.
Um dies erklären zu können, ist ein kurzer geschichtlicher Rückblick notwendig.
Die alljährlichen Herz-Jesu-Feiern Tirols gehen auf den Beschluss der Tiroler Landstände vom 1. Juni 1796 zurück, angesichts der drohenden Kriegsgefahr das Land mit einem Gelöbnis dem „Heiligsten Herzen Jesu“ anzuvertrauen und zu versprechen, in aller Zukunft das Fest des göttlichen Herzens Jesu als Festtag zu begehen. Dieses Gelöbnis rief damals einen großen Zustrom von Freiwilligen zu den Waffen hervor, die das Land erfolgreich verteidigten.
Andreas Hofer wiederholte 1809 vor der Bergisel-Schlacht dieses Gelöbnis.
Bis heute werden in Südtirol jedes Jahr am dritten Samstag oder Sonntag nach Pfingsten zur Bekräftigung des Bundes Tirols mit dem Herzen Jesu außer den Gottesdiensten auch Höhenfeuer entzündet und Prozessionen abgehalten. Die Höhenfeuer stehen in der Tradition der früheren „Kreidfeuer“, mit denen das Landesaufgebot zu den Waffen gerufen wurde.
Es entspricht dem geschichtlichen Ursprung dieses Brauchtums, dass es neben einem religiösen Bekenntnis auch eine Bekundung des Freiheitswillens des Landes ist.
Tausende von Flammen über den Tiroler Bergen
Aus diesem Grund sahen die italienischen Behörden den Herz-Jesu-Feiern, die nach dem Krieg nun im Jahre 1920 wiederum begangen werden sollten, mit äußerstem Argwohn entgegen.
Der Kaiserjägeroffizier des Ersten Weltkrieges, Träger der Goldenen Tapferkeitsmedaille, und kurzzeitige Tiroler Nationalratsabgeordnete der Republik Deutsch-Österreich, Dr. Eduard Reut-Nicolussi, schildert in seinem Buch „Tirol unterm Beil“, wie er die Herz-Jesu-Nacht des Jahres 1920 erlebte:
„Juninacht. Wie einen goldübersäten blausamtenen Mantel breitet sich das funkelnde Firmament über Tirol. Auch die Erde glimmt und leuchtet mit Tausenden von Flammen. Ist ein Sternenregen auf die Tiroler Berge niedergegangen? Sind unzählige Brände über Berg und Tal entzündet?
Ich stehe mit einer Gesellschaft auf dem Höhenweg von Lengmoos am Ritten. Wir schauen über das Land. Da ist keine Spitze, auf der nicht ein heller Schein aufblitzt, kein Hang, über den es nicht feurig sprüht. Ist es ein Gaukelspiel, eine Sinnestäuschung?
Nein, das ist eine Feier Tirols, Herz-Jesu-Sonntag, aus schwerer Kriegszeit her durch fromme Angelobung der Tiroler Stände geheiligt und alljährlich durch Feuer auf allen Höhen begangen. … Im alten Glanze flammt die Glut, auf Zinnen und Graten brennen Lichterreihen über Hänge und Felsabstürze. ….
Aus dem Jahre 1920 sind keine Fotos der nächtlichen Herz-Jesu-Feuer überliefert. Stellvertretend dafür zeigt dieses Bild die Feuer der Herz-Jesu-Nacht des Jahres 1946 über Bozen, als eine ähnliche Stimmung der Sehnsucht nach Freiheit im Lande herrschte.
In der Gesellschaft, die mit mir auf den Ritten gefahren ist, um dieses gewaltige Feuermeer tirolischer Begeisterung zu bewundern, befindet sich auch die Witwe eines österreichischen Offiziers, der auf dem Hochlande der sieben Gemeinden sein Grab hat. Sie gibt sich der Größe dieser sang- und feuererfüllten Juninacht hin. Nach einer Weile übermannt sie die Ergriffenheit und unter Tränen sagt sie mir: ‚Nun weiß ich wenigstens, wofür mein Mann sein Leben gelassen hat.‘“ (Eduard Reut-Nicolussi: „Tirol unterm Beil“, München 1930, S. 55f)
Die Italiener befürchten einen Volksaufstand
Reut-Nicolussi berichtet weiter: „Anders sahen die Italiener vom Tale herauf. Sie hatten schon vorher davon erfahren. Ein Rundschreiben der Tiroler Volkspartei war ihnen in die Hände gefallen, worin zur Wiederaufnahme des alten Brauches aufgefordert wurde. Der letzte Satz, der als poetischer Abschluss gedacht war, lautete: ‚Von Kufstein bis Salurn mögen die Flammenzeichen lodern, die Nacht unserer Knechtschaft erhellend.‘
Der Sekretär der Partei, ein jugendlich warm empfindender Mensch, hatte es geschrieben. Den Italienern flößten diese Worte große Besorgnisse ein: hier war etwas im Zuge, wahrscheinlich die Erhebung Tirols. Alle Karabinieristationen erhielten genaue Weisungen, dem Militär wurde Bereitschaft anbefohlen, und als der Herz-Jesu-Sonntag anbrach, standen vor der Bozener Pfarrkirche, im Hofe des Postgebäudes Maschinengewehre.“ (Eduard Reut-Nicolussi: „Tirol unterm Beil“, München 1930, S. 56)
„Marietta, du siehst mich nie wieder!“
Wie groß die Angst auf italienischer Seite war, schildert Reut-Nicolussi anhand eines Beispiels: „In der Familie eines italienischen Stabsoffiziers in Bozen wurde an diesem Tage ein freudiges Ereignis erwartet. Mitten in die Vorbereitungen platzte eine Ordonanz des Regimentskommandanten, der baldige Vater habe sich schleunigst in die Kaserne zu begeben, da strenge Bereitschaft angeordnet sei. In größter Bestürzung wirft sich der Offizier am Lager seiner Gattin nieder und nimmt herzzerreißenden Abschied: ‚Lebe wohl, Marietta, du siehst mich nie wieder!‘“ (Eduard Reut-Nicolussi: „Tirol unterm Beil“, München 1930, S. 62)
Wie auch die „Bozner Nachrichten“ später am 18. Juni 1920 berichteten, hatten italienische Militärpersonen „am Vorabend von ihren Angehörigen Abschied genommen …, als ob es in einen neuen Weltkrieg ginge; von 20.000 bis an die Zähne bewaffneten Bauern wurde gemunkelt“.
Infanterie und Maschinengewehre in Bozen
Historische Postkarte mit dem Bild von Bozen
Wie die „Bozner Nachrichten“ vom 15. Juni 1920 berichteten, fand am 14. Juni 1920 in der Bozener Pfarrkirche ein feierlicher Gottesdienst statt. Die italienischen Behörden hatten den teilnehmenden Vereinen den Aufmarsch mit Fahnen verboten und „eine Infanteriekompanie mit Maschinengewehren aufgeboten, welche bei der Talferbrücke Aufstellung nahm.“
Italien ließ mitten in Bozen Maschinengewehre auffahren und bewaffnete Carabinieri in den Straßen patrouillieren.
Die in Bozen erscheinende Tageszeitung „Der Tiroler“ berichtete am 15. Juni 1920 ebenfalls über die behördlichen Maßnahmen in Bozen: Aufgebot einer Kompanie mit Maschinengewehren, Carabinieri in voller Ausrüstung, Offiziere und Mannschaften mit schwerster Bewaffnung.
Links: Text aus „Der Tiroler“ vom 15. Juni 1920. Rechts: Carabinieri-Patrouille.
Die Bevölkerung in Bozen blieb friedlich
Die Bevölkerung Bozens blieb jedoch friedlich, wie die „Bozener Nachrichten“ vom 15. Juni 1920 weiter berichteten. „Anlässlich des Herz-Jesu-Festes war auch nach altem Brauch eine Bergbeleuchtung zu erwarten. Eine ungeheure Volksmenge zog hinaus zur Talferbrücke, zur Wassermauerpromenade und anderen Aussichtspunkten, um sie dieses seltene Schauspiel anzusehen. Gegen 10 Uhr abends leuchtete es auf in zauberischem Glanze. Herrlich schön lag sie da, die Bergwelt, die Bozens paradiesischen Kessel umschließt.
Da aus dem Jahre 1920 keine Bilder zur Verfügung stehen, werden hier Bilder aus dem Jahre 1946 gezeigt.
Mächtig lohende Feuer, feurige Herzen und Kreuze und dazwischen das Zischen der Raketen und der Böller. … Bis gegen Mitternacht leuchteten die Flammenzungen ins Etschtal herein, dann ward es wieder stille, jedoch beim Volke bleibt die süße Erinnerung im Herzen. Der Ehrentag Tirols war vorüber.“ („Bozener Nachrichten“ vom 15. Juni 1920)
Schikanen, willkürliche Verhaftungen – Aufbegehren des Volkes in Tramin
Wie die Bozener Tageszeitung „Der Tiroler“ am 17. Juni 1020 meldete, war es in mehreren Orten Südtirols zu behördlichen Schikanen gekommen. Die Behörden wagten angesichts der Stimmung im Lande nicht mehr, gegen die Veröffentlichungen mit der Zensur vorzugehen. So konnte die Zeitung berichten: „Verbot um Verbot wurde aus den Trientiner Kanzleien nach Südtirol herausgespien. Das Führen von Fahnen in den Landesfarben, Pöllerschießen, Musik, Prozessionen, ja an einem Ort sogar die Abhaltung des feierlichen Gottesdienstes – wurden von den Carabinieri untersagt.“ Die Carabinieri hätten vielfach gegenüber der Bevölkerung erklärt: „Wir sind Carabinieri und können tun, was wir wollen.“ Die Carabinieri nahmen zahlreiche willkürliche Verhaftungen vor.
In Tramin wurde am 12. Juni 1920 eine Reihe von Bürgern verhaftet. Dagegen gab es ein Aufbegehren des Volkes. „Der Tiroler“ berichtete am 17. Juni 1920, dass der Zeitung Folgendes schriftlich mitgeteilt worden sei: „Als der Fackelzug … auf dem Rathausplatze sein Ende fand, blieb die Menge beisammen, demonstrierte vor der im Rathause untergebrachten Wachstube der Carabinieri, indem unter starker Erregung die Freigabe der Verhafteten gefordert wurde. Es mochten ungefähr 2.000 Mann beisammen gewesen sein. Da begingen die Carabinieri die Unklugheit mit aufgepflanztem Bajonett die Wachstube zu verlassen und davor mit Gewehr fertig Aufstellung zu nehmen. Als der Kommandant nun die Menge aufforderte, sich augenblicklich zu zerstreuen, widrigenfalls das Feuer eröffnet werden würde, erreichte die Erregung der Menge ihren Höhepunkt. Die allgemeine Erbitterung über dieses unwillkürlich als Herausforderung aufgefasste Vorgehen der Carabinieri kam mit elementarer Gewalt zum Durchbruch. Es flogen Steine gegen die Carabinieri, die sich auf das hin wieder in ihre Wachstube zurückzogen und die Eingangstür abriegelten.“
Auf Intervention des Bürgermeisters wurde lediglich ein Häftling freigelassen. „Im Ganzen wurden am Sonntag 16 Verhaftungen vorgenommen. Um 1 Uhr nachts wurden die Verhafteten nach Neumarkt abtransportiert.“ Insgesamt wurden in Tramin an die 30 Personen verhaftet. („Der Tiroler“ vom 17. Juni 1920)
Die Verhafteten wurden zum Teil misshandelt, wie die „Bozener Nachrichten“ nach der Freilassung mehrerer Verhafteter am 23. Juni 1920 berichteten:
Branzoll: Schüsse auf Gäste im Gastgarten
In Branzoll wurden am Herz-Jesu-Sonntag der Gemeindevorsteher und fünf junge Männer verhaftet. In der Carabinieri-Kaserne wurden sie an eine Kette gehängt und mussten so die Nacht verbringen, bis sie am nächsten Tag in Ketten nach Trient abtransportiert wurden. Am Abend kam es zwischen einem Einheimischen und einem Leutnant namens Telaro zu einer Auseinandersetzung. Dieser zog seine Pistole und feuerte auf Gäste im Garten des Restaurants mehrere Schüsse ab, wobei er einen Gast verletzte. Daraufhin verdroschen einige junge Männer den Leutnant.
„Der Tiroler“ am berichtete 17. Juni 1920 darüber: „Abends gab es Schießerei mit Revolver und Gewehren. Den Anfang dazu hat der Leutnant gemacht, indem er mit seiner Pistole auf die Gäste in den Garten des Bahnhofsrestaurants einigemale hineingefeuert hat. Verwundeter wurde bisher einer gemeldet. Der Offizier wurde verprügelt.“
Aus: „Der Tiroler“ vom 17. Juni 1920.
In Branzoll kam es daraufhin zu zahlreichen Verhaftungen
70 Verhaftete nach den Herz-Jesu-Feiern – Haft unter schlimmen Bedingungen
Am 18. Juni 1920 berichteten auch die „Bozener Nachrichten“ unter dem Titel „Unverantwortlichkeiten“ über Ausschreitungen der italienischen Behörden anlässlich der Herz-Jesu-Feiern. Es seien an die 70 Verhaftungen vorgenommen worden. Die Verhafteten seien in Ketten nach Trient verschleppt worden.
Aus „Bozener Nachrichten“ vom 18. Juni 1920.
Aus dem Jahre 1920 gibt es keine Fotos der in Ketten verschleppten Verhafteten. Dieses Bild aus der Zeit des Faschismus zeigt den italienischen Brauch, Verhaftete an langen Ketten zusammenzuschließen.
Ein Teil der Verhafteten wurde nach einigen Tagen wieder freigelassen. Andere verblieben jedoch in Haft und zwar unter unwürdigen Bedingungen, wie das „Tiroler Volksblatt“ vom 29. Juni 1920 berichten musste:
„Das Gesetz ist für Alle gleich“
In italienischen Gerichtssälen prangt üblicherweise über dem Richterstuhl die Inschrift „La Legge e uguale per tutti“ – „Das Gesetz ist für Alle gleich“.
Das stimmt natürlich auf dem Papier. Es gibt nur ein Strafgesetzbuch. Eine andere Frage ist freilich die Anwendung dieses Gesetzes. Und diese fällt manchmal ein wenig unterschiedlich aus. In diesem Fall ging es um die gerichtliche Rechtfertigung der italienischen Repressionsmaßnahmen und um die Schuldzuweisungen an die Südtiroler.
Am 3. September 1920 begann in Schwurgerichtssaal des Gerichtes in Trient die Hauptverhandlung gegen 18 Traminer „wegen des Verbrechens der öffentlichen Gewalttätigkeit“, wie die „Bozner Nachrichten“ am 5. September 1920 berichteten. Es ging vor allem um die Teilnahme an der Demonstration gegen die Carabinieri-Kaserne. Der Staatsanwalt sprach von einer „Revolte“, die vorbereitet worden sei.
Die Tageszeitung „Der Tiroler“ berichtete am 5. September 1920 über den Prozess: „Trotz aller Bemühungen des Vorsitzenden, die Angeklagten dahin zu bringen, weitere belastende Aussagen zu machen, gelingt ihm dies nicht. Die Angeklagten betonen immer wieder ihre völlige Unschuld. Sie erklären klipp und klar, dass sie an den Vorgängen in keiner Weise beteiligt waren. Sie haben zwar gesehen, wie Steine flogen, gehört, dass die Leute gegen die Carabinieri Schimpfworte ausstießen, seien aber nicht imstande, auch nur einen Namen zu nennen.“
Das Gericht verurteilte 10 Angeklagte zu Strafen zwischen 5 und 7 Monaten schweren Kerkers, „mit monatlicher einmaliger Abschließung“, wie „Der Tiroler“ vom 5. September 1920 zu berichten wussten. Ein Angeklagter wurde freigesprochen, die restlichen Angeklagten wurden zu jeweils ein bis zwei Wochen Haft verurteilt.
Am 7. Dezember 1920 kommentierte „Der Tiroler“ unter dem Titel „Gerechtigkeit“ das Urteil: „Nicht umsonst haben wir stets schärfsten Protest eingelegt, dass Leute aus unserem Lande als Gefangene durch die Straßen Trients geschleppt und vor trentinische Gerichtshöfe geschleift werden. Nicht umsonst haben wir darauf hingewiesen, dass wir nicht das mindeste Vertrauen in die Trentiner Justiz haben können.“ Der Staatsanwalt Grandi habe vor Gericht erklärt: „Er wolle die Herren vom Gerichtshofe nicht mit Einzelheiten über die Schuld jedes Angeklagten aufhalten.“
Der vorsitzende Richter namens Guido Emer sei „seinerzeit einer der geheimen irredentistischen Führer“ in Trient gewesen, schrieb die Zeitung.
„Als Hasser des Deutschtums stand er schon vor dem Kriege bei seinen Landsleuten in hohem Ruf. Während des Krieges wurde er in gerichtliche und ehrengerichtliche Untersuchung gezogen. Daher war er offenbar … der geeignetste Mann, um einem Prozess mit politischem Gepräge gegen die den Trentinern so verhassten Südtiroler vorzustehen. … Junge Burschen werden in das Verließ geworfen, obwohl die Aussagen der Entlastungszeugen dartaten, dass die Behauptungen, auf welche die Anklage sich gründete, auf durchaus schwachen Füßen standen. … Aber freilich, wozu bedarf es juristische Gründe: es ist ein Verbrechen, ein Südtiroler zu sein und sich als solcher zu fühlen.“
„Der Tiroler“ schloss mit den Worten: „Wir lassen uns aber dadurch nicht beugen. Wir widerstehen schmeichelnden Lockungen wie brutaler Gewalttätigkeit mit jener Ruhe und Kraft, die uns das Vertrauen auf unser gutes Recht verleiht.“
Am 2. Dezember 1920 wurden von dem Schwurgericht in Trient in einem weiteren Prozess vier Branzoller zu Strafen „schweren verschärften Kerkers“ zwischen 10 Monaten und 3 Jahren verurteilt. Wie die „Bozner Nachrichten“ am 4. Dezember 1920 berichteten, hatte der Staatsanwalt „die Demonstration als eine der Folgen der antiitalienischen Politik des alten Österreich sowie der Aufreizung durch die südtirolischen Pangermanisten“ bezeichnet.
Diese Ereignisse des Jahres 1920 waren der Beginn des Weges in eine schlimme Knechtschaft. Bald setzte auch die Zensur wieder ein. Die von der Zeitung „Der Tiroler“ beschworene Unbeugsamkeit der Südtiroler sollte in den kommenden Jahren des Faschismus auf die härtesten Proben gestellt werden – sich letztendlich aber bewähren.
Die Kriegserklärung Italiens 1915: Standschützen und Freiwillige Schützen als Retter in höchster Not
Der Dolchstoß in den Rücken des eigenen Verbündeten: Kriegseintritt Italiens gegen Österreich-Ungarn im Jahre 1915.
Von Georg Dattenböck
Angesichts der horrenden Schrecken und unfasslichen Verlustzahlen an Gefallenen, Vermissten und Schwerstversehrten des 1. Weltkrieges, hat heute jeder geschichtskundige Friedenswillige in Italien und Österreich den Wunsch, daß derart Schreckliches nie wieder geschehen soll. Immer wieder gibt auch heute noch das schmelzende Eis an den ehemaligen Frontabschnitten mumifizierte Gefallene frei und der Wanderer entdeckt vielfach noch die Hinterlassenschaften dieses Krieges.
Das italienische Volk beklagte am Ende rund 600.000 tote junge Männer, die Zahl der Vermissten und Schwerstversehrten ist dem Verfasser unbekannt. Dies war der traurige „Siegespreis“, den das italienische Volk, welches in großer Mehrheit nicht kriegsbegeistert und nicht schuldig war, für diesen von einer fanatischen Minderheit geplanten Angriffskrieg gegen Österreich zahlen mußte. Auch auf Seiten Österreich-Ungarns waren die Verluste gewaltig. Etwa 30.000 Mann wurden alleine durch Lawinen und die widrigen Witterungsverhältnisse des Hochgebirges getötet.
Mit einer starken, antiösterreichischen Stimmungsmache, Hetzreden, einer Befürwortung und Heroisierung des Krieges, stach damals unter vielen anderen Kriegshetzern der italienische Dichter Gabriele d’Annunzio, Redner bei Freimaurerfesten und zugleich einer der Ideengeber des aufkommenden Faschismus, besonders hervor.
D’Annunzio (rechts im Bild) im Gespräch mit Benito Mussolini.
Er verherrlichte den Krieg, machte den von ihm und seinen Anhängern geübten „Saluto Romano“ populär, bis dieser zum offiziellen faschistischen – und nationalsozialistischen – Parteigruß wurde und ließ sich sein Leben in einer beschlagnahmten Villa am Gardasee von dem faschistischen Regime finanzieren.
Als nach dem Ersten Weltkrieg aufgrund des Londoner Geheimabkommens von 1915 Teile Kroatiens an Italien fielen, Rijeka – von den Italienern auch Fiume genannt – jedoch nicht zu den abzutretenden Gebieten gehörte, besetzte D’Annunzio gegen den Willen der eigenen Regierung an der Spitze militärischer Freischärler die Stadt und rief dort die „Repubblica di Fiume“ aus. Er verfolgte damit die gleiche Annexionspolitik, die in Bezug auf Südtirol angewandt wurde. Nur diesmal passte sie nicht in das Konzept der Regierung in Rom.
Gabriele D’Annunzio(X) mit seinen Freischärlern in Rijeka – Briefmarke des Freistaates Fiume mit Abbildung des Kopfes von D‘Annunzio.
D’Annunzio musste 1920 nach einem Militäreinsatz der italienischen Regierung den „Freistaat“ verlassen. 1924 einigten sich Italien und Serbien darauf, dass Fiume von Italien annektiert werden konnte. Nach dem Zweiten Weltkrieg sollte die Stadt dann an Jugoslawien fallen.
D’Annunzio wurde von Rom jedoch für seine Tätigkeit belohnt, indem man ihm zu äußerst kulanten Bedingungen eine Villa mit Park in Gardone Riviera am Gardasee überließ, die zuvor der deutschen Familie Thode gehört hatte und die von der italienischen Regierung als „deutsches Feindgut“ beschlagnahmt worden war. D’Annunzio gab dem geraubten Anwesen den Namen „Il Vittoriale degli Italiani“ („Siegesdenkmal der Italiener“) und stellte in dem Park Flugzeuge, Kanonen, ein Torpedoboot und andere militärische Erinnerungsstücke aus.
Die prunkvolle und fast geschenkte Villa am Gardasee.
Bis heute stellt „Il Vitoriale“ einen sorgsam gepflegten Museumskomplex zur Kriegsverherrlichung dar.
Mussolini und sein Schüler und Bewunderer Adolf Hitler.
Von besonderer Bedeutung für Südtirols Schicksal wurde der sozialistische Journalist und Chefredakteur Benito Mussolini, der sich zu Beginn des Ersten Weltkrieges von einem linksradikalen Pazifisten in einen nationalistischen Hetzer und Kriegstreiber verwandelte. Der Grund für diesen Wandel war unter anderem, daß er von der italienischen Regierung, der Waffenindustrie und ausländischen Diplomaten eine Zeitung („Il Popolo d’Italia“) für seine kriegstreiberische Propaganda finanziert bekam. Mussolinis geistiger Schüler und Bewunderer, sowie einer der politischen Totengräber Südtirols wurde später Adolf Hitler. (Siehe ausführlich dazu: „Hitler und Südtirol“ im „Südtirol-Informationsdienst“ v. 15.6.2016 http://suedtirol-info.at/page/11/).
Die Haltung der italienischen Freimaurerei zur Frage des Kriegseintrittes
Interessant ist die Haltung der italienischen Freimaurerei. Diese hatte bei der „Wiederauferstehung“ („Risorgimento“), der Einigung Italiens, eine bedeutende Rolle gespielt. Führende „Irredentisten“ waren zugleich Freimaurer gewesen und das erzkatholische Haus Habsburg wurde von der antiklerikalen italienischen Freimaurerei ohnedies als Feind gesehen. Im Gegensatz zu den weltbürgerlich orientierten Großlogen anderer Staaten Europas, war die italienische Freimaurerei aufgrund ihrer besonderen Geschichte zutiefst nationalistisch eingestellt. Sie war erfüllt vom Gedanken, daß alle Italienischsprachigen unter der Trikolore eines geeinten Königreiches Italiens leben sollten. Diese Freimaurerei war irredentistisch und damit antiösterreichisch eingestellt.
Aus dieser Gesinnungslage erklärt sich eine Stellungnahme der Großloge am 30. Juli 1914, in welcher der italienische Großmeister von der Gefährdung der nationalen Interessen Italiens und von der Möglichkeit der Vervollständigung der nationalen Einheit sprach. Das war letztlich nichts anderes als die Befürwortung dessen, was bald geschehen sollte.
Als am 5. Mai 1915 ein Denkmal der tausend Garibaldiner, die 1860 Neapel erobert hatten, in Quarto bei Neapel eingeweiht wurde, hielt der Dichter Gabriele d’Annunzio eine nationalistische Festrede. Der Festplatz wurde von den Fahnen von 400 italienischen Logen umrahmt. Neun Tage nach diesem Logenfest trat Italien in den Weltkrieg ein. Der Großorient Italiens sprach in seiner Botschaft zum Kriegseintritt von einem lang erwarteten Ereignis, das er begrüßte. Der Irredentismus und glühende Nationalismus der italienischen Freimaurerei wurde in der Folge schlecht gelohnt: Der aufblühende Faschismus unter Benito Mussolini hatte die Freimaurerei von Beginn an nicht neben sich geduldet und sollte der Großloge Italiens in einem kurzen und heftigen Kampf bald ein offizielles Ende bereiten.
Der Dreibund-Vertrag
Am 20. Mai 1882 hatte Italien mit Österreich-Ungarn und Deutschland den Dreibund-Vertrag geschlossen, ein Verteidigungsbündnis, in dessen Artikel I es hieß: „Die hohen vertragschließenden Parteien versprechen sich wechselseitig Frieden und Freundschaft und werden kein Bündnis und keine Verpflichtung eingehen, die sich gegen einen dieser Staaten richtet.“
Der Artikel II sah vor, dass der Bündnisfall einzutreten habe, „wenn eine oder zwei der hohen vertragschließenden Parteien ohne unmittelbare Herausforderung ihrerseits angegriffen werden sollten …“
Der Artikel IV sah vor, dass in dem Falle, dass ein Vertragspartner einer anderen Macht den Krieg erklären sollte, die anderen Vertragspartner eine „wohlwollende Neutralität zu beobachten“ hätten.
Als Österreich-Ungarn 1914 Serbien den Krieg erklärte, konnte sich Italien auf den Artikel IV berufen und sich für neutral erklären.
Das nicht akzeptierte Angebot Österreich-Ungarns an Italien
Rom nutzte nun die militärstrategische Notlage Österreich-Ungarns zu erpresserischen Gebietsforderungen. Am 11. April 1915 übermittelte der italienische Botschafter in Wien ein Memorandum, in welchem Rom neben Welschtirol auch noch das halbe heutige Südtirol forderte. Wohlweislich forderte Rom keine Volksabstimmung in diesen Gebieten, sondern die Abtretung.
Die österreichisch-ungarischen Regierung war daraufhin bereit gewesen, Welschtirol (das heutige Trentino) an Italien abzutreten und einem Sonderstatus für Triest zu zuzustimmen, der dessen italienischen Charakter sichern sollte. Strikt verweigert wurde jedoch die Abtretung deutschtiroler Gebiete.
(Anmerkung: Die Bezeichnung „Trentino“ für Welsch-Tirol war ab dem Jahre 1848 als Kampfparole gegen die Landeseinheit von den Irredentisten verbreitet worden. Trient hatte noch zur Zeit des Konzils (1545-1563) als eine halbdeutsche Stadt gegolten und das deutsche Sprachgebiet hatte vordem in kleineren und größeren Sprachinseln bis Verona und Vicenza gereicht.)
Um den Krieg zu vermeiden: Österreichs freiwilliges Angebot an Italien über das abzutretende Gebiet. (Aus: Helmut Golowitsch: „Und kommt der Feind ins Land herein… Schützen verteidigen Tirol und Kärnten“, Schriftenreihe zur Zeitgeschichte Tirols; Band 6, Nürnberg 1985)
Der Bündnisverrat
Zu dem Zeitpunkt des österreichischen Angebots waren allerdings hinter den Kulissen die Würfel schon gefallen. Die italienische Regierung hatte am 26. April 1915 mit England und Frankreich in London einen Geheimvertrag abgeschlossen, wonach Italien bei dem von den Alliierten geforderten schnellen Seitenwechsel innerhalb eines Monats, Tirol bis zum Brenner, sowie fast ganz Dalmatien zugesprochen erhielt.
Der Kriegstreiber General Graf Luigi Cadorna
Dem gewandten Redner, General und Chef des Generalstabes Luigi Cadorna war es gelungen, mit zu optimistischen Vorhersagen über einen Kriegsverlauf mit Österreich das italienische Parlament auf die Seite der Kriegspartei zu ziehen.
Damit war ein eklatanter Bündnisverrat gegeben, denn in dem Artikel I des Dreibundvertrages hatte es geheißen, dass die vertragschließenden Parteien sich Frieden und Freundschaft versprechen und kein Bündnis eingehen würden, welches sich gegen einen Bündnispartner richte. Und der Artikel IV hatte „wohlwollende Neutralität“ der anderen Bündnispartner vorgesehen, falls einer der Bündnispartner einer anderen Macht den Krieg erklären sollte.
Im August 1914 hatte sich das mit Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich im Dreibund verbündete Königreich Italien zunächst für neutral erklärt. Dieses Verhalten war noch vertragskonform gewesen. Der Kriegseintritt Italiens an der Seite der Ententemächte war jedoch nichts anderes als ein heimtückischer Dolchstoß in den Rücken betrogener Vertragspartner. Am 3. Mai 1915 trat Italien aus dem „Dreibund“ aus und erklärte am 23. Mai 1915 Österreich-Ungarn den Krieg. Dem Deutschen Reich erklärte Italien erst im Jahre 1916 den Krieg.
Der Wortlaut der italienischen Kriegserklärung vom 23. Mai 1915
Am 25. Mai 1915 veröffentlichte die „Bozner Zeitung“ dann auf ihrer Titelseite nachstehende Mitteilung:
Vor 105 Jahren, am 23. Mai 1915, erfolgte die Kriegserklärung Italiens an Österreich-Ungarn.
„Die Kriegserklärung Italiens Wien, 23 Mai. Amtlich wird verlautbart:
Der italienische Botschafter, Herzog von Avarna überreichte heute nachmittags dem Minister des Aeßern Baron Burian die Kriegserklärung, in welcher es u. A. heißt:
Italien gab am 4. Mai der österreichisch-ungarischen Regierung die schwerwiegenden Gründe bekannt, weshalb Italien im Vertrauen auf sein gutes Recht den Bündnisvertrag mit Österreich-Ungarn, der von der österreichisch-ungarischen Regierung verletzt wurde, für nichtig und wirkungslos erklärt. Da Italien nun seine volle Handlungsfreiheit wieder erlangt hat und fest entschlossen ist, mit allen Mitteln für die Wahrung der italienischen Rechte und Interessen Sorge zu tragen, erachtet es die italienische Regierung als ihre Pflicht, alle Maßregeln zu ergreifen gegen jede gegenwärtige und zukünftige Bedrohung seiner nationalen Aspirationen. Der König betrachtet sich von morgen ab als im Kriegszustande mit Österreich-Ungarn befindlich.“
Die Antwort von Kaiser Franz Josef
Ebenfalls am 25. Mai 1915 veröffentlichte die „Bozner Zeitung“ auf ihrer Titelseite die Antwort des Kaisers auf die Handlungsweise der italienischen Regierung:
Die Einleitungssätze des von der „Bozner Zeitung“ veröffentlichten Manifestes „An meine Völker“ von Kaiser Franz Josef.
„An meine Völker!
Der König von Italien hat mir den Krieg erklärt! Ein Treubruch, dessen Gleichen die Geschichte nicht kennt, ist vom Königreiche Italien an seinen beiden Verbündeten begangen worden. Nach einem Bündnis von mehr als 30jähriger Dauer, während dessen es einen territorialen Besitz mehren und sich zu einer ungeahnten Blüte entfalten konnte, hat uns Italien in der Stunde der Gefahr verlassen und ist mit fliegenden Fahnen in das Lager unserer Feinde übergegangen.
Wir haben Italien nicht bedroht, sein Ansehen nicht geschmälert, seine Ehre und seine Interessen nicht angetastet; wir haben Unseren Bündnispflichten stets getreu entsprochen und ihm Unsern Schirm gewährt, als es ins Feld zog. – Wir haben mehr getan: Als Italien seine begehrlichen Blicke über Unsere Grenzen sandte, waren Wir, um das Bundesverhältnis und den Frieden zu erhalten, zu großen und schmerzlichen Opfern entschlossen, zu Opfern, die Unserem väterlichen Herzen besonders nahe gingen.
Aber Italiens Begehrlichkeit, das den Moment nützen zu sollen glaubte, war nicht zu stillen.
Und so muss sich das Schicksal vollziehen. …“
Mit diesen vor wahrnehmbarer Empörung bebenden Sätzen des Manifestes wandte sich Kaiser Franz Josef an die Völker Österreich-Ungarns.
Es sei vom Verfasser angemerkt, daß der seit 2. Dezember 1848 regierende Kaiser und seine vielen, wechselnden Regierungen, sich zu keiner Zeit über die sehr langfristig angelegte Strategie Italiens im Klaren waren und nur halbherzige Maßnahmen dagegen trafen. Trotz der Attentatsversuche auf den Kaiser und dessen Familie, der Kriege von 1848/49, 1859 und 1866 in Italien, trotz des Verlustes der Lombardei und Venetiens und des von außen geschürten Nationalismus der Völkerschaften der Monarchie, hatte sich wenig an der eklatanten Vernachlässigung der Wehrfähigkeit der k. u. k.-Armee und an dem Ignorieren von Warnungen geändert. Die umfassenden Pläne zur Erneuerung der Monarchie durch den designierten Nachfolger, Erzherzog Franz Ferdinand, waren durch dessen Ermordung und den Ausbruch des Weltkrieges nicht mehr zur Durchführung gelangt.
Ein Wort des Verfassers in eigener Sache: Mein persönlicher Bezug zu diesem tragischen Geschehen
Mit dem, was in der Folge nun geschah, bin ich nicht nur durch mein historisches Interesse, sondern auch durch meine Familiengeschichte verbunden. Dieser Krieg hatte auch für meine Großväter eine einschneidende Bedeutung: Der Großvater väterlicherseits (*1897) wurde zum salzburgisch-innviertlerischen Infanterie-Regiment 59 („Die Rainer“) eingezogen. Er musste u.a. am verhängnisvollen Monte Cimone schwerste Kämpfe durchleiden und wurde dort zweimal ausgezeichnet.
Kriegspostkarte der „Rainer“ – „Dir Salzburg – Oberösterreich: Treu bis zum Tod.“
Kampfstellung mit Infanteriegeschütz auf dem Monte Cimone
Mein Großvater mütterlicherseits, bei der Kriegserklärung Italiens noch nicht einmal 17 Jahre alt, meldete sich als Freiwilliger zu den Oberösterreichischen Freiwilligen Schützen. Sein Schicksal soll uns hier im Bericht Begleiter sein.
Die Freiwilligen
Über das weitere Geschehen zitiere ich aus einem zeitgeschichtlichen Werk (Helmut Golowitsch: „Und kommt der Feind ins Land herein… Schützen verteidigen Tirol und Kärnten“, Schriftenreihe zur Zeitgeschichte Tirols; Band 6, Nürnberg 1985)
„Als Italien den Krieg erklärte, standen zwei Drittel der italienischen Armee an der österreichischen Grenze. Vom Ortler über das Etschtal, die Sieben Gemeinden, die Dolomitenpässe bis hin zu den Pässen und Tallinien der Karnischen und Julischen Alpen schienen die Italiener auf kaum besetzte Grenzen zu stoßen. Der Durchmarsch bis Wien und das Diktat eines mitteleuropäischen Friedens durch das siegreiche Italien schienen in greifbare Nähe gerückt. Wer weiß, welche auch aus heutiger Sicht schmerzhaften Gebietsopfer über die Abtrennung Südtirols hinaus ein solcher italienischer Durchbruch für Österreich gebracht hätte.
Alpini marschieren an die Front.
In der Tat schien Italien mit dem Krieg nicht viel zu wagen. Das Feldheer stand in Galizien und in den Karpaten. Die plötzlich zur Front gewordene Südgrenze war von Truppen entblößt. Die Luftlinie der österreichischen Grenze vom Stilfser Joch bis zu den Julischen Alpen betrug 600 km. Offiziere des österreichischen Generalstabes errechneten, daß die tatsächliche Länge der Stellungslinien aufgrund des Geländes und der Höhenunterschiede mit mindestens 3.500 Kilometern anzusetzen war, ohne Einschluss der Isonzo-Front.
An dieser Grenze standen im Mai 1915 in Tirol nur einige Landsturm- und Marschbataillone sowie die Festungsbesatzungen zur Verfügung. Allein an der 100 Kilometer langen Dolomitenfront marschierten aber 160.000 Mann Italiener auf, die unter Generalleutnant Nava die 4. Armee bildeten.
Insgesamt standen in Tirol 21 improvisierten, kaum ausgebildeten Heeres- und Landsturmbataillonen die gesamte 1. und 4. italienische Armee mit etwa 180 Bataillonen gegenüber.
In Kärnten standen die Dinge nicht viel besser. Der offenen und entblößten Grenze gegenüber marschierten die 2. und die 3. italienische Armee sowie das 12. Korps, noch verstärkt durch 16 Alpinibaone, zum Angriff auf.
Demgegenüber hatte der österreichische General Goiginger nur 12 Bataillone zur Verfügung. Die Einnahme Trients und Bozens, der Durchstoß in das Pustertal, der Einbruch über Plöcken und Naßfeld nach Kärnten und der Vormarsch bis Wien hätten nach menschlichem Ermessen ohne Schwierigkeiten gelingen müssen, wenn nicht zwei Dinge geschehen wären:
Der italienische Oberbefehlshaber Graf Cadorna überschätzte Zustand und Stärke der österreichischen Festungen maßlos. Statt an bestimmten Punkten seine Kräfte zu massieren und diese in energischem Stoß in das österreichische Hinterland zu führen, zögerte Cadorna in unbegreiflicher Weise mit dem Ansetzen punktueller Großangriffe und begnügte sich zunächst damit, alle seine Kräfte in die Ausgangsstellungen entlang der österreichischen Linien heranzuführen und durch nachrückenden Ersatz und durch Artillerie zu verstärken. Dann begann Cadorna, die von ihm so gefürchteten österreichischen Festungen tagelang sturmreif zu schießen.
Bild links: Schweres italienisches Belagerungsgeschütz. Bild rechts: Das zerschossene und immer noch nicht eingenommene Werk Verle auf der Hochfläche von Folgaria-Lavarone.
Das zweite Ereignis, das gerade wegen der Zaghaftigkeit des italienischen militärischen Führers einen raschen italienischen Erfolg verhinderte, war das Auftreten freiwilliger Formationen, die dann Cadorna das Tor schlossen, durch welches er bis nach Wien zu gelangen gedachte. Buchstäblich wie aus dem Nichts tauchten in Tirol 38.000 zusätzliche Landesverteidiger auf. Innerhalb von nur 3 Tagen stellten Tirol und Vorarlberg ein gesamtes zusätzliches Armeekorps an die Grenze, bestehend aus blutjungen oder alten Männern, deren Alter außerhalb der Wehrpflicht lag.
Auszug der Bozener Standschützen an die Front (Gemälde des Südtiroler Malers Albert Stolz, der mit den Bozener Standschützen an die Front oberhalb Riva del Garda gegangen war.)
Bild links: Meraner Standschützen fahren an die Front. Bild rechts: Der Marsch in die Stellungen.
Die Ultener Standschützen auf der Cima Fratta Secca in Welschtirol (Tonale-Gebiet).
Als die ersten italienischen Patrouillen gegen die österreichischen Stellungen vorfühlten, schlug ihnen von Gipfeln und Graten ein gut gezieltes Scharfschützenfeuer entgegen.
Diese Verteidiger waren die Standschützen, über die das italienische Generalstabswerk ‚La Conquista del Col di Lana‘ (‚Die Eroberung des Col di Lana‘) vermerkt:
‚Die Standschützen setzten sich aus Freiwilligen von Tirol und Vorarlberg zusammen. Lang nicht alle waren militärisch ausgebildet. Die meisten waren überhaupt viel zu jung oder viel zu alt dazu, doch sie erwiesen sich für die Verteidigung ihres Landes sehr wertvoll. Diese rauhen Jäger und unermüdlichen Gebirgler hingen mit seltener Liebe an ihren Bergen, mit denen und ihrem alten Kaiser sie von Jugend auf verwachsen waren. Sie wurden gleich unsere erbittertsten Feinde‘.
Den Standschützen traten dann auf der Hochfläche von Folgaria-Lavarone noch freiwillige Schützen aus Oberösterreich zur Seite, hauptsächlich Jugendliche im Alter unter 18 Jahren.
In Kärnten geschah wie in Tirol ein Wunder. Ein Wunder der Heimatliebe und des Opfermutes.
12.000 freiwillige Schützen tauchten auf gespenstische Weise auf und besetzten die Gipfel, Grate und Hangstellungen der Karnischen und Julischen Alpen. Schüler und Studenten aus der Steiermark, Bauernbuben, Lehrlinge und Gymnasiasten aus Salzburg stiegen, unter der Last ihrer Rüstungen fast zusammenbrechend, in die Höhenstellungen und wehrten dem Feind das Eindringen in das Land. Von ihnen waren aber allein 8.422 Kämpfer aus Kärnten, die mit ihren Leibern die engere Heimat deckten.
Bild links: Der OÖ Freiwillige Schütze Albin Prokesch war im Alter von 16 Jahren eingerückt und war zwei Jahre später mit der „Goldenen Tapferkeitsmedaille“ ausgezeichnet worden. – Bild rechts: Salzburger Freiwillige Schützen.
Steirische Freiwillige Schützen in der Höhenstellung.
Den Buben und den alten Männern in Tirol kam als erste Hilfe das deutsche Alpenkorps zur Unterstützung herangeeilt, ausgestattet mit Kampferfahrung, vortrefflicher Disziplin und hervorragender Gebirgsartillerie. Dann kamen österreichische Truppen des Feldheeres. Wochenlang aber lag die Last der Verteidigung allein auf den Schultern von Knaben und Greisen, die zum Teil von Mädchen, Kindern und Bauersfrauen aus dem Tale in ihren Höhenstellungen versorgt wurden. Die Freiwilligen aber, die man seitens der obersten Heeresleitung anfangs lediglich für fähig gehalten hatte, bei der Verteidigung von Stellungen mitzuwirken, entwickelten sich zu hervorragenden Sturmtruppen die man in Sturmkursen technisch und taktisch ausbildete und bis zum Zusammenbruch 1918 an den Brennpunkten des Geschehens auch operativ einsetzte.“
(Helmut Golowitsch: „Und kommt der Feind ins Land herein… Schützen verteidigen Tirol und Kärnten. Schriftenreihe zur Zeitgeschichte Tirols; Band 6, Nürnberg 1985, S. 14ff)
Zum Abschluss eine Erinnerung aus der Familiengeschichte des Verfassers:
Der schreckliche Tod des ehemaligen Freiwilligen Schützen Josef Beyerl
Der Großvater des Verfassers, Josef Beyerl, der im Juli 1898 im Mühlviertel, in Mardetschlag (Bezirk Freistadt), geboren wurde, hatte sich als Sechzehnjähriger zu den Freiwilligen OÖ Schützen gemeldet.
Die Verabschiedung der Freiwilligen OÖ Schützen auf dem Hauptplatz in Linz am 11. Juli 1915.
Bild links: Die Einwagonnierung der OÖ Schützen in Linz – Bild rechts: Einer von ihnen war der junge Josef Beyerl aus Mardetschlag im Mühlviertel.
Als Josef Beyerl aus den verlustreichen Kämpfen in die Heimat zurückkehrte, musste er feststellen, dass der Erste Weltkrieg auch hier ein schreckliches Erbe hinterlassen hatte. Das ausgehungerte, ausgeblutete und von den siegreichen Alliierten nochmals ausgeraubte Österreich versank im Elend. Soziale Kämpfe und das Entstehen radikaler totalitärer Kräfte waren die Folge. Ein Opfer dieser tragischen Entwicklung sollte er selbst werden.
Am 27. Juli 1934 meldete sich der Gendarmerie-Rayonsinspektor Josef Beyerl in seinem nunmehrigen Heimatort Wilhering auf Grund der Erkrankung eines Kameraden freiwillig zum Dienst.
Der sogenannte „Juli-Putsch“ der NSDAP war in den Aufstandszentren Wien, Steiermark und Kärnten schon längst zusammengebrochen, als einige von tiefem Hass erfüllte junge „Volksgenossen“ um 3 Uhr morgens, aus finsterem Hinterhalt, mit 4 Karabinerschüssen dem Leben des 37jährigen ehemaligen Freiwilligen Schützen ein jähes Ende bereiteten. Ein Schuss zerfetzte seine Leber.
Die sofort alarmierte Familie, Gattin und Kinder (11 und 8 Jahre alt), lief schreiend und in heller Panik im Nachtgewand rund 1,5 Kilometer weit auf der Bundesstraße 129 zu dem neben dem Straßengraben liegenden Mann und Vater, der vor ihren Augen in seinem Blut langsam verröchelte.
Im Morgengrauen wurden unweit der Mordstelle 35 Mannlicher-Gewehre gefunden: 25 waren geladen, zehn davon waren noch in Papier verpackt. Die Mörder konnten nicht festgestellt werden und wurden nie abgeurteilt. Gerüchte liefen später um, dass die Täter eigentlich einem anderen Gendarmen hatten auflauern wollen und dass Josef Beyerl somit das Opfer einer Verwechslung geworden war. Das machte freilich die Tat nicht besser.
Unter größter öffentlicher Anteilnahme wurde der besonnene und in Wilhering äußerst beliebte Mann am 30. Juli 1934 zur letzten Ruhe geleitet. In diesem blutigen Jahr 1934 hatte er zwischen den ständig aufeinander schießenden Bürgerkriegsparteien immer wieder ausgleichend wirken wollen und war dann selbst zum Opfer geworden.
Bundespräsident Wilhelm Miklas verlieh ihm posthum die „Goldene Medaille für Verdienste um den Bundesstaat“.
Bild links: Das Denkmal für Josef Beyerl – Bild rechts: Der hoch dekorierte Kriegsteilnehmer Dr. Heinrich Gleißner nahm an der Errichtung des Denkmals für den ehemaligen Kriegskameraden teil.
Am 11. November 1934 fand eine Denkmalenthüllung am Sterbeplatz des Erschossenen statt, unter Anwesenheit von Landeshauptmann Dr. Heinrich Gleißner, der einst auch ein Kämpfer an der Front in Tirol gewesen und mit der Großen Goldenen Tapferkeitsmedaille ausgezeichnet worden war.
Die Einweihung des Denkmals in Anwesenheit des Landeshauptmannes Dr. Heinrich Gleißner
Junge Idealisten wie Josef Beyerl hatten ehrlichen Herzens bei der Verteidigung der Heimat ihr Bestes gegeben. Als sie aus einem schrecklichen Krieg zurückkehrten, war ihnen der Friede nicht vergönnt. Im südlichen Tirol brach nach der Landesteilung auch noch der Terror des Faschismus über die Unterworfenen herein. Der Oberösterreicher Josef Beyerl starb 1934 in einem beginnenden Bürgerkrieg einen tragischen Tod. Viele seiner Kameraden mussten Diktatur, Verfolgungen, und einen weiteren Weltkrieg erleben.
Wir gedenken anlässlich des Jahrestages der italienischen Kriegserklärung der Tiroler Landesverteidiger und ihrer Kameraden wie des Freiwilligen Schützen Josef Beyerl, die reinen Herzens gehandelt und alles für das Vaterland und ihre Mitmenschen gegeben hatten.
Menetekel „Los von Rom“
Der Historiker und ehemalige Österreich-Berichterstatter der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhard Olt, hat uns dankenswerter Weise nachstehenden Beitrag zur Verfügung gestellt.
In Südtirol leuchten Feuerschriften auf und die Stimmung schlägt um
Im Lande an Eisack und Etsch gärt es. Feuerschriften leuchten auf. „Jetzt reicht‘s“ verkünden brennende Fackel-Schriftzüge zwischen Pustertal, Burggrafenamt und Vinschgau. „Freistaat“ heißt ein Verlangen auf Spruchbändern. „Kurz, hol uns heim“ fordern Aufschriften auf an Brücken befestigten Tüchern als Wunsch an den österreichischen Bundeskanzler. Und in Weinbergen, an Felswänden, Heustadeln und Gartenzäunen prangt auf Spruchtafeln, was des Nachts Flammenschriften an Bergrücken bekunden: „Los von Rom“.
Die Folgen der Corona-Krise zeitigen im südlichen Teil Tirols, von Italien 1918 annektiert und ihm im Vertrag von St. Germain 1919 als Belohnung für seinen Seitenwechsel 1915 zugesprochen, einen markanten Stimmungsumschwung in der Bevölkerung. Der öffentlich vernehmliche Unmut gegen das Dasein im fremdnationalen Staat, und der Rückgriff auf das „Los von Rom“, einer Losung, welche die 1950er Jahren maßgeblich beherrschte, in den 1960er und 1970er Jahren aber infolge der Autonomie- und „Paket“-Politik, in welcher das „Los von Trient“ dominierte, eher schwand, und allenfalls noch von austro-patriotischen, in ganz geringem Maße auch von deutschnationalen Kräften als Ziel hochgehalten wurde, hat in den „Corona-Wochen“ durch Maßnahmen, wie sie dem typischen römischen Zentralismus immer wieder eigen sind, einen enormen Auftrieb erhalten.
Unübersehbar war und ist, dass selbst die Südtiroler Volkspartei (SVP), seit 1945 dominante und mehr oder weniger unangefochtene politische Kraft in der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol, von diesem demoskopisch greifbaren und allerorten zu vernehmenden Umschwung erfasst zu sein scheint. Eine SVP, deren (seit Abgang der „Alten Garde“) janusköpfige Führung – hie Parteiobmann Philipp Achammer, da Landeshauptmann Arno Kompatscher – seit Amtsantritt 2014 stets mehr Italophilie zeigte denn von historisch gebotener Österreich-Empathie berührt ist. Die Auswirkungen der Corona-Krise, insbesondere das notorisch zu nennende zentralstaatliche Gebaren Roms, das der – von der SVP bisweilen verabsolutierten – Autonomie Hohn spricht und die Südtiroler „Selbstverwaltung“ ad absurdum führt(e) – setzten quasi über Nacht eine Kurswende in Gang. So beschloss die SVP-Parteiführung, als sie gewahrte, dass sich der Stimmungsumschwung in Wirtschaft und Gesellschaft Südtirols letztlich auch zu ihren machtpolitischen Ungunsten auswirken würde, eine Kehrtwende. Sie bekundete, die von ihr geführte Landesregierung werde nicht einfach mehr die als abschnürend empfundenen Dekrete von Ministerpräsident Conte in vom Landeshauptmann quasi übersetzte Anordnungen kleiden, sondern durch ein eigenes – in autonomer Zuständigkeit aufgrund primärer Zuständigkeit vom Landtag zu verabschiedendes – Landesgesetz ersetzen, welches den Bedürfnissen der Bevölkerung zwischen Brenner und Salurner Klause Rechnung trage.
„Für uns ist es nicht akzeptabel, das unsere Autonomie weiter eingeschränkt wird“, hatte Kompatscher nach einer Videokonferenz des Regionenministers Francesco Boccia mit den Regierungschefs der Regionen und autonomen Provinzen sowie mit Zivilschutz-Chef Angelo Borrelli und dem außerordentlichen Covid-19-Notstands-Kommissar Domenico Arcuri dargelegt. Boccia hatte bekräftigt, dass Sonderwege für Gebietskörperschaften erst vom 18. Mai an zulässig seien. Daher, so Kompatscher, werde Südtirol nicht nur den „schwierigen gesetzgeberischen Weg gehen, um Schritt für Schritt das wirtschaftliche Leben wieder in Gang zu bringen“, sondern gemäß dem einmütigen Beschluss des SVP-Führungsgremiums auch die römischen Parlamentarier der Partei veranlassen, die (ohnehin labile) Regierung Contes – nach Hinauswurf Salvinis und der Lega von dem im linken Parteienspektrum angesiedelten Partito Democratico (PD) und der Movimento 5 Stelle (M5S; „Bewegung 5 Sterne“) sowie einer PD-Abspaltung unter dem früheren Ministerpräsidenten Renzi mehr schlecht als recht getragen – nicht länger zu unterstützen.
Der gesetzgeberische Akt Südtirols wird letztlich zwangsläufig zu einem Konflikt führen, der nicht allein bis zum römischen Verfassungsgerichtshof reichen würde, wenn Rom auf seiner trotz aller schönfärberischen Lobhudeleien, die zwischen Rom und Bozen, aber auch zwischen Wien und Rom ob der „weltbesten Autonomie“ und der „friedlichen gutnachbarschaftlichen Lösung des seit Ende der Teilung Tirols 1919/20 bestehenden Südtirolkonflikts“ durch die Streitbeilegungserklärung gegenüber den Vereinten Nationen 1992 fortbestehende „Ausrichtungs- und Koordinierungsbefugnis“ (AKB) seiner Zentralgewalt besteht und den Landtagsbeschluss für null und nichtig erklärt. Was nach aller historisch-politischen Erfahrung geschehen dürfte.
Doch unabhängig davon, ob Rom dann eine Art Zwangsverwaltung über Südtirol verhängt – denn selbst bis zu einer „Eilentscheidung“ des römischen Verfassungsgerichtshofs, die erfahrungsgemäß kaum zugunsten Südtirols ausfallen dürfte, würde wohl eine erhebliche Zeitspanne verstreichen – oder nicht, könnten alle damit verbundenen Akte wohl kaum ohne erhebliche Spannungen realisiert werden. Eigentlich sieht ja das in vielen damaligen Verhandlungen vereinbarte und 1969 gutgeheißene „Südtirol-Paket“ und das darauf fußende Zweite Autonomiestatut von 1972 rechtsverbindlich vor, dass alle von Rom hinsichtlich Südtirols zu treffenden Maßnahmen stets nur im Einvernehmen mit den dortigen Gremien in Kraft gesetzt werden können. Notfalls steht es Bozen zu, Wien sozusagen als „Schutzmacht“ anzurufen; lediglich der Gang vor den Internationalen Gerichtshof (IGH) ist im Zuge der damaliger Verhandlungen nicht als Vertragsbestandteil fixiert worden, was sich, wenngleich in Wien und Bozen von manchen seinerzeit mahnend verlangt, als kaum mehr gutzumachendes Hemmnis für die Südtiroler Sache insgesamt erweist.
Die SVP – in der Anfang 2019 gebildeten Landesregierung auf die Südtiroler Provinzorganisation der starken Lega angewiesen – hat dabei nicht allein ihren Koalitionspartner an der Seite; die Lega ist seit dem „Hinauswurf“ ihres demoskopisch erfolgsverwöhnten römischen Vormanns Salvini mit der römischen Regierung ohnedies auf striktem Konfliktkurs. Auch auf die deutschtiroler Oppositionskräfte im Landtag, Freiheitliche Partei (FPS) und Süd-Tiroler Freiheit (STF), kann sie in dieser Sache zählen, wenngleich beiden die im Landesgesetz fixierten Erleichterungen nicht in allen Punkten zusagen oder sie für zu wenig weitreichend erachten; Hauptsache man setzt Zeichen für ein gemeinsames Aufbäumen gegen Rom und dessen scheibchenweiser Aushöhlung der autonomen Zuständigkeiten Südtirols. Diese sind längst weit von der seit 1992 von der SVP erstrebten „dynamischen Autonomie“ entfernt , ganz zu schweigen von der von ihr einst als hehres Ziel proklamierten „Vollautonomie“, von der in letzter Zeit kaum noch die Rede gewesen ist.
Dass die SVP sozusagen „in letzter Minute“ die (nicht allein in Feuerschriften aufflammenden und auf Transparenten ersichtlichen) „Zeichen der Zeit“ erkannte – und allem Anschein nach damit zudem einen bisweilen an die Öffentlichkeit drängenden Rivalitätskonflikt Achammer – Kompatscher einzuhegen trachtete – ist unverkennbar auf auch vernehmliches innerparteiliches Rumoren zurückzuführen. Die (laut)stärkste Stimme in dieser Situation war/ist die der Wirtschaft, die in der von Interessenbünden geprägten SVP – Wirtschaft, Bauern, Arbeitnehmern, als den gewichtigsten – die Melodie vorgab, verstärkt durch die Tageszeitung „Dolomiten“, die sich allzugerne als SVP-„Wegweiser“ geriert, wenn nicht bisweilen gar als deren Quasi-Parteiorgan fungiert. Markant auch der Mahnruf Christoph Mastens. Der langjährige SVP-Wirtschaftsfunktionär, seit 40 Jahren Parteimitglied, bedient sich seines Internet-Organs VOX-News Südtirol, um der jetzigen Parteiführung und insbesondere dem Landeshauptmann sowie den SVP-Landesräten (Ministern) in griffigen Anklagen nicht nur fehlendes Führungsmanagement , Misswirtschaft, Versagen vorzuhalten, sondern auch „gewissenlosen Verrat an der Südtirol- Autonomie und am Südtiroler Volk zu unterstellen – gipfelnd in zündenden VOX-Losungen wie „Jetzt Vollautonomie oder Freistaat“.
Dass solche Stimmen nicht nur in austro-patriotischen Verbänden wie dem Südtiroler Heimatbund (SHB), der Vereinigung ehemaliger Freiheitskämpfer der 1960er bis 1980er Jahre, und des Südtiroler Schützenbundes (SSB) Resonanz finden und verstärken – SSB- Kompanien waren maßgeblich an der Organisation der weithin ersichtlichen und Rom, wo natürlich reflexartig von Separatismus-Bestrebungen die Rede war, erzürnenden Parolen und Leuchtfeuern beteiligt – sondern in „Los von Rom“-Stimmung münden, liegt auf der Hand.
Ebenso lässt gleichlautende Flammenschriften bzw. der aus weithin im Lande lodernden Fackeln konfigurierte Tiroler Adler „Gänsehaut“ bei vielen Leuten entstehen – just eingedenk signifikanter Parallelität zum Tiroler Freiheitskampf des Andreas Hofer wider französische und bayerische Fremdherrschaft bis hin zu den 1960er und 1970er Jahren, da sich in Gestalt der Freiheitskämpfer des BAS (Befreiungsausschuss Südtirol) der „Tiroler Adler gegen den italienischen Staat“ erhob.
Es sind daher nicht mehr nur, wie seither eher die Oppositionsanhänger, wenige Südtiroler, die vom römischen Zentralismus, ja von der nicht selten unter dem Gebot des „friedlichen Miteinanders“ erzwungenen Unterwerfung unter die Lupa Romana genug haben. Mehr und mehr Bewohner des Landes zwischen Dolomiten und Reschen halten die bisher praktizierte Form der Südtirol-Autonomie für gescheitert, sehen im politkommunikativen Gesäusele von der die Teilung Tirols überwindenden „Zukunft durch EUropäisierung“, praktiziert in einem mehr oder weniger papierenen Gebilde namens „Europaregion Tirol“, nurmehr Augenauswischerei. Der latente Krisenzustand der EU, wie er besonders während der „Coronitis“ dadurch augenfällig wurde, dass der Rückfall in nationalstaatliches Gebaren als Überlebensnotwendigkeit erachtet und vor aller Augen sichtbar wurde, verstärkte dies Empfinden. Der Gedanke, sich nicht nur „stärker von Rom zu lösen“, sondern sich nach nunmehr 100 Jahren der Zwangseinverleibung, zweimal verweigertem Selbstbestimmungsrecht und idenitätszerstörendem Assimilationsdruck tatsächlich in aller Form und Konsequenz von Italien zu verabschieden, für das namhafte Gesellschaftswissenschaftler ohnedies prognostizieren, seine Auflösung sei kaum mehr aufzuhalten und für die EU eine „Zeitbombe“; bricht sich Bahn.
Bei Protestfeuern, lodernden Tiroler-Adler-Silhouetten und Spruchbändern mit dem schneidenden Verlangen „Kurz, hol uns heim“ wird es wohl nicht bleiben.
Bericht aus TAIWAN bestätigt die Analyse des Südtiroler Altmandatars Dr. Franz Pahl im letzten SID
In der letzten Ausgabe des SID hat der Südtiroler Altmandatar und SVP-Politiker Dr. Franz Pahl in Bezug auf die CORONA-Krise in einer gründlichen Analyse das Versagen europäischer Regierungen dargelegt. Ein Versagen, welches sich in anfänglicher Unterschätzung der Situation und dann in panischen Überreaktionen manifestierte. Ein Versagen, welches sich auch darin äußerte, dass man seit Jahren aus vorangegangenen Virus-Epidemien keine Konsequenzen in Form von Vorsorgemaßnahmen für die Zukunft gezogen hatte. Dr. Franz Pahl hat in seinem Beitrag auch auf das positive Beispiel Taiwans verwiesen. Dort hatte man aus vorangegangenen Epidemien gelernt gehabt und sowohl materiell wie planerisch Vorsorgen getroffen gehabt.
Am 20. April 2020 erschien in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ ein Bericht darüber, wie der international nur wenig anerkannte Staat Taiwan („Republik China“) die CORONOA-Situation gemeistert hat und wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) dies anerkennen musste, obwohl Taiwan mit Rücksicht auf die Volksrepublik China nicht deren Mitglied sein kann.
Die staatsrechtliche Situation der Insel Taiwan ist bis heute nicht geklärt. Die Volksrepublik China betrachtet Taiwan als zu ihrem Territorium gehörig, während die Regierung von Taiwan (Republik China“) auf der Unabhängigkeit beharrt.
Die „Republik China“ ist de facto ein souveräner Staat, scheiterte aber mit einem Versuch, der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Beobachter beizutreten, am Widerstand der Volksrepublik China.
Ungeachtet der politischen Differenzen zwischen den beiden Staaten besteht eine erfolgreiche wirtschaftliche Zusammenarbeit einschließlich eines intensiven Reiseverkehrs mit Linienflügen.
Am 25. April 2020 veröffentlichte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ nun eine Zuschrift von Wei-Ta Chang, des diplomatischen Vertreters von Taiwan in der Bundesrepublik Deutschland, welcher die Handlungsweise Taiwans in der CORONA-Krise darstellt und damit in allen Punkten die Analyse von Dr. Franz Pahl bestätigt.
Wir möchten deshalb diesen Bericht hier nachstehend unseren Lesern zur Kenntnis bringen:
Italien wie es singt und lacht – CORONA hilft der Mafia
Wir möchten aber auch eine weitere Ergänzung des CORONO-Geschehens in Italien unseren Lesern nicht vorenthalten. Aus medizinischen Vorsorgegründen wurde die massenhafte vorzeitige Entlassung von Gefangenen verfügt, die nur noch geringere Reststrafen zu verbüßen hatten. So weit so gut. Wie das italienische Nachrichtenmagazin „L’Espresso“ am 21. April 2020 berichtete, haben nun italienische Richter auch die Entlassung höchstrangiger Mafia-Bosse aus der Haft und deren Überführung in den Hausarrest verfügt. Darunter befinden sich wegen mehrfachen Mordes zu 20 Jahren bis lebenslanger Haft verurteilte Schwerverbrecher, denen auf diesem Weg faktisch viele Jahre beziehungsweise sogar der Rest ihrer Strafe erlassen wird.
Für die Richter, welche die Entscheidungen über die Heimsendung der Mafia-Bosse zu treffen hatten, ist es sicherlich tröstlich, zu wissen, dass ihre eigenen Familien in Sicherheit leben dürfen und nicht durch Anschläge oder Entführungen durch Mafia-Mitglieder gefährdet sind.
Ein Virus als Sensenmann in Europa
Stellungnahme von Dr. Franz Pahl zu den politischen Maßnahmen in Bezug auf die „Corona“-Seuche:
Ein beispielloser Schrecken hat die Menschheit erfasst. Der Virus-Tod trifft selbst manche Jungen in blühendem Alter. Heimtückisch bedroht er die Alten und Schwachen. Als im chinesischen Wuhan die Seuche schon wütete und selbst die chinesische Folterdiktatur diese Tatsache einräumen musste, wiegte sich Europa noch in Sicherheit. Das Robert-Koch-Institut (RKI), das sich für den letzten Schluss virologischer Weisheit hält, erklärte noch im Februar, es sei „unwahrscheinlich“, dass der Corona-Virus eine Gefahr für Deutschland darstellen könne. Nur der Virologe Alexander Kekulé riet schon im Jänner dazu, die ankommenden Flugpassagiere auf den Flughäfen auf Fieber zu testen.
Prof. Dr. Alexander S. Kekulé, Inhaber des Lehrstuhls für Medizinische Mikrobiologie und Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie des Universitätsklinikums Halle, hatte schon im Jänner kontrollierende Maßnahmen auf Flughäfen empfohlen.
Andere Länder wie Taiwan, Südkorea, Singapur, handelten schnell, testeten jeden Einreisenden aus China und isolierten die Erkrankten. Taiwan stoppte die Flüge aus Wuhan bereits am 31. Dezember 2019. Insgesamt wurden 124 Maßnahmen ergriffen. Es wurde kein Aufwand gescheut, die Ansteckungsketten zurückzuverfolgen. Sofort teilte Taiwan seine Erkenntnisse und alle Maßnahmen der Fachwelt mit, indem es sie im renommierten „Journal of American Medical Association“ publizierte. Die Betriebe arbeiteten aber weiter, und auch die totale Ausgangssperre wurde nicht verhängt. Masken zu tragen stört in Asien niemanden.
China handelte mit Verspätung
Durch ihre späten, dann aber drakonischen Maßnahmen rettete die chinesische Diktatur vermutlich Hunderttausenden das Leben. Schon im März 2019 hatte Peng Zhou aus Wuhan aufgrund seiner Untersuchungen gewarnt, dass China wegen der biologischen Verhaltensweise der Corona-Viren in den Fledermäusen bald eine neue Pandemie erleben werde. Nur den Zeitpunkt könne er nicht angeben. Als der Augenarzt Li Wenliang aufgrund seiner Beobachtungen auf die akute Gefahr hinwies, wurde er vom Regime noch mundtot gemacht. Allerdings hatte China, in dem SARS zuerst auftrat, ein Überwachungsprogramm installiert, welches eine auffällige Häufung atypischer Lungenentzündungen so früh wie möglich melden sollte. Als die ersten 27 Fälle atypischer Pneumonie ohne Todesfall festgestellt wurden, informierten die chinesischen Behörden die WHO. Die Welt kümmerte sich nicht darum. Kein europäischer Gesundheitsminister fand die Lage beunruhigend. Die amerikanische und europäische Politik nahm sich kein Beispiel an Taiwan, Singapur oder Hongkong. Man wusste wie immer alles besser, verharmloste und ließ die Zeitspanne verstreichen, in der man das Unheil noch hätte verhindern können. Ein entsetzliches Versagen der politisch Verantwortlichen, die sich jetzt als Krisen-„Manager“ gerieren.
Die dreifache Schuld der leichtfertigen Regierungen
Europäische Staatenlenker, die sich inzwischen mit ihren drakonischen Maßnahmen als Landesretter feiern lassen, haben das heutige Ausmaß durch ihr Nichtreagieren überhaupt erst möglich gemacht. Ihr schweres Versäumnis zuzugeben, fällt ihnen aber nicht ein.
Keine Regierung hat aus SARS (China, 2003), MERS (2012), EBOLA (Westafrika, 2014/15), SCHWEINEGRIPPE (2009); VOGELGRIPPE (2004) und Cholera (Neapel, 1973) etwas gelernt. Kein westlicher Staat stellte eine strategische Reserve an Schutzmasken, Desinfektionsmitteln und Beatmungsgeräten bereit. Während die westlichen Demokratien Jahrzehnte lang um die Wette eiferten, ihre lebenswichtigen Fabriken in China produzieren zu lassen, anstatt die heimische strategische Produktion zu begünstigen, dachte nur China voraus und legte Reserven an, von denen jetzt Europa zehrt. Alle raufen sich darum. Der Wettkampf lockt aber auch chinesische Betrüger an.
Fähigkeit zur Eigenproduktion nicht genützt
Das zweite Versagen besteht darin, nicht sofort nach Ausbruch der Epidemie die technischen Ressourcen zur Eigenproduktion energisch genützt zu haben. Kein Wirtschaftsminister hat gleich am Beginn der Pandemie, als der Spitalsnotstand und der Mangel an sanitärem Material absehbar war, unverzüglich die bereitwilligen heimischen Firmen mit langfristigen Abnahmegarantien zu breit angelegter Eigenproduktion und nötigen Umstellungen veranlasst. In Bergamo gingen rasch die Beatmungsmaschinen für die Patienten aus, und Pfleger und Ärzte starben mangels Schutzkleidung am Virus der Patienten, die sie betreuten. Noch heute sind die Versuche zur Selbsthilfe den Firmen allein überlassen. Es gibt keinen strategischen Förderungsplan, nur vages Palavern, dass man dies und jenes in der Zukunft müsste, wie etwa eine österreichische Ministerin verlauten ließ.
Selbstschutzfähigkeit der Betriebe ignoriert
Das dritte Versagen ist, im späten, panischen Schutzeifer nicht zwischen den wirklichen Gefahrenorten und selbstschutzfähigen Produktionsbereichen zu unterscheiden. Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen sind verheerend. Es war richtig, die vermeidbaren persönlichen Kontakte radikal zu begrenzen. Das Veranstaltungsverbot, die Sperrung von Sport- und Freizeitanlagen und Ausgangsbeschränkungen waren vernünftig. Aber unnötig und sozial unverantwortlich war und ist es, auch alle nicht „System relevanten“, jedoch zum Selbstschutz fähigen Wirtschaftsbereiche abzuschnüren. Eine Überprüfung der Gepflogenheiten etwa in Lebensmittelbetrieben, Supermärkten, bei Tankstellen und Postämtern würde schnell bestätigen, was man ja schon vom täglichen Augenschein begreift: Betriebe, die Schutzmaßnahmen ergreifen und ihre Kunden zum Gleichen anhalten, stellen keine Gefährdung dar. Andernfalls wäre ihr Personal längst schon auf den Intensivstationen der Krankenhäuser in Betreuung. Nach dem gleichen Grundsatz könnten andere Betriebe weiterarbeiten. Auch die kleinen Lockerungen, z.B. in Italien seit dem 14. April für Papier- und Buchhandlungen, Kinderkleidung und Babyartikel, sind kein Ersatz für die Rettung der anderen Existenz bedrohten Betriebe. Aber es wird sich erneut zeigen, dass dank der internen Schutzmaßnahmen keine Gefahr ausgeht. Nach dem gleichen Prinzip hätte die Produktion generell nie eingestellt werden dürfen. Das scheint insgeheim den Verantwortlichen in Südtirol zu dämmern. Sie heimsen Kritik ein. LH Kompatscher mahnt Rom – allzu sanft und ohne autonomistischen Nachdruck gegenüber der sich über alles erhebenden römischen Zentrale – und wünscht mehr Eigenständigkeit in den Entscheidungen. Wirtschaftslandesrat und SVP-Landesparteiobmann Achammer steuert seine häufigen digitalen Tröstungen für die Wirtschaftstreibenden bei. Doch Initiativen fehlten von Anfang an. Sogar die Präsidenten der Lombardei (Attilio Fontana) und des Veneto (Luca Zaia) fordern nun zu mehr „Vertrauen“ in die Wirtschaft auf.
In Österreich forderte FPÖ-Obmann Hofer am 16. April eine gleiche Behandlung aller Betriebe. Damit erhebt sich die Opposition aus ihrer Denkstarre und fordert mehr Kohärenz – auch weil sie nach den Bedenken von Verfassungsjuristen und der abnehmenden Geduld in der Bevölkerung den Mut findet, den sie von Anfang an hätte zeigen sollen.
Confindustria und FederlegnoArredo fordern die Öffnung
Der Verband der italienischen Möbelindustrie, FEDERLEGNOARREDO, hat am 10. April in einem detaillierten Memorandum glaubwürdig belegt, dass die Holzbetriebe samt und sonders zu einem effektiven Schutz der Belegschaft willens und fähig sind, wenn man sie nur arbeiten ließe. Im „manifesto“, das Präsident Emanuele Orsini am 14. April mit einem 8-Punkteplan vorstellte, garantiert man die Sicherheit der Arbeiter, ohne die Überlebensfähigkeit der Betriebe in Frage zu stellen (salvaguardare la sicurezza dei lavoratori senza compromettere ancora di più la sopravvivenza…). Auf den gleichen Sachverhalt hat der Industriellenverband CONFINDUSTRIA generell für alle Produktionsbetriebe verwiesen.
Auf ihrer Internetseite hat die größte italienische Industriellenvereinigung Confindustria ihre Vorschläge dargelegt, die von der Politik jedoch weitgehend ignoriert wurden.
Alle Handelsbetriebe sind zu gleichen Maßnahmen bereit. Doch die Regierungen haben sich blind und uneinsichtig in ihre Zusperr-Ideologie verbohrt und denken an keine nüchterne Überprüfung ihrer Haltung. Sie weichen, wohl auch aus schlechtem Gewissen, stattdessen auf einen Plan zum langsamen „Hochfahren“ der Wirtschaftssektoren aus. Mehr erlaube die noch zu langsame Abschwächung der Pandemie nicht. Diese nimmt aber weder zu noch ab wegen der blindwütigen Betriebsschließungen, sondern wegen der vernünftigen Verhinderungen von Massenansammlungen und vermeidbaren Kontakten. Wiederum wird wertvolle Zeit verloren und es werden Schulden angehäuft.
Zuerst Unterschätzung – dann panische Maßnahmen
Die Europäer waren gewarnt. Sie ließen aber wertvolle Zeit verstreichen, um die Infektionsherde zu beherrschen. Am 9. März handelte die italienische Regierung mit totalen Ausgangssperren. Am 22. März wurden die Maßnahmen verschärft, ohne Rücksicht auf ihre logische Berechtigung. Auffallender Weise wurden aber keineswegs alle nicht „lebenswichtigen“ („System relevant“ nennt sich das im politischen Kauderwelsch) Betriebe geschlossen. Zwar stand der wesentliche Teil von Produktion und Handel still, ausgenommen in jenen Betrieben, die mit unmittelbaren Lebensbedürfnissen zu tun haben. Bezeichnend aber: die Rüstungsbetriebe durften weiterarbeiten. Diese Ausnahme tarnt sich verschämt unter der Ziffer 84 des ATECO-Verzeichnisses (ATtivitàECOnomica) der wirtschaftlichen Tätigkeiten, wo die Landesverteidigung („Difesa“) zusammen in einem mit der Öffentlichen Verwaltung und der Sozialversicherung angeführt ist. Die Rüstungsbetriebe in Norditalien zeigen, wozu jeder Betrieb fähig wäre: Bei entsprechenden Schutzmaßnahmen geht keine Gefahr von ihnen aus, was erneut die Regierungsthese der notwendigen Sperrungen widerlegt. Nebenbei stand und steht auch kein Krieg bevor, trotz der kantigen Kriegs-Rhetorik der Seuchen-Politiker, die mit ihren verbalen Parolen die echte Kriegswahrheit verharmlosen. Die mangelnde Sprachzucht wurde aber bedenklich begleitet vom Sieg blinder Irrationalität der Maßnahmen. Das hält bis heute an und hat auch einige andere europäische Staaten angesteckt.
Verluste und Schuldenberg in Südtirol
Südtirol macht die gleichen bedrückenden Erfahrungen der Totalschließungen von Betrieben in den ersten fünf Wochen (9.3. – 13. 4. 2020): Viele Hunderte von Betrieben sind am Rande des Ruins. Mittelständische Unternehmerfamilien verzweifeln. Keine Landeshilfe ist mehr in der Lage, die finanziellen Einbußen angemessen zu ersetzen. Die fehlenden Steuereinnahmen werden, wie LH Kompatscher erklärt („Dolomiten“ vom 15.4.2020), 500 Mio € ausmachen. Dazu kommen 1,5 Milliarden € an Mehrausgaben, zusammen ein knappes Drittel des Landeshaushaltes! Allerdings handelt es sich wesentlich um Kreditgarantien auf Landesrisiko.
Aus „Dolomiten“ vom 15. April 2020
Demokratische Kontrolle an den Rand gedrängt
Die parlamentarische Kontrolle ist bis auf ein paar pro-forma-Übungen nicht nur in Italien an den Rand gedrängt. Mit großem politischem Propagandaaufwand und fahrlässiger Mitwirkung der Medien geben sich widersprüchliche Maßnahmen auch in Österreich als „absolut richtig“ und „alternativlos“ aus. Die Verbotspropaganda wird zum moralischen Glaubenssatz erhoben. In der heimlichen Angst vor kritischen Nachfragen lassen die Regierung in unfehlbarer Selbstinszenierung eine Verordnungsflut auf die eingeschüchterte Bevölkerung niedergehen. Der öffentlich rechtliche Rundfunk huldigt und unterlässt jede nüchterne Prüfung von realer Notwendigkeit und Wirkungsbezug. Die Journalistenprofession zeigt keine Professionalität, wird zum bloßen didaktischen Wiederkäuer der sich jagenden und verschärfenden Verordnungen, die jedes vernünftige Maßhalten unter einer bedrohenden Paragraphenlawine verschütten. Selbst die sonst so selbstbewussten Gewerkschaften ducken sich gehorsam und weichen jeder rationalen, demokratisch-mutigen Sachauseinandersetzung aus. Alte Verfassungsgrundrechte verdunsten im Glutschwall der faktisch polizeistaatlichen Züge der Pandemie-Aktionen. Personengrundrechte werden diskussionslos unwirksam gemacht. Totalbespitzelung mit entsprechender Drohkulisse ist Alltag und präsentiert sich als allwissende Staatsmacht. Zu Untertanen reduzierte Staatsbürger haben ihr zu gehorchen.
Almosenwelle statt Verbotsvernunft
Die ausgeuferten Arbeits- und Produktionsverbote werden ohne Rücksicht auf Verluste mit quasi-feudalen Abfederungsmaßnahme mittels teurer und zugleich unzureichender Finanzhilfen verbunden, auf Kosten der geprellten, mit Berufs-Ausübungsverbot belegten Gegenwartsgeneration und ihrer Nachkommenschaft, die die Zeche zahlen wird. Der deutsche und österreichische Staat zeigen zumindest ihre Effizienz durch schnelle Zuteilung der finanziellen Halbhilfen, die die Schäden aber nicht annährend beheben können und keineswegs allen zugutekommen, die es brauchen. Kein wirtschaftlich versierter Politiker macht die Gegenrechnung auf, keiner – weil inopportun in der Rettungs- und Scheinwohlfahrts-Propaganda -meldet sachkritischen Widerspruch an. Der gepriesene Begriff der „ganzheitlichen Sicht“, die Abwägung aller Auswirkungen, ist dem Kult der Einheitsmeinung gewichen.
Das Phantom „Europaregion Tirol“ als Propagandaschlager entlarvt
Etwas weltfremd propagiert die „Euregio“ auf ihrer Internetseite immer noch ein „Euregio Sport Camp“ im Juli 2020 in Mals im Vinschgau, welches mit großer Wahrscheinlichkeit gar nicht wird stattfinden können.
Wie oft hatten Tirol und Südtirol doch die „Europaregion“ als Realität gesamttirolischen Zusammenwirkens verkauft. Doch unverzüglich wurde die Tiroler Grenze geschlossen. Die VO 35/2020 des Tiroler Landeshauptmannes lässt zwar ausdrücklich den Grenzpendlerverkehr zu Arbeitszwecken zu. Doch eine Grenzpolizeistelle schickte Tiroler Grenzpendler, die in einem grenznahen Südtiroler Ort legal in einem Betrieb mit kommunalem Bezug arbeiten, trotz aller beigebrachten Belege plötzlich mit Strafandrohung in Quarantäne. Die zuständige Bezirkshauptmannschaft sorgte nicht etwa für rasche Respektierung der VO. Sie rechtfertige die Überreaktion und ließ die Pendler und die Firma mit ihren juristisch wohlbegründeten Eingaben kalt abblitzen. Die unterstützende Klarstellung der Tiroler Wirtschaftskammer fegte sie als nicht entscheidungsrelevant vom Tisch, mit der mehrmals wiederholten Phrase, sie könne nicht „contra legem“ handeln, obwohl genau ihre Verhaltensweise dieses „contra legem“ darstellt. Als ihr die Argumente ausgingen, erklärte sie in obrigkeitsstaatlicher Manier, sie sei zu keiner Rechtfertigung, Erläuterung oder Rechtsauskunft verpflichtet. Rechtsstaat Österreich!
Neue Schuldenberge auch in soliden Staaten
Die Staaten verschulden sich hemmungslos. Die Mdme. Lagarde, wie ihr Vorgänger Draghi Spezialistin in der Aushebelung der EU-Vertragsgrundsätze zur Währungsstabilität, setzt auf schwindelerregende Aufkäufe der Staatsanleihen.
Die französische Politikerin Christine Lagarde war vom 19. Juni 2007 bis zum 29. Juni 2011 Ministerin für Wirtschaft und Finanzen. Dann war sie 8 Jahre lang geschäftsführende Direktorin des „Internationalen Währungsfonds“ (IWF). Seit dem 1. November 2019 ist sie Präsidentin der „Europäischen Zentralbank“ (EZB), obwohl sie 2016 von einem Pariser Gericht wegen Fahrlässigkeit im Umgang mit Finanzen in ihrer Amtszeit als französische Wirtschaftsministerin schuldig gesprochen worden war.
De facto wird der Euro der künftigen Inflation ausgeliefert. 20 Milliarden € pro Monat werden an bloßem Buchgeld bereitgestellt, insgesamt sind jetzt schon 1,11 Billionen € für den Aufkauf von Staatsanleihen beschlossen! Nur Illusionisten können glauben, dass Italien seine neuen Riesenschulden je wird zurückzahlen können. Im dritten Quartal 2019 machten die italienischen Staatsschulden ohne „Corona“ schon 2.439,25 Milliarden € aus, was 134,8% des BIP entspricht, bedrohlich weit über der erlaubten Grenze der Staatsschuld von 60% des BIP. Mit der neuen Schuldenaufnahme wird die Schuldenlast nach kritischer Berechnung des Instituts für die Beobachtung der Haushaltspolitik der Università Cattolica (Mailand) zwischen 150-158% des BIP erreichen! Doch Premier Giuseppe Conte ist das europäische Entgegenkommen nicht genug. Barsch und beleidigt fordert er mehr: einen Freibrief fürs Schuldenmachen unter gesamteuropäischer Haftung mittels „Eurobonds“ um 1,5 Billionen €, die administrativ gar nicht sofort verfügbar gemacht werden könnten. Diese Summe würde 44% des deutschen BIP oder 11% des BIP der Eurozone entsprechen.
Auch Italiens Premierminister Giuseppe Conte möchte gerne Italien auf Kosten der europäischen Partner retten. (Text aus „Dolomiten“ vom 8. April 2020)
Es ist just der italienische EU-Kommissar und frühere Ministerpräsident Gentiloni, der von Eurobonds abrät. Nach der informellen Bereitschaft der europäischen Finanzmister (Videokonferenz vom Karfreitag, 10. April d.J.) sollen über den Europäischen Stabilitäts-Mechanismus (ESM) für Italien 36 Milliarden, entspricht 2% des italienischen BIP, bereitgestellt werden, formell mit Rückzahlungspflicht. Der Zugang zum ESM soll vereinfacht werden. Der ESM hatte schon Griechenland geholfen, von dem der IWF nüchtern sagt, dass der hellenische Staat seine Schulden auch bei besten Bedingungen nicht aus eigener Kraft werde begleichen können.
Italien ohne Alternative?
Gäbe es nicht das Erfahrungspotential der Staaten, die einen anderen Weg mit weniger kostenreicher und effizienterer Wirkung gewählt hätten und damit erfolgreich sind, könnte man noch in einem Übermaß an Völkergeduld sagen, die Verantwortlichen hätten nach sorgfältiger Prüfung die „alternativlose“ Maßnahme wählen müssen. In Wirklichkeit sind ihre Maßnahmen keineswegs rational durchdacht, sondern panische Fahrlässigkeit ohne Rücksicht auf Verluste. Durch das italienische „Krisenmanagement“ (das unverdiente Wort „Management“ ist in diesem Fall eine euphemistische Irreführung) wird jede demokratische Sachdiskussion verhindert. Eine kühle Bestandsaufnahme, die auch in anderen Verbots-Regierungen fehlt, lässt dies erkennen. Trotz aller oft recht gegensätzlichen wissenschaftsvirologischen Behauptungen sind zwei Tatsachen unbestritten: durch ausreichenden Abstand gibt es keine Ansteckung, und selbst einfache Schutzmasken für den Normalgebrauch der Bürger vermindern die Virusgefahr zusätzlich. Nach diesen zwei Erkenntnissen hätte man nie eine Massenschließung von Betrieben vornehmen dürfen.
Die weltweite Jagd nach Masken – „China hilft!“
Regierungsgenerationen haben blind zugeschaut, wie Firmen die Produktion nach China verlagerten, das nichts umsonst gibt, und sich damit vom reich gewordenen chinesischen Handel wirtschaftlich und politisch abhängig gemacht. Die Abwanderung von notwendigen Firmen hätte man durch entsprechende Steuerpolitik abwenden können.
„China hilft!“ Nein, denn es macht schlicht ein gewaltiges politisches und wirtschaftliches Geschäft. Regierungen raufen sich um die chinesische Ware und lassen sich bereits bezahlte noch wegschnappen. Südtirol wurde mit seiner über Österreich groß inszenierten Maskenlieferung böse hereingelegt und versuchte das zu verharmlosen und zu vertuschen. Nicht den chinesischen Betrug hätte man den Sanitätsverantwortlichen übelgenommen, sondern die bagatellisierende Unehrlichkeit. Für medizinisches Personal eignen sich die Schutzmasken nicht.
Ein Betriebs-Beispiel für viele
Der erfahrene Leiter eines großen Fleischproduktionsbetriebes in Südtirol versicherte mir erst kürzlich: die Belegschaft trägt Schutzmasken, (nicht die perfekten medizinischen Masken), Schutzbrillen und Gummihandschuhe und desinfiziert immer wieder die Hände. Das hat sich schnell eingespielt. Niemand steckt sich an. Nach dem gleichen Modell könnten alle Betriebe weiterarbeiten!
Die bisherigen Erfahrungen in nie geschlossenen Betrieben und Läden hätten die ruinöse Politik längst korrigieren müssen. Die sehr relative Verminderung der Ansteckungen als Begründung der Schritt-für-Schritt-Öffnung ist nicht glaubwürdig. Die Fallzahlen gehen nicht deshalb langsam zurück, weil Betriebe geschlossen und damit in ihrer Existenz bedroht sind, sondern weil – vernünftigerweise – Massenansammlungen und Gruppentreffen verboten sind. Vorsichtshalber die Schulen zu schließen ist eine vertretbare Maßnahme. Sie kostet nichts und ruiniert niemanden. Italien hat das Schuljahr schon für beendet erklärt und alle Schüler mit ein wenig digitalem Unterricht für die nächste Klasse befähigt erklärt.
Betriebsexistenzen en masse gefährdet oder ruiniert
Die eilfertigen Verordnungen des Staates und Landes, Mieten und Schulden zu stunden und Gebührenzahlungen aufzuschieben, retten auch nichts, weder in Betrieben noch für die Normalbürger. Für jene, die als öffentliche Angestellte ihr Gehalt weiterbeziehen, ist es unnötig. Für die Belegschaften in der Ausgleichskasse (in Italien wesentlich geringer ausfallend als in Österreich), reicht in Italien das Resteinkommen nicht. Die neue Massenarbeitslosigkeit und damit nicht selten verbundener dauernder Verlust des Arbeitsplatzes durch Betriebszusammenbrüche haben gravierende finanzielle und psychische Folgen.
Viel zu zaghafte und zu späte Halbkorrekturen
Zu einer Korrektur der verfehlten Panikpolitik sind die Regierenden aber nicht gewillt, auch wenn sie insgeheim längst die von ihren angerichteten Schäden erkannt haben. Der Südtiroler Landeshauptmann, der dies auch erkannt hat und eigentlich immer schon wusste, auch wenn es in den Erklärungen anders zu klingen schien, versucht in seiner neuen Verordnung vom Ostermontag (13.4.) eine – leider zu geringfügige – Korrektur.
Aus „Dolomiten“ vom 14. April 2020.
Gewiss ist der Staat (Gesetz Nr. 400 vom 23. 8. 1988) für Notstandsmaßnahmen zuständig. Aber wenn ein Staat partiell verhängnisvolle Maßnahmen erlässt, dann ist zumindest für ein Land mit Autonomie entschiedener Protest angebracht, und nicht, wie seit dem 9. März gesehen, unterwürfige und widerstandslose Anpassung an Staatsverordnungen. Das ist freilich seit Jahren der Grundtypus der Südtiroler Landespolitik.
Wie Untertanen behandelt
Wochenlang schaute diese Politik in Südtirol ungerührt zu, wie die Staatsorgane geradezu herzlos und widersinnig hohe und höchste Strafen – von 400-300€ verhängten, wenn sie einsame Spaziergänger auf Waldwegen antrafen, wo weit und breit keine Ansteckungsgefahr gegeben ist. Das wünschte der Landeshauptmann von Südtirol nicht, aber die zögerliche Mahnung an die Kontrolleure, bei den Kontrollen Sinn und Zweck zu bedenken, verhallte nicht nur bei den Carabinieri, sondern sogar bei Teilen der heimischen Forstwache. Erst mit der neuen Verordnung wird ein gefahrloser Spaziergang auch in größerer Entfernung ausdrücklich erlaubt. Damit sind bisher widersinnig-maßlose Strafaktionen unmöglich gemacht. Gegen vernünftige und notwendige Kontrollen hat niemand etwas. Für überspannte, bürgerfeindliche Polizeistaatsmethoden unter dem Deckmantel des Gemeinwohls hat man jedoch zu Recht kein Verständnis. Sie werfen sehr ernsthafte Fragen nach rechtsstaatlicher Qualität auf. Es ist bestürzend, dass kein Südtiroler Parlamentarier in Rom und kein Landtagsabgeordneter der Regierungsmehrheit in Bozen – löbliche Ausnahme nur die deutsche Opposition – eine verantwortungsvolle Kritik übte.
Kirchen unterwerfen sich ebenfalls
Kein Wort dagegen, dass die Totalsperre der Kirchen nicht auf diese Art notwendig wäre, wie man vorgibt: Hätten Osterfeierlichkeiten in den großen Domen von Bozen und Brixen und in größeren Dorfkirchen etwa nicht mit einer Teilnehmerzahl stattfinden können, die keinerlei Ansteckungsgefahr hervorgerufen hätte? Ist es denn menschlich, wenn an Begräbnissen nur eine Handvoll Familienmitglieder teilnehmen dürfen, wo doch Friedhöfe groß genug sind, um ohne die geringste Gefährdung eine begrenzte Menschengruppe – jedenfalls die Trauerfamilie mit Verwandten – aufzunehmen? Welche eingebildete Gefahr soll bestehen, wenn ein an normaler Altersschwäche Verstorbener im Sarg daheim aufgebahrt wird, statt anzuordnen, den Sarg flugs in die Totenkapelle zu schaffen und diese abzuschließen, als sei der Mensch an der Pest gestorben? Der Verordnungswahnsinn hat herzlose Methoden, die mit Sicherheit nichts mehr zu tun haben.
Kein Mitleid mit Gefangenen
Warum findet kein Politiker in Staat und Land etwas dabei, dass die Insassen in überfüllten italienischen Gefängnissen verbleiben, wo Abstand und Schutz eine Illusion sind? Keinem Regierungsmitglied –auch keinem Südtiroler Parlamentarier der SVP – ist der Gedanke gekommen, dass es aus humanitären Gründen eigentlich Grund für eine rasche, weitreichende Amnestie gegeben hätte. Ist es nicht auch bezeichnend, dass es selbst keinem Kirchenmann eingefallen ist, an die Situation der Gefangenen zu erinnern, die nicht nur ein paar Monate Beschränkungen der Bewegungsfreiheit unterworfen sind wie der Normalbürger, mit ganz anderen Limitierungen? Psychologen und Psychiater beklagen – nicht zu Unrecht – die möglichen psychischen Folgen irrational-unnötiger Verbote. Aber keine einzige Stimme des Mitgefühls erinnerte in dieser Erfahrung der Freiheitsberaubung an jene Mitmenschen, die oft Jahrzehnte ihres Lebens in ganz anderen Verhältnissen zurechtkommen müssen. Erdogan amnestiert 90.000 Gefangene, ein Drittel der Gesamtzahl, wenn auch bezeichnenderweise die wirklich unschuldigen politischen Gefangenen nicht.
Die Geduld ist begrenzt
Den Verordnungsstrategen dämmert jetzt, dass die übergeduldige Bevölkerung langsam jene Verbote und jene Existenzschädigung satthat, die sich durch nichts rechtfertigen lassen.
Aus „Dolomiten“ vom 14. April 2020.
Nicht zufällig erinnert sich die Unterstaatssekretärin im Kultus- und Tourismusministerium, Lorenza Bonaccorsi, sogar an den gebeutelten Tourismus und meint, es stehe dem Schutz vor dem Virus nicht entgegen, wenn man an geeigneten Badestränden den Zugang erlaube und dabei dafür Sorge, dass der Abstand gewahrt werden könne. Ein zumindest regionaler Tourismus kann ebenfalls diszipliniert ermöglicht werden, mit etwas betrieblicher Phantasie. Hotels können Speisenturnusse anbieten und damit die Gästezahl bei den Essenszeiten reduzieren. Ein völliger touristischer Stillstand mit Massenentlassung der Bediensteten wird auch den Steuerbehörden ein böses Erwachen bescheren.
Die Mafia wartet schon
Als kürzlich eine große deutsche Zeitung angesichts der italienischen Geldforderungen anmerkte, ob damit nicht auch die Mafia angelockt werden könne, reagierte der nicht sonderlich hochgebildete Außenminister Di Maio mit einer harschen Bemerkung und forderte politische Genugtuung.
Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) hatte nicht ohne Grund vor der Mafia gewarnt.
Interessant nun, dass Innenministerin Luciana Lamorgese in einem Schreiben vom 11. April davor warnte, die Mafia könne den Notstand ausnützen und sich Betriebe durch Scheingeschenke gefügig machen. Der italienische Polizeichef Franco Gabrielli warnte in einem Schreiben an die 194 Interpol-Staaten ebenfalls davor, dass die Mafia an Gelder für die Landwirtschaft, die Transporte und die Müllentsorgung heranzukommen versuche. Dieses Problem Italiens besteht seit eh und je. Darauf können Polizeiorgane wenigstens reagieren.
Kurzzeitdenken in Italien lebt von der Hand in den Mund
Prof. Giuseppe Conte ergeht sich in lockeren Gedankengängen. Er geht souverän über die Bedingungen des italienischen Beitritts zur Eurozone vom 1.1. 1999 hinweg. Alte Verpflichtungen hält er für „überholt.“ Verträge mit Grundsätzen sind lästig. Die Tagespolitik zählt. Bei den mitregierenden „Grillini“ (Fünf-Sterne-Bewegung) fehlt es an Erfahrung und historischer Verantwortung. Europäische Solidarität versteht Conte als Schuldenfreibrief für Italien mit Gemeinschaftshaftung, also Garantie durch wohlhabendere, diszipliniertere Nordländer. Der Maastricht-Vertragsartikel 104b ordnet an, dass jeder seine Schulden selbst zu verantworten und zu tragen hat und übermäßige öffentliche Defizite zu vermeiden sind. Als Italien trotz eines Schuldenberges von 120 % des BIP in die Eurozone aufgenommen wurde, wusste es das schon. Nun aber machen nationalistische Populisten Stimmung gegen europäische Vernunftregeln. Staatspräsident a.D. Azeglio Ciampi hatte diesen Ungeist schon in der Berlusconi-Ära beklagt. Die neuen „Sovranisti“, die sich in Illusionen wiegen, sind eine verschärfende Neuerscheinung. In der Pandemie treten sie als Don Quijote in der Politik auf.
Doch auch in anderen europäischen Staaten trampelt ideologisierende Regierungs- und Medienpropaganda die notwendige Selbstkritik, die nüchterne und ehrliche Abwägung der Wirkung von zuerst zu späten und dann zu undifferenzierten Maßnahmen nieder. Die „europäischen Werte“ haben sich verabschiedet.
Über den Autor:
Dr. Franz Pahl, von Beruf Lehrer und Publizist, war von 1976 bis 1979 Landesjugendsekretär der Südtiroler Volkspartei (SVP) und von 1983 bis 2008 Abgeordneter im Südtiroler Landtag und im Regionalrat Trentino-Südtirol. Von 1994-99 war er Vizepräsident der Regionalregierung und von 2001-2003 und 2006-2008 Präsident des Regionalrats der Region Trentino-Südtirol.
Journalistisch war Dr. Franz Pahl als Herausgeber der Wochenzeitung „Der Tiroler“ und des „Südtiroljournals“ sowie als Redakteur bei „Radio Südtirol“ tätig. Er verfasste auch eine Reihe von politischen Beiträgen in der Tageszeitung „Dolomiten“.
Kriegsverbrecher und Massenmörder ist Ehrenbürger von Brixen
Seit Dezember 2015 weist Hartmuth Staffler, Präsident des „Geschichtsvereins Brixen“, in Pressemitteilungen darauf hin, dass der Alpini-Offizier Gennaro Sora, der in Äthiopien ein schreckliches Kriegsverbrechen verübt hat, immer noch Ehrenbürger von Brixen ist.
Hartmuth Staffler
Zuletzt veröffentlichte das Internet-Portal „Unser Tirol 24“ am 26. Februar 2020 nachstehende Stellungnahme von Hartmuth Staffler, die der SID hier mit einigen Bildern ergänzt hat:
Gennaro Sora wurde 1892 in der Provinz Bergamo geboren. 1913 trat er bei den Alpini ein. Im Ersten Weltkrieg erwarb sich Sora an der Dolomitenfront, zeitweise gemeinsam mit Cesare Battisti, mit dem er Freundschaft schloss, verschiedene Auszeichnungen. Nach dem Krieg war er als Alpini-Offizier in Brixen stationiert. 1928 nahm er mit acht weiteren Alpini aus der Brixner Garnison an der Nordpol-Expedition von Umberto Nobile teil. Als Nobile mit dem Luftschiff Italia abstürzte, startete Sora auf eigene Faust vom Expeditionsschiff „Città di Milano“ aus eine Rettungsaktion, die kläglich scheiterte, so dass Sora selbst von einem schwedischen Flugzeug gerettet werden musste. Trotzdem bezeichnete Mussolini Gennaro Sora als „eroe del polo“ (Held des Pols). Sora wurde in ganz Italien gefeiert; in Brixen verlieh ihm der faschistische Podestà (Anm.: Bürgermeister) Felice Rizzini die Ehrenbürgerschaft der Stadt.
Bild links: Bericht aus „Der Südtiroler“ vom 1. November 1928. Bild rechts: Der gescheiterte Polar-Held nach seiner Rettung.
1935 war Gennaro Sora im Vinschgau stationiert, wo er das Gebet „Preghiera dell’Alpino“ schrieb. In dieses Gebet baute der überzeugte Faschist auch Fürbitten für den italienischen König und für den Duce Benito Mussolini ein. Erst im Jahr 1949 wurden der König und der Duce aus dem Gebet gestrichen. 1985 wurde das Gebet, trotz seiner zweifelhaften Urheberschaft, offiziell als Gebet der Alpini anerkannt, und zwar in zwei verschiedenen Versionen.
In der nur bei geschlossenen Veranstaltungen der Alpini zu verwendenden Version wird immer noch um den Segen für die Waffen gebetet („Rendi forti le nostre armi…“,) in der etwas entschärften Form für die Öffentlichkeit sind die Waffen verschwunden, es heißt nur noch „rendici forti … (mache uns stark). Allerdings kommt es immer wieder zu Zwischenfällen, weil manche Alpini auch bei öffentlichen Gottesdiensten auf der militärischen Gebetsform bestehen und manchmal sogar aus Protest die Kirche verlassen, wenn ihr Wunsch nicht erfüllt wird.
Nach dem italienischen Vernichtungskrieg gegen Äthiopien (1935-36) gab sich die einheimische Bevölkerung nicht geschlagen. Zahlreiche Freiheitskämpfer, die auf die Unterstützung der Bevölkerung zählen konnten, widersetzten sich der faschistischen Besatzungsmacht. Die Italiener antworteten darauf mit einer brutalen Unterdrückungspolitik, der zehntausende Äthiopier zum Opfer fielen.
Giftgasbomben unter der Tragfläche eines italienischen Kampfflugzeuges
Mit Giftgas getötete Äthiopier
1937 wurde Oberstleutnant Gennaro Sora nach Äthiopien geschickt, um als Kommandant eines Alpinibataillons der 8. Brigade (ehemals Divisione Pusteria) sogenannte „Säuberungsaktionen“ durchzuführen. In Gebieten, in denen die äthiopischen Freiheitskämpfer besonders aktiv waren, wurden Dörfer niedergebrannt, Brunnen vergiftet und Viehherden beschlagnahmt. Eine besonders brutale „Säuberungsaktion“ fand im Frühjahr 1939 in Zentraläthiopien statt. Dabei wurden Dörfer mit Giftgas bombardiert und tausende Menschen in die Flucht getrieben.
Gennaro Sora
Oberstleutnant Gennaro Sora erhielt den Auftrag, eine Flüchtlingskolonne zu verfolgen. Die rund 1500 Frauen, Kinder und Verletzte, begleitet von einigen wenigen Kämpfern, flüchteten in die Höhle von Zeret, deren Eingang auch von wenigen Mann leicht zu verteidigen war. Oberstleutnant Sora forderte daher chemische Waffen an. Er erhielt eine Senfgasbombe, deren Inhalt in Kanister umgefüllt wurde, sowie Arsen-Granaten für seine Artillerie. Am 9. April 1939 wurden die Senfgaskanister an Seilen von oben vor den Eingang der Höhle herabgelassen und zur Explosion gebracht, während gleichzeitig die Artillerie die Arsen-Granaten in die Höhle schoss. Die Flüchtlinge mussten sich ergeben. 800 männliche Flüchtlinge (ab 15 Jahren) wurden in Gruppen zu 50 mit Maschinengewehren erschossen und über einen Abhang geworfen. Die durch das Giftgas schwer verletzten Frauen und Kinder überließ man ihrem Schicksal. Nach italienischen Augenzeugenberichten hat von diesen niemand überlebt.
Ermordete Äthiopier
Im faschistischen Italien machte man sich noch lustig über die Vergasten. Auf dieser Darstellung steht zu lesen: „Bewaffnungen – Hier die geeignetste Waffe“
Dieses Kriegsverbrechen war wie viele andere lange Zeit kaum bekannt. Man sollte und wollte nicht darüber reden. Für die Einheimischen ist das schreckliche Ereignis bis heute ein Tabu, über das sie nicht sprechen wollen. Sie meiden auch die Höhle von Zeret. Erst im Jahr 2008 hat der italienischer Historiker Matteo Dominioni im Buch „Lo sfascio dell’Impero – Gli italiani in Etiopia 1936-1941“ die Ereignisse anhand von Aktenstudien und Augenzeugenbefragungen geschildert. Inzwischen sind auch weitere Augenzeugenberichte aufgetaucht. Erstmals hat sich vor einigen Jahren ein italienischer Archäologe, der die Höhle besichtigte, unter Tränen bei den Einheimischen entschuldigt für das, was seine Landleute dort angerichtet haben. Eine offizielle Entschuldigung gab es noch nicht. Die Gemeinde Brixen könnte ein kleines Zeichen setzen, indem sie dem Kriegsverbrecher Sora die Ehrenbürgerschaft aberkennt, aus Respekt vor den Opfern in Äthiopien und auch vor den übrigen 63 Brixner Ehrenbürgern, darunter Altpapst Benedikt XVI.
Soweit die Darstellung von Hartmuth Staffler, die an Klarheit nichts zu wünschen übrig lässt.
Bürgermeister von Brixen ist Herr Peter Brunner von der „Südtiroler Volkspartei“ (SVP). Der Stadtrat ist von der SVP besetzt.
Bislang haben die SVP-Lokalpolitiker von Brixen nicht regiert und auch nicht Stellung genommen. Das erspart ihnen natürlich eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit den Vertretern der „Grünen“, des „Partito Democratico“ und anderen Gemeinderäten.
Damit haben sich diese „Volksvertreter“ in Brixen sehr schön an die italienischen Verhältnisse angepasst.
Ob dieses Verhalten verantwortungsbewusst ist, mag der Leser entscheiden.
Die Sektion Bergamo der „Nationalen Alpini-Vereinigung“ hält heute noch das Andenken an Gennaro Sora in Ehren und kommt in einer Würdigung auf ihrer Internet-Seite zu folgendem Schluss: „Sora sei nicht für ein ungerechtfertigtes Massaker verantwortlich, sondern er habe sich im Kontakt mit seinen Vorgesetzten stehend an die damals in Äthiopien angewandten militärischen Vorgangsweisen gehalten.“
Dazu passt, dass in seiner Heimatgemeinde Foresto Sparso in der Provinz Bergamo heute noch ein Denkmal an ihn erinnert und es dort auch eine Sora-Straße – „Via Gennaro Sora“ – gibt.
Dokumentation über den faschistischen Vernichtungskrieg und den Völkermord in Ätiopien
Bei dem geschilderten Kriegsverbrechen des Gennaro Sora in Äthiopien handelt es sich nicht um einen vereinzelten grausamen Übergriff, sondern um ein Geschehen, welches sich in eine gewollte Vernichtungsstrategie gegenüber dem äthiopischen Volk einfügte, welches buchstäblich dezimiert wurde.
In Südtirol verherrlichen bis heute faschistische Denkmäler die Kolonialkriege und den Völkermord. Darüber berichtete 2009 die Zeitschrift „Der Tiroler“. In einem Interview forderte der Historiker und Angehörige des äthiopischen Kaiserhauses, Prinz Dr. Asfa Wossen Asserate, dass sich Italien seiner faschistischen Vergangenheit einschließlich des Verbrechens des Völkermordes in Äthiopien endlich stellen sollte. Das Gespräch führte der ehemalige Südtiroler Freiheitskämpfer Univ. Prof. Dr. Erhard Hartung.
Ein furchtloser Streiter für Südtirol: Richard von Helly
Vor 50 Jahren, am 22. März 1970, beendete ein schwerer Autounfall das Leben eines Mannes, der vor 100 Jahren geboren wurde und dessen Andenken heute nicht der Vergessenheit anheimfallen sollte.
1964: Wechsel in der Obmannschaft des Bergisel-Bundes OÖ
Auf Anregung des Südtiroler „Dolomiten“-Chefredakteurs Kanonikus Michael Gamper war in Österreich 1954 der „Bergisel-Bund“ als „Schutzverband für Südtirol“ ins Leben gerufen worden. In Oberösterreich hatte der hoch dekorierte oberösterreichische Kaiserschützen-Oberleutnant Otto Alteneder als Landesobmann die Leitung des Bundes übernommen.
Das Grab der Familie von Helly auf dem St. Barbara-Friedhof in Linz
Der Fähnrich Otto Altender hatte am 7. Juni 1915 eine der beiden Angriffsgruppen der Landesschützen geführt, die den von den Italienern verteidigten Monte Piano stürmten. Dieses Bild aus dem Erinnerungswerk „Kaiserschützen, Tiroler-Vorarlberger Landsturm und Standschützen“ (Hrsg.: Kaiserschützenbund, Wien undatiert) zeigt den Erzherzog Karl, der im September 1915 die Fronttruppen besuchte und sich dabei von Alteneder (links im Vordergrund) den Kampfverlauf schildern ließ. Anfang der 1960er Jahre, als Otto Alteneder aus Altersgründen den Vorsitz niedergelegt hatte, war dann die Obmannschaft auf den aus einer altösterreichischen Offiziersfamilie stammenden Linzer Richard von Helly übergegangen.
Eintreten für die Selbstbestimmung – Hilfe für die Südtiroler Häftlingsfamilien
Von Anfang an trat Richard von Helly öffentlich in Wort und Schrift für das Selbstbestimmungsrecht der Südtiroler ein.
Titelüberschrift in den Mitteilungen des „Bergisel-Bundes“ 1967.
Das „Hilfswerk für Südtirol“
Das zweite große Anliegen des Bergisel-Bund-Obmannes Richard von Helly war die finanzielle Unterstützung der in Not geratenen Südtiroler Häftlingsfamilien. Er gründete mit Unterstützung des Nordtiroler Landeshauptmann-Stellvertreters Dr. Hans Gamper ein „Hilfswerk für Südtirol“.
Der Erfolg der Spendensammlung war außerordentlich. Der Landesverband Wien-Niederösterreich hatte sich der Aktion angeschlossen. Außerdem war es gelungen, auch namhafte Tageszeitungen zu bewegen, die Spendenaufrufe zu veröffentlichen.
Eine große Aktion setzte der Chefredakteur und Herausgeber der „Kronen-Zeitung“, Hans Dichand.
Ein Vertreter des oberösterreichischen Bergisel-Bundes hatte zusammen mit dem bereits aus dem Gefängnis entlassenen Südtiroler Häftling Luis Egger den Chefredakteur und Herausgeber Hans Dichand im Pressehaus in Wien besucht und ihm die triste soziale Situation der allein gelassenen Häftlingsfamilien berichtet. Hans Dichand hatte, ohne zu zögern, den Redakteur Ernst Trost nach Südtirol geschickt und vor Ort recherchieren lassen. Das Ergebnis war eine mehrwöchige ergreifende und bedrückende Fortsetzungsserie in Form eines Bildberichtes gewesen. Redakteur Trost hatte mit Bild und Text auch ein schönes Beispiel seiner eigenen Menschlichkeit geliefert.
Der von den Carabinieri nahezu zum Krüppel geschlagene Freiheitskämpfer Luis Egger hatte den Chefredakteur und Herausgeber der „Kronen Zeitung“, Hans Dichand, in Wien besucht und ihm über die Lage der Häftlingsfamilien berichtet. Der mächtige Zeitungsmann ließ die Familien der Geschundenen nicht in Stich und ging seinen Landsleuten mit gutem Beispiel voran.
Hans Dichand eröffnete die Spendensammlung persönlich mit einer namhaften Spende. Und dann veröffentlichte die „Krone“ täglich die ehrenvollen Spendenlisten, die immer länger wurden und in die sich auch namhafte Personen und Firmen eintrugen. Hier zeigte sich, dass nicht nur die Nordtiroler, sondern die Österreicher in allen Bundesländern – vor allem auch in Wien – ein Herz für die in Not geratenen Südtiroler Landsleute hatten. Das Gesamtergebnis lag weit über einer Million Schilling und wurde dem Südtiroler SVP-Abgeordneten Hans Dietl übergeben.
Der Nordtiroler Landeshauptmann-Stellvertreter Dr. Hans Gamper (Tiroler ÖVP) hatte es sich nicht nehmen lassen, in den Mitteilungen des oberösterreichischen Bergisel-Bundes für die Selbstbestimmung Südtirols einzutreten und zur Hilfe für die Häftlingsfamilien aufzurufen.
Richard von Helly ließ auch eine Information zusammen mit einer Häftlingsliste an die Verbandsmitglieder verschicken, damit diese den Gefangenen im Kerker von Trient Unterstützungspakete senden konnten.
BIB Aufruf für Paketsendungen an Häftlinge im Kerker von Trient.
Unerschrockene Südtiroler Helferinnen
Rosa Gutmann (links) und Midl von Sölder (Mitte) riskierten viel, als sie die geheime Verbringung der Spendengelder nach Südtirol zur Übergabe an Hans Dietl (rechts) durchführten. Rosa Gutmann, die Schwester der inhaftierten Südtiroler Freiheitskämpfer Luis und Richard Gutmann aus Söll bei Tramin, hat zusammen mit der ehemaligen Katakombenlehrerin Midl von Sölder viele Spendengelder aus Österreich geholt. Weil es vor allem Spenden waren, welche die Bergisel-Bund-Landesverbände Oberösterreich und Wien-Niederösterreich-Burgenland gesammelt hatten, musste das Geld in Innsbruck geradezu „konspirativ“ übergeben werden. Der Bergisel-Bund galt den Italienern als „terroristische Vereinigung“ und Innsbruck war mit Spitzeln voll. Wären die Treffen bekannt geworden, wären Rosa Gutmann und Midl von Sölder wohl auch hinter Gittern gelandet. In Südtirol wurden die Gelder mit der Hilfe des SVP-Politikers Hans Dietl an die Häftlingsfamilien weitergeleitet. Die beiden Frauen übergaben in Innsbruck auch Berichte über das Los der Familien und ermöglichten es dadurch, dass in Österreich Unterstützung für die Familien organisiert werden konnte.
Richard von Helly erzwingt die Freilassung von Georg Klotz
Richard von Helly nahm sich aber auch der nach Österreich geflüchteten Südtiroler an und versuchte, ihnen nach Kräften zu helfen.
Dieses Bild zeigt links den nach Österreich geflüchteten Südtiroler Freiheitskämpfer Georg Klotz und rechts Richard von Helly.
Am 27. Januar 1966 ließ die österreichische Bundesregierung unter Bundeskanzler Dr. Josef Klaus (ÖVP), auf Ersuchen des italienischen Botschafters in Wien, über den nach Österreich geflüchteten Südtiroler Schützenmajor und Freiheitskämpfer Georg Klotz eine rechtswidrige Schubhaft verhängen. Rechtswidrig deshalb, weil in politischen Fällen gemäß der österreichischen Rechtslage eine Auslieferung und damit auch eine Schubhaft nicht zulässig war. Die Maßnahme wurde von damit begründet, daß Klotz dem deutschen Fernsehen gegenüber Erklärungen über Südtirol abgegeben und einem italienischen Journalisten ein Interview gewährt hatte.
Der Passeirer Schützenmajor und Freiheitskämpfer Georg Klotz (rechts im Bild).
Der in Linz in Schubhaft befindliche Freiheitskämpfer Georg Klotz teilte der Öffentlichkeit über seinen Anwalt mit, daß er sich entschlossen habe,
„zum Protest gegen die von mir sowohl widerrechtlich aus auch unwürdig empfundene Festhaltung mit 20. Februar, dem Jahrestag der Erschießung unseres Tiroler Freiheitshelden Andreas Hofer zu Mantua, in den Hungerstreik zu treten. Gott mit Südtirol!“
Aufgrund seines sich durch den Hungerstreik rapide verschlechternden Gesundheitszustandes mußte Georg Klotz aus dem Polizeigefangenenhaus Linz in das Spital der Barmherzigen Brüder gebracht werden, wo er den Hungerstreik fortsetzte.
Georg Klotz im Spital. Dieses Bild wurde heimlich von einem Journalisten aufgenommen.
Am 4. März 1966 hatte sich sein Gesundheitszustand soweit verschlechtert, dass er die Sterbesakramente erhielt.
Am 5. März 1966 demonstrierten mehrere hundert Menschen in Linz für seine Freilassung. Die Kundgebung, die von oberösterreichischen Bergisel-Bund-Obmann Richard von Helly angeführt wurde, legte den Verkehr der Innenstadt lahm. In Sprechchören wurde gefordert: „Klotz raus, Czettel rein!“ Czettel (SPÖ) war der damalige österreichische Innenminister.
Die Demonstration in Linz wurde von dem Bergisel-Bund-Obmann Richard von Helly (vorne links im Bild im hellen Mantel) angeführt und hatte politisch vollen Erfolg.
Vor der Polizeidirektion wuchs die Menschenmenge auf mehr als 1.500 Personen an.
Die Kundgebung fand ein enormes Echo in der österreichischen Presse und in ganz Österreich kam es zu Protesten gegen die Vorgangsweise der Regierung in Wien. Der Nordtiroler Landeshauptmann Eduard Wallnöfer (Tiroler ÖVP) gab öffentlich die Erklärung ab, dass er sich für die Freilassung des Freiheitskämpfers einsetzen wolle. Nun meldete sich notgedrungen auch der Bundeskanzler Dr. Klaus mit einem Telegramm, in welchem er die Freilassung ankündigte. Daraufhin brach Klotz seinen Hungerstreik ab. Die Schubhaft wurde am 14. März offiziell aufgehoben. Damit stand auch eine allfällige Auslieferung des Freiheitskämpfers an Italien nicht mehr zur Debatte.
Richard von Helly hatte sich jedoch damit den Bundeskanzler Dr. Josef Klaus (ÖVP) nicht zum Freund gemacht und sollte dies in der Folge zu spüren bekommen.
Bericht in den „Oberösterreichischen Nachrichten“ vom 7. März 1966. Die auf dem Foto ersichtliche Bekundung „Klotz ist uns lieber als Czettel“ besagte, dass die Kundgebungsteilnehmer offenbar den Innenminister Czettel und dessen Maßnahmen nicht sehr schätzten.
Richard von Helly würdigt den Südtiroler Freiheitskampf und zeigt die soziale Notlage vieler Südtiroler auf
Schlagzeile in den „Oberöstereichischen Nachrichten“ vom 12. Dezember 1966
Richard von Helly legte am 17. Dezember 1966 in einem vielbeachteten Artikel in der auflagenstärksten westösterreichischen Tageszeitung „Oberösterreichische Nachrichten“ bemerkenswerte Zahlen und Fakten vor: Die von dem italienischen Staat geförderte und durchgeführte Unterwanderung habe den Anteil der Italiener von 3% im Jahre 1918 auf mehr als 36% im Jahre 1960 steigen lassen. Bei den öffentlichen Stellen und weitgehend auch in der Industrie erhielten die Südtiroler keine Arbeitsplätze während die Italiener bei der Staatsbahn bereits 93% der Posten innehätten, bei der Justiz 87 %, bei der Post 79% und bei der Quästur (Polizei) 99%. Dadurch würden vor allem junge Südtiroler zur Auswanderung gezwungen.
Man schätze derzeit die in der BRD, in Österreich und in der Schweiz beschäftigten Südtiroler Jungarbeiter auf 10.000. Die italienischen Arbeiter der von Mussolini errichteten Industriezone von Bozen, die nach dem Krieg kräftig ausgebaut wurde, bewohnten 96% aller mit Steuergeldern erbauten Volkswohnungen.
Die von Italien „mit der grausamen Waffe der sozialen Benachteiligung geführte Italianisierungspolitik“ hätte bis zum Jahre 1973 rein rechnerisch eine italienische Mehrheit von 51% geschaffen, wenn „nicht etwas Unvorhergesehenes“ eingetreten wäre. „Vor diesem brutalen Hintergrund muss man nun die 1961 beginnenden Verzweiflungsaktionen sehen, seit deren Einsätzen die italienische Unterwanderung immerhin nahezu zum Erliegen gekommen ist. Von 1960 bis 1964 hat nämlich der Anteil der Italiener nur mehr um ein Zehntel Prozent zugenommen. Sosehr Italien jetzt auch weiterhin die Verhandlungen verschleppt – die Zeit arbeitet nicht mehr gegen die Südtiroler.“
Auch mit dieser Würdigung des Südtiroler Freiheitskampfes machte sich Richard von Helly keine Freunde in der österreichischen Bundesregierung.
April 1967: Südtirol-Woche des OÖ Bergisel-Bundes: Tausende Oberösterreicher fordern Selbstbestimmungsrecht für Südtirol
Die Teilnehmer an den Veranstaltungen der Südtirolwoche erhielten ein Abzeichen mit der darauf stehenden Forderung nach Selbstbestimmung in Südtirol.
Ankündigung der Südtirolwoche in den Mitteilungen des OÖ Bergisel-Bundes
Zum Abschluss einer Südtirolwoche veranstaltete der Bergisel-Bund unter der Leitung seines Obmannes Richard von Helly am 29. April 1967 eine Großkundgebung in Linz. Mehr als 5.000 Menschen zogen in einem Fackelzug, in dem allein 5 Musikkapellen altösterreichische Märsche spielten, zum Platz vor dem Landhaus. Dabei wurden Transparente mitgetragen die folgende Aufschriften zeigten: „Afrika ist frei, Südtirol eine Kolonie!“, „Tirol – von Kufstein bis Salurn!“. Vor dem Landhaus wuchs die Teilnehmerzahl auf mehr als 8.000 Menschen an.
An der Kundgebung nahmen auch der Südtiroler Jörg Klotz in der Uniform eines Schützenmajors und andere führende Vertreter der Südtiroler Freiheitskämpfer teil. Vor Tausenden Menschen wurde ein Grußtelegramm des stellvertretenden Landeshauptmannes von Nordtirol, Dr. Hans Gamper (Tiroler ÖVP) verlesen. Dort hieß es: „Die natürliche Grenze Italiens verläuft bei Salurn und nicht am Brenner!“
Der Nordtiroler Landeshauptmann-Stellvertreter Dr. Hans Gamper hatte den Kundgebungsteilnehmern eine eindeutige Botschaft gesandt und die von der italienischen Justiz verfolgte Rosa Ebner forderte auf der Abschlusskundgebung das Selbstbestimmungsrecht für ihre Südtiroler Heimat.
Die Südtirolerin Rosa Ebner, Angeklagte im zweiten Mailänder Südtirol-Prozess und Schwester eines Häftlings, rief die Österreicher zu Treue für Südtirol auf und forderte ein entschiedeneres Eintreten für das Selbstbestimmungsrecht.“
Bildbericht in den „Oberösterreichischen Nachrichten“ vom 2. Mai 1967.
Richard von Helly informiert die österreichische Bundesregierung über die Folterung von Österreichern – Bundeskanzler Dr. Klaus reagiert nicht
Anfang des Jahres 1968 erfuhr der Bergisel-Bund OÖ, dass die am 12. September 1967 in Südtirol verhafteten Österreicher Karl Schafferer und Hansjürgen Humer sowie der am 20. August 1967 verhaftete Österreicher Andreas Egger von den Carabinieri schwerstens gefoltert worden waren.
Italienische Pressemeldung vom 14. September 1967 über die Verhaftung der Österreicher Schafferer und Humer.
Ein Ende Januar 1968 mit der Mutter des einen Verhafteten, Frau Amalie Humer, in Innsbruck aufgenommenes Protokoll bestätigte den Tatbestand. Am 29. Februar 1968 übersandte Bergisel- Bund-Obmann Richard von Helly das Protokoll an Bundeskanzler Dr. Klaus (ÖVP) und in Ablichtung an Außenminister Kurt Waldheim (ÖVP).
Ausschnitte aus dem Brief an Bundeskanzler Dr. Josef Klaus (ÖVP) und dem beiliegenden Protokoll über die Folterung des Hansjörg Humer.In dem Begleitbrief an Bundeskanzler Dr. Klaus heißt es auch über die Folterung des Österreichers Andreas Egger: „Wie wir von Häftlingsfamilien in Südtirol erfahren konnten, wurde Egger 7 Tage lang von den Carabinieri gefoltert und verhört. Als Egger am 27. August dann in das Gefängnis eingeliefert wurde, bot er einen erbarmungswürdigen Anblick. Er war blutig zerschlagen und seine Kleider waren zerfetzt. In den ersten Tagen war Egger nicht imstande, die ihm erlaubte Stunde Spaziergang im Gefängnishof zu absolvieren. Egger mußte von Kameraden (gefangenen Südtirolern) auf einer improvisierten Tragbahre in den Hof hinuntergetragen werden, damit er überhaupt an die frische Luft kam. Weitere 10 Tage konnte sich Egger nicht fortbewegen, ohne gestützt zu werden. Egger hat mittlerweile Anzeige gegen seine Folterer erstattet und die Staatsanwaltschaft Bozen hat ihn als Antwort wegen Verleumdung geklagt. Wir haben Ihnen, sehr verehrter Herr Bundeskanzler, diese Tatsachen mitgeteilt, da wir der festen Überzeugung sind, daß Sie es nicht dulden werden, daß seitens italienischer Polizeibehörden in derartiger Weise mit unseren Staatsbürgern umgesprungen wird.“
An Außenminister Waldheim schrieb Richard von Helly: „Wir setzen unser ganzen Vertrauen in Sie, Herr Minister, daß Österreich nicht eigene Staatsbürger ohne ein Wort des Protestes den grausamsten Foltermethoden ausgesetzt sein lässt.“
Wien schwieg jedoch und duldete die Folterung eigener Staatsbürger. Weder der Bundeskanzler noch der Außenminister hatten den Anstand, zu antworteten. Sie bestätigten nicht einmal den Erhalt der ihnen übermittelten Unterlagen.
Es erfolgte kein Protest gegenüber Italien. Weder an Frau Humer, noch an die in Lienz lebende Mutter von Egger trat irgendeine österreichische Dienststelle heran, um die Mitteilungen des Bergisel-Bundes zu verifizieren.
Die Revanche der Bundesregierung wurde zum Eigentor
Auf die Folterungen österreichischer Staatsbürger hinaus hatte die allerchristlichste und Rom sehr ergebene österreichische Bundesregierung unter Bundeskanzler Dr. Josef Klaus (ÖVP) nicht im Geringsten reagiert. Sehr wohl aber reagierte sie zum passenden Zeitpunkt gegenüber dem in der Südtirol-Frage so lästigen Bergisel-Bund-Obmann Richard von Helly.
Eine Gruppe von Südtirol-Freunden hatte in Feldkirch (Vorarlberg) eine Kundgebung für die Freilassung der beiden nach Österreich geflüchteten Südtiroler Freiheitskämpfer Sepp Forer und Heinrich Oberlechner geplant. Diese wurden in Feldkirch auf Wunsch Roms und auf Geheiß der österreichischen Bundesregierung in rechtswidriger Auslieferungshaft gehalten. Nach der österreichischen Rechtsordnung war allerdings in politischen Fällen eine Auslieferung nicht möglich.
Auf Wunsch der Vorarlberger Freunde wollte der oberösterreichische Bergisel-Bund-Obmann Richard von Helly zusammen mit einigen Freunden nach Vorarlberg fahren, um an der dortigen Demonstration teilzunehmen.
Am 11. Mai 1968 nahm die Staatspolizei auf Weisung des Innenministeriums in Linz den Obmann des Bergisel-Bundes Ing. Richard Helly und vier seiner Mitarbeiter unter dem Vorwand fest, diese hätten eine gewaltsame Befreiung der in Vorarlberg inhaftierten Südtiroler aus dem Gefängnis in Feldkirch geplant gehabt. Auch der Öffentlichkeit wurde dies weisgemacht. Entsprechend war das Presseecho.
Am 13. Mai 1968 berichteten die „Oberösterreichischen Nachrichten“ über die Verhaftung des Bergisel-Bund-Obmannes Richard von Helly und gaben in der Überschrift den absurden Vorwurf der Staatspolizei wieder.Die Anschuldigung war so lächerlich, dass das Landesgericht in Linz bereits nach wenigen Tagen wieder die Entlassung verfügte. Die Staatspolizei hatte keine Beweise für ihre Behauptung beibringen können. Das Verfahren wurde still und leise eingestellt.
Am 18. Mai 1968 musste das ÖVP-Organ „Linzer Volksblatt“ berichten, dass das Landesgericht Feldkirch bereits die Enthaftung der Linzer Bergisel-Bund-Leute angeordnet hatte. Man hatte in Feldkirch die Absurdität und Unhaltbarkeit der staatspolizeilichen Vorwürfe erkannt.
Mit ihrer Revanche gegen den lästigen Richard von Helly hatte sich die Wiener Bundesregierung ein Eigentor geschossen. Angesichts der medialen Aufmerksamkeit mussten auch die beiden rechtswidrig inhaftierten Südtiroler enthaftet werden. Auch der Tiroler Landeshauptmann Wallnöfer hatte nun öffentlich ihre Freilassung gefordert. Die Verhaftungen, die Proteste und die Zeitungs- und Fernsehberichte hatten einen so großen Wirbel in der Öffentlichkeit ausgelöst, daß an eine schnelle rechtswidrige Auslieferung der beiden Südtiroler an Italien nicht mehr zu denken gewesen war.
Richard von Helly hatte sich nicht einschüchtern lassen
Richard von Helly hatte damals die Vorgangsweise der Staatspolizei mit Gelassenheit und Ironie hingenommen. Er setzte seine karitative und politische Tätigkeit für Südtirol ungebrochen fort. Ihn hatte die Rom-hörige Bundesregierung unter dem Kanzler Dr. Josef Klaus (ÖVP) durch eine solche Vorgangsweise nicht einschüchtern können.
Am 22. März 1970 setzte ein schwerer Autounfall seinem Leben ein Ende.
Seine Freunde, die ihn näher gekannt haben, gedenken dieses selbstlosen Idealisten heute noch in Trauer!
Abschied von Winfried Matuella
Dankbare Erinnerung an einen selbstlosen Patrioten:
Winfried Matuella, ehemaliger Obmann des Andreas Hofer-Bundes Tirol
An dem Begräbnis von Winfried Matuella am 29. Februar 2020 in Hötting-Innsbruck nahm der Herausgeber des SID, Georg Dattenböck, teil.
Dattenböck berichtet:
Im Befreiungskrieg von 1809 war Hötting schwer umkämpft und war bis zum Jahre 1938 eine selbständige und auch die größte Flächengemeinde Österreichs. Seit 1938 ist nun Hötting der nördliche Stadtteil von Innsbruck. An der Außenmauer der gotischen Pfarrkirche, die erstmals 1286 urkundlich erwähnt wurde, fand nun der unermüdliche christliche Kämpfer für das Menschenrecht und für die Einheit Tirols, der ehemalige Obmann und Ehrenobmann des Andreas Hofer-Bundes für Tirol, Ing. Winfried Matuella, seine letzte Ruhestätte. Um 11 Uhr am 29. Februar 2020, begannen die Glocken Alt-Höttings zu läuten.
Von weither kamen die vielen Trauernden angereist: eine Abordnung der „Unabhängigen Schützenkompanie Major Giuseppe de Debetta“ aus Trient, Schützen aus der Valsugana, die „Sängervereinigung Wolkensteiner“ aus dem Grödnertal, die zu Ehren Matuellas in der Kirche herrlich auch in ladinischer Sprache sang, sowie politische Vertreter aus Südtirol: Eva und Barbara Klotz, Sven Knoll, Bernhard Zimmerhofer, Roland Lang, Meinrad Berger u.v.a. Weggefährten.
Auch der Südtirolsprecher der Freiheitlichen Partei (FPÖ), Nationalratsabgeordneter Peter Wurm, erwies dem Verstorbenen die letzte Ehre.
Der neue Südtirol-Sprecher der FPÖ im Nationalrat, Peter Wurm und der Ex-Nationalratsabgeordnete und Südtirol-Sprecher Werner Neubauer waren ebenfalls gekommen. Fahnenabordnungen der für Gesamttirol stehenden „Alt Tyroler Schützen“ und viele weitere Freunde und Weggefährten aus Österreich, aus Bayern eine Abordnung des „Andreas-Hofer-Bundes“ mit dem Obmann Hermann Unterkircher, sowie eine Fahnenabordnung der Gruppe Saar-Pfalz, begleiteten den Pfarrer Hermann Röck von Hötting und die trauernde Familie Matuella zum Grab.
Am 15.8.2019 war Ing. Winfried Matuella von den Landeshauptmännern Arno Kompatscher und Günter Platter die „Goldene Verdienstmedaille des Landes Tirol“ feierlich überreicht worden.
Verständnislos und betroffen mussten alle Freunde des Toten zur Kenntnis nehmen, daß kein Vertreter des offiziellen Süd- und Nord-Tirols und auch der „Österreichischen Volkspartei“, der Matuella Jahrzehnte lang angehört hatte, zum Abschiednehmen die Zeit fanden.
Ehrender Nachruf von Hermann Unterkircher,
Bundesvorsitzender Andreas Hofer Bund e.V. Deutschland
Unter großer Anteilnahme wurde der Ehrenobmann und Träger des Tiroler Verdienstordens Ing. Winfried Matuella im Höttinger Friedhof zu Grabe getragen.
Zahlreiche Politiker, unter anderem von der „Südtiroler Freiheit“ Sven Knoll vom Südtiroler Landtag, Peter Wurm, Südtirolsprecher der FPÖ und Nationalratsabgeordneter vom österreichischen Parlament, Nationalrat a.D. Werner Neubauer, Obmann Roland Lang und Vizeobmann Meinrad Berger vom Südtiroler Heimatbund, Frau Dr. Eva Klotz, ehemalige Abgeordnete vom Südtiroler Landtag, Oberst a.D. Dr. Peter Aumüller, und Bernhard Zimmerhofer begleiteten den lieben Verstorbenen auf seinen letzten Weg.
Dr. Herlinde Molling, ehemalige Freiheitskämpferin, Georg Dattenböck vom Forum „Tiroler Informationsdienst“ und auch Barbara Klotz, die Geschäftsführerin der „Südtiroler Freiheit und der Landeskommandant der Welschtiroler Schützen, Enzo Cestari, ließen es sich nicht nehmen, sich zu den Trauergästen einzureihen.
Die Trauergemeinde in der Kirche
Familienmitglieder, Vereinsvorstände und Freunde, Fahnenabordnungen und Bekannte begleiteten ihn auf seinem letzten Weg. Sieghard Matuella, der Bruder des Verstorbenen, verlas in der vollbesetzten alten Höttinger Kirche einen Abriss seines Lebens. Anschließend hielt Pfarrer Hermann Röck den Trauergottesdienst. Musikalisch umrahmt vom Männerchor Sängervereinigung „Die Wolkensteiner“.
Bei der Aussegnung am Familiengrab, intonierte die Sängervereinigung den „Guten Kameraden“ und die Tiroler Landeshymne, bevor 3 Schützen der Schützenkompanie „Major Guiseppe de Betta“ aus Trient eine Ehrensalve schossen.
Mitglieder der Schützenkompanie Major Guiseppe de Betta Trient schossen einen Ehrensalut
Nachdem die Fahnenabordnungen vom AHB Tirol, AHB e.V. Deutschland, Schützenkompanie „Alt Tyroler Schützen Andreas Hofer“ und die Schützenkompanie Major Guiseppe de Betta Trient zur Ehrerbietung die Fahnen über den Sarg senkten, würdigte der Obmann des AHB Tirol Alois Wechselberger den Verstorbenen als Tiroler Patrioten, als Kenner der Geschichte Südtirols, über die Tätigkeit im und für den AHB Tirol, und vorbildlichen Obmann, dessen schwere Aufgabe er letztes Jahr gerne übernommen hat und im Sinne des Verstorbenen weiterführen wird.
Der Obmann des AHB Tirol, Alois Wechselberger, würdigte in seiner Rede den Verstorbenen
Der Bundesvorsitzende des AHB e.V. Deutschland Hermann Unterkircher machte einen kurzen Abriss über die hervorragende Zusammenarbeit der beiden Bünde, hob die hohe Kenntnis der Lage in Südtirol hervor und berichtete über die gemeinsamen Besuche im österreichischen Parlament in Wien, im Rathaus Linz mit Nationalrat Werner Neubauer und an den verschiedenen Versammlungen und Schützentreffen.
Der Bundesvorsitzende des AHB e.V. Deutschland Hermann Unterkircher bei seiner Grabrede
Pfarrer Hermann Röck nahm die Segnung vor.
Nach der Kranzniederlegung und einen Marienlied, gesungen von der Sängervereinigung „Die Wolkensteiner“, beendete Pfarrer Hermann Röck mit dem Segen die ergreifende Trauerfeier.
Möge er ruhen in Frieden.
Ehrender Nachruf von Roland Lang,
Obmann des Südtiroler Heimatbundes (SHB)
Roland Lang, Obmann des SHB
Am 16. Februar ist der Ehrenobmann des Andreas Hofer Bundes für Tirol, Winfried Matuella nach längerer Krankheit verstorben. Zeit seines Lebens setzte sich der Innsbrucker für die Tiroler Landeseinheit ein und arbeitete dazu eng mit den patriotischen Kräften im südlichen Tirol zusammen, so Heimatbund-Obmann Roland Lang.
Nach der Pflichtschule besuchte Matuella in seiner Vaterstadt die fünfjährige Höhere Technische Lehranstalt, Abteilung Hochbau. Nach dem Militärdienst, zu dem er im Oktober 1956 einberufen wurde, bildete er sich ab Jänner 1962 ein Vierteljahrhundert lang beim Bundesheer (Grenzschutzkompanie Süd) weiter.
Beruflich hatte Matuella längst schon Fuß gefasst und war als Bauleiter im Hoch-, Tief- und Tunnelbau bei verschiedenen Auftraggebern und -nehmern tätig.
Der überzeugte Tiroler war seit dem 7. Februar 2003 beim Andreas-Hofer-Bund Tirol aktiv. Durch seine Gewissenhaftigkeit konnte er dort sein Wissen als stellvertretender Schriftführer und später als Schriftführer einsetzen. Im April 2010 wurde er zum Geschäftsführer ernannt, ehe er im 15. Oktober 2012 die Obmannschaft übernahm. Im Jahre 2019 gab er diese an Alois Wechselberger ab und wurde daraufhin zum Ehrenobmann des Andreas Hofer Bundes ernannt.
Als einer der Höhepunkt seiner fast eineinhalb Jahrzehnte langen Tätigkeit für den Andreas-Hofer-Bund Tirol kann die Teilnahme am Tiroler Landesfestumzug 2009 angesehen werden. Das Motto „Geschichte trifft Zukunft“ kann richtungsweisend sein, wenn eines Tages Tirol wieder vereint wird und damit vielleicht der Herzenswunsch des Verstorbenen in Erfüllung geht.
Einladungsplakat für die Bozener Dauerausstellung über den „Befreiungsausschuss Südtirol“ (BAS) und den Freiheitskampf der 1960er Jahre in Südtirol. Winfried Matuella hatte an der Ausstellung mitgearbeitet und hatte einige Jahre auch als Verantwortlicher dafür gezeichnet. (Klicken Sie bitte auf das Bild um nähere Informationen zur Ausstellung zu erhalten.)
Im Jahre 2019 wurde Matuella für seinen selbstlosen Einsatz für die Heimat mit der Verdienstmedaille des Landes Tirol geehrt. Nicht vergessen werden darf auch die Mitarbeit des Verstorbenen beim Aufbau der Ausstellung BAS- Opfer für die Freiheit, für die er einige Jahre auch verantwortlich war.
Der Südtiroler Heimatbund nimmt aufrichtig Anteil am Schmerz der Familienangehörigen, den diese durch den Tod von Winfried erlitten haben. Möge sein Einsatz für die Stärkung der Tiroler Identität und Kultur reife Früchte tragen!
Die Fahnen senkten sich vor dem Sarg
Der ehemalige Südtirolsprecher der FPÖ, Nationalratsabgeordneter a.D. Werner Neubauer, in stillem Gedenken an den Toten
Die ehemalige Südtiroler Landtagsabgeordnete Dr. Eva Klotz, Tochter des Freiheitskämpfers Georg Klotz, am Sarg des Verstorbenen.
Der Südtiroler Landtagsabgeordnete Sven Knoll (Süd-Tiroler Freiheit) am Sarg des Verstorbenen.
Die Abschiedsrede im Namen der Familie hielt der Bruder des Verstorbenen, Sieghard Matuella
Liebe Rita, liebe Verena, liebe Uli und lieber Roland!
Liebe trauernde Enkelkinder und liebe Familie!
Geschätzte in Trauer versammelte Freunde aus allen Teilen Tirols!
Als ich meinen Bruder Winfried zum letzten Mal besuchte, haben wir, wie könnte es anders sein, auch über einen Mann gesprochen, dessen Leben und Wirken er wie kaum ein anderer kannte und über den er in seinen unzähligen Sandwirtsbriefen begeistert und überzeugend berichtet hat, über Andreas Hofer.
Dessen letzten Brief aus Mantua, dieses ergreifende Zeugnis eines dem Tod Geweihten, konnte er fast zur Gänze auswendig zitieren, auch den letzten Satz: „Ade, meine schnöde Welt, so leicht kommt mir das Sterben vor, dass mir nicht die Augen nass werden“. Ich hatte das Gefühl. Winfried wusste um seinen nahen Tod, er hat ihm gefasst ins Auge gesehen und gläubig, so wie Andreas Hofer im gleichen Brief schreibt, wohl auch gedacht: „In der Welt lebet alle wohl, bis wir im Himmel zusammenkommen“.
Andreas Hofers letzter Gang. Gemälde von Karl Karger.
Wir haben uns heute in dieser schönen Alten Höttinger Kirche, die so viele Verbindungen zu unserer Familie birgt, versammelt, um von Winfried Abschied zu nehmen. Dabei gehen unsere Gedanken zurück auf sein reiches, erfülltes und buntes Leben mit allen seinen Höhen und Tiefen.
Seine Tochter Uli hat es aufgezeichnet und mich als Bruder und Chronist der Familie gebeten, es zu ergänzen und hier vorzutragen.
Winfried Karl Adolf wurde als zweites von vier Kindern von Alfred und Herta Matuella am 19. Februar 1937 in Innsbruck geboren. Sein zweiter und dritter Vorname weisen auf seine Großväter Karl Matuella und Adolf Giersig hin.
Seine Verbundenheit mit Südtirol wurde ihm wohl schon in die Wiege gelegt. Unsere Vorfahren stammen aus dem Bozner Unterland, wo Urgroßvater Simon Mesner in Vill bei Neumarkt und Zimmermann war und Großvater Karl seinen Dienst bei der Post in Bozen begann und dort ein Standardwerk für den Postdienst, das zweisprachige Postlexikon für Tirol, Vorarlberg und Liechtenstein verfasste.
Als die ersten Bomben auf Innsbruck fielen, zog die Familie nach Umhausen im Ötztal und Winfried besuchte dort die ersten zwei Klassen der Volksschule.
Einmal bin ich dort als vierjähriger Knirps leichtsinnig in einen Bach gerodelt – aber mein großer Bruder hatte aufgepasst und hat mich beherzt aus dem kalten Wasser gezogen. Danke Winni, eine Lebensrettungsmedaille hat es damals noch nicht gegeben.
Zurück in Innsbruck setzte er seinen Bildungsweg an der Volksschule Mariahilf, an der Hauptschule Hötting und an der Höheren Technischen Lehranstalt für Bauwesen in der Anichstraße fort. Als Praktikant im Architekturbüro unseres Vaters wirkte er an der Umgestaltung des Sandhofes zu einem Andreas-Hofer-Museum und an der Renovierung der Andreas-Hofer-Kapelle beim Sandhof in St. Leonhard im Passeier mit.
Dass das Andenken an Andreas Hofer im Lande hochgehalten werde, war Winfried Matuella stets ein Anliegen
Unbeschwerte Ferienwochen durften wir bei Freunden unseres Vaters am Ritten verbringen. Dass wir dafür eine Zeit lang um ein Visum im italienischen Konsulat ansuchen mussten und dass es am Ritten auch in den 50er Jahren noch hitzige Debatten zwischen den Optanten und den Dableibern gab, hat uns schon als Kinder und Jugendliche mit der Südtirol Problematik hautnah vertraut gemacht.
In Innsbruck war er ein aktives Mitglied der Pfarre Mariahilf Er war Ministrant, spielte Theater, war Gruppenführer in der katholischen Jugend und stieg bis zum Dekanatsführer- Stellvertreter auf.
Während dieser Zeit in Mariahilf entstanden Freundschaften, die ein Leben lang hielten und viel Geselligkeit mit sich brachten. Ein fixer Bestandteil war der alljährliche Maiausflug nach Südtirol, den Winfried organisierte und mit seinem reichen Wissen über das Land bereicherte. So war für das geistige aber auch das körperliche Wohl immer bestens gesorgt.
Am 14 Oktober 1955 rückte er zum Militärdienst beim wiederhergestellten Österreichischen Bundesheer ein. Sein Jahrgang 1937 war der erste, der gemäß der allgemeinen Wehrpflicht eingezogen wurde. Winfried diente freiwillig 15 Monate und rüstete als Zugsführer ab. In der Folge wurde er wieder zur neu gegründeten „Grenzschutzkompanie Süd“ gerufen und mußte bis zu seinem 52sten Lebensjahr jährlich 8 Tage als Kommandant eines der 4 Züge fungieren
In dieser Zeit lernte er auch seine spätere Frau Rita Widmoser kennen und lieben, sie verlobten sich im September 1960 und heirateten am 19. August 1961 in der Mariahilfer Kirche. Früchte dieser Verbindung waren die zwei Töchter Verena 1964 und Ulrike 1973. …
Als fürsorglicher Vater und Großvater verfolgte er die Familiengründungen seiner Töchter und die Geburt und den Werdegang seiner Enkelkinder mit wärmsten Interesse, es sind, so wie bei ihm, alles Mädchen: 1994 Julia, 1996 Lisa, 1999 Sophie und 2007 Viktoria.
Beruflich blieb er dem Erlernten immer treu, er arbeitete als umsichtiger Bauleiter bei namhaften Tiroler Firmen im Hoch- und Tiefbau und versuchte sich auch als selbständiger Unternehmer in baulichen Fachgebieten und später im Immobilien-Geschäft seiner Frau Rita. Im Jahr 2002 trat er mit 65 Jahren in den Ruhestand.
Neben seinem Beruf erfüllte er viele ehrenamtliche Funktionen in Politik und Gesellschaft. Er war „Alter Herr“ bei der Akademisch Musischen Verbindung in Innsbruck und investierte viel Arbeit in den Ausbau deren Heimstätte in der Kirschentalgasse. Weiters war er Mitglied der Österreichischen Volkspartei, der Arbeitsgruppe für Selbstbestimmung in Bozen, des Südtiroler Heimatbundes und der Gesamt Tiroler Bewegung Südtiroler Freiheit.
Publikation der „Arbeitsgruppe für Selbstbestimmung“ in Bozen, deren tätiges Mitglied Winfried Matuella war.
Im Jahre 2003 trat er dem Andreas Hofer Bund bei; wirkte zunächst als Schriftführer und übernahm im Oktober 2012 das Amt des Obmannes. Diese seine Tätigkeit wird nach dem Gottesdienst von berufener Seite noch gewürdigt werden.
Im Dezember 2018 änderte sich schlagartig alles, Winfried bekam die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs. Es folgte ein längerer Klinikaufenthalt mit Chemotherapie, sie musste wegen eines Infektes abgebrochen werden. Er wurde in die häusliche Pflege entlassen und man sprach nur noch von Wochen an verbleibender Lebenszeit.
Aber da zeigte sich Winfried als Kämpfer und gab nichts auf diese Prognosen. … Er begann seine Beine zu trainieren und schon bald konnte er sich ohne Gehhilfe wieder durch die Wohnung bewegen.
Körperlich stärker und begleitetet von seinen beiden Töchtern konnte er am Hohen Frauentag 2019 aus den Händen beider Landeshauptleute im Landhaus die ihm verliehene Verdienstmedaille des Landes Tirol entgegennehmen. Sicherlich ein Höhepunkt in seinem Leben.
Die Verdienstmedaille des Landes Tirol
Es folgten vier gute Monate, in denen er schmerzfrei und gut umsorgt von seiner Frau Rita und seiner Tochter Uli, unterstützt vom Netzwerk Tirol und vom Mobilen Hospizteam, den Alltag genießen konnte. Zu Weihnachten schmückte er noch wie gewohnt den großen Christbaum, stellte die Krippe auf und las das Weihnachtsevangelium vor.
Das neue Jahr brachte leider wieder eine Verschlechterung seines Zustandes und die wiedergewonnene Kraft schwand erschreckend schnell. In seiner letzten Woche hatte man den Eindruck, dass sein Geist bereit war zu gehen, in seinem Körper aber noch zu viel Leben steckte.
Am 16. Februar konnte er dann friedlich im Beisein seiner Frau eingeschlafen.
Winfried konnte das Leben genießen. Er haderte nicht mit Dingen, die ihm nicht mehr möglich waren, sondern er freute sich über alles, was er wieder schaffte. Die Krankheit hat auch nie seinen Geist gebrochen, er war bis zum Schluss klar und bei vollem Verstand und behielt allen Problemen zum Trotz seinen Humor.
Seine Fürsorge, Hilfsbereitschaft und Tatkraft, seine Geselligkeit und Menschlichkeit, sein Patriotismus und sein geschichtliches Wissen, seine bemerkenswerte Rhetorik und sein kluges Taktieren bleiben unvergesslich.
Jeder von uns hat seine eigene Erinnerung an unseren lieben Verstorbenen.
Betet für ihn und bewahrt ihn in euren Herzen!
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Die Familie des Verstorbenen auf dem Friedhof. Im Vordergrund links sein Bruder Sieghard Matuella.
Schließen wir dieses Gedenken mit einigen Worten, die Winfried Matuella am 22. November 2014 auf der Jahreshauptversammlung der „Europa-Union Tirol“ in Brixen sprach:
„Keine Macht der Erde kann einem Volk das Menschenrecht der Selbstbestimmung, darüber wohin es gehören möchte, auf die Dauer vorenthalten, auch Italien und schon gar nicht die SVP den Südtirolern, aber wollen und verlangen muss man dieses Recht.
Zugegeben, einiges mag wie ein Traum bzw. wie eine Vision erscheinen. Aber Träume und Visionen kann man, wenn man den nötigen Willen und die nötige Kraft dazu besitzt, verwirklichen.“