10. Oktober 1920: Südtirol abgetrennt und geknechtet
Nach der militärischen Besetzung des wehrlosen Landes im November 1918 hatte Rom umgehend begonnen, vollendete Tatsachen zu schaffen und Südtirol einen äußerlich italienischen Anstrich zu verpassen.
Die deutschen Ortsschilder wurden nun durch italienische mit den von dem Faschisten Tolomei erfundenen Namen ersetzt.
Die Carabinieri schritten am 9. Mai 2020 ein, als auf dem „Gautag der katholischen Jugendvereine“ in Bozen kirchlich gesegnete Tiroler Fahnen im Festzug mitgeführt wurden. Dies musste die Zeitung „Der Tiroler“ am 11. Mai 2020 berichten.
Große Volkskundgebungen, auf denen die Selbstbestimmung oder zumindest eine Selbstverwaltung im Rahmen einer Autonomie gefordert wurden, blieben durch die römische Politik völlig unbeachtet.
Die schrittweise Einverleibung Südtirols in den italienischen Staat hat der „Südtiroler Heimatbund“ (SHB), eine von ehemaligen Freiheitskämpfern und politischen Häftlingen gegründete Vereinigung, welche für die Selbstbestimmung eintritt, in Zeitungsinseraten in den „Dolomiten“ und der „Zeitung am Sonntag“ eindrücklich dokumentiert:
Der Vollzug der Annexion am 10. Oktober 1920
Die deutsche Presse in Nord- und Südtirol berichtete am 10. Oktober 1920 voll Trauer über die an diesem Tage offiziell vorgenommene Zerreißung des Landes und veröffentlichte einen Aufruf der politischen Parteien, in welchem diese „die unerschütterliche Hoffnung“ und Zuversicht äußerten, dass einmal der Tag kommen werde, „an welchem uns Gerechtigkeit und weitschauende Politik die nationale Befreiung bringen“ werden.
Für Südtirol brach bald die schreckliche Zeit des Faschismus heran. Auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges sollte die Politik der Unterdrückung und der geförderten Zuwanderung aus dem Süden fortgesetzt werden.
Das Ziel war unverändert geblieben: Aus Südtirol kulturell und ethnisch ein mehrheitlich italienisches Land zu machen.
Erst der Widerstand der 1960er Jahre schuf auf politischer Ebene dringlichen Handlungsbedarf und führte letztendlich zu dem heutigen verbesserten Autonomiestatut.
Italien rühmt sich, dass die Einigung des Staates durch Volksabstimmungen in den betroffenen Regionen und Provinzen zustande gekommen sei. Das stimmt, bis auf zwei Ausnahmen:
Bis heute hat Rom nicht gewagt, Volksabstimmungen über die staatliche Zugehörigkeit in Südtirol und in Welschtirol (dem heutigen „Trentino“) durchzuführen.
„Die Deutschen brauchen keine Schulen“
So lautet der Titel eines auf zeitgeschichtlichen Dokumenten beruhenden Dokumentarwerkes über die Geschichte des Schulwesens in Südtirol vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis in unsere Gegenwart.
Herausgegeben wurde die neue Publikation unter leitender Betreuung durch die Südtiroler Historikerin Dr. Margareth Lun vom Verein Südtiroler Geschichte und dessen Obmann Roland Lang.
Den Anstoß, ein solches Dokumentarwerk zu schaffen, bildete ein handgeschriebenes Schulbuch aus dem Jahr 1914, das dem Heimatforscher Karl Saxer zugekommen war. Es handelt sich um eine Sammlung von handgeschriebenen Texten von Schülern, die der damalige Lehrer, Organist und Chorleiter Josef Lechner in Buchform hat binden lassen und die ein einzigartiges Zeugnis der Schulkultur jener Zeit darstellen. Dieses bemerkenswerte Zeitdokument ist ausschnittweise in der vorliegenden Dokumentation wiedergegeben. Das Original befindet sich nun im Heimatmuseum Steinegg.
Dieses alte Schulbuch hatte die Herausgeber und Mitarbeiter an dem vorliegenden neuen Dokumentarwerk dazu bewegt, die weitere Entwicklung der deutschen Schule in Südtirol in den darauf folgenden Jahrzehnten zu untersuchen und anhand von Dokumenten und Zeitzeugenschilderungen darzustellen.
„Die Deutschen brauchen keine Schulen und wir brauchen auch keine Deutschen!“ “
Diese Worte warf der damalige italienische Vizepräfekt Giuseppe Bolis einer Abordnung deutscher Eltern an den Kopf, die im Oktober 1923 von ihm Aufklärung über den geplanten Abbau der deutschen Volksschulen und deren Ersetzung durch italienische Schulen begehrten.
Am 26. Oktober 1923 meldeten die „Bozner Nachrichten“, dass das regierungsamtliche Nachrichtenblatt „Gazzetta Ufficiale“ bekannt gegeben habe, dass ein neues „Volksschulen-Dekret“ der Regierung verfügt habe, dass in allen „Elementarschulen des Königreichs“ der Unterricht „in der Staatssprache erteilt“ werde.
Am 3. November 1923 demonstrierten an die 600 deutsche Mütter aus dem Überetsch, dem Eisacktal und dem Etschtal vor dem Amtssitz des Vizepräfekten Giuseppe Bolis in Bozen für die Beibehaltung der deutschen Schule.
Auf dem Buchumschlag ist ein Foto dieser Demonstration abgebildet, welche von einem Bataillon (!) bewaffneter Polizisten beaufsichtigt wurde.
Diesen Frauen erklärte der Vizepräfekt, dass ihnen das Gefängnis oder die Verbannung auf eine süditalienische Insel drohe, sollten sie sich der italienischen Staatssprache und der italienischen Schule widersetzen.
Der Kampf um die deutsche Schule
„Der Kampf um die Beibehaltung der deutschen Schule und des Unterrichts in der Muttersprache sowie um die Loslösung von der Bevormundung und der Beeinflussung durch Kirche und Staat sollte eines der prägendsten Merkmale für ein ganzes Jahrhundert Südtiroler Schulgeschichte werden“, schreibt die Historikerin Dr. Margareth Lun in ihrem Vorwort zu diesem Buch.
Faschismus – Unterdrückung – „Katakombenschulen“
Noch vor der offiziellen Annexion Südtirols hatte der General-Zivilkommissär Luigi Credaro 1919 in das Südtiroler Schulwesen eingegriffen, die deutsche Volksschule in Laag in der Gemeinde Neumarkt aufgelöst und die Errichtung einer italienischen Schule verfügt.
Nun, unter der Herrschaft des Faschismus, ging es nicht mehr um einzelne lokale Eingriffe in das Schulwesen, sondern um die Beseitigung der deutschen Schulen im ganzen Land, die ohne Zaudern durchgeführt wurde.
Die deutschen Schulkinder wurden zwangsweise in die faschistische Jugendorganisation „Balilla“ eingegliedert und mussten an faschistischen Feiertagen die verhasste faschistische Uniform tragen und faschistische Kampflieder lernen.
In dieser Situation appellierten die Südtiroler Abgeordneten Eduard Reut-Nicolussi, Karl Tinzl, Wilhelm von Walther und Friedrich von Toggenburg in einem Aufruf an die deutschen und ladinischen Landsleute: „Jetzt gilt’s erst recht, deutsche Art und deutsches Wort für Kind und Enkel zu erhalten.“
In der Folge entstanden Notschulen im Untergrund, die sogenannten „Katakombenschulen“, in denen auf Bauerhöfen oder auch im Wald Kinder in der deutschen Sprache von aufopfernden und mutigen Lehrkräften unterrichtet wurden.
Die dringend benötigten Schulbücher wurden unter anderem von jungen Freiwilligen in nicht ungefährlichen Märschen aus Nordtirol heimlich über die Jöcher des Alpenhauptkammes nach Südtirol gebracht.
Das vorliegende Dokumentarwerk schildert anhand von Dokumenten und Erinnerungen von Zeitzeugen die damaligen tristen Verhältnisse.
In den staatlichen Schulen wurden die Kinder faschistisch indoktriniert. In italienischer Sprache wurde ihnen erklärt, welch großartiger Regierungschef der „Duce“ Mussolini sei.
Kinder, welche des Italienischen nicht mächtig waren, wurden von italienischen Lehrern geprügelt, wie die damalige Schülerin Eva Hatzis aus Olang der Historikerin Miriam Brunner zu berichten wusste:
„Die Lehrer zu dieser Zeit waren sehr brutal. Die haben die Kinder aus purem Privatvergnügen geschlagen. Auch ich hatte eine Lehrerin, die am Morgen immer etwas auf Italienisch sagte, was wir zwangsläufig nicht verstehen konnten, und wenn niemand geantwortet hat, was sie von vornherein schon wusste, hat sie willkürlich einen Schüler an den Haaren zur Tafel geschleift und ihn dann dort verprügelt. Wir waren alle eingeschüchtert bis aufs Letzte und sind auch nicht mehr gerne zur Schule gegangen. Man konnte sich auch nicht richtig verständigen. … Die Lehrer, die uns unterrichtet haben, konnten alle gebrochen Deutsch und sie haben uns dann immer ausgehorcht, was wir zu Hause machen. Immer wieder ist es dann vorgekommen, dass sich einige Kinder verraten haben und dann die ‚fasci‘ (Anm.: Faschisten) zu ihnen nach Hause gekommen sind.“
Der ehemalige Lehrer und Bürgermeister der Gemeinde Kiens, Karl Pfeifhofer, berichtet am Beispiel seiner Gemeinde über die Katakombenschulen und liefert wertvolle Zeitzeugnisse.
Das Buch zeichnet sich dadurch aus, dass es zahlreiche weitere Erlebnisberichte sowie zeitgenössische Fotos und Dokumente in Faksimile bietet. Der Leser taucht ein in eine vergangene Welt und nimmt teil an den schweren Erlebnissen der damaligen Zeit.
Der schwierige Wiederaufbau der deutschen Schule nach dem Zweiten Weltkrieg
Beeindruckend sind die Schilderungen, wie es trotz aller Schwierigkeiten nach dem Zweiten Weltkrieg wieder gelang, das deutsche Schulwesen aufzubauen. Die Historikerin, Lehrerin und Politikerin Dr. Eva Klotz berichtet darüber anhand des Beispiels ihrer Mutter Rosa Klotz-Pöll, die als engagierte und mutige Lehrerin große Opfer gebracht hat.
In einem weiteren Beitrag stellt der Historiker Dr. Othmar Parteli das bedeutende Lebenswerk des heimattreu gesinnten Klerikers und ersten Schulamtsleiters Josef Ferrari dar. Dieser führte nach Kriegsende Verhandlungen mit den Amerikanern, um die deutsche Schule in Südtirol zu retten und um damit den deutschen Schülern den Unterricht in ihrer eigenen Muttersprache zu sichern, Er war maßgeblich am Aufbau und an der Qualität der deutschen Schule in Südtirol beteiligt.
Beiträge über aktuelle Schulfragen
Wer glaubt, dass alle Schulfragen heute politisch außer Streit stehen, der irrt. Es würde hier den Rahmen einer Buchbesprechung sprengen, dieses Thema ausführlich darzulegen. Dies kann jedoch in dem vorliegenden Dokumentarwerk nachgelesen werden.
In zwei Beiträgen beschreibt Dr. Margareth Lun den Wandel der Schule vom 2. Autonomiestatut bis heute und zeigt nach wie vor bestehende Probleme auf.
Die Mittelschullehrerin Mag. Verena Geier berichtet über das Thema „Schule und Südtirolkonvent“ sowie über die hitzigen Auseinandersetzungen über Sprachexperimente und die Beibehaltung des gesetzlich festgelegten Rechtes der Schüler auf muttersprachlichem Unterricht (Art. 19 des Autonomiestatuts).
Blick über die Landesgrenzen: „Verelsässerung: Wie eine Region von der Landkarte verschwindet“
Zwei Autoren zeigen auf, welche Bedeutung das Schulwesen in Zusammenhang mit dem Gebrauch der Muttersprache für das Weiterbestehen der Volkskultur und für das Überleben von Volksgruppen hat.
Der elsässische Sprachwissenschaftler Bernard Wittmann berichtet unter dem Titel „Verelsässerung: Wie eine Region von der Landkarte verschwindet“, über die Zerstörung der deutschen Schule im Elsass und welche Auswirkungen dies auf das Schicksal der deutschen Volksgruppe hatte. Die berichteten Zahlen geben darüber Aufschluss: Bei der Volkszählung von 1910 gaben 94 (!) Prozent der Elsässer Deutsch als Muttersprache an. Und heute, nur drei Generationen später, können nur noch fünf Prozent der Grundschüler Deutsch. Den Abschluss des Werkes bildet ein bedeutsamer Beitrag des Konsulenten für Internationale Wirtschaftspolitik in der Europäischen Union, Dr. Johannes Ausserladscheiter. Er berichtet über die Bedeutung des Deutschen als Verkehrs- und Handelssprache seit dem 19. Jh. und erklärt mit Zahlen und Fakten die aktuelle Bedeutung der deutschen Sprache in Europa und in der Welt.
Das Buch ist ein wertvoller Beitrag zur Südtiroler Kulturgeschichte
Das Buch „Die Deutschen brauchen keine Schulen“ ist eine sehr interessante Tirolensie. Es ist eine fesselnde Reise durch 100 Jahre Südtiroler Schulgeschichte und damit ein wertvoller Beitrag zur Südtiroler Kulturgeschichte. Einmalig ist die Sammlung von Dokumenten, zeitgenössischen Fotos und Erlebnisberichten. Dem Werk ist eine weite Verbreitung zu wünschen.
Die Gestalter der Dokumentation
An der inhaltlichen Gestaltung dieses Buches haben erfahrene Bildungsexperten, Lehrer und Lehrerinnen mitgewirkt:
Johannes Ausserladscheiter (Unternehmer, Konsulent für Wirtschaftspolitik)
Ende Juni 2020 stellte die Oppositionspartei „Süd-Tiroler Freiheit“ (STF) einen Beschlussantrag, „die Entfernung der faschistischen Relikte in Südtirol zu fordern“.
Man wird sehen, wie der Landtag im Herbst darüber befinden wird, darf sich aber wohl nicht zu viel davon erhoffen.
Am Gerichtsplatz in Bozen wurde 1943 ein 95 Tonnen schweres Propaganda-Denkmal für den „Duce“ installiert, der wenig später schmählich unterging. Man sieht auf der Reliefplatte Mussolini hoch zu Roß mit seinem Faschistengruß und darunter steht sein Leitspruch: „Credere, obbedire, combattere“ („Glauben, gehorchen, kämpfen“). Dieses Relief sollte den Aufstieg des faschistischen Italiens darstellen und die Unterwerfung Abessiniens und Libyens verherrlichen. Man stelle sich vor, in Deutschland oder Österreich würde heute noch auf einem großen Stadtplatz Adolf Hitler die Bevölkerung mit steinernem Gruß beehren. Die weltweite Empörung würde die Entfernung erzwingen. „Bella Italia“ aber sieht man offenbar Vieles nach.Für den SID ist dieser Antrag der „Süd-Tiroler Freiheit“ ein Anlass, auf die Entstehungsgeschichte des Faschismus und dessen Gedankenguts zu verweisen. Der SID-Herausgeber und Historiker Georg Dattenböck hat dazu eine Zusammenfassung zur Verfügung gestellt und als Beispiel für die verlogene Propaganda des Faschismus einen teils heiteren, teils tragischen Bericht über „Die wissenschaftliche Polarforschung als Mittel faschistischer Propaganda“ mitgeliefert.
Die Herrschaft des Faschismus in Südtirol wird hier jedoch nicht ausführlich behandelt, weil dies den Rahmen sprengen würde. Die Vertiefung dieses Themas ist einem zukünftigen SID vorbehalten.
Die Entwicklung des Faschismus – vom internationalen Sozialismus zum nationalen Imperialismus
Von Georg Dattenböck
Ein junger anarchistischer totalitärer Sozialist
Der junge totalitäre Sozialist Benito Amilcare Andrea Mussolini (*29.7.1883) war ein guter Redner. Er benutzte intuitiv die rhetorische Technik der Appelle an niedere Instinkte und diffuse Gefühle der Massen. Sein geistiger Ziehvater war zunächst Karl Marx. Dieser hatte die Arbeiterklasse im Sinne seines „historischen Materialismus“ wissenschaftlich schulen wollen. Doch die sich Mitte des 19 Jahrhunderts als politische Parteien formierenden Arbeiterbewegungen und deren Führer benutzten meist die hemmungslose Agitation gegen die erklärten Klassenfeinde.
1902 emigrierte Mussolini in die Schweiz, wo er als Sekretär einer italienischen Maurergewerkschaft für die sozialistische Bewegung arbeitete. In dem linken Migrantenmilieu gedieh ein radikaler Anarchismus, der offenbar über ein verzweigtes und mächtiges Netzwerk verfügte.
Der Verfasser ist der Ansicht, daß der italienische Anarchist Luigi Lucheni, der 1898 die österreichische Kaiserin Elisabeth (Sisi) in Genf ermordete und ein Anhänger des führenden Anarchisten Michail Alexandrowitsch Bakunin war (der für Karl Marx dessen „Manifest der Kommunistischen Partei“ erstmals ins Russische übersetzte hatte), von den gleichen anarchistischen Kräften in der Schweiz instrumentalisiert wurde, bei denen auch Benito Mussolini verkehrte. Es wurde z.B. nie geklärt, wie Lucheni vorzeitig die geheim gehaltene Ankunft der Kaiserin in Genf hatte erfahren können. Hier muss es entsprechende geheime und mächtige Verbindungen gegeben haben. Lucheni hatte nach dem Mord den triumphierenden Ausruf getätigt: „Es lebe die Anarchie! Es leben die Anarchisten!“
Die Schweizer Polizei stufte Mussolini auf Grund seiner Kontakte als Anarchisten ein. Er wurde mehrfach eingesperrt und im April 1904 wegen Passfälschung aus der Schweiz ausgewiesen und nach Italien abgeschoben. Dort ließ man ihn wieder laufen, obwohl er 1903 wegen Desertion verurteilt worden war.
Das geistige und politische Umfeld des jungen Mussolini – Sozialismus, Anarchismus, Nationalismus
Um Benito Mussolinis ideologische Gedankenwelt, seine ursprünglich starke Vorliebe für den Kommunismus und Anarchismus, sowie seine Kirchenfeindschaft zu verstehen, muss man auf seinen Vater Alessandro und dessen starken Einfluss auf den Sohn zurückblicken. (Eine gute zusammenfassende Darstellung findet sich in: https://en.m.wikipedia.org/wiki/Alessandro_Mussolini)
Alessandro Mussolini war ein politischer Aktivist mit großer Sympathie für kommunistisch-anarchistische und antihabsburgische Revolutionäre. 1874 beteiligte sich Alessandro an politischen Unruhen in Predappio, er zeigte Neigung zur Gewalt und Zerstörung. 1878 wurde er wegen des Verdachts der Teilnahme an revolutionären Aktivitäten verhaftet. Er war, im Gegensatz zur Gattin, Atheist und hasste die katholische Kirche. Den Namen „Benito Amilcare Andrea“ wählte er für seinen Sohn deswegen, weil er drei Männer bewunderte:
Benito Pablo Juárez García, indianischer Herkunft, war Anwalt, Richter, Staatsanwalt und Präsident Mexikos gewesen. 1859 hatte er ein „Gesetz zur Verstaatlichung des kirchlichen Reichtums“ erlassen. Er hatte gegen europäische Invasoren seines Landes gekämpft und den Bruder von Kaiser Franz Josef, Maximilian v. Habsburg, als dieser Kaiser von Mexiko werden wollte, von einem Gericht 1867 aburteilen und erschießen lassen.
Amilcare Cipriani hatte bereits mit 15 Jahren an der Seite von Giuseppe Garibaldi mit den Truppen Piemonts gegen Österreich gekämpft. 1870 hatte er sich erneut Garibaldi bei der Eroberung Roms angeschlossen. Er war 1867 Mitglied der „Ersten Internationale“ und 1871 Mitglied der „Pariser Kommune“ geworden. Er war deswegen in eine Strafkolonie in Neukaledonien verbannt worden, war 1880 zurückgekehrt, in Italien verhaftet und zu sieben Jahren wegen Verschwörung verurteilt worden. 1893 war er Teilnehmer der „Zweiten Internationale“ in Zürich. Er war solidarisch mit der Revolutionärin und späteren Gründerin der Kommunistischen Partei Deutschlands, Róża Luksemburg, die für den „Spartakus-Bund” dessen Programm verfaßte. 1891 war Cipriani ein Delegierter bei der Gründung einer sozialistisch-revolutionär-anarchistischen Partei und sympathisierte mit dem Russen Peter Kropotkin, der für einen Anarchokommunismus eintrat. „Le Plébéien“ und andere anarchistische Zeitschriften waren das Forum des Cipriani.
Andrea Costa hatte Literatur studiert und unter dem Einfluss des erwähnten Anarchistenführers Michail Bakunin das Studium abgebrochen. Er betätigte sich als Agitator für dessen Theorien und arbeitete organisatorisch für Bakunin in der „Ersten Internationale“. 1883 wurde er in die Freimaurerloge „Rienzi“ aufgenommen, stieg zum 32. Grad auf und war Großmeister der Loge „Grande Oriente d’Italia“. 1892 war er Mitbegründer des „Partito dei Lavoratori Italiani“. Costa wurde Bürgermeister von Imola und Abgeordneter im Parlament.
1912 berief man den jungen Demagogen Benito Mussolini in den Exekutivausschuss des „Partito Socialista Italiano“ (PSI). Er wurde Chefredakteur des Zentralorgans „Avanti“ in Mailand. 1914 wurde er wegen offener nationalistischer Positionen entlassen und aus der PSI ausgeschlossen. 1915 unterschrieb Mussolini zunächst ein Anti-Kriegsmanifest und sprach sich für die Neutralität Italiens aus, spielte jedoch ebenso mit der von einer Minderheit entfachten Kriegsbegeisterung und mit antideutschen Gefühlen: so bezeichnete er das mit Italien im „Dreibund“ verbündete Deutschland als „einen Banditen, der seit 1870 auf der Straße der europäischen Zivilisation herumschleicht“
Mussolinis Deutschenhass ging auch auf seine Tätigkeit im österreichischen Trient ab Jänner 1909 als Sekretär der sozialistischen Partei zurück, wo er den führenden Irredentisten Cesare Battisti kennenlernte, der italienischer Abgeordneter im Wiener Reichsrat war und dort Propagandareden gegen die Monarchie hielt.
Aus Anlass der 100-Jahr Feier des Tiroler Aufstandes von 1809 weilte Kaiser Franz Josef am 29.8.1909 in Innsbruck. Als Landsturmmänner bekleidete Tiroler zogen an der Ehrentribüne vorbei. Anschließend an diesen Festzug besuchte der Kaiser Süd- und Welschtirol. Benito Mussolini wurde als bekannter Agitator vorbeugend verhaftet und nach Italien abgeschoben.
Mussolinis Verhältnis zur Kirche
Historisch beachtenswert ist Mussolinis gestörtes Verhältnis zur katholischen Kirche. Als Internatsschüler der Salesianer in Faenza war er wegen vieler Schlägereien mit Mitschülern und zuletzt wegen eines bei einem Streit gezogenen Messers bereits nach zwei Jahren aus der Schule gewiesen worden. 1901 hatte er eine Ausbildung zum Volksschullehrer beendet und eine Stelle in einer kleinen Gemeinde in der Po-Ebene angenommen. Er wurde jedoch bald entlassen, weil er nachts betrunken durch den Ort zog und ein Verhältnis mit einer verheirateten Frau begann. 1902 zog er daher in die Schweiz, wo er, wie bereits erwähnt, Anschluss an radikale extrem linke Kreise fand.
Die Wende zum extremen Nationalismus
Mussolini verstand die Thesen von Karl Marx als eine Anleitung zum „revolutionären Aktivismus und Syndikalismus“ und entnahm viele seiner Vorstellungen auch dem Gedankengut des Vordenkers von anarchistischer Gewalt und Aufruhr, des Franzosen Georges Sorel.
Die Ideen Sorels befruchteten auch den „Futuristen“ Filippo Tommaso Marinetti (*22.12.1876), der ähnlich wie Mussolini aus einer Jesuitenschule verwiesen worden war und 1914 seinen Freund Mussolini kennengelernt hatte. Auch F. T. Marinetti sah zunächst in anarchistischen Attentätern seine Vorbilder: In dem Anarchisten Émile Henry, der einen Bombenanschlag auf das Café Terminus in Paris verübte; in Auguste Vaillant, der 1893 einen Bombenanschlag auf die Französische Nationalversammlung durchführte; in Francois Claudius Ravachol, der wegen Bombenanschläge auf einen Richter und Staatsanwalt verurteilt wurde.
1909 veröffentlichte Marinetti sein „Futuristisches Manifest“, in welchem er bereits die Gewalt und den Krieg verherrlichte. Der „Futurismus“ sollte eine neue Kultur und letztlich neue politische Verhältnisse „über den Kommunismus hinaus“ begründen.
Der Journalist Jochen Vorfelder schrieb in „Der Spiegel“ (20.2.2009) über Marinettis „Futuristisches Manifest – Wir wollen den Krieg verherrlichen“:
„Sie waren Prediger einer brutalen Avantgarde: Im Februar 1909 veröffentlichten die Futuristen ihr Manifest – sie liebten den Tod, das Tempo, Maschinen. Sie hassten Frauen und das Establishment. Wortführer Tommaso Marinetti wurde Mussolinis Kulturminister – und kämpfte für Hitler vor Stalingrad.
Der Beginn des Ersten Weltkriegs machte Marinetti und D’Annunzio endgültig zu politischen Weggefährten – der verklemmte Hohenpriester des Futurismus und der zwanghafte Erotomane (der angeblich seidene Nachthemden mit einem kreisrunden Ausschnitt unter dem Nabel trug) wurden Unterstützer Benito Mussolinis. Der hatte sich gerade von den Sozialisten abgewandt und agitierte dafür, Österreich-Ungarn den Krieg zu erklären. Als überzeugter Interventionist schloss sich D’Annunzio dem Duce an, auch Marinetti war von der Aussicht auf Krieg begeistert und lud Mussolini als Redner zu Futuristischen Abenden ein. Nachdem Marinetti im September 1914 in Mailand bei einer Veranstaltung von Kriegsbefürwortern österreichische Flaggen auf der Bühne verbrannt hatte, wurde er mit zwei Gesinnungsgenossen gar inhaftiert. Als Italien im Mai 1915 in den Krieg eintrat, war Marinetti wieder auf freiem Fuß und meldete sich freiwillig. Die meisten Futuristen taten es ihm nach. D’Annunzio, der begeisterte Pilot, obwohl bereits älter als 50 Jahre, ging zur Luftwaffe; Marinetti diente erst bei den Freiwilligen Radfahrern und Automobilsten und später bei den Gebirgsjägern. (…)
Den Krieg begriffen die beiden ‚Kämpfer-Dichter‘ als konsequente Fortsetzung ihres Futuristischen Aktionismus, sich selbst verstanden sie – nach dem Wortlaut ihres Manifests – als ‚angriffslustige Bewegung‘. (…) Marinetti gründete 1918 seine eigene Futuristische Partei, in deren politischem Manifest er ein Loblied auf den Anarchismus und die (kommunistische) Oktoberrevolution sang (…) Die Partei ging bald in Mussolinis neuer faschistischer Bewegung auf – doch die theatralische Liebe zum Faschismus blieb weder bei Marinetti noch bei D’Annunzio ungetrübt.“
Marinetti wurde von dem Chefideologen der Kommunistischen Partei Italiens, Antonio Gramsci, der auch heute noch für sehr viele Internationalsozialisten das große Vorbild ist, für dessen anarchistischen „Futurismus“ stark gelobt. Doch Marinetti lief nicht zu Gramscis Kommunisten über, sondern vollzog die Wende zum extremen Nationalismus und wollte später auch seinen Freund Mussolini auf diesem Weg begleiten.
1916 fungierte Marinetti als Präsident der präfaschistischen „Nationalen Bewegung für die Wacht am Brenner“. Hier dokumentiert sich sehr klar, dass bei den Anarchisten und den mit diesen verwandten Futuristen, den Faschisten, sowie auch Teilen der italienischen Linken, die Jahrzehnte lange Propaganda der Irredentisten auf sehr fruchtbaren Boden gefallen war.
Unter dem Titel,,Tricolori del Brennero. Movimento Nazionale per la Guardia al Brennero“ („Die Trikolore auf dem Brenner. Nationalbewegung für die Wacht am Brenner“)wurde ein Manifest Marinettis als Flugblatt mit „10 Geboten“ veröffentlicht:
Übersetzt lauten die 10 Thesen:
Göttlichkeit Italiens.
Die alten Römer haben alle Völker der Erde übertroffen. Der Italiener von heute ist unüberwindlich.
Der Brenner ist kein Endziel, sondern ein Ausgangspunkt.
Der letzte Italiener ist mehr wert als tausend Ausländer.
Die italienischen Erzeugnisse sind die besten der Welt.
Die italienischen Landschaften sind die schönsten der Welt.
Um die Schönheit einer italienischen Landschaft begreifen zu können, muss man geniale Augen, d.h. italienische Augen haben.
Italien hat alle Rechte, denn es hat das absolute Monopol schöpferischen Geistes und wird es auch in Zukunft innehaben.
Alles, was jemals erfunden worden ist, haben Italiener erfunden.
Deshalb muß jeder Fremde Italien mit einem Gefühl religiöser Ehrfrucht betreten.
F.T. Marinetti
Bei diesem Manifest handelte es sich weder um einen Faschingsscherz noch um eine Selbstpersiflage. Diese 10 Thesen waren tatsächlich ernst gemeint.
Die deutsche Zeitung „Zeit“ (Nr. 02/9.1.1947) schrieb unter dem Titel „Zehn Gebote des Wahnsinns“ über dieses Flugblatt:
„Man vergisst zu leicht. Vor allem vergisst man, wie alles angefangen hat. Beispielsweise, wie der faschistische Wahn in die Welt kam, der die Trümmer und das Chaos, dem wir auf Schritt und Tritt begegnen, verschuldete! (…) Dieses Flugblatt ist ein erschreckendes Dokument menschlicher Überheblichkeit und faschistischen Geltungswahns. (…) Jedem, der heute diese zehn Gebote liest, wird ein Schauer über den Rücken laufen. Welcher Arroganz, welcher Anmaßung und welchen Irrsinn ist der Mensch unter dem Einfluss eines krankhaften, faschistisch entstellten Nationalwahns fähig! Jeder kann die Folgen dieser Arroganz selbst übersehen. Jeder weiß auch, was Lüge war an diesen Behauptungen! Aber es ist gut, sich immer wieder klarzumachen, wie es begann. Auf daß die Menschheit hellhörig werde gegen die Schalmeien, die der tödliche Verführer zu blasen beliebt.“
Diese „italienischen Schalmeien“ hörten sich z. B. von Italiens Außenminister Tommaso Tittoni, der Italiens führender Diplomat bei den Pariser Friedensverhandlungen war, in einer Rede am 27.10.1919 so an:
„Die Völker fremder Nationalitäten, welche unter unsere Gesetzgebung fallen, sollen wissen, daß uns der Gedanke des Unterdrückens und der Entnationalisierung völlig fremd ist, daß ihre Sprache und kulturellen Institutionen respektiert werden, und daß sie alle Vorrechte unserer freiheitlichen und demokratischen Gesetze genießen werden.“ (Franz Huter: „Südtirol. Eine Frage des europäischen Gewissens; S. 298, Wien 1965)
Die Gründung der faschistischen Bewegung
Am 23. März 1919 versammelte sich in Mailand ein bunter Haufen von etwa einhundert Aktivisten, unter denen sich zahlreiche revolutionäre Gewerkschafter und Sozialisten befanden, die mittlerweile das marxistische Gedankengut gegen die Vorstellung einer nationalistischen Diktatur ausgetauscht hatten. Sie gründeten die „Fasci italiani di Combattimento“ – die „Italienischen Kampfbünde“. Das lateinische Wort „fasces“ bezeichnet die römischen „Liktorenbündel“. Die Verwendung des italienischen Begriffs „fasci“ sollte Bezug auf altrömische Traditionen nehmen und die angestrebte Bündelung aller gesellschaftlichen Kräfte bezeichnen.
1921 wurde die Bewegung umbenannt in „Partito Nazionale Fascista“ (PNF) und stellte somit eine politische Partei dar. Die Mitglieder der faschistischen Partei uniformierten sich durch das Tragen schwarzer Hemden.
Die Machtergreifung des Faschismus
In der Nacht vom 27. zum 28. Oktober 1922 versammelten sich tausende von faschistischen „Schwarzhemden“ zu einem putschartigen „Marsch auf Rom“. Statt den Spuk mit Polizei und Militär auseinander zu treiben, ernannte derKönig Vittorio Emanuele III. Benito Mussolini zum Regierungschef und unterstützte in der Folge die Umwandlung des Staates in eine Diktatur durch königliche Dekrete.
Der futuristische und nunmehr faschistische Vordenker Marinetti widmete seinem „teuren und großen Freund“ Mussolini im Jahre 1924 einen Sammelband, betitelt: „Futorismo e Fascismo“. 1929 bedankte sich Mussolini dafür, indem er Marinetti zum Mitglied der „Neuen Akademie der Künste“ bestellte und damit auch dessen „Futurismus“ salonfähig machte.
Die Einigung mit dem Vatikan
Nach dem ab 28.10.1922 erfolgten „Marsch auf Rom“, forderte Mussolini, um seine damals noch schwankende machtpolitische Position zu verfestigen, die Italiener dazu auf, fest an Christus und an ihn selbst als den „Duce“ zu glauben.
Der Vatikan kannte jedoch die Persönlichkeitsstruktur, die Absichten und wirren Ziele Mussolinis und von dessen anarchistischen Freunden nur zu gut. In jedem Dorf Italiens saß ein Pfarrer, der bei Bedarf sofort nach oben berichtete. Deshalb knisterte es sehr stark in den katholisch-faschistischen Beziehungen. Diese untergründig immer schwelende, starke Gegnerschaft, beschrieb treffend die konservativ-liberale „Preßburger Zeitung“ bereits am 1. April 1928 unter dem Titel: „Faschismus und Vatikan. Mussolinis Kampf gegen Papst“:
„Mussolini wird auf einen offenen Widerstand stoßen, von dem er sich nicht ohne weiteres erholen wird. Der Heilige Stuhl hat seine Stimme gegen die Politik des italienischen Diktators erhoben. Der Papst hat eine Rede gehalten, in der er sich gegen die Bestrebungen des Faschismus auflehnte. Es ist kein Geheimnis, daß ein Teil der katholischen Kirche in Italien offen zum Faschismus neigt. Der Schritt des Papstes hat die geheimen Ziele Mussolinis enthüllt. So weiß man nunmehr, was Mussolini unter der Verständigung des Faschismus mit dem Papst gedacht hat: Nichts anderes als Unterwerfung des Papstes.“ (zitiert 2016 von Margita Gáborá in: „Der Fall Nobile / Amundsen“; Internet).
Mussolini hatte zunächst mit der unglaublich primitiv-dreisten Propagandafloskel „an Christus und an ihn zu glauben“, im bürgerlichen Lager und bei vielen Christen, immer mehr Erfolg.
Nun bot Mussolini dem Papst die territoriale Souveränität des Kirchenstaates an, welcher 1870 aufgelöst worden war. Papst Pius IX. unterschrieb am 11. Februar 1929 die „Lateran-Verträge“, die den Status der Vatikanstadt als unabhängigen Staat garantierten. Ab nun begannen sich auch katholische Priester zum Faschismus zu bekennen.
Das Hauptmotiv von Papst Pius XI. für den Vertrag mit Mussolini war der gemeinsame Kampf gegen den Erzfeind, den Kommunismus. (1943, als der Stern des „Duce“ bereits vor den Augen der Welt hell verglühte und die Alliierten auf italienischem Territorium gelandet waren, sollte Papst Pius XII. auf die Seite der Westalliierten wechseln, um nun zusammen mit den neuen Verbündeten weiterhin den Kommunismus eindämmen zu können.)
1930: Ein Strafgesetzbuch mit politischen Unterdrückungsparagraphen
Im Jahre 1930 unterzeichneten der italienische König Vittorio Emanuele III., der Ministerpräsident Benito Mussolini und der Justizminister Alfredo Rocco das königliche Dekret, mit welchem ein neues Strafgesetzbuch („Codice Penale“) in Kraft trat, dessen ausgefeilte Polit-Paragraphen ungehemmte Möglichkeiten der Verfolgung politischer Gegner boten. Vor allem aber legte sich das neue Strafgesetz als eiserne Klammer des Staates um die ihrer Identität beraubten Volksgruppen, welche in eine gemeinsame italienische Einheitsnation eingeschmolzen werden sollten.
In seinem zweiten Hauptteil („Dei delitti contro la personalita dello stato“) zählte der Codex jene „Delikte gegen die Persönlichkeit des Staates“ auf, die ab nun mit langjährigen Kerkerstrafen, mit dem Tod oder lebenslangem Zuchthaus zu ahnden waren:
*Beleidigung der italienischen Nation;
*Beleidigung der italienischen Fahne;
*antinationale Aktivität;
*politischer Defaitismus;
*Beleidigung des Staatsoberhauptes;
*subversive und antinationale Propaganda;
*Bildung von geheimen Gesellschaften.
Wer die bewaffneten Streitkräfte oder den faschistischen Großrat beleidigte (Artikel 290), konnte bis zu 6 Jahren Zuchthaus erhalten, auf die Beleidigung der italienischen Nation oder der italienischen Fahne standen 3 Jahre Kerker.
Wer aber versuchen sollte, eine Kolonie oder ein anderes Territorium vom italienischen „Mutterland“ loszulösen, verfiel nach Artikel 241 der Todesstrafe. (Nach 1945 geändert in: lebenslanger Kerker)
Kritik an der Staatsführung führte ab nun wegen „antinationaler Aktivität“ oder „Beleidigung der italienischen Nation“ in die Kerker der römischen Regierung oder in die Verbannung auf Gefängnisinseln.
Viele Südtiroler wanderten aus nichtigen Anlässen für lange Jahre hinter Kerkermauern oder in die Verbannung auf Gefängnisinseln. An den Folgen der Verbannung starben der Rechtsanwalt Josef Noldin und das junge Mädchen Angela Nikoletti, die heimlich im „Katakombenunterricht“ den Kindern Lesen und Schreiben in deutscher Sprache beigebracht hatten.
Nach 1945 hielt die italienische Regierung es für angebracht, das faschistische Strafrecht nahezu unverändert in Kraft zu lassen und es in der Folge bei politischen Prozessen weiter anzuwenden.
Seine politischen Paragraphen dienten der allerchristlichsten Regierungspartei „Democrazia Cristiana“ (DC) nach wie vor zur Niederhaltung aufmüpfiger Südtiroler.
Forderungen nach dem Selbstbestimmungsrecht oder Bestrebungen für eine eigene Landesautonomie wurden mit der Einleitung von Strafverfahren wegen „Angriff auf die Einheit des Staates“ oder „Anschlag auf die Verfassung“ beantwortet.
Die Verbrechen des italienischen Kolonialismus
1911 hatte der frühere Pazifist und Sozialist Mussolini den italienischen Eroberungskrieg in Lybien noch zum Anlass genommen, aus Protest zum Generalstreik aufzurufen. Er wurde zu einer fünfmonatigen Haft verurteilt. Der an die Macht gekommene „Duce“ Mussolini wollte jedoch, nach dem Vorbild des Römischen Reiches, wieder große tributpflichtige Provinzen in Afrika schaffen. Dazu war jedes Mittel recht. (s. dazu: Aram Mattioli: „Die vergessenen Kolonialverbrechen des faschistischen Italien in Libyen 1923–1933“; in: „Völkermord und Kriegsverbrechen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“. Hrsg.: Irmtrud Wojak und Susanne Meinl, Campus 2004).
Nach der Machtergreifung Mussolinis verstärkte sich daher der Terror der Besatzungsmacht in Lybien. Das Ziel der faschistischen Politik war es, die fruchtbaren Küstengebiete rund um die Bucht der Großen Syrte unter Vertreibung der Einheimischen zu einem neuen „Lebensraum“ („spazio vitale“) für Hunderttausende landhungrige Kolonisten aus den ärmsten Regionen Italiens zu machen.
Die durch Enteignungen aus den fruchtbaren Gebieten in die Wüstenregionen verdrängten Einheimischen rebellierten aus Selbsterhaltungswillen gegen diese Maßnahmen. Es ging buchstäblich um ihr Überleben.
Mit ihren modernen Kampfmitteln, Flugzeugen und schnellen leichtgepanzerten Eingreiftruppen, brach die italienische Armee den Widerstand. Tiefflieger mähten die flüchtende Bevölkerung in Scharen nieder, erstmals wurde auch Giftgas gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt, Tausende starben.
In Abessinien (Äthiopien) fielen nach Angaben italienischer Historiker mehr als 300.000 Menschen den brutalen Methoden des italienischen Kolonialismus zum Opfer, zu denen auch der Abwurf von Giftgasbomben gegen Zivilsten gehörte. Massenweise Exekutionen und der Hungertod in den Konzentrationslagern forderten ihre Opfer. Die spätere äthiopische Regierung nannte eine Zahl von 407.000 getöteten Zivilisten. (Aram Mattioli: „Experimentierfeld der Gewalt“, Zürich 2005, S. 153)
Heute spricht so gut wie niemand mehr von diesen Opfern.
Nicht besser benahm sich das faschistische Regime auf dem Balkan, in Albanien und Griechenland. In den 29 Monaten italienischer Herrschaft über große Teile von Jugoslawien und Griechenland während des Zweiten Weltkrieges legte sich die Besatzungsmacht keinerlei Zügel an. An den Untaten war auch die faschistische Schwarzhemdenmiliz beteiligt, welche willkürlich Menschen festnahm, mit Dolchen und Bajonetten verstümmelte und anschließend öffentlich henkte.
Anderen Verdächtigen wurde der Kopf abgeschnitten und auf einer Stange in das Dorf getragen, Männer wurden massenhaft erschossen und die Frauen und Kinder in die Konzentrationslager geschickt. Diese Untaten richteten sich in den Städten auch gegen die Juden. (Claus Gatterer: „Im Kampf gegen Rom“, Wien-Frankfurt-Zürich 1968, S. 646ff)
Insgesamt dürften durch italienische Terrormaßnahmen auf dem Balkan zwischen April 1941 und September 1943 mehr als 200.000 Menschen eines gewaltsamen Todes gestorben sein. Der italienische Historiker Brunello Mantelli geht sogar von rund 350.000 Opfern aus. („Die Italiener auf dem Balkan“, in: Christoph Dipper u. a. (Hg.): Europäische Sozialgeschichte. Festschrift für Wolfgang Schieder, Berlin 200, S. 57 ff)
Die hygienischen Verhältnisse in diesem Lager waren schrecklich, die Ernährung bestand aus zweimal einem Teller Suppe pro Tag. Entsprechend hoch war die Todesrate der völlig entkräfteten Internierten.
Propaganda und Lügen als Zwillinge – Ein Beispiel: Die wissenschaftliche Polarforschung als Mittel faschistischer Propaganda
Natürlich zeichnete Mussolini in seinen Propagandareden ein gänzlich anderes Bild. Auch die faschistische Propaganda stellte Italien als Kulturbringer zum Segen der Menschheit dar.
Abzulehnen war und ist die propagandistische Ausbeutung hervorragender wissenschaftlicher Forschung und Forscher durch totalitäre Ideologen. Wissenschaft und Forschung vertragen grundsätzlich keinen blinden Chauvinismus. Dass jede Nation auf erfolgreiche Forscher und Entdecker stolz sein kann, steht dem nicht entgegen.
Das faschistische Italien war jedoch darauf aus, sich auch auf wissenschaftlichem Gebiet Ruhm um jeden Preis zu erwerben. Dies führte in einem Fall, den ich nachstehend schildern will, zu skurrilen wie auch tragischen Ergebnissen.
Ein italienisches Luftschiff
Der Oberst Umberto Nobile, Mitglied der faschistischen Partei, war ein bekannter Luftschiff-Konstrukteur und hatte das leistungsfähige 106 m lange Luftschiff „N1“ geschaffen, dessen Jungfernflug im März 1924 stattfand und das später „N1 Norge“ heißen sollte.
Bei dem folgenden Bericht greift der Verfasser u.a. auf das Buch von Hans-Otto Meissner „Mein Leben für die weiße Wildnis. Die Expeditionen des Roald Amundsen“ (Stuttgart 1971) zurück.
Der Vorschlag zur Nordpol-Expedition
1925 trat Amundsen nach dem Scheitern einer Flugboot-Expedition nur 245 Kilometer vor dem Nordpol, mit der Idee an den Luftschiff-Konstrukteur Umberto Nobile heran, mit einem Luftschiff den Nordpol in Richtung Alaska zu überfliegen, um das bis dahin ziemlich unbekannte, riesige Gebiet wissenschaftlich zu erkunden. Amundsen war ein bekannter Polarforscher, der bereits im Dezember 1911 den Südpol erreicht hatte.
Mussolini begrüßt das Vorhaben
Ein reicher Amerikaner namens Lincoln Ellsworth war von der Idee Amundsens begeistert und spendete 100.000 Dollar. Norwegens Parlament und der Aeroclub spendeten ebenfalls Geld.
Auch der Regierungschef Benito Mussolini begrüßte dieses Vorhaben. Oberst Umberto Nobile, wurde von ihm selbst beauftragt, dem Wunsche Amundsens zu entsprechen.
Dem „Duce“ schien die geplante Fahrt zum Nordpol eine Gelegenheit, Italien einen ersten Platz in der Geschichte der Polarforschung zu sichern und damit zur weltweiten Verherrlichung seines Regimes beizutragen.
Nobile wurde nach Oslo eingeladen und in Amundsens Haus wurden erste Gespräche geführt. Meissner (S. 200) berichtet u.a. über dieses Gespräch:
Nobile: „Der Duce bringt Ihrem kühnen Projekt große Interesse entgegen, Capitano Amundsen …“
Amundsen: „An welchen Preis hat der Ministerpräsident Mussolini gedacht?“
Nobile: „An gar keinen, wir schenken Ihnen das Luftschiff.“
Amundsen: „Was sind die Bedingungen?“
Nobile: „Die N1 fährt unter italienischer Flagge, und ich habe das Kommando wie bisher.“ Amundsen: „Mit Ihrer Führung des Schiffs, Herr Oberst, bin ich gerne einverstanden. Wir sind sogar darauf angewiesen, und ich hoffe, daß Sie noch einige Leute der bisherigen Besatzung mitbringen. Aber die N1 fährt selbstverständlich unter norwegischer Flagge, und ich bin der Leiter des Unternehmens.“
Oberst Nobile schien sehr enttäuscht: „Das ändert die Situation, nur der Duce kann darüber entscheiden.“
Meissner (S. 200): „Benito Mussolini kam den Norwegern weit entgegen. Er gab sich mit dem erstaunlich billigen Preis von 80.000 Dollar zufrieden. Nur sollte man am Nordpol auch die italienische Fahne abwerfen, das Kommando im Schiff Nobile überlassen und die Fahrt als gemeinsames Unternehmen der Norweger und Italiener deklarieren. Lincoln Ellsworth konnte teilnehmen und in seiner Person die USA vertreten. Gegen die Gesamtleitung Amundsens hatte der Duce d’Italia nichts einzuwenden. Der Verkauf kam zustande, und die Vorbereitungen liefen an. Als erstes wurde die N1 auf den Namen „Norge“ getauft (…). Benito Mussolini war selbst dabei.“
Nobiles plötzliche Forderungen und seine Gesinnung
Im Februar 1926 wurde ein erster Test durchgeführt, die offizielle Übergabe des Luftschiffs fand am 29. März 1926 in Ciampino statt. Amundsens Unternehmen war von Anfang an von Intrigen, taktischen Plänkeleien, unerwarteten Geldforderungen und Mussolinis propagandistischen Interessen begleitet. Meissner (S. 201):
„Mit Nobile jedoch gab es Schwierigkeiten. Er verlangte erst 40.000, dann sogar 55.000 Norwegen-Kronen für sein Kommando während des Fluges, eine geradezu phantastische Summe für damalige Begriffe. (…) Dann wollte er, daß der Polflug die ‚Amundsen-Ellsworth-Nobile-Expedition‘ genannt wurde. Auch diesem Wunsch des Colonello mußte man entsprechen, ebenso einem Verlangen auf eine hohe Lebensversicherung. Er wollte außerdem das Recht haben, später über den Polflug eigene Berichte zu veröffentlichen. (…) Noch vieles andere im Verhalten des Colonello trug dazu bei, daß ein wirklich gutes ‚Betriebsklima‘ nicht zu erreichen war.“
Am 7. Mai ankerte „Norge“ über dem Ny-Alesund in Spitzbergen. Mit Nobile gab es erneut Probleme, wie Amundsen berichtete. Meissner (S. 204):
„Schlimm für den Oberst, daß er sich die Blöße gab, Riiser Larsen (2. Kommandant) zu bitten, im Falle einer Notlandung sollten die Norweger nicht nur an ihre eigene Rettung denken, sondern auch den Italienern helfen. Amundsen schäumte vor Wut, da ihn schon der Gedanke zutiefst empörte, er könnte jemals einen Menschen in Not verlassen. (…) ‚Daß dieser Mensch annehmen konnte‘, sagte Amundsen, ‚Männer unseres Schlages könnten so gemein sein, verrät Nobiles miserable Gesinnung. Sein Dünkel, seine Selbstherrlichkeit und Selbstsucht haben in meinen Erfahrungen nicht ihresgleichen.‘“
Amundsens Großmut
Zur gleichen Zeit wie die „Norge“ flog ein amerikanisches dreimotoriges Fokker-Flugzeug unter dem Kommando von Evelyn Richard Byrd, Offizier der US-Kriegsmarine, in die Bucht ein. Byrd, dies wusste Amundsen seit langem, wollte ebenfalls über den Pol fliegen. Amundsen ertrug es gelassen, Nobile kochte jedoch vor Wut. Amundsen bot Byrd sogar seine Hilfe an. Meissner (S. 205):
„Wir müssen so rasch wie möglich aufsteigen‘, drängte Nobile, ‚wir dürfen jetzt keinen Tag mehr verlieren!‘ Aber Leiter der Expedition war Roald Amundsen. ‚Ich gebe die Weisung zum Starten, wenn das letzte Detail der Vorbereitung fertig ist. Sicherheit vor allem, sonst interessiert mich gar nichts.‘ Es war ihm jetzt gleich, wer zuerst den Pol überflog. Byrd wollte nur zum Pol und sofort wieder zurück nach Ny-Alesund. Wissenschaftliche Beobachtungen und Vermessungen konnte er nicht durchführen, erst recht nicht über dem Pol stehen bleiben. Die ‚Norge‘ aber war mit einer Fülle von Instrumenten ausgerüstet, um der wissenschaftlichen Forschung zu dienen.“
Byrds Fokker stieg auf, er erreichte nach seinen eigenen Angaben den Nordpol und war nach 16 Stunden wieder zurück. Amundsen gratulierte ohne Neid zum „wohlverdienten Erfolg der Vereinigten Staaten“ und spendiert zwei Kisten Champagner.
Erst am Abreisetag der „Norge“, dem 11. Mai 1926, wurde entschieden, wer an Bord klettern durfte: sechs Italiener, ein schwedischer Meteorologe, der amerikanische Millionär Lincoln Ellsworth und neben Roald Amundsen sieben andere Norweger, treue Gefolgsleute Amundsens. Amundsen nahm in einem Korbstuhl an einem Seitenfenster Platz. Um 8 Uhr 55 morgens begann die historische Fahrt der „Norge“.
Meissner (S. 206ff):
„Nach dem Bericht Roald Amundsens war die ‚Norge‘ durch Nobiles Nervosität dreimal in Gefahr, das Eis zu rammen. Erst im letzten Augenblick gelang es Riiser Larsen, das Schiff wieder auf geraden Kurs zu bringen. Dabei wurde Nobile vom Steuer gestoßen und gezwungen, das Kommando zweitweise abzugeben. (…) Zwei Jahre später ist ja unter seinem Kommando die ‚Italia‘ aufs Eis gestoßen. (…) Sehr oft schwebte das Schiff knapp 100 Meter über dem Polareis, damit man deutlich beobachten, filmen und fotografieren konnte. Ein Motor setzte aus. Das hätte in Flugzeugen jener Jahre den Absturz bedeutet, zumindest eine riskante Notlandung. Aber die ‚Norge‘ besaß drei Motoren, und so genügten die beiden anderen. (…) Ohne Hast wurde der schadhafte Motor repariert und sprang wieder an.“
Eine peinliche und provokante faschistische Propaganda
„Am 12. Mai 1926, morgens um 1 Uhr 25, war das fliegende Schiff über dem Nordpol angekommen. Es senkte sich bis auf 80 Meter Höhe und blieb stehen. Amundsen ließ die norwegische Fahne hinab fallen. Das Tuch, nicht größer als ein Taschentuch, war an einem Stab befestigt, dessen bleigefüllte Spitz sich beim Fall in das Eis bohrte. Rasch hatte das Fähnchen festen Halt am Nordpol gefunden, hell leuchteten die bunten Streifen auf weißer Fläche. Danach folgte eine amerikanische Flagge der gleichen Größe, die Lincoln Ellsworth abwarf.
Jetzt war Oberst Nobile an der Reihe. Aber er hatte Mühe, seine Fahne durchs Fenster zu bringen, denn sie war so groß wie ein Bettlaken. Dabei hatte man für alle drei Fahnen die gleiche Größe verabredet. Die italienische Trikolore blieb in einem der Propeller hängen. Zwei Männer mussten ein akrobatisches Kunststück vollbringen, um sie wieder loszumachen.
‚Wie kann nur ein erwachsener Mann seine Vaterlandsliebe nach dem Flächeninhalt der Nationalflagge bemessen?‘, liest man in dem Bericht Roald Amundsens. ‚Sein Verhalten in diesem höchst bedeutsamen Augenblick erschien mir so komisch und so albern, daß ich lautes Lachen nicht vermeiden konnte.‘
Das Flugschiff „Norge“ stieg wieder auf, fuhr Richtung Alaska und kam bei minus 40 Grad durch die sich bildenden Eiskristalle in ernsthafte Schwierigkeiten, doch wurde nach 40 Stunden, am 13. Mai, die Nordküste Alaskas erreicht. Damit war die Überquerung des Polarmeeres zum ersten Male geglückt. Meissner (S. 208):
„Aber eine dunkle Wolkenwand kam der ‚Norge‘ entgegen. Man konnte ihr weder ausweichen noch genügend Höhe gewinnen, um darüber zu schweben. Die Situation wurde kritisch, als Sturmböen das Schiff wieder nach Norden trieben. Die drei Motoren kamen dagegen nicht an. Wegen der atmosphärischen Störungen konnte die Schiffsführung keine Wettermeldungen aus Alaska empfangen. Die Orientierung ging verloren (…) die „Norge“ wurde herumgeworfen wie ein Ball. (…) Die Italiener beteten um Rettung.“
Nach 72 Stunden in höchster Not ankerte das Luftschiff in einer Eskimo-Siedlung namens Teller, 60 Kilometer von Nome im Westen Alaskas gelegen. Die Mannschaft der „Norge“ war zu Tode erschöpft und schlief zwei Tage in den Hütten der Eskimos.
Der wissenschaftliche Erfolg der Expedition
Amundsen Eintrag dokumentiert, daß er an den wissenschaftlichen Erfolg dieser Entdeckungsfahrt und an die Zukunft der Menschen dachte:
„Der kürzeste Weg von Europa nach Ostasien ist die Strecke über den Pol nach Alaska und weiter nach Japan. Auf dieser Route werden in absehbarer Zukunft die Menschen fliegen. Es werden nicht Hunderte sein, sondern Tausende, vielleicht an ein und demselben Tag. Mit Stolz erfüllt mich der Gedanke, daß wir die Ersten waren. Wir haben eine neue Epoche eingeleitet.“
Die Medien jubelten weltweit, Mussolini gab pathetische Interviews, die angeblich tiefe italienisch-norwegische Freundschaft wurde beschworen.
An Alaskas Küste spürte man von dieser Freundschaft nicht so viel. In Seattle wurde die Mannschaft der „Norge“ jubelnd begrüßt, dem uniformierten Oberst Nobile wurde von einem Mädchen ein Begrüßungsstrauß überreicht und der einfach gekleidete Amundsen wurde übersehen. „Nichts anderes als Betrug“, schrieb Amundsen, denn Uniform zu tragen,war eigentlich nicht vorgesehen. „Dieser besoldete Luftschiffführer auf einem norwegischen Schiff, das einem Amerikaner und mir selbst gehörte, darf nicht den Ruhm an sich reißen, der ihm nicht gebührt“, heißt es in Amundsens Erinnerungen.
Nach seiner Rückkehr nach Italien wurde Umberto Nobile „für die außergewöhnliche Leistung“ zum General ernannt.
Es ging darum, den Ruhm Italiens zu mehren – Nobile landet auf dem Packeis
Mussolini und Nobile hatten Lust an Polarmeerexpeditionen gefunden. Von Spitzbergen aus startete Nobile mit dem Luftschiff „Italia“ zu drei weitere Expeditionen. Bei der letzten fuhr er am 24. Mai 1928 über den Nordpol. Funksprüche verkündeten auch diesen neuerlichen Triumph italienischen Unternehmungsgeistes. Dann brach die Radioverbindung ab, das Luftschiff „Italia“ schlug auf das Packeis auf, die Gondel und Hülle brachen auseinander, mit der Hülle flogen sechs Mann davon und blieben verschollen.
Auf einer Eisscholle aber lag, mit einigen Überlebenden, auch General Umberto Nobile.
Der Tod Amundsens
Der wegen des faschistischen Propagandarummels um „Norge“ und auch wegen Nobiles Verhalten verbitterte Amundsen brach trotzdem mit einem französischen Flugboot von Tromsö in Nord-Norwegen am 18. Juni zu einem selbstlosen Einsatz auf, um Umberto Nobile zu retten. An Bord waren zwei weitere Norweger und vier Franzosen. Eine letzte Meldung des Flugbootes wurde aufgefangen, dann war Stille. Am 31. August wurde das erste Wrackteil gefunden. Irgendwo zwischen Troms und der Bäreninsel war das Flugboot abgestürzt, es wurde bis heute nicht gefunden.
Nobile wurde gerettet
Nobile wurde trotzdem gerettet. Am 23. Juni landete Oberleutnant Lundborg von der schwedischen Luftwaffe waghalsig mit einem Kufenflugzeug auf der Eisscholle und rettete, auf ausdrücklichen Befehl seiner Vorgesetzten, als ersten General Nobile. Bei einem zweiten Landeanflug auf das Packeis schoss die Maschine über das Ziel hinaus und havariert selbst auf dem Eis. Am 12. Juli erreichte der russische Eisbrecher Krassin das Packeis und barg die restlichen Überlebenden.
Ein Mahnmal für die Landeseinheit – am Mittelpunkt Tirols
Das Tiroler Schützenwesen blickt auf Jahrhunderte einer stolzen Tradition der Landesverteidigung zurück, die 1918 mit dem Zerfall der Monarchie und der Zerreißung des Landes Tirol tragisch endete.
Der heutige Südtiroler Schützenbund hat sich entgegen einigen Bemühungen von interessierter Seite nicht in einen unpolitischen folkloristischen Verein umwandeln lassen. Die Schützen pflegen Tradition einschließlich Tracht und Zeremoniell, aber nicht zu kommerziellen Fremdenverkehrszwecken, sondern als Ausdruck einer gelebten Gesinnung. Sie führen die frühere militärische Landesverteidigung heute mit friedlichen Mitteln fort und treten mit den Waffen des Geistes und mit praktischem Handeln unter Inanspruchnahme ihrer Bürgerrechte für die Wiedererlangung der Landeseinheit ein.
Der Schützenbezirk Brixen und die Schützenkompanie Latzfons errichten ein Denkmal der besonderen Art
Am 10. Oktober 1920 hatte die offizielle Annexion Südtirols mit rechtskräftiger Einverleibung in den italienischen Staatsverband stattgefunden, nachdem am 9. August 1920 die römische Abgeordnetenkammer und am 24. September 1920 der Senat in Rom das Annexionsdekret beschlossen hatten. Damit war der Weg in eine schlimme Knechtschaft eröffnet worden.
Die Zerreißung Tirols haben die Schützen in Südtirol stets als Unrecht bezeichnet. Ein schönes Beispiel für ihre Geisteshaltung ist das jetzige Vorhaben des Schützenbezirks Brixen und der Schützenkompanie Latzfons unter ihrem Hauptmann Martin Pfattner, 100 Jahre später – am 10. Oktober 2020 – ein Denkmal der besonderen Art einzuweihen.
Wenn man um die Grenzen Gesamttirols ein Rechteck legt und in diesem zwei Diagonalen zieht, so befindet sich der Mittelpunkt Tirols in Latzfons auf dem Gemeindebiet von Klausen, 610 m östlich vom Gipfel der 2.464 m hohen Lorenzispitze.
An dieser Stelle werden der Schützenbezirk Brixen und die Schützenkompanie Latzfons mit Unterstützung durch den Bezirkskulturreferenten Josef Kaser „zur Erinnerung und Mahnung dieses Unrechts vor 100 Jahren“ einen Markstein setzen, dessen Oberteil als Scheibe ausgeführt sein wird.
In der Mitte wird der Markstein die Landkarte Gesamttirols mit der Kilometerangabe der Entfernung zu den Nachbarländern im Uhrzeigersinn zeigen: Achenpass 108 km – Kufstein 114 km – Pass Strupp 132 km – Nörsach/Lienz 109 km – Anpezzo Haydn 54 km – Primör 65 km – Strigno 80 – Borghetto 120 km – Storo 116 km – Tonalepass 86 km – Stilfserjoch 82 km – Arlberg 110 km – Reute 112 km – Scharnitz 80 km.
Wie die Schützenkompanie mitteilt, soll dieser Stein „die Verbundenheit unseres Heimatlandes aufzeigen“.
Am 10. Oktober 2020 erfolgt die Einweihung und kirchliche Segnung des Mahnmals.
Nachruf für Alois Ebner – ein Opfer politisierter Justiz
Wie der „Südtiroler Heimatbund“ (SHB) mitteilt, ist Alois Ebner aus Pfunders in der Nacht vom 17. auf den 18. Juli 2020 im Alter von 85 Jahren verstorben. Er hatte in seiner Jugend Schweres erleben müssen.
Der nachstehende Beitrag, welchen der SHB den Medien zur Verfügung gestellt hat, zeigt das damalige Geschehen auf:
„Justiz in Südtirol“
Die Titelseite einer in Österreich erschienenen Schrift „Schändung der Menschenwürde in Südtirol“, welche die Misshandlungen politischer Gefangener in Südtirol dokumentierte, zeigte den verhafteten und in Ketten abgeführten jungen Pfunderer Alois Ebner.
Die österreichische „Liga für Menschenrechte“ veröffentlichte im Jahre 1958 unter dem Titel „Justiz in Südtirol“ eine Broschüre, in welcher das Vorgehen der italienischen Justiz gegen die Pfunderer Burschen eingehend untersucht und dargestellt wurde. Auf dem Umschlagbild ist der junge Pfunderer Bernhard Ebner zu sehen, der Bruder des jetzt verstorbenen Alois Ebner.
Ein tragisches Geschehen im Jahre 1956
Der Südtiroler „Gemeindebote Vintl“ berichtete 50 Jahre später darüber, was sich am 15. August 1956 ereignet hatte:
„In jenen Jahren befand sich in Pfunders im ‚Lettahaisl‘ ein kleines ‚ENAL-Gasthaus‘. Am Abend des 15. August 1956 waren mehrere Burschen und Männer aus dem Dorf dort, als plötzlich zwei ‚Finanzer‘ mit einer kleinen Gruppe Pfunderer -in Pfunders gab es in jenen Jahren eine Finanzstation- das Gasthaus betraten.
Es handelte sich hierbei um Raimondo Falqui aus Sardinien und Francesco Lombardi. Sie feierten gemeinsam (Anmerkung: Wie die Familie des Verstorbenen jetzt korrigierend mitteilt, waren die beiden Gruppen in dem Wirtshaus nicht zusammen, sondern getrennt), doch plötzlich kehrten die Italiener die Amtsperson hervor, obwohl sie nur Zivilkleidung trugen, und forderten die Pfunderer auf, sofort die Wirtschaft zu verlassen, da die Sperrstunde bereits herangerückt sei. Dies taten die Männer so lange nicht, bis die Italiener verschwanden und mit einem Messer zurückkamen. Daraufhin verließen die Pfunderer die Wirtschaft, verfolgt von den Finanzern. Nach einer kurzen Wegstrecke ließen sich die Pfunderer dies nicht mehr gefallen und drehten den Spieß um. Sie wehrten sich und verfolgten die Finanzer bis zu der einstigen ‚Kirchbrugge‘, die damals etwa 50 Meter weiter oberhalb lag. Dort -so erzählt Alois Ebner, einer der Pfunderer- fasste er Falqui nochmals am Hemd, doch der ‚Finanzer‘ riss aus und rannte in die Dunkelheit hinaus, in Richtung ‚Roanaboch-Brugge‘.
Diese Brücke gibt es auch heute noch, damals hatte sie jedoch kein Geländer und so besteht die Vermutung, dass der ‚Finanzer‘, nachdem er sich von Alois Ebner losgerissen hatte, die Brücke verfehlte und in das Bachbett stürzte.
Die jungen Pfunderer merkten davon nichts mehr, denn nachdem die ‚Finanzer‘ weggelaufen waren, gingen sie nach Hause bzw. zu dem jeweiligen Bauernhof, auf dem sie arbeiteten.“ („Gemeindebote Vintl“, 28. Februar 2007)
Der Finanzer wurde am nächsten Morgen tot unter der Brücke im ausgetrockneten Bachbett aufgefunden. Er hatte sich bei seinem Sturz einen Schädelbruch zugezogen.
Bereits am 17. August 1956 meldete die Bozener italienische Tageszeitung „Alto Adige“ auf ihrer Titelseite, dass es sich um Mord gehandelt habe. Der Finanzer sei angegriffen und umgebracht worden („aggredita ed uccisa“).
In Rom gab das „Giornale d’Italia“, das Zeichen zur Hetzjagd: Es sei Mord gewesen und zwar ein „politischer Mord … Die Gründe sind noch nicht bekannt, aber sie sind zweifellos in dem Klima des Hasses zu suchen, den die Vertreter einer Partei seit Jahren säen …“ Gemeint war damit die „Südtiroler Volkspartei“.
Wenige Tage später wusste es die italienische Wochenillustrierte „Oggi“ ganz genau: „Dies ist ein grausames sinnloses Verbrechen, geboren aus dem Hassfeldzug, der von einigen Exponenten der örtlichen Minderheit geführt wurde. Der Mord an dem jungen Beamten stellt das letzte und blutige Glied in einer Kette von Übergriffen und Gewalttaten dar.“ (Zitiert in: Österreichische Liga für Menschenrechte, Sektion Tirol: „Justiz in Südtirol“, Innsbruck 1958, S. 10)
Ein politischer Mord also! Die gesamte Südtiroler Volksgruppe und ihre Führung als angebliche Anstifterin eines hinterhältigen und grausamen Verbrechens, zitiert vor die Schranken der italienischen Nation.
Verhaftung und Misshandlung – „Geständnisse“
Die sieben jungen Pfunderer Burschen wurden verhaftet und nach ihrer eigenen späteren Aussage vor Gericht so lange geschlagen, bis sie die auf Italienisch verfassten Protokolle unterschrieben hatten, deren Inhalt sie nicht verstanden. Diese Protokolle enthielten jedoch „Geständnisse“, die zur Grundlage der Verurteilung der Burschen wurde.
Im Prozess widerriefen die Burschen diese „Geständnisse“ und berichteten, dass diese durch Misshandlungen erzwungen worden waren. Alois Ebner erklärte:
„Vor den Carabinieri habe ich nicht mehr gewusst, was ich sage, so sehr haben sie mich geschlagen.“
Eine Untersuchung der von den Angeklagten berichteten Misshandlungen wurde nicht eingeleitet.
Staatsanwalt fordert Schuldspruch gemäß „dem Gefühl des Volkes“
Der Staatsanwalt Mario Martin forderte für sechs Angeklagte lebenslängliches Zuchthaus, ein Angeklagter solle aus „Mangel an Beweisen“ freigehen. Demnach hätten sechs Angeklagte gemeinsam Falqui den Schädel eingeschlagen. Falqui sei geradezu „gelyncht“ worden. Dieser Staatsanwalt, der sich auch 1961 noch durch die Duldung der Folterungen politischer Südtiroler Häftlinge einen traurigen Ruf erwerben sollte, rief den Geschworenen und den Richtern zu: „Ich verlange von euch Richtern eine Mutprobe! … Euer Schuldspruch stimme überein mit dem Gefühl des Volkes, von dem ihr delegiert worden seid.“
Die christlich-demokratisch orientierte Trentiner Zeitung „L’Adige“ lobte in einem Bericht diese mehr als seltsame Rechtsauffassung und schrieb, „dass gerade der Vertreter der öffentlichen Anklage die Pflicht hat, der öffentlichen Meinung Rechnung zu tragen.“
Noch ungeheuerlicher äußerten sich die Vertreter der Privatanklage. Sie nannten die Angeklagten „Hyänen“, „Bestien“, „hündische Meute“, „halbe Kannibalen, Wegelagerer und Mörder“. Alle Bewohner des „finsteren und zurückgebliebenen Südtiroler Tales Pfunders“ hätten, politisch von der einheimischen Presse verhetzt, im sardischen Finanzer Falqui „den Bringer des Fortschritts und der Kultur“ gehasst und mit Mordlust verfolgt. (Zitiert aus: Österreichische Liga für Menschenrechte, Sektion Tirol: „Justiz in Südtirol“, Innsbruck 1958, S. 20 und 22)
Ein politisch geprägter Prozess mit schweren Fehlern
Der Richter duldete diese Sprache. Der Prozess wurde entgegen des im „Pariser Vertrag“ von 1946 festgelegten Gebrauches der Muttersprache im öffentlichen Leben und vor Gericht nur in italienischer Sprache geführt. Die Bauernburschen aus Pfunders konnten so weder den Aussagen von Zeugen noch den Beweisführungen der Anklage folgen.
Die Prozessführung war mehr als seltsam: Wichtige Entlastungszeugen wurden nicht angehört. Am „Tatort“ war keine Spurensicherung vorgenommen worden. In die Aufklärung des Geschehens war keine Morduntersuchungskommission mit Spezialisten eingeschaltet worden. Die Untersuchungen wurden nur durch gewöhnliche Carabinieri vorgenommen. All das wurde durch den Gerichtshof nicht einmal beanstandet.
In dem Verfahren blieb ein entlastendes Gutachten des Gerichtsmediziners Professor Aldo Franchini von der Universität Padua unberücksichtigt, der festgestellt hatte, dass Falchi’s Schädelbruch mutmaßlich durch den Sturz in das Bachbett verursacht worden sei.
So denkwürdig wie das Verfahren, war auch die erst Monate später ausgefertigte Begründung des Urteils durch das Gericht. Darin steht folgender bezeichnender Satz:
„Was den Zeitpunkt des Todes von Falqui angeht, tappen wir völlig im Dunkeln. Wir können nicht mit ruhigem Gewissen ein abschließendes Urteil abgeben, da die Voruntersuchungen uns nicht die notwendigen Beweise geliefert haben.“(Zitiert aus: Österreichische Liga für Menschenrechte, Sektion Tirol: „Justiz in Südtirol“, Innsbruck 1958, S. 22)
Nicht einmal die Tatsache, daß Falqui vollkommen betrunken war, als das Unglück geschah, daß sich zehn Stunden nach dem Tod in seinem Blut 1,7 Promille Alkohol, ja in seinem Magen unverdauter Alkohol befand, hatte das Gericht in seiner Urteilsbildung auch nur im geringsten beeinflusst. Unglücksfall durch Sturz eines schwer betrunkenen italienischen Finanzbeamten in der Dunkelheit? Unmöglich! Das Gericht erklärte vielmehr: „Die Behauptung, daß Falqui betrunken gewesen wäre, ist eine letzte Schmähung des Opfers.Es stimmt, daß das gerichtsärztliche Gutachten 1,7 Promille Alkohol im Blut festgestellt hat. Trotzdem nimmt das Gericht nicht an, daß Falqui betrunken gewesen ist. Denn wenn die ärztliche Blutuntersuchung nicht gewesen wäre, dann würde kein Mensch es wagen, zu behaupten, daß das Opfer betrunken war.“ (Zitiert aus: Österreichische Liga für Menschenrechte, Sektion Tirol: „Justiz in Südtirol“, Innsbruck 1958, S. 23)
Fürwahr eine seltsame Logik!
Ein furchtbares Urteil
Das Urteil erster Instanz wurde am 16. Juli 1957 gesprochen. Als des Mordes schuldig gesprochen erhielten: Alois Ebner 24 Jahre Kerker, Florian Weissteiner 16 Jahre Kerker, Georg Knollseisen 16 Jahre Kerker, Paul Unterkircher l0 Jahre Kerker, Bernhard Ebner 16 Jahre Kerker, Isidor Unterkircher 16 Jahre Kerker, Johann Huber, der nachweislich nicht einmal am Raufhandel beteiligt war und für den selbst der Staatsanwalt Freispruch beantragt hatte: 13 Jahre Kerker.
Ein „Urteil – würdig der vornehmen Traditionen der italienischen Justiz“
Das Urteil rief in ganz Tirol Entsetzen hervor. Bis jetzt hatte man der Korrektheit der italienischen Justiz vertraut. Österreichs Bundeskanzler Dr. Ing. Julius Raab bezeichnete am 4. August 1957 das Urteil als „unverständlich“.
Hierauf antwortete der italienische Justizminister Gonella: „Das Urteil muss als Akt klarer Gerechtigkeit bezeichnet werden, durchaus würdig der vornehmen Traditionen der italienischen Justiz …“ („Dolomiten“ vom 8. August 1957)
Verschärfung in der Berufungsinstanz
In der Berufungsinstanz wurde das erstinstanzliche Urteil 1958 für 6 Angeklagte noch verschärft. Alois Ebner erhielt nun eine lebenslängliche Freiheitsstrafe. Lediglich Johann Huber wurde von der Mordanklage mangels an Beweisen freigesprochen und auf freien Fuß gesetzt.
Auch dieses Urteil rief wiederum in ganz Tirol Entsetzen hervor. In Südtirol fasste die „Südtiroler Volkspartei“ (SVP) am 31. März 1958 nachstehende Entschließung:
Am 1. April 1958 ruhte in ganz Nordtirol von 10 Uhr bis 10.05 Uhr alle Arbeit zu einem Gedenken an die Pfunderer Burschen. Landeshauptmann Dr. Tschiggfrey, erklärte während dieser Gedenkminuten über den Rundfunk:
„In diesen Augenblicken ruht die Arbeit in Stadt und Land. In Häusern und Fabrikhallen schweigt der Lärm. Das Tiroler Volk denkt, von tiefstem Leid erfasst, an jene sechs jungen Bauernsöhne eines entlegenen Südtiroler Bergdorfes, deren Leben durch einen Richterspruch ganz oder teilweise vernichtet wird.“
Am 16. Januar 1960 änderte der italienische Kassationsgerichtshof das unglaubliche Urteil gegen die Pfunderer, nur unwesentlich ab. Alois Ebner erhielt nun 25 Jahre und 4 Monate Kerker statt lebenslanger Haft.
Europaweit hatte jedoch die Kritik an dieser politisch geprägten Justiz zugenommen.
In einem Gutachten hatte 1958 der international renommierte Kriminologe Prof. Dr. Armand Mergen, Universitätsprofessor für Kriminologie an der Universität Mainz, schwerste Unterlassungen der Erhebungsbehörden und des Gerichtes festgestellt und war zu dem Schluss gekommen, dass die Schuld der Verurteilten nicht bewiesen worden sei.
Dieses Gutachten wurde auch in gedruckter Form veröffentlicht und fand weites Echo in der europäischen Presse.
Die Menschenrechtskommission des Europarates empfahl am 23. Oktober 1963 eine Begnadigung. Die römische Regierung benützte nun diesen Ausweg aus dem Dilemma, in welches sich Italien selbst durch dieses Verfahren gebracht hatte. 1964 wurde Paul Unterkircher begnadigt, der seine Haftstrafe schon nahezu abgesessen hatte. Am 18. Dezember begnadigte der italienische Staatspräsident die vier Pfunderer Burschen Bernhard Ebner, Florian Weißsteiner, Isidor Unterkircher und Georg Knollseisen. Der letzte Begnadigte, Alois Ebner, wurde erst am 25. November 1969 begnadigt und kehrte am 27. November 1969 nach 13 Jahren ungerechtfertigter Haft nach Hause.
Ein italienisches Sprichwort sagt in Hinblick auf die Justiz: „Wo die Politik eintritt, entfernt sich die Gerechtigkeit!“
Moskauer Nächte
Der deutsch-österreichische Historiker und Publizist Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhard Olt, hat uns dankenswerter Weise nachstehenden Beitrag über tragische Schicksale zur Verfügung gestellt, die nicht der Vergessenheit anheimfallen sollten.
Im „Massengrab mit nicht abgeholter Asche“ verschwanden Stalins letzte Opfer aus Österreich und Deutschland
Von Reinhard Olt
Ein berühmter österreichischer Kammersänger Südtiroler Abstammung
Unlängst beging der weit über die Grenzen Österreichs hinaus bekannte und an zahlreichen internationalen Opernbühnen wirkende Tenor Adolf Dallapozza seinen 80. Geburtstag. Kammersänger Dallapozza, Ehrenmitglied der Wiener Volksoper, entstammt einer Südtiroler Familie. Vater Virginius war kunstgewerblicher Maler aus Bozen, die musisch begabte Mutter Gisela, eine gebürtige Bartolotti, aus Branzoll im Südtiroler Unterland. Aus der am 21. Juni 1921 geschlossenen Ehe gingen neun Kinder hervor. Adolf Dallapozza, der jüngste Sohn, war, wie seine Geschwister, noch in Südtirol geboren worden. Er kam, noch in seinem Geburtsjahr 1940, mit der gesamten Familie infolge des zwischen Hitler und Mussolini geschlossenen Optionsabkommens, zufolge dessen sich die Südtiroler entscheiden mussten, entweder ihre Heimat zu verlassen und ins Reich umzusiedeln, oder in Italien zu bleiben und damit durch erzwungene Assimilation letztlich ihre national-kulturelle Identität an die Italianità zu verlieren, schließlich nach Wien, wo seine internationale Karriere ihren Anfang nahm, und wo er als gefeiertes Ehrenmitglied der Volksoper seinen Lebensabend verbringt.
Das tragische Schicksal des jüngeren Bruders
Anders sein um 15 Jahre älterer Bruder: Emil Dallapozza, am 19. September 1925 noch in Branzoll geboren, ereilte elf Jahre nach der Umsiedlung ein besonders tragisches Schicksal, über dessen nähere Umstände die Eltern – der Vater verstarb 1964, die Mutter 1980 – niemals etwas, die Geschwister, soweit sie noch lebten, erst nahezu 60 Jahre später die Wahrheit erfuhren. Zwar hatte die Familie neun Jahre nach seinem plötzlichen Verschwinden über Nachforschungen des Roten Kreuzes die Mitteilung erhalten, dass er in der Sowjetunion verstorben sei. Nähere Auskünfte waren aber aufgrund des apodiktischen Hinweises, weitere Nachforschungen seien zwecklos, unterblieben.
Mit Bitterkeit in der Stimme hatte sich Anna-Maria Melichar, eine Schwester, seinerzeit gegenüber Historikern des in Graz ansässigen „Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgenforschung“ (BIK), die anhand von Akten aus russischen Archiven den verhängnisvollen Weg nachzeichneten, der für ihren Bruder in einem Moskauer Massengrab endete, und damit den Angehörigen die Augen über das Schicksal des Bruders öffneten, jenes Tages erinnert, da sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte:
„Er ist in der Früh weggegangen und nie mehr wiedergekommen. Meine Mutter hat immer wieder verzweifelt nachgefragt, aber erst 1960 erfahren, dass er gestorben ist – mehr nicht.“
Es war der 11. Juni 1951, als Emil Dallapozza spurlos verschwand. Er war in die Fänge von Häschern der sowjetischen Spionageabwehr-Sondereinheit SmerSch (Смерш) – das Akronym steht übersetzt für „Tod den Spionen“ – und damit in die tödliche Mühle von Stalins erbarmungsloser Justiz geraten. Grund seiner Festnahme: „Spionage für den französischen Geheimdienst“.
Erschießung im sowjetischen Gefängnis
Aus den Akten geht hervor, dass Emil Dallapozza in St. Pölten die Kennzeichen zweier sowjetischer Kraftfahrzeuge notiert sowie Notizen über eine dort stationierte Militäreinheit gemacht hatte und auf „frischer Tat“ beim „Sammeln von Informationen“ ertappt und festgenommen worden war. Laut Protokoll des Militärtribunals bekannte er sich im Verhör in Baden bei Wien, wohin man ihn schaffte, zu seiner Schuld. Am 25. August 1951 verurteilte es ihn zur Höchststrafe, zum Tode durch Erschießen; Grundlage war der berüchtigte Paragraph 58 Absatz 6 des Strafgesetzbuchs der UdSSR. Man verbrachte ihn ins Butyrka-Gefängnis nach Moskau, eine wegen vorherrschender Brutalität und entwürdigender Haftbedingungen berüchtigte Anstalt. Dort schrieb er ein Gnadengesuch, in welchem er darlegte, dass er nicht aus politischen Motiven gehandelt habe:
„Der ergebenst Gefertigte Emil Dallapozza […] macht von der sowjetischen Rechtswohltat Gebrauch und bittet um Umwandlung der Todesstrafe in eine Freiheitsstrafe. Zur Bekräftigung seiner Bitte weist er noch auf seine Unbescholtenheit und seine Parteilosigkeit hin, wodurch erwiesen ist, dass seine Straftat keinem politischen Hassgefühl entsprungen ist.“
Am 29. September 1951 lehnte das Oberste Gericht der UdSSR, am 23. Oktober das Präsidium des Obersten Sowjets sein Gnadengesuch ab. Emil Dallapozza wurde am 10. November 1951 erschossen, sein Leichnam eingeäschert und die Asche auf den Donskoje-Friedhof verbracht.
Weitere tragische Schicksale
Wie dem Österreicher aus Südtirol, den die russische Hauptmilitärstaatsanwaltschaft (GVP) am 15.Mai 1998, zehn Jahre, bevor seine Angehörigen durch die Grazer Forscher davon Kenntnis erhielten, förmlich rehabilitierte, erging es auch dem 1923 geborenen Deutschen Herbert Killian. Der 1946 aus amerikanischer Gefangenschaft entlassene vormalige Wehrmachts-Leutnant wurde am 12. April 1950 in Radebeul verhaftet, am 28. September wegen Spionage zum Tode verurteilt und am 12. Februar 1951 in Moskau erschossen. In seinem Gnadengesuch beteuerte er, „nur unter Zwang“ gehandelt zu haben. Dreimal sei er für seinen Auftraggeber in die SBZ (Sowjetische Besatzungszone des geteilten Deutschland, später DDR) gereist. Wegen „Spionage für den amerikanischen Nachrichtendienst“ – dem Sammeln von Datenüber sowjetische Einheiten und Flugplätze in Berlin, Chemnitz, Cottbus, Bautzen und Berlin – verurteilte ihn ein Militärtribunal in Berlin zum „Tode durch Erschießen“. Zusammen mit Killian wurden zwei weitere Deutsche, Erich Reinhold und Felix Müller, zum Tode verurteilt; gegen 21 weitere Deutsche wurden hingegen „nur“ 25 Jahre Arbeitslager im sibirischen GULag als Strafmaß verhängt. 1994 erklärte die GVP Herbert Killian für rehabilitiert.
Das tatsächliche Schicksal all derer, die kurz nach dem Zweiten Weltkrieg unter solchen oder ähnlichen Umständen ums Leben kamen, war bis vor wenigen Jahren völlig unbekannt. Zwar hatten Angehörige der Vermissten während der „Tauwetterperiode“ und „Entstalinisierung“ unter Nikita Chruschtschow 1956/57 offizielle Todesmitteilungen erhalten, doch die Todesursachen waren allesamt fingiert: Lungen-Tbc, Nierenversagen, Gehirnblutung. Der entscheidende Hinweis auf ihr wahres Ende kam Jahrzehnte später von Arsenij Roginskij, Chef der einst von Andrej Sacharow gegründeten Bürgerrechtsorganisation „Memorial“. Laut „Memorial“ wurden zwischen 1945 und Stalins Todesjahr 1953 insgesamt siebentausend Menschen in der „Butyrka“ erschossen, unter ihnen mehr als tausend deutsche und 132 österreichische „Spione“. Roginskij nahm Kontakt zu Stefan Karner auf, dem damaligen Leiter des BIK in Graz. Dank „Entgegenkommens des Moskauer Staatsarchivs aufgrund jahrelanger vertrauensvoller Zusammenarbeit“ sei es dann, so Karner, „möglich geworden, die Schicksale dieser besonderen Gruppe unter den letzten Opfern Stalins zu rekonstruieren. Wir haben die Gnadengesuche der zum Tode Verurteilten und die Antworten – sie wurden alle mit einer unvorstellbaren Brutalität abgelehnt.“
Die 24 Jahre alten Buchhalterin Hermine Rotter aus Wien schrieb in ihrem Gnadengesuch: „Ich flehe zu Ihnen, ohne Eltern, ohne Heimat, da ich sonst niemand mehr habe, mein nacktes Leben zu retten und mich von dem grässlichen Tode freizusprechen. Ich schwöre dem russischen Staat meinen heiligen Eid, sollte das Hohe Gericht mir diese Gnade des Lebens erteilen, meine ganze Kraft, Arbeit, Fleiß und guten Willen zu geben und Ihnen in der Sowjetunion zu beweisen, dass ein junges Wiener Mädchen einen großen Fehler begangen hatte, aber als Wiedergutmachung Ihnen ihr Leben durch Arbeit und ein gutes Herz schenkt. Ich zünde für jeden Soldaten Ihres Landes, welcher im Kriege starb, abends in meinem Herzen ein Lichtlein an und denke dabei als Wienerin, alles gutzumachen, was ich an Ihnen verbrochen habe.“ Es half nichts: Am 9. Oktober 1951 wurde Hermine Rotter im Keller der „Butyrka“ erschossen – wegen „antisowjetischer Spionage“. In derselben Nacht wurde ihr noch nicht erkalteter Leichnam im Krematorium auf dem Friedhof des ehemaligen Klosters Donskoje verbrannt. Ihre Asche schüttete man ins wenige Schritte entfernte Grab Nr. 3, das „Massengrab mit nicht abgeholter Asche aus den Jahren von 1945 bis 1989“, als das es heute offiziell bekannt ist.
Ihre Angehörigen erhielten nach dem Abschluss des Staatsvertrages und dem Abzug der sowjetischen Besatzungstruppen aus Österreich 1955 eine Todesnachricht mit fingierter „natürlicher“ Todesursache.
Von 2201 Zivilisten, die sowjetische Organe bis 1955 in Österreich verhafteten, erhielten mehr als tausend hohe Haft- und Lagerstrafen.132 Personen verurteilte das Militärtribunal zum Tode: 39 in den Jahren 1945 bis 1947; 93 zwischen 1950 und Stalins Tod am 5. Februar 1953.1947 hatte Stalin die Todesstrafe vorübergehend ausgesetzt; drei Jahre später führte er sie wieder ein. Niemand in Österreich wusste, dass im Kurort Baden bei Wien derartige „Prozesse“ stattfanden, bei denen die Beschuldigten keine Chance hatten, sich zu verteidigen. Die Anklage war stets dieselbe: Spionage; ebenso das Urteil: Tod durch Erschießen.
In den meisten Fällen waren es aber wohl Lappalien, derer sich die Verhafteten „schuldig“ gemacht hatten, getrieben oft aus schierer materieller Not. So im Falle des Stefan Buger. Dieser war Fahrdienstleiter bei der österreichischen Eisenbahn. Im Verhör vor dem Militärtribunal legte er seine „finanzielle und materielle Not“ dar, die ein Angehöriger des französischen Geheimdienstes namens Fuczik „erbärmlich und schändlich ausgenutzt“ habe: „Ich hatte einen Monatslohn von 690 Schilling, auf Lebensmittelkarten nichts bekommen, alles nur am schwarzen Markt. 1 kg Schmalz 400 Schilling, Zucker 220Schilling, Mehl 45 Schilling, ein Ei 230 Schilling, Fleisch 300-350 Schilling. Meine Familie unterernährt, Kinder hatten Hunger und nicht einmal das Notwendigste an Brot und Fett zuhause“, gab Buger zu Protokoll. Als Gegenleistung für Informationen über Fracht und Häufigkeit des Verkehrs sowjetischer Güterzüge soll Buger „4000-4500 Schilling an Geld oder Produkten wie Schmalz, Mehl, Zucker“ erhalten haben. 1948, nach Fucziks „Verschwinden“, brach er jeglichen Kontakt zum Geheimdienst ab.
Was Buger nicht wusste: Fuczik war wegen Spionage zu 25Jahren GULag verurteilt worden und hatte seinen Namen preisgegeben. Buger wurde am 11. Juli 1952 in Moskau hingerichtet. Daheim rätselte seine ahnungslose Familie jahrelang über die Gründe für sein plötzliches Verschwinden: „Wir haben halt immer wieder spekuliert, ob er als Fahrdienstleiter vielleicht einen Zug mit Juden ins KZ gebracht hat“, sagte sein Sohn.
Ein anderer Fall, den die Grazer Wissenschaftler klärend rekonstruierten, ist der des Leo Thalhammer. „Der Fabrikarbeiter Leo Thalhammer wurde aufgefordert, auf die Kommandantur zu kommen und wurde seither nicht mehr gesehen“, hieß es in einer Meldung der „Arbeiterzeitung“ Ende September 1951. Seine Frau Anna ahnte sogleich, dass etwas Schlimmes passiert sein musste: „Den Leo ham’s sicha daschossn.“ Sein Schwager Ernst Feichtinger, laut KGB-Akten ein Agent des amerikanischen Geheimdienstes CIC, hatte Thalhammer als Informanten angeworben. Er sollte berichten, was bei den Messerschmitt-Werken in Wiener Neustadt hergestellt wurde. In seinem Gnadengesuch vom 6. Dezember 1951 bot Thalhammer „ … mein „ganzes Können für den Aufbau von Russland an, um meine Tat gutzumachen“.
Vergeblich: Am 1.März 1952 wurde er zusammen mit seinem Schwager Feichtinger in Moskau exekutiert. 1956 erhielt die Familie die Nachricht, er sei infolge „Zerreißens der Aorta“ verstorben – eine vordergründig zwar korrekte, aber doch zutiefst zynische Darstellung.
Isabella Maria Lederer wiederum wurde die leibliche Verwandtschaft mit einem vormaligen SS-Offizier zum Verhängnis, der für den amerikanischen Geheimdienst arbeitete. Die Grazerin wurde von ihrem Bruder angeworben. Ob sie bloß an Geld kommen wollte, um ihre drei Kinder durchzubringen oder tatsächlich politische Motive hatte, bleibt ungeklärt. Sie fuhr oft nach Wien, um Flugblätter zu verteilen, auf denen namens eines „Nationalen Arbeitskreises“, einer weißrussischen Organisation, dazu aufgefordert wurde, die Fronten zu wechseln. Stets mit dabei waren ihr 17 Jahre alter Sohn Horst und ihre vier Jahre alte Tochter Roswitha. Über ihre Festnahme berichtete im Mai 1952 sogar die „Austria Presse Agentur“. Am 18. Juli 1952 sah Horst Lederer seine Mutter zum letzten Mal im „Gerichtssaal“ des sowjetischen Militärs in Baden. Als die Übersetzung des Urteils verlesen wurde, konnten beide das Gehörte kaum fassen: wegen „antisowjetischer Agitation“ Tod durch Erschießen für die 42 Jahre alte Soldatenwitwe und Mutter dreier Halbwaisen; 25 Jahre „Arbeitsbesserungslager“ für den minderjährigen Sohn. „Sie war wie versteinert“, erinnerte sich Lederer, „ich streichelte ihr die Hand und sagte ,Es tut mir so leid‘.“
Drei Tage nach dem Urteilsspruch schrieb auch Isabella Lederer ein Gnadengesuch: „Ich bitte aus tiefstem Herzen das Präsidium die verzweifelte Bitte einer Mutter zu erfüllen, das furchtbare Urteil zu ändern und mir die Möglichkeit zu geben, einmal wieder mein Leben bei meinen Kindern zu verbringen.“ Am 11. September wurde die Bitte um Gnade abgelehnt, vier Wochen später vollstreckte Wassilij Michailowitsch Blochin im Keller der Moskauer „Butyrka“ das Urteil. Horst Lederer, sein Leben lang erfüllt vom Schmerz über das Schicksal seiner Mutter, hatte Glück: die Sowjetmacht verfrachtete ihn „nur“ nach Alexandrowsk in Sibirien, im Juni 1955 schickte sie ihn nach Hause.
Blochin war von 1924 bis 1953 für die Exekution von „Staatsfeinden“ verantwortlich. Der Gebieter über das „Untersuchungsgefängnis Nr. 2“ trat dabei stets auf, als wolle er die Delinquenten eher köpfen denn ihnen den Genickschuss zu verpassen; er hatte die Kleidung eines Schlächters angelegt: braune Schirmmütze, lange Lederschürze und Handschuhe, die bis über die Ellbogen reichten. Seine sorgfältig gepflegte Ruhestätte befindet sich keinen Steinwurf entfernt vom Massengrab seiner Opfer.
Dank der Forschungen der Grazer Historiker bekamen sie wie der gebürtige Südtiroler Emil Dallapozza und seinesgleichen zumindest ihre Namen zurück und die Angehörigen sowie die Nachgeborenen Einsichten über ihr gnadenlos-trauriges und menschenverachtendes Schicksal. Tiefschürfende, dokumentierte Befunde und Erkenntnisse darüber bietet das von Stefan Karner und Barbara Stelzl-Marx herausgegebene Buch „Stalins letzte Opfer. Verschleppte und erschossene Österreicher in Moskau 1950-1953“.
Staatsterror gegen die Herz-Jesu-Feiern
Vor 100 Jahren: Landesteilung Tirols 1920 – der Weg in die Knechtschaft!
Die Unterdrückung von Freiheitsbekundungen und das Aufbegehren der Bevölkerung
Unmittelbar nach der Besetzung Südtirols durch italienische Truppen im November 1918 wurden alle Bestrebungen der Südtiroler Bevölkerung unterdrückt, ihren Willen zur Erhaltung der Landeseinheit kundzutun.
In Nordtirol konnte die Bevölkerung ihren Gefühlen und Forderungen noch Ausdruck verleihen. Im Juni 1919 versammelte sich eine unübersehbare Menschenmenge auf dem Bergisel oberhalb von Innsbruck vor dem Andreas-Hofer-Denkmal, um für die Landeseinheit Tirols zu demonstrieren.
Der Tiroler Landeshauptmann Schraffl appellierte in seiner Rede an die Siegermächte: „Gebt uns Gerechtigkeit, gebt uns das freie Selbstbestimmungsrecht, wir werden niemanden bedrohen und keinen Frieden stören. Die Vergewaltigung Tirols, die Knechtung einer Viertelmillion Deutscher und Ladiner wird niemals zu einem dauernden Frieden führen.“ (Aus: „Allgemeiner Tiroler Anzeiger“, Innsbruck, vom 14. Juni 1919)
Dann bewegte sich der Demonstrationszug hinunter nach Innsbruck und durch den Burggraben zur Hofkirche, die bei weitem nicht alle Teilnehmer fassen konnte. Vor dem Grabmal Andreas Hofers endete die Kundgebung mit einer Ansprache des Geistlichen und Dichters Msgr. Anton Müller („Bruder Willram“) und dem gemeinsamen Absingen des Andreas Hofer-Liedes.
Die damalige Stimmung im Lande gab ein Lied wieder, dessen Text die Innsbrucker Ärztin Dr. Ehrentraut Lanner verfasste und der am 3. Juli 1919 von der Tageszeitung „Allgemeiner Tiroler Anzeiger“ erstmals auf der Titelseite als „Südtiroler Trutzlied” veröffentlicht wurde. Dieses Lied wurde vielfach publiziert, erlangte rasch Berühmtheit und wurde zu einem Volkslied in ganz Tirol.
Südlich des Brenners herrschte bereits Unterdrückung. Zeitungen durften über das Thema Selbstbestimmung nicht schreiben, öffentliche Auftritte waren verboten und sogar in den Gaststuben der Wirtshäuser lauerten Spitzel, die Äußerungen mit Freiheitsbekundungen den Behörden meldeten.
Trotz dieser Repressionsmaßnahmen hatten Vertreter aller 172 Gemeinden Südtirols bis Ende März 1919 heimlich eine Denkschrift unterzeichnet, welche dem amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson übermittelt wurde.
In dieser Denkschrift hieß es: „Wir – alle Gemeinden Deutsch-Südtirols – wenden uns … mit diesem Hilferuf an die ganze Welt … zu jedem Opfer sind wir bereit – wenn es so sein muss – , nur unser heiliges Selbstbestimmungsrecht darf nicht verletzt werden, deutsche Tiroler müssen wir bleiben, wir werden für Italien sichere Nachbarn sein – wir wären ihm tief unglückliche, verbitterte Untertanen!“ (Zitiert aus: „Allgemeiner Tiroler Anzeiger“, Innsbruck, vom 18. Juni 1919)
Nichterfüllung der Autonomie-Forderungen
Nachdem aber 1919 auf der Friedenskonferenz in Paris die Abtrennung Südtirols beschlossen worden war und der österreichische Staatskanzler Dr. Karl Renner am 10. September 1919 den aufgezwungenen Schandvertrag unterzeichnen musste, forderten die deutschen Parteien Südtirols, dass dem Lande zumindest eine eigene Autonomie mit weitgehender Selbstverwaltung gewährt werden möge. Es kam zu großen Demonstrationen im Lande, die zu unterdrücken dir Behörden zunächst nicht wagten.
Trotz aller Repressionsmaßnahmen traten am 9. Mai 1920 in Meran vor dem Andreas-Hofer-Denkmal laut einem Bericht der deutschen „Reclams Universum Weltrundschau“ an die „15.000 Vertreter der Gemeinden des Burggrafenamtes Passeier, Ulten und Vinschgau zusammen, um der italienischen Regierung zu bekunden, dass die deutschen Südtiroler unbeugsam auf dem Rechte der Selbstbestimmung bestehen, und solange dieses nicht durchführbar ist, eine deutsche Selbstverwaltung fordern.“ („Reclams Universum Weltrundschau, 1920)
Die deutschen Parteien des Landes hatten sich zum „Deutschen Verband“ zusammengeschlossen, welcher in Rom vorstellig wurde und der Regierung einen fertigen Autonomieentwurf überreichte. Es wurde die Schaffung einer Provinz Südtirol unter Einschluss der Ladiner mit eigener Landesverwaltung und eigener Gesetzgebungskompetenz eines frei zu wählenden Landtages gefordert.
Dagegen liefen in der Folge die Trentiner mit Alcide Degasperi, dem späteren Ministerpräsidenten Italiens nach dem Zweiten Weltkrieg, erfolgreich Sturm. Die Regierung kam unter diesem Druck den Südtiroler Forderungen nicht nach.
Angesichts der bevorstehenden gesetzlichen Annexion Südtirols und angesichts der Vorenthaltung der verlangten Autonomieregelung war nun im Lande eine gespannte Stimmung entstanden.
Die römische Angst vor den Herz-Jesu-Feiern
Angesichts dieser Situation sahen die italienischen Behörden den bevorstehenden Feiern zum Herz-Jesu-Sonntag im Juni 1920 mit Spannung und mit Furcht entgegen.
Um dies erklären zu können, ist ein kurzer geschichtlicher Rückblick notwendig.
Die alljährlichen Herz-Jesu-Feiern Tirols gehen auf den Beschluss der Tiroler Landstände vom 1. Juni 1796 zurück, angesichts der drohenden Kriegsgefahr das Land mit einem Gelöbnis dem „Heiligsten Herzen Jesu“ anzuvertrauen und zu versprechen, in aller Zukunft das Fest des göttlichen Herzens Jesu als Festtag zu begehen. Dieses Gelöbnis rief damals einen großen Zustrom von Freiwilligen zu den Waffen hervor, die das Land erfolgreich verteidigten.
Andreas Hofer wiederholte 1809 vor der Bergisel-Schlacht dieses Gelöbnis.
Bis heute werden in Südtirol jedes Jahr am dritten Samstag oder Sonntag nach Pfingsten zur Bekräftigung des Bundes Tirols mit dem Herzen Jesu außer den Gottesdiensten auch Höhenfeuer entzündet und Prozessionen abgehalten. Die Höhenfeuer stehen in der Tradition der früheren „Kreidfeuer“, mit denen das Landesaufgebot zu den Waffen gerufen wurde.
Es entspricht dem geschichtlichen Ursprung dieses Brauchtums, dass es neben einem religiösen Bekenntnis auch eine Bekundung des Freiheitswillens des Landes ist.
Tausende von Flammen über den Tiroler Bergen
Aus diesem Grund sahen die italienischen Behörden den Herz-Jesu-Feiern, die nach dem Krieg nun im Jahre 1920 wiederum begangen werden sollten, mit äußerstem Argwohn entgegen.
Der Kaiserjägeroffizier des Ersten Weltkrieges, Träger der Goldenen Tapferkeitsmedaille, und kurzzeitige Tiroler Nationalratsabgeordnete der Republik Deutsch-Österreich, Dr. Eduard Reut-Nicolussi, schildert in seinem Buch „Tirol unterm Beil“, wie er die Herz-Jesu-Nacht des Jahres 1920 erlebte:
„Juninacht. Wie einen goldübersäten blausamtenen Mantel breitet sich das funkelnde Firmament über Tirol. Auch die Erde glimmt und leuchtet mit Tausenden von Flammen. Ist ein Sternenregen auf die Tiroler Berge niedergegangen? Sind unzählige Brände über Berg und Tal entzündet?
Ich stehe mit einer Gesellschaft auf dem Höhenweg von Lengmoos am Ritten. Wir schauen über das Land. Da ist keine Spitze, auf der nicht ein heller Schein aufblitzt, kein Hang, über den es nicht feurig sprüht. Ist es ein Gaukelspiel, eine Sinnestäuschung?
Nein, das ist eine Feier Tirols, Herz-Jesu-Sonntag, aus schwerer Kriegszeit her durch fromme Angelobung der Tiroler Stände geheiligt und alljährlich durch Feuer auf allen Höhen begangen. … Im alten Glanze flammt die Glut, auf Zinnen und Graten brennen Lichterreihen über Hänge und Felsabstürze. ….
In der Gesellschaft, die mit mir auf den Ritten gefahren ist, um dieses gewaltige Feuermeer tirolischer Begeisterung zu bewundern, befindet sich auch die Witwe eines österreichischen Offiziers, der auf dem Hochlande der sieben Gemeinden sein Grab hat. Sie gibt sich der Größe dieser sang- und feuererfüllten Juninacht hin. Nach einer Weile übermannt sie die Ergriffenheit und unter Tränen sagt sie mir: ‚Nun weiß ich wenigstens, wofür mein Mann sein Leben gelassen hat.‘“ (Eduard Reut-Nicolussi: „Tirol unterm Beil“, München 1930, S. 55f)
Die Italiener befürchten einen Volksaufstand
Reut-Nicolussi berichtet weiter: „Anders sahen die Italiener vom Tale herauf. Sie hatten schon vorher davon erfahren. Ein Rundschreiben der Tiroler Volkspartei war ihnen in die Hände gefallen, worin zur Wiederaufnahme des alten Brauches aufgefordert wurde. Der letzte Satz, der als poetischer Abschluss gedacht war, lautete: ‚Von Kufstein bis Salurn mögen die Flammenzeichen lodern, die Nacht unserer Knechtschaft erhellend.‘
Der Sekretär der Partei, ein jugendlich warm empfindender Mensch, hatte es geschrieben. Den Italienern flößten diese Worte große Besorgnisse ein: hier war etwas im Zuge, wahrscheinlich die Erhebung Tirols. Alle Karabinieristationen erhielten genaue Weisungen, dem Militär wurde Bereitschaft anbefohlen, und als der Herz-Jesu-Sonntag anbrach, standen vor der Bozener Pfarrkirche, im Hofe des Postgebäudes Maschinengewehre.“ (Eduard Reut-Nicolussi: „Tirol unterm Beil“, München 1930, S. 56)
„Marietta, du siehst mich nie wieder!“
Wie groß die Angst auf italienischer Seite war, schildert Reut-Nicolussi anhand eines Beispiels: „In der Familie eines italienischen Stabsoffiziers in Bozen wurde an diesem Tage ein freudiges Ereignis erwartet. Mitten in die Vorbereitungen platzte eine Ordonanz des Regimentskommandanten, der baldige Vater habe sich schleunigst in die Kaserne zu begeben, da strenge Bereitschaft angeordnet sei. In größter Bestürzung wirft sich der Offizier am Lager seiner Gattin nieder und nimmt herzzerreißenden Abschied: ‚Lebe wohl, Marietta, du siehst mich nie wieder!‘“ (Eduard Reut-Nicolussi: „Tirol unterm Beil“, München 1930, S. 62)
Wie auch die „Bozner Nachrichten“ später am 18. Juni 1920 berichteten, hatten italienische Militärpersonen „am Vorabend von ihren Angehörigen Abschied genommen …, als ob es in einen neuen Weltkrieg ginge; von 20.000 bis an die Zähne bewaffneten Bauern wurde gemunkelt“.
Infanterie und Maschinengewehre in Bozen
Wie die „Bozner Nachrichten“ vom 15. Juni 1920 berichteten, fand am 14. Juni 1920 in der Bozener Pfarrkirche ein feierlicher Gottesdienst statt. Die italienischen Behörden hatten den teilnehmenden Vereinen den Aufmarsch mit Fahnen verboten und „eine Infanteriekompanie mit Maschinengewehren aufgeboten, welche bei der Talferbrücke Aufstellung nahm.“
Die in Bozen erscheinende Tageszeitung „Der Tiroler“ berichtete am 15. Juni 1920 ebenfalls über die behördlichen Maßnahmen in Bozen: Aufgebot einer Kompanie mit Maschinengewehren, Carabinieri in voller Ausrüstung, Offiziere und Mannschaften mit schwerster Bewaffnung.
Die Bevölkerung in Bozen blieb friedlich
Die Bevölkerung Bozens blieb jedoch friedlich, wie die „Bozener Nachrichten“ vom 15. Juni 1920 weiter berichteten. „Anlässlich des Herz-Jesu-Festes war auch nach altem Brauch eine Bergbeleuchtung zu erwarten. Eine ungeheure Volksmenge zog hinaus zur Talferbrücke, zur Wassermauerpromenade und anderen Aussichtspunkten, um sie dieses seltene Schauspiel anzusehen. Gegen 10 Uhr abends leuchtete es auf in zauberischem Glanze. Herrlich schön lag sie da, die Bergwelt, die Bozens paradiesischen Kessel umschließt.
Mächtig lohende Feuer, feurige Herzen und Kreuze und dazwischen das Zischen der Raketen und der Böller. … Bis gegen Mitternacht leuchteten die Flammenzungen ins Etschtal herein, dann ward es wieder stille, jedoch beim Volke bleibt die süße Erinnerung im Herzen. Der Ehrentag Tirols war vorüber.“ („Bozener Nachrichten“ vom 15. Juni 1920)
Schikanen, willkürliche Verhaftungen – Aufbegehren des Volkes in Tramin
Wie die Bozener Tageszeitung „Der Tiroler“ am 17. Juni 1020 meldete, war es in mehreren Orten Südtirols zu behördlichen Schikanen gekommen. Die Behörden wagten angesichts der Stimmung im Lande nicht mehr, gegen die Veröffentlichungen mit der Zensur vorzugehen. So konnte die Zeitung berichten: „Verbot um Verbot wurde aus den Trientiner Kanzleien nach Südtirol herausgespien. Das Führen von Fahnen in den Landesfarben, Pöllerschießen, Musik, Prozessionen, ja an einem Ort sogar die Abhaltung des feierlichen Gottesdienstes – wurden von den Carabinieri untersagt.“ Die Carabinieri hätten vielfach gegenüber der Bevölkerung erklärt: „Wir sind Carabinieri und können tun, was wir wollen.“ Die Carabinieri nahmen zahlreiche willkürliche Verhaftungen vor.
In Tramin wurde am 12. Juni 1920 eine Reihe von Bürgern verhaftet. Dagegen gab es ein Aufbegehren des Volkes. „Der Tiroler“ berichtete am 17. Juni 1920, dass der Zeitung Folgendes schriftlich mitgeteilt worden sei: „Als der Fackelzug … auf dem Rathausplatze sein Ende fand, blieb die Menge beisammen, demonstrierte vor der im Rathause untergebrachten Wachstube der Carabinieri, indem unter starker Erregung die Freigabe der Verhafteten gefordert wurde. Es mochten ungefähr 2.000 Mann beisammen gewesen sein. Da begingen die Carabinieri die Unklugheit mit aufgepflanztem Bajonett die Wachstube zu verlassen und davor mit Gewehr fertig Aufstellung zu nehmen. Als der Kommandant nun die Menge aufforderte, sich augenblicklich zu zerstreuen, widrigenfalls das Feuer eröffnet werden würde, erreichte die Erregung der Menge ihren Höhepunkt. Die allgemeine Erbitterung über dieses unwillkürlich als Herausforderung aufgefasste Vorgehen der Carabinieri kam mit elementarer Gewalt zum Durchbruch. Es flogen Steine gegen die Carabinieri, die sich auf das hin wieder in ihre Wachstube zurückzogen und die Eingangstür abriegelten.“
Auf Intervention des Bürgermeisters wurde lediglich ein Häftling freigelassen. „Im Ganzen wurden am Sonntag 16 Verhaftungen vorgenommen. Um 1 Uhr nachts wurden die Verhafteten nach Neumarkt abtransportiert.“ Insgesamt wurden in Tramin an die 30 Personen verhaftet. („Der Tiroler“ vom 17. Juni 1920)
Die Verhafteten wurden zum Teil misshandelt, wie die „Bozener Nachrichten“ nach der Freilassung mehrerer Verhafteter am 23. Juni 1920 berichteten:
Branzoll: Schüsse auf Gäste im Gastgarten
In Branzoll wurden am Herz-Jesu-Sonntag der Gemeindevorsteher und fünf junge Männer verhaftet. In der Carabinieri-Kaserne wurden sie an eine Kette gehängt und mussten so die Nacht verbringen, bis sie am nächsten Tag in Ketten nach Trient abtransportiert wurden. Am Abend kam es zwischen einem Einheimischen und einem Leutnant namens Telaro zu einer Auseinandersetzung. Dieser zog seine Pistole und feuerte auf Gäste im Garten des Restaurants mehrere Schüsse ab, wobei er einen Gast verletzte. Daraufhin verdroschen einige junge Männer den Leutnant.
„Der Tiroler“ am berichtete 17. Juni 1920 darüber: „Abends gab es Schießerei mit Revolver und Gewehren. Den Anfang dazu hat der Leutnant gemacht, indem er mit seiner Pistole auf die Gäste in den Garten des Bahnhofsrestaurants einigemale hineingefeuert hat. Verwundeter wurde bisher einer gemeldet. Der Offizier wurde verprügelt.“
In Branzoll kam es daraufhin zu zahlreichen Verhaftungen
70 Verhaftete nach den Herz-Jesu-Feiern – Haft unter schlimmen Bedingungen
Am 18. Juni 1920 berichteten auch die „Bozener Nachrichten“ unter dem Titel „Unverantwortlichkeiten“ über Ausschreitungen der italienischen Behörden anlässlich der Herz-Jesu-Feiern. Es seien an die 70 Verhaftungen vorgenommen worden. Die Verhafteten seien in Ketten nach Trient verschleppt worden.
Ein Teil der Verhafteten wurde nach einigen Tagen wieder freigelassen. Andere verblieben jedoch in Haft und zwar unter unwürdigen Bedingungen, wie das „Tiroler Volksblatt“ vom 29. Juni 1920 berichten musste:
„Das Gesetz ist für Alle gleich“
In italienischen Gerichtssälen prangt üblicherweise über dem Richterstuhl die Inschrift „La Legge e uguale per tutti“ – „Das Gesetz ist für Alle gleich“.
Das stimmt natürlich auf dem Papier. Es gibt nur ein Strafgesetzbuch. Eine andere Frage ist freilich die Anwendung dieses Gesetzes. Und diese fällt manchmal ein wenig unterschiedlich aus. In diesem Fall ging es um die gerichtliche Rechtfertigung der italienischen Repressionsmaßnahmen und um die Schuldzuweisungen an die Südtiroler.
Am 3. September 1920 begann in Schwurgerichtssaal des Gerichtes in Trient die Hauptverhandlung gegen 18 Traminer „wegen des Verbrechens der öffentlichen Gewalttätigkeit“, wie die „Bozner Nachrichten“ am 5. September 1920 berichteten. Es ging vor allem um die Teilnahme an der Demonstration gegen die Carabinieri-Kaserne. Der Staatsanwalt sprach von einer „Revolte“, die vorbereitet worden sei.
Die Tageszeitung „Der Tiroler“ berichtete am 5. September 1920 über den Prozess: „Trotz aller Bemühungen des Vorsitzenden, die Angeklagten dahin zu bringen, weitere belastende Aussagen zu machen, gelingt ihm dies nicht. Die Angeklagten betonen immer wieder ihre völlige Unschuld. Sie erklären klipp und klar, dass sie an den Vorgängen in keiner Weise beteiligt waren. Sie haben zwar gesehen, wie Steine flogen, gehört, dass die Leute gegen die Carabinieri Schimpfworte ausstießen, seien aber nicht imstande, auch nur einen Namen zu nennen.“
Das Gericht verurteilte 10 Angeklagte zu Strafen zwischen 5 und 7 Monaten schweren Kerkers, „mit monatlicher einmaliger Abschließung“, wie „Der Tiroler“ vom 5. September 1920 zu berichten wussten. Ein Angeklagter wurde freigesprochen, die restlichen Angeklagten wurden zu jeweils ein bis zwei Wochen Haft verurteilt.
Am 7. Dezember 1920 kommentierte „Der Tiroler“ unter dem Titel „Gerechtigkeit“ das Urteil: „Nicht umsonst haben wir stets schärfsten Protest eingelegt, dass Leute aus unserem Lande als Gefangene durch die Straßen Trients geschleppt und vor trentinische Gerichtshöfe geschleift werden. Nicht umsonst haben wir darauf hingewiesen, dass wir nicht das mindeste Vertrauen in die Trentiner Justiz haben können.“ Der Staatsanwalt Grandi habe vor Gericht erklärt: „Er wolle die Herren vom Gerichtshofe nicht mit Einzelheiten über die Schuld jedes Angeklagten aufhalten.“
Der vorsitzende Richter namens Guido Emer sei „seinerzeit einer der geheimen irredentistischen Führer“ in Trient gewesen, schrieb die Zeitung.
„Als Hasser des Deutschtums stand er schon vor dem Kriege bei seinen Landsleuten in hohem Ruf. Während des Krieges wurde er in gerichtliche und ehrengerichtliche Untersuchung gezogen. Daher war er offenbar … der geeignetste Mann, um einem Prozess mit politischem Gepräge gegen die den Trentinern so verhassten Südtiroler vorzustehen. … Junge Burschen werden in das Verließ geworfen, obwohl die Aussagen der Entlastungszeugen dartaten, dass die Behauptungen, auf welche die Anklage sich gründete, auf durchaus schwachen Füßen standen. … Aber freilich, wozu bedarf es juristische Gründe: es ist ein Verbrechen, ein Südtiroler zu sein und sich als solcher zu fühlen.“
„Der Tiroler“ schloss mit den Worten: „Wir lassen uns aber dadurch nicht beugen. Wir widerstehen schmeichelnden Lockungen wie brutaler Gewalttätigkeit mit jener Ruhe und Kraft, die uns das Vertrauen auf unser gutes Recht verleiht.“
Am 2. Dezember 1920 wurden von dem Schwurgericht in Trient in einem weiteren Prozess vier Branzoller zu Strafen „schweren verschärften Kerkers“ zwischen 10 Monaten und 3 Jahren verurteilt. Wie die „Bozner Nachrichten“ am 4. Dezember 1920 berichteten, hatte der Staatsanwalt „die Demonstration als eine der Folgen der antiitalienischen Politik des alten Österreich sowie der Aufreizung durch die südtirolischen Pangermanisten“ bezeichnet.
Diese Ereignisse des Jahres 1920 waren der Beginn des Weges in eine schlimme Knechtschaft. Bald setzte auch die Zensur wieder ein. Die von der Zeitung „Der Tiroler“ beschworene Unbeugsamkeit der Südtiroler sollte in den kommenden Jahren des Faschismus auf die härtesten Proben gestellt werden – sich letztendlich aber bewähren.
Die Kriegserklärung Italiens 1915: Standschützen und Freiwillige Schützen als Retter in höchster Not
Der Dolchstoß in den Rücken des eigenen Verbündeten: Kriegseintritt Italiens gegen Österreich-Ungarn im Jahre 1915.
Von Georg Dattenböck
Angesichts der horrenden Schrecken und unfasslichen Verlustzahlen an Gefallenen, Vermissten und Schwerstversehrten des 1. Weltkrieges, hat heute jeder geschichtskundige Friedenswillige in Italien und Österreich den Wunsch, daß derart Schreckliches nie wieder geschehen soll. Immer wieder gibt auch heute noch das schmelzende Eis an den ehemaligen Frontabschnitten mumifizierte Gefallene frei und der Wanderer entdeckt vielfach noch die Hinterlassenschaften dieses Krieges.
Das italienische Volk beklagte am Ende rund 600.000 tote junge Männer, die Zahl der Vermissten und Schwerstversehrten ist dem Verfasser unbekannt. Dies war der traurige „Siegespreis“, den das italienische Volk, welches in großer Mehrheit nicht kriegsbegeistert und nicht schuldig war, für diesen von einer fanatischen Minderheit geplanten Angriffskrieg gegen Österreich zahlen mußte. Auch auf Seiten Österreich-Ungarns waren die Verluste gewaltig. Etwa 30.000 Mann wurden alleine durch Lawinen und die widrigen Witterungsverhältnisse des Hochgebirges getötet.
Mit einer starken, antiösterreichischen Stimmungsmache, Hetzreden, einer Befürwortung und Heroisierung des Krieges, stach damals unter vielen anderen Kriegshetzern der italienische Dichter Gabriele d’Annunzio, Redner bei Freimaurerfesten und zugleich einer der Ideengeber des aufkommenden Faschismus, besonders hervor.
Er verherrlichte den Krieg, machte den von ihm und seinen Anhängern geübten „Saluto Romano“ populär, bis dieser zum offiziellen faschistischen – und nationalsozialistischen – Parteigruß wurde und ließ sich sein Leben in einer beschlagnahmten Villa am Gardasee von dem faschistischen Regime finanzieren.
Als nach dem Ersten Weltkrieg aufgrund des Londoner Geheimabkommens von 1915 Teile Kroatiens an Italien fielen, Rijeka – von den Italienern auch Fiume genannt – jedoch nicht zu den abzutretenden Gebieten gehörte, besetzte D’Annunzio gegen den Willen der eigenen Regierung an der Spitze militärischer Freischärler die Stadt und rief dort die „Repubblica di Fiume“ aus. Er verfolgte damit die gleiche Annexionspolitik, die in Bezug auf Südtirol angewandt wurde. Nur diesmal passte sie nicht in das Konzept der Regierung in Rom.
D’Annunzio musste 1920 nach einem Militäreinsatz der italienischen Regierung den „Freistaat“ verlassen. 1924 einigten sich Italien und Serbien darauf, dass Fiume von Italien annektiert werden konnte. Nach dem Zweiten Weltkrieg sollte die Stadt dann an Jugoslawien fallen.
D’Annunzio wurde von Rom jedoch für seine Tätigkeit belohnt, indem man ihm zu äußerst kulanten Bedingungen eine Villa mit Park in Gardone Riviera am Gardasee überließ, die zuvor der deutschen Familie Thode gehört hatte und die von der italienischen Regierung als „deutsches Feindgut“ beschlagnahmt worden war. D’Annunzio gab dem geraubten Anwesen den Namen „Il Vittoriale degli Italiani“ („Siegesdenkmal der Italiener“) und stellte in dem Park Flugzeuge, Kanonen, ein Torpedoboot und andere militärische Erinnerungsstücke aus.
Bis heute stellt „Il Vitoriale“ einen sorgsam gepflegten Museumskomplex zur Kriegsverherrlichung dar.
Von besonderer Bedeutung für Südtirols Schicksal wurde der sozialistische Journalist und Chefredakteur Benito Mussolini, der sich zu Beginn des Ersten Weltkrieges von einem linksradikalen Pazifisten in einen nationalistischen Hetzer und Kriegstreiber verwandelte. Der Grund für diesen Wandel war unter anderem, daß er von der italienischen Regierung, der Waffenindustrie und ausländischen Diplomaten eine Zeitung („Il Popolo d’Italia“) für seine kriegstreiberische Propaganda finanziert bekam. Mussolinis geistiger Schüler und Bewunderer, sowie einer der politischen Totengräber Südtirols wurde später Adolf Hitler. (Siehe ausführlich dazu: „Hitler und Südtirol“ im „Südtirol-Informationsdienst“ v. 15.6.2016 http://suedtirol-info.at/page/11/).
Die Haltung der italienischen Freimaurerei zur Frage des Kriegseintrittes
Interessant ist die Haltung der italienischen Freimaurerei. Diese hatte bei der „Wiederauferstehung“ („Risorgimento“), der Einigung Italiens, eine bedeutende Rolle gespielt. Führende „Irredentisten“ waren zugleich Freimaurer gewesen und das erzkatholische Haus Habsburg wurde von der antiklerikalen italienischen Freimaurerei ohnedies als Feind gesehen. Im Gegensatz zu den weltbürgerlich orientierten Großlogen anderer Staaten Europas, war die italienische Freimaurerei aufgrund ihrer besonderen Geschichte zutiefst nationalistisch eingestellt. Sie war erfüllt vom Gedanken, daß alle Italienischsprachigen unter der Trikolore eines geeinten Königreiches Italiens leben sollten. Diese Freimaurerei war irredentistisch und damit antiösterreichisch eingestellt.
Aus dieser Gesinnungslage erklärt sich eine Stellungnahme der Großloge am 30. Juli 1914, in welcher der italienische Großmeister von der Gefährdung der nationalen Interessen Italiens und von der Möglichkeit der Vervollständigung der nationalen Einheit sprach. Das war letztlich nichts anderes als die Befürwortung dessen, was bald geschehen sollte.
Als am 5. Mai 1915 ein Denkmal der tausend Garibaldiner, die 1860 Neapel erobert hatten, in Quarto bei Neapel eingeweiht wurde, hielt der Dichter Gabriele d’Annunzio eine nationalistische Festrede. Der Festplatz wurde von den Fahnen von 400 italienischen Logen umrahmt. Neun Tage nach diesem Logenfest trat Italien in den Weltkrieg ein. Der Großorient Italiens sprach in seiner Botschaft zum Kriegseintritt von einem lang erwarteten Ereignis, das er begrüßte. Der Irredentismus und glühende Nationalismus der italienischen Freimaurerei wurde in der Folge schlecht gelohnt: Der aufblühende Faschismus unter Benito Mussolini hatte die Freimaurerei von Beginn an nicht neben sich geduldet und sollte der Großloge Italiens in einem kurzen und heftigen Kampf bald ein offizielles Ende bereiten.
Der Dreibund-Vertrag
Am 20. Mai 1882 hatte Italien mit Österreich-Ungarn und Deutschland den Dreibund-Vertrag geschlossen, ein Verteidigungsbündnis, in dessen Artikel I es hieß: „Die hohen vertragschließenden Parteien versprechen sich wechselseitig Frieden und Freundschaft und werden kein Bündnis und keine Verpflichtung eingehen, die sich gegen einen dieser Staaten richtet.“
Der Artikel II sah vor, dass der Bündnisfall einzutreten habe, „wenn eine oder zwei der hohen vertragschließenden Parteien ohne unmittelbare Herausforderung ihrerseits angegriffen werden sollten …“
Der Artikel IV sah vor, dass in dem Falle, dass ein Vertragspartner einer anderen Macht den Krieg erklären sollte, die anderen Vertragspartner eine „wohlwollende Neutralität zu beobachten“ hätten.
Als Österreich-Ungarn 1914 Serbien den Krieg erklärte, konnte sich Italien auf den Artikel IV berufen und sich für neutral erklären.
Das nicht akzeptierte Angebot Österreich-Ungarns an Italien
Rom nutzte nun die militärstrategische Notlage Österreich-Ungarns zu erpresserischen Gebietsforderungen. Am 11. April 1915 übermittelte der italienische Botschafter in Wien ein Memorandum, in welchem Rom neben Welschtirol auch noch das halbe heutige Südtirol forderte. Wohlweislich forderte Rom keine Volksabstimmung in diesen Gebieten, sondern die Abtretung.
Die österreichisch-ungarischen Regierung war daraufhin bereit gewesen, Welschtirol (das heutige Trentino) an Italien abzutreten und einem Sonderstatus für Triest zu zuzustimmen, der dessen italienischen Charakter sichern sollte. Strikt verweigert wurde jedoch die Abtretung deutschtiroler Gebiete.
(Anmerkung: Die Bezeichnung „Trentino“ für Welsch-Tirol war ab dem Jahre 1848 als Kampfparole gegen die Landeseinheit von den Irredentisten verbreitet worden. Trient hatte noch zur Zeit des Konzils (1545-1563) als eine halbdeutsche Stadt gegolten und das deutsche Sprachgebiet hatte vordem in kleineren und größeren Sprachinseln bis Verona und Vicenza gereicht.)
Der Bündnisverrat
Zu dem Zeitpunkt des österreichischen Angebots waren allerdings hinter den Kulissen die Würfel schon gefallen. Die italienische Regierung hatte am 26. April 1915 mit England und Frankreich in London einen Geheimvertrag abgeschlossen, wonach Italien bei dem von den Alliierten geforderten schnellen Seitenwechsel innerhalb eines Monats, Tirol bis zum Brenner, sowie fast ganz Dalmatien zugesprochen erhielt.
Dem gewandten Redner, General und Chef des Generalstabes Luigi Cadorna war es gelungen, mit zu optimistischen Vorhersagen über einen Kriegsverlauf mit Österreich das italienische Parlament auf die Seite der Kriegspartei zu ziehen.
Damit war ein eklatanter Bündnisverrat gegeben, denn in dem Artikel I des Dreibundvertrages hatte es geheißen, dass die vertragschließenden Parteien sich Frieden und Freundschaft versprechen und kein Bündnis eingehen würden, welches sich gegen einen Bündnispartner richte. Und der Artikel IV hatte „wohlwollende Neutralität“ der anderen Bündnispartner vorgesehen, falls einer der Bündnispartner einer anderen Macht den Krieg erklären sollte.
Im August 1914 hatte sich das mit Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich im Dreibund verbündete Königreich Italien zunächst für neutral erklärt. Dieses Verhalten war noch vertragskonform gewesen. Der Kriegseintritt Italiens an der Seite der Ententemächte war jedoch nichts anderes als ein heimtückischer Dolchstoß in den Rücken betrogener Vertragspartner. Am 3. Mai 1915 trat Italien aus dem „Dreibund“ aus und erklärte am 23. Mai 1915 Österreich-Ungarn den Krieg. Dem Deutschen Reich erklärte Italien erst im Jahre 1916 den Krieg.
Der Wortlaut der italienischen Kriegserklärung vom 23. Mai 1915
Am 25. Mai 1915 veröffentlichte die „Bozner Zeitung“ dann auf ihrer Titelseite nachstehende Mitteilung:
„Die Kriegserklärung Italiens Wien, 23 Mai. Amtlich wird verlautbart:
Der italienische Botschafter, Herzog von Avarna überreichte heute nachmittags dem Minister des Aeßern Baron Burian die Kriegserklärung, in welcher es u. A. heißt:
Italien gab am 4. Mai der österreichisch-ungarischen Regierung die schwerwiegenden Gründe bekannt, weshalb Italien im Vertrauen auf sein gutes Recht den Bündnisvertrag mit Österreich-Ungarn, der von der österreichisch-ungarischen Regierung verletzt wurde, für nichtig und wirkungslos erklärt. Da Italien nun seine volle Handlungsfreiheit wieder erlangt hat und fest entschlossen ist, mit allen Mitteln für die Wahrung der italienischen Rechte und Interessen Sorge zu tragen, erachtet es die italienische Regierung als ihre Pflicht, alle Maßregeln zu ergreifen gegen jede gegenwärtige und zukünftige Bedrohung seiner nationalen Aspirationen. Der König betrachtet sich von morgen ab als im Kriegszustande mit Österreich-Ungarn befindlich.“
Die Antwort von Kaiser Franz Josef
Ebenfalls am 25. Mai 1915 veröffentlichte die „Bozner Zeitung“ auf ihrer Titelseite die Antwort des Kaisers auf die Handlungsweise der italienischen Regierung:
„An meine Völker!
Der König von Italien hat mir den Krieg erklärt! Ein Treubruch, dessen Gleichen die Geschichte nicht kennt, ist vom Königreiche Italien an seinen beiden Verbündeten begangen worden. Nach einem Bündnis von mehr als 30jähriger Dauer, während dessen es einen territorialen Besitz mehren und sich zu einer ungeahnten Blüte entfalten konnte, hat uns Italien in der Stunde der Gefahr verlassen und ist mit fliegenden Fahnen in das Lager unserer Feinde übergegangen.
Wir haben Italien nicht bedroht, sein Ansehen nicht geschmälert, seine Ehre und seine Interessen nicht angetastet; wir haben Unseren Bündnispflichten stets getreu entsprochen und ihm Unsern Schirm gewährt, als es ins Feld zog. – Wir haben mehr getan: Als Italien seine begehrlichen Blicke über Unsere Grenzen sandte, waren Wir, um das Bundesverhältnis und den Frieden zu erhalten, zu großen und schmerzlichen Opfern entschlossen, zu Opfern, die Unserem väterlichen Herzen besonders nahe gingen.
Aber Italiens Begehrlichkeit, das den Moment nützen zu sollen glaubte, war nicht zu stillen.
Und so muss sich das Schicksal vollziehen. …“
Mit diesen vor wahrnehmbarer Empörung bebenden Sätzen des Manifestes wandte sich Kaiser Franz Josef an die Völker Österreich-Ungarns.
Es sei vom Verfasser angemerkt, daß der seit 2. Dezember 1848 regierende Kaiser und seine vielen, wechselnden Regierungen, sich zu keiner Zeit über die sehr langfristig angelegte Strategie Italiens im Klaren waren und nur halbherzige Maßnahmen dagegen trafen. Trotz der Attentatsversuche auf den Kaiser und dessen Familie, der Kriege von 1848/49, 1859 und 1866 in Italien, trotz des Verlustes der Lombardei und Venetiens und des von außen geschürten Nationalismus der Völkerschaften der Monarchie, hatte sich wenig an der eklatanten Vernachlässigung der Wehrfähigkeit der k. u. k.-Armee und an dem Ignorieren von Warnungen geändert. Die umfassenden Pläne zur Erneuerung der Monarchie durch den designierten Nachfolger, Erzherzog Franz Ferdinand, waren durch dessen Ermordung und den Ausbruch des Weltkrieges nicht mehr zur Durchführung gelangt.
Ein Wort des Verfassers in eigener Sache: Mein persönlicher Bezug zu diesem tragischen Geschehen
Mit dem, was in der Folge nun geschah, bin ich nicht nur durch mein historisches Interesse, sondern auch durch meine Familiengeschichte verbunden. Dieser Krieg hatte auch für meine Großväter eine einschneidende Bedeutung: Der Großvater väterlicherseits (*1897) wurde zum salzburgisch-innviertlerischen Infanterie-Regiment 59 („Die Rainer“) eingezogen. Er musste u.a. am verhängnisvollen Monte Cimone schwerste Kämpfe durchleiden und wurde dort zweimal ausgezeichnet.
Mein Großvater mütterlicherseits, bei der Kriegserklärung Italiens noch nicht einmal 17 Jahre alt, meldete sich als Freiwilliger zu den Oberösterreichischen Freiwilligen Schützen. Sein Schicksal soll uns hier im Bericht Begleiter sein.
Die Freiwilligen
Über das weitere Geschehen zitiere ich aus einem zeitgeschichtlichen Werk (Helmut Golowitsch: „Und kommt der Feind ins Land herein… Schützen verteidigen Tirol und Kärnten“, Schriftenreihe zur Zeitgeschichte Tirols; Band 6, Nürnberg 1985)
„Als Italien den Krieg erklärte, standen zwei Drittel der italienischen Armee an der österreichischen Grenze. Vom Ortler über das Etschtal, die Sieben Gemeinden, die Dolomitenpässe bis hin zu den Pässen und Tallinien der Karnischen und Julischen Alpen schienen die Italiener auf kaum besetzte Grenzen zu stoßen. Der Durchmarsch bis Wien und das Diktat eines mitteleuropäischen Friedens durch das siegreiche Italien schienen in greifbare Nähe gerückt. Wer weiß, welche auch aus heutiger Sicht schmerzhaften Gebietsopfer über die Abtrennung Südtirols hinaus ein solcher italienischer Durchbruch für Österreich gebracht hätte.
In der Tat schien Italien mit dem Krieg nicht viel zu wagen. Das Feldheer stand in Galizien und in den Karpaten. Die plötzlich zur Front gewordene Südgrenze war von Truppen entblößt. Die Luftlinie der österreichischen Grenze vom Stilfser Joch bis zu den Julischen Alpen betrug 600 km. Offiziere des österreichischen Generalstabes errechneten, daß die tatsächliche Länge der Stellungslinien aufgrund des Geländes und der Höhenunterschiede mit mindestens 3.500 Kilometern anzusetzen war, ohne Einschluss der Isonzo-Front.
An dieser Grenze standen im Mai 1915 in Tirol nur einige Landsturm- und Marschbataillone sowie die Festungsbesatzungen zur Verfügung. Allein an der 100 Kilometer langen Dolomitenfront marschierten aber 160.000 Mann Italiener auf, die unter Generalleutnant Nava die 4. Armee bildeten.
Insgesamt standen in Tirol 21 improvisierten, kaum ausgebildeten Heeres- und Landsturmbataillonen die gesamte 1. und 4. italienische Armee mit etwa 180 Bataillonen gegenüber.
In Kärnten standen die Dinge nicht viel besser. Der offenen und entblößten Grenze gegenüber marschierten die 2. und die 3. italienische Armee sowie das 12. Korps, noch verstärkt durch 16 Alpinibaone, zum Angriff auf.
Demgegenüber hatte der österreichische General Goiginger nur 12 Bataillone zur Verfügung. Die Einnahme Trients und Bozens, der Durchstoß in das Pustertal, der Einbruch über Plöcken und Naßfeld nach Kärnten und der Vormarsch bis Wien hätten nach menschlichem Ermessen ohne Schwierigkeiten gelingen müssen, wenn nicht zwei Dinge geschehen wären:
Der italienische Oberbefehlshaber Graf Cadorna überschätzte Zustand und Stärke der österreichischen Festungen maßlos. Statt an bestimmten Punkten seine Kräfte zu massieren und diese in energischem Stoß in das österreichische Hinterland zu führen, zögerte Cadorna in unbegreiflicher Weise mit dem Ansetzen punktueller Großangriffe und begnügte sich zunächst damit, alle seine Kräfte in die Ausgangsstellungen entlang der österreichischen Linien heranzuführen und durch nachrückenden Ersatz und durch Artillerie zu verstärken. Dann begann Cadorna, die von ihm so gefürchteten österreichischen Festungen tagelang sturmreif zu schießen.
Das zweite Ereignis, das gerade wegen der Zaghaftigkeit des italienischen militärischen Führers einen raschen italienischen Erfolg verhinderte, war das Auftreten freiwilliger Formationen, die dann Cadorna das Tor schlossen, durch welches er bis nach Wien zu gelangen gedachte. Buchstäblich wie aus dem Nichts tauchten in Tirol 38.000 zusätzliche Landesverteidiger auf. Innerhalb von nur 3 Tagen stellten Tirol und Vorarlberg ein gesamtes zusätzliches Armeekorps an die Grenze, bestehend aus blutjungen oder alten Männern, deren Alter außerhalb der Wehrpflicht lag.
Als die ersten italienischen Patrouillen gegen die österreichischen Stellungen vorfühlten, schlug ihnen von Gipfeln und Graten ein gut gezieltes Scharfschützenfeuer entgegen.
Diese Verteidiger waren die Standschützen, über die das italienische Generalstabswerk ‚La Conquista del Col di Lana‘ (‚Die Eroberung des Col di Lana‘) vermerkt:
‚Die Standschützen setzten sich aus Freiwilligen von Tirol und Vorarlberg zusammen. Lang nicht alle waren militärisch ausgebildet. Die meisten waren überhaupt viel zu jung oder viel zu alt dazu, doch sie erwiesen sich für die Verteidigung ihres Landes sehr wertvoll. Diese rauhen Jäger und unermüdlichen Gebirgler hingen mit seltener Liebe an ihren Bergen, mit denen und ihrem alten Kaiser sie von Jugend auf verwachsen waren. Sie wurden gleich unsere erbittertsten Feinde‘.
Den Standschützen traten dann auf der Hochfläche von Folgaria-Lavarone noch freiwillige Schützen aus Oberösterreich zur Seite, hauptsächlich Jugendliche im Alter unter 18 Jahren.
In Kärnten geschah wie in Tirol ein Wunder. Ein Wunder der Heimatliebe und des Opfermutes.
12.000 freiwillige Schützen tauchten auf gespenstische Weise auf und besetzten die Gipfel, Grate und Hangstellungen der Karnischen und Julischen Alpen. Schüler und Studenten aus der Steiermark, Bauernbuben, Lehrlinge und Gymnasiasten aus Salzburg stiegen, unter der Last ihrer Rüstungen fast zusammenbrechend, in die Höhenstellungen und wehrten dem Feind das Eindringen in das Land. Von ihnen waren aber allein 8.422 Kämpfer aus Kärnten, die mit ihren Leibern die engere Heimat deckten.
Den Buben und den alten Männern in Tirol kam als erste Hilfe das deutsche Alpenkorps zur Unterstützung herangeeilt, ausgestattet mit Kampferfahrung, vortrefflicher Disziplin und hervorragender Gebirgsartillerie. Dann kamen österreichische Truppen des Feldheeres. Wochenlang aber lag die Last der Verteidigung allein auf den Schultern von Knaben und Greisen, die zum Teil von Mädchen, Kindern und Bauersfrauen aus dem Tale in ihren Höhenstellungen versorgt wurden. Die Freiwilligen aber, die man seitens der obersten Heeresleitung anfangs lediglich für fähig gehalten hatte, bei der Verteidigung von Stellungen mitzuwirken, entwickelten sich zu hervorragenden Sturmtruppen die man in Sturmkursen technisch und taktisch ausbildete und bis zum Zusammenbruch 1918 an den Brennpunkten des Geschehens auch operativ einsetzte.“
(Helmut Golowitsch: „Und kommt der Feind ins Land herein… Schützen verteidigen Tirol und Kärnten. Schriftenreihe zur Zeitgeschichte Tirols; Band 6, Nürnberg 1985, S. 14ff)
Zum Abschluss eine Erinnerung aus der Familiengeschichte des Verfassers:
Der schreckliche Tod des ehemaligen Freiwilligen Schützen Josef Beyerl
Der Großvater des Verfassers, Josef Beyerl, der im Juli 1898 im Mühlviertel, in Mardetschlag (Bezirk Freistadt), geboren wurde, hatte sich als Sechzehnjähriger zu den Freiwilligen OÖ Schützen gemeldet.
Als Josef Beyerl aus den verlustreichen Kämpfen in die Heimat zurückkehrte, musste er feststellen, dass der Erste Weltkrieg auch hier ein schreckliches Erbe hinterlassen hatte. Das ausgehungerte, ausgeblutete und von den siegreichen Alliierten nochmals ausgeraubte Österreich versank im Elend. Soziale Kämpfe und das Entstehen radikaler totalitärer Kräfte waren die Folge. Ein Opfer dieser tragischen Entwicklung sollte er selbst werden.
Am 27. Juli 1934 meldete sich der Gendarmerie-Rayonsinspektor Josef Beyerl in seinem nunmehrigen Heimatort Wilhering auf Grund der Erkrankung eines Kameraden freiwillig zum Dienst.
Der sogenannte „Juli-Putsch“ der NSDAP war in den Aufstandszentren Wien, Steiermark und Kärnten schon längst zusammengebrochen, als einige von tiefem Hass erfüllte junge „Volksgenossen“ um 3 Uhr morgens, aus finsterem Hinterhalt, mit 4 Karabinerschüssen dem Leben des 37jährigen ehemaligen Freiwilligen Schützen ein jähes Ende bereiteten. Ein Schuss zerfetzte seine Leber.
Die sofort alarmierte Familie, Gattin und Kinder (11 und 8 Jahre alt), lief schreiend und in heller Panik im Nachtgewand rund 1,5 Kilometer weit auf der Bundesstraße 129 zu dem neben dem Straßengraben liegenden Mann und Vater, der vor ihren Augen in seinem Blut langsam verröchelte.
Im Morgengrauen wurden unweit der Mordstelle 35 Mannlicher-Gewehre gefunden: 25 waren geladen, zehn davon waren noch in Papier verpackt. Die Mörder konnten nicht festgestellt werden und wurden nie abgeurteilt. Gerüchte liefen später um, dass die Täter eigentlich einem anderen Gendarmen hatten auflauern wollen und dass Josef Beyerl somit das Opfer einer Verwechslung geworden war. Das machte freilich die Tat nicht besser.
Unter größter öffentlicher Anteilnahme wurde der besonnene und in Wilhering äußerst beliebte Mann am 30. Juli 1934 zur letzten Ruhe geleitet. In diesem blutigen Jahr 1934 hatte er zwischen den ständig aufeinander schießenden Bürgerkriegsparteien immer wieder ausgleichend wirken wollen und war dann selbst zum Opfer geworden.
Bundespräsident Wilhelm Miklas verlieh ihm posthum die „Goldene Medaille für Verdienste um den Bundesstaat“.
Am 11. November 1934 fand eine Denkmalenthüllung am Sterbeplatz des Erschossenen statt, unter Anwesenheit von Landeshauptmann Dr. Heinrich Gleißner, der einst auch ein Kämpfer an der Front in Tirol gewesen und mit der Großen Goldenen Tapferkeitsmedaille ausgezeichnet worden war.
Junge Idealisten wie Josef Beyerl hatten ehrlichen Herzens bei der Verteidigung der Heimat ihr Bestes gegeben. Als sie aus einem schrecklichen Krieg zurückkehrten, war ihnen der Friede nicht vergönnt. Im südlichen Tirol brach nach der Landesteilung auch noch der Terror des Faschismus über die Unterworfenen herein. Der Oberösterreicher Josef Beyerl starb 1934 in einem beginnenden Bürgerkrieg einen tragischen Tod. Viele seiner Kameraden mussten Diktatur, Verfolgungen, und einen weiteren Weltkrieg erleben.
Wir gedenken anlässlich des Jahrestages der italienischen Kriegserklärung der Tiroler Landesverteidiger und ihrer Kameraden wie des Freiwilligen Schützen Josef Beyerl, die reinen Herzens gehandelt und alles für das Vaterland und ihre Mitmenschen gegeben hatten.
Menetekel „Los von Rom“
Der Historiker und ehemalige Österreich-Berichterstatter der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhard Olt, hat uns dankenswerter Weise nachstehenden Beitrag zur Verfügung gestellt.
In Südtirol leuchten Feuerschriften auf und die Stimmung schlägt um
Im Lande an Eisack und Etsch gärt es. Feuerschriften leuchten auf. „Jetzt reicht‘s“ verkünden brennende Fackel-Schriftzüge zwischen Pustertal, Burggrafenamt und Vinschgau. „Freistaat“ heißt ein Verlangen auf Spruchbändern. „Kurz, hol uns heim“ fordern Aufschriften auf an Brücken befestigten Tüchern als Wunsch an den österreichischen Bundeskanzler. Und in Weinbergen, an Felswänden, Heustadeln und Gartenzäunen prangt auf Spruchtafeln, was des Nachts Flammenschriften an Bergrücken bekunden: „Los von Rom“.
Die Folgen der Corona-Krise zeitigen im südlichen Teil Tirols, von Italien 1918 annektiert und ihm im Vertrag von St. Germain 1919 als Belohnung für seinen Seitenwechsel 1915 zugesprochen, einen markanten Stimmungsumschwung in der Bevölkerung. Der öffentlich vernehmliche Unmut gegen das Dasein im fremdnationalen Staat, und der Rückgriff auf das „Los von Rom“, einer Losung, welche die 1950er Jahren maßgeblich beherrschte, in den 1960er und 1970er Jahren aber infolge der Autonomie- und „Paket“-Politik, in welcher das „Los von Trient“ dominierte, eher schwand, und allenfalls noch von austro-patriotischen, in ganz geringem Maße auch von deutschnationalen Kräften als Ziel hochgehalten wurde, hat in den „Corona-Wochen“ durch Maßnahmen, wie sie dem typischen römischen Zentralismus immer wieder eigen sind, einen enormen Auftrieb erhalten.
Unübersehbar war und ist, dass selbst die Südtiroler Volkspartei (SVP), seit 1945 dominante und mehr oder weniger unangefochtene politische Kraft in der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol, von diesem demoskopisch greifbaren und allerorten zu vernehmenden Umschwung erfasst zu sein scheint. Eine SVP, deren (seit Abgang der „Alten Garde“) janusköpfige Führung – hie Parteiobmann Philipp Achammer, da Landeshauptmann Arno Kompatscher – seit Amtsantritt 2014 stets mehr Italophilie zeigte denn von historisch gebotener Österreich-Empathie berührt ist. Die Auswirkungen der Corona-Krise, insbesondere das notorisch zu nennende zentralstaatliche Gebaren Roms, das der – von der SVP bisweilen verabsolutierten – Autonomie Hohn spricht und die Südtiroler „Selbstverwaltung“ ad absurdum führt(e) – setzten quasi über Nacht eine Kurswende in Gang. So beschloss die SVP-Parteiführung, als sie gewahrte, dass sich der Stimmungsumschwung in Wirtschaft und Gesellschaft Südtirols letztlich auch zu ihren machtpolitischen Ungunsten auswirken würde, eine Kehrtwende. Sie bekundete, die von ihr geführte Landesregierung werde nicht einfach mehr die als abschnürend empfundenen Dekrete von Ministerpräsident Conte in vom Landeshauptmann quasi übersetzte Anordnungen kleiden, sondern durch ein eigenes – in autonomer Zuständigkeit aufgrund primärer Zuständigkeit vom Landtag zu verabschiedendes – Landesgesetz ersetzen, welches den Bedürfnissen der Bevölkerung zwischen Brenner und Salurner Klause Rechnung trage.
„Für uns ist es nicht akzeptabel, das unsere Autonomie weiter eingeschränkt wird“, hatte Kompatscher nach einer Videokonferenz des Regionenministers Francesco Boccia mit den Regierungschefs der Regionen und autonomen Provinzen sowie mit Zivilschutz-Chef Angelo Borrelli und dem außerordentlichen Covid-19-Notstands-Kommissar Domenico Arcuri dargelegt. Boccia hatte bekräftigt, dass Sonderwege für Gebietskörperschaften erst vom 18. Mai an zulässig seien. Daher, so Kompatscher, werde Südtirol nicht nur den „schwierigen gesetzgeberischen Weg gehen, um Schritt für Schritt das wirtschaftliche Leben wieder in Gang zu bringen“, sondern gemäß dem einmütigen Beschluss des SVP-Führungsgremiums auch die römischen Parlamentarier der Partei veranlassen, die (ohnehin labile) Regierung Contes – nach Hinauswurf Salvinis und der Lega von dem im linken Parteienspektrum angesiedelten Partito Democratico (PD) und der Movimento 5 Stelle (M5S; „Bewegung 5 Sterne“) sowie einer PD-Abspaltung unter dem früheren Ministerpräsidenten Renzi mehr schlecht als recht getragen – nicht länger zu unterstützen.
Der gesetzgeberische Akt Südtirols wird letztlich zwangsläufig zu einem Konflikt führen, der nicht allein bis zum römischen Verfassungsgerichtshof reichen würde, wenn Rom auf seiner trotz aller schönfärberischen Lobhudeleien, die zwischen Rom und Bozen, aber auch zwischen Wien und Rom ob der „weltbesten Autonomie“ und der „friedlichen gutnachbarschaftlichen Lösung des seit Ende der Teilung Tirols 1919/20 bestehenden Südtirolkonflikts“ durch die Streitbeilegungserklärung gegenüber den Vereinten Nationen 1992 fortbestehende „Ausrichtungs- und Koordinierungsbefugnis“ (AKB) seiner Zentralgewalt besteht und den Landtagsbeschluss für null und nichtig erklärt. Was nach aller historisch-politischen Erfahrung geschehen dürfte.
Doch unabhängig davon, ob Rom dann eine Art Zwangsverwaltung über Südtirol verhängt – denn selbst bis zu einer „Eilentscheidung“ des römischen Verfassungsgerichtshofs, die erfahrungsgemäß kaum zugunsten Südtirols ausfallen dürfte, würde wohl eine erhebliche Zeitspanne verstreichen – oder nicht, könnten alle damit verbundenen Akte wohl kaum ohne erhebliche Spannungen realisiert werden. Eigentlich sieht ja das in vielen damaligen Verhandlungen vereinbarte und 1969 gutgeheißene „Südtirol-Paket“ und das darauf fußende Zweite Autonomiestatut von 1972 rechtsverbindlich vor, dass alle von Rom hinsichtlich Südtirols zu treffenden Maßnahmen stets nur im Einvernehmen mit den dortigen Gremien in Kraft gesetzt werden können. Notfalls steht es Bozen zu, Wien sozusagen als „Schutzmacht“ anzurufen; lediglich der Gang vor den Internationalen Gerichtshof (IGH) ist im Zuge der damaliger Verhandlungen nicht als Vertragsbestandteil fixiert worden, was sich, wenngleich in Wien und Bozen von manchen seinerzeit mahnend verlangt, als kaum mehr gutzumachendes Hemmnis für die Südtiroler Sache insgesamt erweist.
Die SVP – in der Anfang 2019 gebildeten Landesregierung auf die Südtiroler Provinzorganisation der starken Lega angewiesen – hat dabei nicht allein ihren Koalitionspartner an der Seite; die Lega ist seit dem „Hinauswurf“ ihres demoskopisch erfolgsverwöhnten römischen Vormanns Salvini mit der römischen Regierung ohnedies auf striktem Konfliktkurs. Auch auf die deutschtiroler Oppositionskräfte im Landtag, Freiheitliche Partei (FPS) und Süd-Tiroler Freiheit (STF), kann sie in dieser Sache zählen, wenngleich beiden die im Landesgesetz fixierten Erleichterungen nicht in allen Punkten zusagen oder sie für zu wenig weitreichend erachten; Hauptsache man setzt Zeichen für ein gemeinsames Aufbäumen gegen Rom und dessen scheibchenweiser Aushöhlung der autonomen Zuständigkeiten Südtirols. Diese sind längst weit von der seit 1992 von der SVP erstrebten „dynamischen Autonomie“ entfernt , ganz zu schweigen von der von ihr einst als hehres Ziel proklamierten „Vollautonomie“, von der in letzter Zeit kaum noch die Rede gewesen ist.
Dass die SVP sozusagen „in letzter Minute“ die (nicht allein in Feuerschriften aufflammenden und auf Transparenten ersichtlichen) „Zeichen der Zeit“ erkannte – und allem Anschein nach damit zudem einen bisweilen an die Öffentlichkeit drängenden Rivalitätskonflikt Achammer – Kompatscher einzuhegen trachtete – ist unverkennbar auf auch vernehmliches innerparteiliches Rumoren zurückzuführen. Die (laut)stärkste Stimme in dieser Situation war/ist die der Wirtschaft, die in der von Interessenbünden geprägten SVP – Wirtschaft, Bauern, Arbeitnehmern, als den gewichtigsten – die Melodie vorgab, verstärkt durch die Tageszeitung „Dolomiten“, die sich allzugerne als SVP-„Wegweiser“ geriert, wenn nicht bisweilen gar als deren Quasi-Parteiorgan fungiert. Markant auch der Mahnruf Christoph Mastens. Der langjährige SVP-Wirtschaftsfunktionär, seit 40 Jahren Parteimitglied, bedient sich seines Internet-Organs VOX-News Südtirol, um der jetzigen Parteiführung und insbesondere dem Landeshauptmann sowie den SVP-Landesräten (Ministern) in griffigen Anklagen nicht nur fehlendes Führungsmanagement , Misswirtschaft, Versagen vorzuhalten, sondern auch „gewissenlosen Verrat an der Südtirol- Autonomie und am Südtiroler Volk zu unterstellen – gipfelnd in zündenden VOX-Losungen wie „Jetzt Vollautonomie oder Freistaat“.
Dass solche Stimmen nicht nur in austro-patriotischen Verbänden wie dem Südtiroler Heimatbund (SHB), der Vereinigung ehemaliger Freiheitskämpfer der 1960er bis 1980er Jahre, und des Südtiroler Schützenbundes (SSB) Resonanz finden und verstärken – SSB- Kompanien waren maßgeblich an der Organisation der weithin ersichtlichen und Rom, wo natürlich reflexartig von Separatismus-Bestrebungen die Rede war, erzürnenden Parolen und Leuchtfeuern beteiligt – sondern in „Los von Rom“-Stimmung münden, liegt auf der Hand.
Ebenso lässt gleichlautende Flammenschriften bzw. der aus weithin im Lande lodernden Fackeln konfigurierte Tiroler Adler „Gänsehaut“ bei vielen Leuten entstehen – just eingedenk signifikanter Parallelität zum Tiroler Freiheitskampf des Andreas Hofer wider französische und bayerische Fremdherrschaft bis hin zu den 1960er und 1970er Jahren, da sich in Gestalt der Freiheitskämpfer des BAS (Befreiungsausschuss Südtirol) der „Tiroler Adler gegen den italienischen Staat“ erhob.
Es sind daher nicht mehr nur, wie seither eher die Oppositionsanhänger, wenige Südtiroler, die vom römischen Zentralismus, ja von der nicht selten unter dem Gebot des „friedlichen Miteinanders“ erzwungenen Unterwerfung unter die Lupa Romana genug haben. Mehr und mehr Bewohner des Landes zwischen Dolomiten und Reschen halten die bisher praktizierte Form der Südtirol-Autonomie für gescheitert, sehen im politkommunikativen Gesäusele von der die Teilung Tirols überwindenden „Zukunft durch EUropäisierung“, praktiziert in einem mehr oder weniger papierenen Gebilde namens „Europaregion Tirol“, nurmehr Augenauswischerei. Der latente Krisenzustand der EU, wie er besonders während der „Coronitis“ dadurch augenfällig wurde, dass der Rückfall in nationalstaatliches Gebaren als Überlebensnotwendigkeit erachtet und vor aller Augen sichtbar wurde, verstärkte dies Empfinden. Der Gedanke, sich nicht nur „stärker von Rom zu lösen“, sondern sich nach nunmehr 100 Jahren der Zwangseinverleibung, zweimal verweigertem Selbstbestimmungsrecht und idenitätszerstörendem Assimilationsdruck tatsächlich in aller Form und Konsequenz von Italien zu verabschieden, für das namhafte Gesellschaftswissenschaftler ohnedies prognostizieren, seine Auflösung sei kaum mehr aufzuhalten und für die EU eine „Zeitbombe“; bricht sich Bahn.
Bei Protestfeuern, lodernden Tiroler-Adler-Silhouetten und Spruchbändern mit dem schneidenden Verlangen „Kurz, hol uns heim“ wird es wohl nicht bleiben.
Bericht aus TAIWAN bestätigt die Analyse des Südtiroler Altmandatars Dr. Franz Pahl im letzten SID
In der letzten Ausgabe des SID hat der Südtiroler Altmandatar und SVP-Politiker Dr. Franz Pahl in Bezug auf die CORONA-Krise in einer gründlichen Analyse das Versagen europäischer Regierungen dargelegt. Ein Versagen, welches sich in anfänglicher Unterschätzung der Situation und dann in panischen Überreaktionen manifestierte. Ein Versagen, welches sich auch darin äußerte, dass man seit Jahren aus vorangegangenen Virus-Epidemien keine Konsequenzen in Form von Vorsorgemaßnahmen für die Zukunft gezogen hatte. Dr. Franz Pahl hat in seinem Beitrag auch auf das positive Beispiel Taiwans verwiesen. Dort hatte man aus vorangegangenen Epidemien gelernt gehabt und sowohl materiell wie planerisch Vorsorgen getroffen gehabt.
Am 20. April 2020 erschien in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ ein Bericht darüber, wie der international nur wenig anerkannte Staat Taiwan („Republik China“) die CORONOA-Situation gemeistert hat und wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) dies anerkennen musste, obwohl Taiwan mit Rücksicht auf die Volksrepublik China nicht deren Mitglied sein kann.
Die staatsrechtliche Situation der Insel Taiwan ist bis heute nicht geklärt. Die Volksrepublik China betrachtet Taiwan als zu ihrem Territorium gehörig, während die Regierung von Taiwan (Republik China“) auf der Unabhängigkeit beharrt.
Die „Republik China“ ist de facto ein souveräner Staat, scheiterte aber mit einem Versuch, der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Beobachter beizutreten, am Widerstand der Volksrepublik China.
Ungeachtet der politischen Differenzen zwischen den beiden Staaten besteht eine erfolgreiche wirtschaftliche Zusammenarbeit einschließlich eines intensiven Reiseverkehrs mit Linienflügen.
Am 25. April 2020 veröffentlichte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ nun eine Zuschrift von Wei-Ta Chang, des diplomatischen Vertreters von Taiwan in der Bundesrepublik Deutschland, welcher die Handlungsweise Taiwans in der CORONA-Krise darstellt und damit in allen Punkten die Analyse von Dr. Franz Pahl bestätigt.
Wir möchten deshalb diesen Bericht hier nachstehend unseren Lesern zur Kenntnis bringen:
Italien wie es singt und lacht – CORONA hilft der Mafia
Wir möchten aber auch eine weitere Ergänzung des CORONO-Geschehens in Italien unseren Lesern nicht vorenthalten. Aus medizinischen Vorsorgegründen wurde die massenhafte vorzeitige Entlassung von Gefangenen verfügt, die nur noch geringere Reststrafen zu verbüßen hatten. So weit so gut. Wie das italienische Nachrichtenmagazin „L’Espresso“ am 21. April 2020 berichtete, haben nun italienische Richter auch die Entlassung höchstrangiger Mafia-Bosse aus der Haft und deren Überführung in den Hausarrest verfügt. Darunter befinden sich wegen mehrfachen Mordes zu 20 Jahren bis lebenslanger Haft verurteilte Schwerverbrecher, denen auf diesem Weg faktisch viele Jahre beziehungsweise sogar der Rest ihrer Strafe erlassen wird.
Für die Richter, welche die Entscheidungen über die Heimsendung der Mafia-Bosse zu treffen hatten, ist es sicherlich tröstlich, zu wissen, dass ihre eigenen Familien in Sicherheit leben dürfen und nicht durch Anschläge oder Entführungen durch Mafia-Mitglieder gefährdet sind.