„An der Seite des Volkes“

Im Südtiroler EFFEKT! Verlag in Neumarkt ist ein neues Buch erschienen, welches ein bislang weitgehend unerforschtes Kapitel der Südtiroler Landesgeschichte offenbart.

Dem geplanten Untergang der deutschen und der ladinischen Volksgruppe und ihrer Kultur stellten sich in der Faschistenzeit die Priester in Südtirol mutig entgegen und nahmen dafür manche Verfolgung auf sich. Sie verteidigten und bewahrten den Gebrauch der unterdrückten deutschen Sprache in den Kindergärten, im Schul- und Religionsunterricht und im öffentlichen Leben. An ihnen und dem von ihnen unterstützten geheimen „Katakombenunterricht“ scheiterte der staatlich geplante Ethnozid, der kulturelle Volksmord.

Helmut Golowitsch:
AN DER SEITE DES VOLKES
Südtiroler Geistliche unter dem Faschismus 1918 – 1939

EFFEKT! Verlag Neumarkt
ISBN 978-88-97053-95-8
474 Seiten, reich bebildert
Ab EURO 28,90

Mit Vorworten des Landeskuraten des Südtiroler Schützenbundes, P. Christoph Waldner OT und des Kapitular-Kanonikus DDr. Johann Enichlmayr.

Hier geht zur Verlagsseite: https://effekt-shop.it/shop/buecher/an-der-seite-des-volkes/

Buchvorstellungen in Innsbruck und Linz

Das neue zeitgeschichtliche Werk wurde unlängst in Innsbruck und in Linz vorgestellt. Aus Nord- und Südtirol waren zahlreiche Freunde gekommen, die sich lebhaft an den Diskussionen beteiligten.

Von links nach rechts: Schützenmajor Efrem Oberlechner, langjähriger Medienreferent des Südtiroler Schützenbundes – Prof. Dr. Erhard Hartung, ehemaliger Freiheitskämpfer – Elmar Thaler, ehemaliger Landeskommandant des Südtiroler Schützenbundes und Verleger – Pater Christoph Waldner OT, Landeskurat des Südtiroler Schützenbundes.
Von links nach rechts: Schützenmajor Efrem Oberlechner, langjähriger Medienreferent des Südtiroler Schützenbundes – Prof. Dr. Erhard Hartung, ehemaliger Freiheitskämpfer – Elmar Thaler, ehemaliger Landeskommandant des Südtiroler Schützenbundes und Verleger – Pater Christoph Waldner OT, Landeskurat des Südtiroler Schützenbundes.

Von links nach rechts: Die aus Südtirol stammende Nordtiroler Landtagsabgeordnete und Enkelin des Freiheitskämpfers Georg Klotz, Gudrun Kofler - Der Südtiroler Landtagsabgeordnete Sven Knoll – Die ehemalige Südtiroler Landtagsabgeordnete Dr. Eva Klotz, Tochter des Freiheitskämpfers Georg Klotz – Der ehemalige Nationalratsabgeordnete und parlamentarische FPÖ-Südtirolsprecher Werner Neubauer.
Von links nach rechts: Die aus Südtirol stammende Nordtiroler Landtagsabgeordnete und Enkelin des Freiheitskämpfers Georg Klotz, Gudrun Kofler – Der Südtiroler Landtagsabgeordnete Sven Knoll – Die ehemalige Südtiroler Landtagsabgeordnete Dr. Eva Klotz, Tochter des Freiheitskämpfers Georg Klotz – Der ehemalige Nationalratsabgeordnete und parlamentarische FPÖ-Südtirolsprecher Werner Neubauer.

Bei diesen Buchpräsentationen schilderte der Verfasser, dass ihn eine heute weitgehend in Vergessenheit geratenen Publikation dazu gebracht hatte, sich mit der Rolle der Südtiroler Priester in der Faschistenzeit näher zu beschäftigen.

Im Jahre 1927 war in Innsbruck ein Buch mit dem Titel „Die Seelennot eines bedrängten Volkes – Von der nationalen zur religiösen Unterdrückung in Südtirol“ erschienen. Der Verfasser hieß „Athanasius“. Das war der Deckname für den Bozner Kanonikus Michael Gamper, der selbst faschistische Verfolgung zu befürchten hatte.

Gamper hatte in dieser Schrift den in vollem Gang befindlichen Widerstand der Südtiroler Geistlichkeit gegen den faschistischen Versuch der kulturellen Auslöschung des Deutschtums dargestellt. Diese Schrift bewegte den Historiker Dr. Helmut Golowitsch, das Thema näher zu untersuchen.

Das Ergebnis war sensationell: So gut wie ausnahmslos hatten alle deutschen und ladinischen Geistlichen Südtirols schwerste Verfolgungen erlitten oder riskiert.

Es war der Verleger und ehemalige Landeskommandant des Südtiroler Schützenbundes, Elmar Thaler, der mithilfe befreundeter Priester unglaubliches Aktenmaterial aus den Diözesanarchiven von Trient und Brixen beschafft und dem Verfasser mehr als 800 Seiten Kopien von Dokumenten zur Bearbeitung geliefert hatte. Darunter waren amtliche Verfolgungsbescheide sowie zahlreiche Berichte von Priestern an ihre Bischöfe in Brixen und Trient, in denen sie schilderten, wie sie von Faschisten überfallen und misshandelt und von den staatlichen Behörden verfolgt und schikaniert wurden. Die Dokumente hatten Jahrzehnte lang in den kirchlichen Archiven geschlummert, ohne dass sie je bearbeitet und veröffentlich worden waren.

Der Verfasser bei seinem Vortrag in Innsbruck und einige Blätter der mehr als 800 Dokumentenseiten aus den Diözesanarchiven.
Helmut Golowitsch bei seinem Vortrag in Innsbruck.

Bei der Buchvorstellung in Linz: Wolfgang Grabmayr (Fraktionsobmann der FPÖ-Linz), Dr. theol, Dr. habil Johann Enichlmayr (Kapitular-Kanonikus in Mattighofen und Pastoraltheologe), Dr. Helmut Golowitsch (Autor), Karl Winkler (ÖLM) und Werner Neubauer (FPÖ-Nationalrat a.D.)

Helmut Golowitsch beim Signieren seines neusten Buches in Linz.

 

Der Verfasser bei seinem Vortrag in Innsbruck und einige Blätter der mehr als 800 Dokumentenseiten aus den Diözesanarchiven.
Einige Blätter der mehr als 800 Dokumentenseiten aus den Diözesanarchiven.

Der Verfasser schilderte, worum es damals gegangen war. Das Ziel der italienischen und vor allem der faschistischen Politik nach dem Ersten Weltkrieg war die Schaffung einer italienischen Einheitsnation in einem Einheitsstaat. In diesem Konzept war das Weiterbestehen ethnischer Minderheiten nicht vorgesehen. Sie hatten unter Aufgabe ihrer eigenen Identität sprachlich und kulturell in der verordneten Einheitsnation aufzugehen.

Den älteren Generationen, die im Krieg die Landesgrenzen verteidigt hatten, konnte man wohl kaum eine innerlich akzeptierte italienische Identität verpassen. Ihnen gegenüber konnte man nur Zwangsmaßnahmen anwenden. Um die künftigen Generationen im Sinne der „Einheitsnation“ geistig zu formen, wurde versucht, den Kindern in Kindergarten und Schule den Gebrauch der Muttersprache zu nehmen.

So kam es bereits bald nach dem Einmarsch der italienischen Truppen zu Umwandlungen deutscher Kindergärten und Schulen in italienische Institutionen.

Die deutsche Priesterschaft stellte sich mutig dagegen und hielt trotz Verfolgungen, Misshandlungen, Kerkerhaft und Verbannungen in den Pfarrhöfen den verbotenen deutschen Unterricht ab. Sie beriefen sich am 11. Mai 1925 in einer Denkschrift an den Trienter Fürstbischof Celestino Endrici auf das Naturrecht:

„Wo es um vom Naturrecht – und damit von Gott – zuerkannte Güter geht, um die Erziehung der Kinder, um das zukünftige Geschlecht, um die Sicherung des religiösen Unterrichtes in Schule und Kirche, da ist für den Priester nur eine Stellung denkbar: die an der Seite des ihm anvertrauten, hartbedrängten Volkes, dem er Helfer und Tröster und, wenn es sein muss, auch Verteidiger der von Natur und Gott demselben zuerkannten Rechte zu sein hat – gegenüber dem mit allen irdischen Machtmitteln ausgestatteten Bedränger.“

Zu diesem Thema nahmen bei den Buchpräsentationen in Innsbruck und Linz auch die Priester Stellung, welche Vorworte zu dem Buch geschrieben hatten. Auch sie unterstrichen, dass die Bewahrung von Volksgruppen in ihrer kulturellen Identität zur Wahrung göttlichen Naturrechtes gehört.

Links: Pater Christoph Waldner OT, Landeskurat des Südtiroler Schützenbundes, Superior des Deutschordenskonventes in Lana und Pfarrer von Siebeneich. Rechts: Dr. theol, Dr. habil Johann Enichlmayr, Kapitular-Kanonikus in Mattighofen und Pastoraltheologe.
Links: Pater Christoph Waldner OT, Landeskurat des Südtiroler Schützenbundes, Superior des Deutschordenskonventes in Lana und Pfarrer von Siebeneich. Rechts: Dr. theol, Dr. habil Johann Enichlmayr, Kapitular-Kanonikus in Mattighofen und Pastoraltheologe.

Eine Mahnung an den Landeshauptmann von Südtirol

Von links nach rechts: Schützenbund-Geschäftsführer Egon Zemmer, Landeshauptmann Arno Kompatscher und Schützen-Landeskommandant Roland Seppi.
Von links nach rechts: Schützenbund-Geschäftsführer Egon Zemmer, Landeshauptmann Arno Kompatscher und Schützen-Landeskommandant Roland Seppi.

Am 16. Februar 2023 besuchten der neue Landeskommandant des Südtiroler Schützenbundes, Roland Seppi, und sein Bundesgeschäftsführer Egon Zemmer den Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher und überreichten ihm das Buch „An der Seite des Volkes“ – „mit dem Wunsch, sich dieses Leitmotivs zu beherzigen“. Darüber berichteten mehrere Südtiroler Medien wie die „Dolomiten“, die „Neue Südtiroler Tageszeitung“ und das Internetportal „Unser Tirol 24“.

Dokumentation über den Inhalt:

Eine Buchbesprechung von Dr. Franz Pahl

Dr. Franz Pahl, ehemaliger Abgeordneter der „Südtiroler Volkspartei“ (SVP) im Südtiroler Landtag und im Regionalrat Trentino-Südtirol, Vizepräsident der Regionalregierung und Präsident des Regionalrats der Region Trentino-Südtirol.
Dr. Franz Pahl, ehemaliger Abgeordneter der „Südtiroler Volkspartei“ (SVP) im Südtiroler Landtag und im Regionalrat Trentino-Südtirol, Vizepräsident der Regionalregierung und Präsident des Regionalrats der Region Trentino-Südtirol.

An der Seite des Volkes

Der Kampf der Südtiroler Geistlichkeit gegen faschistischen Entnationalisierungsterror. Ein weiteres Standardwerk des österreichischen Historikers Helmut Golowitsch.

Der faschistische Terror gegen die deutsche Volksgruppe in Südtirol versuchte Sprache und Kultur auszurotten und die Südtiroler zu unterwürfigen Staatsitalienern zu machen. Dies misslang, weil das ganze Volk sich widersetzte und ein geheimer deutscher Sprachunterricht organisiert wurde. Doch die Abwanderung im Zuge des Hitler-Mussolini-Abkommens riss eine große Lücke. Erst der 2. Weltkrieg stoppte die Abwanderung ins Dritte Reich.

Mut der Ortsgeistlichen

Doch alle Bemühungen mutiger Männer und Frauen hätten nicht ausgereicht, wenn sich nicht von allem Anfang auch die deutsche Geistlichkeit Südtirols geschlossen gegen den Druck der Staatsmacht gestellt hätte, unter großen Nachteilen für sich und ständigen Bedrohungen ausgesetzt.

Das ist im Allgemeinen bewusst. Aber erst der bekannte österreichische Historiker Helmut Golowitsch hat ein umfangreiches Werk dazu vorgelegt. Es beruht auf peniblen Recherchen und vielen unbekannten Quellen. Längst wäre es Aufgabe der Diözesanhistoriker gewesen, diesen mutigen, beharrlichen Kampf der Südtiroler Pfarrer und Kapläne systematisch zu untersuchen und zu rechtfertigen, als unauslöschliches Merkmal der Südtiroler Kirchengeschichte vorzustellen und auch der Gegenwart als Beispiel vorzustellen.

Es geschah nicht. Die vielen leuchtenden Beispiele des geistlichen Widerstandes, der sich aus der katholischen Lehre speiste, blieben viel zu unbekannt. Kein Bischof ermunterte die nicht geringe Zahl von fähigen kirchlichen Historikern, sich mit dem geistlichen Widerstand gegen den faschistischen Kulturterror zu befassen. Man hat sich wohl gescheut, um die italo-nationalistische Sichtweise nicht zu belästigen. Sie ist nie völlig erstorben und bis heute unterschwellig virulent geblieben. Da will man ein Ruhmesblatt der Ortskirche lieber vergessen lassen, als es in das kirchliche Bewusstsein zu rufen oder gar – mehr als berechtigt – mit dem gläubigen Volk dieses Kampfes zu gedenken.

Kanonikus Michael Gamper organisierte zusammen mit Mitverschworenen den geheimen Schulunterricht in deutscher Sprache – den „Katakombenunterricht“
Kanonikus Michael Gamper organisierte zusammen mit Mitverschworenen den geheimen Schulunterricht in deutscher Sprache – den „Katakombenunterricht“.

Eine Ausnahme machte man immer nur mit ganz wenigen Namen: Kanonikus Michael Gamper, den der Athesiakonzern aus familiären und publizistischen Gründen bis heute immer wieder verdienstvoll ins Bewusstsein ruft, und Josef Noldin, der als weltlicher Lehrer wegen seines Einsatzes für die deutsche Schule auf die Insel Lippari verbannt worden war. Und wenige andere mehr, die hin und wieder erwähnt werden.

Standardwerk gegen das Vergessen

Eine systematische Darstellung der Haltung der Südtiroler Ortsgeistlichen gegen die Unterdrückung des Deutschtums blieb aus. Der Historiker Helmut Golowitsch hat es unternommen. Seit Jahrzehnten hat er sich durch historische Werke ausgezeichnet, die historische Wahrheiten gegen die parteipolitische Feigheitsopportunität entschleierten. Diesmal wird dem Kampf der Südtiroler Ortsgeistlichen das verdiente Denkmal gesetzt und dem fahrlässigen Vergessen entrissen.

Helmut Golowitsch ist ein systematischer Forscher, der alle zugänglichen, aber kaum oder gar nicht genutzten Quellen auswertet, Aussagen belegt und Vorkommnisse in ihrem größeren Zusammenhang beschreibt. Zahllos sind die Beispiele, die Namen, die den geistlichen Widerstand in praktisch jeder Pfarrei, in kirchlichen Einrichtungen und Schulen leisteten. Aus dem christlichen Geist, der nicht dulden wollte, dass der faschistische Staatsterror die Muttersprache des katholischen Südtiroler Volkes sogar noch im Religionsunterricht – auch nach dem Konkordat von 1929 mit dem Vatikan – eliminieren wollte.

Amtlicher Bescheid gegen einen Südtiroler Geistlichen mit Verbot, Religionsunterricht zu erteilen.
Amtlicher Bescheid gegen einen Südtiroler Geistlichen mit Verbot, Religionsunterricht zu erteilen.

Verteidigung der Muttersprache aus dem Glaubensgrund

Die Ortsgeistlichen handelten nicht aus allgemeinen menschenrechtlichen Überlegungen, sondern konkret aus dem Recht des katholischen Volkes, das treu zur Kirche stand. Der Glaube an Gott, so erklärten die mutigen Geistlichen ihren Gläubigen, findet seinen notwendigen Ausdruck in der Verteidigung der Würde des Menschen. Dieser Grundsatz muss seine Geltung immer in der konkreten Situation (in seinem „Sitz im Leben“, würde der Theologe es bildhaft nennen) finden. Das Recht auf den Schutz der Muttersprache ist grundlegender Teil der Menschenwürde und darum unverzichtbar. Der Kampf um die Menschenwürde ist konsequente christliche Nächstenliebe, die sich aus dem Glauben an den liebenden Gott herleitet.

Der nach Österreich geflüchtete ehemalige Südtiroler Parlamentsabgeordnete Dr. Eduard Reut-Nicolussi würdigte 1932 auf einer Kundgebung in Innsbruck den Einsatz der Südtiroler Priester. (Aus der Rede von Dr. Reut-Nicolussi. Wiedergegeben in „Tiroler Anzeiger“, Innsbruck, 18. Oktober 1932.)
Der nach Österreich geflüchtete ehemalige Südtiroler Parlamentsabgeordnete Dr. Eduard Reut-Nicolussi würdigte 1932 auf einer Kundgebung in Innsbruck den Einsatz der Südtiroler Priester. (Aus der Rede von Dr. Reut-Nicolussi. Wiedergegeben in „Tiroler Anzeiger“, Innsbruck, 18. Oktober 1932.)

Religionsunterricht als Sprachpflege

Die Südtiroler Ortsgeistlichen haben ihre Nächstenliebe gegen jeden Versuch der ethnischen Entrechtung der Südtiroler gelebt und danach gehandelt. Sie wurden deswegen angefeindet, bekämpft, schikaniert, drangsaliert, gewalttätig angegriffen, konfiniert und in ihrer pastoralen Tätigkeit behindert.

Auch Südtiroler Priester wie der Kooperator Michael Summerer aus Lüsen (Bild links) wurden in Ketten geschlagen und wie andere politische Verfolgte auf kahle Felseninseln wie die Insel Lipari im Mittelmeer verbannt.
Auch Südtiroler Priester wie der Kooperator Michael Summerer aus Lüsen (Bild links) wurden in Ketten geschlagen und wie andere politische Verfolgte auf kahle Felseninseln wie die Insel Lipari im Mittelmeer verbannt.

Der Religionsunterricht in der Muttersprache war ja über die Glaubensvermittlung hinaus automatisch und oft gezielt auch Sprachunterricht, der sich dem faschistischen Kulturmord entgegenstellte. Der Südtiroler Historiker Josef Fontana weist in seinem Buch Unbehagen – Südtirol unter der Zivilverwaltung (Innsbruck, 2010) darauf hin, dass jeder Ortspfarrer nicht nur Seelsorger, sondern auch politischer Führer oder zumindest politischer Ratgeber war. Deutscher Religionsunterricht forderte den Gewaltstaat des Tyrannen Mussolini heraus. Er hatte die deutschen Schulen und jede deutsche Kulturtätigkeit, alle deutschen Vereine (sogar die Feuerwehren) verboten und die deutsche Gemeindeverwaltung ausgelöst. Das alles aber reichte dem Terrorstaat nicht. Er setzte auch die Kurien der Diözese Trient (wegen des deutschen Anteils) und die Diözese Brixen unter Druck, missliebige Ortsgeistliche zu versetzen, ihre Tätigkeit zu hemmen oder ganz zu verbieten. Im Trentiner Bischof Celestino Endrici fand die Staatsmacht einen nicht ungeneigten Helfer, der Jahre lang nicht die Geistlichen schützte, sondern sich dem Staat beugte.

Gewaltmaßnahmen seit 1919 – Bischof Endrici schwieg zu lange

Bereits nach dem 1. August 1919 breitete sich ein nationalistisches Kesseltreiben gegen die Geistlichkeit aus. Die ehemals große Diözese Brixen hatte durch die Landesteilung Tirols den Großteil ihres Gebietes an die Apostolische Administratur Innsbruck-Feldkirch verloren. Die Diözese Brixen war auf ihre wenigen Gebiete südlich des Brenners zusammengeschrumpft. Fürstbischof Johannes Raffl setzte sich entschieden für das Deutschtum in Südtirol ein. Doch in der Diözese Trient hatten es die zehn deutschen Dekanate viel schwerer. Bischof Endrici entpuppte sich bald als recht willfähriger Diener des Machtstaates.

Verweigerung der Staatsbürgerschaft für einen Pfarrer, der Kinder in deutscher Sprache unterrichtete.
Verweigerung der Staatsbürgerschaft für einen Pfarrer, der Kinder in deutscher Sprache unterrichtete.

Bittschrift der Dekanate

Die deutschen Dekanate wandten sich darum im Mai 1922 mit einer Bittschrift an Papst Pius XI um die Angliederung des großen deutschen Anteils an die Diözese Brixen. Der Papst entsprach der Bitte schon im August 1922. Die Mussolini-Regierung intervenierte und setzte durch, dass die Angliederung an Brixen rückgängig gemacht wurde. Schwer zu verstehen ist, dass es erst 19 Jahre nach dem 2. Weltkrieg zur Vereinigung mit der neuen Diözese Bozen-Brixen kam. Das ist nicht anders zu erklären, als dass die Brixner Kurie allzu große Sanftheit gegenüber dem Vatikan pflegte und das Anliegen nicht kämpferisch genug verfolgte, obwohl dem demokratischen Italien längst jede Möglichkeit einer Intervention dagegen genommen war.

Ortspfarrer wie Feinde behandelt

Aus „Tiroler Anzeiger“, Innsbruck, 2. März 1933.
Aus „Tiroler Anzeiger“, Innsbruck, 2. März 1933.

Im Unterland und in Ladinien wurde der Entnationalisierungsdruck schon 1919 spürbar. Die Ortspfarrer bekamen es gleich zu spüren. Der Pfattner Kurat Clementi und der Margreider Pfarrer Magagna wurden Schikanen ausgesetzt. Der zivile Generalkommissar für die Venetia Tridentina, Credaro, verlangte die Entfernung dieser Geistlichen aus dem Amt. Beide mussten weichen. Zur Versetzung von Geistlichen kam es noch in zahlreichen anderen Fällen im Laufe der zwei faschistischen Jahrzehnte.

Kurat Bartholomäus Clementi aus Leifers und Pfarrer Paul Magagna aus Margreid
Kurat Bartholomäus Clementi aus Leifers und Pfarrer Paul Magagna aus Margreid

Faschistischen Druck gab es praktisch in jeder Pfarrei, die sich nicht fügen wollte. Keine beugte sich freiwillig. Der Autor bringt eine Fülle von Beispielen, die sich in alten Pressezeugnissen und Archiven finden. Sie alle aufzuzählen, ist in dieser kurzen Buchbesprechung nicht möglich. Die näheren Schilderungen wird die Lektüre liefern.

Es sei jedoch auf die wesentlichen Bereiche verwiesen, die dem Faschismus mit seiner bereitwilligen Heerespolizeimacht der Carabinieri, die jeden Ort unter Kontrolle zu halten trachteten, besonders ein Dorn im Auge waren:

  • Der deutsche Religionsunterricht, generell und selbst in den Räumlichkeiten der Pfarren
  • Die deutschen Ordensschulen, kirchliche Kindergärten
  • Der verbotene „Katakombenunterricht“, also der geheime Unterricht auf einsamen Bauernhöfen oder in Privathäusern in der Stadt
  • Deutsche Kirchenlieder mit einem patriotischen Hintergrund
  • Prozessionen mit deutschen Gebeten und Gesängen, besonders, wenn sie noch einen leisen Bezug zum österreichischen Kaiserhaus durchschimmern ließen. Das galt vor allem für Herz-Jesu-Feiern und die damit verbundenen abendlichen Bergbeleuchtungen und Fronleichnamsprozessionen

Willkür in jeder Pfarrei – Prozessionen behindert

Willkürliche Verhaftungen, Bedrohungen, Verhöre, behördliche Anzeigen gegen Geistliche waren System. Einige Beispiele seien genannt: In Leifers wurde Pfarrer Bartholomäus Clementi und der Kaplan Jakob Plattner angezeigt, weil eine Gruppe in Tracht mit einer Kirchenfahne an der Herz-Jesu-Prozession teilgenommen hatte. Wegen eines ähnlichen „Deliktes“ wurde in Welschnofen Pfarrer Remigius Kaltenegger angezeigt, weil die Musikkapelle und die Schützen an der Prozession teilgenommen hatten. Es reichte auch schon, Fahnen am Herz-Jesu-Sonntag auszuhängen oder dem Brauch gemäß ein paar Böller abzuschießen, um Geistliche vor Gericht zu bringen.

Prozessionen – womöglich in Landestracht – waren den Behörden ein Dorn im Auge.
Prozessionen – womöglich in Landestracht – waren den Behörden ein Dorn im Auge.

Die Herz-Jesu-Prozession wurde als „Akt feindlicher Gesinnung“ betrachtet. In Branzoll stürzte sich am Herz-Jesu-Sonntag 1920 eine Heerschar von Carabinieri auf die Prozessionsteilnehmer, misshandelte und verhaftete eine Menge von ihnen wie gefährliche Aufrührer. Der Protest der deutschen Behördenvertreter wurde vom Generalkommissar Credaro abgewiesen. Das war noch das vor dem Faschismus „demokratische Italien.“ Schon ein weiß-rotes Tuch auf einem Altar genügte, um den Zorn der Carabinieri zu erregen.

Das Herz Jesu-Fest ein Dorn im Auge

Wo immer ein Priester zur Teilnahme am Herz-Jesu-Tag aufrief – und das sehr oft der Fall – hatte es Schikanen und Bedrohungen zur Folge. Dennoch flammten am Abend des Herz-Jesu-Sonntages in vielen Orten die Bergfeuer auf. Da sie verboten waren, nahmen sie erst recht einen politischen Charakter an.

In Bozen fuhren in der Herz Jesu-Nacht des Jahres 1920 Maschinengewehre auf, da die Italiener einen Volksaufstand befürchteten.
In Bozen fuhren in der Herz Jesu-Nacht des Jahres 1920 Maschinengewehre auf, da die Italiener einen Volksaufstand befürchteten.

Die Farben Rot und Weiß sollten auch in geistlichen Gewändern wie etwa für Ministranten nicht vorkommen. Bereits eine Feuerwehrkluft erschien als politische Provokation, selbst im Rahmen von kirchlichen Festen. Deutsch sollte auch als Gebetssprache bei religiösen Prozessionen verschwinden. Ein Beispiel: in Prad im Vinschgau wurde eine Antoniusprozession verboten, weil der Pfarrer die Gläubigen deutsch beten lassen wollte. Ein Aufgebot faschistischer Miliz verhinderte die Prozession, die der Pfarrer trotz Verbot abhalten wollte. Der Tiroler Anzeiger berichtete darüber am 6. September 1932. Das Tiroler Bundeslied, Auf zum Schwur, Tiroler Land‘, das mit dem Herz-Jesu-Gelöbnis der Franzosenkriege verbunden wird, konnte nirgendwo polizeiliche Gnade finden.

Nationalismus im Exzess

Das ganze Unheil brach herein, als der Faschismus die Macht ergriff und die Gewaltmaßnahmen bis zum Exzess steigerte.

Faschisten in Bozen – Misshandlung eines Pfarrers in Salurn.
Faschisten in Bozen – Misshandlung eines Pfarrers in Salurn.

Nun waren Sachbeschädigungen an Pfarrhäusern, Schmähparolen und Abschiebungen von Priestern an der Tagesordnung. Der Faschismus hatte leichtes Spiel. Er brauchte nur den ohnehin schon gewalttätigen Staatsnationalismus noch systematischer ausarten lassen. Er brauchte den Nationalismus, der nun die offizielle politische Staatsideologie des „Partito Fascista Italiano“ Mussolinis war,  als Staatsziel. Auch Hitler hat seinen Judenhass nicht erfunden. Er fand ihn schon allgemein vor, nachdem die christlichen Kirchen ihn 2000 Jahre lang verbreitetet und geschürt hatten.

Muttersprache ist ein Natur- und Menschenrecht

Die Geistlichkeit war auch rege im katholischen Verlagswesen tätig. Die Katholische Aktion mit Pater Dr. Alfons Ludwig unterstützte darum von allem Anfang den Kampf der Ortsgeistlichen mit dem katholischen Schrifttum.

Pater Alfons Ludwig – in Kinderzeitschriften wurde den Kleinen die deutsche Sprache vermittelt.
Pater Alfons Ludwig – in Kinderzeitschriften wurde den Kleinen die deutsche Sprache vermittelt.

Die Katholische Aktion war 1925 gegründet worden, um die Jugend dem staatlichen Zugriff zu entziehen und fest an die katholische Hierarchie zu binden. Diese war natürlich, dem Geist der Zeit entsprechend, streng konservativ ausgerichtet, ließ aber an der Verteidigung der Muttersprache keinen Zweifel. Sie gehörte zum katholischen Selbstverständnis. Glauben und deutsche Kultur und Sprache waren eines. Pater Alfons Ludwig kämpfte an vorderster Front für den deutschen Religionsunterricht.

Bischof Endrici schaute zu und schwenkte dann um

Das Trientner Ordinariat hatte hingegen lange nichts einzuwenden. Der Staat gab sich kirchenfreundlich, da interessierte die deutsche Sprache nicht. Die Südtiroler sollten italienische Katholiken werden. Bischof Endrici kam die faschistische Ausrichtung nicht ungelegen. In einem Rundschreiben von 1912, als seine Diözese noch Teil der österreichisch-ungarischen Monarchie war, hatte er das Bestreben, in italienischen Gebieten deutsche Privatschulen zu errichten, noch als „Entnationalisierung“ gebrandmarkt. Als die deutsche Schule und sogar der deutsche Religionsunterricht verboten wurden, fanden die deutsche Geistlichen lange Zeit kein Gehör.

Der Trienter Fürstbischof Endrici stand nicht zu dem verfolgten Klerus
Der Trienter Fürstbischof Endrici stand nicht zu dem verfolgten Klerus

Als reihenweise Pfarrer und Katecheten wegen der deutschen Muttersprache in der Religionslehre Unterrichtsverbot erhielten, hatte Bischof Endrici allzu lange nichts daran auszusetzen. Der Papst hingegen ließ den Dekan des Domkapitels der Diözese Brixen, Josef Mutschlechner, wissen, der Heilige Vater wünsche ausdrücklich den deutschen Religionsunterricht. Der italo-nationale Endrici schwenkte schließlich auf die päpstliche Linie ein. Der Religionsunterricht wurde ab 1928/29 durchwegs in den Pfarrhäusern, in der Kirche oder Räumlichkeiten der Pfarrei erteilt. Die faschistischen Pressionen endeten damit nicht. Unter dem Vorwurf, die Geistlichen würden den deutschen Religionsunterricht zum deutschen Sprachunterricht umfunktionieren, ging man nun gegen die „religiösen Geheimschulen“ vor. Nun vollzogen aber die beiden Diözesanbischöfe von Brixen und Trient einen Schulterschluss und erreichten das päpstliche Verbot gegen die Tätigkeit von italienischen Priestern aus anderen Diözesen.

Proskriptionslisten wie im alten Rom

Die Verfolgungsmaßnahmen wurden dennoch fortgesetzt. Die deutschen Jugendverbände wurden sämtlich aufgelöst. Deutsche Kinder wurden in die faschistischen Balilla-Gruppen gezwungen und öfters auch militarisiert, wie es ähnlich bei der Hitler-Jugend im Deutschen Reich der Fall war.

Eine geheime Proskriptionsliste erfasste die „pangermanisti“ und „antiitaliani“ unter den Priestern. Auch der Name „Michele Gamper“ (Kan. Michael Gamper) durfte nicht fehlen. In Sarnthein ließ der Maresciallo (Postenkommandant der Carabinieri) Schulkinder hart unter Druck setzen, um sie zu lügnerischen Aussagen gegen den Deutschordenspriester P. Polycarp Obkircher zu zwingen. Sie sollten sagen, er habe sie veranlasst, das Hitlerkreuz an Zaunlatten zu malen. Die Kinder weigerten sich mutig.

Österreich hilflos – dann Verbündeter Mussolinis

Österreich konnte nicht helfen, weil es auf das Wohlwollen Italiens angewiesen war, um über den Völkerbund Finanzhilfen zu erlangen. Dafür verlangte Italien Schweigen über das bereits „lange gelöste Problem“ Südtirol. Mit der Machtergreifung Hitlers 1933 wandte sich der Austrofaschismus Italien zu, um Schutz gegen Hitler-Deutschland zu finden. Kanzler Dollfuß und der Duce Mussolini trafen sich in Riccione und demonstrierten Freundschaft. Nach der Einverleibung Österreichs 1938 begann die neue Ära der politischen Zweckfreundschaft mit dem Reich. Das Auswanderungsabkommen sollte das Problem von selbst lösen. Fürstbischof Johannes Geisler wollte als „Hirte mit seiner Herde“ gehen.

Seelsorger baten um Wiedervereinigung mit Tirol

Nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches unterzeichneten die Südtiroler Ortspfarrer im August 1945 fast wortgleiche Erklärungen, in der sie, ermutigt durch Bischof Geisler, die Wiederherstellung der Einheit Tirols forderten. Geisler sandte die Erklärungen an die Alliierten und die Tiroler Landesregierung. Jeder Pfarrer schrieb den Text der Erklärung eigenhändig.

So schrieb beispielsweise Johann Wolf, Pfarrer vom Mauls: „Als Seelsorger von Mauls bezeuge ich, dass die einheimische Bevölkerung von Südtirol aus ganzem Herzen die Wiedervereinigung mit dem übrigen Tirol ersehnt.“

Standardwerk gegen Opportunismus

Der weltliche Historiker Helmut Golowitsch hat dem verschämten Zögern und Vergessenlassen der geistlichen Historiker sein verdientes Werk entgegengesetzt. Was die geistlich-diözesane Geschichtsforschung nur punktuell unternommen hat, fügte der Historiker zu einem umfassenden Gesamtbild zusammen. Es ist das Standardwerk über den katholischen Widerstand gegen faschistische Unterdrückung von Sprache und Kultur in Südtirol. Im heutigen opportunistischen Bücklingsmodus der politischen Kurientheologie steht der geistliche Widerstand gegen die faschistische Unterdrückung von Muttersprache und Kultur wie ein großartiges Zeichen am Horizont des letzten Jahrhunderts da.

Vielen Südtiroler Geistlichen, die ihre gute Gesinnung nach wie vor bewahrt haben, wird diese Dokumentation eine Bestätigung ihrer Haltung sein. Das hilft uns allen.

(Diese Buchbesprechung erschien in dem Südtiroler Online-Portal „Unser Tirol 24“)

Das Buch ist hier direkt beim Verlag erhältlich: https://effekt-shop.it/shop/buecher/an-der-seite-des-volkes/

Nachstehend eine Einladung zu der Buchpräsentation in Brixen: