Kriegsverbrecher und Massenmörder ist Ehrenbürger von Brixen
Seit Dezember 2015 weist Hartmuth Staffler, Präsident des „Geschichtsvereins Brixen“, in Pressemitteilungen darauf hin, dass der Alpini-Offizier Gennaro Sora, der in Äthiopien ein schreckliches Kriegsverbrechen verübt hat, immer noch Ehrenbürger von Brixen ist.
Zuletzt veröffentlichte das Internet-Portal „Unser Tirol 24“ am 26. Februar 2020 nachstehende Stellungnahme von Hartmuth Staffler, die der SID hier mit einigen Bildern ergänzt hat:
Gennaro Sora wurde 1892 in der Provinz Bergamo geboren. 1913 trat er bei den Alpini ein. Im Ersten Weltkrieg erwarb sich Sora an der Dolomitenfront, zeitweise gemeinsam mit Cesare Battisti, mit dem er Freundschaft schloss, verschiedene Auszeichnungen. Nach dem Krieg war er als Alpini-Offizier in Brixen stationiert. 1928 nahm er mit acht weiteren Alpini aus der Brixner Garnison an der Nordpol-Expedition von Umberto Nobile teil. Als Nobile mit dem Luftschiff Italia abstürzte, startete Sora auf eigene Faust vom Expeditionsschiff „Città di Milano“ aus eine Rettungsaktion, die kläglich scheiterte, so dass Sora selbst von einem schwedischen Flugzeug gerettet werden musste. Trotzdem bezeichnete Mussolini Gennaro Sora als „eroe del polo“ (Held des Pols). Sora wurde in ganz Italien gefeiert; in Brixen verlieh ihm der faschistische Podestà (Anm.: Bürgermeister) Felice Rizzini die Ehrenbürgerschaft der Stadt.
1935 war Gennaro Sora im Vinschgau stationiert, wo er das Gebet „Preghiera dell’Alpino“ schrieb. In dieses Gebet baute der überzeugte Faschist auch Fürbitten für den italienischen König und für den Duce Benito Mussolini ein. Erst im Jahr 1949 wurden der König und der Duce aus dem Gebet gestrichen. 1985 wurde das Gebet, trotz seiner zweifelhaften Urheberschaft, offiziell als Gebet der Alpini anerkannt, und zwar in zwei verschiedenen Versionen.
In der nur bei geschlossenen Veranstaltungen der Alpini zu verwendenden Version wird immer noch um den Segen für die Waffen gebetet („Rendi forti le nostre armi…“,) in der etwas entschärften Form für die Öffentlichkeit sind die Waffen verschwunden, es heißt nur noch „rendici forti … (mache uns stark). Allerdings kommt es immer wieder zu Zwischenfällen, weil manche Alpini auch bei öffentlichen Gottesdiensten auf der militärischen Gebetsform bestehen und manchmal sogar aus Protest die Kirche verlassen, wenn ihr Wunsch nicht erfüllt wird.
Nach dem italienischen Vernichtungskrieg gegen Äthiopien (1935-36) gab sich die einheimische Bevölkerung nicht geschlagen. Zahlreiche Freiheitskämpfer, die auf die Unterstützung der Bevölkerung zählen konnten, widersetzten sich der faschistischen Besatzungsmacht. Die Italiener antworteten darauf mit einer brutalen Unterdrückungspolitik, der zehntausende Äthiopier zum Opfer fielen.
1937 wurde Oberstleutnant Gennaro Sora nach Äthiopien geschickt, um als Kommandant eines Alpinibataillons der 8. Brigade (ehemals Divisione Pusteria) sogenannte „Säuberungsaktionen“ durchzuführen. In Gebieten, in denen die äthiopischen Freiheitskämpfer besonders aktiv waren, wurden Dörfer niedergebrannt, Brunnen vergiftet und Viehherden beschlagnahmt. Eine besonders brutale „Säuberungsaktion“ fand im Frühjahr 1939 in Zentraläthiopien statt. Dabei wurden Dörfer mit Giftgas bombardiert und tausende Menschen in die Flucht getrieben.
Oberstleutnant Gennaro Sora erhielt den Auftrag, eine Flüchtlingskolonne zu verfolgen. Die rund 1500 Frauen, Kinder und Verletzte, begleitet von einigen wenigen Kämpfern, flüchteten in die Höhle von Zeret, deren Eingang auch von wenigen Mann leicht zu verteidigen war. Oberstleutnant Sora forderte daher chemische Waffen an. Er erhielt eine Senfgasbombe, deren Inhalt in Kanister umgefüllt wurde, sowie Arsen-Granaten für seine Artillerie. Am 9. April 1939 wurden die Senfgaskanister an Seilen von oben vor den Eingang der Höhle herabgelassen und zur Explosion gebracht, während gleichzeitig die Artillerie die Arsen-Granaten in die Höhle schoss. Die Flüchtlinge mussten sich ergeben. 800 männliche Flüchtlinge (ab 15 Jahren) wurden in Gruppen zu 50 mit Maschinengewehren erschossen und über einen Abhang geworfen. Die durch das Giftgas schwer verletzten Frauen und Kinder überließ man ihrem Schicksal. Nach italienischen Augenzeugenberichten hat von diesen niemand überlebt.
Dieses Kriegsverbrechen war wie viele andere lange Zeit kaum bekannt. Man sollte und wollte nicht darüber reden. Für die Einheimischen ist das schreckliche Ereignis bis heute ein Tabu, über das sie nicht sprechen wollen. Sie meiden auch die Höhle von Zeret. Erst im Jahr 2008 hat der italienischer Historiker Matteo Dominioni im Buch „Lo sfascio dell’Impero – Gli italiani in Etiopia 1936-1941“ die Ereignisse anhand von Aktenstudien und Augenzeugenbefragungen geschildert. Inzwischen sind auch weitere Augenzeugenberichte aufgetaucht. Erstmals hat sich vor einigen Jahren ein italienischer Archäologe, der die Höhle besichtigte, unter Tränen bei den Einheimischen entschuldigt für das, was seine Landleute dort angerichtet haben. Eine offizielle Entschuldigung gab es noch nicht. Die Gemeinde Brixen könnte ein kleines Zeichen setzen, indem sie dem Kriegsverbrecher Sora die Ehrenbürgerschaft aberkennt, aus Respekt vor den Opfern in Äthiopien und auch vor den übrigen 63 Brixner Ehrenbürgern, darunter Altpapst Benedikt XVI.
Soweit die Darstellung von Hartmuth Staffler, die an Klarheit nichts zu wünschen übrig lässt.
Bürgermeister von Brixen ist Herr Peter Brunner von der „Südtiroler Volkspartei“ (SVP). Der Stadtrat ist von der SVP besetzt.
Bislang haben die SVP-Lokalpolitiker von Brixen nicht regiert und auch nicht Stellung genommen. Das erspart ihnen natürlich eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit den Vertretern der „Grünen“, des „Partito Democratico“ und anderen Gemeinderäten.
Damit haben sich diese „Volksvertreter“ in Brixen sehr schön an die italienischen Verhältnisse angepasst.
Ob dieses Verhalten verantwortungsbewusst ist, mag der Leser entscheiden.
Die Sektion Bergamo der „Nationalen Alpini-Vereinigung“ hält heute noch das Andenken an Gennaro Sora in Ehren und kommt in einer Würdigung auf ihrer Internet-Seite zu folgendem Schluss: „Sora sei nicht für ein ungerechtfertigtes Massaker verantwortlich, sondern er habe sich im Kontakt mit seinen Vorgesetzten stehend an die damals in Äthiopien angewandten militärischen Vorgangsweisen gehalten.“
Dazu passt, dass in seiner Heimatgemeinde Foresto Sparso in der Provinz Bergamo heute noch ein Denkmal an ihn erinnert und es dort auch eine Sora-Straße – „Via Gennaro Sora“ – gibt.
Dokumentation über den faschistischen Vernichtungskrieg und den Völkermord in Ätiopien
Bei dem geschilderten Kriegsverbrechen des Gennaro Sora in Äthiopien handelt es sich nicht um einen vereinzelten grausamen Übergriff, sondern um ein Geschehen, welches sich in eine gewollte Vernichtungsstrategie gegenüber dem äthiopischen Volk einfügte, welches buchstäblich dezimiert wurde.
In Südtirol verherrlichen bis heute faschistische Denkmäler die Kolonialkriege und den Völkermord. Darüber berichtete 2009 die Zeitschrift „Der Tiroler“. In einem Interview forderte der Historiker und Angehörige des äthiopischen Kaiserhauses, Prinz Dr. Asfa Wossen Asserate, dass sich Italien seiner faschistischen Vergangenheit einschließlich des Verbrechens des Völkermordes in Äthiopien endlich stellen sollte. Das Gespräch führte der ehemalige Südtiroler Freiheitskämpfer Univ. Prof. Dr. Erhard Hartung.
All das kann hier in einem PDF der Zeitschrift „Der Tiroler“ nachgelesen werden.