Die Reaktion des Staates auf die Feuernacht: Folter bei den Verhören

Als Abschluss einer vierteiligen Serie über die „Feuernacht“ des Jahres 1961 hat der „Südtiroler Heimatbund“ (SHB) eine Dokumentation über die Folterungen der damaligen politischen Häftlinge veröffentlicht. Der SHB ist eine von ehemaligen Südtiroler Freiheitskämpfern gegründete Vereinigung, die für die Wiedererlangung der Tiroler Landeseinheit eintritt. Gerne geben wir nachstehend seine Dokumentation an unsere Leser weiter.

Liebe Landsleute, liebe Freunde Südtirols!

Die nachstehende Dokumentation ist keine leichte Lektüre. Sie lässt aber begreifen, wieso sich die Situation in den folgenden Jahren auf tragische Weise verschärfte. Es sollte dabei Opfer auf beiden Seiten geben, deren Schicksal zutiefst zu bedauern ist. Wir gedenken ihrer in Trauer.

Geben wir der Hoffnung Ausdruck, dass solche schrecklichen Ereignisse niemals eine Wiederauferstehung erleben mögen und dass wir alle auch in Zukunft unser Verhältnis mit der staatlichen Obrigkeit auf dem Boden der Selbstbestimmung freier und mündiger Bürger in demokratischer und friedlicher Weise regeln können.

Mit Tiroler Gruß!

Roland Lang
Obmann des „Südtiroler Heimatbundes“ (SHB)

Ein geheimer Lehrgang auf dem Monte Bondone

Unmittelbar nach der Feuernacht berief Innenminister Mario Scelba am 14. Juni 1961 eine Sicherheitskonferenz mit den Spitzen der Polizei und der Militärbehörden in Rom ein.

Die italienische Bozener Tageszeitung „Alto Adige“ berichtete, dass Scelba anschließend gegenüber der Presse erklärt habe, dass die Organe der Polizei und der Justiz „perfekt wissen, wie sie vorgehen werden.“

Westlich von Trient führt eine alte österreichische Militärstraße hinauf auf die abgelegene Hochfläche des Monte Bondone mit ihren noch aus der österreichischen Zeit stammenden Kasernenbauten. Kurze Zeit nach der Feuernacht in Südtirol traf dort eine etwa 200 Mann starke Sondereinheit der Carabinieri ein.

Die Militäranlagen auf dem Monte Bondone. (Bild aus österreichischer Zeit)
Die Militäranlagen auf dem Monte Bondone. (Bild aus österreichischer Zeit)

Nach einem Monat zogen die Carabinieri wieder ab in das Bozner Unterland, nach Bozen, Meran und Eppan.

Die Gleichartigkeit der ab diesem Zeitpunkt in den verschiedenen Carabinierikasernen Südtirols angewandten Foltermethoden deutet darauf hin, dass auf dem Monte Bondone eine zentrale Ausbildung in Vernehmungsmethoden stattgefunden hat. Ab nun wurde in Südtirol das ganze aus der Faschistenzeit stammende Repertoire der „cassetta“, der Wasserfolter und anderer Gräuel gekonnt wieder angewendet. Bei der „cassetta“ wurde dem Opfer das Rückgrat überdehnt und es wurden ihm die Arme nahezu aus den Schultergelenken herausgedreht.

Auch zwangsweises Einflößen von Salzwasser oder verdünnter Säure mit den damit verbundenen Atemblockaden und Erstickungsängsten, Bestrahlungen mit höllisch heiß wirkenden Quarzlampen, schwere Prügeleien und tagelanger Schlafentzug und Aufrechtstehen taten ihre Wirkung.

In verschiedenen Kasernen haben Carabinieri unabhängig voneinander gegenüber den Gefolterten die gleiche Aussage gemacht: Innenminister Mario Scelba persönlich habe ihnen freie Hand – „carta bianca“ – gegeben.

Eine Verhaftungswelle brach wie eine Lawine los

Am 28. Juni 1961 veröffentlichte die italienische Bozener Tageszeitung „Alto Adige“ ein Bild über eine Zusammenkunft des Generals der Carabinieri, Giovanni Celi, mit dem Meraner Carabinierikommandanten Hauptmann Guido de Rosa, und dem Kommandanten der Carabinierilegion Bozen, Oberst Pietro Loretelli.

Bild links: Auf diesem Zeitungsbild sind von links nach rechts zu sehen: Oberst Loretelli, General Celi, Hauptmann De Rosa und ein weiterer Offizier. Bild rechts: Innenminister Mario Scelba gab den Carabinieri freie Hand – „carta bianca“.
Bild links: Auf diesem Zeitungsbild sind von links nach rechts zu sehen: Oberst Loretelli, General Celi, Hauptmann De Rosa und ein weiterer Offizier. Bild rechts: Innenminister Mario Scelba gab den Carabinieri freie Hand – „carta bianca“.

Der Carabinierigeneral Celi hatte Erfahrung im Umgang mit Aufständischen. Im italienischen Kolonialkrieg gegen Abessinien hatte er eine Einheit Carabinieri kommandiert. Damals waren Dörfer, Kirchen und ganze Landstriche niedergebrannt und ganze Bevölkerungsgruppen ausgerottet worden. Dieser Spezialist war nun nach Südtirol gekommen, um Anweisungen für das weitere Vorgehen gegenüber mutmaßlichen Attentätern zu erteilen.

Ab 10. Juli brach eine Verhaftungswelle wie eine Lawine los, wobei die Carabinieri aufgrund jahrelanger Beobachtungen und Bespitzelungen sehr genau wussten, auf welche Personen sie zugreifen sollten. An die 140 Südtiroler wurden festgenommen und auf die Carabinieristationen gebracht. Dann begannen die scheußlichen Misshandlungen. Die erzwungenen „Geständnisse“ sollten zur Folge haben, dass im Ersten Mailänder Südtirolprozess am 16. Juli 1964 über 91 Angeklagte insgesamt 431 Jahre Haft verhängt wurden. (Otto Scrinzi: „Chronik Südtirol 1959-1969“, Graz-Stuttgart 1996, S. 388)

Besonders berüchtigte Folterplätze waren die Carabinieristationen von Kurtatsch, Neumarkt und Eppan.
Besonders berüchtigte Folterplätze waren die Carabinieristationen von Kurtatsch, Neumarkt und Eppan.

Als zahlreiche Gefolterte nach Ablegung ihrer erzwungenen „Geständnisse“ in die Gefängnisse eingeliefert wurden, schmuggelten Priester, ihre Anwälte und ihre Angehörigen zum Teil auf Klopapier geschriebene Briefe mit Schilderungen der erlittenen Folterungen heraus. Einige spätere Berichte durchliefen sogar die Gefängniszensur und man wagte angesichts einer bereits losgebrochenen medialen Berichterstattung nicht mehr, solche Berichte zu beschlagnahmen. Diese Dokumente wurden zum Teil nach Nordtirol gebracht und von dem Landeshauptmann Dr. Hans Tschiggfrey Anfang September 1961 nach Wien an den Außenminister Dr. Bruno Kreisky geschickt. Heute befinden sich an die 70 dieser erschütternden Zeitdokumente im Österreichischen Staatsarchiv. Zahlreiche weitere Berichte finden sich auch im Südtiroler Landesarchiv in Bozen und im Tiroler Landesarchiv in Innsbruck.

Folterberichte aus den SVP-Archivalien im Südtiroler Landesarchiv in Bozen.
Folterberichte aus den SVP-Archivalien im Südtiroler Landesarchiv in Bozen.

In einem beiliegenden Aktenvermerk zu den an Dr. Kreisky übersandten Folterberichten wurden die angewandten Methoden kurz zusammenfassend dargestellt.
An Dr. Kreisky weitergeleitete Folterberichte der Häftlinge. (Österreichischen Staatsarchiv, ÖStA/AdR/BMfAA Pol Südtirol/Südtirol-Panzer 1967-1969, Karton 150)

In einem beiliegenden Aktenvermerk zu den an Dr. Kreisky übersandten Folterberichten wurden die angewandten Methoden kurz zusammenfassend dargestellt.

Am 22. Juli 1961 berichtete der österreichische Menschenrechtsexperte Univ.-Prof. Dr. Felix Ermacora, der mit Dr. Kreisky in sehr gutem Kontakt stand, in den „Salzburger Nachrichten“ anhand ihm zugekommener Folterberichte über das Geschehen in den italienischen Carabinieristationen.

Nun begannen auch andere Medien, darunter das Nachrichtenmagazin „DER SPIEGEL“, den Dingen nachzugehen.

Aus „DER SPIEGEL“ Nr. 34 /1961.
Aus „DER SPIEGEL“ Nr. 34 /1961.

Ein Beispiel von vielen: Der Folterbericht des Franz Muther

Die Wiedergabe aller Folterberichte würde ein ganzes Buch füllen. Hier können nur wenige Beispiele wiedergegeben werden, darunter auszugsweise der Folterbericht des am 10. Juli 1961 von den Carabinieri verhafteten 39jährigen Elektrikers Franz Muther aus Laas im Vinschgau, der an dem Wiederaufbau des Südtiroler Schützenbundes im Vinschgau als Bezirksmajor maßgeblich beteiligt war.

Bild links: Franz Muther. Bild rechts: Der Anfang seines Briefes an die SVP.
Bild links: Franz Muther. Bild rechts: Der Anfang seines Briefes an die SVP.

Was er in der Carabinieri-Kaserne in Meran erleben musste, hat er am 3. November 1961 in einem Brief an die Landesleitung der Südtiroler Volkspartei geschildert. (Die Rechtschreibfehler sind darauf zurückzuführen, dass Muther zu jener Generation gehörte, die in der Faschistenzeit keinen Deutschunterricht in der Schule bekommen hatte.)

Ausschnitt aus Muthers Brief an die SVP.
Ausschnitt aus Muthers Brief an die SVP.

Hier ein Auszug aus Muthers Leidensbericht:

„Ich mußte die Hände hochhalten, dann schlug er mir mit einem Eisenstäbchen mir auf den Finger. Garzolla rufte dann nach einem gewissen Lungo, dies war ein großer kräftiger Mann, und gab ihn den Befehl mich abzuführen zur, ‚cura speciale‘, wie er sich ausdrückte. Ich wurde wiederum in einem anderem Zimmer gebracht, mit dem Rücken gegen eine Wand gestellt, und von zwei kleine Scheinwerfern, welche auf Augenhöhe, 80 cm. vor mir aufgestellt wurden angestrahlt. Nach kurzer Zeit, als meine Augen genügend geblendet waren, wurde ich in die Mitte des Zimmers gezogen, um mich herum standen ungefähr 6 – 8 Mann in Zivilkleidung und einer in Uniform. Jener in Uniform ging auf mich zu, verhönte, beschimpfte und drohte mich auf das schärfste, dann auf einmal, fasste er mich an die Brust, riss mir das Hemd runter und zugleich Haare aus der Brust. Dann schlug er mit der Faust auf meine Schedeldeke los, zugleich schlug der Lungo an der Seite meines Kopfes, besonders aufs linke Ohr, wo ich heute noch immer Schmerzen habe, und auch schlecht höre. Von anderen erhielt ich Fußtritte im Unterleib, ich konnte nicht mehr sehen mir wurde schwarz vor den Augen. Nach einiger Zeit wurde ich wiederum mit dem Rücken gegen eine Wand gestellt. Diesmal brachten sie einen großen Scheinwerfer, welcher wieder auf Augenhöhe 60 – 80 cm vor mir aufgebaut wurde, ich mußte in die Mitte des Lichtkegel schauen. Jedesmal, wenn mir vor Schmerz die Augen zufielen, erhielt ich Stöße in alle Körperteile, besonders Fußtritte an den Schienbeinen, am rechten Bein sind heute noch die Narben zu sehen. Dieses Bein war längere Zeit angeschwollen und ganz gelb. Diese Tortur vor dem gr. Scheinwerfer dauerte 5 – 6 Stunden ununterbrochen, ich glaubte wahnsinnig zu werden.

Meine Bitte um Wasser wurde hönisch verneint. Als endlich der Scheinwerfer abgeschaltet wurde, glaubte ich, das Augenlicht verloren zu haben, da ich einige Zeit nicht mehr sehen konnte. Ich war am ganzen Körper nass von Schweiß, besonders im Kopf. …

Ich hatte auch ganz roten Urin, auch zwei 2 – 3 Tage noch im Bozner-Gefängnis, wo ich am Sonntag, den 17. Juni eingeliefert wurde.

Wegen Platzmangel möchte ich davon absehen, die Ausdrücke, welche man mir gegenüber, gegen, gegen unsere Volksvertreter und das ganze Deutsche Volk gebrauchte davon absehen. Jedoch sei eines erwehnt, daß jener in Uniform mich anschrie, voi tutti porchi Crucki di Detedescki si dofrebe impicare.“ (Sinngemäß: „Euch deutsche Schweine müsste man alle aufhängen“) …

Die hier angeführten Mißhandlungen entsprechen voll und ganz der Wahrheit. Ich möchte Sie aufrichtig bitten, das Sie alles daransetzen, um weitere solche an das Südtiroler-Volk zu vermeiden. Es wäre noch viel zu sagen aber ich habe kein Papier mehr.

Es zeichnet hochachtungsvoll

Franz Muther, Laas“

(Der Originalbrief liegt in den SVP-Archivalien, Landesarchiv Bozen)

Muthers Mitgefangener Luis Steinegger berichtete später: „Noch zwei Monate nach seiner Folterung floß Blut und Eiter aus seinen Ohren.“ (Schützenkompanie Laas (Hrsg.): „Laaser Schützenbuch“, Auer 2001, S 201)

Als Franz Muther 1964 in Ketten zur Mailänder Gerichtsverhandlung gebracht wurde, musste er wollene Ohrenschützer tragen. Noch immer tat ihm jeder Luftzug weh. In Mailand wurde er am 16. Juli 1964 zu 9 Jahren und 5 Monaten Kerker verurteilt.
Als Franz Muther 1964 in Ketten zur Mailänder Gerichtsverhandlung gebracht wurde, musste er wollene Ohrenschützer tragen. Noch immer tat ihm jeder Luftzug weh. In Mailand wurde er am 16. Juli 1964 zu 9 Jahren und 5 Monaten Kerker verurteilt.

Die Misshandlung von Sepp Mitterhofer – Schläge mit Gewehrkoben

Sepp Mitterhofer vom Unterhasler-Hof in Meran-Obermais war einer der engsten Freunde und Mitverschworenen um Sepp Kerschbaumer gewesen. Am 15. Juli 1961 wurde er von den Carabinieri abgeholt und mit Fußtritten in die Meraner Kaserne hineingestoßen. Was dann geschah, berichtete er am 8. September 1961in einem aus dem Gefängnis hinausgeschmuggelten Brief an den Landeshauptmann Dr. Silvius Magnago:

Sepp Mitterhofer in der Haft im Gefängnis von Trient und der Anfang seines Briefes an Dr. Magnago.
Sepp Mitterhofer in der Haft im Gefängnis von Trient und der Anfang seines Briefes an Dr. Magnago.

„Ich mußte im Gang des ersten Stockes bis in der Früh Habtachtstehen, wenn ich mich auch nur ein bißl bewegte wurde ich von einem Posten mit dem Gewehrkolben geschlagen. Arme, Füße und Rücken schmerzten so stark, daß es mir den kalten Schweiß hertrieb. In den Zimmern nebenan hörte ich dauernd Personen schreien und stöhnen vor Schmerz. Im Ganzen mußte ich zwei Tage und drei Nächte strammstehen ohne etwas zu Essen, Trinken und zu Schlafen. In dieser Zeit wurde ich ungefähr fünfzehnmal verhört und dabei mißhandelt. Mit Fußtritten wurde ich an den Füßen und am Hintern bearbeitet und auf den Zehen herumgetreten. Man drohte, mir Geschlechtshaare auszureißen und Gewichte am Geschlechtsteil anzuhängen. Am meisten geschlagen wurde mir ins Gesicht, daß ich so verschwollen wurde, daß ich später nicht mehr den Mund aufbrachte zum Essen. Die Arme wurden mir am Rücken hochgerissen, daß ich laut aufschrie vor Schmerz. Einmal mußte ich mich halbnackt ausziehen, dann wurde ich solange mit Fausthieben bearbeitet bis ich bewußtlos zusammenbrach. Wie lange ich bewußtlos war weiß ich nicht, als ich wieder zu mir kam war ich ganz naß weil man mich mit Wasser überschüttete. Öfters mußte ich stundenlang vor brennende Scheinwerfer stehen und hineinschauen bis mir der Schweiß herunterrann und die Augen furchtbar schmerzten.

Man zog mich an den Ohren und riß mir Haare büschelweiße vom Kopf. …

Der Rücken mußte glatt an der Mauer angehen, kaum, daß ich mich rührte oder mit den Zehenspitzen etwas herausrutschte, so schlug mich ein Karabiniere der vor mir stand, mit dem Gewehrkolben auf die Zehen oder auf den Körper. Einmal mußte ich so im Gang stehen und ein anderesmal stellte man mir noch eine Lampe vor die Nase. Die Füße wurden mir bis zu den Knien lahm, beidesmal wurde ich weggetragen.

(Auszug aus der wörtlichen Wiedergabe des Originalbriefes. SVP-Archivalien, Landesarchiv Bozen)

Der Tod des Franz Höfler

Am 15. Juli 1961 war der Bauernsohn Franz Höfler in Niederlana verhaftet und anschließend in der Meraner Carabinierikaserne schwer misshandelt worden.

Am 26. September 1961 wandte sich Franz Höfler in einem Brief an den Landeshauptmann Dr. Magnago, welcher – wie aus dem Fehlen des Zensurstempels hervorgeht – aus dem Bozener Gefängnis herausgeschmuggelt worden war. Dieser Brief, auch er ein einziger Hilferuf, hatte Magnago tatsächlich erreicht.

Der Anfang des Briefes an Dr. Magnago.
Der Anfang des Briefes an Dr. Magnago.

Der Brief liegt heute bei den SVP-Akten im Südtiroler Landesarchiv und lautet:

„Herr Dr. Silvius Magnago

Da ich hörte, daß Sie den Wunsch geäußert haben nähere Auskunft über die Mißhandlungen zu bekommen, möchte ich hiermit Ihnen folgendes mitteilen.

Bin am Samstag 15. Juli nachts verhaftet worden. Mußte vom Samstag bis Dienstag früh ununterbrochen in Habtachtstellung stehen ohne Essen und Trinken. Am Dienstag wurde ich dann verhört, wo man mir das Unglaublichste vorwarf. Als ich dies alles verneinte, wurde ich dann mit Fußtritten und Fausthieben ins Gesicht überdeckt. Ebenso wurde mir mit dem Gewehrschaft so stark auf die Zehen geschlagen sodaß ich heute noch, nach zwei Monaten, am großen Zehn nicht geheilt bin, und ärztliche Pflege bedarf. Bin dann noch 3 – 4 Stunden unter einer Lampe gestanden und habe daraus Schaden gezogen, da ich in den Augen empfindlich bin und jetzt viel weniger sehe.

Sie haben mir dann noch das linke Ohr losgerissen, wo ich sehr blutete. Am Mittwoch wurde ich dann nochmals zu Boden geschlagen, und ich war fast bewußtlos. Um diesen Mißhandlungen endlich zu entgehen, habe ich dann ein vorgelegtes Protokoll unterschrieben. Da ich schon vor dem Untersuchungsrichter war, habe ich aus den Karabinieriprotokollen entnommen, mit was für Lügendokumente die Polizei versucht hatte mich schuldig zu stempeln.

Ich glaube Sie haben eine kleine Vorstellung von den Art der Mißhandlungen der Polizei. Diese Art von Behandlung wird sicher keine Früchte bringen und keine Liebe den Anderen gegenüber zeitigen.

Mit vorzüglicher Hochachtung

grüßt Sie in vollen Vertrauen

Franz Höfler“

(Wörtliche Wiedergabe des Originalbriefes. SVP-Archivalien, Südtiroler Landesarchiv Bozen)

Bild links: Der lebende Franz Höfler - Oberjäger der Schützenkompanie Lana. Bild rechts: Der tote Franz Höfler in der Prosektur Bozen. Das Bild wurde heimlich aufgenommen.
Bild links: Der lebende Franz Höfler – Oberjäger der Schützenkompanie Lana. Bild rechts: Der tote Franz Höfler in der Prosektur Bozen. Das Bild wurde heimlich aufgenommen.

Franz Höfler hat sich von den erlittenen Misshandlungen nicht mehr erholt und starb am 22. November 1961 in der Haft an einer Herzblutung durch Einriss der Hauptschlagader.

Der Tod des Anton Gostner

Am 7. Jänner 1962 holte der Tod sein zweites Opfer unter den Südtiroler Häftlingen. Es war der Kleinbauer, Hotelportier und fünffache Familienvater Anton Gostner aus St. Leonhard bei Brixen, welcher in der Carabinierikaserne von Brixen trotz seines Herzleidens unmenschlich gefoltert worden war. Davon hatte er sich nicht mehr erholt. Er starb im Gefängnis an Herzversagen.

Anton Gostner (rechts im Bild) bei seiner Einlieferung in das Gefängnis. (Aus „Alto Adige“)
Anton Gostner (rechts im Bild) bei seiner Einlieferung in das Gefängnis. (Aus „Alto Adige“)

Der damals mit inhaftierte Sarner SVP-Obmann und spätere österreichische Bundesratspräsident Helmut Kritzinger berichtete nach seiner Entlassung und Flucht nach Österreich, welche Folterspuren an dem Körper Gostners er mit eigenen Augen gesehen hatte:

„Eingesperrt wurde Anton Gostner bereits im Mai 1961. Damals wegen eines ganz geringfügigen Verdachtes: angeblich soll er in Innsbruck an einer Versammlung teilgenommen haben usw. Als die große Verhaftungswelle im Juli vorüber war, wurde Gostner Ende August – ich glaube, mich nicht im Datum zu irren – von den Karabinieri aus dem Gefängnis herausgeholt und weggebracht. Wohin und was mit ihm geschah, erfuhren wir erst später … Ich sagte bereits, Gostner wurde weggebracht und nach zehn Tagen kam er wieder nach Bozen. Der Mann war abgemagert wie ein 12-jähriger Junge. An der Stirn hatte er einen großen roten Fleck, an beiden Nasenlöchern trug er Brandwunden. Die Karabinieri, erzählte Gostner, hätten ihm brennende Zigaretten in die Nasenlöcher gesteckt und ebenso die Stirne verbrannt. Er erzählte ausführlich über die Foltermethoden. Auch Salzsäure hatte man bei ihm angewandt. Einmal schob er das Hemd weg und zeigte mir eine Schwellung am Bauch. Diesen Bruch haben mir die Karabinieri aufgeschlagen, erzählte er.

(Bericht Kritzingers an das Referat „S“ des Amtes der Nordtiroler Landesregierung: „Wie Südtiroler von den Carabinieri gefoltert wurden“; Südtirolakten des Referates „S“ der Nordtiroler Landesregierung, Häftlingsakt 3/2, Tiroler Landesarchiv Innsbruck)

Anton Gostner hat am 16. August 1961 in einem Brief an seinen Rechtsanwalt Dr. Egger beschrieben, wie er in den Carabinierikasernen in Brixen und Eppan misshandelt worden war. (Die Rechtschreibfehler sind darauf zurückzuführen, dass Gostner zu jener Generation gehörte, die in der Faschistenzeit keinen Deutschunterricht in der Schule bekam.)

Letzte Seite des Briefes an Rechtsanwalt Dr. Egger. Der Brief liegt in den SVP-Archivalien, Landesarchiv Bozen.
Letzte Seite des Briefes an Rechtsanwalt Dr. Egger. Der Brief liegt in den SVP-Archivalien, Landesarchiv Bozen.

In dem Brief hieß es:

„Man gab mir abwechselnt immer mehr oder weniger Schläge. Man stellte mich an die Wand unter die quarz Lampe, mit den Händen immer hoch über den Kopf, nicht weniger als wenigstens 4 Stunden ununterbrochen, wobei ich 3 oder 4 mal ohnmächtig wurde.

Man ziehte mich bei den Haaren auf dem Boden. Man setzte mir Käfer an, auf dem Bauch, dessen Gattung ich nicht kenne, sie waren ziemlich groß. Ich denke, sie hatten die Eigenschaft, sich eine Vertiefung zu graben mit den Zangen, was sie auch taten.

Denn brachte man mich nach Eppan, woh es noch weitaus schlimmer wahr. Man schlug mich so heftig, das ich oft nicht mehr wusste, wo ich wahr.

Man hat mich nackt ausgezogen, über einen Tisch gelegt, mit dem Kopf nach unten, und schüttete mir 3 volle Stunden Salzwasser, vielleicht mit etwas Säure gemischt, in den Mund und Nase, das man fast jede Minute glaubte, ersticken zu müssen, und das immer solange, bis man ohnmächtig wahr.

Man schlug mich dann nieder, u. dan ging es immer wieder auf ein neues. Man hielt mir brennende Zigaretten in die Nasenlöcher u. auf die Stirn, woh man Heute noch die brand Wunde erkennen kann. Mann riß mier Hare beim Geschlechtsteil aus. So ging es mier, mehr oder weniger 10 Tage, bis man mich wieder ins Bozner Gefängnis brachte.“

(„Dolomiten“ vom 11. Jänner 1962, „Tiroler Nachrichten“, Innsbruck, vom 13. Jänner 1962)
(„Dolomiten“ vom 11. Jänner 1962, „Tiroler Nachrichten“, Innsbruck, vom 13. Jänner 1962)

Der Tod Höflers und Gostners rief Empörung südlich und nördlich des Brenners hervor. Der Südtiroler Landtag forderte eine parlamentarische Untersuchungskommission und die Tiroler Landesregierung in Innsbruck gab eine anklagende Regierungserklärung ab.

Es war alles vergebens. Die italienischen Verhörmethoden wurden auch in den nächsten Jahren bis zum Ende des Freiheitskampfes weiter beibehalten.

Sepp Kerschbaumer – Bericht aus dem Gefängnis und sein viel zu früher Tod

Am 15. Juli 1961 war auch der Kopf und Gründer des „Befreiungsausschusses Südtirol“, Sepp Kerschbaumer aus Frangart verhaftet worden.

Der verhaftete Gründer des „Befreiungsausschuss Südtirol“ (BAS), Sepp Kerschbaumer.
Der verhaftete Gründer des „Befreiungsausschuss Südtirol“ (BAS), Sepp Kerschbaumer.

Sepp Kerschbaumer hat das, was mit ihm geschehen war, am 4. September 1961 in einem Schreiben geschildert, welches aus dem Gefängnis hinausgeschmuggelt und der Südtiroler Volkspartei übergeben wurde.

Der Brief liegt heute im Südtiroler Landesarchiv in Bozen unter den Archivalien der Südtiroler Volkspartei.

Der Briefanfang
Der Briefanfang

Der Brief lautet:

„Gefängnis Bozen, 4. September 1961

Schildere hier die Mißhandlungen, die ich beim Verhör durch die Karabinieri von Eppan und dort selbst erleiden mußte. Sofort nach der Verhaftung am 15. Juli 1961 als ich in der Frühe um 6-7 Uhr in die Kaserne eingeliefert wurde, wurden an mich verschiedene Fragen gestellt die ich verneinte.

Daraufhin wurde ich in ein anderes Lokal geführt, wo ich sofort mit Hände hoch stehen mußte, in dieser Position mußte ich von 7 Uhr früh bis 2 Uhr Nachmittag, um welche Zeit ich dann bis 6 Uhr abends in die Zelle gesperrt wurde. Dann ging es wieder von 6 Uhr abends bis 3 Uhr in der Früh gleich wie zuvor.

So mußte ich im ganzen 16 Stunden mit erhobenen Händen stehen. Als ich die Arme nicht mehr ganz in die Höhe halten konnte, riß man sie mir wieder empor, zu alldem wurde ich in dieser Zeit immer wieder im Gesicht in der Brust und am Rücken mit der flachen Hand oder den Fäusten geschlagen, zudem wurde ich immer wieder auf das gemeinste verspottet, nicht nur ich, sondern besonders auch unser ganzes Volk samt Führung, in der letzten Zeit der Mißhandlung war ich so mit meinen Kräften darnieder, daß ich mich nur mehr mit der größten Mühe aufrecht erhalten konnte.

Ich schwitzte und zitterte am ganzen Leibe und war so erschöpft, daß ich nur mehr einen Wunsch hatte, nämlich zu sterben. Als ich den Karabinieri sagte, sie sollen mich frisch umbringen, wurden sie erst recht prutal.

Beim späteren Verhör wurde mir immer wieder mit der Streckbank gedroht.

Dies entspricht alles der reinen Wahrheit und ich kann es gar nicht so schrecklich schildern, wie es in Wirklichkeit sich alles zugetragen hat.

Sepp Kerschbaumer, geb. am 9. 11. 1913 in Frangart“

(Wörtliche Wiedergabe des Originalbriefes. SVP-Archivalien, Landesarchiv Bozen)

Ende des Briefes von Sepp Kerschbaumer.
Ende des Briefes von Sepp Kerschbaumer.

Sepp Kerschbaumer hat sich von den Folgen der Misshandlungen nicht mehr richtig erholt und erlag am 7. Dezember 1964 im Gefängnis von Verona einem Herzversagen.

Belobigungen und Belohnungen für den „Geist der Initiative, der Arbeitsamkeit und der Fähigkeit“

Mehr als 60 von den Häftlingen der Folter beschuldigte Carabinieri erhielten am 22. Jänner 1962 im Hauptquartier der Carabinieri-Legion in Bozen eine „feierliche Belobigungen“ durch den Carabinieri-General Giovanni Celi sowie Geldprämien, weil sie sich „durch ihren Geist der Initiative, der Arbeitsamkeit und der Fähigkeit ausgezeichnet haben.“ („L’Adige“, Trient, 23. Jänner 1962)

Nachdem zahlreiche Südtiroler Häftlinge Anzeigen erstattet hatten, wurden einige wenige Carabinieri in Trient vor Gericht angeklagt. Gegen 11 von ihnen wurde das Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt, sie hätten Häftlinge lediglich geschlagen. Gegen 10 Carabinieri wurde das Verfahren eröffnet. Sie wurden am 29. August 1963 freigesprochen oder als unter Amnestie fallend betrachtet, obwohl die in Ketten vorgeführten Südtiroler Häftlinge sie schwer belastet hatten. Die Verteidiger der Carabinieri hatten argumentiert, dass die Häftlinge sich ihre Verletzungen zufällig zugezogen oder selbst zugefügt hätten. (Aus dem Bericht „Der Prozess von Trient“ in: „SID – Südtirol Information Dokumentation“ Nr. 12, Schriftleitung Prof. Dr. Franz Gschnitzer, vom 12. September 1963)

Aus „Bunte Illustrierte“ Nr. 38 vom 18. September 1963.
Aus „Bunte Illustrierte“ Nr. 38 vom 18. September 1963.

Die derart „rehabilitierten“ Carabinieri wurden dann am 1. September 1963 von dem Oberbefehlshaber der Carabinieri, General De Lorenzo, in Rom feierlich empfangen und für ihr Verhalten belobigt.

(Aus „Dolomiten“ vom 7. September 1963)
(Aus „Dolomiten“ vom 7. September 1963)

Bis heute hat sich keine italienische Regierung für das damalige Geschehen entschuldigt.

Gedenken an das Leiden des Schützenoffiziers Franz Muther

In sehr schöner Weise gedachte am 26. Juni 2021, dem 35. Todestag von Franz Muther, seine Schützenkompanie in Laas des verstorbenen Freiheitskämpfers, der so viel Schweres durchgemacht hatte. Zahlreiche Schützenabordnungen aus dem Bezirk Vinschgau und viele Mitbürger waren gekommen.

Erfreulich war, dass die SVP-Bürgermeisterin Verena Tröger offen erklärte, dass Franz Muther ein „Freiheitskämpfer“ gewesen sei, „der sich für uns eingesetzt hat“.

Über die Gedenkfeier, die von den Schützen sehr würdig und schon gestaltet worden war, berichtete auch die Tageszeitung „Dolomiten“ am 29. Juni 2021.

In seiner Gedenkrede zitierte der Ehrenkommandant des Südtiroler Schützenbundes, Elmar Thaler“ ausführlich aus dem in der vorliegenden Dokumentation wiedergegebenen Folterbericht Muthers an Landeshauptmann Dr. Magnago. Die Anwesenden waren von dem Geschilderten tief ergriffen.

Ehrenkommandant Elmar Thaler.
Ehrenkommandant Elmar Thaler.

Über Franz Muther sagte Elmar Thaler: „Als Franz Muther am 22. Juni 1986 beerdigt wurde, trugen zwei Schützen und Mitstreiter dem Trauerzug einen Kranz aus Almrosen voran. Darauf hatten sie eine Dornenkrone angebracht. Wohl selten hat ein Kranz so viel über das Leben des Verstorbenen ausgesagt.

Ein Mann, der von allen die ihn gekannt haben, als redlicher und nobler Mensch beschrieben wird, der sich als begeisterter Gründer und Funktionär der Feuerwehr, des Alpenvereins und sogar des Schützenbundes für seine Mitmenschen und insbesondere auch in seiner politischen Tätigkeit für sein Land eingesetzt hatte.

Heimatliebend, schneidig und besonders freiheitsliebend war er, so beschreiben ihn seine Weggefährten– die Berge, die waren sein zu Haus.

Über dem mit Almrosen geschmückten Kranz hatten die Schützen ein Stacheldrahtgeflecht als Dornenkrone angebracht. (Aus „Laaser Schützenbuch“)
Über dem mit Almrosen geschmückten Kranz hatten die Schützen ein Stacheldrahtgeflecht als Dornenkrone angebracht. (Aus „Laaser Schützenbuch“)

 Aber es gab da auch neben all den Alpenrosen auch die Dornenkrone, die zwar nicht über allem stand, aber eben doch sein Leben mitbestimmte. Seine Kindheit, in der in der Schule jedes deutsche Wort verboten war, die Jahre im Krieg, und dann die Enttäuschung, dass das demokratische Nachkriegsitalien in Bezug auf die Behandlung unseres Volkes auch keinen Deut besser war jenes vor dem Krieg.

Das alles hat ihn veranlasst, zu ungewöhnlichen Mitteln zu greifen.

Es war nach Allerheiligen 1961, als Franz Muther zu Papier und Bleistift griff, um der Landesleitung der Südtiroler Volkspartei zu schreiben. Er war das letzte Mal im Sommer, am 10. Juli zu Hause gewesen – an diesem Tag hatten ihn die Carabinieri geholt. Und wenn er jetzt, ein halbes Jahr später endlich schreiben konnte, dann ist das zwei Umständen zu verdanken. Zum einen dem Umstand, dass er die letzten 4 Monate trotz Folter und Misshandlung überlebt hatte und zum zweiten dem Umstand, dass ihm seine engsten Verwandten Schreibzeug ins Gefängnis geschmuggelt hatten.

Jedenfalls schrieb er nun, wie er in den letzten Monaten für seinen Einsatz für die Heimat büßen hat müssen. Die erschütterndsten Passagen dieses Briefes, den wohl einige hier kennen, den sich aber ins Gedächtnis zu rufen von Zeit zu Zeit gut, sprechen auch heute noch Bände. Und sie rütteln uns wieder auf, wenn wir grad nicht mehr wissen, wo wir hingehören, wenn wir zu bequem zu werden drohen, wenn wir vergessen haben oder wir uns selbst wichtiger sind als es die Heimat uns ist.“

Elmar Thaler schloss seine Rede mit den Worten, dass Franz Muther heute keine Stimme mehr habe. „Aber sein Leben, seine Treue spricht auch so Bände. Sein Leben zwischen sprichwörtlichen Alpenrosen und Dornenkrone. Es ist uns heute Vorbild und wird Generationen von Tirolern Vorbild bleiben. Ehre seinem Andenken.“